Es ist eine wilde Mischung aus off und on topic und eine episch lange Gedankenkaskade.
Ich habe mehrmals wahrgenommen, dass Du beschrieben hast, wie die Messerliebhaber emotional (mit Assoziationspotenzial zu irrational) mit dem Thema (Schneid-)Schärfe umgingen.
Ich glaube dabei, sie werden ganz wesentlich spürbar dadurch emotional, dass sie wahrnehmen, dass man ihnen ihre Freiheit absprechen will, ihrer Vorliebe nachgehen zu können.
Ich vergleiche das mit Gartenliebhabenden, denen das Wässern oder Düngen ihrer Pflanzen verboten würde. Damit ich das akzeptieren könnte, müsste es relevante Gründe geben, z. B. Wasserknappheit oder Grundwasserbelastung. Andererseits werden mir oft Interessenkonflikte klar. Der eine will Wasser sparen und pflanzt sich einen kanarischen Lavagarten (ohne Pflanzen), die andere dagegen säht eine Bienenweide. Alle Interessen haben ihre Begründung und Berechtigung und sollten auf maximale Vereinbarkeit und minimale Einschränkung geprüft werden.
Jetzt ganz weit ausgeholt. Jemand erwähnte Berufsgenossenschaften und die von denen benannte Regel bezüglich der Schärfe von Messern und der damit verbundenen Gefahr.
Unfallverhütungsvorschriften wurden als Satzungsrecht geschaffen und von den paritätisch aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzten Gremien der Selbstverwaltung der Berufsgenossenschaften und sonstigen gesetzlichen Unfallversicherungsttägern entwickelt, diskutiert und beschlossen. Unfallverhütungsvorschriften sind wie ein Teil der Versicherungsbedingungen. Heute nimmt der Staat dieses Recht Schritt um Schritt an sich und kommt damit aus der nationalen Sonderstellung Deutschlands mit seinem zweigleisigen Arbeitsschutzsystem heraus.
Arbeitsschutzvorschriften dienen niemals der Selbstbefriedigung ihrer Normensetzer, sondern spiegeln sowohl das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung, Wirtschaftlichkeit und die soziale Akzeptanz in unserem Kulturkreis wieder.
Ganz witzig finde ich im Bezug auf Akzeptanz das Bild, dass es in unserem Kulturkreis akzeptiert ist, dass 4 von 10 000 Rauchenden an Krebs sterben (hier nur die Spitze des Eisbergs betrachtet). Korrespondierend dazu sind die Werte der Akzeptanzkonzentration (sozial akzeptiert, AK) von krebserzeugenden Gefahrstoffen in der Atemluft so festgelegt, dass das Risiko, bei vierzigjähriger Dauerexposition bei 4 : 10 000 liegt.
Bemerke: Es gab keine Arbeitsplatz-Grenzwerte für krebserzeugende Gefahrstoffe, bei deren Unterschreitung der Umgang gesundgebetet wurde, selbst die Technische Richtkonzentration wurde aufgegeben, die den Stand der Technik und damit die (für die Unternehmen) maximal zumutbare Minderung der Exposition messbar machen sollte, sondern die AK spiegelt das soziokulturell akzeptierte Risiko wieder. Dabei wissen wir alle, dass jedes einzelne Molekül Dioxin oder Glyphosat nur an der richtigen Stelle in der Zelle andocken muss, um Krebs auszulösen. Statistisch hat aber nur jeder x-te das Pech und warum sollten die deutschen Unternehmer zu schärferen Maßnahmen gezwungen werden als ihre Mitbewerber anderer Länder, wenn es doch gesellschaftlich akzeptiert wäre, weniger sicher arbeiten zu lassen? Recht in der Demokratie spiegelt doch natürlich die gesellschaftlichen Maßstäbe wieder, oder?
BGen übernehmen nicht unüberlegt einfach nur tradierte Fehlschlüsse. Jeder Satz einer Vorgabe zum Arbeitsschutz wird - drastisch und stark vereinfacht ausgedrückt - bis zum zeitlich limitierten Erbrechen vor- und zurückdiskutiert, sodass der Inhalt konsenzfähig für alle interessierten Parteien ist.
Im Gegenzug wird heute aber mit hoher Energie an der Tradierung sicherer Arbeitsweisen gearbeitet. Denn nur was zur Tradition, zur Kultur wird, wird auch ohne großen Aufwand und vor allem ohne von außen auferlegte Einschränkung ein- und erhalten. Ein moderner, psychologisch fundierter und wertvoller Weg - meine Meinung.
