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[GL] Qaqqaqaqaaq – zwischen Eqalorutsit Kangilliit und Jespersen Bræ
Fjellfex: Okay - wenn das gewünscht wird, kann ich später (nicht in den nächsten Teilen) weitere kurze Videos zur Verfügung stellen. Sie sind aber alle mit meinem billigen Mobiltelefon aufgenommen und daher von unterirdischer Qualität.
Philipp: Ja, am Jespersen Bræ ist es besonders auffällig. Ich habe mir die Stelle genau in der Karte markiert, wo ich vom Eis runter muss. Was Qinnguata Kuua betrifft, möchte ich meine Aussage "nicht furtbar" vorsichtshalber stehen lassen. Im nächten Teil gibt es Fotos vom Fluss. Der Pegel war am Dienstagmorgen nur wenige cm niedriger als am Abend zuvor. Man kann also nicht mit einem nennenswerten Abflusstagesgang rechnen. Es mag sein, dass man bei trockener, kühler, bedeckter Wetterlage eine geeignete Stelle findet, aber ich will hier keine großen Hoffnungen machen. Was du sagst: bitte nicht darauf bauen.
zilka; jeha: Jaaa ... doch. Ich finde es ermüdend, wenn ein Bericht zu viele ähnliche Fotos hintereinander hat. Für den letzten Teil mochte ich auf keines davon verzichten.
Abwettern oder Ruhetag, wie man’s nimmt. Es regnet fast durchgehend mit kurzen Pausen, in denen ich mir die Beine vertrete. Ansonsten kann ich den Tag gut zur Erholung brauchen. Könnte rüber zur Hütte gehen, aber mir fällt hier im Zelt überhaupt nicht die Decke auf den Kopf, obwohl es einen Tick zu niedrig ist. Ich finde es tatsächlich sehr gemütlich, auch weil einen weiteren Tag praktisch kein Wind weht. Donnerstag Nachmittag ein bisschen, aber nicht der Rede wert. Das ist ein auffälliger Unterschied zu Island, wo es fast immer windig ist und Lappland, wo Wetterwechsel eigentlich auch fast immer mit Wind einhergehen.
Stiller (bis auf gelegentliches Rumpeln vom Gletscher), nasser Tag am Eqalorutsit Kangilliit.
Montag, 11. August
Am frühen Morgen beherrscht noch Nebel mit Nieselregen das Tal, aber ab 8 Uhr schimmert schon die Sonne etwas durch, und es bleibt trocken. Gegen 9:30 Uhr habe ich gepackt und gehe durch extrem nasse Vegetation auf dem Schafpfad das Tal hoch wie ich gekommen bin.
Abschied vom Gletscher
alles sehr nass
Blick zurück – an solchen Stellen erkennt man den Pfadverlauf unter den bis zu anderthalb Meter hohen Sträuchern manchmal nur an einer Reihe von kahlen Zweigen.
Mehr und mehr setzt sich die Sonne durch, der Nebel löst sich zögernd auf. Als ich nach einer Wanderstunde kurz Pause mache, sind Schuhe und Socken schon durchnässt. Egal, das wird ein schöner Tag, die trocknen auch wieder. Ich bin mit langsamem Tempo und kurzen Etappen zufrieden und möchte mich lieber ein bisschen treiben lassen und die stimmungsvolle Landschaft genießen als einen Plan zu fassen. Statt der Alternativroute über den Höhenzug beschließe ich spontan, dass ich mir den Gletscherfluss anschauen werde.
noch ein Blick zurück
die Fliegen sind auch wieder da
Wasser fassen am Bach
Wie – ich möchte schon fast sagen – „immer“ weht nur ein sehr leichter Westwind bei jetzt vielleicht 11 oder 12°C. Mittagspause mache ich gegen 12:30 Uhr dort, wo mitten in der Ebene die neue ATV-Spur beginnt und schaue danach nicht mehr auf die Uhr. Normalerweise notiere ich abends die Gehzeiten im Tagebuch, damit man sie später als Anhaltspunkt nutzen kann.
Nur ein kurzes Stück folge ich dem Weg, auf dem ausschließlich Schafspuren zu sehen sind, keinerlei Reifen- oder Schuhabdrücke, bis zu den kleinen, etwas höher gelegenen Seen.
Dann schwenke ich nach NO, um direkt auf den Gletscherfluss Qinnguata Kuua zu stoßen, wo er sich nach einer Engstelle zum ersten Mal verzweigt.
genau hier
Blick nach ONO Richtung Johan Dahl Land. Der Fluss fließt aus dem Nordbosjø durch ein teils stark zerklüftetes Tal, das extrem spannend aussieht. Andererseits ist die Route anspruchsvoll, mit steilen Auf-und Abstiegen in schwerem Gelände. Das widerstrebt mir, wo ich mich doch gerade erst dem Genusswandern verschrieben habe. Wer es sich gerne anschauen möchte, dem sei das schöne Video von Clemens ans Herz gelegt: https://www.youtube.com/watch?v=D794-Yzqh6Y&t=2507s
Viel mehr reizt es mich, herauszufinden, ob sich der Fluss mit dem Packraft queren lässt. Die Strömung sieht auch hier einigermaßen stark aus, und ich bin bekanntlich eine Wildwasser-Niete. Wenn es zu schnell geht, überfordert mich das, und mein kleines Paddel ist auch nicht darauf ausgelegt. Also nicht lange nachdenken, dem Zweifel keinen Raum lassen, schnell das Boot aufblasen, Schwimmweste nicht vergessen und rein.
Geht ganz gut. Ich bewahre kühlen Kopf, schaffe es aber bei der nächsten Teilung nicht in den linken Strom. Der rechte ist zu stark und zieht mich mit. Immerhin gelingt es, an einer flach auslaufenden Stelle auf Flusskieseln am linken Ufer anzulanden und schnell das Boot auf die Insel zu ziehen, bevor es weiter getrieben wird. Der zweite Hauptarm fließt ein Stück weiter etwas ruhiger, da kann ich wieder einsetzen. Auf der anderen Seite unterschätze ich den Strömungsdruck, werde beim Anlandeversuch quer gedreht und muss weiter paddeln, damit ich nicht unkontrolliert rückwärts treibe. Dann kommt eine ganz flache Stelle, an der ich mühelos aussteigen kann:
Geil! Geschafft! Das hat doch super geklappt.
