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Übersicht der Route zusammen mit den Campingplätzen (Lantmäteriet, CC0 1.0) Das nordwestliche Bergmassiv Sjaunjas und der wunderschöne Kaitumälven aufgenommen in der Nähe vom (ebenso wunderschönen) Čohkolisjávri
Einleitung und Vorgeschichte
Seit jeher liebe ich es, draußen unterwegs zu sein und auch einmal abseits vielbegangener Wege zu wandern. Geprägt durch meine Eltern und bestärkt durch eine (Standard-)Tour mit meinem Bruder von Nikkaluokta nach Abisko vor einigen Jahren – die hier aber nicht Thema sein soll – wollte ich mich diesmal steigern und eine individuellere Tour planen: einsamer, abseits der Wege in Skandinavien, so „wild“ wie möglich.
Bei meinen Recherchen stieß ich recht schnell auf das Sjaunja-Naturreservat, welches für seine Urwälder, ausgedehnten Moorgebiete, der vergleichsweise reichen Tierwelt und vor allem seine Abgeschiedenheit bekannt ist. An dieser Stelle möchte ich mich schonmal bei berniehh und Robtrek bedanken, die mich zu dieser Route inspiriert haben! Eure Reiseberichte (siehe hier und hier) sind wirklich Klasse! Da ich mir aber solche großen Distanzen absolut nicht zutraute, habe ich versucht die Route entsprechend abzuändern/abzukürzen. Herausgekommen ist diejenige, die ihr im ersten Bild zusammen mit den Camping-Stellen seht. Die Strecke sollte in Fjällåsen südlich von Kiruna starten und in Nikkaluokta enden; insgesamt (nur) 170 km. Da ich mir aber unsicher war, wie schwierig das Gelände letztendlich sein wird, wollte ich die Route nicht zu lang werden lassen. Außerdem hatte ich mir noch einige Alternativen/Abstecher für zwischendrin überlegt, die, wenn gewollt, das Ganze noch länger machen würden.
Ich erhoffte mir von der Strecke, dass sie viele Landschaftsbilder in sich vereint: (Berg)wälder, Sümpfe, Flüsse, Seen und Fjäll. Ich wurde nicht enttäuscht. Das einzige, was nicht wirklich vorkommt, sind Abschnitte in höheren Lagen: Auf der geplanten Hauptstrecke wird die 1000m Marke nicht überschritten. Bei Interesse des genauen Routenverlaufs habe ich Euch hier die zugehörige *.gpx Datei hochgeladen.
Während meiner Recherche ist mir ebenso aufgefallen, dass es nur wenige Leute nach Sjaunja verschlägt. Neben den oben genannten großartigen Berichten von berniehh und Robtrek gibt es auch noch einen tollen Bericht von christofstier (siehe hier) mit einer Route vom Südosten Sjaunjas bis nach Abisko (in nur 14 Tagen!) und ein super Bericht von Mortias (siehe hier), dessen Route den bergigen, nordwestlichen Teil Sjaunjas durchquert. Außerdem gibt es auch noch ein Erfahrungsbericht von wandler (siehe hier). Die zugehörige Route startete in Gällivare, führte entlang den südöstlichen Außenbereichen Sjaunjas nach Norden über Harrå, über die Gebirge des Gussoaivi, Duolbuk und Àraoaivi und verließ anschließend Sjaunja mit einer Überfahrt über den Kaitumälven mit Ziel Abisko. Absolut lesenswert! Als letzte Referenz kann ich auch noch das Buch von Frank Baldus (Sjaunja – Die Weisheit der Wildnis) erwähnen, der Sjaunja zusammen mit zwei weiteren Personen von Südwesten nach Nordosten durchquert hat. Ein großer Teil des deutschen Wikipedia-Artikels von Sjaunja basiert übrigens auf dieses Buch. Falls ich jemanden vergessen haben sollte, gebt mir gerne Bescheid!
