AW: [SE] 3 Wochen alleine unterwegs in der Wildnis Schwedisch Lapplands
Kapitel 11 - Der Finne und das Visttasvággi
Ich bin stolz auf mich, da ich schon wieder ohne den vorsichtshalber gestellten Weckruf wach werde, sogar noch eine ganze Weile vorher! Es ist kurz vor 7 und ich bereite mir gemütlich im Schlafsack mein Essen zu. Oskari und ich hatten uns für 8 Uhr verabredet. Während ich noch in meinem Rucksack nach dem Milchpulver wühle, vernehme ich schon Geräusche aus der Richtung von Oskaris Zeltplatz. Na da kann ich mich auch gleich auf die Beine machen. Fix werden die Kleidungsstücke durch das Mückennetz ins Zelt geholt und angezogen. Der nächste Griff ist nicht dem Müsli gewidmet, sondern dem Mygga. Alle offenen Hautstellen werden eingeschmiert und ich kann mich endlich vors Zelt wagen. Ein wenig frisch und verhangen, aber immerhin trocken. Ich nehme das als positiven Start in den Tag und mische mir nun das Frühstück zusammen, was ich heute mit Zartbitterschokolade und Trockenfrüchten versetze. Ein Traum! Oskari ist ebenfalls wach und gesellt sich zu mir. Gefrühstückt hat er bereits, ich staune darüber, er war schon eine ganze Stunde vor mir wach. Er verrät mir, dass ich der zweite David bin, den er auf seiner Tour kennenlernt. Der Andere ist ein Belgier und er hat ihn in Norwegen getroffen. Er wollte bis nach Nikkaluokta laufen und Oskari witzelt, dass wir ihm heute vielleicht begegnen könnten. Den Zeitplan von belgisch David hat er aber nicht.
Wir unterhalten uns weiter über das Wetter und sind uns einig, dass man nicht sicher sein kann, ob es ein schöner Tag wird oder die Wolken die Überhand behalten.

Als ich mein Geschirr gesäubert habe, schaue ich mir Oskaris Tipi genauer an. Das ist eine simple und wirklich praktische Konstruktion. Ich erfahre, dass ihm seine Schwester das Zelt genäht hat. Das Tipi hat sieben Teilwände, von denen er drei ganz öffnen kann um ein Panorama zu bewundern. Er hat sich auf den Weg gemacht und wollte unter freiem Himmel schlafen. Ganz ohne Zelt wollte ihn seine Familie aber nicht ziehen lassen, also hat ihm seine Schwester dieses äußerst schöne Zelt konstruiert. Damit es steht benötigt er einen seiner Wanderstöcke als Pfeiler in der Mitte. Ich frage wie es mit der Standfestigkeit bei starkem Wind aussieht. Seine ersten Bedenken, die er in solchen Situationen ebenfalls hatte, haben sich als völlig unbegründet erwiesen. Steht wie eine 1. Ich habe leider kein Foto davon gemacht
Bevor wir auf die andere Seite des Flusses wechseln, verrät er mir, dass es nur durch Zufall zum gemeinsamen Wandern gekommen ist. Er wollte eigentlich durch das Unna Vistasvággi nach Alesjaure, aber Agneta hat ihm gesagt, dass man da oben nur schwer einen anständigen Zeltplatz bekommen könnte. Kurzerhand entschied er sich also für das nördliche Visttasvággi, die Entfernung dürfte in etwa identisch sein.
Wir bauen unsere Lager komplett ab und schleppen schon Mal alles zu den Hütten, wo wir noch kurz die Toiletten in Anspruch nehmen und uns bei den zwei Hüttenwarten abmelden und verabschieden. Ich frage noch wegen dem Aufstieg zum Mårmapass nach, doch die nette Dame meint nur, dass das Wetter zu unbeständig ist und ich das lieber nicht versuchen soll. Ich hatte es zwar eh nicht mehr vor, aber hätte sie gesagt, dass Wetter wird die nächsten Tage spitzenmäßig, hätte ich mich vielleicht doch noch umentschieden. Ich bin froh, dass ich es nicht tat!
Um 9 Uhr kommen wir los und lassen uns wirklich Zeit. Oskari sorgt sich um sein Knie und will nichts überstürzen. Die ersten Schritte am Pfad durch das Visttasvággi sind sehr schlammig und matschig. Die Auswirkung des Regens der letzten Tage ist in allen Tälern zu spüren. Vor der ersten gefluteten Stelle bleibt Oskari hinter mir stehen und meint, dass das doch typisch ist. Seine Schuhe sind nicht mehr wasserdicht, der linke Schuh hat sogar einen Riss in der Membran und saugt das Wasser förmlich auf. Er fragt ob wir uns einen Alternativweg suchen können und ich habe nichts dagegen. Meine Stiefel haben seit der Neubesohlung auch nicht mehr die Wasserresistenz wie nach dem Neukauf. Einige Meter neben dem Pfad laufen wir weiter und streifen ein wenig Restfeuchte von den Büschen. Zwischendurch wird angehalten und ich knipse mit meiner Kamera drauf los. Oskari hat vor sich in einer Fototasche eine Canon Spiegelreflex. Sowas will ich auch gerne, die Bilder mit einer richtigen Ausrüstung sehen so viel schöner aus!

Nach einer Stunde sind wir luftlinientechnisch gerade mal am Fuße des Siehtagas angelangt. Oh je, wir kommen kaum voran, aber wenn man alle paar Meter den tiefen Pfützen ausweichen will, dann dauert es eben länger. Immerhin schlängelt sich der Pfad nun etwas höher entlang und die Matschfelder verschwinden vorerst. Am anderen Ufer tobt eine Schar Möwen herum. Ich bekomme direkt das Gefühl in der Nähe eines Hafens zu sein. Es ist für mich das typische Hafengeräusch schlechthin!