Danach kommen zwei, drei kleinere Flussarme, die ich zu Fuß queren kann. Während das Boot trocknet, steige ich für besseren Überblick ein Stück den Hang hoch.
da hinten aus dem Tal in der Mitte bin ich gekommen
Mit Gepäck gehe ich nur noch einen guten Kilometer flussaufwärts, lasse den Rucksack stehen und gucke mir den Wasserfall und das Tal hinter der nächsten Biegung an.
Zeltmöglichkeiten gibt es genug in der Ebene, aber bei genauerem Hinsehen sind sie alle recht hubbelig. Ich suche ziemlich lange, bis mir einer zusagt.
Waschen im Gletscherfluss ist dann gar nicht so schlimm wie befürchtet – viel kälter als der Bach am Strand ist das Wasser auch nicht. Außerdem scheint ja immer noch die Sonne, und das soll sie laut der InReach-Prognose auch morgen tun. Am Abend überlege ich, wozu ich wirklich Lust habe. Ich könnte noch einen Tag nach Osten dem Tal folgen und dann in zwei oder drei Tagen über das Gebirge nach Narsarsuaq gehen. Oder ich könnte morgen eine längere, aber einfache Strecke am Fjord in Richtung Narsarsuaq machen, Mittwoch dann bis ins Blumental gehen und mir am Donnerstag den östlichen Eisfjord Qooroq angucken. Das klingt besser, grüner, erholsamer und macht überhaupt keinen Zeitdruck, egal wie das Wetter wird.
Wieder mal eine klare Nacht mit wenig Wind und einer Außentemperatur, die an der 0°C-Marke kratzt. Im Akto ist es ja immer ein paar spürbare Grade wärmer und damit perfekt für meine Schlafkombi aus STS Ether light, Katabatic gear Quilt und einem Mikrofaser-Inlett. Ich muss das hier mal erwähnen, weil ich vor der Tour leichte Zweifel hatte, ob sie wirklich ausreicht. Völlig unbegründet – tatsächlich habe ich bis jetzt in Grönland jede Nacht überdurchschnittlich gut geschlafen. So auch heute. Ich lasse mir Zeit bis die Sonne über den Berg kommt und breche um 8 Uhr auf.
noch mit Mond am Himmel
Die üblichen Insekten treten ihren Dienst auch schon an, aber heute habe ich einen entscheidenden Vorteil: ein leichter Wind weht direkt von vorne das Tal herauf. Das reicht gerade aus, damit sie sich hinter mir versammeln und ich mal ohne Kopfnetz gehen kann. Zurück durch die Ebene, dann kurz am Hang entlang und über die nächste Ebene bis zum Weg. Bevor ich dem folge, gucke ich mir natürlich den Wasserfall an.
Hier gab es vor einigen Jahren noch eine Brücke, eher einen Steg, der immer wieder beschädigt und dann nicht mehr aufgebaut wurde. Auf dem Foto sieht man am anderen Ufer noch Reste davon.
vom Weg aus
von hier sieht man fast alle Fallstufen
Frühstückspause 9:30 bis 11 Uhr am Ende der Engstelle im Tal. Danach geht es weiter durch das breiter und flacher werdende Tal bis zum Hof Qinngua kangilleq. Nicht zu verwechseln mit dem Hof Qinngua westlich der Gannet Bugt. Auf der älteren Papierkarte sind die Namen vertauscht, was keinen Sinn ergibt, wenn man weiß, dass kangilleq „östlich“ bedeutet. Wer grönländische Wörter übersetzen will, sollte nicht Google Translator oder anderen vertrauen (das ergibt allzu oft abseitigen Quark), sondern immer den Umweg über Dänisch gehen, also kalaallisut – dansk suchen. Diese Seite finde ich brauchbar: https://iserasuaat.gl/daka/. Für die Aussprache hier mal reinhören: https://sumut.dk/da/dagens-groenland/udtaleordbog/
bis zum Fjord sind es noch einige Kilometer
kurz vor der Mündung teils sich der Fluss wieder in mehrere Arme
Über den westlichen und östlichen Flussarm gibt es jeweils eine Brücke, der mittlere muss gefurtet werden. Ich bleibe aber, nach einer kurzen Pause, auf der Ostseite und folge weiter gemütlich dem Weg.
Der Hof (hier die Scheune) hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Dauerhaft bewohnt wirkt er nicht, obwohl auf der Wiese Heu gemacht wird.
also doch irgendwie bewirtschaftet
Mündungsbereich Qinnguata Kuua mit Hof Qinngua auf der anderen Seite
Blick zurück, Qinngua kangilleq
Wenn ich es richtig verstanden habe, sind Nadelbäume hier nicht wirklich heimisch. Diese sind eingezäunt und auf der Karte mit „Rosenvinges Plantage“ bezeichnet.
sie wachen aber auch außerhalb der Plantage
Nicht weit dahinter mache ich im Schatten von etwa drei Meter hohen Birken gemütlich Mittagspause. Von dieser Stelle will ich mich gar nicht lösen – mit Bäumen fühle ich mich immer so behütet.
Das Schaf beobachtet mich interessiert. Ansonsten begegnet mir niemand auf dem Weg. Qinngua im Hintergrund sieht aber bewohnt aus. Oberhalb davon liegt hinter dem ersten Hügel der See 227m, an dem ich Donnerstag gezeltet habe. Nach etwa fünf weiteren Kilometern in Richtung Narsarsuaq …
… komme ich an eine Stelle nahe der Ruine Iterlak an der gleichnamigen Bucht, die sich perfekt zum Zelten eignet. Wiese, Bach, Schafe, fröhlich zwitschernde kleine Vögel – es ist einfach nur idyllisch.