Die Tatsache, dass Sjaunja so selten begangen wird und die Abgeschiedenheit des Gebietes haben mich natürlich nur in meinem Vorhaben bestärkt. Im Jahr 2023 startete dann tatsächlich mein erster Versuch, der kläglich scheitern sollte. Es folgte ein weiterer im Jahr 2024, der deutlich besser lief. Weiter unten werde ich kurz diese beiden Versuche näher skizzieren… aber hier soll es primär um die (Spoiler: „erfolgreiche“) Durchquerung im Jahr 2025 gehen.
Das Wetter in diesem Jahr (2025) war für Lapplands Verhältnisse gut. Ich hatte für einige Tage regenfreies und sonniges Wetter und für die etwas höheren Lagen im westlichen Sjaunja wirklich schöne Aussichten gehabt (siehe Titelbild). Doch auch die regnerischen/nebligen Tage hatten ihren ganz eigenen Charme.
Vorweg: Sjaunja ist… einzigartig. Neben der ganzen Anstrengung und den Schmerzen an den Füßen / am Rücken durch mein (für mich (65 kg Körpergewicht)) schweren Rucksack von mehr als 24 kg, war es gleichzeitig immer die Stille, die Abgeschiedenheit und schlichtweg die Natur die mich hat sprachlos werden lassen. Ab Fjällåsen bis zu dem Punkt, wo ich den Kungsleden ganz im westlichsten Punkt der Route erreichte, habe ich keinen Menschen gesehen. Viele Eindrücke kann ich (noch?) gar nicht richtig in Worte fassen. Bis ich das verarbeitet und die Sachen ausgewertet habe, wird sicherlich noch einige Zeit vergehen. Eventuell wird das Aufschreiben meines Berichtes hier im Forum dabei auch etwas helfen.
Der Plan ist, dass ich zeitnah in den kommenden Tagen die ersten beiden Versuche aus den letzten beiden Jahren kurz skizziere und anschließend auf die Tour in diesem Jahr im Detail eingehe. Ich versuche hierfür nicht allzu viel Zeit verstreichen zu lassen, damit meine Erinnerung noch so frisch wie möglich ist.
Also: Fortsetzung folgt!
Ich freue auf den Bericht!
Sjaunja steht bei mir auf der Liste seit ich das erste mal ein Bild vom Čalmmas über den Kaitumjaure gesehen habe...
Bin gespannt wie gut du den Weg ab Tag 2 Richtung Serrujávri finden konntest...
Ja, klingt echt interessant. Bin schon sehr auf Deinen Bericht gespannt. Und danke, dass Du meinen einen alten Bericht erwähnt hast. Sehe nur, dass die Bilder da leider nicht mehr verlinkt sind.
Ohhh, da freue ich mich auch sehr sehr auf Weiteres!!! Ich hatte Sjaunja für dieses Jahr angedacht, aber wieder einen Rückzieher Richtung Sarek gemacht 😬 Es wäre auch die Natur und Einsamkeitserfahrung, die mich daran so reizt, und natürlich die inspirierenden Berichte.
Ich bin auch gespannt, was du vom Mückenaufkommen zu berichten hast, es war ja zumindest im Sarek vergleichsweise viel dieses Jahr nach meinem Gefühl.
Bevor ich gleich den nächsten Part online stelle, wollte ich gerne noch auf einen weiteren Erfahrungsbericht von wandler aufmerksam machen, den ich bei meinen Recherchen übersehen hatte (siehe hier). Vielen Dank Wandler für die Info! Wandler’s Route startete in Gällivare, führte entlang den südöstlichen Außenbereichen Sjaunjas nach Norden über Harrå, über die Gebirge des Gussoaivi, Duolbuk und Àraoaivi und verließ anschließend Sjaunja mit einer Überfahrt über den Kaitumälven mit Ziel Abisko.. Absolut lesenswert!
Hab ich in der Liste der Referenzen im ersten Post geupdated.
Bevor ich gleich auf meinen ersten Versuch in 2023 eingehe, würde ich an dieser Stelle meine Hinreise/Rückreise skizzieren, da sie in allen Fällen in der Planung ähnlich war und weil es vielleicht auch hier ein paar Leute interessieren könnte.
Ich bin von Bremen aus nach Kiruna mit dem Zug via Interrail gereist. Mit dem Flugzeug wäre das alles viel einfacher, schneller und traurigerweise, wenn ich das richtig abgeschätzt habe, auch deutlich günstiger gewesen… aber ich konnte und kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren eine Reise aus eigenem Ego/Interesse zu machen um vor Ort die Natur zu bewundern während ich gleichzeitig nur noch mehr den Klimawandel befeuere und eine verhältnismäßig große Menge CO2 in die Atmosphäre blase. Ich hoffe mit der Zugfahrt konnte ich Letzteres zumindest ein klein wenig reduzieren.
Auf der anderen Seite hat das Interrail Ticket auch seine Vorteile... auf diese Weise ist man hinsichtlich der Rückreise und der Buchung von Zügen ziemlich flexibel.
Im Folgenden die verschiedenen Stationen:
Bremen
Hamburg
Københavns Hovedbanegård
Malmö Centralstation
Stockholm Central
Boden C/Resecentrum
(Umeå Östra Station)
Kiruna Station
Fjällåsen Station
Die Umeå Östra Station habe ich mal in Klammern gesetzt, da ich diese im Jahr 2024 als Zwischenstation gebraucht hatte. Hinsichtlich der Hinreise habe ich nach Ankunft in Kiruna typischerweise noch eine Nacht vor Ort in einem Hotel verbracht, bevor ich mit meiner Route gestartet bin. Auf diese Weise konnte ich auch meinen Zweitrucksack im Hotel aufbewahren während ich draußen unterwegs war.
Für die Strecke von Kiruna nach Fjällåsen kann typischerweise ein Regionalzug genutzt werden… für dieses Jahr sah das aber etwas anders aus. Dazu aber später mehr.
Die Reisen in den verschiedenen Jahren haben mal mehr, mal weniger gut funktioniert. Nur mal eine Anekdote hierzu:
Ich erinnere mich noch gut an die Rückreise in 2024, wo der Zug von Stockholm nach Malmö aufgrund eines Brandes in der Nähe von Nässjö an einer Station für mehrere Stunden halten musste. Ein Teil der Passagiere ist im Zug geblieben, während ein anderer Teil kleine Gruppen gebildet hat, die dann mit Taxis den Brand umfahren wollten um dann an einem anderen Bahnhof weiter mit dem Zug zu reisen. Ich war in einer der Taxi-Gruppen zusammen mit 3 Einheimischen unterwegs, die teilweise auch Englisch sprechen konnten. Wir einigten uns darauf die (horrenden) Taxikosten zu teilen. Einer unserer Gruppenmitglieder hatte gegen Ende der Taxifahrt dies wohl nicht so richtig mitbekommen (oder tat nur so als ob?) und entschied sich bei voller Fahrt die Tür zu öffnen und auszusteigen. Zum Glück waren wir „nur“ in der Ortschaft unterwegs, sodass der Fahrer noch ohne Probleme abrupt und rechtzeitig abbremsen konnte.
Da waren wir also nur noch drei. Wir sind dann an unseren jeweiligen Zielen mit dem Taxi angekommen und haben noch schnell unsere Nummern ausgetauscht... die beiden waren dann letztendlich noch so lieb und haben mir die Taxi-Kosten als Nicht-Einheimischen erlassen. Am Ende haben wir alle dann noch erfahren, dass der Zug, den wir verlassen haben, tatsächlich noch abgefahren ist und sogar früher am Zielort angekommen ist als wir es sind. Durch die Verspätung hatte ich alle möglichen Anschlusszüge in Malmö verpasst und musste vor Ort eine Nacht verbringen. Naja... zumindest hat man so eine nette Geschichte zum erzählen.
Anfang August 2023 startete also endlich meine Tour. Nachdem ich am 03.08. in Kiruna ankam und eine Nacht dort verbrachte, stelle ich den Wecker für den kommenden Tag auf ca. 04:30 Uhr morgens, um den Regionalzug von Kiruna nach Fjällåsen zu nehmen. Am 04.08. stehe ich dann endlich um 06:30 Uhr im „Bahnhof“ Fjällåsen, dem Startpunkt meiner Route, und schaue den Zug hinterher wie er wegfährt. Ich kann es noch gar nicht richtig fassen nach der langen Anreise. Erstmal klarkommen… ich bin schon sehr aufgeregt… immerhin ist es meine erste selbst geplante Route, die zu einem großen Teil weglos durch die Natur führt. Geil! Jetzt bin ich mal fernab der üblichen Routen unterwegs.
Der abfahrende Regionalzug am Bahnhof Fjällåsen.
Es ist bewölkt, und sollte erstmal die kommenden Stunden so bleiben.
Am Bahnhof werde ich bereits von den ersten Mücken begrüßt. Ihr verliert aber auch keine Zeit, denke ich mir und setze voller Zuversicht mein Mückennetz auf. Ich habe kein Mückenspray dabei, da ich die letzten Touren gut mit dem Netz ausgekommen war…
Ich hatte ja keine Ahnung, was da auf mich Naivling zukommen sollte.
Ich hoffe auf einen einfachen Einstieg und dass der auf der Karte markierte Weg auch real vorhanden ist. Ich bin aber recht zuversichtlich, da der anfängliche Weg bereits auf Satellitenbildern gut sichtbar war. Ich finde ihn sofort und starte los in Richtung WSW über den Hügel Loahpešvárri und durch einige kleine Moorsenken, die aber durch plazierte Holzbalken gar keine Probleme darstellen.
Der Weg auf dem Hügel Loahpešvárri.
Eine der Moorsenken entlang des Weges.
Ich bemerke aber schnell, dass ein viel größeres Problem meine blutsaugenden Freunde sind, die in immer größerer Zahl vorkommen. Vor allem gesellen sich immer mehr Kriebelmücken zu den „normalen“ Mücken, die mir zu dem Zeitpunkt noch komplett neu waren.
Ich erreiche ein Rentierzaun, der aufgrund loser Balken leicht zu durchqueren ist. Hier bemerke ich auf meinem Handrücken den ersten kleinen Blutfleck und realisiere, dass diese kleinen Biester noch viel schlimmer waren. Sie begannen irgendwie Wege unter meinem Netz zu finden und schon bald waren nicht wenige innerhalb meines Mückennetzes und fliegen in meine Nase, meinen Mund und meine Augen.
Der Rentierzaun mit den losen Holzbalken. Der erste von Vielen...
Ich zerdrücke die ersten im Mückennetz und gehe weiter… aber es wird nicht besser. Sollte ich das Netz ablegen, damit die sich nicht da drin verfangen? Nein, denke ich mir… dann hätten die ja komplett freie Bahn auf mein Gesicht. Ich rede mir ein, dass das so wohl normal ist und man sich nur durchbeißen muss. Nur nicht stehen bleiben.
Nach einiger Zeit sammelt sich im Netz unter meinem Kinn immer wieder ein kleiner Haufen toter, zerdrückter Mücken, die ich nach draußen verfrachte. Ich bemerke auch ein komisches Gefühl auf mein Gesicht, meinem Hals und meinem Nacken… aber ich schenke dem keine große Beachtung. Ich frage mich schon jetzt was ich hier eigentlich mache und will nur noch weg von den Biestern. Der schwere Rucksack macht die Situation nicht besser.
Ich mache keine Pause und will so schnell wie möglich das Sami-Dorf Påstavaara erreichen… mit der Hoffnung, dass dort alles besser wird.
Im Vergleich zum Jahr 2025 sah es ihm Jahr 2023 deutlich feuchter aus... Nicht nur Birken säumen die Landschaft entlang des Weges... Es finden sich ebenso ein paar Anhöhen entlang des Weges, die einen kleinen Ausblick ermöglichen. Das Sami-Dorf Påstavaara. Eine kleine Anhöhe in der Nähe des Dorfes, die einen kleinen Ausblick ermöglicht.
Um 09:20 Uhr erreiche ich das „Dorf“. Keiner da. Umso besser, denke ich. Ich will nicht wissen, wie ich aktuell aussehe.
Ich bin erschöpft, sehr durstig und fühle mich etwas komisch… etwas weiter westlich vom Dorf setze ich den Rucksack kurz ab und gehe was trinken. Diese Biester lassen einfach nicht ab. Mir kommt kurz der Gedanke, ob ich nicht schon mein Lager hier errichten sollte. Ich bin immerhin nach GPS 8 km gelaufen… pro Tag hatte ich 10 km eingeplant. Nein, nicht so nah am Dorf, denke ich. Ich will die Leute hier nicht stören (und auch nicht gestört werden). Ich überlege, den Weg weiter westlich entlang zu gehen, die beiden Flüsse westlich von Påstavaara zu furten und nach dem anschließenden Moorgebiet zu campen.
Ich gehe weiter, auch wenn ich mich nicht sonderlich gut fühle. Es wird mooriger und der Weg verliert sich immer mehr. Je näher ich dem Fluss komme, desto schwieriger wird es. Überall Hüft- bis Brusthohe Lapplandweiden und zwischendrin Bereiche, wo man unangenehm tief einsinken kann. Meine Freunde kommen hier in ganz großer Zahl vor. Ich komme quälend langsam voran.
Ich komme dem Fluss näher und bemerke irgendwas Weißliches knapp 100m von mir entfernt. Das muss eine Brücke sein! (Hätte ich mal während meiner Planung genauer recherchiert, hätte ich schon vorher gewusst, dass es dort zwei Brücken gibt und wo sie sich befinden…)
Ich versuche dorthin zu gelangen, aber das Gelände wird mit jedem Schritt nur schlimmer und ich immer schwächer. An einer Stelle sinke ich mit dem linken Bein bis etwas unterhalb des Knies ein und verliere mit dem schweren Rucksack fast das Gleichgewicht. Ich werde etwas panisch. Mit letzter Kraft finde ich wieder eine stabile Position und versuche mich aktiv zu beruhigen. Alles ist gut. Ich weiß wo ich bin, die Zivilisation ist nah und ich kann jederzeit zurück.
Ich beruhige mich wieder. Ich bleibe dort ca. eine Viertelstunde stehen und überlege, was ich tun soll, während sich die Biester dankend bei mir bedienen. Weitergehen? Wer weiß, wie es nach dem Fluss aussieht… die Karte sieht diesbezüglich nicht vielversprechend aus. Nein... Ich gehe zurück und plane etwas westlich von Påstavaara mein Camp aufzuschlagen und in Ruhe zu überlegen, wie es weitergeht.
Die Orientierung ist deutlich schwieriger als gedacht und ich nutze mein GPS für den Weg zurück. Ich komme an, lege mein Rucksack ab und finde nach kurzer Suche eine passende Stelle hinreichend weit von Påstavaara entfernt. Ich hole mein Rucksack und fange an die Sachen auszupacken. Ich checke kurz ob ich alles bei mir habe und finde meine Kamera nicht. Mein erster Gedanke: Fu**... die habe ich safe im Moor verloren. Das kann echt nicht sein… ich bin nicht jemand, der so schnell Sachen verliert. Jetzt bin ich auch noch schuld, dass Elektronikschrott hier in Sjaunja herumliegt… Ich fange an mich sehr über mich selbst, meiner Naivität, meiner Dummheit, meiner fehlenden Erfahrung und vielen anderen Sachen zu ärgern.
Ich überlege, was ich in den letzten Minuten gemacht habe… ich laufe herum und komme zufällig an die Stelle, wo ich mein Rucksack eben abgelegt hatte. Da liegt sie. Erleichterung. Gleichzeitig könnte ich mich ohrfeigen. Würde mich nicht wundern, wenn ich das zu dem Zeitpunkt wirklich gemacht habe.
Ich gehe zurück zum Rucksack und meinen ausgepackten Sachen. Endlich kann ich mal mein Zelt aufbauen… Ich fange an mich etwas zu beruhigen und eine extreme Erschöpfung und unangenehme Übelkeit überkommt mich. Ich knie mich hin und mache Pause. Nach einigen Minuten wird es nicht viel besser, also versuche ich langsam und mit Pausen das Zelt aufzubauen. Ich will mich nur noch hinlegen… aber nicht draußen bei diesen Biestern.
Irgendwann gegen 12:30 Uhr ist das verdammte Zelt aufgebaut. Endlich. Isomatte rein… und dann, ohne zuviele Insekten reinkommen zu lassen, gehe auch ich hinein. Ich mache das Zelt zu, checke kurz ob irgendwas im Zelt herumfliegt, lege mich hin und mache die Augen zu.
Das Zelt heizte sich mit dem Sonnenschein am Nachmittag sehr schnell auf. Ich zog mich entsprechend aus und schwitzte trotzdem extrem. Egal. Nach draußen will ich erstmal nicht mehr.
Ich habe nicht mehr in Erinnerung, wie lange ich da so herumlag. Das waren mindestens 2 oder 3 Stunden. Die Übelkeit wurde nicht besser und aus irgendeinem Grund konnte ich meine Herzschlagfrequenz nicht herunterbekommen. Irgendwann komme ich auf die Idee, mir mein Gesicht mal anzuschauen. Ich mache ein Selfie und… Oh.
Deswegen fühle ich mich so schlecht. Mein ganzer Hals ist rot von Stichen… mein Gesicht und meine Ohren mit roten Flecken übersäht… tote Kriebelmücken in meinen Augen und ich weiß nicht wie mein Nacken aussieht. Ich streiche über mein Gesicht und Nacken und sehe getrocknetes Blut auf meiner Hand. Blutflecken an den Kordeln meines Hutes und im Kopfbereich meines Rucksacks. Allzu erschrocken bin ich aber nicht… ich hoffe lediglich, dass sich das alles nicht entzündet und ich keine allergische Reaktion bekomme. Ich finde noch keine Kraft Wasser zu holen, das alles auszuwaschen und zu desinfizieren… und bleibe noch etwas liegen. (Ein Bild hiervon erspare ich Euch…)
„Hey, Hey!“, höre ich eine Frau aus weiter Ferne. F***! Hier ist ja doch jemand! Mir schießen sofort mehrere Gedanken durch den Kopf. Sie ist ultra angepisst und ich darf hier nicht zelten und bin zu nahe am Dorf. Und wie peinlich! Ich liege hier fast nackt, bin schweiß- und blutbeschmiert und muss gleich mit jemanden sprechen… „Hey, Hey!“ rufe ich zurück und versuche mich wieder im Zelt anzuziehen… Jetzt bin ich wieder wach.
Ich kriegs grade so hin, öffne das Zelt und rechne mit allem. Wir können uns zum Glück auf Englisch unterhalten. Ich erinnere mich nicht mehr 100%ig an das Gespräch… sie hat aber (glaube ich) direkt etwas Mitleid als sie mich so sah. Sie fragt mich, was ich hier mache und wohin ich will… und sagt, dass sich hier nur sehr selten Touristen verirren. Ich frage sie, ob ich mich hier für einen Tag ausruhen kann und sie sagt ja. Sie ist so lieb und kommt zu einem späteren Zeitpunkt nochmal zu meinem Zelt und gibt mir ein Mücken-Stick, den ich für mich nutzen kann. Das werde ich nie vergessen. Was sie wohl von mir gedacht hatte… ich habe wohl alle Klischees eines dummen, naiven Touristen erfüllt.
Langsam finde ich wieder Energie, hole Wasser und wasche erstmal mein Kopf aus. Außerdem nutze ich den Mückenstick, den sie mir gegeben hat. Ich merke bereits wie vor allem meine Ohren und andere Bereiche anschwellen. Ich mache mir aber erstmal nichts draus. Die Übelkeit geht bis zum Abend nicht wirklich weg und ich zwinge mich zum Kochen und zum Abendessen. Mein Puls geht erst am morgigen Tag wieder runter.
Während dieser Zeit mache ich mir ständig Gedanken, wie es nun weitergehen soll. Mit dem kleinen Mückenstick werde ich hier nicht weit kommen… ich müsste nach Kiruna, mir potentes Mückenspray holen und wieder zurück, was mit den spärlichen Zugverbindungen mindestens zwei Tage in Anspruch nehmen wird. Ich kriege es nicht mehr genau zusammen, was ich an dem Tag gedacht habe… aber zusammen mit meiner Verfassung habe ich mich entschieden die Tour abzubrechen, nach Fjällåsen und dann recht schnell nach Deutschland zurückzukehren. Die Rückkehr nach Fjällåsen ist nicht erwähnenswert. Ich konnte mich aber noch bei der Frau (und ihren Freundinnen; sie war vor Ort nicht alleine) bedanken und mich verabschieden.
Nachträglich stellte ich fest, dass ich nicht mal das Sjaunja Naturreservat offiziell betreten habe, da ich es nicht geschafft habe, den Fluss zu furten bzw. die Brücke zu erreichen. Noch Monate nach der Tour in Deutschland bin ich arg von mir und meiner Leistung enttäuscht. Ich schwöre, nochmal nach Sjaunja zurückzukehren und besser vorbereitet zu sein.
Nie wieder werde ich ohne Mückenspray eine Trekkingtour machen.
Sorry, Leute! Eigentlich wollte ich das Ganze kürzer halten… aber als ich mich wieder in die Situation hineinversetzt habe, musste ich das ausführen. Ich hoffe, ihr findet’s lesenswert, obwohl es hier eigentlich nicht um die Tour von 2023 gehen soll.
Den zweiten Versuch halte ich kürzer, versprochen!
Aber hallo! Bitte nix kürzer halten! (Obwohl man schon beim Lesen mit unter Deinen Stichen leidet, krass!)
+1
Mann Mann Mann ...
Die Sjaunja-Mücken scheinen in Skandinavien alles andere in den Schatten zu stellen. Auf der schwedischen utsidan gibt es eigentlich nur eine interessante Sache zu Sjaunja: Sjaunja - förbannelse och trolsk skönhet - Utsidan
Dort steht u.a. zu lesen, dass man in Sjaunja mal in einem Kubikmeter Luft 1300 Mücken gezählt hat.
( "Upp till 1 300 mygg har uppmätts på en kubikmeter i våtmarkerna.")
Am besten nicht vor September dort hin...
Das liest sich sehr interessant. Habe schon einiges über Sjaunja gelesen und wenn ich wieder nach Lappland fahre, dann garantiert auch dorthin. Ich war 2021 im von den Konditionen recht ähnlichen und nicht weit entfernten Ultevis Fjällurskog Naturreservat, auch einer sehr unbekannten Ecke. wobei in Sjaunja wohl noch viel mehr Sumpf und Wasser vorherrscht.
Russian Roulette is not the same without a gun. - Lady Gaga
Ohje. Das tut mir leid, das Du die Tour abbrechen musstest.
Genau vor solchen Mückenaufkommen hab ich einen Riesenbammel. Ich ertrage die Viecher einfach nicht. Daher versuche ich immer in mückenarmen Zeiten zu reisen. (Egal ob auf Tour oder einfach so).
