• Igelstroem
    Fuchs
    • 30.01.2013
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    [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

    Tourentyp Trekkingtour
    Breitengrad 48.283681234
    Längengrad 8.1709098815
    Tourverlauf:

    Tag 1 (Donnerstag, 12.09.2013): Forbach – Schutzhütte Untere Birkenaustraße; 11,5 km

    Tag 2 (Freitag, 13.09.): Untere Birkenaustraße – Schlappdachhütte (Nähe Darmstädter Hütte); 21,8 km

    Tag 3 (Sonnabend, 14.09.): Schlappdachhütte – Nikolashütte; 25,4 km

    Tag 4 (Sonntag, 15.09.): Nikolashütte – Wanderheim Brandenkopf; 19,3 km

    Tag 5 (Montag, 16.09.): Brandenkopf – Hausach – Farrenkopf; 13,4 km

    Tag 6 (Dienstag, 17.09.): Farrenkopf – Naturfreundehaus Brend; 25,1 km

    Tag 7 (Mittwoch, 18.09.): Pausentag auf dem Brend (wegen Sturm und Regen)

    Tag 8 (Donnerstag, 19.09.): Brend – Kapfenkapelle (Nähe St. Märgen); 26,6 km

    Tag 9 (Freitag, 20.09.): Kapfenkapelle – Gundelfingen/Breisgau; 24,2 km

    Gesamtstrecke: 167 km


    Der detaillierte Bericht folgt in den nächsten Tagen. Zur Einstimmung sei schon mal gesagt, dass es an den Tagen 2 und 8 nicht geregnet hat, jedenfalls nicht tagsüber. Seit meiner Abreise aus Freiburg scheint dort hämischerweise sogar die Sonne.

    Während der Zwangspause im Naturfreundehaus auf dem Brend habe ich ein Buch aus den achtziger Jahren mit Tourenvorschlägen für den Schwarzwald studiert. Die Abbildungen darin zeigen eine herbstbunte Landschaft unter blauem Himmel. Das reizt zum Lachen, wenn man vorher tagelang vorwiegend in Nebel und Regen unterwegs war und sich mitunter bei Einheimischen erkundigt hat, was man denn sehen würde, wenn man etwas sehen würde. Dass überhaupt noch gelacht werden kann, hat seine Gründe teils in diesen Einheimischen, teils darin, dass die für den schlimmsten Fall mitgeführte Ausrüstung letztlich auch im schlimmsten Fall nicht versagt hat. Dem Unglück der Witterung steht eine Serie von kleinen Glücksfällen gegenüber, von denen noch die Rede sein wird.

    Weder habe ich unterwegs einen Abbruch der Tour in Erwägung gezogen, noch war ich länger als einige Minuten deprimiert. Das Wetter ist keine Dienstleistung, sondern eine Tatsache. Das wusste man ja. Nur manchmal gibt es einen Augenblick der Empörung: wenn auf die verheißungsvolle Aufhellung des Himmels binnen kürzester Zeit nur umso heftigerer Regen folgt; wenn man nach einer halbstündigen Regenpause den Vollschutz ablegt und ihn nach dem Einpacken gleich wieder auspacken kann; wenn man sich vor dem Starkregen unter einen Baum flüchtet, um irgendetwas aus dem Rucksack hervorzukramen, und dann ein plötzlich aufkommender Wind das Wasser aus den triefenden Zweigen schüttelt.

    Man gewöhnt sich aber. Nach zwei, drei Tagen gilt als echter Regen nur noch das, was bis auf die Haut durchdringt. Und davon gab es nur wenig.
    Zuletzt geändert von Igelstroem; 10.11.2013, 23:46.
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  • Pfad-Finder
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    #2
    AW: »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

    Du kannst nicht einfach hier Pause machen, du... Fiesling!


    Edit:

    Das Wetter ist keine Dienstleistung, sondern eine Tatsache.
    Dieser Satz könnte als geflügeltes Wort in die Forumsannalen eingehen.
    Zuletzt geändert von Pfad-Finder; 24.09.2013, 22:35.
    Alles unter Nutriscore "D" ist rausgeschmissenes Geld.

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    • Igelstroem
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      #3
      AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

      Tag 1: Forbach – Schutzhütte Untere Birkenaustraße

      In Karlsruhe, beim Umsteigen, scheint noch fast die Sonne. Aber kaum hat die S-Bahn nach Forbach die Stadt verlassen, beginnt der Regen. Ich sitze in einer Art Straßenbahnwaggon, habe in Karlsruhe gerade noch früh genug zur Kenntnis genommen, dass es in diesem Zug keine Toiletten gibt ... Vage erinnere ich mich, vor ziemlich genau dreißig Jahren schon einmal auf dieser Strecke nach Freudenstadt gefahren zu sein. »Steilste Normalbahnstrecke der Bundesbahn«, so meine Erinnerung.

      Es ist 15 Uhr. Irgendwo unterwegs steigen vier nett anzuschauende Jugendliche ein, anscheinend Gymnasiasten, die von der Schule nach Hause fahren.

      A: Hoffentlich hört der Regen bald auf. Ich hasse es, im Regen nach Hause zu laufen.

      [B weist auf seine Regenjacke hin.]

      C: Ich würde nie eine Regenjacke tragen. Regenjacke ist kein Style.
      B: Es soll auch kein Style sein. Regenjacke ist nicht Style, sondern Funktion.
      C: Aber jetzt bin ich noch jung, da kommt es nicht darauf an, dass ich funktioniere, sondern dass ich gut aussehe.

      Nach und nach steigen die vier aus, der letzte (D) an der Station vor Forbach. Plopp, Schirm geht auf. Geh durch den Regen nach Hause. Nachher wirst Du bekocht, Bürgersohn.

      Vorfreude aufs Wandern und Unbehagen. Ich gehe nicht durch den Regen nach Hause, sondern irgendwohin. Ich weiß nicht, wo ich schlafen werde. Auf der Karte habe ich Schutzhütten identifiziert, die ich bis zum Einbruch der Dunkelheit erreichen könnte. Ob sie sich zum Übernachten eignen, steht in den Sternen. Die Wegscheidhütte würde sich eignen, aber sie ist zu nah, und andererseits kann ich heute nicht mehr zur Badener Höhe aufsteigen. Deshalb habe ich für die erste Etappe eine abweichende Route ausgewählt, die mich erst morgen wieder auf den Westweg führen wird.

      Im Bahnhofseingang treffe ich, während ich meine Regenjacke anziehe, ein Ehepaar aus Thüringen. Auch zum Wandern hier, na klar. Sie haben außerdem einen Ausflug nach Straßburg gemacht, um mal das Europaparlament zu sehen. Das bringt mich auf die Idee, ihnen meine Reiselektüre anzudienen, ein Heft der Zeitschrift Cicero, teuer genug gekauft und zu schade zum Wegschmeißen. Sie nehmen es mit Widerstreben, wie aus Höflichkeit, als wäre es ein Wahlkampfprospekt.

      Dann gibt es eine Regenpause. Ich verabschiede mich, laufe über die Brücke, die Straße entlang, kaufe Apfelschorle, suche die Westwegmarkierung und beginne den Aufstieg. Noch im Ort fülle ich an einem Brunnen die andere Wasserflasche auf. Ein Anwohner spricht mich an und erklärt mir, das Wasser sei trinkbar. Überhaupt sei es hierzulande so, dass es sich immer dann um Trinkwasser handele, wenn nichts Gegenteiliges dranstehe. Das glaube ich sofort. In der Tat habe ich nie ernsthaft in Erwägung gezogen, für diese Tour einen Wasserfilter anzuschaffen.

      Bald hinter der Marienkapelle, gerade erst im Wald, steht die erste Kuh auf dem Weg. Sie weidet tatsächlich im Wald, wie ihre Vorfahren vor 500 Jahren. Wenn Du auf dem Westweg stehst, denke ich in ihre Richtung, wirst Du wohl daran gewöhnt sein, dass ich nah an Dir vorbeigehe. So ist es auch. Dann die Serpentine am Hang; die Kühe bleiben unter mir zurück.

      Ungefähr als ich vom Westweg nach links abbiege, Richtung Schwarzenbachtalsperre, beginnt es wieder zu regnen. Ich ziehe umständlich meine Regenhose an; später wird das schneller gehen und muss auch. Dann die Rucksack-Regenhülle, improvisiert aus einem Knistermüllbeutel, schon vorher mit Schlitzen für die Tragegurte versehen. Das ist eine Konstruktion, die ihren Zweck erfüllt und bis zum Ende der Tour halten wird.

      Am Lachsberg laufe ich einen Umweg, um eine in der Karte verzeichnete Hütte anzuschauen. Sie ist privat und wirkt rundherum etwas ungepflegt, im Regen erst recht ein unwirtlicher Ort.

      Kurz vor der Talsperre mache ich eine kleine Pause, um etwas zu essen. Es gibt noch keine Routine; vor allem fehlt ein trockener Sitzplatz. Eine Wespe fliegt vor meinem Gesicht herum. Das finde ich irgendwie unpassend: Wespen sind der Preis für gutes Wetter im August, nicht für schlechtes im September.

      Etwa um halb sieben laufe ich über die Staumauer. Da der Regen für eine Weile ausgesetzt hat, mache ich ein paar Fotos.
      Das Hotel am anderen Ende der Staumauer ist geschlossen. Kein Mensch zu sehen, auch die Straße ist kaum befahren.


      Staumauer der Schwarzenbachtalsperre



      Blick von der Staumauer nach Südosten



      Blick auf den See


      Auf der anderen Seite geht es wieder eine Weile bergauf, dann folge ich der Unteren Birkenaustraße. Zügigen Schrittes, denn es beginnt schon zu dämmern. Außerdem wird der Regen stärker. Wenn die beiden nahe beieinanderliegenden Hütten an dieser Forststraße ungeeignet sein sollten, werde ich notfalls noch nach Erbersbronn absteigen müssen, wo ein Wanderheim verzeichnet ist. Oder irgendwo zwischen zwei Bäumen das Tarp aufspannen. Im Regen, versteht sich.


      Und während ich das denke, beginnt die oben erwähnte Serie von Glücksfällen. Ich erreiche die erste Hütte, finde sie offen, gehe hinein – und plötzlich fühle ich mich wie zuhause: ein bequemes Haus für mich allein. Trocken, geräumig (3,8 x 3,8 m), relativ neu und ziemlich sauber. Fenster aus Plastikfolie. Stabile Bänke an zwei Seiten, dazu ein großer Tisch. Hier breite ich mich aus, während es draußen dunkel wird, und genieße den Abend im Schein der Stirnlampe. Elf Grad und etwa 90 % Luftfeuchtigkeit messe ich – das Messgerät habe ich diesmal wieder mitgenommen. Ich schlafe auf dem sehr ebenen Holzfußboden (Isomatte und Schlafsack eingehüllt in den neulich angeschafften britischen Tarnmuster-Biwaksack). Interessantester Bodenfund bei der Vorbereitung ist übrigens eine Nähnadel, woraus ich schließe, dass hier jedenfalls in der Vergangenheit nicht nur Forstarbeiter zu Gast waren.



      Hütte an der Unteren Birkenaustraße (aufgenommen am nächsten Morgen)



      Das Innere der Hütte


      Nachts scheint irgendein kleineres Tier an der Außenwand hinter der Hütte entlangzustreifen. Aber ich gewöhne mich in den folgenden Tagen daran, solchen nächtlichen Wahrnehmungen zu misstrauen: Mitunter ist es die eigene Ausrüstung, das ungewohnte Rascheln des Biwaksacks oder das Streifen des Stoffes auf dem Holz, das fälschlich nach außen projiziert wird. Und wenn es ein Tier ist, ist es eben ein Tier. Die Tür dieser Hütte ist horizontal zweigeteilt. Wenn man den unteren Teil verriegelt, kann man hinausschauen und sich mit dem Wildschwein verständigen, ohne es hereinbitten zu müssen.



      Tageskilometer: 11,5
      Zuletzt geändert von Igelstroem; 05.10.2013, 02:38.
      Lebe Deine Albträume und irre umher

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      • stoeps
        Dauerbesucher
        • 03.07.2007
        • 537


        #4
        AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

        Weiter, weiter !!! Welch wunderbarer Schreibstil !

        … und voraussichtlich ein Text, der mir bei eigenen zukünftigen Regentouren das Durchhalten erleichtern wird.

        Gruß
        stoeps


        PS: Ich fand schon, Deine Signatur hat das Zeug zum Klassiker – der von Pfad-Finder zitierte Satz zum Wetter hat nun auch einen Platz in meiner Zitate-Sammlung
        „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
        ― John Muir

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        • Bearded
          Erfahren
          • 20.12.2012
          • 112
          • Privat


          #5
          AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

          Zitat von stoeps Beitrag anzeigen
          Ich fand schon, Deine Signatur hat das Zeug zum Klassiker – der von Pfad-Finder zitierte Satz zum Wetter hat nun auch einen Platz in meiner Zitate-Sammlung
          Da kann ich mich stoeps nur anschließen. Vielversprechender Anfang, eine Tour, die auch noch auf meiner to-do-Liste steht, toller und humoriger Schreibstil. Lass dich nicht hetzen, aber bitte weitermachen!!!
          "Auf der Spaß-Galeere, wäre lieber alleine - von hinten schreit jemand: Jetzt rudert ihr Schweine!" (Kettcar)

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          • virtanen
            Gerne im Forum
            • 18.10.2011
            • 87
            • Privat


            #6
            AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

            Danke schon mal für den vielversprechenden Beginn...
            Wegen des Wetters, Du hättest einfach auf die anderen Seite der Alpen wechseln sollen: Ich war zur gleichen Zeit im italienisch/französischen Grenzgebiet um den Monte Viso unterwegs und hatte, bis auf einen Tag, bestes Wetter...
            Funktioniert zumeist...Alpen-Nordseite mies ==> ab über die Grenze(n)

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            • Tageta
              Anfänger im Forum
              • 06.07.2013
              • 19
              • Privat


              #7
              AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

              Ein schöner Anfang und ich bin auf die Fortsetzung gespannt!

              Der oft erwähnte Westweg scheint sehr schön zu sein, sogar bei Dauerregen...
              Der wird auf meiner Wunschliste für die nächsten Jahre auf jeden Fall einen Platz bekommen.

              viele Grüße
              Birgit

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              • Gast180628
                GELÖSCHT
                Dauerbesucher
                • 08.10.2012
                • 510
                • Privat


                #8
                AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                Lachsberg?
                Lachberg.
                danke, molto molto!

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                • macroshooter
                  Dauerbesucher
                  • 17.07.2012
                  • 988
                  • Privat


                  #9
                  AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                  C: Aber jetzt bin ich noch jung, da kommt es nicht darauf an, dass ich funktioniere, sondern dass ich gut aussehe.

                  Ich habe mich jetzt schon schlapp gelacht.
                  Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich dann tot lache, warte ich schon auf die Fortsetzung.

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                  • Gast-Avatar


                    #10
                    AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                    Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen
                    Ich sitze in einer Art Straßenbahnwaggon, habe in Karlsruhe gerade noch früh genug zur Kenntnis genommen, dass es in diesem Zug keine Toiletten gibt ...
                    Da haben wir's, das ist offensichtlich ein Nachteil von Überlandstraßenbahnen.

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                    • joeyyy
                      Erfahren
                      • 10.01.2010
                      • 198
                      • Privat


                      #11
                      AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                      Sehr kurzweiliger Schreibstil mit vielen Analogien, die mich immer wieder zum Schmunzeln bringen. Das mag ich.

                      Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen
                      Elf Grad und etwa 90 % Luftfeuchtigkeit messe ich – das Messgerät habe ich diesmal wieder mitgenommen.
                      Wieso? Hast Du irgendwelche oberen und unteren Grenzen, bei deren Überschreitung Du irgendwas machst oder nicht machst? Oder haben Dich Deine Sinne irgendwann mal arg getäuscht, so dass Du ihnen nicht mehr traust?

                      Weil, wozu brauchst Du ein Grenzenauslotgerät zur Schlafplatzsuche, wenn Du doch Deine Grenzen gar nicht ausloten willst?

                      www.gondermann.net
                      Reisen - Denken - Leben

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                      • Igelstroem
                        Fuchs
                        • 30.01.2013
                        • 1944
                        • Privat


                        #12
                        AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                        Zitat von joeyyy Beitrag anzeigen
                        Hast Du irgendwelche oberen und unteren Grenzen, bei deren Überschreitung Du irgendwas machst oder nicht machst? Oder haben Dich Deine Sinne irgendwann mal arg getäuscht, so dass Du ihnen nicht mehr traust?

                        Weil, wozu brauchst Du ein Grenzenauslotgerät zur Schlafplatzsuche, wenn Du doch Deine Grenzen gar nicht ausloten willst?

                        Ich habe früher mal ein paar Semester Meteorologie studiert; deshalb kann ich nicht einschlafen, wenn ich nichts gemessen habe. Bei der Temperaturmessung geht es nebenbei nicht um meine Grenzen, sondern um die Grenzen meines Schlafsacks, vor allem um die wirkliche Komfortgrenze in Kombination mit dem Biwaksack und der beim Schlafen verwendeten Kleidung. Natürlich sind dabei auch physiologische Faktoren und insofern in einem weiten Sinne auch »meine Grenzen« im Spiel. Aber ich lote nicht aus, was ich aushalte, sondern wie die Ausrüstung beschaffen sein muss, dass sie mich möglichst nicht an meine Grenzen bringt.

                        Das Ergebnis der Feuchtigkeitsmessung habe ich übrigens nicht notiert, 93 % sind wohl plausibler als »etwa 90 %«. Draußen hat es ja in Strömen geregnet, d.h. die relative Luftfeuchtigkeit liegt zwischen 97 und 100 %, und in der Hütte kann der Wert nur dann deutlich darunter liegen, wenn es dort wärmer ist. Wenn man die Tür der Hütte schließen kann, erreicht man je nach Bauart und Größe der Hütte im Inneren eine Temperatur, die 2 bis 5 Grad über der Außentemperatur liegt. Im günstigsten Fall, wenn man z.B. mit Kerzen etwas heizen kann (Nikolashütte, Hasemannhütte auf dem Farrenkopf) kann man eine relative Luftfeuchtigkeit von 80-85 % erreichen, selbst wenn es draußen neblig ist. Dann findet über Nacht auch eine gewisse Trocknung der aufgehängten Regenkleidung statt. Oberhalb von 90 % hat man hingegen kaum noch einen Trocknungseffekt.

                        Den Bericht kann ich leider erst nach dem 3. Oktober fortsetzen.
                        Lebe Deine Albträume und irre umher

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                          Dauerbesucher
                          • 01.08.2009
                          • 981
                          • Privat


                          #13
                          AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                          Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen
                          Den Bericht kann ich leider erst nach dem 3. Oktober fortsetzen.
                          Sadist bist du aber nicht?
                          Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich bin in Euch und geh’ durch Eure Träume. (Michelangelo)
                          Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen. (Albert Schweitzer)

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                          • FrankK
                            Erfahren
                            • 22.03.2011
                            • 254
                            • Privat


                            #14
                            AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                            I woisch wasch gsähn hädschd wennd schehns Wetter ghobt hädschd.

                            Ich hatte das Glück den Westweg fast komplett bei schönem Wetter laufen zu können. Und da gibt es wahrlich viel schönes zu sehn.
                            Aber ich kann auch nachvollziehen wie es ist, wenn man bei schlechtem wetter unterwegs ist, Berge erklimmt und was man dann oben sieht nach allen Anstrengungen ist einfach....NICHTS!
                            Da muss man mental auf jeden Fall sehr stark sein.

                            Viele Grüsse.

                            Frank.

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                            • virtanen
                              Gerne im Forum
                              • 18.10.2011
                              • 87
                              • Privat


                              #15
                              AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                              Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen
                              Ich habe früher mal ein paar Semester Meteorologie studiert; deshalb kann ich nicht einschlafen, wenn ich nichts gemessen habe. Bei der Temperaturmessung geht es nebenbei nicht um meine Grenzen, sondern um die Grenzen meines Schlafsacks, vor allem um die wirkliche Komfortgrenze in Kombination mit dem Biwaksack und der beim Schlafen verwendeten Kleidung. Natürlich sind dabei auch physiologische Faktoren und insofern in einem weiten Sinne auch »meine Grenzen« im Spiel. Aber ich lote nicht aus, was ich aushalte, sondern wie die Ausrüstung beschaffen sein muss, dass sie mich möglichst nicht an meine Grenzen bringt.[...]
                              ...interessant! Dann machst Du bestimmt auch Aufzeichnung von Deinen "Experimenten"? Welche Schlafsäcke mit welcher Bekleidung dich bis zu welcher Temperatur angenehm schlafen ließen? Evtl. aufschlußreicher als irgendwelche Hersteller-Angaben...Wenn Sie für die Allgemeinheit interessant sein sollten, kannst Du sie ja mal hier irgendwo veröffentlichen...

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                              • Rattus
                                Lebt im Forum
                                • 15.09.2011
                                • 5177
                                • Privat


                                #16
                                AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                Köstlich. Besonders die Betrachtung über die Verständigungsmöglichkeit mit Wildschweinen hat mir gefallen

                                Übrigens, morgen ist der 3. Oktober
                                Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

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                                • Igelstroem
                                  Fuchs
                                  • 30.01.2013
                                  • 1944
                                  • Privat


                                  #17
                                  AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                  Tag 2 (Freitag, 13.09.): Birkenaustraße – Schlappdachhütte


                                  Irgendwann nach Mitternacht hat das Regenrauschen aufgehört, und morgens beim Aufstehen ist es halbwegs trocken draußen (was nur heißt, dass es eben nicht regnet).

                                  Kurz nach sechs stehe ich auf, esse etwas, packe meine Sachen zusammen. Ohne Rucksack mache ich noch den kleinen Abstecher zu der vermeintlichen Nachbarhütte, die fast in Sichtweite liegt und die ich gestern Abend nicht mehr angesehen habe. Sie liegt viel schöner (mit Ausblick zum Tal), ist aber ein privates Ferienhaus, jedenfalls steht da sogar ein Auto, so dass ich auf weitere Nachforschungen verzichte.

                                  Koordinaten meiner Übernachtungshütte (nach Google Maps): 48.6327 / 8.2957; Höhe: 761 m

                                  Um halb acht mache ich mich auf den Weg, das heißt ich folge der Birkenaustraße weiter Richtung Hundseck, um dort wieder auf den Westweg zu stoßen.





                                  Unterwegs telefoniere ich ein bisschen (an der Hütte hatte ich keinen Empfang), wasche mich symbolisch an einem Bächlein, lasse mich von einem Langholz-Lastzug überholen. Nicht umsonst heißt die Strecke auch Holzfällerroute, wie auf den Schildern geschrieben steht. Man kommt noch an einer größeren Hütte vorbei, der Birkenauhütte, die allerdings verschlossen ist. Wenn man das Rauschen des nahen Baches erträgt, würde man hier unter dem großzügigen Vordach eventuell ebenfalls nächtigen können.


