[FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

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    • 16.08.2008
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    #61
    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

    Sag mal bist du irre?
    Ja. Auch schon gemerkt?


    Mit 40 km/h auf so einer Sandpiste den Hügel runter? Habe ich das wirklich richtig verstanden?
    Nein. Die 41 km/h bin ich auf einer Asphaltstraße gefahren, nachdem ich die Pferde passiert hatte. Auf der Sandpiste bin ich nur 38 km/h gefahren. Habe eben die Tracks ausgewertet.

    Aber im Ernst: Dort, wo ich fast gestrauchelt bin, war ich 25 km/h schnell und habe für einen kurzen Moment nicht auf die Straße geguckt. Das Schild Golfclub Ikaalinen hatte mich abgelenkt, weil ich dachte: Ikaalinen? Bin ich im Kreis gefahren?
    Normalerweise war das aber nicht so dramatisch. Vom Rad aus sieht man sehr genau jede Bodenunebenheit und jedes Schlagloch und kann entsprechend reagieren. Sonst hätte ich das nicht gemacht. Verkehr war da ja keiner. Mit dem Auto wäre ich wohl langsamer gefahren, da kannst Du praktisch nicht ausweichen, Du bist ja viel zu breit. Aber mit den schmalen Reifen findet man immer eine gute Spur. Das hat mich selbst überrascht. Und hat Spaß gemacht. . Ich habe so etwas auch nicht in den Genen, im Gegenteil. Aber die wilde Fahrt wurde ja immer schnell durch den nächsten Anstieg abgebremst, da brauchte ich mir keine Sorgen zu machen.

    Danke für die Einkaufstipps. Das, was für Dich die "Oase" zum Oktoberfest ist, ist bei uns der Weihnachtsmarkt der finnischen Kirche, bei dem im Keller ein finnischer Supermarkt aufgebaut wird. Die Schlangen vor der Kasse sind unbeschreiblich, teilweise müssen sie abriegeln, weil niemand mehr hineinpasst. Mal schauen, ob ich dort die Würste und den Senf finde. Dass es Sorten gibt, die zuviel Mehl enthalten, habe ich später bemerkt. Aber ich will nicht vorgreifen.

    Danke für die Info bzgl. Vater und Sohn. Ich hatte mir soetwas gedacht, daher hatte ich sie reingewinkt, aber wohl fühlten sie sich nicht. Wenn man so etwas weiß, ist es natürlich einfacher.
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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      #62
      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

      09.09.2015. Koskue. 63,9 km.

      Als ich morgens aufwache, leuchten Monteure mit einer Taschenlampe mein Zelt an. Sie sehen es immerhin. Vor Jahren ist mal jemand im Dunkeln in das Zelt hineingefallen. Der Riss war sehr groß. Die Narbe trägt das Zelt immer noch. Die Männer sagen etwas, aber das verstehe ich natürlich nicht. Ich schlafe weiter.
      Als ich gegen 7.00 Uhr aufwache, ist der Platz leer. Nebel steigt aus dem Wasser auf. Die Schnellstraße dröhnt, da helfen auch Stöpsel nicht mehr. Hysterisch bellt ein Hund über mehrere Minuten auf der anderen Seite. Er wird von einem Betonmischer abgelöst, dessen Geräusche über das Wasser hallen. Zeit zu gehen. Ich bringe den Müll zum grünen Container. Mittlerweile weiß ich, dass die unförmigen Metallwannen keine Überbleibsel eines Nato Übungseinsatzes sind, sondern Müllcontainer.





      Das Zelt ist von innen klitschnass, selbst das Innenzelt ist nass. Das Wäschewaschen war wohl nicht so klug. Ich vermute, sie hat die Nässe verursacht. Ich packe meine Sachen zusammen.








      Die Raupe sitzt immer noch am Baum. Zum Beladen lehne ich das Rad am Küchenbalkon an. Auf dem Wasser gibt es Gezeter. Eine Schwanenfamilie trägt ihre Konflikte aus. Die Sonne geht langsam auf.

      Anscheinend wird heute ein schöner Tag. Ich bin allerdings ein wenig trottelig. Nur nicht das Handy vergessen, das noch an der Steckdose hängt. Ich wische das Zelt trocken, es gibt doch Küchenlappen! Starfoto. Hatte ich schon erwähnt, dass ich selbststehende Zelte liebe?