Nach knapp 2 Stunden machen wir unsere erste Pause. Ich laufe mittlerweile im T-Shirt durch die Gegend. Wenn die Maschine erstmal in Betrieb ist, dann wird Hitze produziert. Das kühle Wetter ist mir durchaus willkommen. Die Wolken hängen auch nicht so tief, dass sie einem die Sicht auf dieses wunderschöne Tal versauen könnten. Beim Laufen wechseln wir uns ab, einmal bin ich vorne, einmal Oskari. Ich bin beruhigt und stelle fest, dass er mir nicht davonrennt, wenn er die Führung übernimmt. Mein Tempo ist also genau richtig und ich bin ihm nicht zu langsam. Hier hocken wir uns hinter den Steinen hin und trinken frisches Wasser aus dem Visttasjohka. Es ist ganz leicht sedimenthaltig und Oskari fragt mich, ob das ungesund wäre. Nein, nicht wirklich, es kann höchstens ein wenig knusprig beim Trinken werden

Die Stelle zum Fluss ist ein wenig abschüssig und ich bekomme es beim Auffüllen der Wasserflasche mit der Angst zu tun. Keiner rutscht ab und wir erholen uns noch ein Weilchen. Oskari packt einen riesigen Beutel Nuss- und Trockenfruchtmischung aus, die mit dunkler Marabou Schokolade gespickt ist. Mein gieriger Blick wird richtig gedeutet und ich darf ebenfalls zulangen. Er verrät mir, dass für seinen Trip ein guter Freund, der irgendwas im Bereich Ernährungswissenschaften studiert, den täglichen Kalorienbedarf maßgeschneidert berechnet hat. Oskari ist nicht so zimperlich wie ich, greift in den Beutel, zieht eine volle Hand der Mischung hervor und stopft sie sich in den Mund. "I need approximately 6000 calories each day! I hate nuts! But it is the only way, that I stay fit during my tour." Die Marabou Schokolade soll über den Geschmack der Nüsse hinweghelfen. Er mampft noch eine Hand voll runter und schiebt sich eine Reihe Marabou Darkmjölk mit Nüssen hinterher. Seine Lieblingssorte!
Nach 15 Minuten gehen wir weiter und uns kommen die ersten Wanderer entgegen. 4 Leute die nur kurz angebunden sind, ein Hej entgegnen und mit trüben Gesichtern schnell an uns vorbeirauschen. "Bad day faces.", stellt Oskari fest.
Auf der anderen Flussseite hat man einen schönen Einblick auf den Siehtagasglaciären.

Trotz den Wolken eine ausgesprochen schöne Gegend! Ich hatte mich mit Mortias über die Möglichkeiten und verschiedenen Alternativen ausgiebig unterhalten. Das Visttasvággi hat er mir sehr nahe ans Herz gelegt und was soll ich sagen. In meinen Augen ein absolutes Muss! Wenn ihr die Gelegenheit habt und euch ein wenig Buschwerk nichts ausmacht, plant dieses Tal in eure Touren mit ein! Der Pfad ist eigentlich prima zu gehen also keine Sorge

Wir kommen etwa 15 Minuten lang gut voran, bevor uns der nächste Wanderer mit richtig Tempo entgegen kommt. Ich höre Oskari nur hinter mir sagen "That can't be...! No it's not him, is it? Oh my god, it is!". Wie sollte es auch anders sein. Vor uns kommt der belgische David zu stehen. Der Kerl ist Anfang 40 und sieht topfit aus. Er grinst breit und grüßt uns auf Englisch, dass einen irischen Akzent aufweist. Wie der Zufall so will, ist er schneller unterwegs als gedacht, deshalb haben wir ihn auch hier getroffen. Er und Oskari unterhalten sich über deren bisherigen Tourenverlauf und ich höre still zu. David fragt noch wie so die weitere Strecke zu laufen ist und ob es wohl heute machbar ist bis nach Nikkaluokta zu laufen, wo sein Auto steht. Wir raten ihm beide davon ab, das wären jetzt noch mehr als 30km. Er meint aber, dass er das schaffen kann. Er ist nicht ausgelastet, wenn er nur kurze Etappen läuft. "You are hardcore.", sage ich, denke mir aber "Junge, kannst du denn dann noch die Landschaft genießen?". Aber die Leute kommen mit den unterschiedlichsten Bewegründen hierher. Ich kann auch das Kilometerfressen respektieren. Eine sportliche Herausforderung ist sowas allemal! Wir verplappern uns fast eine Stunde und machen uns wieder auf den Weg. Oskari ist ganz entsetzt, dass es jetzt schon 12 Uhr mittags durch hat und meint, wenn es so weiter geht, sollten wir schon mal nach einem geeigneten Zeltplatz ausschau halten
Hier würde es für uns hinauf gehen, wenn wir ins Unna Visttasvággi gewollt hätten. Es sieht ebenfalls sehr verlockend aus!

Hier der südliche Teil des Unna Visttasčohkka.

Das Tal öffnet sich ein wenig und die Birken werden lichter, bis man kurzzeitig nur noch durch kniehohes Weidengestrüpp laufen muss. Wir kommen also endlich etwas leichter und flotter voran.

Ein Blick zurück an einem sehr schönen Zeltplatz. Der letze Camper hat sogar noch einen Haufen Holz an der Feuerstelle liegen lassen. Wir ignorieren das Angebot und laufen natürlich weiter.

Die Felsformationen an den Gipfeln sind jedes Mal ein Hingucker! Was für ein wundervolles Tal! Brachial wirkende Berge, grüne, teils dichte Vegetation und ein sanft dahinfließender Visttasjohka.

Oskari und ich unterhalten uns nicht nur in den Pausen. Seit wir gestartet sind gehen wir Thema für Thema durch, Politik, Natur, Musik usw. Ununterbrochen quatschen wir daher. Wir haben einige Gemeinsamkeiten und kommen vielleicht deshalb besonders gut aus miteinander. Obwohl wir nur langsam voran kommen, verfliegt der Tag aber viel zu schnell.
Ich erfahre, dass Oskari als Telefonverkäufer bei einem nicht näher zu nennendem Unternehmen gearbeitet hat. Ich frage warum "hat"? Und nun erzählt er mir seine Geschichte
Der Job hat ihn angekotzt. Er musste möglichst viel Verkaufen und ob die Leute das benötigten oder nicht, spielte keine Rolle. Alte Menschen, die keine Ahnung haben, sind ein leichtes Opfer für sowas. Er war aber immer ehrlich und hat gerade den Alten immer günstigere Alternativen empfohlen und im Zweifelsfall immer vom Kauf abgeraten. Seine Verkaufszahlen waren nicht die Besten und es gab immer wieder Ärger mit seinem Vorgesetzten. Irgendwann hat er sich gesagt, er muss sein Leben grundlegend ändern, sonst kommt er nie aus diesem Loch raus. Den Job konnte er nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren. Kurzerhand hat er gekündigt und diese Tour geplant. Aktuell ist er bei Tag 18 und hat noch einige vor sich. Ich frage wie weit er noch laufen möchte und er sagt, mal gucken wie weit ihn die Beine tragen. Geplant sind 1000km in 6 Wochen. Mir fällt die Kinnlade runter. Ich hätte nie gedacht, dass er auf so einer großen Tour ist! Die Reise begann für ihn in Deutschland beim Rock am Ring und von dort aus ging es dann nach Norwegen zum Rago Nationalpark. Die Grenze nach Schweden wurde im Padjelanta überquert. Dann ging es von Ritsem aus über Hukejaure weiter und ab Sälka dann bis hierher. Ein Teil der Strecke war auch Bestandteil meiner "langen Route Alternative", zu der es nicht gekommen ist.
Ich spreche ihm meine Bewunderung und meine vollste Anerkennung zu diesem Schritt aus. Nach der Tour will er schauen, was ihn beruflich anzieht. Ich hätte Angst alles von heute auf morgen zu ändern, aber manchmal ist es genau das, was man braucht!
Irgendwann erblicken wir einen großen Steinrutsch am Unna Visttasčohkka. Die harten Linien, die dadurch in die Landschaft gezeichnet werden, lassen es wie Formationen aus einem Sandkasten erscheinen, nur in extra groß.