                                  Birkenauhütte


                                  Kur vor zehn Uhr erreiche ich Hundseck. Das ehemalige Kurhaus ist im vorigen Jahr sozusagen von Amts wegen teilweise abgerissen worden und sieht nun so aus, wie es hier auf den Bildern zu sehen ist. Man kann hineinschauen.








                                  Was wollte ich hier tun? Den Morgenkaffee zu mir nehmen, genau. Aber das Restaurant auf der anderen Straßenseite öffnet erst um 11 Uhr. Das ist auch an den Folgetagen die Kehrseite des frühen Aufbrechens nach der Schutzhüttenübernachtung: Man läuft manchmal zehn Kilometer und mehr bis zum ersten Kaffee, so dass vor dem inneren Auge ein kleiner Hobo-oder-sonstwas-Kocher nebst Tasse und Kaffeefertigprodukt zu tanzen beginnt, der ja bei den früheren Kurztouren schon mal wegrationalisiert worden war. Jetzt am nassen Herbstmorgen hätte er seine Zeit.

                                  Weiter also über den Hochkopf nach Unterstmatt. Wenn ich mich recht entsinne, regnet es nicht, aber die Hochfläche ist ganz in Nebel gehüllt, und oben ist es dann auch ziemlich kalt und zugig.







                                  Von Ausblicken ist nichts zu berichten, vielmehr kann man sich beim Wandern durch die Grindenvegetation leicht einbilden, man sei vielleicht im November auf Hiddensee unterwegs. Auf dem Gipfel mache ich eine kurze Pause und bin froh über meinen Wollpullover über dem Powerstretch-Hoodie. (Der Wollpullover hat bei der Planung mal kurz zur Disposition gestanden, so als genügte es, bei Wind und Kälte die Regenjacke über die Kapuzenjacke zu ziehen; aber die Regenjacke ist im weiteren Verlauf meistens mehr oder weniger klamm, und was fürs Laufen ausreicht, genügt fürs Sitzen noch lange nicht.)






                                  In Unterstmatt bin ich ungefähr um halb zwölf, lasse mich dort, anfangs als einziger Gast, in der Gaststätte »Zur Großen Tanne« nieder – und warte auf meine Eltern. Das mag jetzt überraschen, aber sie sind gerade auf der Rückreise von Hinterzarten, und da sie ohnehin im nahen Sasbachwalden noch einmal übernachten, liegt es nahe, sich hier irgendwo zum Mittagessen zu treffen.

                                  Die »Große Tanne« ist eigentlich eine Art Biker-Treff. Während ich hier warte, unterhalte ich mich kurz mit den ersten eintreffenden Motorradtouristen (aus Manchester, auf dem Weg nach Italien), dann länger mit einer älteren Dame, die in der Nähe ein isoliert im Wald liegendes Ferienhaus besitzt. Irgendwann treffen auch meine Eltern ein, wir essen zu Mittag, anschließend begleiten sie mich noch ein kurzes Stück auf dem Weg Richtung Hornisgrinde.

                                  Kurz nachdem wir uns im Wald verabschiedet haben, passiere ich das Naturfreundehaus Ochsenstall, dann geht es weiter bergauf zum Gipfelplateau der Hornisgrinde.






                                  Es regnet nicht, und auf der Hornisgrinde habe ich sogar einen milchigen Fernblick ins Rheintal, wo ein bisschen die Sonne scheint – aber auf einem Foto abbilden lässt sich das mit meinen Mitteln nicht. Ich steige auf den sogenannten Bismarckturm (einen ehemaligen Vermessungsturm), umkreise ein bisschen die sonstigen Gebäude rund um den Hornisgrindeturm, deren Zustand mich vage an blühende Landschaften in Brandenburg erinnert.


                                  Blick vom Bismarckturm

                                  Dann steige ich zum Mummelsee ab, wo die Touristen mummeln und man einen Kaffee im Pappbecher bekommt, wenn man will.




                                  Inzwischen ist es vier Uhr, und die Übernachtungsfrage beginnt mich wieder zu beschäftigen. Ich spreche einen einheimisch aussehenden Wanderer an und frage ihn nach Schutzhütten im weiteren Verlauf des Westweges. Er erinnert sich, dass es in der Nähe der Darmstädter Hütte eine gibt, direkt an der Loipe, »keine 400 Meter Luftlinie« von der Darmstädter Hütte. Diese Entfernungsangabe wird später noch Rätsel aufgeben, aber zunächst bin ich ja guter Dinge und mache mich auf den Weg. Von den Touristen ist hinter dem Seibelseckle nichts mehr zu sehen; nur auf der etwas unterhalb des Weges verlaufenden Schwarzwaldhochstraße röhren brünftig die Motorräder, wie man es im Herbst nicht anders erwartet.


                                  ›Hütte unterhalb vom Schwarzkopf‹ (so bezeichnet im Wiki). Man beachte die fürs Übernachten eher ungünstige Möblierung.


                                  Zwischen Seibelseckle und Darmstädter Hütte


                                  Ausblick


                                  Ich erreiche die Darmstädter Hütte kurz nach sechs. Die Gaststätte hat nach Auskunft der beiden draußensitzenden Übernachtungsgäste gerade um sechs geschlossen, man sei aber drinnen sehr nett und entgegenkommend. Vielleicht würde ich also einen Kaffee bekommen, aber ich befürchte, dass ich dadurch zu viel Zeit verliere und dann der Versuchung nachgebe, hier auch gleich zu übernachten. Also eile ich weiter und suche die imaginierte Schutzhütte.

                                  Die in der Karte knapp südlich verzeichnete Hütte, an die ich eigentlich dachte, existiert zwar, ist aber offenbar ein privates Ferienhaus. Ich suche also östlich der Darmstädter Hütte weiter. Dort, wo die Karte das nächste Hüttensymbol verzeichnet, befindet sich nur eine überdachte Informationstafel, aber immerhin weist hier ein Wegweiser auf die Schlappdachhütte hin, die man über einen schmalen Fußpfad erreicht. Sie liegt nun tatsächlich an der Loipe, etwa 1,2 km Luftlinie oder 1,6 km Fußweg von der Darmstädter Hütte entfernt.


                                  Schlappdachhütte (Aufnahme am nächsten Morgen)
                                  Koordinaten: 48.5791 / 8.2489

                                  Sehr einladend ist der Ort nicht, aber zum Schlafen halbwegs geeignet. Ich sammle ein bisschen Verpackungsmüll ein und stelle den Tisch nach draußen. Dann breite ich das Tarp als Unterlage auf dem Schotterboden der Hütte aus – es ist das einzige Mal, dass ich das Tarp verwende.
                                  Draußen kann man jetzt am Tisch zu Abend essen, Blick auf den Wald und die Forststraße und später auf den aufgehenden Mond. Ziemlich früh lege ich mich schlafen. Etwas später rauschen zwei Autos vorbei (wahrscheinlich der ewige Jagdpächter und sein Waffenknecht), dann folgt ein Regenschauer, und kurz nach dem Regenschauer brausen die beiden Autos noch einmal in Gegenrichtung vorbei. Ohne anzuhalten.


                                  Tageskilometer: 21,8
                                  Gesamtkilometer: 33,3
                                  Zuletzt geändert von Igelstroem; 05.10.2013, 02:29.
                                  Lebe Deine Albträume und irre umher

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                                    Fuchs
                                    • 30.01.2013
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                                    #18
                                    AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                    Tag 3 (Sonnabend, 14.09.): Schlappdachhütte – Nikolashütte


                                    In den Morgenstunden hat es zu regnen begonnen, und als ich nach dem Aufstehen Schlaf- und Biwaksack schon eingepackt habe, macht es ›platsch‹ und ein großer Wassertropfen fällt auf das noch daliegende Tarp. Weitere folgen zögernd. Mit anderen Worten: Das Dach der Hütte ist bei anhaltendem Regen nicht dicht. Ich freue mich, dass mir das nicht als nächtliches Problem begegnet ist.

                                    Gegen acht Uhr bin ich mit meiner Morgenroutine durch, lege den Vollschutz an (Regenjacke, Regenhose, Rucksack-Regenhülle) und mache mich auf den Weg. Zuerst also zurück auf den Westweg. Der kleine Pfad, auf dem ich gestern die Hütte erreicht habe, ist schon ziemlich nass ...






                                    Morgenstimmung im Schwarzwald

                                    Mein erstes Zwischenziel ist Ruhestein, wo der Westweg wieder einmal die Schwarzwaldhochstraße furtet. Heute ist Oldtimer-Rallye, so dass die Straße gesperrt ist. Ein paar Schaulustige warten im Regen, und ein Wanderer in nassem blauem Plastik (das bin ich) mogelt sich über die Straße. Das Naturschutzzentrum ist eigentlich geschlossen, aber weil die Familie des jungen Mitarbeiters auch zur Oldtimer-Rallye hier ist, ist die Tür doch offen und ich kann auf dem Klo meine Wasserflasche auffüllen. Meine andeutungsschwangere Frage, ob wohl irgendwo in der Nähe ein Kaffee zu bekommen sei, stößt hier leider nicht auf hilfreiche Reflexe, also vertage ich das bis zum Schliffkopf.

                                    Vogelskopf, Schliffkopf: Naturschutzgebiet, Grindenhochfläche, die Schwarzwaldhochstraße als Werk des Reichsarbeitsdienstes. Ein langgestreckter Bergrücken, der sich in Wolken hüllt. Erst regnet es noch, dann duscht es eher. Ich überlege kurz, ob ich das Tarp herausholen und es mir über den Kopf halten soll, aber es ist tief im Rucksack vergraben.

                                    Bei diesem Wetter jagt man eigentlich keine Kamera vor die Tür, aber ein Foto muss doch sein:



                                    Es zeigt den Westweg, sieht aber schlimmer aus, als es ist. Immerhin fällt der Regen fast senkrecht: kein Wind, kein Sturm. Immerhin kann man am Rand durchs Gras staken, ohne in Schlammlöchern zu versinken. Man ist nicht in Schottland; unter dem Wasser ist Granit.




                                    Oben auf dem Schliffkopf hat der Schwäbische Schneeschuh-Bund in Obelix-Manier seinen Helden (1919-1945) ein Denkmal gesetzt. Später muss ich nachlesen, was das bedeutet. DAV, SAS, Schwäbischer Schneeschuh-Bund; dann sind die Helden wahrscheinlich abgestürzte Bergsteiger.


                                    Hinter dem flachen Gipfel ist jetzt irgendwo links vom Weg das Hotel verzeichnet. Ich sehe im Nebel nichts davon. Aber Kaffee wäre jetzt irgendwie wichtig, man könnte auch etwas essen und sich antrocknen. Wo ist denn jetzt dieses Hotel? Um nicht vorbeizulaufen, weiche ich nach links auf den Terrainkurweg ab, und tatsächlich taucht dann schemenhaft eine eher unattraktive graue Betonmasse aus dem Nebel auf, die sich im weiteren Verlauf als Hotel zu erkennen gibt. Vier Sterne und ich. Tropfender blauer Müllsack auf dem Rücken. Aber es muss sein.

                                    Bekanntlich machen die meisten Reiseberichte dieses Forums einen ostentativen Bogen um Wellness-Hotels. Aber an dieser Stelle muss ich entschieden eine Lanze für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Hotels brechen. Ich gehe hinein, von Kopf bis Fuß glänzend nass, als wäre ich gerade dem Mummelsee entstiegen, und man empfängt mich, ein wenig wie einen seit Stunden vermissten Stammgast, mit einem Ausdruck von Entgeisterung und Mitgefühl und einer Spur auch Bewunderung: Wo kommen Sie denn jetzt her? Ich erkläre, dass ich ja auf dem Westweg und über den Schliffkopf und ob vielleicht ein Kaffee und vielleicht auch Mittagessen ... Dann darf ich mich auspellen; verschiedene Damen und Herren bemächtigen sich ohne Scheu meiner Regenkleidung und tragen sie in den Trockenraum davon. Ob etwas von meinen Sachen in den Wäschetrockner solle; ob ich mich vielleicht irgendwo umziehen möchte. Mein Rucksack mitsamt Müllbeutelüberzug steht in den nächsten Stunden hinterm Tresen und genießt die Situation. Alles geschieht mit einer leichtfüßigen Freundlichkeit, die mir angesichts meiner momentanen Bedürftigkeit wie ein rührendes Geschenk erscheint und mich mit allem versöhnt, was draußen geschehen könnte.

                                    Die Flecktarnhose unter der Regenhose hat diesmal ein paar feuchte Flecken, aber die sind ja praktisch weggetarnt, und ohnehin habe ich keine Hose zum Wechseln. Ich begebe mich also ins Restaurant, warte bei einem Kaffee auf den Beginn der Mittagessenszeit und studiere die Wanderkarte. Draußen vorm Fenster gibt es nichts zu sehen außer Nebel, aber ich habe mir sagen lassen, dass man sonst einen weiten Ausblick hat. Später esse ich ein für meine Verhältnisse teures, aber auch umwerfend gutes Hirschsteak.


                                    Als ich um halb zwei wieder aufbreche, sind meine Regenklamotten weitgehend trocken. Auch regnet es momentan nicht, nur der Nebel ist ziemlich unverändert. Der Westweg verläuft bis zur Alexanderschanze weitgehend parallel zur Schwarzwaldhochstraße, aber davon merkt man heute nicht viel, wohl weil bei Nebel auch keine Biker unterwegs sind.
                                    ›Panoramaweg‹, steht irgendwo auf einem Schild. Ich finde das lustig und informativ. Würde man etwas sehen, wäre das Schild ja überflüssig. Auch die Fernrohre am Weg sind vielsagend.




                                    Auf dem Plastikschirm kann man nachlesen, was man sehen würde.



                                    Höschenschanze


                                    An der JH Zuflucht laufe ich zügig vorbei – Jugendherbergen boykottiere ich als Einzelwanderer grundsätzlich. Wenig später werde ich von zwei Wanderern eingeholt, die dort Pause gemacht haben. Sie sind drei Tage auf dem Westweg unterwegs, mit vorgebuchten Übernachtungen. Bis zur Alexanderschanze laufen wir gemeinsam, lebhaft quasselnd. Sie sind ziemlich schnell; auf die Dauer würde ich Mühe haben, mit ihnen Schritt zu halten, und jetzt komme ich fast außer Atem, weil ich zugleich auch noch pausenlos rede.

                                    An der Alexanderschanze hatte ich mit dem nächsten Kaffee gerechnet, aber alles ist geschlossen und wirkt verfallen. Wir trennen uns hier, denn die beiden übernachten in Kniebis, während ich noch bis zur Hilda-Hütte laufen will. Auch am nächsten Morgen werde ich sie nicht mehr treffen; wahrscheinlich sind sie früh aufgebrochen, denn ihre dritte und letzte Etappe endet in Hausach – von Kniebis über dreißig Kilometer, wenn ich richtig rechne.


                                    Irgendwann hat es auch wieder angefangen zu regnen – wo und wie lange, weiß ich nicht mehr. Gleich hinter der Alexanderschanze entschließe ich mich wegen des Kaffees doch noch zu einem Abstecher, kehre im Hotel Waldblick am Rand von Kniebis ein und vertilge Apfelkuchen mit Schlagsahne. Zweites Vier-Sterne-Hotel heute. Um halb sechs breche ich wieder auf. Es regnet nicht mehr; wieder auf dem Westweg, habe ich sogar für einige Minuten einen Ausblick auf Griesbach und die dortige Kapelle, die, von einem verirrten Sonnenstrahl getroffen, grün im Tal aufleuchtet.


                                    Griesbacher Kapelle

                                    Halb sieben ist es inzwischen. Wenig später erreiche ich die Hildahütte, die zwar einigermaßen schön liegt, aber sehr offen ist und bei dem jetzt etwas böigen Wind und gelegentlichen Schauern eine ungemütliche Nacht verspricht.


                                    Hildahütte

                                    Ich entschließe mich, die nicht sehr weit entfernte Nikolashütte ebenfalls noch anzuschauen.

                                    Auf dem Weg dahin treffe ich ein paar Jugendliche mit Fahrrädern, die – logischerweise hier oben auf der Holzwälder Höhe – das Gruppenhaus Holzwälder Höhe suchen, ein Selbstversorgerhaus. Das liegt in Wirklichkeit unten im Tal, in Holzwald, aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich beauskunfte sie, dass es hier oben nur Schutzhütten gibt, kein Haus mit Zimmern und dergleichen.

                                    Dann gehe ich die paar Meter bis zur Nikolashütte.


                                    Nikolashütte
                                    Koordinaten: 48.4518 / 8.2718

                                    Sie hat einen schönen Ausblick Richtung Holzwald, sieht aber verschlossen aus. Auch ist sie ja im Wiki nicht verzeichnet, obwohl sie sehr nah am Westweg liegt. Ich drücke die Türklinke herunter – und zum zweiten Mal (und jetzt erst recht) stehe ich plötzlich in einer wie vom Himmel gefallenen komfortablen Unterkunft. Diesmal mit Ofen, Kerzen, Geschirr, Werkzeug, Isomatte und diversen Notmatratzen. Und mit einem mehrere Jahre zurückreichenden Hüttenbuch, aus dem ich nur die letzte Eintragung fotografiere:






                                    Und während ich in der Abenddämmerung vor der Hütte sitze und in die halbverschleierte Landschaft schaue, breitet sich vollkommene Zufriedenheit in mir aus.



                                    Tageskilometer: 25,4
                                    Gesamtkilometer: 58,7
                                    Zuletzt geändert von Igelstroem; 12.11.2013, 00:47.
                                    Lebe Deine Albträume und irre umher

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                                      • 24.01.2011
                                      • 12506
                                      • Privat


                                      #19
                                      AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                      Hi,

                                      also ich muss sagen, der Bericht hat was - trotz oder vielleicht gerade wegen des Sauwetters. So kenne ich den Schwarzwald auch, und ich erinnere mich an mehrere Situationen, wo es nicht leicht war, aufkommende Depression zu bekämpfen...

                                      Und halb OT: Eine Weile wählte ich Reiseberichte nach dem Zielgebiet. Heute eher die, deren Stil mir gefällt und deren Sprache ich als wohltuendes Deutsch definieren würde. Soll hier heißen: Chapeau (lassen wir das als eingedeutscht gelten? )!

                                      Gruß, Ronald

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                                        AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                        Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen
                                        ›Hütte unterhalb vom Schwarzkopf‹ (so bezeichnet im Wiki). Man beachte die fürs Übernachten eher ungünstige Möblierung.
                                        Wieso? Der Tisch sieht doch gut aus.

                                        Tapfer, wie Du die Tour bei Regen durchziehst. Ich wollte neulich auch mal ein paar Kilometer auf dem Westweg ablaufen. An dem anvisierten Wochenende gab es allerdings jede Menge Regen.

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                                        • kaltduscher
                                          Erfahren
                                          • 23.11.2009
                                          • 361
                                          • Privat


                                          #21
                                          AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                          Also der Tisch ist wiklich nicht schlecht zum schlafen,du fällst ja nicht gleich auf den Boden

                                          Ich hab Anfang Sept bei der Wegscheithütte draußen auf dem Tisch geschlafen die Hütte war voll und in der Büchereckhütte auch auf dem Tisch,da wollte ich mich nicht von den Mäusen fressen lassen

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                                          • Igelstroem
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                                            • 30.01.2013
                                            • 1944
                                            • Privat


                                            #22
                                            AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                            Zitat von kaltduscher Beitrag anzeigen
                                            Also der Tisch ist wiklich nicht schlecht zum schlafen, du fällst ja nicht gleich auf den Boden.
                                            Bin ja Seitenschläfer und drehe mich gelegentlich. Wenn ich dann im Schlaf von so einem Tisch herunterrolle, mich verletze und die Tour abbrechen muss, wird man das womöglich als eine etwas eigenwillige Interpretation meiner Signatur [»Ich suche nicht meine Grenzen, sondern einen Schlafplatz«] auffassen. Deshalb schlafe ich in den Hütten lieber von vornherein auf dem Fußboden.
                                            Zuletzt geändert von Igelstroem; 25.03.2017, 16:28.
                                            Lebe Deine Albträume und irre umher

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                                            • ilten
                                              Anfänger im Forum
                                              • 07.06.2008
                                              • 29
                                              • Privat


                                              #23
                                              AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                              Vielen Dank für den Bericht. Er ist wirklich unterhaltsam geschrieben! Das Wetter kann man sich nicht aussuchen - aber das (selbstgewählte) Schicksal keinen Kaffee am Morgen zubereiten zu können wäre mir deutlich zu hart. Das solltest Du vielleicht auch noch mal überdenken. Dosenkocher + Titantasse und Starbucks VIA sind nicht soooo schwer.
                                              ilten

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                                              • hotdog
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                                                Liebt das Forum
                                                • 15.10.2007
                                                • 16106
                                                • Privat


                                                #24
                                                AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                Zitat von ilten Beitrag anzeigen
                                                aber das (selbstgewählte) Schicksal keinen Kaffee am Morgen zubereiten zu können wäre mir deutlich zu hart.
                                                Finde ich ja eigentlich auch, aber vielleicht gehört das ja mit zum Konzept. Jeder nach seiner Fassong.

                                                Zitat von Igelstroem
                                                Wenn ich dann im Schlaf von so einem Tisch herunterrolle, mich verletze
                                                Bist du schon mal aus dem Bett gefallen?
                                                Arrivederci, farewell, adieu, sayonara WAI! "Ja, wo läuft es denn? Wo läuft es denn hin?"

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                                                  Fuchs
                                                  • 30.01.2013
                                                  • 1944
                                                  • Privat


                                                  #25
                                                  AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                  Zitat von hotdog Beitrag anzeigen
                                                  Finde ich ja eigentlich auch, aber vielleicht gehört das ja mit zum Konzept.
                                                  Dass ich ohne Kocher unterwegs bin, hat eine Vorgeschichte, die in meinem ersten Reisebericht »Von Strausberg nach Niederfinow« nachzulesen ist:

                                                  Zitat von Igelstroem
                                                  Auf den Stufen des Gebäudes nutze ich die Gelegenheit, mir einen Kaffee zu kochen. Löslicher Espresso mit Milchpulver. Der beste lösliche Espresso mit Bio-Vollmilchpulver, um genau zu sein. Mein Brennpaste-Kocher reicht dafür völlig aus, aber der Kaffee schmeckt eben nach löslichem Kaffee mit Milchpulver …


                                                  Bei den Touren in Brandenburg war es zudem so, dass man mitunter an den gewählten Übernachtungsplätzen wegen der Waldbrandgefahr kein Feuer machen würde, und um in jeder Hinsicht auf der sicheren Seite zu bleiben, würde ich dann auch keinen Kocher verwenden. Die Entfernung zur nächsten kommerziellen Kaffeequelle war dort auch meist geringer. Dann fällt der Kocher einer Gewicht-Nutzen-Abwägung zum Opfer.