      Ich frühstücke gemütlich. Die Autobahn hört man nicht. Vater und Sohn sind nun auch schon wach. Sieht aus, als würden sie packen.





      Ich wasche ab und trockne ab. Das Handy! Ich packe es ein. Dann schiebe ich das Rad über den Rasen. Eine Frau mit Putzeimer geht über den Platz. Ich radele den Weg der Einfahrt und bin noch nicht ganz wach. Am Straßenschild baumelt ein Turnschuh, vielleicht ein geheimer finnischer Kult?





      Klick macht es im Kopf, als rastet ein Rädchen ein. Wo ist eigentlich mein Titanbecher? Keine Ahnung, wieso mir das beim Anblick dieses Turnschuhs einfällt, aber ein schneller Griff zeigt: Im Rucksack ist er nicht. Ich radele zurück, fast kostet das einen Champignon das Leben. Der Becher steht in der Küche. Glück gehabt. Jetzt ist alles komplett.

      Der Ort sieht nett aus. Liegt es an der Sonne? Mein Tief scheint überwunden.








      Auf der Fahne steht 1621.





      Italialainen Ravintola. Jeden Tag ein neues Wort. In einer Seitenstraße hält die Polizei ein Auto an. Ein Mann schiebt sein Fahrrad die steile Straße hinauf. Danke. Man fühlt sich dann nicht so allein. Ein Straßenschild. Tatsächlich. Parkano hat einen Bahnhof. Sollte mich mein Gedächtnis nicht getrogen haben?





      Eine hübsche Kirche. Parkano ist übrigens der Ausgangspunkt für den Nationalpark Seitseminen.





      Die Natur zeigt sich heute von ihrer schönsten Seite.











      Bunt ist es geworden. Der Herbst zeigt seine Spuren.





      Die Strecke ist angenehm zu fahren. Als ich schiebe, tue ich das, weil ich will, nicht weil ich muss. Das ist ein großer Unterschied! An einer traumschönen Stelle eines Sees steht ein wunderhübsches Haus. Fotografieren kann man es aber nicht.





      Der Bahnhof.





      Ich schaue auf die Anzeigetafel. Der Zug Rovaniemi - Helsinki kommt in wenigen Minuten. Ich bin mir sicher. Hier war der Schnee das erste Mal richtig hoch. Ich habe den Bahnhof bei meiner winterlichen Radtour garantiert fotografiert. Stimmt.





      Der Parkplatz ist heute voller Autos, die in der Sonne glänzen.





      Ich schaue ein wenig den wartenden Menschen zu. Ein Zug kommt in Sicht, aber er ist sehr langsam, der Schnellzug ist das sicherlich nicht. Nein. Es ist ein Holztransport. „Finnisches Gold“, denke ich.


      Rote Farben. Die gab es zu Beginn meiner Reise noch nicht.











      Ich lasse mir Zeit.





      Kaffeebecher und Plastikverpackungen liegen an der Straße. Finnen sind eben auch nur Menschen. Steine säumen die Straße, als hätte man den Weg ausgeschnitten.











      Ich halte inne. Es ist wirklich schön hier.





      Auf jedes Tief folgt wieder ein Hoch. Die schlimmsten Steigungen sind nun vorbei.








      Immer häufiger finden sich nun Radwegschilder. Ausgeblichen, aber ich erkenne sie dennoch sofort.





      An einem Parkplatz überfalle ich einen Mann, der in den Preiselbeeren sitzt und kein Englisch spricht. Aber seine Erntehilfe interessiert mich sehr. Er ist nicht besonders begeistert. Aber als waschechter Touri kann ich auf finnische Empfindlichkeiten jetzt einfach mal keine Rücksicht nehmen.








      Auch Heidelbeeren wachsen hier. Ich probiere ein paar. Sie schmecken säuerlich.





      Wieder ein Steinchenweg.








      Für einen Moment halte ich inne. Still ist es hier. Absolut still. Traumhaft. Das erste Mal spüre ich, dass ich ruhiger werde.





      Eine kleine Siedlung. Koskenkylä.








