Tourentyp | |
Lat | |
Lon | |
Mitreisende | |
Im Wald-Out
Land: Finnland
Reisezeit: März 2015
Der Waldmann ist schuld, er gab mir beim ODS-Treffen im Harz den guten Tipp, für meine nächste Wintertour preiswert und bequem über Ivalo nach Karasjok zu reisen. Nachdem der erste Teil der Logistikplanung erledigt war, d.h. der Flug nach Ivalo gebucht, wurde Teil zwei kurzerhand gestrichen. Wieso nach Karasjok fahren, wenn in Finnland auch Schnee liegt. Und außerdem hatte ich dieses Jahr sowieso nur knapp zwei Wochen Zeit, Da muss ich nicht noch zwei zusätzliche Tage mit An- und Abreise verbringen.
Und dann kommt eines zum anderen: ich will kein Zelt mitnehmen, also muss es Wald sein, wegen dem Wind. Im Wald da ist der Schnee so tief, also muss das Gepäck leicht sein. Weil das Gepäck leicht ist, ist die Pulka zu groß, schnell schreibe ich eine Bestellung an Jonas B. ... Und so weiter und so fort.
Wenn man abends nach Helsinki fliegt, kann man die Nacht mit Schlafsack und Isomatte im Flughafen verbringen, und morgens um sechs frisch und ausgeruht in die Frühmaschine nach Ivalo steigen, um den ersten Kaffee zu trinken. Dort wartet bei Ankunft schon die Busse, um einen zu fahren, wohin man will. Ich will nach Saariselkä, und komme gerade zur rechten Zeit an, um in einem der Hotels zu frühstücken. Dann noch ein paar Einkäufe erledigen, ein kurzer Besuch im Nationalparkzentrum, am großen Holztipi an der Langlaufloipe die Sachen packen, und auf geht’s.
Urho-Kekkonen. Auch wenn es alternative Deutungen gibt, sie fallen allesamt in die Kategorie Volksetymologie. Der Park ist angeblich so benannt worden, weil Urho Kekkonen bekanntlich gern in Saariselkä Ski lief. Die Fotobeweise hängen im Ort in jedem Hotel. Aber: Wenn es es um eine politische Manifestation ginge, müsste das Zielgebiet ja „Mannerheim-Nationalpark“ heißen, schließlich liegt es an der finnisch-russischen Grenze. Also muss die Namensgebung andere Hintergründe haben. Nach aktuellem Stand der Finno-Ugristik heißt hokekkonen ganz ohne Zweifel: „Großer Wald“. Und Ur, das ist ja einfach. Ergo: „Großer Urwald-Nationalpark“.
Urwald der Zukunft.
Nachdem die Etymologie geklärt ist, nun zur Topografie. Als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer sich in der Wüste „Ende der Welt“ verirren, fährt ihnen bekanntlich der Schreck in die Glieder. Denn eine riesige, dräuende Gestalt erhebt sich am Horizont! Dass es am Ende gut ausgeht, ist bekannt. Herr Tur Tur tut nur so, und ist auch insgesamt sehr nett.
So wie mit dem Scheinriesen Tur Tur verhält es sich mit den Erhebungen des Urho-Kekkonen-Nationalparks. Nach dem ersten Entfalten der postalisch eingetroffenen 1:50.000er Wanderkarten wird der Expeditionsleitung ganz flau im Magen. Kühne Gipfel, schroffe Steilwände, tiefe Canyons mit schäumenden Wildflüssen, hektargroße, zerklüftete und unwegsame Felsenmeere. Da soll es hindurch gehen? Doch sobald man sich dem Areal nähert, werden die Hügel sanfter, die Bachtäler gangbar, die Kelos winken freundlich. Das liegt daran, dass die Höhenlinien der Karte fünf Meter Äquidistanz haben und alle Felsblöcke oberhalb der Baumgrenze von fünf Generationen finnischer Landvermesser liebevoll durchnummeriert und danach einzeln kartiert wurden.