Ein kleiner, dünner Wasserfall am Bogičohkka, der unter dem Geröll verschwindet, was man in dieser Aufnahme aber nicht sieht.

Noch immer dürfen wir im Trockenen wandern und sind dankbar dafür. Bald hinter dem linken Ausläufer müsste eine Renvaktarstuga zu sehen sein. Dann hätten wir einen Großteil schon geschafft.

Wir kommen an eine Stelle, wo sehr viel Sediment abgelagert ist, so dass man praktisch einen schwarzen Sandstrand am Bachlauf hat. Eine Holzkonstruktion führt über den Bach, ist aber komplett vom Weidengestrüpp zugewuchert, so dass wir durchs Wasser von Stein zu Stein laufen. Zeit einen Blick zurück zu werfen.

Die letzten Schneereste an den Gipfeln geben der karger werdenden Landschaft ein gewisses Etwas!

Als wir die Hütte passieren, sind wir auf das Thema Bücher gewechselt. Oskari hat einen Band der Game of Thrones Reihe in Englisch dabei. Ich habe bisher nur die Serie geschaut, die mir allerdings sehr gut gefallen hat. In den Büchern sollen aber noch mehr Personen vorkommen und irgendwann wird mir das zu viel. Keine Sorge, meint Oskari, die Wichtigen behält man in Erinnerung, der Rest lebt nicht lange genug.
Ich habe mir mittlerweile die ersten 5 Bände zugelegt, bin aber leider noch nicht zum Lesen gekommen. Aktuell zieht es mich mehr in den Horror-Bereich. Das nächste Thema umfasst Schimpfworte. Ich lerne, dass Perkele eines der mächtigsten finnischen Schimpfwörter ist, was man sowohl im positivem, als auch negativem Sinne nutzen kann. Es ist ein "allrounder" "like the englisch word fuck". 
Gegen 15:30 erreichen wir die Stahlhängebrücke über den Moarhmmájohka. Der Miniaturwasserfall ist so wunderschön, dass wir beide uns entschließen eine kleine Fotosession einzulegen. Das Farbenspiel ist heute besonders toll.



Natürlich wird auch kurz etwas genascht, ich spendiere Oskari etwas getrocknete Mango, die sehr gierig gefuttert wird. Danach ist der Beutel leer, muss ich wieder auf Feigen wechseln, die ich aber schon nicht mehr so gut sehen kann. Als wir unsere Rucksäcke schultern, ahne ich noch nichts von dem anstrengenden Aufstieg, der kurz darauf folgen wird. Zuerst geht man wieder einige Meter weit runter, nur um nach einem sumpfigen Areal ordentlich rauf zu wandern. Das Gesprächsthema sind nun diese schwedischen Pfade und Wanderwege, die immer wieder rauf, und runter führen. Wir schimpfen zusammen über diese zusätzlichen "Strapazen" dieses Tages und ich schließe das Thema mit einem laut gerufenen PERKELE ab. Oskari ist zufrieden mit mir.
Vor dem Aufstieg weis ich bereits, dass ich richtig gut ins Schnaufen kommen werde. Nach 20 Metern dreht sich Oskari um und erkundigt sich nach meinem Befinden. Ich versichere ihm, dass alles in bester Ordnung ist. So lange er mich schnaufen und prusten hört, ist alles gut, das kann ich den ganzen Tag so durchhalten, auch wenn man das nicht glauben mag. Sorgen muss er sich machen, wenn es auf einmal still hinter ihm wird, dann bin ich vermutlich zusammengebrochen
Der Blick zurück ins Visttasvággi von der Anhöhe aus. Wundervoll!

Ich frage Oskari, wo er heute sein Lager aufschlagen will. Hier noch nicht, auf jeden Fall irgendwo hinter Alesjaure, sonst kommt er mit seinen Tagesplanungen nicht mehr klar. Somit steht fest, dass wir uns noch vor Tagesende voneinander verabschieden müssen. Mich stimmt das tatsächlich traurig. Ich will aber noch so weit wie möglich mitgehen und wir laufen weiter. Zwischen den Seen Vuolip Čazajávri und Balip Čazajávri steht eine verfallene Lehmhütte der Sami. Wir beschließen dort eine längere Pause mit einer warmen Kleinigkeit zu machen. Passend hierzu kommt die Sonne raus und vertreibt die Wolken immer weiter! Oskari holt seinen selbstmodifizierten Gaskocher aus dem Rucksack und macht sich ein Nudelgericht fertig. Ungefähr sowas wie die Maggi Asia Nudelsnacks, die man nur mit kochendem Wasser übergießen muss und dann ziehen lässt. Ich finde das wirklich prima, wie er sich zu dieser Tour Gedanken gemacht hat und wie viel sinnvolle Vorabplanung in so kurzer Zeit seinerseits möglich war. Ich liege nur rum und mampfe meine Proteinriegel, die mittlerweile total schmierig und zerquetscht sind. Oskari holt sich einen Becher Wasser und fängt an ein Pulver hinein zu schütten. Auf meine Frage, was das sei, antwortet er mir, dass es sich um einen Proteinshake handelt. 250gr dieses Pulvers, was ich zu Hause nehme, wenn ich Krafttrainig mache, haut er sich täglich rein. Die 6000 Kalorien müssen ja von irgendwoher kommen :-)