      Und wieder ein Holzschild.








      Ein Bach plätschert, und ich lasse das Fahrrad am Holzschild stehen. Vorsichtig wandere ich den schmalen Pfad über die Brücke.





      Ein Handybild für die Fotochallenge. Etwas anderes kann ich nicht hochladen.





      Vielleicht sollte ich in Finnland auch einmal wandern gehen. Das Fahrrad kann ich auf solchen Wegen nicht mitnehmen.








      In der Nähe kann man Stromschnellenangeln. Ein finnisches Verbotsschild?





      Nur ungern verlasse ich diese Stelle. An der Kreuzung biege ich in Richtung Myllykylä ab. Und man sieht schon: Es wird flach.








      Die weißen Pflanzen, die man an den Steinen sieht. Nicht leicht zu fotografieren. Mit Früchten ist das einfacher.





      Kurz fahre ich in einen Waldweg hinein. Eine alte Scheune steht an der Ecke. Hier ist sogar eine gute Möglichkeit zum wildcampen. Der Wald ist lichter und freundlicher als sonst. Vermutlich ist es hier aber auch privat.





      Impressionen.








      Wie so häufig fotografiere ich während der Fahrt. Hier sieht man das auch.





      So stellt man sich Idylle vor.





      Ein Schwimmbad.





      Und dann bin ich begeistert. Ich wusste es: Herbie ist auch ein Finne!





      Ein Hund finde meine Anwesenheit überflüssig und bellt sich die Seele aus dem Leib. Ein DB Schenker LKW hüllt mich in Nebel ein. Ich hatte ihn vorgelassen. Er wird es eiliger haben als ich. Mit dieser Firma und ihren Fahrern werde ich noch häufiger Freude haben. Es fahren viele davon auf Nebenstraßen herum.





      Die Landstraße 23. Jyvaskylä 154 km, Pori 116 km. Die Radwegbeschilderung ist jetzt vorbildlich. Ich biege in die Myllyjoentie ein. Wieder eine Sand- und Schotterstrecke. Sie zieht sich.








      Langsam werde ich müde. Kihniö. Auch hier sollen Sehenswürdigkeiten sein. Ein Ort des Handwerks. Aber der Ort ist nicht mein Tagesziel. Wurde das Schild beschossen? Ich muss nach links.





      Wieder mal eine fiese Steigung, und ich schiebe. Metertief geht es neben der Leitplanke nach unten.

      Bei Sonne ist es schön hier.








      Ein Radfahrer vor mir. Mich packt der Ehrgeiz.





      Es ist ein älterer Mann auf einem alten Tunturi-Rad.





      Er winkt mir zu und lacht. Ich freue mich. Schnell hänge ich ihn ab.











      Das erste Mal realisiere ich so richtig, dass Vaasa ausgeschildert ist. Gar nicht mehr so weit. Zumindest für Autos. Ein komisches Gefühl. Dann wäre die Tour ja bald zu Ende. Daran möchte ich noch nicht denken.








      Ich bin jetzt mal wieder an der Schnellstraße 3, die mich seit Helsinki verfolgt. Ein Radwegschild sehe ich nicht. Rechts und links der Straße ist ein Sandweg, bedeckt mit groben Steinchen. Ich fahre ein Stück Straße, dann wende ich und suche noch einmal alles nach Radwegschildern ab. Aber ich sehe keine. Soll ich dem Sandweg trauen? Ist es der Fahrradweg? Oder endet er im Nichts? Andererseits: Wie viele Stunden wird es dauern auf diesem Belag, bis ich zur nächsten Abzweigung komme? Ich mag den Untergrund nicht. Er ist anstrengend zu fahren und man kommt nur langsam voran. Keine Lust. Andererseits ist auf der Hauptstraße immer wieder reger, doppelspuriger Verkehr. Was soll ich tun?

      Da fällt mir ein: Ich habe ja ein Rennrad. Und gebe einfach mal Gas.





      Die Straße geht leicht bergan, und ich fahre einen lockeren 25er Schnitt. Zweimal halte ich an und lasse die LKW vorbei, aber es gibt immer wieder Phasen, da bin ich auf meiner Spur allein. So erreiche ich in der Spitze sogar 34 km/h. Mit diesem Rad macht Radfahren wirklich Freude. Als ich oben ankomme, bin ich ziemlich glücklich. Hat Spaß gemacht.