Dennoch lauern im Reich der Tur-Tur-Tunturis Gefahren, zum Beispiel: Die Lawinengefahr. „Avalanche risk“ schrieb ein Holländer in der Muorravaarakka-Hütte ins Gästebuch, und am nächsten Tag, als er den Berg Ukselmapää gequert und überlebt hatte, ein weiteres Mal, diesmal im Hüttenbuch der Sarvioja-Hütte und mit drei Ausrufezeichen: „Avalanche risk!!!“. Ha. Ich komme nicht aus Holland, sondern aus Nordrhein-Westfalen, der Langenberg ist 125,2 m höher als der Sokosti, die mit 718 m.ü.M. höchste Erhebung des Urho-Kekkonen-Nationalparks und überhaupt Ostfinnlands. Drum schreckten mich die Gefahren nicht. Ich überschritt den Sokosti, ich durchschritt Pirunportti, die Pforte des Teufels, und kam doch lebend zurück.
Gefährlicher Tur-Tur-Tunturi.
Auch wenn die Tur-Tur-Tunturis bei Annäherung schrumpfen, benehmen sie sich manchmal fast wie ihre großen Geschwister in den Skanden. Es weht, mal bilden sich Sastrugis und Wechten, mal sind die Felsen blankgefegt. Im Nebel und Schneefall verschwimmen die Konturen, Whiteout. Der Autorin dieser Zeilen wurde am letzten Expeditionstag an der Ostflanke des Kivipää mehrfach die Pulka umgeweht. Dass es sich um eine UL-Pulka mit einer äußerst voluminösen, aber federleichten Evazotematte obendrauf handelte und das Ganze zum fraglichen Zeitpunkt maximal 12 kg wog, schmälert die Dramatik des Ereignisses in keiner Weise.
Das alles - Schnee, Sturm, Whiteout - wütet zum Glück nur oberhalb einer magischen Grenze. Unterhalb dieser Grenze kommen erst kleine Birken, dann große Birken, dann kleine Kiefern, dann große Kiefern. Hier weht kein Wind, die Bäume werfen lange Schatten, Geräusche werden verschluckt. Man sieht vielleicht 200, 300 Meter weit. Manchmal ein trippelnder Auerhahn, einmal drei Elche. Für Sekunden im Gesichtsfeld, sofort verschwunden zwischen den dunklen Stämmen.
Einfach von einem Baum zum nächsten gehen...
Das Wald-Out stellt ganz eigene Anforderungen an die Navigation. Kurs halten von Baum zu Baum, der Kompass baumelt am Handgelenk.
Wo kein Wind weht, ist der Schnee ungesetzt und hüfttief. Nach dem ersten Biwak ist klar: Erst das Tarp mit Ski aufstellen und dann Holz sammeln gehen ist eine ganz schlechte Idee. Viel klüger ist es, in umgekehrter Reihenfolge zu verfahren.
Überhaupt erweist sich das Tarp als überflüssig. Der Wetterschutz eines Rechteck-Tarps im Winter ist so minimal, dass es nur bei kompletter Windstille taugt, Und dann kann man sich auch einfach so in den Schnee legen. Meistens aber nutze ich die spartanischen offenen Hütten: Autiotupa - ein Gaskocher, ein Schuppen mit Feuerholz, Holzpritschen ohne Matratzen.
Tanzpalast für Zwölf.
Die Groß-Klein-Anomalie der Tur-Tur-Tunturis findet in den Autiotupa ihre Entsprechung, nur spiegelverkehrt. Denn die Autiotupa ähneln, um eine weitere literarische Analogie zu bemühen, der Handtasche von Hermine Granger: Scheinbar klein, können sie dennoch eine ungeheure Anzahl von Wanderern beherbergen. Acht Schlafplätze, zehn Schlafplätze. So verspricht es zumindest die Legende der Wanderkarte. Nie war das Wort so treffend: Legende... Der Ernstfall fällt zum Glück aus. In Tuiskukuru treffe ich ein tschechisches Paar, in Sarvioja einen Finnen. Ansonsten habe ich die Hütten für mich allein.
Es gibt nichts Ätzenderes, als einer Skooterspur im Wald zu folgen. Drum lässt man sich am besten im Nationalparkzentrum von Saariselkä die beliebtesten Winterrouten im Urho-Kekkonen-Nationalpark erklären, meidet diese dann nach Möglichkeit und läuft viel querfeldein. Beliebt ist zum Beispiel die Grenzzone zu Russland. Hier fahren die Finnen mit Skootern Patrouille, und auch die Sami nutzen die Strecke gern, um in den Nationalpark hinein zu kommen. Beliebt sind außerdem alle Hütten, die eine Sauna haben. Ich blieb der Grenze und den Saunen fern. Um von Saariselkä wegzukommen, nehme ich aber am ersten Tag die gespurte Loipe, das geht schön flott.