Danach kocht er nochmals Wasser auf und packt ein kleines Tütchen aus, auf dem Värma Koppar steht, wenn ich mich ganz recht entsinne. Das sind wie bei uns die Heisse Tasse Süppchen, jedoch hier in der süßen Variante. Er haut sich Blaubeergeschmack in die Tasse und will mich fragen, ob ich die Geschmacksrichtung... "How do you say it. I don't know, damn, I know this, why can't I remember?". Ich denke er meint Erdbeere und sage anstatt strawberry "Do you mean jordgubbar?". Ich bin selbst verwundert warum ich einem Finnen die schwedische Bezeichnung nenne, aber er schnallt es direkt und meint "YES! Thank you, strawberry!". Ich wundere mich wie er jetzt auf den englischen Namen kommt, aber ja ich mag die Geschmacksrichtung Erdbeere sehr gerne. Wir lachen über diese multilinguale Unterhaltung und genießen unsere extrem süßen Suppen. Aber immerhin mal was Anderes und den Gaumen freut die Abwechslung sehr. Er lässt mir noch einmal Vanille-Erdbeere und Apfel-Zimt da, in zwei Tagen will er in Abisko sein und dann lässt er sowieso alles liegen, was er noch übrig hat. Für jede Etappe kauft er neu ein, wenn er die Reste jedes Mal mitschleppt kommt er mit seinen Berechnungen durcheinander. Da Apfel-Zimt seine Lieblingssorte ist, fühle ich mich besonders geehrt. Bevor er sich langsam zum Weitermarschieren fertig machen will, fragt er mich wie die Strecke nach Abisko am Kungsleden so ist. Einfach und gut zu gehen! Das sollte er auf alle Fälle schaffen. Als er mich fragt, ob ich noch mitkomme, schaue ich mich nur kurz in diesem tollen Hochtal um und fälle die Entscheidung mein Lager aufzuschlagen.
Oskari holt jetzt ein Buch aus seinem Rucksack und fragt, ob ich ihm meine E-Mailadresse und den Facebookaccount geben möchte. Na logo! Ich freue mich sehr darüber und diktiere ihm alles Buchstabe für Buchstabe, damit er mich auf jeden Fall findet. Ich bin richtig gespannt wie es für ihn weiter gehen wird und er meint, dass er hin und wieder bei Facebook etwas posten will. Als er alles eingepackt hat, geben wir uns die Hand und wünschen uns gegenseitig nur das Allerbeste für den weiteren Tourenverlauf. Ich trichter ihm nochmals ein, dass er mich bei Facebook kontaktiert und dann zieht er auch schon ab. Ein leicht melancholisches Gefühl stellt sich bei mir ein. Wann trifft man denn schon jemanden, mit dem man sich auf Anhieb so gut versteht? Nach nur einem Tag im Fjäll kommt mir es so vor, als ob wir uns besser kennen als manch ein anderer Mensch zu Hause.
Bei diesem wunderbaren Wetter will ich dieses tolle Tal nicht verlassen. Was dahinter kommt, kenne ich bereits und mir ist dieser Ort für mein Lager daher lieber.

Während ich mein Zelt auspacke, ausrolle und aufbaue, blicke ich Oskari hinterher. Es sieht so aus, als ob er zurückschaut und ich winke. Vermutlich sieht er es nicht mehr, die Entfernung ist bereits zu groß. Als das Zelt steht, beschließe ich direkt das Tal weiter zu erkunden. Das Wetter ist wieder traumhaft geworden und ich will die Möglichkeit auf ein paar Schönwetterbilder nicht verstreichen lassen. Dank dem Wind, der mittlerweile sein Unwesen hier oben treibt, habe ich das Zelt direkt hinter der alten Hütte aufgebaut.

In der alten Kåtan und drumrum findet sich jede Menge Müll. Meist alte, verrostete Konservendosen oder Gaskartuschen, aber auch aktuellere Trekkingfoodverpackungen werden gerne dort abgelegt. Ist doch ätzend! Ich ärgere mich zum zweiten Mal auf der Tour über diese Ignoranz einiger Leute gegenüber dieser Landschaft. Eine Feuerstelle neben der Hütte enthält geschmolzene Plastikreste. Woher nehmen die Leute hier nur das Brennmaterial? Ach ja, die offen liegenden Holzstreben der alten Hütte brennen sicherlich prima... Der alte Stahlofen liegt umgekippt hinter der Hütte. Auch dort liegen Reste von Müll drin. Selbst, wenn ich wollte, so viel Müll bekomme ich nie und nimmer alleine hier weg. Ich lasse alles so wie es ist und starte meinen Erkundungsgang.
Die Aussicht beruhigt mich umgehend wieder und lässt mich dahinträumen. Bogičohkka und Vássačorru.

Ich strahle mit der sonne um die Wette!

Das Tal wechselt von steinigen Passagen zu grünen Wiesen mit lauter Blümchen. Sommergefühle werden wach!

Die Kulisse ist so wunderschön, dass ich mehr als 2 Stunden durchs Tal streife, rauf und runter, immer weiter weg vom Zelt.

Das Abendlicht vermittelt eine heimelige Atmosphäre.

Als ich bereits kurz vor dem Visttasvárri stehe, kehre ich um. Was für ein Fehler! An diesem Abend hätte ich dort rauf klettern sollen. Die Aussicht wäre atemberaubend gewesen! An dem Tag kam mir dieser Gedanke leider überhaupt nicht in den Sinn.

Ich überquere das Tal und kehre auf der anderen Seite zurück.

Wieder am Zelt, packe ich mein Kochgeschirr aus und zaubere mir eine warme Portion Nudeln mit Tomatensauce.

Ich liege im Windschatten der alten Hütte mit dem Namen Tjatjajaurekåtan und lasse die Seele baumeln. Seit dem Belgier sind uns keine weiteren Leute begegnet. Abseits des Kungsleden werden selbst die schöneren und bekannteren Routen eher wenig frequentiert. Wer hier seine Ruhe sucht, wird sicherlich fündig!
Irgendwann gegen halb 9 lege ich mich zur Ruhe. Der Tag fordert seinen Tribut ein und ich werde schlagartig müde. Na klar, frische Luft in Massen, gutes Essen und die Bewegung sind eine gesunde Kombination. Eine Portion fester Schlaf obendrauf und man hat die perfekte Mischung!