Und ja, es gibt durchaus Vorschriften, die man lustig so auslegen kann, dass ihre Unsinnigkeit suggeriert wird. Ähnlich wie die sprichwörtlich zum tausendsten Male durchs Dorf getriebene Sau der militärischen Vorschrift, dass SoldatInnen ab ?80? cm Wassertiefe selbstständig mit Schwimmbewegungen zu beginnen hätten.
Und das wird nicht besser, da in dieser Rechtsetzung immer mehr Eigenverantwortung der Menschen den Menschen übertragen wird, insbesondere den Leitungen von Unternehmen, die abhängig Beschäftigte mit Tätigkeiten beauftragen. Dies ist so gewollt, zwecks (der geforderten) Entbürokratisierung, damit muss man (verantwortungsvoll) umgehen können und wollen und nicht jammern, dass es immer weniger konkrete Vorschriften gibt. „Ihr habt das doch so gewollt!“ sage ich in meinen Seminaren für Führungskräfte, wenn sich die Gruppe in dieses Jammertal stürzen will. Verantwortung gibt bewusst Freiheit zur Entscheidung, es gibt viele Wege nach Rom, wer Handlungsfreiheit will, muss auch die Pflicht annehmen, verantwortungsvoll damit umzugehen.
Ich glaube, das machen alle bewussten Privatleute individuell intensiv und korrespondieren ihre jeweilige Messerschärfe damit.
Unternehmer sind zur Übernahme der Verantwortung für ihre abhängig Beschäftigten verpflichtet, und das ist auch gut so, das ist eine für mich wertvolle Errungenschaft unseres Kulturkreises. Eltern sind (gegenüber ihren von ihnen anhängigen Kindern) dazu auch verpflichtet.
Noch eines zu den noch im Rahmen des Satzungsrechts definierten Unfallverhütungsvorschriften: Sie sind nicht nur durch Fachleute entwickelte und empirisch untermauerte Vorgaben, die dazu auch differenziert nachweislich Unfallzahlen (und Berufskrankheiten und berufsbedingte Erkrankungen) verringern, sie sind vor allem auch wirtschaftlich interessant, denn weniger Unfälle bedeuten weniger Beitragskosten für die Unternehmen und tragen im weiteren zur Stabilisierung und Stärkung der Wirtschaft bei (was für eine relevante Menge von Menschen als wichtig gilt).
Also: Für die Menschen als Beschäftigte, für die Unternehmer und deren Unternehmen und über die Wirtschaft für die Bevölkerung, die davon Nutzen hat.
So haben die Berechnungen der gesetzlichen Unfallversicherungskosten bei Tischlern und Fensterbauern für die vergangenen sechs Jahre ergeben, dass deren Anteil an den Versicherungskosten überproportional gegenüber den anderen Gewerbezweigen ist. Das heißt, dass sie auch unterproportional wenig Beiträge zahlen. Demzufolge müssen diese erhöht werden, denn alles andere wäre ungerecht, wenn man keine pauschal gleichmäßige Verteilung der Beiträge über Büroartikelvertriebe, Herrgottschnitzer (ja, es geht noch immer um scharfe Messer) oder Stahlhochbauer und alle anderen nach NACE-Schlüssel gelisteten Gewerbezweige wollte. Entgegen verbreiteter Einzelmeinungen bedienen sich die Berufsgenossenschaften nicht bei den Leistungsfähigen, sondern verwalten die Beiträge der Unternehmen zur Deckung der Entschädigung der verletzten Beschäftigten. Dazu betreiben die Selbstverwaltungsorgane der BGen bereits seit Bismarck nicht nur die Versicherungssparte, sondern aktive Prävention, um das Leid und die Kosten zu senken. Franz Kafka hat auch eine gewisse Zeit in einer solchen Berufsgenossenschaft gearbeitet und ist durch Betriebe gezogen, um den Unternehmen klar zu machen, dass sie keine Fräser wie Hackmesser verwenden dürfen, sondern nur noch spanraumbegrenzte, die pro Umdrehung nicht ganze Finger abhacken können, sondern die Gliedmaßen nur millimeterweise abtrennen. Bei 5000 Umdrehungen pro Minute war die Spanraumbegrenzung eine wirksame und angemessene Maßnahme, um Leid und Kosten zu minimieren. Da der Tischler aber auch damit praktikabel arbeiten will, muss und darf, werden Fräser nicht verboten, sondern dürfen mit akzeptablem Restrisiko betrieben werden.