Diese Packvariante bewährte sich nicht.
Land: Finnland
Reisezeit: März 2015
Der Waldmann ist schuld, er gab mir beim ODS-Treffen im Harz den guten Tipp, für meine nächste Wintertour preiswert und bequem über Ivalo nach Karasjok zu reisen. Nachdem der erste Teil der Logistikplanung erledigt war, d.h. der Flug nach Ivalo gebucht, wurde Teil zwei kurzerhand gestrichen. Wieso nach Karasjok fahren, wenn in Finnland auch Schnee liegt. Und außerdem hatte ich dieses Jahr sowieso nur knapp zwei Wochen Zeit, Da muss ich nicht noch zwei zusätzliche Tage mit An- und Abreise verbringen.
Und dann kommt eines zum anderen: ich will kein Zelt mitnehmen, also muss es Wald sein, wegen dem Wind. Im Wald da ist der Schnee so tief, also muss das Gepäck leicht sein. Weil das Gepäck leicht ist, ist die Pulka zu groß, schnell schreibe ich eine Bestellung an Jonas B. ... Und so weiter und so fort.
Wenn man abends nach Helsinki fliegt, kann man die Nacht mit Schlafsack und Isomatte im Flughafen verbringen, und morgens um sechs frisch und ausgeruht in die Frühmaschine nach Ivalo steigen, um den ersten Kaffee zu trinken. Dort wartet bei Ankunft schon die Busse, um einen zu fahren, wohin man will. Ich will nach Saariselkä, und komme gerade zur rechten Zeit an, um in einem der Hotels zu frühstücken. Dann noch ein paar Einkäufe erledigen, ein kurzer Besuch im Nationalparkzentrum, am großen Holztipi an der Langlaufloipe die Sachen packen, und auf geht’s.
Urho-Kekkonen. Auch wenn es alternative Deutungen gibt, sie fallen allesamt in die Kategorie Volksetymologie. Der Park ist angeblich so benannt worden, weil Urho Kekkonen bekanntlich gern in Saariselkä Ski lief. Die Fotobeweise hängen im Ort in jedem Hotel. Aber: Wenn es es um eine politische Manifestation ginge, müsste das Zielgebiet ja „Mannerheim-Nationalpark“ heißen, schließlich liegt es an der finnisch-russischen Grenze. Also muss die Namensgebung andere Hintergründe haben. Nach aktuellem Stand der Finno-Ugristik heißt hokekkonen ganz ohne Zweifel: „Großer Wald“. Und Ur, das ist ja einfach. Ergo: „Großer Urwald-Nationalpark“.
Urwald der Zukunft.
Nachdem die Etymologie geklärt ist, nun zur Topografie. Als Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer sich in der Wüste „Ende der Welt“ verirren, fährt ihnen bekanntlich der Schreck in die Glieder. Denn eine riesige, dräuende Gestalt erhebt sich am Horizont! Dass es am Ende gut ausgeht, ist bekannt. Herr Tur Tur tut nur so, und ist auch insgesamt sehr nett.
So wie mit dem Scheinriesen Tur Tur verhält es sich mit den Erhebungen des Urho-Kekkonen-Nationalparks. Nach dem ersten Entfalten der postalisch eingetroffenen 1:50.000er Wanderkarten wird der Expeditionsleitung ganz flau im Magen. Kühne Gipfel, schroffe Steilwände, tiefe Canyons mit schäumenden Wildflüssen, hektargroße, zerklüftete und unwegsame Felsenmeere. Da soll es hindurch gehen? Doch sobald man sich dem Areal nähert, werden die Hügel sanfter, die Bachtäler gangbar, die Kelos winken freundlich. Das liegt daran, dass die Höhenlinien der Karte fünf Meter Äquidistanz haben und alle Felsblöcke oberhalb der Baumgrenze von fünf Generationen finnischer Landvermesser liebevoll durchnummeriert und danach einzeln kartiert wurden.
Dennoch lauern im Reich der Tur-Tur-Tunturis Gefahren, zum Beispiel: Die Lawinengefahr. „Avalanche risk“ schrieb ein Holländer in der Muorravaarakka-Hütte ins Gästebuch, und am nächsten Tag, als er den Berg Ukselmapää gequert und überlebt hatte, ein weiteres Mal, diesmal im Hüttenbuch der Sarvioja-Hütte und mit drei Ausrufezeichen: „Avalanche risk!!!“. Ha. Ich komme nicht aus Holland, sondern aus Nordrhein-Westfalen, der Langenberg ist 125,2 m höher als der Sokosti, die mit 718 m.ü.M. höchste Erhebung des Urho-Kekkonen-Nationalparks und überhaupt Ostfinnlands. Drum schreckten mich die Gefahren nicht. Ich überschritt den Sokosti, ich durchschritt Pirunportti, die Pforte des Teufels, und kam doch lebend zurück.
Gefährlicher Tur-Tur-Tunturi.
Auch wenn die Tur-Tur-Tunturis bei Annäherung schrumpfen, benehmen sie sich manchmal fast wie ihre großen Geschwister in den Skanden. Es weht, mal bilden sich Sastrugis und Wechten, mal sind die Felsen blankgefegt. Im Nebel und Schneefall verschwimmen die Konturen, Whiteout. Der Autorin dieser Zeilen wurde am letzten Expeditionstag an der Ostflanke des Kivipää mehrfach die Pulka umgeweht. Dass es sich um eine UL-Pulka mit einer äußerst voluminösen, aber federleichten Evazotematte obendrauf handelte und das Ganze zum fraglichen Zeitpunkt maximal 12 kg wog, schmälert die Dramatik des Ereignisses in keiner Weise.
Das alles - Schnee, Sturm, Whiteout - wütet zum Glück nur oberhalb einer magischen Grenze. Unterhalb dieser Grenze kommen erst kleine Birken, dann große Birken, dann kleine Kiefern, dann große Kiefern. Hier weht kein Wind, die Bäume werfen lange Schatten, Geräusche werden verschluckt. Man sieht vielleicht 200, 300 Meter weit. Manchmal ein trippelnder Auerhahn, einmal drei Elche. Für Sekunden im Gesichtsfeld, sofort verschwunden zwischen den dunklen Stämmen.
Einfach von einem Baum zum nächsten gehen...
Das Wald-Out stellt ganz eigene Anforderungen an die Navigation. Kurs halten von Baum zu Baum, der Kompass baumelt am Handgelenk.
Wo kein Wind weht, ist der Schnee ungesetzt und hüfttief. Nach dem ersten Biwak ist klar: Erst das Tarp mit Ski aufstellen und dann Holz sammeln gehen ist eine ganz schlechte Idee. Viel klüger ist es, in umgekehrter Reihenfolge zu verfahren.
Überhaupt erweist sich das Tarp als überflüssig. Der Wetterschutz eines Rechteck-Tarps im Winter ist so minimal, dass es nur bei kompletter Windstille taugt, Und dann kann man sich auch einfach so in den Schnee legen. Meistens aber nutze ich die spartanischen offenen Hütten: Autiotupa - ein Gaskocher, ein Schuppen mit Feuerholz, Holzpritschen ohne Matratzen.
Tanzpalast für Zwölf.
Die Groß-Klein-Anomalie der Tur-Tur-Tunturis findet in den Autiotupa ihre Entsprechung, nur spiegelverkehrt. Denn die Autiotupa ähneln, um eine weitere literarische Analogie zu bemühen, der Handtasche von Hermine Granger: Scheinbar klein, können sie dennoch eine ungeheure Anzahl von Wanderern beherbergen. Acht Schlafplätze, zehn Schlafplätze. So verspricht es zumindest die Legende der Wanderkarte. Nie war das Wort so treffend: Legende... Der Ernstfall fällt zum Glück aus. In Tuiskukuru treffe ich ein tschechisches Paar, in Sarvioja einen Finnen. Ansonsten habe ich die Hütten für mich allein.
Es gibt nichts Ätzenderes, als einer Skooterspur im Wald zu folgen. Drum lässt man sich am besten im Nationalparkzentrum von Saariselkä die beliebtesten Winterrouten im Urho-Kekkonen-Nationalpark erklären, meidet diese dann nach Möglichkeit und läuft viel querfeldein. Beliebt ist zum Beispiel die Grenzzone zu Russland. Hier fahren die Finnen mit Skootern Patrouille, und auch die Sami nutzen die Strecke gern, um in den Nationalpark hinein zu kommen. Beliebt sind außerdem alle Hütten, die eine Sauna haben. Ich blieb der Grenze und den Saunen fern. Um von Saariselkä wegzukommen, nehme ich aber am ersten Tag die gespurte Loipe, das geht schön flott.
Diese Packvariante bewährte sich nicht.
Kommentar