Ich lasse das Zelt offen und schaue dann doch noch eine ganze Weile auf die Hänge des Unna Visttasčohkka und beobachte die Schattenspiele. Das Zelt bleibt heute Abend offen. Ich döse bei diesem schönen Ausblick langsam ein.
Fazit des Tages: Das Visttasvággi hat seine Versprechen in jeder Hinsicht gehalten! Es war herrlich im dichteren Wald startend sich langsam hochzuarbeiten. Immer wieder hat man tolle Blicke auf die umliegenden Gipfel bekommen. Die Wolken hingen zum Glück sehr hoch. Mit Oskari war die Gesellschaft ebenfalls erstklassig! Achja, als ich Oskari beim Zeltaufbau gewunken habe, hat er sich tatsächlich umgedreht. Er hat ein Foto gemacht und mich vor einigen Tagen drauf angesprochen, ob ich ihm darauf winke oder er sich das nur einbildet. Er hat das Bild genau in dem Moment geschossen, als ich gewunken habe! Ja wir sind über Facebook weiterhin in Kontakt geblieben und ich habe seine weitere Tour verfolgt, als ich bereits lange nach meiner Eigenen daheim war. Bei ca. 1100 von 1000 geplanten Kilometern war er damit fertig. Respekt für diese Aktion. Kurz darauf stand ich selbst nur ganz knapp davor ähnlich zu handeln. Aber was ist danach? Ich habe mich diesen Schritt bislang nicht getraut, aber wer weis was die Zukunft noch bringt.
Kapitel 11 - Der Finne und das Visttasvággi
Ich bin stolz auf mich, da ich schon wieder ohne den vorsichtshalber gestellten Weckruf wach werde, sogar noch eine ganze Weile vorher! Es ist kurz vor 7 und ich bereite mir gemütlich im Schlafsack mein Essen zu. Oskari und ich hatten uns für 8 Uhr verabredet. Während ich noch in meinem Rucksack nach dem Milchpulver wühle, vernehme ich schon Geräusche aus der Richtung von Oskaris Zeltplatz. Na da kann ich mich auch gleich auf die Beine machen. Fix werden die Kleidungsstücke durch das Mückennetz ins Zelt geholt und angezogen. Der nächste Griff ist nicht dem Müsli gewidmet, sondern dem Mygga. Alle offenen Hautstellen werden eingeschmiert und ich kann mich endlich vors Zelt wagen. Ein wenig frisch und verhangen, aber immerhin trocken. Ich nehme das als positiven Start in den Tag und mische mir nun das Frühstück zusammen, was ich heute mit Zartbitterschokolade und Trockenfrüchten versetze. Ein Traum! Oskari ist ebenfalls wach und gesellt sich zu mir. Gefrühstückt hat er bereits, ich staune darüber, er war schon eine ganze Stunde vor mir wach. Er verrät mir, dass ich der zweite David bin, den er auf seiner Tour kennenlernt. Der Andere ist ein Belgier und er hat ihn in Norwegen getroffen. Er wollte bis nach Nikkaluokta laufen und Oskari witzelt, dass wir ihm heute vielleicht begegnen könnten. Den Zeitplan von belgisch David hat er aber nicht.
Wir unterhalten uns weiter über das Wetter und sind uns einig, dass man nicht sicher sein kann, ob es ein schöner Tag wird oder die Wolken die Überhand behalten.

Als ich mein Geschirr gesäubert habe, schaue ich mir Oskaris Tipi genauer an. Das ist eine simple und wirklich praktische Konstruktion. Ich erfahre, dass ihm seine Schwester das Zelt genäht hat. Das Tipi hat sieben Teilwände, von denen er drei ganz öffnen kann um ein Panorama zu bewundern. Er hat sich auf den Weg gemacht und wollte unter freiem Himmel schlafen. Ganz ohne Zelt wollte ihn seine Familie aber nicht ziehen lassen, also hat ihm seine Schwester dieses äußerst schöne Zelt konstruiert. Damit es steht benötigt er einen seiner Wanderstöcke als Pfeiler in der Mitte. Ich frage wie es mit der Standfestigkeit bei starkem Wind aussieht. Seine ersten Bedenken, die er in solchen Situationen ebenfalls hatte, haben sich als völlig unbegründet erwiesen. Steht wie eine 1. Ich habe leider kein Foto davon gemacht

Bevor wir auf die andere Seite des Flusses wechseln, verrät er mir, dass es nur durch Zufall zum gemeinsamen Wandern gekommen ist. Er wollte eigentlich durch das Unna Vistasvággi nach Alesjaure, aber Agneta hat ihm gesagt, dass man da oben nur schwer einen anständigen Zeltplatz bekommen könnte. Kurzerhand entschied er sich also für das nördliche Visttasvággi, die Entfernung dürfte in etwa identisch sein.
Wir bauen unsere Lager komplett ab und schleppen schon Mal alles zu den Hütten, wo wir noch kurz die Toiletten in Anspruch nehmen und uns bei den zwei Hüttenwarten abmelden und verabschieden. Ich frage noch wegen dem Aufstieg zum Mårmapass nach, doch die nette Dame meint nur, dass das Wetter zu unbeständig ist und ich das lieber nicht versuchen soll. Ich hatte es zwar eh nicht mehr vor, aber hätte sie gesagt, dass Wetter wird die nächsten Tage spitzenmäßig, hätte ich mich vielleicht doch noch umentschieden. Ich bin froh, dass ich es nicht tat!
Um 9 Uhr kommen wir los und lassen uns wirklich Zeit. Oskari sorgt sich um sein Knie und will nichts überstürzen. Die ersten Schritte am Pfad durch das Visttasvággi sind sehr schlammig und matschig. Die Auswirkung des Regens der letzten Tage ist in allen Tälern zu spüren. Vor der ersten gefluteten Stelle bleibt Oskari hinter mir stehen und meint, dass das doch typisch ist. Seine Schuhe sind nicht mehr wasserdicht, der linke Schuh hat sogar einen Riss in der Membran und saugt das Wasser förmlich auf. Er fragt ob wir uns einen Alternativweg suchen können und ich habe nichts dagegen. Meine Stiefel haben seit der Neubesohlung auch nicht mehr die Wasserresistenz wie nach dem Neukauf. Einige Meter neben dem Pfad laufen wir weiter und streifen ein wenig Restfeuchte von den Büschen. Zwischendurch wird angehalten und ich knipse mit meiner Kamera drauf los. Oskari hat vor sich in einer Fototasche eine Canon Spiegelreflex. Sowas will ich auch gerne, die Bilder mit einer richtigen Ausrüstung sehen so viel schöner aus!

Nach einer Stunde sind wir luftlinientechnisch gerade mal am Fuße des Siehtagas angelangt. Oh je, wir kommen kaum voran, aber wenn man alle paar Meter den tiefen Pfützen ausweichen will, dann dauert es eben länger. Immerhin schlängelt sich der Pfad nun etwas höher entlang und die Matschfelder verschwinden vorerst. Am anderen Ufer tobt eine Schar Möwen herum. Ich bekomme direkt das Gefühl in der Nähe eines Hafens zu sein. Es ist für mich das typische Hafengeräusch schlechthin!

Nach knapp 2 Stunden machen wir unsere erste Pause. Ich laufe mittlerweile im T-Shirt durch die Gegend. Wenn die Maschine erstmal in Betrieb ist, dann wird Hitze produziert. Das kühle Wetter ist mir durchaus willkommen. Die Wolken hängen auch nicht so tief, dass sie einem die Sicht auf dieses wunderschöne Tal versauen könnten. Beim Laufen wechseln wir uns ab, einmal bin ich vorne, einmal Oskari. Ich bin beruhigt und stelle fest, dass er mir nicht davonrennt, wenn er die Führung übernimmt. Mein Tempo ist also genau richtig und ich bin ihm nicht zu langsam. Hier hocken wir uns hinter den Steinen hin und trinken frisches Wasser aus dem Visttasjohka. Es ist ganz leicht sedimenthaltig und Oskari fragt mich, ob das ungesund wäre. Nein, nicht wirklich, es kann höchstens ein wenig knusprig beim Trinken werden


Die Stelle zum Fluss ist ein wenig abschüssig und ich bekomme es beim Auffüllen der Wasserflasche mit der Angst zu tun. Keiner rutscht ab und wir erholen uns noch ein Weilchen. Oskari packt einen riesigen Beutel Nuss- und Trockenfruchtmischung aus, die mit dunkler Marabou Schokolade gespickt ist. Mein gieriger Blick wird richtig gedeutet und ich darf ebenfalls zulangen. Er verrät mir, dass für seinen Trip ein guter Freund, der irgendwas im Bereich Ernährungswissenschaften studiert, den täglichen Kalorienbedarf maßgeschneidert berechnet hat. Oskari ist nicht so zimperlich wie ich, greift in den Beutel, zieht eine volle Hand der Mischung hervor und stopft sie sich in den Mund. "I need approximately 6000 calories each day! I hate nuts! But it is the only way, that I stay fit during my tour." Die Marabou Schokolade soll über den Geschmack der Nüsse hinweghelfen. Er mampft noch eine Hand voll runter und schiebt sich eine Reihe Marabou Darkmjölk mit Nüssen hinterher. Seine Lieblingssorte!

Nach 15 Minuten gehen wir weiter und uns kommen die ersten Wanderer entgegen. 4 Leute die nur kurz angebunden sind, ein Hej entgegnen und mit trüben Gesichtern schnell an uns vorbeirauschen. "Bad day faces.", stellt Oskari fest.
Auf der anderen Flussseite hat man einen schönen Einblick auf den Siehtagasglaciären.

Trotz den Wolken eine ausgesprochen schöne Gegend! Ich hatte mich mit Mortias über die Möglichkeiten und verschiedenen Alternativen ausgiebig unterhalten. Das Visttasvággi hat er mir sehr nahe ans Herz gelegt und was soll ich sagen. In meinen Augen ein absolutes Muss! Wenn ihr die Gelegenheit habt und euch ein wenig Buschwerk nichts ausmacht, plant dieses Tal in eure Touren mit ein! Der Pfad ist eigentlich prima zu gehen also keine Sorge


Wir kommen etwa 15 Minuten lang gut voran, bevor uns der nächste Wanderer mit richtig Tempo entgegen kommt. Ich höre Oskari nur hinter mir sagen "That can't be...! No it's not him, is it? Oh my god, it is!". Wie sollte es auch anders sein. Vor uns kommt der belgische David zu stehen. Der Kerl ist Anfang 40 und sieht topfit aus. Er grinst breit und grüßt uns auf Englisch, dass einen irischen Akzent aufweist. Wie der Zufall so will, ist er schneller unterwegs als gedacht, deshalb haben wir ihn auch hier getroffen. Er und Oskari unterhalten sich über deren bisherigen Tourenverlauf und ich höre still zu. David fragt noch wie so die weitere Strecke zu laufen ist und ob es wohl heute machbar ist bis nach Nikkaluokta zu laufen, wo sein Auto steht. Wir raten ihm beide davon ab, das wären jetzt noch mehr als 30km. Er meint aber, dass er das schaffen kann. Er ist nicht ausgelastet, wenn er nur kurze Etappen läuft. "You are hardcore.", sage ich, denke mir aber "Junge, kannst du denn dann noch die Landschaft genießen?". Aber die Leute kommen mit den unterschiedlichsten Bewegründen hierher. Ich kann auch das Kilometerfressen respektieren. Eine sportliche Herausforderung ist sowas allemal! Wir verplappern uns fast eine Stunde und machen uns wieder auf den Weg. Oskari ist ganz entsetzt, dass es jetzt schon 12 Uhr mittags durch hat und meint, wenn es so weiter geht, sollten wir schon mal nach einem geeigneten Zeltplatz ausschau halten

Hier würde es für uns hinauf gehen, wenn wir ins Unna Visttasvággi gewollt hätten. Es sieht ebenfalls sehr verlockend aus!

Hier der südliche Teil des Unna Visttasčohkka.

Das Tal öffnet sich ein wenig und die Birken werden lichter, bis man kurzzeitig nur noch durch kniehohes Weidengestrüpp laufen muss. Wir kommen also endlich etwas leichter und flotter voran.

Ein Blick zurück an einem sehr schönen Zeltplatz. Der letze Camper hat sogar noch einen Haufen Holz an der Feuerstelle liegen lassen. Wir ignorieren das Angebot und laufen natürlich weiter.

Die Felsformationen an den Gipfeln sind jedes Mal ein Hingucker! Was für ein wundervolles Tal! Brachial wirkende Berge, grüne, teils dichte Vegetation und ein sanft dahinfließender Visttasjohka.

Oskari und ich unterhalten uns nicht nur in den Pausen. Seit wir gestartet sind gehen wir Thema für Thema durch, Politik, Natur, Musik usw. Ununterbrochen quatschen wir daher. Wir haben einige Gemeinsamkeiten und kommen vielleicht deshalb besonders gut aus miteinander. Obwohl wir nur langsam voran kommen, verfliegt der Tag aber viel zu schnell.
Ich erfahre, dass Oskari als Telefonverkäufer bei einem nicht näher zu nennendem Unternehmen gearbeitet hat. Ich frage warum "hat"? Und nun erzählt er mir seine Geschichte

Der Job hat ihn angekotzt. Er musste möglichst viel Verkaufen und ob die Leute das benötigten oder nicht, spielte keine Rolle. Alte Menschen, die keine Ahnung haben, sind ein leichtes Opfer für sowas. Er war aber immer ehrlich und hat gerade den Alten immer günstigere Alternativen empfohlen und im Zweifelsfall immer vom Kauf abgeraten. Seine Verkaufszahlen waren nicht die Besten und es gab immer wieder Ärger mit seinem Vorgesetzten. Irgendwann hat er sich gesagt, er muss sein Leben grundlegend ändern, sonst kommt er nie aus diesem Loch raus. Den Job konnte er nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren. Kurzerhand hat er gekündigt und diese Tour geplant. Aktuell ist er bei Tag 18 und hat noch einige vor sich. Ich frage wie weit er noch laufen möchte und er sagt, mal gucken wie weit ihn die Beine tragen. Geplant sind 1000km in 6 Wochen. Mir fällt die Kinnlade runter. Ich hätte nie gedacht, dass er auf so einer großen Tour ist! Die Reise begann für ihn in Deutschland beim Rock am Ring und von dort aus ging es dann nach Norwegen zum Rago Nationalpark. Die Grenze nach Schweden wurde im Padjelanta überquert. Dann ging es von Ritsem aus über Hukejaure weiter und ab Sälka dann bis hierher. Ein Teil der Strecke war auch Bestandteil meiner "langen Route Alternative", zu der es nicht gekommen ist.
Ich spreche ihm meine Bewunderung und meine vollste Anerkennung zu diesem Schritt aus. Nach der Tour will er schauen, was ihn beruflich anzieht. Ich hätte Angst alles von heute auf morgen zu ändern, aber manchmal ist es genau das, was man braucht!
Irgendwann erblicken wir einen großen Steinrutsch am Unna Visttasčohkka. Die harten Linien, die dadurch in die Landschaft gezeichnet werden, lassen es wie Formationen aus einem Sandkasten erscheinen, nur in extra groß.