                                                  Zitat von hotdog Beitrag anzeigen
                                                  Bist du schon mal aus dem Bett gefallen?
                                                  Nö. Aber mein Bett ist auch breiter als ein Tisch. Gerade wenn ich mich im Schlaf in meinem Bett wähne, falle ich garantiert vom Tisch.

                                                  Es ist ein bisschen wie bei macroshooters Schlafplatz auf dem Piz Julier: Er hat auch nicht geschlafen, obwohl er den Rand mit Steinen gesichert hatte:

                                                  Zitat von macroshooter
                                                  Schlafen will ich aus Sicherheitsgründen lieber nicht. [...] An Umdrehen ist nicht zu denken. Und das empfiehlt sich auch wegen dem ausgesetzten Plätzchen [...] nicht.
                                                  Lebe Deine Albträume und irre umher

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                                                  • kaltduscher
                                                    Erfahren
                                                    • 23.11.2009
                                                    • 361
                                                    • Privat


                                                    #26
                                                    AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                    wenn du Morgens deinen Kaffee brauchst, schau die auf youtoube - "cowboykaffee" an
                                                    ich nehm Unterwegs immer die 3 in1 Stick das sieht zwar nicht aus wie Kaffee, schmeckt nicht nach Kaffee, aber mal kann sich ja einbildet es währe Kaffee dann gehts
                                                    Zuletzt geändert von kaltduscher; 06.10.2013, 19:07.

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                                                    • elcom
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                                                      • 08.08.2013
                                                      • 99
                                                      • Privat


                                                      #27
                                                      AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                      Klasse Bericht bisher, freue mich schon auf den Rest! Das Wetter erinnert mich an meinen ersten Versuch den Rothaarsteig zu wandern. Lots of liquid sunshine, um mal optimistisch zu bleiben. Dein Schreibstil versteht es, selbst der hoffnungslosesten Situation noch etwas Gutes abzugewinnen. Und die Signatur solltest du dir patentieren lassen
                                                      One says to me, "I wonder that you do not lay up money; you love to travel; you might take the cars and go to Fitchburg today and see the country." But I am wiser than that. I have learned that the swiftest traveller is he that goes afoot. ― Henry David Thoreau
                                                      Mein Blog: http://cheeseburgerhikes.blogspot.com/

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                                                        Liebt das Forum
                                                        • 21.01.2008
                                                        • 11979
                                                        • Privat


                                                        #28
                                                        AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                        Gefällt mir auch ausgezeichnet ! Die Suche nach Einkehrmöglichkeiten kommt mir sehr bekannt vor. Ich hoffe, daß Dir im weiteren Verlauf noch der Genuß einer echten Schwarzwälder Kirschtorte zu Teil wurde.

                                                        Offensichtlich sind die undichten Hüttendächer gelegentlich in anderen Regionen ebenfalls anzutreffen.

                                                        Ist denn Dein Tarp so robust, daß es als Unterlage keinen Schaden nimmt ? Die Idee ist ja nicht schlecht.

                                                        @elcom : Stimmt : Bei mir sah es damals auf dem Rothaarsteig auch so aus und ich bin zum Schluß triefend naß in den Zug gestiegen. Das "Fernsichterlebnis" war das gleiche.

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                                                          • 30.01.2013
                                                          • 1944
                                                          • Privat


                                                          #29
                                                          AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                          Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                                                          Ich hoffe, daß Dir im weiteren Verlauf noch der Genuß einer echten Schwarzwälder Kirschtorte zu Teil wurde.
                                                          Nein, aber das ist ein sehr spezielles Thema. Ich mag keine Kirschen. Eigentlich gab es überall unterwegs ungefähr den gleichen Kuchen, nämlich Zwetschge, Apfel, eventuell noch Käse. Pflaumen mag ich auch nicht, Apfelkuchen geht zur Not, aber Rosinen geht zum Beispiel gar nicht. Insofern war das für mich keine Kuchentour. Später zu erwähnen ist nur noch der Bienenstich in der Kalten Herberge. Dass mich das Kuchenthema überhaupt beschäftigt hat, liegt nebenbei daran, dass ich ja keinerlei Süßigkeiten bei mir hatte, nachdem ich im Laufe des Sommers ungefähr ein Dutzend Sorten Müsliriegel und Fruchtschnitten negativ getestet hatte. Die Schokolade habe ich beim Packen aus Gewichtsgründen wieder rausgeworfen und habe es unterwegs tatsächlich nicht geschafft, en passant welche zu kaufen.

                                                          Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                                                          Ist denn Dein Tarp so robust, daß es als Unterlage keinen Schaden nimmt ?
                                                          Weiß ich nicht. Es ist ein 35-EUR-Tarp und ich hatte keine andere Unterlage dabei. Irgendwie kam mir der Hüttenboden schmutzig vor, deshalb hatte ich das Bedürfnis, etwas unter den Biwaksack zu legen, obwohl der sicher robuster ist als das Tarp.


                                                          Der nächste Abschnitt des Berichts folgt heute irgendwann am späteren Abend.
                                                          Lebe Deine Albträume und irre umher

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                                                            Fuchs
                                                            • 30.01.2013
                                                            • 1944
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                                                            #30
                                                            AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                            Tag 4 (Sonntag, 15.09.): Nikolashütte – Wanderheim Brandenkopf


                                                            Am Vorabend hatte ich eine Schrecksekunde beim Auspacken des Schlafsacks: ziemlich feucht, zumindest oben herum. Der Müllsack hält den Rucksack zwar insgesamt erstaunlich trocken, aber man kann das hintertreiben, indem man bei diesem Wetter unterwegs den Rucksack irgendwo abstellt. Dann zieht die Nässe von unten hinein, und ich hatte es versäumt, den Schlafsack eigens wasserdicht zu verpacken. So ist er nun der einzige Ausrüstungsgegenstand, der im Rucksack während der Tour deutlich feucht geworden ist. Als ich mich später hineinlege, bemerke ich davon – nichts. Keine Spur von verringerter Wärmeleistung.

                                                            Paradoxerweise folgere ich am Ende der Tour aus dieser Erfahrung, dass man in Zukunft bei Inlandstouren ruhig einen Daunenschlafsack verwenden kann. Denn das Einpacken des Schlafsacks in eine Haushaltsmülltüte hätte ja bereits ausgereicht, um den Schlafsack von außen trocken zu halten (vorausgesetzt es regnet nicht in der Unterkunft). Wenn dies selbst bei Dauerregen leicht möglich ist, ist offenbar der Transport zumindest kein Risiko. Und da der Kunstfaserschlafsack ansonsten hinsichtlich seiner Komforttemperatur ohnehin nicht das hält, was der Hersteller verspricht, ließe sich durch einen Daunenschlafsack in Zukunft fast ein Kilo Gewicht einsparen, ohne unabsehbare Risiken einzugehen.









                                                            Am Morgen brauche ich eine ganze Weile, bis ich aufbreche. Woran das liegt, weiß ich nicht mehr. Ich entnehme es aber der Datierung der obenstehenden Bilder, die zwischen halb acht und neun Uhr aufgenommen worden sind. Wahrscheinlich war es angenehm, noch eine Weile vor der Hütte zu sitzen, bei milder Luft. Der Regen beginnt erst wieder, als ich losgehen will.



                                                            Lettstädter Höhe: Dort gibt es eine offene, im Vergleich etwas schäbige Schutzhütte:




                                                            Vorher mache ich einen kleinen Umweg, um die andere Hütte anzuschauen, die nordöstlich davon an einer der Forststraßen liegt, nur 500 Meter vom Westweg entfernt. Sie heißt Blitzhütte, ist wesentlich komfortabler, allerdings mit ziemlich massivem Mobiliar. Leider habe ich sie nur von außen fotografiert:




                                                            Wenig später laufe ich oberhalb des Glaswaldsees vorbei. Angeblich kann man ihn von oben sehen. Ein Schild warnt vor dem hinabführenden Pfad. Es regnet, und alles ist in Nebel gehüllt. Ich stelle mir vor, dass ich mit Mühe diesen Pfad hinunterglitsche und unten außer Nebel wieder nichts sehe. Bleibe also oben. Unten soll es laut Karte eine Hütte geben, Näheres weiß ich nicht.

                                                            Meine Stimmung ist nicht die beste.

                                                            An der von Bad Peterstal heraufführenden Landesstraße 93, die der Westweg überquert, gibt es eine Art Vereinshütte, keine richtige Gaststätte freilich. Tatsächlich ist drinnen Licht, in der Küche werkelt jemand, und neben der Eingangstür hängt eine Art Getränkekarte. Aber die Tür ist zu. Ich gehe weiter, leicht verstimmt, und denke im Gehen darüber nach, wie ich diesen Moment der Ratlosigkeit später im Reisebericht in Worte fassen soll.

                                                            Die Karte verzeichnet den Harkhof als nächste Einkehrmöglichkeit. Den Weg dahin habe ich als langweilig in Erinnerung. Der Nebel tut das Seine, und die beiden folgenden Bilder habe ich explizit in Notwehr oder vielmehr aus Rachsucht aufgenommen, um die düstere Atmosphäre für die Ewigkeit einzufangen:






                                                            Noch lange vor dem Harkhof kommt man an der sogenannten Haaghütte (Littweger Höhe) vorbei, die ich offen vorgefunden habe. Sie ist relativ geräumig, hat einen großen Ofen und ist ein bisschen mit Tischen vollgestellt, so dass Tischschläfer jedenfalls auf ihre Kosten kommen.

                                                            Draußen findet man Müll: Aluschalen von Fertigmahlzeiten, fein säuberlich an die Hüttenwand gestellt; eine noch nicht ganz durchweichte, also frische Verpackung eines Fahrradschlauchs ist hingegen mitsamt Beipackzettel fast ostentativ vor der Hütte ausgestreut worden. Ich versuche mir eine Person dazu vorzustellen. (Aber auch ich nehme diesen Müll nicht mit.)


                                                            Haaghütte


                                                            Während ich vor der Hütte auf der Veranda sitze, ticken zwei neongelbe Westwegschnellwanderinnen mit ihren Trekkingstöcken heran, suchen effizient schnatternd nach der Markierung und klappern dann hurtig davon. Im Harkhof treffe ich sie später wieder, bevor sie nach Hausach aufbrechen. Gesegnet sei die Etappenplanung.

                                                            Irgendwo zwischen Haaghütte und Harkhof hört es auf zu regnen. Oder fast. Jedenfalls ist es wohl auf dieser Etappe, dass ich anfange, ästhetische Dogmen im immer wieder aufkeimenden Zynismus hintanzustellen: Mitunter ziehe ich die Regenjacke aus, weil mir zu warm wird, behalte aber die Regenhose an, weil es dann später schneller geht. Das wiederholt sich, wie man ja überhaupt eine gewisse Effizienz beim An- und Ausziehen, Verpacken und Auspacken von Bekleidungsschichten entwickelt.


                                                            Am Harkhof laufe ich vor Freude über die Regenpause fast vorbei, schaffe es dann aber doch in die Vesperstube, und zwar ziemlich zur Mittagszeit. Omelett, Kaffee und dergleichen mehr. Nach einer Weile ist die Gaststube gut gefüllt, teils mit Westwegpärchen, teils mit Einheimischen. Die Preise sind sehr moderat. Während ich bestimmte beleibte Gäste beim Verzehr einer Vesperplatte beobachte, überlege ich, ob sie vielleicht deshalb hierher kommen: weil man hier viel Schinken für wenig Geld essen kann.

                                                            Auf der Speisekarte sind auch Lebensmittel aus eigener Herstellung zum Mitnehmen verzeichnet. Mir fällt ein, dass heute Sonntag ist und meine Vorräte zur Neige gehen. Also kaufe ich zum Schluss ein Stück Leberwurst und ein halbes Brot; ferner lasse ich mir eine meiner beiden kleineren Wasserflaschen mit Milch füllen: Igelstroems Variante des ›soul food‹. Das Brot wird am nächsten Tag aufgegessen, aber an die Salami, die ich später in Hausach und in St. Märgen beim Metzger kaufe, habe ich bessere Erinnerungen als an die Leberwurst des Harkhofs.


                                                            Nahezu zwei Stunden verbringe ich in der Vesperstube; währenddessen hat sich das Wetter gebessert und für eine Weile kommt sogar die Sonne hervor. Ungefähr als ich aufbreche, fallen dann wieder die ersten Regentropfen. Es trübt sich schnell ein, und als ich die drei Kilometer entfernte Kreuzsattelhütte erreiche, gießt es wieder wie gewohnt. Aber irgendwie tangiert es meine Stimmung jetzt nicht mehr so sehr wie am Vormittag. Ich habe mich damit abgefunden, dass es regnen muss. An der Kreuzsattelhütte schaue ich kurz in die Gaststube: Sie ist brechend voll, und die Luft ist sehr schlecht. Gleich weiter. Einige französische Touristen grüßen freundlich aus dem Auto heraus. Der Regen wird noch ein wenig dichter.

                                                            Mein Ziel für heute ist das Wanderheim auf dem Brandenkopf. Wahrscheinlich habe ich diese Entscheidung erst jetzt angesichts des Regens getroffen. Keine Lust, heute Abend unter diesen Umständen noch eine geeignete Schutzhütte zu suchen. Kurz hinter der Kreuzsattelhütte biege ich also von der Hauptstrecke des Westwegs auf die Brandenkopf-Schleife ab.


                                                            Nach einer Weile, kurz vor der Straße, die hier von Oberharmersbach heraufführt, werde ich von zwei Pilzsammlern mittleren Alters eingeholt. Sie sind ohne Regenkleidung unterwegs und total durchnässt, was ihnen nichts auszumachen scheint. Man kann sich ungefähr ausrechnen, wann sie aufgebrochen sein müssen. Man grüßt sich, und dann eröffnet der eine von den beiden das Gespräch mit dem im Titel dieses Berichts zitierten Satz: »I weiß ja net, wie hart Sie sind. Aber«, sinngemäß zitiert, »wenn Sie sich nicht verpflichtet haben, jeden Meter auf dem Westweg zu Fuß zu laufen, können wir Sie mit dem Auto ins Tal mitnehmen. Wir fahren allerdings nach Haslach runter.« Ich bedanke mich, einmal mehr angetan von der Freundlichkeit der Einheimischen, und erkläre, dass ich ja auf dem Weg zum Brandenkopf sei, was von hier nicht mehr sehr weit ist. Vorsichtshalber (mit der Alexanderschanze im Hinterkopf) frage ich nach, ob es das dortige Wanderheim wirklich gibt, und bin erleichtert, als das bestätigt wird.

                                                            Inzwischen ist der Regen so stark, dass ich mich an der Straße zunächst in die Schutzhütte flüchte – übrigens ebenfalls eine Hütte mit Tür und Fenstern und überdachter Veranda. Ich lege dort meine triefnassen Regenklamotten ab und setze mich im Pullover nach draußen, esse etwas, trinke die Milch aus. Es ist viertel nach vier, und die Datierung der Bilder sagt mir, dass ich hier über eine Stunde bleibe. Draußen schüttet es so, dass man zunächst nicht weiterlaufen kann. Blick auf den Parkplatz vor der Hütte. Ein Mann und eine Frau steigen in ihr Auto. Bevor sie wegfahren, steigt die Frau doch noch einmal aus, macht ihren Schirm auf, kommt zur Hütte herüber und fragt, ob sie mich irgendwohin mitnehmen können. Ich lehne dankbar ab, wirklich dankbar.


                                                            Hütte am Parkplatz


                                                            Gegen halb sechs hört der Regen fast auf. Ich mache mich also auf den Weg und laufe die letzte halbe Stunde bis zum Brandenkopf, der in dichten Nebel gehüllt ist. Oben auf dem Berg steht ein seltsam grün angemalter Turm im Wald:



                                                            Ich trete näher heran, um zu sehen, worum es sich handelt. Wenn man angestrengt nach oben schaut, sieht man im Nebel gerade noch etwas Dunkles vorbeihuschen, rhythmisch fauchend. So ist das also.


                                                            Wenig später erreiche ich das Wanderheim. Auspellen. Zimmer beziehen. Kaffee. Essen.

                                                            Kurz nach mir trifft eine Wandergruppe des französischen Alpenvereins ein; eine Deutsche ist dabei, zudem mehrere Deutschlehrer. Sporadische Konversation. Mein fließendes Französisch kommt kaum zum Zuge.


                                                            Das übrige Personal dieses Abends besteht aus der Wirtin, ihrem Mann (einem ehemaligen Sternekoch) und ihrem Jugendfreund, einem viel umherreisenden Freiberufler, der hier gelegentlich absteigt, wenn er in der Nähe ist. Beide oder alle drei sind keine Schwarzwälder, sondern Eisenacher, wie sich herausstellt. Nach dem Abendessen komme ich mit dem Jugendfreund der Wirtin ins Gespräch (er lädt mich an seinen Tisch ein); später, nachdem die Gruppe im Nebenraum endversorgt ist, gesellt sich die Wirtin dazu, und der Abend wird sich bis gegen zwei Uhr nachts hinziehen. Die Themen sind entsprechend vielfältig und persönlich – wieder einmal bin ich unterwegs zuhause und fühle mich wohl.


                                                            Tageskilometer: 19,3
                                                            Gesamtkilometer: 78,0
                                                            Zuletzt geändert von Igelstroem; 10.10.2013, 03:40.
                                                            Lebe Deine Albträume und irre umher

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                                                              #31
                                                              AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                              Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen

                                                              Gegen halb sechs hört der Regen fast auf. Ich mache mich also auf den Weg und laufe die letzte halbe Stunde bis zum Brandenkopf, der in dichten Nebel gehüllt ist. Oben auf dem Berg steht ein seltsam grün angemalter Turm im Wald:



                                                              Ich trete näher heran, um zu sehen, worum es sich handelt. Wenn man angestrengt nach oben schaut, sieht man im Nebel gerade noch etwas Dunkles vorbeihuschen, rhythmisch fauchend. So ist das also.
                                                              Das hier?

                                                              Finde es toll daß du bei dem Wetter die Muße hattest soviel zu knipsen. Interessanter, kurzweiliger Bericht.
                                                              Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich bin in Euch und geh’ durch Eure Träume. (Michelangelo)
                                                              Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen. (Albert Schweitzer)

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                                                                Erfahren
                                                                • 18.06.2013
                                                                • 371
                                                                • Privat


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                                                                AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                Schöner Bericht, danke sehr. Erinnert mich an die vielen, vielen Regenurlaube meiner Kindheit im Schwarzwald.

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                                                                  • 988
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                                                                  AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                  Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen
                                                                  Schlappdachhütte
                                                                  ...
                                                                  Das Dach der Hütte ist bei anhaltendem Regen nicht dicht.
                                                                  Dazu fällt mir ein:
                                                                  Dass das Dach bei der Schlappdachhütte schlapp macht, täte mich nicht wundern.

                                                                  Kommentar


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                                                                    Erfahren
                                                                    • 23.11.2009
                                                                    • 361
                                                                    • Privat


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                                                                    AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                    Es ist nicht zwingend Notwendig das man auf jedem Tisch schläft,zur Not kann man auch sein Zelt vor der Hütte aufschlagen



                                                                    Kommentar


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                                                                      Freak

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                                                                      • 21.01.2008
                                                                      • 11979
                                                                      • Privat


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                                                                      AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                      Ich seh schon : Auch "Veschperplatte", "Bibliskäs", "Schpäckeia" und "Wurschdsalaad" hast Du links liegen gelassen. Wobei ich mich beim Laufen auch zurückhalte...

                                                                      Kommentar


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                                                                        Freak
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                                                                        • 16.02.2009
                                                                        • 13261
                                                                        • Privat


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                                                                        AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                        Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                                                                        Ich seh schon : Auch "Veschperplatte", "Bibliskäs", "Schpäckeia" und "Wurschdsalaad" hast Du links liegen gelassen. Wobei ich mich beim Laufen auch zurückhalte...
                                                                        Jetz wart's ämol ab, bis er in de richtig Schwarzwald kummt! Däno kippt er um! Sällewäg!

                                                                        Btt.: vielen Dank für Deinen sehr kurzweiligen Bericht aus einer mir sehr bekannten () Region! Ich lese sehr gespannt mit!

                                                                        Vielen Dank!
                                                                        "... „After twenty years he still grieves“ Jerry Jeff Walkers +23.10.2020"

                                                                        Kommentar


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                                                                          Anfänger im Forum
                                                                          • 06.07.2013
                                                                          • 19
                                                                          • Privat


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                                                                          AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                          Bin gestern mehrfach mit dem Fahrrad durch teils strömenden Regen gefahren und mir fiel jedesmal des Igelstroems Satz
                                                                          "Das Wetter ist keine Dienstleistung, sondern eine Tatsache." ein.
                                                                          Das war irgendwie tröstend. Danke!!!

                                                                          Und natürlich warte ich gespannt auf die Fortsetzung...

                                                                          Kommentar


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                                                                            Fuchs
                                                                            • 30.01.2013
                                                                            • 1944
                                                                            • Privat


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                                                                            AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                            Tag 5 (Montag, 16.09.): Brandenkopf – Hausach – Farrenkopf


                                                                            Das eigentlich Schlimme am Regen, so ich gestern im abendlichen Gespräch, sei ja die Zerstörung der Silhouette durch die Regenkleidung. Beharrlich knabbert das nassglänzende Plastik, in das man sich eingehüllt hat, an der Fallschirmjäger-Profilneurose. Wobei es übrigens egal ist, ob man unterwegs jemandem begegnet oder nicht, denn die eigene Kleidung wird zuerst gefühlt und dann erst gesehen.

                                                                            Da der Abend lang war, beginnt der Tag etwas später als sonst. Die französische Gruppe bricht gegen neun Uhr auf, ich erst um zehn. Regen und Nebel. Ich stehle mich an dem sogenannten Aussichtsturm vorbei, dessen oberes Ende kaum zu sehen ist, und wähle den direkten, gelb markierten Weg nach Hausach, der um einige Kilometer kürzer ist als der Westweg. In Hausach muss einiges eingekauft werden, anschließend will ich noch ein Stück weiter laufen.

                                                                            Der Abstieg ist teilweise steil, vor allem aber zieht er sich trotzdem in die Länge; zuletzt läuft man auf Asphalt durch das untere Einbachtal. Nach einer Stunde hört der Regen allmählich auf und man hat gelegentlich einen Landschaftsausblick.






                                                                            Irgendwo steht ein Wohnwagen auf der Wiese, und dahinter führt der markierte Weg über eine Kuhweide. Dass die Einheimischen entgegenkommend sind, bestätigt sich auch hier: Die Kuhherde beobachtet mich aufmerksam, und noch ehe ich die Weide betrete, setzt sie sich in meine Richtung in Bewegung. Da kehre ich lieber um, zumal sich ja der Weg gerade oberhalb erst in verschiedene Varianten geteilt hat und man ebenso gut eine andere wählen kann. Während ich also das kurze Stück zurücksteige, verfolgt mich die Herde hinterm Zaun mit zuerst freudigem, dann empörtem und zuletzt enttäuschtem Muhen. Was wolltet ihr von mir? Ich melke euch nicht. Leckt euch doch selber ab. Fresst euer Gras.