PS: Ich gendere „Unternehmer“ nicht, weil sie als Normadressaten in den relevanten Rechtsquellen ebenso (noch nicht) gegendert werden. „Unternehmer“ ist hier also als Eigenname zu verstehen, der alle denkbaren sozialen und biologischen Geschlechter haben könnte.
Ich liebe mein von Pinguin66 geschärftes NoNameMesser und es hat seinen festen Einzel-Platz in der Messerschublade, natürlich mit der Schneide nach unten. Da fasst keiner blind rein und schneidet sich den Unterarm auf. Eine Lagerung, die diese Gefahr darstellen würde, halte ich für verantwortungslos.
Und ja, genau, Messerliebhaber rasieren sich mit ihren Messern die Unterarme, weil sie an die Achselhöhle so schlecht herankommen oder sich für den Test an der Bein- oder Intimbehaarung extra ausziehen müssten. Dass ein Nicht-Messer-Verrückter natürlich niemals auf diese Idee käme, ist doch ganz normal. Zum Glück dürfen wir uns alle unsere unterschiedlichen Spleens gönnen, wenn sie andere nicht belasten. So durfte Pinguin66 die Schärfe meines Messers gern an seinem Arm testen, aber nicht an meinem.
Verantwortung ist auch, wenn ich meinen Kindern den Umgang mit den Gefahrenquellen ihrer Lebenswelt beibringe. Dabei kann ich die vorhandenen Freiheitsgrade entsprechend meiner eigenen Fähigkeiten und Mutes verantwortungsvoll ausnutzen, solange ich die kulturell und gesetzlich gesetzten Vorgaben einhalte. Innerhalb meiner zulässigen Freiheitsgrade bitte ich um Interesse an meinen Gedanken, wie ich dazu komme, meinem siebenjährigen Sohn ein vorn rundes Opinel Kinderschnitzmesser zu schenken und wie ich es hinkriege, ihn einen respektvollen und damit sicheren Umgang damit zu “lehren“. Das führe hier aber zu weit, leichter wäre es, dass wir uns alle persönlich kennenlernen und uns selbst ein Bild davon machen.
Es ist auch, mich selber beim Umgang mit der Kettensäge aktiv wie passiv sicher zu verhalten. (Wink mit dem Zaunpfahl: Ich hoffe, du machst das auch und beachtest die Unfallverhütungsvorschriften auch im privaten Umfeld, denn sie sind gute Vorschriften - meine Meinung, s. o.) Zugegebenermaßen, hier bin ich selbst noch nicht richtig gut, doch der erste Schritt ist getan, denn ich weiß: Die Kettensäge zerfetzt den ungeschützten Oberschenkel oder Fuß genauso mit stumpfen wie mit scharfen Zähnen. Lediglich wenn sie gar keine Zähne mehr hat, nachdem ich fünfzig Meter Schlitz in den Rasen geschnitten habe, um das Mähroboterkabel zu verlegen, tut sie nicht mehr so weh.
Jetzt noch einmal die zu OT analoge, noch nicht vorhandene Kennzeichnung für Satire:
Ach so, das Führen von Kettensägen mit mehr als 8 cm Schwertlänge, mehr als 0,6 PS oder einen Produkt von mehr als 72 Volt-Ampere-Stunden in der Öffentlichkeit inklusive des entsprechenden Verbots an Bahnhöfen oder bei Veranstaltungen könnte an dieser Stelle auch mal angefasst werden

So, meine Lieben und meine Guten. Ich hoffe, ich habe jetzt niemenschen verletzt, auf die Palme gebracht oder bin zu nahe getreten. Ich mag deine Art Ditschi, dass du dein Verständnis und deine Meinung gern so intensiv nahe bringst.
Dass ich mir jetzt auch mal ein paar tausend Zeichen gegönnt habe, meine Assoziationen aufzumeißeln, hat mich sehr entspannt, denn es hat mich daran erinnert, dass wenn - egal wer - mit viel Hingabe die sportliche Diskussion sucht, es eigentlich nicht böse meint. Manchmal wird man nur böse, wenn man sich davon bedrängt fühlt und es dann persönlich nimmt. Ein Forum ist ja Austausch von gleichen und ungleichen Meinungen. Und wenn wir mal ungleicher Meinung sind, können wir doch trotzdem Freunde bleiben, oder? Wenn wir es persönlich nähmen und persönlich verletzend würden, ginge das nicht.
Hihi, wieviel Zeichen waren das jetzt?
Gute Nacht!
Einen Kommentar schreiben: