Es geht nun Richtung Hauptstraße. Dass ich jetzt bereits in Koblenz-Horchheim bin, wird mir erst später klar, die Übergänge zwischen Lahnstein und Koblenz scheinen fließend zu sein. Links neben mir kommt die kurz darauf die Joseph-Mendelssohn-Schule in den Blick. Der Bankier Josef Mendelssohn hatte sich 1918 in Horchheim ein Weingut samt Gutshaus gekauft, das 1905 von dessen Nachkommen an den Rheinisch-Westfälischen Verein für Bildung und Beschäftigung evangelischer Diakonissen verschenkt wurde.
Dass der Mendelssohn für den Ort eine Bedeutung gehabt haben muss, wird mir später klar, als erneut sein Name zu lesen ist. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich trotz der Schilder nicht einfach weitergelaufen bin. Anscheinend hätte ich am Anglerheim die Mendelssohn - Allee nehmen können und wäre direkt an dem ehemaligen Gutshaus und dem Park vorbeigekommen. Stattdessen quetsche ich mich an viel zu engen Bürgersteigen an viel zu vielen Menschen vorbei, während immer mal wieder der Verkehr tobt. Immerhin entdecke ich das erste Mal Buslinie 1 nach Braubach, sie scheint recht häufig zu fahren. Die Information wird mir am nächsten Tag nützlich sein.
Ratlos betrachte ich diesen Turm, es scheint mir, es müsse noch irgendwas in der Nähe sein, aber das Gutshaus entdecke ich nicht.
Dafür betrachte ich mit Schaudern den Zubringer zur Brücke über den Rhein.
Über diese Brücke werde ich wohl kaum gehen können. Wieder Baustellenschilder, allerdings nur für die Radfahrer gibt es eine Umleitung, ich darf hier einbiegen (was Radfahrer nicht stört, sie fahren hier trotzdem).
Wohl ist mir nun beim Betreten der Brücke überhaupt nicht, die Brücke ist mehrfach ausgeflickt, die Bahn furchtbar nah, das Wasser tief und kalt, der Weg eng. Was, wenn mich jemand über die Brüstung wirft? Ich unterdrücke meine Fantasien und laufe einfach weiter.
Blick auf Koblenz
Bauarbeiter machen auf der anderen Seite der Bahngleise Pause. Ein Zug nach Neuwied rauscht vorbei, dann noch einer. Ein Radfahrer drängelt sich an mir vorbei.
Blick auf die Festung Ehrenbreitstein. Ihr gegenüber liegt mein Ziel.
Aber auch dieser Abschnitt ist einmal vorbei. Es fängt an zu nieseln. Ich könnte jetzt am Rhein weitergehen, aber ich entscheide mich, abzukürzen. Ein Neubauviertel, schöne Häuser und ruhig. Diesen Garten des Grauens bewundere ich besonders, er ist mir ein Foto wert.
Es regnet stärker und ich überlege, den Bus zu nehmen, der ein paar Schritte vor mir hält. Eine Familie steigt ein und muss erst Fahrscheine lösen, ich könnte einfach hineinspringen und so tun, als wäre ich gelaufen. Nein, Ehrlichkeit siegt, ich laufe weiter und lasse ihn fahren. Am Kreisverkehr eine schöne alte Villa. Architektenbüro.
Ich passiere wieder eine kleine Brücke. Das Wasser nennt sich Rheinlache.
Schön ist es hier. Ich biege nun in die Rheinwiesen ein. Im Baum hängt ein Drachen.
Ein paar Spaziergänger, Jogger und Radfahrer sind unterwegs.
Auf der anderen Seite befindet sich ein Kanuclub und wirbt für Kajakkurse.
Die Häuser an der Kaiserin-Augusta-Anlage wirken imposant.
Ich nähere mich jetzt der Seitenstraße, die direkt zum Bahnhof führt. Wenn ich jetzt weiterlaufe, wird es dunkel sein, bis ich am Ziel bin.
Das beleuchtete Gebäude möchte ich aber noch fotografieren. Keine Ahnung, was sich darin befindet, aber es gefällt mir.
Ich biege nun links ab und staune.
Ich trete näher. Es ist ein Denkmal für Kaiserin Augusta, Königin der Preußen, die hier in Koblenz glücklich war. Und nestele das WAI heraus.
Maria Luise Augusta Catherina von Sachsen-Weimar-Eisenach, geboren in Weimar. Den ganzen Abend werde ich mich damit beschäftigen, ihre Biographie zu lesen. Eine gebildete, kluge, tolerante Frau, von der man erwartete, still und geräuschlos Begleiterin der Herrschers zu sein. Eine Liebesheirat war die Ehe mit Prinz Wilhelm von Preußen, später Kaiser Wilhelm I. nicht. Dazu kamen inhaltliche Differenzen. So versuchte sie Einfluss auf den Kaiser zu nehmen, dieser aber, in militärisch-preußischer Tradition erzogen, konnte oder wollte ihr schon allein aufgrund seiner Prägung nicht folgen. Daher konnte sie nur ansatzweise umsetzen, was durchaus geboten gewesen wäre. So hatte sie den Ansatz, andere gesellschaftliche Gruppen bzw. das Volk mit einzubeziehen, war tolerant gegenüber Katholiken und konnte sich für Kriege weniger begeistern, dafür für Diplomatie. Ihre Einmischung machte sie zur Gegenspielerin Bismarcks, der für Frauen in der Politik nichts übrig hatte. Zunächst hatte ich übrigens gedacht, sie wäre meinem Urgroßvater begegnet, der Schlossgärtner in Wilhelmshöhe war. Tatsächlich war das aber Kaiserin Auguste Viktoria, die Frau ihres Enkels Wilhelm II. Kaiserin Augusta hatte von 1850-1858 einige schöne Jahre in Koblenz, als ihr Mann Militärgouverneur am Rhein und in Westfalen wurde. Der Koblenzer Hof war dem Weimarer Hof sehr viel ähnlicher. Die Rheinanlagen, in denen ihr Denkmal steht, wurden von ihr angelegt.
Dieses Monument ist ein würdiger Abschluss des Tages. Ich eile zum Bahnhof, denn mein Zug wird gleich fahren und nun ist es tatsächlich dunkel.
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