Ein kleiner, dünner Wasserfall am Bogičohkka, der unter dem Geröll verschwindet, was man in dieser Aufnahme aber nicht sieht.

Noch immer dürfen wir im Trockenen wandern und sind dankbar dafür. Bald hinter dem linken Ausläufer müsste eine Renvaktarstuga zu sehen sein. Dann hätten wir einen Großteil schon geschafft.

Wir kommen an eine Stelle, wo sehr viel Sediment abgelagert ist, so dass man praktisch einen schwarzen Sandstrand am Bachlauf hat. Eine Holzkonstruktion führt über den Bach, ist aber komplett vom Weidengestrüpp zugewuchert, so dass wir durchs Wasser von Stein zu Stein laufen. Zeit einen Blick zurück zu werfen.

Die letzten Schneereste an den Gipfeln geben der karger werdenden Landschaft ein gewisses Etwas!

Als wir die Hütte passieren, sind wir auf das Thema Bücher gewechselt. Oskari hat einen Band der Game of Thrones Reihe in Englisch dabei. Ich habe bisher nur die Serie geschaut, die mir allerdings sehr gut gefallen hat. In den Büchern sollen aber noch mehr Personen vorkommen und irgendwann wird mir das zu viel. Keine Sorge, meint Oskari, die Wichtigen behält man in Erinnerung, der Rest lebt nicht lange genug.


Gegen 15:30 erreichen wir die Stahlhängebrücke über den Moarhmmájohka. Der Miniaturwasserfall ist so wunderschön, dass wir beide uns entschließen eine kleine Fotosession einzulegen. Das Farbenspiel ist heute besonders toll.



Natürlich wird auch kurz etwas genascht, ich spendiere Oskari etwas getrocknete Mango, die sehr gierig gefuttert wird. Danach ist der Beutel leer, muss ich wieder auf Feigen wechseln, die ich aber schon nicht mehr so gut sehen kann. Als wir unsere Rucksäcke schultern, ahne ich noch nichts von dem anstrengenden Aufstieg, der kurz darauf folgen wird. Zuerst geht man wieder einige Meter weit runter, nur um nach einem sumpfigen Areal ordentlich rauf zu wandern. Das Gesprächsthema sind nun diese schwedischen Pfade und Wanderwege, die immer wieder rauf, und runter führen. Wir schimpfen zusammen über diese zusätzlichen "Strapazen" dieses Tages und ich schließe das Thema mit einem laut gerufenen PERKELE ab. Oskari ist zufrieden mit mir.

Vor dem Aufstieg weis ich bereits, dass ich richtig gut ins Schnaufen kommen werde. Nach 20 Metern dreht sich Oskari um und erkundigt sich nach meinem Befinden. Ich versichere ihm, dass alles in bester Ordnung ist. So lange er mich schnaufen und prusten hört, ist alles gut, das kann ich den ganzen Tag so durchhalten, auch wenn man das nicht glauben mag. Sorgen muss er sich machen, wenn es auf einmal still hinter ihm wird, dann bin ich vermutlich zusammengebrochen

Der Blick zurück ins Visttasvággi von der Anhöhe aus. Wundervoll!

Ich frage Oskari, wo er heute sein Lager aufschlagen will. Hier noch nicht, auf jeden Fall irgendwo hinter Alesjaure, sonst kommt er mit seinen Tagesplanungen nicht mehr klar. Somit steht fest, dass wir uns noch vor Tagesende voneinander verabschieden müssen. Mich stimmt das tatsächlich traurig. Ich will aber noch so weit wie möglich mitgehen und wir laufen weiter. Zwischen den Seen Vuolip Čazajávri und Balip Čazajávri steht eine verfallene Lehmhütte der Sami. Wir beschließen dort eine längere Pause mit einer warmen Kleinigkeit zu machen. Passend hierzu kommt die Sonne raus und vertreibt die Wolken immer weiter! Oskari holt seinen selbstmodifizierten Gaskocher aus dem Rucksack und macht sich ein Nudelgericht fertig. Ungefähr sowas wie die Maggi Asia Nudelsnacks, die man nur mit kochendem Wasser übergießen muss und dann ziehen lässt. Ich finde das wirklich prima, wie er sich zu dieser Tour Gedanken gemacht hat und wie viel sinnvolle Vorabplanung in so kurzer Zeit seinerseits möglich war. Ich liege nur rum und mampfe meine Proteinriegel, die mittlerweile total schmierig und zerquetscht sind. Oskari holt sich einen Becher Wasser und fängt an ein Pulver hinein zu schütten. Auf meine Frage, was das sei, antwortet er mir, dass es sich um einen Proteinshake handelt. 250gr dieses Pulvers, was ich zu Hause nehme, wenn ich Krafttrainig mache, haut er sich täglich rein. Die 6000 Kalorien müssen ja von irgendwoher kommen :-)

Danach kocht er nochmals Wasser auf und packt ein kleines Tütchen aus, auf dem Värma Koppar steht, wenn ich mich ganz recht entsinne. Das sind wie bei uns die Heisse Tasse Süppchen, jedoch hier in der süßen Variante. Er haut sich Blaubeergeschmack in die Tasse und will mich fragen, ob ich die Geschmacksrichtung... "How do you say it. I don't know, damn, I know this, why can't I remember?". Ich denke er meint Erdbeere und sage anstatt strawberry "Do you mean jordgubbar?". Ich bin selbst verwundert warum ich einem Finnen die schwedische Bezeichnung nenne, aber er schnallt es direkt und meint "YES! Thank you, strawberry!". Ich wundere mich wie er jetzt auf den englischen Namen kommt, aber ja ich mag die Geschmacksrichtung Erdbeere sehr gerne. Wir lachen über diese multilinguale Unterhaltung und genießen unsere extrem süßen Suppen. Aber immerhin mal was Anderes und den Gaumen freut die Abwechslung sehr. Er lässt mir noch einmal Vanille-Erdbeere und Apfel-Zimt da, in zwei Tagen will er in Abisko sein und dann lässt er sowieso alles liegen, was er noch übrig hat. Für jede Etappe kauft er neu ein, wenn er die Reste jedes Mal mitschleppt kommt er mit seinen Berechnungen durcheinander. Da Apfel-Zimt seine Lieblingssorte ist, fühle ich mich besonders geehrt. Bevor er sich langsam zum Weitermarschieren fertig machen will, fragt er mich wie die Strecke nach Abisko am Kungsleden so ist. Einfach und gut zu gehen! Das sollte er auf alle Fälle schaffen. Als er mich fragt, ob ich noch mitkomme, schaue ich mich nur kurz in diesem tollen Hochtal um und fälle die Entscheidung mein Lager aufzuschlagen.
Oskari holt jetzt ein Buch aus seinem Rucksack und fragt, ob ich ihm meine E-Mailadresse und den Facebookaccount geben möchte. Na logo! Ich freue mich sehr darüber und diktiere ihm alles Buchstabe für Buchstabe, damit er mich auf jeden Fall findet. Ich bin richtig gespannt wie es für ihn weiter gehen wird und er meint, dass er hin und wieder bei Facebook etwas posten will. Als er alles eingepackt hat, geben wir uns die Hand und wünschen uns gegenseitig nur das Allerbeste für den weiteren Tourenverlauf. Ich trichter ihm nochmals ein, dass er mich bei Facebook kontaktiert und dann zieht er auch schon ab. Ein leicht melancholisches Gefühl stellt sich bei mir ein. Wann trifft man denn schon jemanden, mit dem man sich auf Anhieb so gut versteht? Nach nur einem Tag im Fjäll kommt mir es so vor, als ob wir uns besser kennen als manch ein anderer Mensch zu Hause.
Bei diesem wunderbaren Wetter will ich dieses tolle Tal nicht verlassen. Was dahinter kommt, kenne ich bereits und mir ist dieser Ort für mein Lager daher lieber.

Während ich mein Zelt auspacke, ausrolle und aufbaue, blicke ich Oskari hinterher. Es sieht so aus, als ob er zurückschaut und ich winke. Vermutlich sieht er es nicht mehr, die Entfernung ist bereits zu groß. Als das Zelt steht, beschließe ich direkt das Tal weiter zu erkunden. Das Wetter ist wieder traumhaft geworden und ich will die Möglichkeit auf ein paar Schönwetterbilder nicht verstreichen lassen. Dank dem Wind, der mittlerweile sein Unwesen hier oben treibt, habe ich das Zelt direkt hinter der alten Hütte aufgebaut.

In der alten Kåtan und drumrum findet sich jede Menge Müll. Meist alte, verrostete Konservendosen oder Gaskartuschen, aber auch aktuellere Trekkingfoodverpackungen werden gerne dort abgelegt. Ist doch ätzend! Ich ärgere mich zum zweiten Mal auf der Tour über diese Ignoranz einiger Leute gegenüber dieser Landschaft. Eine Feuerstelle neben der Hütte enthält geschmolzene Plastikreste. Woher nehmen die Leute hier nur das Brennmaterial? Ach ja, die offen liegenden Holzstreben der alten Hütte brennen sicherlich prima... Der alte Stahlofen liegt umgekippt hinter der Hütte. Auch dort liegen Reste von Müll drin. Selbst, wenn ich wollte, so viel Müll bekomme ich nie und nimmer alleine hier weg. Ich lasse alles so wie es ist und starte meinen Erkundungsgang.
Die Aussicht beruhigt mich umgehend wieder und lässt mich dahinträumen. Bogičohkka und Vássačorru.

Ich strahle mit der sonne um die Wette!

Das Tal wechselt von steinigen Passagen zu grünen Wiesen mit lauter Blümchen. Sommergefühle werden wach!

Die Kulisse ist so wunderschön, dass ich mehr als 2 Stunden durchs Tal streife, rauf und runter, immer weiter weg vom Zelt.

Das Abendlicht vermittelt eine heimelige Atmosphäre.

Als ich bereits kurz vor dem Visttasvárri stehe, kehre ich um. Was für ein Fehler! An diesem Abend hätte ich dort rauf klettern sollen. Die Aussicht wäre atemberaubend gewesen! An dem Tag kam mir dieser Gedanke leider überhaupt nicht in den Sinn.

Ich überquere das Tal und kehre auf der anderen Seite zurück.

Wieder am Zelt, packe ich mein Kochgeschirr aus und zaubere mir eine warme Portion Nudeln mit Tomatensauce.

Ich liege im Windschatten der alten Hütte mit dem Namen Tjatjajaurekåtan und lasse die Seele baumeln. Seit dem Belgier sind uns keine weiteren Leute begegnet. Abseits des Kungsleden werden selbst die schöneren und bekannteren Routen eher wenig frequentiert. Wer hier seine Ruhe sucht, wird sicherlich fündig!
Irgendwann gegen halb 9 lege ich mich zur Ruhe. Der Tag fordert seinen Tribut ein und ich werde schlagartig müde. Na klar, frische Luft in Massen, gutes Essen und die Bewegung sind eine gesunde Kombination. Eine Portion fester Schlaf obendrauf und man hat die perfekte Mischung!

Ich lasse das Zelt offen und schaue dann doch noch eine ganze Weile auf die Hänge des Unna Visttasčohkka und beobachte die Schattenspiele. Das Zelt bleibt heute Abend offen. Ich döse bei diesem schönen Ausblick langsam ein.
Fazit des Tages: Das Visttasvággi hat seine Versprechen in jeder Hinsicht gehalten! Es war herrlich im dichteren Wald startend sich langsam hochzuarbeiten. Immer wieder hat man tolle Blicke auf die umliegenden Gipfel bekommen. Die Wolken hingen zum Glück sehr hoch. Mit Oskari war die Gesellschaft ebenfalls erstklassig! Achja, als ich Oskari beim Zeltaufbau gewunken habe, hat er sich tatsächlich umgedreht. Er hat ein Foto gemacht und mich vor einigen Tagen drauf angesprochen, ob ich ihm darauf winke oder er sich das nur einbildet. Er hat das Bild genau in dem Moment geschossen, als ich gewunken habe! Ja wir sind über Facebook weiterhin in Kontakt geblieben und ich habe seine weitere Tour verfolgt, als ich bereits lange nach meiner Eigenen daheim war. Bei ca. 1100 von 1000 geplanten Kilometern war er damit fertig. Respekt für diese Aktion. Kurz darauf stand ich selbst nur ganz knapp davor ähnlich zu handeln. Aber was ist danach? Ich habe mich diesen Schritt bislang nicht getraut, aber wer weis was die Zukunft noch bringt.

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