                                                                            An den letzten beiden Tagen hatte ich mitunter leichte Beschwerden an der Knickfalte des rechten Wanderschuhs. Deshalb habe ich heute das Fußbett beiderseits herausgenommen, was zunächst angenehmer ist, aber allmählich zu Reibungen an der Fußsohle führt. Das macht sich jetzt auf der Asphaltstrecke besonders bemerkbar. In Hausach werde ich mich nach dünnen, glatten Leder-Einlegesohlen umsehen.


                                                                            Am Weg kurz vor Hausach:








                                                                            Gegen halb eins bin ich in der Stadt. Keine gute Zeit, denn die Geschäfte schließen gerade. Die beiden Wanderkarten, die ich für die weitere Route brauche, bekomme ich noch vor der Mittagspause. Dann schaue ich in die Kirche. Nebenan beim Café Armbruster hat sich eine lange Schlange von Schülern und Schülerinnen gebildet, die bis nach draußen reicht. Dort werde ich jetzt nicht essen; stattdessen gehe ich in den Ratskeller, der gegenteils wie ein Seniorenrestaurant wirkt, aber das Essen ist einwandfrei und ziemlich preiswert.

                                                                            Warten, bis um zwei das Schuhgeschäft öffnet. Das Warten lohnt sich aber. Ich kaufe also billige Einlegesohlen, die sich in den nächsten Tagen als richtige Wahl erweisen. Dann noch zur Metzgerei, um Salami zu kaufen.

                                                                            In der Touristen-Information frage ich, ob ich einen Blick auf den Wetterbericht werfen kann und ob man etwas über Schutzhütten im weiteren Verlauf des Westwegs weiß. Dummerweise habe ich nämlich das ODS-Hüttenverzeichnis zuhause nicht ausgedruckt. Man lässt mich gleich an den Computer. Auf dem Radarbild sieht man abziehende Regengebiete, die nächsten Stunden könnte es also trocken bleiben. Als Übernachtungsmöglichkeit bietet sich die Hütte auf dem Farrenkopf an, danach vielleicht noch die Büchereckhütte, im weiteren Verlauf wird es dann eher schwierig. Also erst mal zum Farrenkopf.

                                                                            Zuletzt doch noch ins Café Armbruster, um einen großen Milchkaffee zu trinken und die Wasserflasche aufzufüllen. Insgesamt bin ich jetzt ziemlich viel auf der Hauptstraße hin- und hergelaufen. Ich hatte erwartet, dass ich hier irgendwo die französische Gruppe treffen würde. Aber ich sehe sie nirgends und gehe einstweilen davon aus, dass sie schon vor mir durchgelaufen ist. ›Man denkt, man ist halbwegs trainiert, aber letztlich sind alle schneller als ich.‹ Egal.


                                                                            Erst gegen drei Uhr mache ich mich auf den Weg und steige zunächst zur Burgruine auf, von wo man einen ganz guten Überblick über Hausach hat.












                                                                            Und dann geht es bergauf. Hausach liegt auf 240 Meter, der Brandenkopf ist 945, der Farrenkopf 790 Meter hoch. So ganz genau habe ich mir das vorher nicht angeschaut. Und schließlich steigt man ja im Schwarzwald mitunter auch 1000 Meter, also viel mehr als hier: von Freiburg auf den Schauinsland, vom Münstertal auf den Belchen.




                                                                            Nach einer Weile erreicht man die Haseneckhütte, die allerdings sehr offen und zugig ist:



                                                                            »Der erste Teil des Aufstiegs ist geschafft«, steht auf einem Schild. Aber es ist eben weniger als die Hälfte, das steht da nicht. Danach wird es richtig steil. Da es außerdem kühl und zunehmend windig ist, reduziere ich die Kleidungsschichten nicht rechtzeitig. Als ich um viertel vor fünf endlich oben bin, ist das unterste T-Shirt nassgeschwitzt.

                                                                            Da ich die Hasemannhütte auf dem Farrenkopf leer vorfinde (das Hüttenbuch verzeichnet allerdings mehrere Eintragungen von Durchwanderern vom selben Tag), die Büchereckhütte wahrscheinlich weniger komfortabel ist und man momentan auch einmal einen Ausblick ins Tal hat, bleibe ich hier, obwohl es noch früh ist.



                                                                            Die Temperatur liegt zwischen 8 und 9 °C. Ich entzünde ein paar der vorhandenen Friedhofskerzen und Teelichte, um etwas zu heizen oder wenigstens die Hände zu wärmen. Der Schlafboden im Obergeschoss erscheint mir etwas zu zugig, deshalb schlafe ich später unten auf dem Steinfußboden. Hin und wieder drückt der Wind die Tür auf, die sich ja nur von außen verriegeln lässt; schließlich klemme ich die Plastik-Kehrschaufel unter die Tür, in der Hoffnung, dass sich später eintreffende Übernachtungsgäste bemerkbar zu machen wissen. Aber es kommt niemand mehr.


                                                                            Interkulturelle Widersprüche. Das elektrische Licht funktioniert aber sowieso nicht.


                                                                            Die Zeit, während man im Hüttenbuch liest, die diversen Einrichtungsutensilien untersucht, seine Salami-und-Brot-Mahlzeit einnimmt, am Kleiderhaken über den Kerzen das nasse T-Shirt zu trocknen versucht und auf vielerlei Weise für sich sorgt, vergeht schneller als erwartet. Draußen kann man sich noch eine Weile den Mond zwischen den Wolken anschauen, aber es ist kalt. Als es vollends dunkel ist, lege ich mich schlafen und schlafe in dieser Nacht insgesamt ziemlich lange. Irgendwann um drei Uhr turnt irgendein Tier anscheinend oben auf dem Schlafboden herum. Keine Maus, dazu ist es zu laut. Eher klingt es nach ein- und ausfliegender Fledermaus oder was auch immer hier in Frage kommt. Aus dem Schlafsack zu robben und nachzusehen, ziehe ich gar nicht ernsthaft in Erwägung. ›Macht doch, was ihr wollt. Mein Haus ist es ja nicht.‹ Das ganze Theater dauert vielleicht eine halbe Stunde, danach schlafe ich wieder ein.



                                                                            Tageskilometer: 13,4
                                                                            Gesamtkilometer: 91,4
                                                                            Zuletzt geändert von Igelstroem; 12.10.2013, 21:11.
                                                                            Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                            Kommentar


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                                                                              Erfahren
                                                                              • 30.03.2012
                                                                              • 401
                                                                              • Privat


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                                                                              AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                              Danke für den tollen Reisebericht. Es hat Spass gemacht "mitzureisen".
                                                                              ...

                                                                              Kommentar


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                                                                                Fuchs
                                                                                • 30.01.2013
                                                                                • 1944
                                                                                • Privat


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                                                                                AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                Tag 6 (Dienstag, 17.09.): Farrenkopf – Naturfreundehaus Brend




                                                                                Morgens um halb acht zeigt das Außenthermometer 5 °C, in der Hütte ist es immerhin dreieinhalb Grad wärmer. Draußen herrscht Nebel. Ich versuche das schweißnasse T-Shirt von gestern über den Kerzen zu Ende zu trocknen, aber das gelingt letztlich nicht: Ein Versuch, es anzuziehen, scheitert. Immerhin gibt es ja noch ein zweites (sozusagen die bisherige Bekleidungsschicht 1b).

                                                                                ›Als ich loslaufe, beginnt es zu regnen.‹ Es tut mir leid, dass sich dieser Satz wiederholt.

                                                                                Mit den Handschuhen kommt heute sozusagen der vorletzte Ausrüstungsgegenstand zum Zuge, der bisher noch nicht gebraucht wurde. Der letzte wäre dann die Zaubermütze, als Sonnenschutz. Die Handschuhe wiegen 34 Gramm und waren mal dazu gedacht, Spinnen vom Schlafsystem zu entfernen (›anfassen, ohne anzufassen‹). Jetzt bewähren sie sich als rudimentärer Kälteschutz für die Hände.




                                                                                Gegen halb neun also laufe ich los, um neun bin ich an der Büchereckhütte, wo ich den Pfad zur Quelle hinabsteige und meine Wasserflasche auffülle. Wohl das schmackhafteste Wasser, das ich unterwegs gefunden habe.


                                                                                Im weiteren Verlauf des Weges auf dem Kamm findet man nun eine Reihe von Schanzanlagen, die irgendetwas mit der spanischen Erbfolge zu tun haben.

                                                                                (Edit: Mehr hierzu unter dieser Adresse, S. 26ff.:
                                                                                http://www.denkmalpflege-bw.de/filea...er/2010-01.pdf)

                                                                                Dem Fußgänger erschließen sich die Bauformen allerdings kaum, zumal heute vieles von dem, was vorher den unbewaldeten Kamm geschmückt hat, im Wald verborgen ist. Unterstände wie der folgende im Bereich der Hirschlachschanze sind zudem nicht dreihundert Jahre alt, sondern Teil der sogenannten Schwarzwaldkammstellung (1945, Ausmalung später).




                                                                                Kurz hinter der Hirschlachschanze hört der Regen auf und es kommt sogar gelegentlich kurz die Sonne heraus. Das ist ungefähr hier, auch wenn es hier noch nicht aufdringlich nach Sonne aussieht:




                                                                                Der Weg ist allerdings von Waldarbeiten zerfurcht, und auch sonst komme ich nicht besonders schnell voran, da ich unterwegs viele Brombeeren esse. Als Hütte ist noch die sogenannte Gutacher Wache zu vermelden:



                                                                                Der Innenraum ist extrem klein, etwa 3 x 1,60 Meter, aber wenn man den Tisch zusammenklappt (was möglich ist), hat man eine Liegefläche von etwa 2 x 1 Metern auf dem Fußboden. Ferner hat die Hütte einen Ofen (nämlich einen ehemaligen Beistellherd) nebst dem erforderlichen Kleinholz.


                                                                                Kurz nach der Hütte, gegen halb zwölf, erreiche ich den Huberfelsen und mache einige Fotos, da ich nun einmal einen freien Ausblick ohne Nebel und Regen habe.






                                                                                Herbstfarben im Schwarzwald (Rucksack noch mit Raincover der Kultmarke Trash Bag)


                                                                                Am Fuß des Felsens erinnert der Rest eines Wanderschuhs an eine technische Tragödie:



                                                                                Aber mein Schuh ist das ja nicht, Meindl hin oder her.


                                                                                Für einige Minuten scheint jetzt die Sonne. Sie scheint wirklich, und die nasse Forststraße dampft im Licht.

                                                                                Wenig später erreiche ich das Restaurant »Schöne Aussicht« (am Hauenstein), wo ich einkehre, um mit dem Morgenkaffee auch gleich das Mittagessen einzunehmen. Das Menü-Angebot macht es möglich, hier innerhalb des Budgets zu essen. Viel Betrieb ist heute Mittag nicht. Ich habe ein bisschen Empfang und telefoniere beim Essen. Der Wetterbericht verspricht viel Regen, sehr viel Regen und Sturm ab heute Abend und am folgenden Tag. Daraufhin erkläre ich das Naturfreundehaus auf dem Brend zum Tagesziel. Das sind allerdings nach meiner Überschlagsrechnung noch 19 Kilometer (tatsächlich nur 16,5). Da es nun auf ein Uhr zugeht, rufe ich beim Naturfreundehaus an und frage, bis wann ich spätestens dort sein muss.

                                                                                Falsche Strategie.
                                                                                Ich habe Sie jetzt nur teilweise verstanden, aber Sie stellen ja nun die dritte Frage zuerst; die erste Frage müsste doch lauten, ob wir etwas frei haben.
                                                                                Kann schon sein (antworte ich), aber ich bin halt davon ausgegangen, dass es bei diesem Wetter wohl nicht allzu voll sein wird.
                                                                                Das ist Ihre Variante.

                                                                                Wir einigen uns darauf, dass ich halt klingeln muss, falls ich spät komme. Ich rechne damit, dass ich spät ankomme, aber das ist letztlich nicht der Fall, weil die Etappe bis zum Brend vergleichsweise eben und bequem ist. Man kommt schnell voran.





                                                                                Gasthaus Zum Karlstein (geschlossen)


                                                                                An der schön gelegenen Vesperstube Silberberg laufe ich jetzt vorbei – man kann nicht überall einkehren –, aber der nächste Bauernhof wirbt mit einem Milchautomaten zum Selbstzapfen, 50 Cent der Becher. Das lasse ich mir natürlich nicht entgehen, zwei Becher müssen es sein, unter dem schläfrigen Blick der orangenen Katze. Menschen treffe ich hier keine.


                                                                                Eine Viertelstunde später bin ich am Gasthaus Wilhelmshöhe, wo ich ebenfalls zügig vorbeilaufe. Wohl das einzige Mal, dass ich ein Westwegtor zu sehen bekomme:




                                                                                Bald danach geht es durchs Moor zum Blindensee.




                                                                                Was aber auf diesem Streckenabschnitt stärker ins Auge springt als die Naturlandschaft, sind die für den mittleren Schwarzwald typischen, früher autarken großen Einzelhöfe auf der Hochfläche. Wer bei Hausach sich die Zeit genommen hat, das Heimatmuseum (Vogtsbauernhof) zu besuchen, weiß vielleicht ein bisschen mehr darüber. Ich jedenfalls hatte das bei meiner Planung nicht auf dem Schirm, wahrscheinlich hätte mich das zu sehr an das sogenannte ›Neue Wandern‹ als Tourismuskonzept erinnert. Nach der Tour ist die Perspektive aber etwas anders als vorher. Während man der roten Raute hinterherläuft wie ein Esel der Möhre, sprießen am Wegesrand und im Hinterkopf nach und nach historische Fragen, auf die ich einstweilen keine Antwort habe.



                                                                                Short Message an die Nachgeborenen


                                                                                Den Parkplatz auf der Weißenbacher Höhe erreiche ich um kurz nach halb fünf und mache in der Schutzhütte eine kurze Pause. Zum Übernachten scheint diese Hütte ungeeignet, schon weil sie zum Parkplatz hin ausgerichtet ist. Von Schönwald kann man hier herauffahren und eine Runde joggen oder spazierengehen und wieder herunterfahren; entsprechend uncharmant ist der Ort für Fernwanderer.




                                                                                An der Martinskapelle und der Elzquelle laufe ich eiligst vorbei. Hier gibt es allerdings gleich zwei Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten, die gewissermaßen schöner liegen als das Naturfreundehaus. Aber ich habe das nicht näher untersucht. Irgendwann hier beginnt es wieder zu regnen und ich beeile mich, das Naturfreundehaus zu erreichen. Die Hütte, die auf halbem Weg in der Nähe des Günterfelsens liegen soll, sehe ich nicht, kann also auch nichts darüber sagen.


                                                                                Ziemlich genau um 18 Uhr bin ich am Naturfreundehaus, checke ein (natürlich bei dem Herrn, mit dem ich vorhin telefoniert habe), esse zu Abend.


                                                                                Im Aufenthaltsraum treffe ich zwei Typen, die sich über eine sehr detaillierte Flurkarte beugen, vielleicht 1:10 000. Ich frage: »Oh, ist das Ihre Wanderkarte?«, und die Antwort lautet: Jaja, das sei schon seine Wanderkarte, allerdings wandere er ja nicht auf Wegen, sondern eher vertikal am Steilhang. Sehr instruktiv finde ich diese Antwort nicht, aber vorerst folgen keine Erläuterungen. Das ärgert mich ein bisschen und ich gehe wieder hinüber in die Gaststube. Dass es sich um eine dienstliche Besprechung (des freiberuflichen Forstsachverständigen W. mit dem Revierförster) handelt, kann ich ja nicht wissen. Ich erfahre es später.

                                                                                Draußen hat inzwischen der versprochene Sturm eingesetzt. Nicht gerade ein Orkan, aber doch ziemlich nass und ungemütlich.



                                                                                Tageskilometer: 25,1
                                                                                Gesamtkilometer: 116,5
                                                                                Zuletzt geändert von Igelstroem; 20.10.2013, 15:11.
                                                                                Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                Kommentar


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                                                                                  Fuchs
                                                                                  • 30.01.2013
                                                                                  • 1944
                                                                                  • Privat


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                                                                                  AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                  Tag 7 (Mittwoch, 18.09.): Pausentag auf dem Brend


                                                                                  Der Forstsachverständige W. ist beruflich hier und begutachtet den Staatswald, indem er auf bestimmten Flächen Höhe und Stammumfang der Bäume, die Naturverjüngung und diverse andere Parameter bestimmt. So habe ich mir das erklären lassen. Irgendwann sind wir nämlich doch ins Gespräch gekommen, zuerst wohl über meinen, dann über seinen Beruf, genau weiß ich es nicht mehr.







                                                                                  Als wir morgens vor der Tür stehen und das Wetter begutachten, ist für beide klar, dass wir einen Pausentag haben. W. wird einige Stunden mit Aktenordnern und Laptop hantieren, um Daten einzugeben. Ich hingegen kümmere mich um meine Wäsche, später verbringe ich einige Zeit mit den Wanderkarten und dem eingangs erwähnten Wanderbuch über den Schwarzwald, das ich im Bücherschrank gefunden habe. Da ich heute einen Tag verliere, ist das ursprüngliche Ziel, über Feldberg und Belchen ins Münstertal zu laufen (und von dort nach Freiburg zu meinem Bruder zu fahren), nicht mehr realistisch. Ich suche mir also eine neue Route, die früher vom Westweg abzweigt und über St. Märgen und St. Peter Richtung Freiburg führt. Klöster besichtigen. Rokoko kommt mir jetzt gerade recht, nach all dem Regen.


                                                                                  Ebenfalls in jenem Wanderbuch stoße ich auf die Geschichte des Königenhofes: größte Lawinenkatastrophe in der Geschichte des Schwarzwaldes. Der Hof lag zwischen Neukirch und Glashütte (nicht allzu weit von der Kalten Herberge) in einem engen Tal. Der Bauer hatte den Wald am Steilhang oberhalb des Hofes gerodet, um das Holz an die Glashütte zu verkaufen. In einer Sturmnacht Ende Februar 1844 wurde der Hof von einer Nassschneelawine getroffen, bei der das Haupthaus um mehr als zehn Meter verschoben und teilweise verschüttet wurde. Von den 24 Bewohnern überlebten nur sieben.

                                                                                  So erzählt es das Buch, und so ähnlich kann man es auch im Internet nachlesen. Auf der Karte stelle ich fest, dass der Ort eingezeichnet ist, aber es gibt dort jetzt nur noch eine Grillhütte. Den Weg durchs Tal abseits des Westwegs scheue ich wegen der zusätzlichen Höhenmeter. Aber die Geschichte bleibt im Kopf, als Ausgangspunkt für die Überlegung, ob nicht auch eine ganz andere Art des Wanderns, eine Art Arealforschung in einem bestimmten Gebiet möglich wäre, verbunden zum Beispiel mit einer Katalogisierung aller vorhandenen Schutzhütten.

                                                                                  Dem Westweg folge ich schon aus Bequemlichkeit, weil er, von den Abstiegen bei Forbach, Hausach und Titisee abgesehen, auf der Höhe bleibt. Auf die Dauer ist das aber auch topografisch unbefriedigend: Manchmal würde ich gern unten durchs Tal laufen, und manchmal würde ich gern das Tal, in das ich hinuntersehe, noch einmal von der anderen Seite sehen. Das geht beim Streckenwandern kaum. Der Westweg ist ein Weg, auf dem man unentwegt an Landschaften vorbeiläuft, für die man keine Zeit hat.


                                                                                  Am Nachmittag, als der Regen etwas nachlässt, mache ich einen Spaziergang zum Goldenen Raben, der ›nächsten Einkehrmöglichkeit in Laufrichtung‹ (wenn man den Berggasthof auf dem Brend mal nicht mitzählt). Nebenbei werfe ich einen Blick auf den Brendturm, einen kleinen Aussichtsturm, aber das Hinaufsteigen wäre heute ziemlich sinnlos.


                                                                                  Blick vom Brend nach Westen


                                                                                  Der Weg bis zum Raben ist unspektakulär, eigentlich ein weitgehend ebenes Sträßchen zwischen den Wiesen, und an mancher Ecke könnte man sich im Münsterland wähnen, wären da nicht die im Kraftfahrzeugtempo aus dem Wald hervorbrechenden und über den Kamm hastenden Wolkenfetzen. So eilig habe ich es heute nicht.

                                                                                  Das Hotel Zum Goldenen Raben liegt an windgeschützter Stelle, und betritt man die Gaststube, bleibt zusätzlich auch noch die Zeit stehen. Außer der Linzertorte wirkt alles irgendwie alt. Zwei mitteljunge Gäste sitzen immerhin da, und natürlich verstricke ich sie sofort in ein Gespräch (so dass die Wirtin mich später fragt, ob sie mir den Cappuccino noch einmal aufwärmen soll). Die beiden kommen aber trotzdem noch zu Wort und erzählen, dass sie den Westweg von Süden nach Norden laufen. Zuhause sind sie in Lenzkirch – deshalb haben sie nach einer der ersten Etappen in der eigenen Wohnung übernachtet.

                                                                                  Ich erzähle von meinem gestrigen Telefonat mit dem Naturfreundehaus, und die Wirtin amüsiert sich; natürlich seien die Herbergen zu dieser Zeit bei diesem Wetter ziemlich leer. Was den Regen angehe, sei es ja so, dass manche Einheimische nicht so unglücklich darüber seien. Der Sommer war nämlich dieses Jahr so trocken, dass manche Höfe kein Wasser mehr hatten und von ihren Nachbarn mitversorgt werden mussten.


                                                                                  Auf dem Rückweg schüttet es wieder. In Höhe des Brendturms und der im ODS-Schutzhüttenverzeichnis aufgeführten Grillhütte staken vereinzelte Damen mit giftgrünen Quechua-Raincovers den Westweg entlang. Ich sehe genauer hin, dann erkennt man einander: die französische Alpenvereinsgruppe vom Brandenkopf. Ich wähnte sie ja vor mir, aber in Wirklichkeit sind sie vorgestern vom Brandenkopf nur bis nach Hausach gelaufen und haben dort übernachtet, während ich auf dem Farrenkopf war. Heute sehe ich sie freilich zum letzten Mal.


                                                                                  Später, beim Abendessen mit W., taucht auch das Paar aus Lenzkirch im Naturfreundehaus auf. Sie wissen noch nicht, wo sie übernachten sollen – hier oder in einer Schutzhütte. Wir geben ihnen keine eindeutige Empfehlung. Als es schon fast dunkel ist, brechen die beiden auf, um die Schutzhütte beim Günterfelsen zu suchen, die ich gestern nicht gesehen habe.


                                                                                  Den weiteren Abend verbringe ich mit W. im Fernsehraum. SSC Neapel gegen Borussia Dortmund. Nach dem 1:0 tippt W. (der anfangs ununterbrochen kommentiert) auf 1:1, ich halte mit 4:0 dagegen und behalte zumindest insoweit recht, als die Neapolitaner gewinnen und beim 2:1 alle Tore selbst schießen.
                                                                                  Zuletzt geändert von Igelstroem; 20.10.2013, 15:31. Grund: Blödsinn umformuliert
                                                                                  Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                  Kommentar


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                                                                                    Erfahren
                                                                                    • 23.11.2009
                                                                                    • 361
                                                                                    • Privat


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                                                                                    AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                    ?????????????????????????????????????????????????

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                                                                                      Fuchs
                                                                                      • 30.01.2013
                                                                                      • 1944
                                                                                      • Privat


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                                                                                      AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                      Tag 8 (Donnerstag, 19.09.): Brend – Kapfenkapelle


                                                                                      Nach dem Frühstück wird W. von seinem Mitarbeiter mit dem Auto abgeholt. Der Mitarbeiter, erzählt W., ist ein Bundeswehrveteran mit 37 Jahren Dienstzeit, zuletzt Fernspäher gewesen. Er wartet draußen.

                                                                                      Bei mir dauert das Frühstück aber eine Viertelstunde länger und ich breche entsprechend später auf. Kurz nach acht. Zögernd scheint die Sonne. Ein bisschen feucht ist es wohl noch, aber die Landschaft beginnt gleichsam ihre Kleider abzuwerfen.


                                                                                      Blick vom Brend

                                                                                      Man hat sich ja schon verabschiedet, aber an der Grillhütte treffe ich alle noch einmal: W., seinen Fernspäher – und das Paar aus Lenzkirch. Die beiden haben tatsächlich hier in der halboffenen Hütte übernachtet, nachdem sie die Hütte am Günterfelsen im Dunkeln nicht gefunden haben.

                                                                                      Der Herr Fernspäher grüßt mittels leichter Verengung der Nüstern und unmerklichen Nickens. Gut, viel anders grüße ich auch nicht, und wer erkannt hat, welche Passage aus welchem Sarek-Reisebericht ich hier von ferne parodiere, darf und muss im Frühjahr mit Igelstroem ein paar Tage durch Mecklenburg wandern.


                                                                                      Meine heutige Route führt zunächst wieder zum Goldenen Raben, dann an Furtwangen vorbei, das mitsamt seinem Uhrenmuseum links liegengelassen wird. Die Sonne scheint.

                                                                                      Sie scheint auf ein blumengeschmücktes Haus:




                                                                                      Sie scheint in den Wald:




                                                                                      Sie scheint auf dieses Schwein:




                                                                                      Sie scheint auf die Schwarzwaldhochstraße, um die der Westweg sich hier wieder einmal herumwickelt:




                                                                                      Sie scheint schließlich auf die Kalte Herberge, und zwar um zwanzig nach elf:



                                                                                      Angeblich verläuft die Rhein-Donau-Wasserscheide über den Dachfirst.



                                                                                      Da gehe ich dann hinein, einziger Gast um diese Zeit, und frage nach Kuchen.

                                                                                      Zwetschge, Käse mit Rosinen und so weiter. Dann also kein Kuchen.

                                                                                      Während ich weiter die Karte studiere, kommt die Bedienung noch mal: Die Chefin lasse ausrichten, dass in fünf Minuten auch der Bienenstich fertig sei.

                                                                                      Bienenstich habe ich früher im Westfälischen auch nicht gegessen, aber man muss auch mal etwas Neues wagen. Und tatsächlich ist dann der Bienenstich mit Abstand das Beste, was mir unter diesem Namen bisher begegnet ist.


                                                                                      Die Kalte Herberge zeichnet sich weiter dadurch aus, dass sie auch Non-Food im Angebot hat, wie man das jetzt wohl nennt, nämlich die einschlägigen Wanderkarten sowie das ein oder andere Buch. Ich blättere in einem Buch, das den schrecklichen Binnenmajuskeltitel DorfLeben trägt und meinen drängenden kulturgeschichtlichen Fragen gerade zupasskommt. Aber der UL-Gedanke siegt. Ohnehin hat das Tragegewicht in den letzten Tagen zugenommen – im Rucksack stauen sich Würste und Wanderkarten.

                                                                                      Etwa um halb eins breche ich wieder auf und kann bald darauf am Lachenhäusle (der nächsten Ausflugsgaststätte) diesen Blick hier mit den Autofahrern und Autofahrerinnen teilen:



                                                                                      Irgendwo rechts im nächsten Tal, hinter dem bewaldeten Bergrücken, lag der Königenhof.



                                                                                      Inzwischen sind aber meine Schritte auf dem Westweg gezählt. Sieben Kilometer hinter der Kalten Herberge, in der Nähe der Türkenlouis-Schanze, biege ich in Richtung St. Märgen ab.





                                                                                      Abzweig mit Kilometerangaben.


                                                                                      Ich folge der blauen Raute. Wo keine Raute ist, ist auch kein Schwarzwald.

                                                                                      Nächstes Zwischenziel ist das auf dem Schilderbaum ganz oben angezeigte Neuhäusle, wo ich den Nachgeschmack des Bienenstichs durch den Nachgeschmack eines Schinkenproduktes zu ersetzen gedenke. Gegen drei Uhr bin ich dort.

                                                                                      Als ich hineingehen will, kommt mir ein älteres Ehepaar entgegen, sie auf Krücken gestützt. Ach, mir ist gar nicht gut, sagt sie und lehnt sich an einen der draußen stehenden Tische. Und kaum habe ich gefragt, ob ich irgendwie helfen kann, lässt sie auch schon den ersten Stock fallen, dann beinahe sich selbst in ihrer ganzen Leibesfülle, so dass ich ihr in einem Zivildienstreflex von hinten unter die Arme greifen und sie eine Weile halten muss, bis ihr Mann einen Stuhl hingeschoben hat. Aber für die Sicherheit war auch bei diesem Ausflug vorgesorgt: Man hat einen Rollator mit Sitzmöglichkeit dabei, und damit schaffen wir die Dame letztlich heil auf den Beifahrersitz eines Oberklassekraftfahrzeugs. Während die beiden davonrollen, um die Straßen von Bund und Land unsicher zu machen, wende ich mich im Inneren der Herberge einem mehrlagigen Schinkenbrot zu.



                                                                                      Aber da ich noch keine Ahnung habe, wo ich heute Abend schlafen werde, mache ich mich bald wieder auf den Weg. Der führt diesmal über eine Wiesenhochfläche mit Ausblick in beide Richtungen, bevor man den Pfisterwald durchquert, der schon der Stadtwald von St. Märgen ist.






                                                                                      Hier im Wald gibt es eine Schutzhütte, die von der Bauweise her ein bisschen an den Harz erinnert. Aber bleiben will ich hier nicht: zu viele Spaziergänger – nach dem Abendessen wahrscheinlich mit Hunden. Und ein bisschen zu früh ist es auch noch. Ich gehe also in den Ort, und da ich den ja nachgerade besichtigen will, erkundige ich mich zunächst nach Indoor-Übernachtungsmöglichkeiten.





                                                                                      Aber während hier und da meine Preisvorstellungen überboten werden, wird an anderer Stelle gar nicht erst für eine Nacht vermietet. Nicht direkt an mich hattet ihr gedacht, als ihr beschlosset, Gastgeber zu werden. So gibt es denn zwar einen Markt, aber Angebot und Nachfrage wollen und wollen nicht zusammenfinden. Auch an der Informationseffizienz des Marktes mangelt es: Leibhaftige Tourismus-Information gibt es logischerweise nur am Vormittag. Und das Touch-me-Dings vor dem Rathaus, das eigentlich für Unterkünfte rund um die Uhr zuständig ist, möchte zwar laut eigener Auskunft in einer Art Endlosbegrüßungsschleife immer wieder angefasst werden, lässt es aber dabei auch bewenden.

                                                                                      Viel bin ich hin und her gelaufen, mit vielen Menschen habe ich gesprochen, einen Eindruck habe ich bekommen, jawohl. Nach einer Stunde sind wir quitt. Es ist sechs Uhr. Ich gehe nach Nordosten aus der Stadt hinaus, wo ja in der Karte das »Kapfenhäusle« verzeichnet ist, was auch immer das sein mag. Spaziergänger, mit denen ich rede, berichten von einer Kapelle. Dann eben eine Kapelle.





                                                                                      Kapfenkapelle (Aufnahme am nächsten Morgen)


                                                                                      Ausblick von der Kapfenkapelle am Abend


                                                                                      Ist es eine Schutzhütte? Ist es eine Kapelle? Drinnen gibt es ein Kruzifix mit einem Gitter davor. Einige vertrocknete Blumen. Kerzen sind verboten. Zunächst habe ich vor, ein paar Schritte weiter im Gras unter den Bäumen zu nächtigen – es regnet ja nicht. Aber später, als der Wind immer stärker wird, entschließe ich mich doch, im Inneren der Kapelle zu schlafen. Rücke also die Kniebank zur Seite und lege mich da hin, während es draußen kälter und windiger und noch kälter und noch windiger wird, wenigstens scheint es mir so.

                                                                                      Und da ich kleingläubig bin (vgl. Mt. 8,26), schlafe ich in dieser Nacht außerordentlich schlecht. Die Kapelle liegt am Waldrand, nach Westen exponiert. Sie ist sehr solide gebaut und knarrt nicht, aber draußen rauschen die großen Fichten wie das Meer, und der Wind faucht um die Hütte. Eine Tür gibt es ja nicht. Wenn man im Liegen hinausschaut, sieht man die unteren Äste einer Fichte im Wind wedeln, dass einem schwindlig wird. Gleich werden alle diese Bäume auf die Kapelle stürzen. Auch Lothar kam ja unvorhergesehen.

                                                                                      Um zwei Uhr, dann noch einmal um vier, erreicht der vermeintliche Sturm seinen Höhepunkt. Als ich gegen Morgen einmal hinausgehe, stelle ich fest, dass der Wind viel schwächer ist, vielleicht um zwei Stufen schwächer als er sich anhört. Also nicht Windstärke acht, sondern vielleicht sechs. Danach schlafe ich noch eine Weile, bis es hell wird.



                                                                                      Tageskilometer: 26,6
                                                                                      Gesamtkilometer: 143,1
                                                                                      Zuletzt geändert von Igelstroem; 12.11.2013, 00:45. Grund: Ich glaube, ich brauche einen Lektor ...
                                                                                      Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                      Kommentar


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                                                                                        Fuchs
                                                                                        • 30.01.2013
                                                                                        • 1944
                                                                                        • Privat


                                                                                        #44
                                                                                        AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                        Tag 9 (Freitag, 20.09.): Kapfenkapelle – Gundelfingen/Breisgau




                                                                                        Gegen Morgen hat es mal wieder ein bisschen geregnet. Um sieben Uhr messe ich 6,7 °C und 99 % Luftfeuchtigkeit.

                                                                                        Beim Zusammenpacken klettert eine Spinne auf meinem Rucksack herum, die erste, die mir in neun Tagen zu nahe tritt. Ich vertreibe sie. ›Nein, nicht in die Seitentasche. Du musst hierbleiben. Hier ist es schön.‹

                                                                                        Um kurz nach halb acht breche ich auf, Richtung St. Peter. Erst geht es oben am Waldrand entlang; schon nach kurzer Zeit erreicht man die Vogesenkapelle, die noch kleiner ist als die Kapfenkapelle, dafür aber eine Tür hat. Daneben eine große Wiese, die wohl gelegentlich als Gruppenzeltplatz verwendet wird. Die Vogesenkapelle wurde, um die Geschichte kurz zu machen, aus Freude darüber errichtet, dass der Erste Weltkrieg den Schwarzwald verschont hat. Und die Kapfenkapelle aus Freude über irgendjemandes Heilung von Rückenschmerzen.





                                                                                        Bald darauf beginnt der Abstieg nach St. Peter, und wenn man nicht auf das Wanderzeichen achtet, läuft man irgendwann auf Asphaltserpentinen, wo einem rückwärtsfahrende Milchtransporter begegnen. Oder man füttert die hungrigen Ziegen am Wege mit Löwenzahn (wie man es sich in Mecklenburg angewöhnt hat), ohne zu beachten, dass der Zaun mit Strom um sich schlägt. Auch das Wandern in Kulturlandschaften birgt Gefahren.



                                                                                        Blick auf St. Peter


                                                                                        Kurz nach neun Uhr bin ich unten. Zuletzt hat es noch etwas genieselt, so dass ich wieder teilweise Regenklamotten trage, aber das ist das letzte Mal auf dieser Tour. Sie endet ja auch heute Abend.



                                                                                        Straßenunterführung mit spätbarockem Wandgemälde



                                                                                        In St. Peter, frühere Benediktinerabtei, besuche ich die Kirche und verpasse die Bibliothek, weil ich zu diesem Zeitpunkt nichts von ihr weiß und weil es am Freitag wahrscheinlich eh keine Führungen gibt. Man muss sich den Bibliotheksraum etwa so vorstellen wie die unten abgebildete Kirche – nur mit ein paar Bücherregalen anstelle der Altäre (und natürlich etwas kleiner, denn der Katholik braucht nicht viele Bücher).












                                                                                        Anschließend lasse ich mich in einem Café nieder und diskutiere mit der Bedienung, wie man jetzt mal nach dieser Nacht die Koffeinzufuhr maximieren könnte. Vormittagskuchen gibt es auch wieder.

                                                                                        Nebenan in der Touristenversorgungsboutique kaufe ich ein Herz aus Rosenquarz. Dazu muss man natürlich wissen, was wem gefällt, und wahrscheinlich ist das überhaupt schlauer, als unterwegs jene schönen durchzogenen dreifarbigen Granitstücke zu sammeln, die im mittleren Schwarzwald überall auf den Wegen liegen. Während man sie trägt, fühlt man sich von ferne an jene ›unerwarteten quartären Ablagerungen‹ erinnert, die Freiburger Geologiestudenten früher auf dem Schauinsland fanden – weil die französischen Soldaten Steine aus dem Rheintal im Rucksack mit hinauftrugen, die sie dann oben zurückließen.





                                                                                        Kurz nach elf Uhr breche ich wieder auf und gehe auf dem Kandel-Höhenweg Richtung Freiburg. Der zweite und letzte Kamera-Akku bekennt sich zu seiner Schwäche, so dass ich im Folgenden wenig fotografiere, bis ich merke, dass er sich gleichsam wieder erholt hat.

                                                                                        Der Weg ist über einige Kilometer ein schöner Pfad am Hang südlich des Kamms zwischen Glottertal und Dreisamtal; fast der schönste Weg der ganzen Tour, denke ich, während ich dort gehe. Einige Mountainbiker denken es sich ähnlich, und so werde ich gelegentlich von einem hochkonzentrierten Helmträger überholt. An Fußwanderer kann ich mich nicht erinnern. Das Wetter ist übrigens schön; zeitweise scheint die Sonne, so dass ich fast die Sonnenmilch hervorholen muss, aber dann tauche ich doch wieder in den Wald ein.


                                                                                        Später, wenn man sich Freiburg nähert, verliert sich der Charme des Weges allmählich, und beim Abstieg Richtung Gundelfingen bewege ich mich nur noch auf Forststraßen, nachdem ich kurz vorm Martinsfelsen Richtung Zähringer Burg abgebogen bin.


                                                                                        Ich suche heute mal keinen Schlafplatz, aber die Hütten werden trotzdem noch fotografiert:



                                                                                        Streckeneck [Edit: Streckereck oder Strecker Eck muss es wohl heißen] (Hütte mit Rindenmulch)






                                                                                        Nicht so einladend. Wenig östlich vom Martinsfelsen.


                                                                                        Nördlich vom Martinsfelsen gelegen. Hab den Namen der Hütte vergessen. Sie ist abgeschlossen, wirkt von außen etwas finster und heruntergekommen. Zur Not könnte man auf der Veranda übernachten.


                                                                                        Carl-von-Rotteck-Hütte. Der Freiburger Staatsrechtsprofessor Carl von Rotteck besaß hier im frühen 19. Jahrhundert wegen seiner Outdoor- und Wildnissehnsucht einen Bauernhof, der nach seinem Tod abgerissen wurde.



                                                                                        Letztes Landschaftsbild beim Abstieg nach Gundelfingen


                                                                                        Unter normalen Umständen hätte ich mir die Zähringer Burg wenigstens noch angesehen, aber erstaunlicherweise bin ich heute fußmüde. Müdigkeit wäre noch leicht erklärbar, aber werden durch Schlafmangel auch die Füße weich? Jedenfalls deutet sich Blasenbildung an, und nur deshalb, weil ich die Tour heute ohnehin beende, verzichte ich auf Gegenmaßnahmen.


                                                                                        In der Gaststätte an der Zähringer Burg kehre ich kurz ein, aber ich bin der einzige Gast und die zu laute Hintergrundmusik nervt. Der Handy-Empfang ist auch hier noch schlecht, so dass ich Mühe habe, mich mit meinem Bruder zu verabreden.

                                                                                        Der Weg vom Restaurant nach Gundelfingen stellt mich dann noch einmal vor unerwartete Navigationsschwierigkeiten. Das liegt ein bisschen daran, dass es hier nur Zeichen und Wegweiser von lokalen Rundwanderwegen gibt und keinerlei Hinweise auf den nahen Ort. Wer hier unterwegs ist, kennt sich eben aus. Ich brauche sozusagen den Kompass und zwei Anläufe, um an der gewünschten Stelle aus dem Wald herauszukommen.



                                                                                        Und dann endet die Wanderung auf dem Gundelfinger Marktplatz, wo ich meinen Bruder treffe. Am nächsten Tag, bei der Abreise von Freiburg, zeigt sich die Welt herbstbunt unter blauem Himmel wie in den Wanderbüchern. Als wäre nichts gewesen.





                                                                                        Tageskilometer: 24,2
                                                                                        Gesamtkilometer: 167,3



                                                                                        ***

                                                                                        Für Prachttaucher eine kurze Liste der verzehrten Regionalspeisen:

                                                                                        Bibiliskäse: Unterstmatt
                                                                                        Wurstsalat und Verwandtes: Brandenkopf
                                                                                        Leberle: Naturfreundehaus Brend
                                                                                        Schwarzwälder Kirschtorte: nirgends
                                                                                        Zuletzt geändert von Igelstroem; 11.11.2013, 14:40.
                                                                                        Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                        Kommentar


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                                                                                          Erfahren
                                                                                          • 13.08.2013
                                                                                          • 174
                                                                                          • Privat


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                                                                                          AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                          Danke! Hat Spaß gemacht zu lesen und ein wenig in Gedanken mitzuwandern.

                                                                                          Kommentar


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                                                                                            • 43828
                                                                                            • Privat


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                                                                                            AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                            Danke gleichfalls und selbiges auch

                                                                                            ... und ich wundere mich erneut, wie perfekt sich doch "preisen" und "schmeisen" reimen – keinerlei Anlass für ein ß, eigentlich

                                                                                            Kommentar


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                                                                                              Freak
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                                                                                              • 13261
                                                                                              • Privat


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                                                                                              AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                              Nochmals herzlichen Dank für Deinen Bericht! Es ist schon sehr spannend, von "Neigschmeckte' - also Menschen, die unsere Region von außen hineingerochen - also "neigschäckt hän". - die eigene Region quasi aus Aussensicht erzählt zu bekommen.... Zum Thema Martinskapelle : du weißt schon, dass Du an der Donauquelle vorbeigelaufen bist! Und am Güntherfelsen! Und v.a. an der Wirtschaft Martinskapelle! Einem alten Scharzwaldbauernhofwirtschaftsanwesen, das es in dieser Form nur noch ein Jahr lang geben wird....... Dann wird es ein privater Privatierreichmensch als eigen übernehmen......

                                                                                              Ich könnte Dir natürlich auch Sonnenbilder vom Brend geben; aber vermutlich wäre das nicht ganz fair!

                                                                                              Ich hoffe, Du hattest Spass im Schwarzwald
                                                                                              "... „After twenty years he still grieves“ Jerry Jeff Walkers +23.10.2020"

                                                                                              Kommentar


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                                                                                                Fuchs
                                                                                                • 30.01.2013
                                                                                                • 1944
                                                                                                • Privat


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                                                                                                AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                Zitat von uli.g. Beitrag anzeigen
                                                                                                Nochmals herzlichen Dank für Deinen Bericht! Es ist schon sehr spannend, von "Neigschmeckte' - also Menschen, die unsere Region von außen hineingerochen - also "neigschäckt hän". - die eigene Region quasi aus Aussensicht erzählt zu bekommen.... Zum Thema Martinskapelle : du weißt schon, dass Du an der Donauquelle vorbeigelaufen bist! Und am Güntherfelsen! Und v.a. an der Wirtschaft Martinskapelle! Einem alten Scharzwaldbauernhofwirtschaftsanwesen, das es in dieser Form nur noch ein Jahr lang geben wird....... Dann wird es ein privater Privatierreichmensch als eigen übernehmen......

                                                                                                Ich könnte Dir natürlich auch Sonnenbilder vom Brend geben; aber vermutlich wäre das nicht ganz fair!

                                                                                                Ich hoffe, Du hattest Spass im Schwarzwald
                                                                                                Nicht Donau-, sondern Bregquelle meinst Du, gell? Die Donau entspringt ja in Donaueschingen.
                                                                                                Und weil das folkloristisch umstritten ist, steht auch auf der topografischen Karte vorsichtshalber nichts drauf, die benachbarte Elzquelle (auf der anderen Seite der Wasserscheide) ist hingegen namentlich verzeichnet.

                                                                                                Am Günterfelsen (der ohne »h« geschrieben wird) bin ich nicht vorbeigelaufen, sondern der Westweg hat mich genau hingeführt. Aber da regnete es ja schon wieder, alles war schön nass, und ein solcher Felsen wäre ja nur dann attraktiv, wenn man draufklettern und runtergucken könnte wie zum Beispiel beim Huberfelsen.

                                                                                                An der Wirtschaft Martinskapelle bin ich auch nicht ›vorbeigelaufen‹ (obwohl ich das freilich so hingeschrieben habe), sondern ich habe mir die Speisekarte und die Übernachtungspreise genau angesehen. Daran dachte ich, als ich schrieb, dass es hier zwei Übernachtungsmöglichkeiten gibt, die schöner liegen als das Naturfreundehaus: den Kolmenhof und die Gaststätte Martinskapelle. Aber – ich hatte mich ja im Naturfreundehaus schon quasi angemeldet. Und am folgenden Pausentag hätte ich wohl Anlass gehabt, die Besichtigung dieser ganzen Ecke nachzuholen. Aber das habe ich aus dem einzigen Grund nicht getan, dass ich bei dem Sturm nicht durch den Fichtenwald laufen wollte. Man sieht also: Die Welt ist voll von kontingenten Gründen, wieso man etwas tut oder unterlässt. ›Was man nicht gesehen hat, muss man nicht gesehen haben‹; so oder so ähnlich hat es Torres neulich irgendwo geschrieben.


                                                                                                Zu der Frage, ob ich Spaß hatte:

                                                                                                Ich war schon oft im Schwarzwald. Es ist nur größtenteils schon viele Jahre her. Als Kind war ich mehrmals wochenlang im Nordschwarzwald nahe der Hornisgrinde. Vor zehn Jahren war ich für mehr als eine Woche im Münstertal, wo man dann vor allem in der Gegend rund um den Belchen gewandert ist (und auch Bibiliskäse gegessen hat). Das war auch im September, allerdings 2003 und daher bei hochsommerlichen Temperaturen. Und weil ich dort also auch schon einmal war, ist es nicht gar so schlimm, dass ich es diesmal nicht bis dorthin geschafft habe.

                                                                                                Bei der Planung habe ich mir vorgestellt, dass man vielleicht auch mal die Regenklamotten braucht. Aber die Imagination ging natürlich in eine andere Richtung: bei gutem Wetter auf einer Wiese mit Blick in den Sternenhimmel einschlafen und morgens mit Fernblick und Sonne aufwachen. So war das eigentlich gemeint. Dazu ist es jetzt irgendwie nicht gekommen. Das Glück, abends bei schlechtem Wetter zufällig eine Hütte wie die Nikolashütte zu finden, muss dann an die Stelle treten. Man ist ja jetzt eh da und kann sich nicht nach Hause beamen, also arrangiert man sich mit den Verhältnissen und genießt, was es zu genießen gibt. Wenn es eine Gerechtigkeit im Kosmos gibt, hat man vielleicht später bei einer ähnlichen Tour nur zwei Regentage.

                                                                                                Ich hatte also etwas Spaß, ja, hatte ich.

                                                                                                Meine Füße waren warm und trocken, obwohl die Volllederschuhe seit dem dritten Tag durchfeuchtet waren, und auch der Regenvollschutz hat ziemlich dichtgehalten. Wäre es anders gewesen, hätte ich – – – irgendeine andere Lösung gefunden und wahrscheinlich einen zusätzlichen Pausentag eingelegt. Was sonst? Ich konnte ja nicht nach Hause fahren, bloß weil es regnet und meine Ausrüstung durch eventuelles Versagen ›neue Erfahrungen ermöglicht‹. Wäre zum Beispiel der Sturm für den Tag 4 statt für den Tag 7 angekündigt gewesen, wäre die Versuchung groß gewesen, den Pausentag tatsächlich in der Nikolashütte zu verbringen. Wenn man dann vielleicht noch einen Krimi dort zu lesen hätte ...

                                                                                                In einer Region, die ich schon einmal auf einer geradlinigen Strecke durchlaufen habe, würde ich in Zukunft dazu tendieren, das Streckenwandermodell durch ein anderes zu ersetzen, wenn es möglich ist. In den Gegenden des Schwarzwaldes, wo es viele gute Schutzhütten gibt, drängt sich mir das geradezu auf; man muss nur wissen, wo diese Hütten sind. Kann mir aber gut vorstellen, dass dieses andere Modell, bei dem man zwar den Schlafplatz wechselt, aber ein viel kleineres Areal viel intensiver erwandert, nicht jeden fasziniert.

                                                                                                So long (Rest des Beitrags wegen unklaren Gedankens wieder gestrichen).
                                                                                                Zuletzt geändert von Igelstroem; 11.11.2013, 14:38.
                                                                                                Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                                Kommentar


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                                                                                                  • 26.08.2013
                                                                                                  • 229
                                                                                                  • Privat


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                                                                                                  AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                  Danke für diesen Bericht! Die letzten zwei Tage kannte ich mich dann auch wieder aus - weiter als das Elztal bin ich trotz zehn Jahren im Dreisamtal nie nach Norden vorgedrungen, muss ich zu meiner Schande gestehen. Der traumhafte Feldbergblick von St. Märgen/St. Peter (Maria Lindenberg) aus hat sich Dir wohl auch verhüllt, schade. Aber Du hast Dich wirklich tapfer geschlagen und vermutlich die regenreichste Woche in 100 Jahren erwischt. Kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass ich jemals eine Woche Dauerregen erlebt hätte, habe allerdings ja auch nur 10 Jahre davon miterlebt.

                                                                                                  Noch etwas ex-einheimische Klugscheißerei zum Schluß: die Hütte heißt Strecker Eck, nicht Streckeneck .

                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                    • Privat


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                                                                                                    Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen

                                                                                                    Straßenunterführung mit spätbarockem Wandgemälde

                                                                                                    Ohne Kunsthistoriker zu sein: aber mir sieht das eher nach Jugendstil aus.
                                                                                                    Alles unter Nutriscore "D" ist rausgeschmissenes Geld.

                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                      Freak

                                                                                                      Liebt das Forum
                                                                                                      • 21.01.2008
                                                                                                      • 11979
                                                                                                      • Privat


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                                                                                                      AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                      Danke für den sehr unterhaltsamen Bericht. Tröstet ein bißchen über das "ich würde ja auch mal gerne..." hinweg.

                                                                                                      "Der Westweg ist ein Weg, auf dem man unentwegt an Landschaften vorbeiläuft, für die man keine Zeit hat."

                                                                                                      Ein interessanter Gedanke, der vielleicht ein generelles Problem beim Wandern anspricht ?


                                                                                                      Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen
                                                                                                      .....
                                                                                                      Leberle: Naturfreundehaus Brend
                                                                                                      ...
                                                                                                      Soweit wäre ich jetzt nicht gegangen !

                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                        Fuchs
                                                                                                        • 30.01.2013
                                                                                                        • 1944
                                                                                                        • Privat


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                                                                                                        AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                        Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                                                                                                        Soweit wäre ich jetzt nicht gegangen !
                                                                                                        Na ja, das habe ich aber in guter Erinnerung.

                                                                                                        Das Essen im NFH Brend war überhaupt ganz gut, weshalb das Restaurant abends auch ziemlich gut besucht war. (Hausgäste gab es ja bei diesem Wetter kaum.) Der Chef ist freilich auch ein Neigschmeckter und hat seinen eigenen Stil.


                                                                                                        Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                                                                                                        "Der Westweg ist ein Weg, auf dem man unentwegt an Landschaften vorbeiläuft, für die man keine Zeit hat."

                                                                                                        Ein interessanter Gedanke, der vielleicht ein generelles Problem beim Wandern anspricht ?
                                                                                                        Der zitierte Satz ist ein bisschen ungeschützt hingeschrieben, denn man könnte ja der Meinung sein, dass das, wenn überhaupt, dann für jeden Regional- und Fernwanderweg und überhaupt fürs Streckenwandern gilt und keine Besonderheit des Westwegs ist. Die positive Kehrseite des Vorbeilaufens ist, dass man eben die Unterschiede zwischen Nord-, Mittel- und Südschwarzwald im Laufe einiger Tage aus der Nähe zu sehen bekommt.

                                                                                                        Beim Westweg (und womöglich auch beim Rennsteig) ist es nun speziell so, dass er in der Hauptsache dem Kamm folgt und daher bei passendem Wetter immer weite, mehr oder weniger spektakuläre Ausblicke ›liefert‹. Und auch wenn man gerade nicht den Rhein oder die Alpen sieht, guckt man doch vielleicht von oben in ein tief eingeschnittenes Tal, durch das laut Karte ein Weg verläuft und in dem sich eine namenlose Schutzhütte befindet. Das ist dann für mich sozusagen die vage Verheißung einer möglichen anderen Perspektive auf dieselbe Landschaft, einer Perspektive, die man aber nur einnehmen würde, wenn man mal nur noch der Karte und dem Gelände (oder auch irgendeinem historischen Interesse) und nicht mehr dem Wanderzeichen und der Etappenplanung folgen würde. Im Schwarzwald macht sich diese Präsenz anderer Möglichkeiten stärker bemerkbar als in der nordostdeutschen Ebene: weil man das Areal, an dem man vorbeiläuft, eben öfter mal von oben sieht.

                                                                                                        Es geht, wenn man solche Überlegungen anstellt, schon darum, ›alles mit den Füßen zu machen‹, aber ich persönlich suche weder das Ausgesetztsein (für das man weiter reisen müsste als in den Schwarzwald) noch die sportliche Grenzerfahrung. Wandern ist die Aneignung einer Gegend mit den Füßen; als leibliche Erfahrung zwar, aber der Weg ist dabei kein Instrument des Trainings, sondern das Training dient umgekehrt nur dazu, den Schmerzanteil an der leiblichen Erfahrung in Grenzen zu halten.

                                                                                                        Das ist natürlich kein ›protestantisches Wanderethos‹.

                                                                                                        [Edit: Der Begriff ›protestantisches Wanderethos‹ in Anlehnung an ›protestantisches Arbeitsethos‹ stammt eigentlich von Pfad-Finder. Wir haben den Berliner Stammtisch dazu genutzt, die konfessionellen Unterschiede zu klären. Kurze Zusammenfassung: Die Ausübung von Zwang gegenüber dem eigenen Körper, hier insbesondere bei Tagesstrecken von mehr als 45 km, ist aus protestantischer Sicht ›reine Kopfsache‹, aus katholischer Sicht hingegen einfach ›Sünde‹. ]
                                                                                                        Zuletzt geändert von Igelstroem; 16.11.2013, 21:41.
                                                                                                        Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                          AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                          Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                                                                                                          "Der Westweg ist ein Weg, auf dem man unentwegt an Landschaften vorbeiläuft, für die man keine Zeit hat."

                                                                                                          Ein interessanter Gedanke, der vielleicht ein generelles Problem beim Wandern anspricht ?
                                                                                                          Natürlich ist es kein alleiniges Problem des Westweges. In der Regel legt man seine Tour in eine interressante Gegend. Da sollte es nicht verwunderlich sein, dass es noch mehr gibt, als den Weg. Das Problem steht ja schon im zitierten Satz, "keine Zeit".

                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                            Erfahren
                                                                                                            • 30.04.2013
                                                                                                            • 172
                                                                                                            • Privat


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                                                                                                            AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                            Auch von mir ein "Dankeschön" für Deine Tourbeschreibung.
                                                                                                            Du hattest ja wirklich schöne und interesante "überdachte Nachlager" gefunden. Hat mich sehr an meine früheren Touren mit meinen "Jungs" erinnert. Vor 19Jahren hatten wir begonnen einmal im Jahr unsere schöne Natur zu erleben und genießen. In den ersten 10 Jahren haben wir auch nur draußen geschlafen. Teilweise auch komplett ohne Überdachung. Einfach so auf einer Lichtung. Einmal in Thüringen auf dem Hermannsberg "mussten" wir zu 4. auf und unter einer überdachten Tisch-Bank-Garnitur schlafen. Zwei auf dem Tisch (auf Grund des Platzmangels entgegengesetzt. Zum Glück waren die Schlafsäcke so gut isoliert, dass keinerlei Gerüche nach aussen drangen. Ein Kriterium, das , bis zu diesem Zeitpunkt, keinen großen Stellenwert einnahm. In dieser Schlafposition aber einen sehr dominanten Stellenwert bekam. ) Die anderen Beiden schliefen unter dem Tisch. Mit den Regenponchos konnten wir den seitlichen Regen auf Abstand halten. (Übrigens fielen wir nicht vom Tisch. )
                                                                                                            Nächstes Jahr steht bei uns die Jubiläumstour "20 Jahre" an und es scheint darauf hinauszulaufen, dass es wohl eine Retrotour werden soll. Als "back in the bag".
                                                                                                            Aber ich muss sagen, der Westweg klingt auch sehr nett, vielleicht erkunden wir auch diesen.
                                                                                                            Mal schauen.
                                                                                                            Nochmals vielen Dank.
                                                                                                            Trekker T
                                                                                                            Zuletzt geändert von TrekkerT; 14.11.2013, 09:34.
                                                                                                            Back to the boots ---- the-trekker.de

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                                                                                                              • 11108
                                                                                                              • Privat


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                                                                                                              Post als Moderator
                                                                                                              Die hier jetzt fehlenden Beiträge habe ich in einen anderen thread verschoben - klick. Dort passen sie besser hin, da sie mit dem aktuellen reisebericht nur noch wenig zu tun haben.

                                                                                                              Bei Nachfragen bitte eine PN an den Moderator senden.  Dein Team der
                                                                                                              Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um.

                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                Erfahren
                                                                                                                • 13.08.2013
                                                                                                                • 174
                                                                                                                • Privat


                                                                                                                #56
                                                                                                                AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                Kannst du bitte noch ein bisschen was zu deiner Ausrüstung sagen und wie sie sich bei dem Wetter geschlagen hat?
                                                                                                                Zuletzt geändert von benett; 17.11.2013, 01:07.

                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                  Fuchs
                                                                                                                  • 30.01.2013
                                                                                                                  • 1944
                                                                                                                  • Privat


                                                                                                                  #57
                                                                                                                  AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                  Kann ich machen.


                                                                                                                  (1) Transport:

                                                                                                                  Der verschiedentlich auf den Bildern zu sehende Rucksack ist ein Berghaus Centurio 45 mit Seitentaschen (45+10+10=65). Er hat einen ungepolsterten Hüftgurt, den ich gar nicht verwende. Der Rucksack wird also bei mir wie ein Tornister getragen. Ich empfehle das nicht zur Nachahmung, aber bei mir funktioniert es gut. Die Schultergurte sind anatomisch geformt, der entsprechend kurze Brustgurt wird immer geschlossen.

                                                                                                                  Eigengewicht des Rucksacks mit Seitentaschen ca. 1900 Gramm, Tragegewicht bei mir ca. 9 kg ohne Proviant und Wasser, also ca. 12 kg incl. Proviant und Wasser.

                                                                                                                  Schlafsack, Isomatte, Biwaksack und Kleidung sind normalerweise in der Haupttasche verpackt; obendrauf, quasi am Nacken, kommt noch die Nalgene-Oasis-Flasche. Ansonsten sollte nichts Druckempfindliches in der Haupttasche sein, so dass der Rucksack in der Pause bei trockenem Wetter als Sitz verwendet werden kann.

                                                                                                                  Die übrigen Ausrüstungsgegenstände, der Proviant und eine zweite, kleinere Wasserflasche verteilen sich auf die beiden Seitentaschen und die Deckeltasche. Die Seitentaschen sind nicht voll, sondern nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt. Das hat den Vorteil, dass eventuelles Ungleichgewicht durch Umpacken von Einzelteilen leicht ausgeglichen werden kann und das Einpacken ziemlich schnell geht.

                                                                                                                  Gürteltaschen für Wasser und Proviant, wie früher mal geplant, verwende ich nicht mehr, weil sich das als ergonomisch ungünstig herausgestellt hat.

                                                                                                                  Allerdings sind die Seitentaschen der Bundeswehr-Flecktarnhose gut gefüllt: Karte, Kompass, Handy, evtl. kleine Menge Proviant (Nüsse), Notizbuch und Bleistift in kleinem Ziploc-Beutel. [Edit: Und die Kompaktkamera, nicht zu vergessen. Die muss in einer der Seitentaschen der Hose mitgeführt werden und entsprechend klein sein; sonst würde ich mir zumal bei schlechtem Wetter nicht die Mühe machen, sie an jeder Ecke herauszuholen.]


                                                                                                                  (2) Schlafsystem:

                                                                                                                  Der Schlafsack ist ein Snugpak Softie 9 Hawk: Kunstfaser, 1580 Gramm, relativ weit geschnitten, gut komprimierbar und daher annehmbares Packmaß. Kaum verringerte Wärmeleistung bei etwas Feuchtigkeit – das war die eine Erfahrung. Andererseits entspricht die Wärmeleistung nicht der Herstellerangabe – das war die andere Erfahrung. Der Hersteller gibt –5 °C als Komfortgrenze an. Das gilt aber wohl nur, wenn man zu zweit und mit Klamotten im Zelt schläft. Ansonsten endet bei mir der Komfort ungefähr bei +5 °C. Dabei ist zu bedenken, dass ich ohne Kocher unterwegs bin und daher abends keine warme Mahlzeit und auch sonst nichts Warmes zu mir nehme.

                                                                                                                  Laminat-Biwaksack der britischen Armee in Tarnmuster, ziemlich großzügig geschnitten, wiegt aber 800 Gramm. Die zusätzliche Wärmeleistung ist gering, nicht mehr als zwei bis drei Grad. Die Isomatte habe ich mit hineingelegt. So war das auch gedacht: als Schutz für Isomatte und Schlafsack beim Schlafen auf Naturböden und in der Hütte, und um das Herunterrollen von der Isomatte zu vermeiden. Ferner als atmungsaktiver Regenschutz bei nachts einsetzendem Regen, falls ich draußen ohne Tarp schlafe oder das Tarp als Regenschutz nicht ausreicht. Dazu ist es aber nicht gekommen (habe ja in Hütten geschlafen), und insofern ist auch die Wasserdichtigkeit nicht getestet worden.

                                                                                                                  (Ich besitze außerdem einen in früherem Bericht zu sehenden abspannbaren Biwaksack mit Gestängebogen und Moskitonetz. Den habe ich diesmal nicht mitgenommen, weil er 300 g schwerer ist, weil ich mich auf das Vorhandensein von Hütten verlassen habe und weil das Moskitonetz im September nicht gebraucht wird und eher stören würde.)

                                                                                                                  Nennenswerte Probleme mit Kondens in dem britischen Biwaksack hatte ich nicht.

                                                                                                                  Ferner hatte ich ein kleines Tarp dabei (BE-X Tarp Pocket II, 145x240 cm, 280 g). Es war für den Fall gedacht, dass ich keine Hütte finde, und entsprechend mit Schnüren zum Abspannen zwischen zwei Bäumen ausgestattet. Habe das aber so nicht verwendet und unklugerweise auch nie ausprobiert.

                                                                                                                  Isomatte: TAR Trail Lite Regular; selbstaufblasend, 3,8 cm dick, aber auch 780 g schwer. Den Komfort brauche ich als Seitenschläfer schon (2,5 cm reichen mir erfahrungsgemäß nicht), insbesondere wenn ich mir die Bodenbeschaffenheit nicht aussuchen kann. Zweimal habe ich auf Steinplatten geschlafen, einmal auf Schotter, zweimal auf Holzdielen. (Eventuell könnte man in Zukunft mit einer TAR Prolite Plus Short auskommen, wenn man die Seitentaschen vom Rucksack abzippt und die Haupttasche (die dann nur noch Wechselklamotten enthält) unter die Füße legt.)


                                                                                                                  (3) Regenschutz:

                                                                                                                  Die Regenjacke war eine Cox Swain Helki Funktionsregenjacke (470 g), also kein Edelprodukt, aber sie war dicht. Auch an den Rucksackgurten ist nichts durchgekommen. Lediglich die Ärmelbündchen saugen sich eventuell irgendwann voll. Die Wasserdampfdurchlässigkeit hält sich in Grenzen (5000 irgendwas), das war aber beim Wandern zumindest bei diesen Temperaturen (5-15 °C) keine auffällige Belastung.

                                                                                                                  Die Jeantex-Regenhose (320 g) ist 10-15 Jahre alt, zeigt keinerlei Abperl-Effekt mehr, ist aber ebenfalls leidlich dicht. Am dritten Tag ist im Starkregen etwas Wasser irgendwo eingesickert, so dass die Flecktarnhose ein paar feuchte Flecken hatte, aber keineswegs regelrecht durchnässt war.

                                                                                                                  Als Rucksack-Regenhülle habe ich eine Mülltüte verwendet (30 g), die ihre Funktion erfüllt hat. Sie erschwert freilich den Zugang zum Rucksack erheblich, d.h. sie muss jedes Mal mehr oder weniger weit nach oben abgezogen oder abgerollt werden, wenn man etwas aus dem Rucksack herausholen will. Ein normales Raincover passt nicht besonders gut auf die Rucksackform; im schlimmsten Fall bildet sich am unteren Ende des Raincovers ein Sack, in den Wasser hineinlaufen kann. Andererseits bleibt bei der Verwendung des Baumarkt-Müllsacks der Boden des Rucksacks ungeschützt, wenn man ihn abstellt. Das kann bei nassem Wetter zur Durchfeuchtung des Rucksacks am unteren Ende führen, wie ich es erlebt habe. Der dort positionierte Schlafsack sollte also separat wasserdicht verpackt sein. Zu diesem Zweck habe ich aus der Haaghütte einen kaputten, aber sauberen ›Gelben Sack‹ mitgenommen, in den ich den Schlafsack an den Folgetagen eingeknotet habe.


                                                                                                                  (4) Kleidung:

                                                                                                                  Die Flecktarnhose hat sich insoweit bewährt, als sie eben hinreichend robust ist, eventuelle Flecken wenig auffallen und die Seitentaschen etwas größer sind als bei älteren Bundeswehrhosen; deshalb passen die topographischen Karten gut hinein. Ich habe diesmal die Hose im Schlafsack anbehalten, damit ich morgens nicht in eine klamme Hose steigen muss. Natürlich müssen dann abends die Seitentaschen ausgeräumt und muss der Inhalt irgendwie geordnet in der Hütte oder im Rucksack abgelegt werden. Im Freien würde man eventuell zusätzliche Ziploc-Beutel benötigen, um Ordnung zu halten.

                                                                                                                  Als erste Bekleidungsschicht hatte ich drei verschiedene schwarze Kunstfaser-T-Shirts dabei, alle mit kurzem Arm:
                                                                                                                  (a) ein Under-Armour-Kompressionsshirt für heiße Tage (allerdings groß genug gewählt, dass es nur gut sitzt und nicht komprimiert); das habe ich letztlich nur in den Innenräumen der Wanderheime sowie auf der Rückfahrt getragen;
                                                                                                                  (b) ein Micromodal-T-Shirt (Mey), das immerhin schneller trocknet als Baumwolle, aber nicht so schnell wie Polyester. Angenehme Trageeigenschaften, aber dieses T-Shirt habe ich beim Aufstieg zum Farrenkopf unter dem Powerstretch-Hoodie so durchgeschwitzt, dass es bis zum nächsten Morgen in der Hütte nicht getrocknet ist;
                                                                                                                  (c) ein relativ warmes Odlo-T-Shirt, das sich funktionell bewährt hat, auch wenn es nicht ganz so gut sitzt wie die beiden anderen. Zeitweise habe ich (b) und (c) übereinander getragen. Mit (a) geht das nicht so gut, weil (a) eine kühlende Wirkung hat, die sich auch dann noch bemerkbar macht, wenn man etwas Warmes darüber trägt; (a) ist also als unterste von mehreren Schichten ungeeignet.

                                                                                                                  Merino-Unterwäsche besitze ich zwar, kann ich aber leider als erste Schicht nicht tragen, weil es bei mir stark kratzt (obwohl ich sonst an Wolle als zweite oder dritte Schicht über Baumwolle gewöhnt bin).

                                                                                                                  Zweite Bekleidungsschicht ist ein Mountain Equipment Powerstretch-Hoodie, das sich jedenfalls eignet (und ich wüsste im Moment auch keine Alternative); man muss aber wissen, dass es keineswegs winddicht ist. Beim Aufstieg zum Farrenkopf habe ich die T-Shirts (b) und (c) darunter getragen und wollte das Hoodie nicht ausziehen, weil es kalt und windig war. Regenjacke wäre zu schweißtreibend gewesen, T-Shirts allein schienen mir zu kalt. Der Effekt war, dass ich eben das unterste T-Shirt nassgeschwitzt habe, das zweite war noch einigermaßen trocken. Nur T-Shirt in Verbindung mit der Regenjacke (wie manchmal an den anderen Tagen bei Regen) wäre womöglich die bessere Wahl gewesen, aber das lässt sich jetzt nicht mehr nachprüfen.

                                                                                                                  Dritte Bekleidungsschicht war ein britischer Armeepullover, reine Wolle, sehr gut sitzend, ca. 600 Gramm. Den habe ich dann bei Kälte unterwegs und häufig abends über dem Hoodie getragen. Solange man keine großen Aufstiege zu bewältigen hat, ist die Kombination aus T-Shirt, Hoodie, Pullover und evtl. dünnen Handschuhen ganz angenehm. Die Winddichtigkeit hat bei den gegebenen Temperaturen ausgereicht, solange ich in Bewegung war.

                                                                                                                  Schuhe: Meindl Badile (Vollleder, zwiegenäht); als Socken Polypropylen-Unterziehsocken (Rohner) und dicke Meindl-Kniestrümpfe. Die Stiefel waren ab dem dritten Tag auch innen etwas feucht, aber nicht so sehr, dass ich es an den Füßen gespürt hätte. Ich habe es erst bemerkt, als ich abends hineingefasst habe. Die Kniestrümpfe waren nicht feuchter als wenn man im Sommer darin normal geschwitzt hätte. Blasen hat es nicht gegeben; allerdings sollte man wohl die Unterziehsocken bei einer mehrtägigen Tour rechtzeitig waschen oder wechseln, sonst hat man nicht mehr den gewünschten Effekt (den Fuß trockenzuhalten und vor Reibung zu schützen).
                                                                                                                  Wie immer man das findet – ich habe jedenfalls die Socken beim Schlafen im Schlafsack anbehalten, hatte auch keine anderen zu diesem Zweck mitgenommen.
                                                                                                                  Die Regenhose ist hinreichend lang, dass sie auch bei geschlossenem Reißverschluss nicht über den Schaft der Stiefel hochrutscht. Es ist also auch bei starkem Regen kein Wasser von oben in die Stiefel hineingelaufen; ganz sicher war ich mir da vorher nicht.
                                                                                                                  Die Stiefel trocknen in der Schutzhütte während der Nacht natürlich nicht. Soweit es in den Hütten Zeitungspapier zum Feuermachen gab, habe ich damit die Schuhe ausgestopft, was immerhin einen gewissen Effekt hat.
                                                                                                                  Zuletzt geändert von Igelstroem; 21.11.2013, 15:14.
                                                                                                                  Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                    Erfahren
                                                                                                                    • 13.08.2013
                                                                                                                    • 174
                                                                                                                    • Privat


                                                                                                                    #58
                                                                                                                    AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                    Wow, Danke, so ausführlich hatte ich mir das gar nicht erhofft!
                                                                                                                    Wenn ich nochmal so frech sein darf: Würdest du im nachhinein sagen, der Biwaksack war sinnvoll? Oder hätte irgendein Groundsheet auch gereicht?
                                                                                                                    Hab ich beim Rucksack richtig verstanden, du hattest keinen Bagliner, sondern nur die Mülltüte als Überzug und dann noch die Tüte für den Schlafsack?
                                                                                                                    Stell ich mir das bei den Klamotten richtig vor, dass ab dem 2.-3. Tag alles mehr oder weniger dauerfeucht war, oder hast du das Zeug noch trocken bekommen?

                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                      Fuchs
                                                                                                                      • 30.01.2013
                                                                                                                      • 1944
                                                                                                                      • Privat


                                                                                                                      #59
                                                                                                                      AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                      Na ja, der Biwaksack war nahezu überflüssig. Man wäre bei dem gleichen Übernachtungsverhalten auch ohne ihn ausgekommen. Aber dabei ist vorausgesetzt, dass man Hütten findet, dass es in die Hütten nicht hineinregnet und dass man sich keine anderen Optionen offenhalten will. Das weiß man vielleicht vorher nicht, und die ersten beiden Bedingungen sind jedenfalls auch nicht in allen deutschen Wandergegenden gegeben. Insofern würde ich sagen: Zelt oder Biwaksack und nur unter besonderen Bedingungen keins von beidem. (Natürlich muss ein Biwaksack nicht unbedingt 800 g wiegen.) Falls man sich aber auf die Hütten verlässt und auf den Biwaksack verzichtet, sollte man in der Tat ein Groundsheet mitnehmen.

                                                                                                                      Zum Rucksack: Nein, ich hatte keinen Bagliner. Die gerollte Isomatte und der Biwaksack stecken ja eh noch in irgendwelchen, wenn auch nicht wasserdichten Packsäcken, und die Gegenstände in den Seitentaschen sind zum Teil in Ziplocs verpackt. Und die Mülltüte als Regenhülle ist nun einmal dicht. Der Rucksack ist also von oben nicht nass geworden. Der worst case wäre, dass die Hülle bald zerreißt, weil man ja bereits Schlitze für die Träger hineingeschnitten hat und dann auch noch die Hülle häufig abzieht. Für diesen Fall, der nicht eingetreten ist, hatte ich auch noch einen zweiten Müllbeutel dabei, den man prinzipiell auch gleich als Liner hätte einsetzen können, aber daran habe ich unterwegs nicht gedacht. Ich würde übrigens bei dem äußeren Überzug das nicht dehnbare Knistermaterial weiterhin vorziehen, weil ich es für reißfester halte. Muss mich mal wieder im Baumarkt umsehen.
                                                                                                                      Ob es praktischer ist, den Müllsack von vornherein als Liner einzusetzen, weiß ich nicht. Ich hätte Bedenken, dass sich dann bei starkem Regen der Rucksackstoff maximal vollsaugt und dadurch schwerer wird; ferner weiß ich nicht, ob ein quasi wasserdampfdichter Einschluss der Ausrüstung und Kleidung in der Haupttasche wirklich eine gute Idee ist.

                                                                                                                      Die Kleidung war keineswegs dauerfeucht. Sie würde vielleicht dauerfeucht werden, wenn die Regenkleidung undicht wäre, aber das war ja nicht der Fall. Leicht feuchte Kleidung trocknet ja leidlich am Körper beim Gehen oder auch beim Sitzen im Restaurant. Außerdem habe ich nach den Tagen 4, 6 und 7 in festen Häusern geschlafen; auf dem Brend habe ich auch Wäsche (im Waschbecken) gewaschen und auf dem Zimmer getrocknet.
                                                                                                                      Wenn man mehrere Nächte im Freien oder in Hütten verbringt und die Luftfeuchtigkeit bei 95 % liegt, ist die Kleidung natürlich nicht mehr schranktrocken, sondern leicht klamm. Aber solange sie nicht wirklich nass wird, ist das ja kein Problem. Nur zweimal sind Kleidungsstücke unterwegs nass geworden: die Hose ein bisschen auf dem Schliffkopf – sie war aber nach zwei Stunden Aufenthalt im Hotel wieder trocken; das eine T-Shirt beim Aufstieg zum Farrenkopf durch Schweiß – das habe ich erst am nächsten Tag auf dem Brend wieder getrocknet.
                                                                                                                      Was freilich unterwegs kaum mehr richtig trocken wird, ist die Regenkleidung. Sie saugt ja etwas Nässe auf. Wenn der Regen aufhört, lässt man sie meistens noch eine Viertelstunde antrocknen, bevor man sich traut, sie auszuziehen. Dann kommt sie noch ziemlich klamm (aber nicht triefend) in den Rucksack, oft in die Seitentaschen, ohne dort Schäden anzurichten. Wenn man sie nach einer Stunde wieder anziehen muss, ist sie folglich immer noch klamm und fühlt sich beim Anziehen weich und kühl an. In den Hütten habe ich immer beide Teile so gut es ging ausgelegt oder aufgehängt; morgens waren sie dann etwas weniger feucht als abends, aber keineswegs richtig trocken. Das habe ich aber auch nicht anders erwartet. Als Alltagsradfahrer kennt man ja die Materialeigenschaften seiner Regenkleidung.



                                                                                                                      Habe ich noch etwas vergessen?

                                                                                                                      Beim Schlafen im Freien oder in einer Schutzhütte brauche ich unterhalb von 10-12 °C unbedingt eine Sturmhaube. Bei den gegebenen Temperaturen genügte aber ein ziemlich dünnes Baumwollteil (vor vielen Jahren beim lokalen Revolutionsbedarf M-99 gekauft).
                                                                                                                      Zuletzt geändert von Igelstroem; 19.11.2013, 18:21.
                                                                                                                      Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                        Erfahren
                                                                                                                        • 30.04.2013
                                                                                                                        • 172
                                                                                                                        • Privat


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                                                                                                                        AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                        Hallo Igelstroem,

                                                                                                                        es freut mich, dass Du das Thema Regenschutz für den Rucksack ausführlich beschrieben hast.
                                                                                                                        Ich habe auch immer das Problem mit dem "feuchten Rucksack" wenn es so viel regnet. Meine "Jungs" laufen bei Regen immer mit Poncho, aber ich mag Ponchos irgendwie nicht so gern. Ich habe für mich die Variante Regenjacke und -hose gewählt, da habe ich das angenehmste Gefühl beim Laufen. ABER dadurch habe ich das Problem mit dem feuchten bis nassen Rucksack. Von aussen habe ich den Regenüberzug drüber aber der Regen, der auf meiner Regenjacke ziwschen Rücken und Rucksack herunter läuft, endet dann spätestens am Beckengurt und wird dann gern von meinem Rucksack aufgesogen. Und dadurch werden meine Klamotten im Rucksack nass. Habe jetzt schon mit einem zusätzlichen dünnen Sack im Rucksack gearbeitet. War schon deutlich besser, aber der Rucksack hat auf dauer trotzdem den Regen aufgesogen und damit auch an Gewicht zugenommen.
                                                                                                                        Deine Variante mit der Tüte über den Sack steigert sicher nicht den Attraktivitätsfakor aber scheint eine gute Variante zu sein, oder? Wie hast Du das mit den Tragegurten gemacht? Hast Du Schlitze in den Sack geschnitten und die Schultergurte aus den Verbindungsschnallen gezogen und dann durch die Schlitze im Sack und wieder zurück in die Verbindungsschnallen???? (Ich hoffe, Du hast verstanden, was ich meine?! ) Da Du ja den Beckengurt nicht benutzt, hast Du den Sack sicher einfach nur über den Beckengrut gezogen, oder? Da sehe ich aber nicht so die Probleme, da würde ich auch einfach Schlitze in den Sack schneiden und den Beckengurt jeweils links und rechts durchziehen.

                                                                                                                        Habe ich das jetzt bei den Schultergurten so richtig verstanden oder hast Du noch eine andere Variante?

                                                                                                                        Trekker T
                                                                                                                        Back to the boots ---- the-trekker.de

                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                          Fuchs
                                                                                                                          • 30.01.2013
                                                                                                                          • 1944
                                                                                                                          • Privat


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                                                                                                                          AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                          Hier mal ein Foto, damit das Ausmaß der Improvisation deutlich wird:





                                                                                                                          Ich habe also nicht vier horizontale Schlitze gemacht, durch die ich dann fein säuberlich die Schultergurte durchgefädelt hätte. (Das würde auch dazu führen, dass man die Hülle kaum noch abnehmen könnte, es sei denn, sie wäre riesengroß.)

                                                                                                                          Die erwähnten Schlitze sind vielmehr Längsschlitze bzw. klaffende Löcher. Wie man sieht, habe ich als Weiterreißschutz auch irgendwo ein bisschen Tape verklebt, aber je nach Material des Müllbeutels ist das entweder überflüssig oder es muss genauer und umfangreicher ausgeführt werden. Bei mir hat das im weiteren Verlauf eigentlich keine Rolle gespielt.

                                                                                                                          Was mit dem Regenwasser zwischen Regenjacke und Rucksack geschieht, weiß ich offen gestanden nicht genau. Ich hatte vorher imaginiert, dass bei Dauerregen sicher irgendwann Wasser durch die Jacke gedrückt wird oder den Rucksack vom Rücken her durchnässt (oder beides). Ersteres ist überhaupt nicht vorgekommen, Letzteres hat sich sehr in Grenzen gehalten. Bei der Befeuchtung des Schlafsacks am dritten Tag habe ich angenommen, dass sie allein durch das Abstellen des Rucksacks auf sehr nassem Boden erfolgt ist, denn der Unterboden des Rucksacks war jedenfalls nass. Aber vielleicht hat es sich teilweise auch um Wasser gehandelt, das vom Rücken her einsickert. Dass das am Rücken ablaufende Wasser den Rucksack nirgends erreicht, ist ja bei der Müllbeutelkonstruktion kaum denkbar. Aber richtig viel Wasser war es eben im Verhältnis zur Regenmenge auch nicht. Deshalb habe ich es auch nicht genauer untersucht. Außer am dritten Tag war der Rucksack abends immer »so gut wie trocken«.

                                                                                                                          Wenn man die Effektivität solcher Konstruktionen im Vorhinein untersuchen will, muss man damit vielleicht mal unter die Dusche gehen. Das habe ich nicht getan.

                                                                                                                          Der Hüftgurt des Rucksacks tritt bei mir gar nicht als Hindernis in Erscheinung. Dass er ungepolstert ist, bedeutet ja praktisch, dass es sich nur um ein (sehr weit unten angenähtes) breites Gurtband mit Schnalle handelt, das bei Nichtbenutzung irgendwie zusammengeknotet wird und dann unter dem Rucksack ein bisschen herumbaumelt.
                                                                                                                          Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                            • 43828
                                                                                                                            • Privat


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                                                                                                                            AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                            Ich habe neulich mal das Material eines kaputten Schirms genutzt. Metallgestänge natürlich raus – an den Spitzen ging das ganz gut, da es nur über das Gestänge gestülpte Plastik-Käppchen waren. Dann jeweils 2 Spitzen und den dahinter liegenden Stoff um die oberen Enden der Träger herumgeknotet. Die weiteren Spitzen ließen sich dann um den Rucksack herum ziehen und knoten, sodass das Ganze letztendlich ziemlich gut saß. Fällt natürlich unter "urban outdoor" (wo findet man sonst einfach so kaputte Schirme, aber da es auch noch stürmte, war die Auswahl sehr groß ), sah auch etwas merkwürdig aus, aber war effektiv regenabweisend

                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                              Erfahren
                                                                                                                              • 30.04.2013
                                                                                                                              • 172
                                                                                                                              • Privat


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                                                                                                                              Vielen Dank für das Foto, jetzt weiß ich wie provisorisch (aber doch effektiv) Deine Variante war. Als Verbesserung fällt mir spontan ein, ziwschen den Trägern den aufgeschnittenen Sack mit Tape wieder zu schließen, dann kommt noch weniger Wasser durch. (Aber man kommt auch noch weniger an den Inhalt des Rucksacks. )
                                                                                                                              Der feuchte Schlafsack und der feuchte untere Bereich Deines Rucksacks wird mit Sicherheit auch ein Resultat der großen Öffnungen sein.

                                                                                                                              @lina:
                                                                                                                              Das ist ja auch eine sehr interessante Variante, den ausgedienten Schirm umzubauen. Ich bin am Überlegen, ob man nicht sogar aus einem wasserfesten Stoff den "Miniponcho" selber näht oder nähen lässt. Fixt vorn an den Schultergurten und hinten über den Rucksack hängend. Kein Wasser zwischen Rücken und Rucksack, man kommt schnell und gut an den Rucksack und ich kann in Regenhose und -jacke laufen. Klingt für mich perfekt. (da freue ich mich ja schon auf die nächste Tour im Dauerregen.)
                                                                                                                              Mir fällt spontan mein Regenponcho ein, den ich ja eh nicht mehr benutze.
                                                                                                                              Also vielen Dank an Euch Beide, für die beflügelnden Ideen. Vielleicht sind ja schon nächstes Jahr Fotos von meiner Umsetzung der "Ideenbündelung" auf unserer Seite zu sehen.

                                                                                                                              Herzliche Grüße Trekker T
                                                                                                                              Back to the boots ---- the-trekker.de

                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                Fuchs
                                                                                                                                • 30.01.2013
                                                                                                                                • 1944
                                                                                                                                • Privat


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                                                                                                                                Zitat von TrekkerT Beitrag anzeigen
                                                                                                                                Der feuchte Schlafsack und der feuchte untere Bereich Deines Rucksacks wird mit Sicherheit auch ein Resultat der großen Öffnungen sein.

                                                                                                                                Da bin ich nicht so sicher. Vielleicht teste ich das noch mal, indem ich damit unter die Dusche gehe (und dort Wanderbewegungen mache, damit hinterher nicht behauptet wird, der Test sei unrealistisch).

                                                                                                                                Apropos: Wo sind eigentlich die ganzen Leser und Leserinnen, die im Februar nach meinem Trocknungstest
                                                                                                                                http://www.outdoorseiten.net/forum/s...ght=Army-Hosen
                                                                                                                                wissen wollten, wie sich das bei einer mehrtägigen Tour mit Dauerregen verhält?

                                                                                                                                Ich habe jetzt, wie gesagt, die damals mitgetestete Flecktarnhose getragen. Der Stoff, das weiß ich aus dem urban rain research, zeigt so gut wie keinen Dochteffekt. Wo er nass wird, fühlt er sich sehr nass an, ohne dass sich die Feuchtigkeit weit ausbreitet. Auf dem Fahrrad trocknet die Hose im Wind erstaunlich schnell, mindestens 1,5-mal so schnell wie die Moleskin-Hose.

                                                                                                                                Beim Wandern im Dauerregen tut man natürlich gut daran, eine Regenhose zu tragen. Die einmal durchnässte Hose würde sich unter den gesehenen Bedingungen nur dann trocknen lassen, wenn man sie anbehielte und der Regen rechtzeitig unterwegs aufhören würde. Darauf darf man sich natürlich nicht verlassen. Angenommen, man hätte eine Hose zum Wechseln dabei (was ich nicht hatte; dafür ist sie ja auch zu schwer): Dann würde man feststellen, dass die nasse Hose weder im kondensfeuchten Zelt noch in der offenen Schutzhütte bei Regenwetter und auch nicht in der geschlossenen Schutzhütte bei Kerzenheizung trockenzubekommen ist. Das ist aber relativ trivial, dafür muss man nicht unbedingt eine Tour machen. Jede vage Überschlagsrechnung zeigt, dass man die zum Trocknen ausgezogener nasser Kleidungsstücke gleich welcher Art erforderliche Luftfeuchtigkeit bzw. Lufttrockenheit bei regnerischem Wetter nur in einem effektiv beheizbaren Innenraum erreicht.

                                                                                                                                Was geschieht unter der Regenhose? Wenn man sie während des Wanderns irgendwann auszieht, merkt man, dass man etwas geschwitzt hat und dass die Hose darunter leicht feucht ist. Aber eben nur leicht. Das heißt: Es hat beim Weiterlaufen mit dieser Hose ca. 5 bis 10 Minuten gedauert, bis man von diesem Effekt nichts mehr gemerkt hat. Das Gleiche gilt, wenn man die Hose ohne Regenhose einem kurzen Schauer ausgesetzt hat. Spezifisch für die Flecktarnhose ist dabei Folgendes: Man spürt bei Regen die Befeuchtung stärker als bei der Moleskinhose, d.h. man spürt sozusagen die einzelnen Regentropfen und hat das unangenehme Gefühl, schnell nass zu werden. Andererseits lässt sie sich aber unerwartet schnell wieder trockenlaufen.

                                                                                                                                Die anderen Gründe, weshalb ich diese Hose auch in Zukunft beim Wandern tragen werde, sind schnell genannt: Sie ist hinreichend robust, ist nicht zu weit und nicht zu schwer, um sie im Schlafsack ggf. anzubehalten, die Seitentaschen sind für meine Zwecke ideal dimensioniert, ferner ist sie in der Anschaffung (gebraucht) äußerst billig.

                                                                                                                                Was die Panik vor der optischen Außenwirkung angeht, ist festzuhalten, dass die militärischen Elemente des Outfits zwischen Forbach und Freiburg keinerlei signifikante Emotionen ausgelöst haben. Es ist in dieser Hinsicht auch ganz gleichgültig, ob man ein Vier-Sterne-Hotel in Kniebis, eine Buchhandlung in Hausach oder einen Imbiss am Mummelsee betritt; was man trägt, wird hier immer als irgendwie funktionelle Kleidung akzeptiert. Allenfalls wird der Hose ein Wiedererkennungswert zugeschrieben, wenn man sich nach zwei Tagen am Weg wiedertrifft.
                                                                                                                                Zuletzt geändert von Igelstroem; 20.11.2013, 18:08.
                                                                                                                                Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                  Erfahren
                                                                                                                                  • 30.04.2013
                                                                                                                                  • 172
                                                                                                                                  • Privat


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                                                                                                                                  AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                                  Na dann viel Spaß unter der Dusche. Das wäre bestimmt auch ein Foto wert.
                                                                                                                                  Trekker T
                                                                                                                                  Back to the boots ---- the-trekker.de

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                                                                                                                                    • 544


                                                                                                                                    #66
                                                                                                                                    AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                                    Hallo Igelstroem,

                                                                                                                                    mir hat Dein Bericht auch sehr gut gefallen und er war letztlich die Inspiration, in der Woche vor Ostern auch ein paar Tage auf dem Westweg (Dobel bis Zuflucht) zu verbringen.
                                                                                                                                    Einen eigenen Bericht werde ich wohl nicht schreiben, aber ich möchte auf eine Sache aufmerksam machen , über die ich in den Westweg-Berichten hier im Forum nichts gelesen habe.

                                                                                                                                    Du warst ja mal auf der Suche nach einer Hütte in der Nähe der Darmstädter Hütte (wo ich die Wirtsleute bei meinem kurzen "Wasserflaschenauffüll- und Info-Aufenthalt" übrigens auch als super freundlich erlebt habe).

                                                                                                                                    Es gibt eine Hütte am Wildsee, der ja nicht weit von der Darmstädter Hütte entfernt ist und m. E. auf jeden Fall einen Abstecher wert ist.
                                                                                                                                    Man steigt über einen alpin anmutenden Pfad durch den Bannwald hinab, ab und zu unter und über umgefallene Bäume hinweg. Während oben der Wind ziemlich stark bläst, ist es unten am See nahezu windstill und sehr ruhig.
                                                                                                                                    Die Hütte liegt nur wenige Meter vom See entfernt. Sie hat an drei Seiten ausreichend breite Bänke - es passt eine normale Iso-Matte drauf. Es gibt an den Seitenwänden Fensteröffnungen, die man schließen kann.
                                                                                                                                    Man muss sich allerdings Wasser mitbringen, was ja in der Darmstädter Hütte zu bekommen ist.

                                                                                                                                    " border="0" />

                                                                                                                                    Für mich war der Aufenthalt am See mit Übernachtung das atmosphärische Highlight meiner Tour. Ich musste beim Abstieg unwillkürlich an Stephen King's "Das Mädchen" denken ...

                                                                                                                                    Dann noch eine Kleinigkeit:
                                                                                                                                    Du schreibst, dass bei der Zuflucht eine Jugendherberge sei. Das war zumindest früher so. Jetzt ist das Gebäude "Natur und Sport Hotel". Sie bieten allerdings neben dem normalen Hotelbetrieb in einem Flügel auch noch vergünstigte Übernachtungen im Herbergsstil an. Das Zimmer für 45,00 € als Einzelwanderer oder 40,00 €/Pers. zu zweit.

                                                                                                                                    Vielen Dank für Deinen tollen Bericht!

                                                                                                                                    Grüße
                                                                                                                                    Stefan
                                                                                                                                    Zuletzt geändert von stefN; 21.04.2014, 07:29. Grund: Foto eingefügt.

                                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                                      • 564
                                                                                                                                      • Privat


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                                                                                                                                      AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                                      Hallo,

                                                                                                                                      die Hütte am Wildsee liegt zwar sehr günstig, ist aber zukünftig zum Übernachten nicht mehr geeignet.
                                                                                                                                      Der Wildsee ist mitten im neuen Nationalpark Nordschwarzwald. Das Übernachten im Wald ist damit logischerweise nicht mehr gestattet.

                                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                                        Neu im Forum
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                                                                                                                                        • 1
                                                                                                                                        • Privat


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                                                                                                                                        Was für ein herrlicher Wanderbericht! Ich habe Tränen gelacht (kommt nur sehr selten vor beim Lesen am PC) und mich extra für diesen Kommentar hier angemeldet.

                                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                                          Freak

                                                                                                                                          Vorstand
                                                                                                                                          Liebt das Forum
                                                                                                                                          • 12.07.2008
                                                                                                                                          • 43828
                                                                                                                                          • Privat


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                                                                                                                                          AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                                          Nun – abgesprochen mit dem Reiseberichts-Autor – weitere Überlegungen zur Definition der jeweils selbst für als am besten befundenen Wanderstrecke. Ich schubse mal das Zitat, durch welches die Diskussion wieder aufflammte, hier her:

                                                                                                                                          Zitat von Igelstroem Beitrag anzeigen
                                                                                                                                          Bei der Wahl zwischen dem Projekt ›Ich will den Westweg gehen‹ und dem Projekt ›Ich will den Schwarzwald von Norden nach Süden durchqueren‹ würde ich, wenn ich genug Zeit hätte, heute das letztere interessanter finden. Das hätte unter anderem den angenehmen Effekt, dass man nicht durch die Innenstadt von Pforzheim laufen muss, hat aber ansonsten mit dem Heraussuchen von Sahnestücken gar nichts zu tun. Die metaphorische Botschaft dieses Projekts – wenn es eine Botschaft geben soll, worauf ich nicht bestehe – wäre die, dass sich das Leben ja auch nicht immer auf einem vorgezeichneten Weg abspielt.
                                                                                                                                          Darauf folgte meinerseits:

                                                                                                                                          Zitat von lina Beitrag anzeigen
                                                                                                                                          Würdest Du denn einen westlichen Weg durch den Schwarzwald, mit einer Wegführung für gut befunden nach den Kriterien von z.B. Prachttaucher, gehen?
                                                                                                                                          Diese Frage hat folgenden Grund:

                                                                                                                                          Da ich vorfabrizierte Wegplanungen von Tourismusexperten bei Radtouren ziemlich langweilig finde (großer rennradtauglicher Asphalt-Anteil für eine breiter angelegte Zielgruppe), und sie inzwischen allerhöchstens als Anhaltspunkt nehme, bin ich neugierig. Meine Kultur-Wünsche sind oft andere als die der Wegplaner (ehrlich gesagt beschränken sich erstere auch vorwiegend auf Bäume, Blätter, Zeltplätze und so (= vorwiegend Natur), weil ich Häuser und sonstiges Gerümpel sonst auch sehe, oder ich steuere sie extra zu je anderen Anlässen ("Kultur gucken") an). Komischerweise ist das beim E1 aber nicht so schlimm. Das könnte daran liegen, dass es ein historisch gewachsener Weg ist und kein Tourismus-Premium-Projekt?

                                                                                                                                          Und warum ich Prachttaucher erwähnte: Er bevorzugt eine bestimmte Wegbeschaffenheit (wenig Asphalt, lieber nicht so viele Umwege, ein erreichbarer Bahnhof am Tour-Ende (wenn ich mich richtig erinnere, bitte gerne ergänzen), die von den üblichen tourismuszielgruppengesteuerten Wegplanungen abweichen.

                                                                                                                                          Nun wüsste ich gerne von Igelstroem: Wäre so ein Weg für Dich ebenfalls noch zu viel Fremd-Vorplanung oder ok aufgrund einer größeren Übereinstimmung der Wegbeschaffenheit zum Beispiel?

                                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                                            Fuchs
                                                                                                                                            • 30.01.2013
                                                                                                                                            • 1944
                                                                                                                                            • Privat


                                                                                                                                            #70
                                                                                                                                            AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                                            Zuerst etwas zu Prachttauchers Kriterien:

                                                                                                                                            In der Tat hat man bei Premiumwegen manchmal das Problem, dass sie um der Zertifizierung willen nach Kriterien geführt sind, die sich mit der Pragmatik des Streckenwanderns nicht ohne weiteres in Einklang bringen lassen. Es geht ja unter anderem um Erlebnisinszenierung. Die Wanderforschung (im Sinne Rainer Brämers) hat festgestellt, dass die modernen Wanderer sich x, y und z wünschen, also muss der Premiumweg so angelegt sein, dass x, y und z gewährleistet sind. Wenn man diesem Weg dann folgt, mäandriert man gleichsam auf Befehl der Zertifizierungsagentur.

                                                                                                                                            Prachttauchers ›Gegenvorschläge‹ leuchten ein, sind aber natürlich ebenfalls nutzergruppenspezifisch (nur in der Vermeidung von Asphalt sind sich alle einig). Für Bahnfahrer muss der Wanderweg möglichst die Bahnhöfe berühren, für Autofahrer wären Rundwanderwege am günstigsten. Es gibt also, wie mir scheint, kein schlechthin richtiges Konzept für markierte Wanderwege, und die gegenwärtige Praxis richtet sich nach den regionalen touristischen Interessen.

                                                                                                                                            Ich komme gleich noch mal auf Prachttauchers Kriterien zurück, muss aber vorher etwas weiter ausholen.

                                                                                                                                            Bei dem, was ich ›geografisches Wandern‹ nenne, geht der erste Blick auf die Landschaft als Topographie. Es ist also so, als würde man bei der Planung verschiedene Informationsebenen nacheinander auf der Karte einblenden können: zuerst Relief und Bodenbedeckung; anhand dessen entscheidet man grob, ob man jetzt z.B. dem stärker bewaldeten Moränenzug der Mecklenburgischen Seenplatte folgt oder lieber durch die Offenlandschaft des mecklenburgischen Rücklandes läuft. Im Schwarzwald genauso: Ich würde zuerst nach dem Verlauf der Kämme und Täler schauen und überlegen, wie man eine interessante Route in diese Topographie hineinkonstruieren kann.
                                                                                                                                            Zweitens blendet man dann das Wegenetz und die Bahnverbindungen ein und sucht eine ungefähre Route von einem A nach einem B; das ist das, was man z.B. bei komoot elektronisch machen kann.
                                                                                                                                            Drittens schaut man nach Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten (wenn man die braucht) und eventuell nach kulturell interessanten Punkten, die irgendwie an der Route liegen. Man modifiziert also die geografische Route anhand eines ungeografischen Kriteriums.
                                                                                                                                            Viertens schließlich schaut man, ob es bei dieser Route naheliegt, stückweise auf markierten Wanderwegen zu laufen, wenn man die Wahl zwischen verschiedenen Wegen hat. Dieses Kriterium kommt also ziemlich spät. Und zwar deshalb, weil die geografische Wahrnehmung der Landschaft das Primäre ist und dann als Nächstes unvermeidlich die pragmatischen Kriterien des Streckenwanderns (Anreise, Versorgung) ins Spiel kommen. Wenn man sich also für das geografische Wandern als Grundmodell entschieden hat, tritt der markierte Wanderweg automatisch in den Hintergrund und wird zu einem nachrangigen Instrument der Routenplanung.

                                                                                                                                            Zudem ist es so, dass man beim geografischen Wandern von A nach B eben auch ganz auf eine Detailplanung der Route verzichten kann. Die Richtung ist ja klar, außerdem ist auf der Karte das Wegenetz eingezeichnet und man kann sich gewisse Hypothesen über Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten bilden. Insofern könnte man sich alle paar Kilometer an den Verzweigungsstellen entscheiden, welchen Weg man nun als Nächstes nimmt. Die Route wird somit pfadabhängig, d.h. die Optionen, die ich an einer bestimmten Stelle habe, hängen davon ab, wie ich mich an der vorigen Verzweigung entschieden habe. Man schaut natürlich auf die Karte und legt vielleicht für einige Kilometer die Route fest (unter Berücksichtigung von Versorgungszielen und möglichen Übernachtungsarealen), aber weiter muss die Planung nicht unbedingt reichen.

                                                                                                                                            Was nun allerdings für diesen Zweck ein uneingeschränkt nützliches Instrument wäre, wäre eine Karte, die nach bestimmten ›schwachen‹ Kriterien (z.B.: kein Asphalt, kein Straßenlärm, akzeptabler bis guter Bodenbelag) eine Selektion des Wegenetzes vornimmt. Das heißt, aus dem gesamten Wegenetz werden alle Wege, die zum Wandern wirklich gut geeignet sind, gleichrangig hervorgehoben, und dieses Netz kann dann auf verschiedenen Routen durchlaufen werden, ohne dass man auf wirklich ungeeignete Wege gerät und ohne dass man einer ganz bestimmten Premiumroute folgen muss.

                                                                                                                                            In Mecklenburg wäre das gut möglich, weil man relativ leicht entscheiden kann, was hier ein guter Wanderweg ist und was nicht. Im Schwarzwald ist es vielleicht nicht ganz so einfach, weil nämlich strittig ist, ob eine Forststraße ein guter oder ein schlechter Wanderweg ist. Man könnte sich also auch eine Zwei-Farben-Darstellung vorstellen: eine Farbe für naturbelassene Wege und Single-Trails, eine andere für nichtasphaltierte, prinzipiell befahrbare und zugleich gut wanderbare Wege. Also eine Unterscheidung, die es bei OSM so ähnlich schon gibt, aber ich würde es eben als topographische Papierkarte brauchen, am besten ohne Rücksicht auf markierte Wanderwege. Es soll sozusagen eine topographisch-technische Wanderkarte sein.

                                                                                                                                            Das ist natürlich alles hypothetisch. Es soll nur erläutern, was eigentlich nützlich wäre, wenn Premiumwege und sonstige mundgerechte Produkte nicht nützlich sind. Die Frage, die lina gestellt hat, würde ich für mich also so beantworten: Solange es sich um einen als Gesamtroute gedachten Weg handelt, ist es für mich zu viel Vorgabe. Trotzdem könnte aus solchen Kriterien, wie Prachttaucher sie genannt hat, eine sinnvolle Wegeselektion hervorgehen, die ein sehr gutes Planungsinstrument wäre.
                                                                                                                                            Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                                              Freak

                                                                                                                                              Liebt das Forum
                                                                                                                                              • 21.01.2008
                                                                                                                                              • 11979
                                                                                                                                              • Privat


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                                                                                                                                              AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                                              Zitat von lina Beitrag anzeigen
                                                                                                                                              ....
                                                                                                                                              Und warum ich Prachttaucher erwähnte: Er bevorzugt eine bestimmte Wegbeschaffenheit (wenig Asphalt, lieber nicht so viele Umwege, ein erreichbarer Bahnhof am Tour-Ende (wenn ich mich richtig erinnere, bitte gerne ergänzen), die von den üblichen tourismuszielgruppengesteuerten Wegplanungen abweichen...
                                                                                                                                              Das mit den Umwegen eigentlich nicht so ganz. Wenn ich auf einem schönen Pfad laufen kann, darf der sich gerne schlängen und Umwege machen. Es geht mir ja nicht darum, mich so weit wie möglich vom Startpunkt meiner Wanderung zu entfernen sondern mehr um eine "schöne Wanderung". Das mit den Umwegen, war vielleicht in Zusammenhang mit der Wegeführung zu einer Sehenswürdigkeit gemeint, die ich vielleicht garnicht sehenswert finde ?

                                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                                Lebt im Forum
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                                                                                                                                                • 5073
                                                                                                                                                • Privat


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                                                                                                                                                AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                                                @Igelstroem: Danke für die ausführliche Darstellung Deines topographischen Wanderstils, den ich auch meistens verfolge. Und Deine Wunschkarte hätte ich auch gerne. Bei den Wanderkarten stört mich auch oft, dass die Wegequalität selten erkennbar ist. So täusche ich mich auch manchmal und halte eine in der Karte unscheinbar eingezeichnete Wegkreuzung anhand der Wegbeschaffenheit für eine dort markant eingezeichnete Kreuzung. Besonders schlimm bei Karten, wo nicht alle Wege eingezeichnet sind und wo Abzweigungen-Zählen deshalb eh wenig nützt. Für die Wegebeurteilung besser geeignet sind oft die Topographischen Karten 1:25000 der Landesvermessungsämter.

                                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                                  Freak

                                                                                                                                                  Liebt das Forum
                                                                                                                                                  • 21.01.2008
                                                                                                                                                  • 11979
                                                                                                                                                  • Privat


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                                                                                                                                                  AW: [DE] »I weiß ja net, wie hart Sie sind« – Schauriges und Schönes vom Westweg

                                                                                                                                                  Man kann ja zumindest zusätzlich zur topografischen Karte einen OSM-Ausdruck mitnehmen oder eben vor Ort gleich auf dem Navi bei Suche nach Alternativ-Wegen darauf achten, möglichst grün ggf. orange, wenig rot und kein schwarz zu nehmen (Reiterkarte). Sicherlich ist das etwas andereres, geht aber vielleicht in die Richtung.

                                                                                                                                                  Setzt natürlich vorraus, daß es ausreichend OSM-Daten zu dem Gebiet gibt, was ja nicht immer gegeben ist.

                                                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                                                    Fuchs
                                                                                                                                                    • 30.01.2013
                                                                                                                                                    • 1944
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                                                                                                                                                    @Alf: Eine typische Mehrtagesroute ist allerdings ca. 100 km lang, das sind ungefähr 400 cm im Maßstab 1:25000, mal abgesehen davon, dass es dank der dramatischen Indolenz der Landesvermessungsämter ein ernsthaftes Problem ist, die benötigten Blätter für eine bestimmte Route zu ermitteln. Zumindest der UL-Gedanke könnte also leicht ins Hintertreffen geraten, wenn man sich auf diesen Maßstab kaprizieren wollte.

                                                                                                                                                    @Prachttaucher: OT: Ich hab ja nur einen Schwarzweißdrucker. Und wenn man Ausdrucke zusätzlich mitnimmt, hantiert man mit verschiedenen Karten, die dann teilweise auch noch besonders nässeempfindlich sind.
                                                                                                                                                    Denkbar wäre, dass man in einer leeren TK50 (oder besser TK25, mit den obigen Vorbehalten) einige OSM-Informationen mit Farbstiften einträgt. Ein bisschen skurril ist das natürlich schon. Denn rein informationstechnisch wäre es ja möglich, vorhandene Daten selektiv auszuspielen und auf geeignetes Papier zu drucken, also z.B. bei einem kommerziellen Anbieter eine individualisierte topographische Karte zu konfigurieren und dann entweder selbst zu drucken oder zu bestellen (mit Auswahl verschiedener Papierarten). Weil der Markt für diese Dienstleistung aber zu klein ist, sitzt man am Ende doch mit ganz klassischen Werkzeugen da und ›malt ein Bild‹.
                                                                                                                                                    Dass ich das tatsächlich nicht tue, liegt eigentlich nur daran, dass eben einige Regionen in Mecklenburg durch die Karten des Klemmer-Verlags abgedeckt sind, die immerhin das Wegenetz weitgehend richtig abbilden und teilweise auch brauchbare Hinweise auf die Wandertauglichkeit des Weges liefern. In Gegenden, für die es keine solche Karte gibt (in meinen Reiseberichten zum Beispiel Stavenhagen – Jatznick), fehlen dann typischerweise auch gute OSM-Daten, weil dort eben wenig gewandert wird. Aber wenn ich die eben genannte Strecke noch einmal wandern müsste, würde ich jetzt tatsächlich die entsprechenden Blätter der TK50 kaufen und mal bei OSM gucken, welche Wege-Informationen sich eventuell noch sinnvoll von Hand eintragen lassen. Sich auf Screenshot-Ausdrucke zu verlassen, ist jedenfalls nervig, und sich auf eine Kompass-Karte zu verlassen, ist aus anderen Gründen ebenfalls nervig.



                                                                                                                                                    Diese technischen Fragen sind aber eigentlich nicht das Zentrum der Diskussion, deshalb war das jetzt OT.

                                                                                                                                                    Ich zitiere jetzt mal Prachttaucher aus dem Thread ›Foren zu Wandern in Deutschland‹:

                                                                                                                                                    Zitat von Prachttaucher Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                    - Ich denke bei manchen Wegen : "da könntest Du eigentlich auch mit einem Traktor längsfahren". Ein Hinweis ist da, wenn ein Weg als geeignet für Rollstuhlfahrer eingestuft wird. Ich finde es natürlich toll, daß auch solche Wege geschaffen werden, aber zu Fuß ist das dann schon eine Überlegung wert.

                                                                                                                                                    - Wenn ein Weg über ein längeres Stück schnurgerade verläuft (hatte ich z.B. neulich am Anfang vom Freudenthalweg). Das läßt sich allerdings leicht bei der Vorbereitung erkennen und wenn man seine persönliche Grenze in dem Punkt kennt, kann man gegensteuern. Generell finde ich Wege auf schmalen Pfaden, die häufig die Richtung ändern wesentlich schöner.
                                                                                                                                                    Prachttaucher weist hier eigentlich auf bestimmte Wegequalitäten hin, die man meiner Meinung nach am ehesten gestaltpsychologisch beschreiben könnte.

                                                                                                                                                    Der Weg tritt für uns als eine ›Figur‹ auf dem ›Grund‹ einer Landschaft in Erscheinung, etwa als gerade Schneise, die einen Wald oder eine Landschaftsformation durchschneidet, oder aber als ein Band, das sich an ein bewegtes Relief gleichsam anschmiegt, oder auch als sich eingrabende Rinne (und so weiter – die Formen stehen ja jedem Wanderer vor Augen). Das sind Qualitäten, die man durchaus beschreiben kann, aber man geht dabei sinnvollerweise von dem Ganzen der ›Figur‹ und ihrer Korrespondenz zum ›Grund‹ der Landschaft aus und nicht von bestimmten Sondermerkmalen, in die man dieses Ganze möglicherweise zerlegen könnte. Die ›Messung‹ von Sondermerkmalen ist wenig geeignet, diese Gestaltqualität eines Weges angemessen zu erfassen, und trotzdem handelt es sich bei dieser Gesamtgestalt ja um etwas, das tatsächlich da ist, etwa in der gleichen Weise, wie die Körperhaltung eines Menschen tatsächlich da ist und einen beschreibbaren Ausdrucksgehalt hat.






                                                                                                                                                    In den Qualitätskriterien des deutschen Wanderinstituts kommt dergleichen zum Beispiel unter dem Titel ›Nahrelief‹ vor, aber damit wird eben nur versucht, das figurative Phänomen in messbare Parameter zu zerlegen. Das scheitert methodisch möglicherweise daran, dass das Ganze einer Figur – also eines bestimmten Weges in einer bestimmten Landschaft, der vom jeweiligen konkreten Standort des Wanderers aus gesehen wird – phänomenal etwas anderes ist als eine Summe bestimmter Einzeleigenschaften. Der prinzipiell mögliche Versuch, das Ganze der Figur in Einzelmerkmale aufzulösen, führt zu einer stets präzisierbaren, also quasi-unendlichen Reihe von Merkmalen, die dann auf eine andere konkrete Figur eben nicht mehr alle übertragbar sind. Konkret kann das zum Beispiel heißen: Ein bestimmter Weg kann in einer bestimmten Umgebung gerade deshalb interessant wirken, weil er schnurgerade ist, während es in anderer Umgebung gerade auf die Verschwenkung und auf das Sich-Schlängeln und Sich-Eingraben ankommen kann.







                                                                                                                                                    Daran scheitert also die Messung. Für mich ist das allerdings nicht schlimm, denn ich habe ja als Wanderer keinen uneingeschränkten Optimierungsauftrag. Wenn ich an einer Verzweigung stehe, kann ich zwar fast immer angeben, welcher der beiden Wege mir jetzt unter dem Gestaltaspekt lieber wäre. Geografisches Streckenwandern erfordert aber genauso wie Fernwandern natürlich die Bereitschaft, gelegentlich auch den nicht-bevorzugten Weg zu wählen. Unabhängig davon wäre aber eine geschärfte Aufmerksamkeit für den Gestaltaspekt (hinsichtlich des Weges und hinsichtlich der Landschaftsformen) und eine Sprache, in der man dergleichen beschreiben und mitteilen kann, ein Gewinn für das Verstehen dessen, was man tut, wenn man wandert. Es geht also bei dieser ganzen gestalttheoretischen Überlegung um ein ›Verstehen dessen, was beim Wandern geschieht‹.
                                                                                                                                                    Lebe Deine Albträume und irre umher

                                                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                                                      • 443
                                                                                                                                                      • Privat


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                                                                                                                                                      Hallo

                                                                                                                                                      bin heute auf diesen Wunderbaren Bericht gestoßen, als Link in Wafers Bericht über dem Westweg
                                                                                                                                                      Es war ein Genuß ihn zu lesen, wahrscheinlich mehr als ihn bei Regen zu erwandern.

                                                                                                                                                      ›Man denkt, man ist halbwegs trainiert, aber letztlich sind alle schneller als ich.‹
                                                                                                                                                      Schön, daß ich nicht der einzige bin, der dieses Problem zu haben scheint. Irgentwie wird man dauernt überholt. (Vielleicht ist das auch nur ein Gefühl, man merkt eher, wenn man überholt wird, als wenn man überholt -> ein ähnliches Problem wie die Schlange an der Supermarktkasse).
                                                                                                                                                      "We aren't lost! We only don't know where we are!" - Cartman

                                                                                                                                                      Kommentar