Obwohl ich heute mal wirklich vor fünf wach bin, lasse ich mir wieder viel Zeit und breche erst um 8:30 Uhr auf. Dieses Herumtrödeln am Morgen ist eigentlich total untypisch – normalerweise koch ich mir ’n Kaffee und packe. Grönland ist eben doch ein bisschen unerklärlich … anders. Bei bedecktem Himmel zeigt das Thermometer 5°C.
Blick zurück, rechts von der Mitte meine Zeltstelle an der Bucht
hier sieht man, dass der Fahrweg wirklich nicht oft benutzt wird
Gute anderthalb Stunden brauche ich bis zum Fuchshügel und dem Gletscherfluss, wo ich wieder das Boot fertig mache. Heute quert es sich bei leichtem Westwind genauso unproblematisch wie vor 8 Tagen.
Genau auf der anderen Seite von Narsarsuaq liegt derweil ein etwas größeres Boot vor Anker, nämlich ein Kreuzfahrtschiff. Ich hatte ja gehofft, dass dieser Kelch an mir vorüber geht, dass große Schiffe vielleicht nur in Qaqortoq stoppen, aber wie es aussieht muss ich da jetzt durch. Am Flughafen würde ich gerne ein paar Sachen waschen und dann kurz im Laden vorbeischauen, um die verbliebenen Riegel und Tütenessen für die zweite Tour aufzusparen.
Jaa, es ist schon sehr einfach, sich über Kreuzfahrttouristen lustig zu machen, die jetzt überall zu zweit oder in kleinen Grüppchen herumgehen. Low hanging fruit könnte man sagen, oder mit einem guten alten Wort: wohlfeil. Sie wollen ja auch nur mal was Fremdartiges begucken und dann wieder auf ihr Schiff. Man sollte verständnisvoller sein. Grönland ist kalt, wurde ihnen gesagt, also tragen sie Thermohose, Daunenjacke, Hardshell, Mütze, Schal und Handschuhe. Tun sie das zu Hause auch bei 12 Grad? Einige tragen auch ein Kopfnetz, obwohl es hier praktisch keine Insekten gibt. Nicht nur im Blue Ice Cafe und im Museum, wo sie hingehören um das Geschäft anzukurbeln, sondern auch im Flughafen laufen sie so herum. Warum? Ist ihnen draußen zu kalt? Mit Kopfnetz? Wovor haben sie Angst?
Ich bin etwas irritiert, lade mein Telefon, rasiere mich und wasche die Wandersocken mit viel Seife und warmem Wasser. Finden mich andere auch so seltsam? Dass man in der Flughafentoilette Körperpflege betreibt und seine inzwischen etwas müffelnden Socken wäscht, dass man draußen bei nur 12 Grad im T-Shirt herumläuft, dass man lieber im Zelt schläft als im Hotelzimmer, ist bestimmt auch merkwürdiges Verhalten. Also halte ich mal lieber die Klappe und wende mich dem Pilersuisoq zu.
Also, Pilersuisoq ist super: https://pilersuisoq.gl/da/ Ein Netz von Geschäften für den täglichen Bedarf versorgt selbst kleine Siedlungen unter 50 Einwohner in ganz Grönland zu einheitlichen Preisen. Es gibt ein Basissortiment (zum großen Teil die bekannten REMA 1000 Eigenmarken), das man sich hier als pdf herunterladen kann: https://pilersuisoq.gl/da/basissortiment/ Natürlich kann mal etwas ausverkauft sein, und es wird nicht immer alles nachgeliefert. Verhungern wird man trotzdem nicht. Heute sind einige Regale leer. Mit Blick auf nächste Woche kann ich die letzten 3 Päckchen Marie-Keks und die vorletzte Erdnussbutter ergattern. Obst und Gemüse faulen im Kühlregal vor sich hin, aber der schüchterne junge Mann an der Kasse macht mir Hoffnung für Freitag – auch was Erdnüsse und Müsliriegel betrifft. Okay, dann muss ich Samstag vor 12 Uhr wieder hier sein, war sowieso geplant.
Am ersten Bach in Richtung Blomsterdalen, also direkt hinter dem Flughafengelände, mache ich eine lange Mittagspause. Ich humpele etwas, weil mein linker Fuß aus unerklärlichen Gründen schmerzt, und bin auch allgemein ein bisschen erschöpft. Wenn ich morgen den Tagesausflug über Mellemlandet zum Gletscherfjord Qooroq machen will, sollte ich heute noch möglichst weit ins Tal hinein gehen, denn die aktuelle Prognose sagt für morgen Schauer, ab dem Abend Regen und für Freitag satte 33mm Niederschlag voraus.
Nach einer guten Stunde Straße und Fahrweg überblickt man schön das Blomsterdal (Blumental). Wo der Weg in der Ebene endet, beginnt rechts am Rand ein Pfad, der sogar stellenweise mit roten Punkten markiert ist. Als alter Norwegen-Fan freut man sich leider zu früh, denn die Markierungen weisen lediglich auf den geänderten Pfadverlauf und den Startpunkt der neuen Aufstiegsroute (neben dem Wasserfall ganz hinten rechts) hin. Blomsterdalen ist schön, keine Frage, aber Blumen gibt es hier weniger als so ziemlich überall sonst. Keine Ahnung, wer sich den Namen ausgedacht hat. Vielleicht blühen sie hier früher als woanders?
links neben dem Wasserfall geht es hoch, aber nicht mehr heute
Hinter dem Durchbruch des Flusses sieht man gerade so die flach auslaufende Zunge des Narsarsuaq-Gletschers, der auf der einen Karte als Kuussuup und auf der anderen Kiattuut Sermiat bezeichnet wird. Zwischen dem Aufstiegspunkt und dem Durchbruch finde ich nach einer weiteren Wanderstunde einem absolut befriedigenden Zeltplatz.
Donnerstag, 14. August
Anhaltender Regen am Morgen schreckt mich doch ein bisschen von meinem Vorhaben ab, die Tageswanderung über den Höhenzug Mellemlandet zum Qooroq Eisfjord zu versuchen. Während einer trockenen Phase am Vormittag suche ich zwar halbherzig ein Paar Sachen zusammen, die ich mitnehmen würde, aber das Wetter sieht alles andere als stabil aus. Nach kurzer Überlegung beschließe ich, dass ich es am Ende des Urlaubs direkt vor dem Rückflug noch einmal probieren werde und ergebe mich meinem Schicksal.
Wie richtig die Entscheidung war, zeigt sich gegen Mittag, als ein Gewitter mit starkem Regen einsetzt, der gar nicht mehr aufhören will. So war das nicht angesagt. Überall rauscht Wasser vom Hang und sammelt sich in einem neuen Bach, der gestern noch ein Pfad war. Bei der Niederschlagsmenge hat sich das DMI völlig verschätzt – 7mm, my ass!
Freitag, 15. August
Heute regnet es sehr viel den ganzen Tag. Wenn es mal für kurze Zeit nur nieselt, mache ich draußen meine Erledigungen, bevor es wieder richtig pladdert. Nicht weit vom Zelt ist ein neuer Wasserfall entstanden, und der Bach von gestern mündet jetzt in einen neuen See. Mein Platz ist zum Glück nicht gefährdet. Innen bleibt es trocken und gemütlich. Ich schlafe viel, lese ein bisschen und betrachte die erzwungene Untätigkeit als willkommene Regeneration vor der Tour zum Jespersen Bræ.
Sehr cool, das alles. Und ein paar Spritzer Philosophie drüber - gefällt mir.
..
Gut, unbewusst warte ich immer auf den Eisbärenauftritt. Aber man kann nicht alles haben.
Sehr cool, das alles. Und ein paar Spritzer Philosophie drüber - gefällt mir.
Das freut mich!
... Eisbärenauftritt ...
Spoiler - den wird es nicht geben. Dafür in der zweiten Hälfte interessante, noch mal andere Landschaft und ein paar schöne Paddeleinlagen. Was dann hoffentlich für den fehlenden Eisbären teilweise entschädigt.
Nebel hängt tief über dem Tal, der Regen hat aufgehört. Wie gut, dass ich mir volle 21 Tage in Grönland gönne, plus Reise. Die bisher drei Regentage fallen da kaum ins Gewicht. Bin gespannt, was das Wetter in der zweiten Hälfte zu bieten hat. Am Morgen laufe ich die zwei Stunden zurück nach Narsarsuaq.
der Wasserfall spiegelt sich in der neuen Seenlandschaft
trotz mehr Wasser lässt sich der Bach leicht überschreiten
vorläufiger Abschied vom Blumental – ich komme wieder
Im Pilersuisoq ist viel aufgefüllt: Obst und Gemüse, Brot, Aufschnitt, aber z.B. keine Erdnussbutter. Man muss wirklich taktisch einkaufen, also die wichtigen Dinge dann, wenn es sie gibt. Ich decke mich mit Kaffee, Instantnudeln, Erdnüssen, Digestive- und Ballerina-Keksen und Müsliriegeln für die Tour ein. Für heute gibt es noch Äpfel, Bier, Brot und was für drauf. Dann frage ich bei Blue Ice, ob sich die Abfahrt nach Itilleq geändert hat (hat sie – ich soll morgen schon um 9 Uhr hier sein) und ob ich gegen eine Gebühr im Hostel duschen und die Waschmaschine benutzen dürfte (darf ich für 100 Kr, was okay ist). Man kann auch für 225 Kr neben dem Hostel zelten, wenn man möchte.
Einen Wäschetrockner gibt es im Hostel nicht, aber es wird sonnig. Am Bach hinter dem Flughafengelände finde ich die perfekte Lösung:
Sonntag, 17. August
Die zweite Urlaubshälfte beginnt mit dichtem Nebel, der keine Anstalten macht, sich auch nur minimal zu lichten. Um 8:30 Uhr, das reicht locker, gehe ich los zum Blue Ice Cafe, wo ich schon erwartet werde. Wir sammeln mit dem Kleinbus noch Leute vom Hotel auf und fahren dann zum Hafen. Hier herrscht ein bisschen Verwirrung, weil ein Bootsführer krank ist und anders disponiert werden muss als geplant. Ich werde in ein Boot gesetzt, wieder heraus gerufen und an der Mole platziert. Mikisoq soll ich mir merken, so heißt das andere Boot. Wenn es von der ersten Tour nach Qassiarsuk zurück ist, fährt es nach Itilleq.
Mikisoq bedeutet einfach nur „klein“, und der Name passt. Mit fünf Passagieren schon fast voll, geht es 25 Minuten zwischen Eisbrocken durch den Nebel den Fjord entlang. Zwar ohne den erhofften Blick vom Wasser auf die Berge, aber mit Aussicht auf Besserung. Ab 12 Uhr soll es aufklaren.
Mikisoq am Anleger Itilleq, hier hebt sich der Nebel schon
Den Hotelgästen wird nur das Gepäck nach Igaliku gebracht, die 5km bis zum Ort laufen müssen wir alle.
Igaliku
Hier mache ich nur eine kurze Pause und gehe dann noch eine halbe Stunde weiter zum Fjordende. Jetzt könnte ich weitere 5-6km auf der nordöstlichen Fjordseite bis zum Abzweig in das Hochtal Qoororsuaq wandern, aber warum sollte ich? Hab ja ein Boot. Bei Sonnenschein und wenig Wind kann ich einfach an der Küste entlang schippern.
Blick nach Igaliku
hier mache ich Pause und esse meinen letzten Apfel
an Land muss man stellenweise durch Weidengestrüpp
interessante Wolken – ob sie wohl eine Bedeutung für das Wetter haben?
An dem Strand am linken Bildrand lege ich an und stelle gegen 14 Uhr erst mal mein vom Nebel tropfnasses Zelt für die Mittagspause auf. In der Mitte sieht man das Tal Qoororsuaq. Links davon auf der Nordseite werde ich später noch ein Stück hochgehen.
der Nebel löst sich auch an der Bergen langsam auf, Nalagaa
Sulussugutaasaa
Herrlich! Das hat Spaß gemacht!
Ab 15:30 Uhr steige ich etwa 300 Hm am Hang auf, also eine gute Stunde durch leichtes Gelände.
anfangs noch mit Vegetation, hier Gras und niedrige Weidensträucher …
... später grau in grau über Steine, Sand und losen Schotter
Mit Zeltplätzen sieht es hier weniger gut aus, aber es gibt immer noch kleine grüne Flecken. An einem der höchsten will ich bleiben. Leider sind die ebenen bewachsenen Flächen komplett durchnässt. Ich suche eine ganze Weile – nichts zu machen. Man sinkt richtig in den nassen Schutt ein. Dann muss ich also auf Steinen zelten und vorher die Stelle etwas einebnen. Nicht gerne, nur das kleinere Übel.
Inzwischen sind Wolken aufgezogen. Es bleibt jedoch mild und fast windstill, so dass ich nach dem Waschen den Nachmittagskaffee mit Blick auf den Igalikup Kangerlua (auch Einarsfjord, Igaliko Fjord oder Aniaaq genannt) einnehmen kann. Das war ja wohl ein superguter Start in die zweite Tour. Ich bin sehr zufrieden und freue mich auf morgen.
Am Morgen ist es immer noch größtenteils bedeckt, mit 9°C ziemlich mild, und es weht ein spürbarer NO-Wind das Tal herunter. Ausnahmsweise konnte ich nicht gut schlafen. Ein bisschen müde, aber mit innerer Unruhe, die mich irgendwann in der Nacht überkam, packe ich nach dem ersten Kaffee zusammen und mache mich um 7:15 Uhr an den weiteren Anstieg zum Qoororsuaq Hochtal.
letzter Blick nach Igaliku
Igalikup Kangerlua
Von 300 auf 600 Höhenmeter geht es zwar hoch, aber durch leichtes Gelände aus losem Schutt und mittelgrobem Geröll. Nur an steilen Stellen, etwa am Rand von Bachrinnen, rutscht der Schutt unter meinem Gewicht öfter ab, was es dann doch auf die Dauer etwas anstrengend macht. Denn Bachrinnen sind viele zu queren, mache trocken, manche mit einem kleinen Rinnsal. In der Karte wird eine Route auf der anderen, südöstlichen Talseite vorgeschlagen, was ich nicht ganz nachvollziehen kann. Hier sieht es deutlich besser aus.
Für 20 Minuten Pause nach der ersten Wanderstunde suche ich mir einen großen Stein als Schutz, denn hier oben weht der Wind empfindlich. Die Wolken hat er schon weggeblasen.
ich steige etwas höher als nötig und habe dafür einen besseren Überblick
dann komme ich in die Talebene
Die Strecke durch das Tal zieht sich länger als ich eigentlich vor dem Frühstück gehen möchte, aber ich hätte auch gerne einen netten Platz. Direkt vor dem Hügel, am See 570m, stelle ich kurz nach 11 bis 13:00 Uhr das Zelt auf einen Vegetationsfleck. Quilt, Regenzeug usw. – alles was ich für eine ordentliche Beschattung brauche – muss ich gegen den Wind festbinden. Trotzdem ist es mit jetzt schon fast 20°C im Schatten zu warm.
Ich halte mich nach der Pause westlich des Hügels auf dem oberen Bild und komme über eine Passhöhe von 650 Metern auf die Nordseite. Ziemlich genau so hoch wie der Übergang von Qinngua zur Eisbucht, aber so unterschiedliche Landschaft. Absolut faszinierend!
Blick nach Westen vom Pass
Blick nach ONO
rechts der kleinere nördliche See
Blick nach Norden in meine Laufrichtung
Bei kräftigem Gegenwind suche ich mir eine Abstiegsroute durch sandiges, steiniges, teils auch verblocktes Gelände.
Am westlichen Rand sieht es besser aus …
… und am östlichen Rand sieht es auch besser aus. Irgendwie hänge ich hier in der Mitte fest.
Blick nach Osten zum Qoororsuup Ilulequtai (1656m) links und dem Gipfel 1714m rechts
Hier könnte ich vielleicht den mächtigen Wildbach zur Ostseite queren, aber ich spekuliere auf einen schönen unverstellten Blick auf den Fjord unten im Haupttal und bleibe deshalb lieber auf dieser Seite.
Mittagspause 14:45 bis 16 Uhr an windgeschützter Stelle. Bin etwas erschöpft. Das war technisch nicht schwierig, aber zwischen Steinen und Sand doch anstrengend. Für den Weiterweg halte ich mich etwas höher und weiter westlich als in der Karte vorgeschlagen. Zuerst noch einen Blick talaufwärts, da wird es morgen weiter gehen …
… der Gletscherfluss Qooqqup Kuua (Sorteelv, der schwarze Fluss) hat selbst an der breiten Stelle gewaltig Strömung …
… dann laufe ich einen Bogen, um über einen lang gestreckten Moränenkamm abzusteigen.
Blick über das Flussdelta zum Qooroq Eisfjord
auf dem Kamm
Der Wind bläst hier unerträglich aus Osten direkt das Haupttal herunter, treibt Sandkörner wie Nadelstiche auf ungeschützte Hautstellen. Als mich eine Bö regelrecht umweht und ich mich nur mühsam aufrappeln kann, muss ich auf die steile Westflanke der Moräne ausweichen.
Tja, es lässt sich nicht mehr leugnen. Ich werde mich mit einem Phänomen auseinandersetzen müssen, von dem ich gelesen hatte, das ich mir aber nicht so recht vorstellen konnte. Dem berüchtigten stürmischen, sehr warmen Föhnwind, der direkt vom Inlandeis kommt und tagelang anhalten kann. Klingt widersinnig? Willkommen in Grönland! Es wird empfohlen, feste Behausungen aufzusuchen. Jo – einfacher gesagt als getan. Das beste, was ich hier kriegen kann, wenn ich nicht auf Sand zelten will (wo die Heringe nicht halten), sind Weidenbüsche. Nach längerer Suche entscheide ich mich für eine halb geschützte, leicht abschüssige Stelle.
Wenn das Akto wie hier bombenfest abgespannt werden kann, verträgt es eine Menge Wind. Laut ist es natürlich trotzdem, aber ich bin zuversichtlich. Heute nur Katzenwäsche in der Apsis.
ronaldo: Ja, stark ist auch das Adjektiv, das mir zuerst in den Sinn kommt. Starke Eindrücke und ein starkes Wildnisgefühl prägen den nächsten Teil:
Dienstag, 19. August
Der starke, irritierend warme Föhnwind rüttelt mein Zelt die ganz Nacht ordentlich durch. An Schlaf ist kaum zu denken. Eine, maximal zwei Stunden mit unruhigen Träumen von einem bösen Menschen, der mit einer baumlangen Stange auf mein Zelt eindrischt. Nee, andere Menschen sind hier nicht und ehrlich gesagt kann ich das verstehen.
Blick aus dem Zelt
Ziemlich gerädert, der Tag gestern war ja nicht ganz unanstrengend, nehme ich um 7 meinen Frühkaffee ein und breche um 8 Uhr auf. Gleich ohne Hose und in Furtsandalen, denn als erstes muss ich durch den wild schäumenden Bach aus dem Qoororsuaq-Tal. Ich hätte ja gedacht, an der Mündung in den Gletscherfluss sei der leicht zu furten, aber dort ist er keineswegs breiter und flacher.
Bachmündung – eindrucksvoll, aber auch ein bisschen gruselig
Ich furte also etwas oberhalb und stoße an meine Grenzen. Der Strömungsdruck ist so stark, dass ich mit ganzer Kraft und Konzentration gerade so dagegen ankomme.
Furtstelle
Der Nebenarm ist dann einfacher zu queren. Nach diesem ersten Hindernis geht es über eine steinige Ebene, bis auf der Ostseite wieder Vegetation und einfacheres Gelände anfängt. Auf der Karte ist die Route am Gletscherfluss entlang als schwarz, also schwer markiert (die von gestern war rot, was mittelschwer bedeutet). Mal sehen was noch kommt – hier läuft es sich jedenfalls prima.
Qoororsuaq, gestern bin ich von der Mitte am Hang nach rechts gegangen, heute in der Ebene aus groben Flusskieseln nach links
Blick zurück
leichtes Gelände am Hang, es gibt sogar einen Schafpfad
Nur der kräftige Gegenwind macht mir zu schaffen. Immerhin hat er sich im Vergleich zu gestern Nachmittag etwas abgeschwächt, sonst hätte ich ein Problem. An der Engstelle finde ich um 9 Uhr einen geschützten Platz für die Frühstückspause.
die überschwemmten Sträucher bedeuten wohl etwas höheren Pegel als normal
großartige Berglandschaft, ganz rechts hinten Illerfissalik (1756m, auf der topographischen Karte fälschlich Illerfissavik geschrieben)
namenloser Berg 1697m im Norden
Als ich um 10:40 Uhr weitergehe, ist Wind für die nächste Zeit kein Thema mehr. Nicht weil er nachgelassen hätte. Nachdem ich nämlich für 200 Meter frohgemut einem Schafpfad gefolgt bin, finde ich mich plötzlich im dichtesten Dickicht wieder. Zwei bis drei Meter hoch wachsen die Weiden hier, halten schön den Wind ab, verhindern aber auch äußerst effektiv jegliches Vorankommen. Bushwhacking der übelsten Sorte. Meter für Meter kämpfe ich mich durch, suche links und rechts nach passierbaren Stellen, aber es ist aussichtslos.
Apropos Aussicht: mein Gefühl sagt mir, ich sollte etwas höher steigen, um vielleicht einen Überblick zu gewinnen. Das gelingt auch, aber um den Preis, dass ich jetzt erkennen muss, wie wenig an Strecke ich mit viel Körpereinsatz geschafft habe und wie viel besser es weiter unten am Fluss aussieht. Mitten zwischen den Sträuchern war das nicht zu ahnen.
Dorthin, also quer zu meiner Laufrichtung zum Fluss, schlage ich mich jetzt durch gefühlt noch dichteres Buschwerk (was nicht sein kann) und finde nach einer Ewigkeit tatsächlich wieder eine Art Pfad. Wenn man nicht höher ist als ein Schaf, kommt man ganz gut durch. Als Mensch mit Rucksack ist es trotzdem noch stellenweise ein Kampf mit störrischen, kreuz und quer wachsenden Zweigen. Zahlreiche blutige Schrammen an den Armen zeugen davon. Die kann ich nicht alle versorgen, so viele Pflaster habe ich gar nicht dabei, höchstens in der Pause mit Spiritus desinfizieren.
zurück am tosenden Gletscherfluss
Aber, um jetzt endlich mal wieder was Positives zu sagen, der Schafpfad steuert gezielt die besseren, strauchfreien Stellen an und erhöht meine Durchschnittsgeschwindigkeit enorm. Als ich nach anderthalb Stunden eine kurze Pause einlege, kann ich auch stolz auf anderthalb zurückgelegte Kilometer Luftlinie blicken. So! Ohne Pfad wären das sehr viel weniger.
auf dem Foto kann man erahnen, dass es absolut idiotisch war, es hangaufwärts zu probieren
offen heißt auch wieder windig
solche Stellen mit losem Schutt werden ab jetzt häufiger
Die nächste Buschwerk-Passage, die sich auf dem Foto schon andeutet, umgehe ich im Flussbett. Dafür muss ich zwar dreimal die Schuhe wechseln, aber es sind nur unproblematische kleine Nebenarme.
hier läuft es sich trotz der großen Flusskiesel besser …
… dort muss ich mich wieder in die Büsche schlagen
das Gesträuch ist etwas niedriger – ich kann drüber gucken und verliere den Pfad nicht mehr
Um 13:30 Uhr finde ich am Ende der nächsten breiten Stelle im Flussbett einen perfekt windgeschützten Platz für die Mittagspause. Ich mag eigentlich gar nicht mehr weg, hier ist es so schön. Nur kommen danach zwei Kilometer mit ziemlich steiler Böschung, die ich auf jeden Fall noch hinter mich bringen will. Gegen 16 Uhr kann ich mich aufraffen.
Aus Richtung des Gletschers im Hintergrund kommt der Wind. Zum Glück weht er jetzt stetig ohne Böen, denn es geht schon ein bisschen steil hoch und runter auf losem Schutt. Besonders unangenehm sind hier wieder die Bachrinnen, man erkennt sie auf den Fotos überhaupt nicht, die sich tief in den Hang einfressen haben. Eine davon rutsche ich wirklich auf dem Hosenboden runter, weil ich mit den Schuhen keinen Halt finde.
Blick zurück – da sind zwei Rinnen direkt hintereinander, vielleicht kann man sie erahnen
Zusammen mit dem Weidendickicht ist das hier wohl der Grund für die Einstufung als schwer. Theoretisch gibt es auch am Hang einen Schafpfad, der aber an manchen Stellen durch Erosion weggebrochen ist. Da muss ich mich rüber mogeln. Manchmal trete ich kleine Steinlawinen los. Der Untergrund ist nicht unbedingt sicher.
Als das Gröbste geschafft ist, mache ich noch eine kurze Pause und gehe ab 17:30 Uhr eine weitere Stunde am Fluss entlang. Einen Teil der Zeit verbringe ich allerdings mit Zeltplatzsuche.
Also, eine komplett windgeschützte Stelle findet sich nicht. Der Platz, für den ich mich letztlich entscheide, ist aber dann gar nicht mal so ungemütlich:
Obwohl es auf den ersten Blick feucht aussieht, hat er trockenen Untergrund, großartige Landschaft und liegt zumindest nicht ganz exponiert.
Nabend Bernd,
Schön dass du das so ausführlich beschreibst! Das frischt die Erinnerung auf, die dann doch überlagert ist vom Besuch am Motzfeldt Sø und dem offensichtlich obligatorischen Sturm. Den haben wir in den Flusskieseln überstanden...An die Büsche kann ich mich jetzt auch wieder erinnern: ich war genervt davon dass die mich genervt haben, schließlich waren wir vom Tasermiut gerade anderes gewohnt. Kleiner werden sie in den 12 Jahren jetzt nicht geworden sein. Wenn mein Rechner sein neues Betriebssystem hat, dann muss ich mal nach Fotos zum Vergleich suchen.
Bin weiter gespannt dabei!
Grüße von Tilmann
TilmannG: die Büsche sind vielleicht auch ein paar cm gewachsen, aber bestimmt wart ihr schlauer als ich und habt euch gleich näher am Fluss gehalten. Vergleichsbilder fände ich sehr interessant, nicht nur von diesem Tal. Falls du hier welche reinstellen möchtest, wäre der beste Zeitpunkt im Bericht nach dieser Tour, wenn ich wieder nach Igaliku komme und vor dem Bonus-Ausflug am Ende.
fhvdrais: wirklich ätzend, so was ist mir in Island 2010 mit dem nagelneuen Soulo passiert. Leider ein reales Risiko bei Sturm in solchen Gebieten.
Mittwoch, 20. August
Diese Nacht konnte ich deutlich besser schlafen – war auch nötig. Der Wind, um den sich jetzt all meine Gedanken drehen, bläst immer noch kräftig und ungewöhnlich warm aus Ost bis Südost. Motzfeldt Sø liegt nur gut vier Kilometer nordöstlich. Ein Binnensee, eingefasst von steilen Berghängen, in den zwei Gletscher kalben. Da möchte ich natürlich unbedingt hin. Das Problem ist, dass ich dafür zwei Gletscherflüsse überwinden muss, die ein Stück oberhalb meiner Zeltstelle zusammen mit dem Seeabfluss eben jenen Qooqqup Kuua bilden, den ich gestern den ganzen Tag bewundern durfte. Zur Veranschaulichung hier das Sentinel-Bild vom 27. August:
Zu Fuß durch das Vorland zum Ostgletscher (der hat einfach keinen Namen) und ein Stück über selbigen, um den nördlichen Fluss zu umgehen, wie es 2013 Tilmann und Susanne noch gelungen ist, sieht unmöglich aus, weil es praktisch kein Gletschervorland mehr gibt. Selbst wenn ich den ersten Zufluss von Süden, also vom Jespersen Bræ, furten könnte (was angesichts der hohen Pegel wegen des sehr warmen Wetters mehr als fraglich ist), bräuchte ich am Ostgletscher das Boot, um auf die Nordseite zu kommen. Realistischer ist, dass ich sowohl über den Randsee des Jespersen Bræ als auch den des Ostgletschers paddeln muss. Bei wenig Wind sieht das attraktiv und machbar aus, aber heute würde ich das, zumal alleine, nicht riskieren.
vor dem Zufluss vom Jespersen Bræ
Und niemals würde ich riskieren, den Fluss mit dem Boot zu queren, an keiner Stelle. Aber wer weiß, vielleicht lässt der Wind heute noch nach. Ich bleibe mal in der Nähe und halte mich bereit. Um 8:30 Uhr gehe ich den letzten Kilometer nach Osten und schwenke dann nach Süden in die große Ebene. Statt abzuflauen legt der Wind genau jetzt noch mal mächtig zu. Staub und Sand treibt mir ins Gesicht, während der Böen komme ich nicht mehr voran. Schon der Versuch, die Kamera für ein Foto ruhig zu halten, scheitert kläglich. So geht das nicht. Ich brauche schnellstmöglich Windschutz.
Alles, was es hier gibt, sind Moränenhügel und vereinzelt kleine, nasse Vegetationsflecken. Zum Glück finde ich schon bald einen Hügel, der quer zum Wind steht, mit ein bisschen Gras davor. Die Apsis reicht ein Stück in den Matsch, aber das ist jetzt egal. Weil der Wind selbst hier noch ungemütlich mal um die eine, mal um die andere Seite des Hügels bläst, baue ich auf beiden Seiten kleine Mauern an die schmalen Zeltenden, damit zumindest die „Überdachungen“ der Lüfter als größte Angriffspunkte geschützt sind. Dann beginnt es zu regnen. Auch gut, ich muss mich hier sowieso einrichten. Für den Rest des Tages gibt es neben etwas ruhigeren auch weitere Phasen mit Sturmböen und gelegentlich Regen. Morgen ist mein zweiter Reservetag, da könnte ich die Fahrt über den Gletschersee probieren. Am Freitag müsste ich dann weitergehen, wenn am Ende noch ein bisschen Puffer für Unwägbarkeiten übrig bleiben soll.
Laut der InReach-Prognose wird dies der vierte und letzte Tag mit Föhnwetterlage. Hoffen wir’s – es reicht langsam. Wind war für Montag und auch gestern viel zu wenig vorhergesagt, darauf gebe ich nichts mehr, aber die Temperatur soll von heute wieder 20 Grad auf morgen nur noch 11 Grad fallen. Da kommt wohl tatsächlich ein Wetterwechsel.
Sonnenaufgang über dem Ostgletscher
Beim Aufbruch um 7 Uhr hat es schon 12°C, der Wind weht mäßig aus Ost. Ich gehe schnurstracks zum breiten Abfluss vom Randsee des Jespersen Bræ, breite das Packraft aus und versuche mein Glück. Wenn überhaupt, dann geht es jetzt. Aber genau in diesen fünf Minuten, als hätte der Wind nur den Moment mit der größten Wirkung abgewartet, legt er los. Mit jeder Füllung des Blasesacks bläst er auch ein bisschen stärker. Es ist wie verhext. Als ich das Boot festhalten muss, damit es nicht davon fliegt, gebe ich auf. Nie wäre ich bei diesem Gegenwind auch nur einen Meter vom Strand weg gekommen.
Okay, Motzfeldt Sø ist gestrichen. Gegen die Natur kann man nicht angehen und sollte es auch nicht versuchen. Eine Übung in Demut, wenn man so will. Zwar kann ich einen kleinen Rest Enttäuschung nicht leugnen, aber die tritt sehr schnell in den Hintergrund. Als ich für heute kein Ziel mehr habe und einfach nur durch die Moränen laufe, sickert erst so richtig ein, wie faszinierend diese Landschaft ist, wie stimmungsvoll das Morgenlicht, wie kraftvoll die Elemente. Hier zu sein, lebendig, und das Sein zu spüren, ist ein starkes Gefühl.
Blick zurück zum Flusstal
Ostgletscher
Jespersen Bræ
Moränenlandschaft
blaues und smaragdgrün schimmerndes Eis
Dort werde ich morgen auf den Gletscher gehen. Jetzt möchte ich erst mal eine windgeschützte Stelle suchen und frühstücken. Dafür quere ich den größten Bach, der weit aus dem Tal im Westen kommt, steige ein Stück den Hang hoch und suche mir ein Vegetationsfleckchen hinter einem Moränenwall. Der ist nicht optimal gegen den Wind ausgerichtet, aber eine bessere Stelle entdecke ich nicht. Also stelle ich das Zelt auf, baue eine Mauer, diesmal nur auf einer Seite … und schnaufe anschließend einmal richtig durch.
Eine Stunde später, inzwischen sind Wolken aufgezogen, gehe ich für einen besseren Überblick den Hang weiter hoch. Ganz auf den nordöstlichen Bergausläufer werde ich es nicht schaffen, wieder mal dem Wind geschuldet, aber zumindest ein Stück höher als das Zelt steht. Als ich den Bach überquert und ein steile Sandböschung erklommen habe, fällt mir auf, dass ich die Kamera vergessen habe. Beim Zurückgehen, um die Kamera zu holen (wo habe ich bloß meine Augen und mein Hirn?), fällt mir auf, dass auf der nördlichen Bachseite, gegenüber und gut sichtbar vom Zelt, ein Schiffscontainer steht.
den muss ich mir angucken
der Eingang ist nur mit einem dünnen Draht gesichert
Ein Unterschlupf für Wanderer? Eher nicht. Was da wohl drinne ist? Eine Horde Zombies? Halb verweste Leichen oder Skelette von früheren Bewohnern? Draußen sieht man keinerlei Fahr- oder sonstige Spuren. Der wurde lange nicht benutzt.
Sieht aus wie die Unterkunft einer geologischen Erkundung. 18 Betten mit Matratzen befinden sich darin, ein alter Schlafsack, Werkbänke, Küchenausstattung, Reste von Olivenöl und Kartoffelbrei, die ich nicht näher begutachte, ein verrosteter Gasbrenner und sogar ein halb voller Kanister mit Spiritus. Staub.
Im Notfall könnte man hier übernachten, aber gemütlich ist was anderes. Dann lieber ein flatterndes Akto. Ich verschließe die Tür und gehe weiter bis zum höchsten Punkt der Moräne mit schönem Ausblick zum Motzfeldt-See. Für die Gegend hätte ich gerne eine weitere Woche, das lohnte bestimmt.
Motzfeldt Sø
Ostgletscher
Jespersen Bræ
links der Container, rechts (schwer zu erkennen) mein Zelt
der Wildbach lässt sich nicht an jeder Stelle queren
Zurück am Zelt, bei stark auffrischendem Wind direkt aus Süd, erhöhe ich die Mauer noch ein bisschen. Gerade als ich fertig bin, beginnt es zu regnen. Gutes Timing. Es bleibt bei einzelnen Schauern, aber gegen Abend gibt es wieder Sturmböen, die nicht nur mein Zelt malträtieren, sondern auf die Dauer auch meine Nerven.
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