Dieses Jahr war ich dann auch Ende August/Anfang September zwischen Abisko und Kvikkjokk unterwegs. Da gabs zwar nicht mehr solche Massenaufläufe, aber trotzdem noch genug, das ich 2x das Kopfnetz auspacken musste, inklusive zweier allergischer Reaktionen am Unterarm. War der Stick, den die Frau Dir geschenkt hat zufällig die Sömmar Salva von Sjö&Hav? mit dem Stick hab ich dieses Jahr gute Erfahrungen gemacht.
Deinen Wunsch abseits der Wege zu gehen kann ich seit diesem Jahr vollkommen nachvollziehen. Die 2 Tage, an denen ich weglos unterwegs war, waren mit die schönsten.
Das Gefühl der Freiheit hinzulaufen wo immer ich will war einfach unbeschreiblich toll.
Dagegen fühlte man sich auf den Wegen dann quasi wie eingezwängt.
Bin gespannt, wie es Dir beim zweiten Versuch ergangen ist.
Einer der mehr Ahnung hatte als ich sagte mal:
"Manchmal verspeist man den Bären,
und manchmal wird man eben vom Bären verspeist."
Nie wieder werde ich ohne Mückenspray eine Trekkingtour machen.
- Amen
Uns wollten diesen Juli bei Tromsö Schwärme von Pferdebremsen in den Wahnsinn treiben, ohne ausreichend Spray hätten wir die Tour definitiv abgebrochen.
Dort steht u.a. zu lesen, dass man in Sjaunja mal in einem Kubikmeter Luft 1300 Mücken gezählt hat.
( "Upp till 1 300 mygg har uppmätts på en kubikmeter i våtmarkerna.")
Am besten nicht vor September dort hin...
Mein Gott.... Ich glaube dann wäre ich nicht mal bis nach Påstavaara gekommen.
Dieses Jahr war ich dann auch Ende August/Anfang September zwischen Abisko und Kvikkjokk unterwegs. Da gabs zwar nicht mehr solche Massenaufläufe, aber trotzdem noch genug, das ich 2x das Kopfnetz auspacken musste, inklusive zweier allergischer Reaktionen am Unterarm. War der Stick, den die Frau Dir geschenkt hat zufällig die Sömmar Salva von Sjö&Hav? mit dem Stick hab ich dieses Jahr gute Erfahrungen gemacht.
Ich hoffe, die allergischen Reaktionen hielten sich noch in Grenzen und waren nicht allzu kritisch. In Sjaunja gab es dieses Jahr auch einige... aber es variierte (wie typischerweise) auch stark je nach Tag, Tageszeit, Ort und Wetter. Ein Netz hab ich nicht gebraucht (und wollte ich auch nicht)... aber ich hatte mich mit Antibrumm Ultra Tropical mit 50% DEET Anteil eingsprüht. Das reicht typischerweise.
Der Stick, den mir die liebe Frau gegeben hatte, war ein relativ alter / gebrauchter Stick, der aber trotzdem noch, soweit ich das beurteilen konnte, recht gut funktioniert hatte. Auch auf Basis von DEET mit einem Anteil von 20%. Den Stick behalte ich hier zu Hause zur Erinnerung. ❤
Das Gefühl der Freiheit hinzulaufen wo immer ich will war einfach unbeschreiblich toll. Dagegen fühlte man sich auf den Wegen dann quasi wie eingezwängt.
Ja, kann ich 100%ig nachvollziehen. Wobei ich aber auch zugeben muss: Als ich dieses Jahr nach der Sjaunja-Durchquerung den Kungsleden erreicht hatte, war es anfangs doch recht befriedigend so einfach wieder voranzukommen.
Aktuell hat sich bei meiner Arbeit etwas viel angestaut nach dem Urlaub... wie es halt immer so ist. Ich versuche aber heute Abend mal wieder Zeit für's Schreiben zu finden!
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