      Es schließt sich ein breiter Radweg neben der Straße an. Dann folgt Nebenstrecke. Gegen 15.30 Uhr bin ich in Koskue. Hier solle ein Campingplatz sein, aber ich kann keinen sehen. Ein paar Häuser, Wiesen, Felder. Mein Navi kennt ihn auch nicht. Ein schlechtes Zeichen. Ein Gebäude, das aussieht, als könne man davor parken, zieht mich an. Hier vielleicht? Ich fahre hinter das Haus. Sitzreihen. Ist das vielleicht ein Theater? Leider ist niemand hier, den man fragen kann.
      Ich radele weiter und fühle mich nicht gut. Ich dachte jetzt an einen netten kleinen Platz, wo ich mein Zelt aufbauen und kochen kann. Ich habe einen Bärenhunger. Meine Motivation, weiterzufahren oder umständlich suchen zu gehen, hält sich in Grenzen. Genau hier ist der optimale Ort, die Etappe zu beenden.
      Noch ein Blick in mein Navi. Ein Shelter. Angeblich 3 km entfernt. Aber wenn ich mir die Strecke anschaue, die ich jetzt fahren soll, glaube ich nicht daran. Der liegt bestimmt recht weit an einem Wanderweg, das Navi gibt oft nur die Luftlinie an.

      Was tun? Ich radele sicherheitshalber mal weiter, ob sich vielleicht doch noch etwas tut. Und tatsächlich. Ein Campingplatzschild. Ein Sportplatz und am Rande ein paar Hütten. In der größten Hütte ist die Rezeption. Es gibt nur ein Problem: Der Campingplatz hat zu. Auch die Sanis sind geschlossen. Eine Telefonnummer gibt es nicht. An der Seite am Ende des Sportplatzes sind 5 Stellplätze für Wohnmobile vorgesehen. Sie sind leer. Stattdessen stehen dort Pilze.





      Ratlos stehe ich an dem Platz. Ein Mann fährt mit seinem Auto zu einem der großen Container in der Einfahrt und lädt seine Glassammlung aus. Er senkt den Blick, als er wendend an mir vorbeifährt. Was soll er auch machen. Der Platz hat zu. Ein Sommerplatz. Kinder schauen mich aus der Ferne an. Auch von ihnen ist keine Hilfe zu erwarten und kurz darauf sind sie verschwunden.

      Lost in Finnland. Ich habe den Eindruck, überall sind Augen. Was soll ich jetzt tun? Andererseits ist es nett hier und ein Notfall ist es auch. Ich schiebe das Rad in Richtung eines Hügels, auf dem links eine Hütte und etwas weiter rechts ein Grillplatz stehen. Menschen sind nicht zu sehen. Ich horche in mich hinein. Nein, ich fahre jetzt nicht mehr weiter. Kein Stück. Koskue war geplant und in Koskue werde ich bleiben. Ich schiebe das Rad auf den Hügel. Das Blockhaus ist die Küche. Und hinter der Küche sieht der Boden ziemlich eben aus. Von der Straße aus kann man mich hier nicht sehen. Ich entscheide mich, zu bleiben. Hinter der Wiese beginnt ein Abhang zu einem See.

      Ich baue das Zelt auf. Es ist jetzt 16.00 Uhr. Blick zur Straße.





      Blick zum See.








      Am Hang stehen Blockhütten und unten am Wasser ist ein Steg.





      Ich werfe den Kocher an und esse den letzten Reis mit Nüssen und Parmesankäse. Ganz zufällig habe ich nämlich eine große Dose Parmesankäse dabei.





      Im Schatten ist es kühl, und ich lege mich in mein Zelt. Müde bin ich auch. Ein Auto kommt, und ich höre Schritte. Aber anscheinend sehen die Menschen mich nicht. Kurz darauf sind sie wieder weg. Ich denke an die Nacht im verschneiten Wald bei Helsinki, als ich mit meinem rot-gelben Trollspiret direkt am Wanderweg stand und keiner mich gesehen hat. Was man nicht erwartet, sieht man auch nicht. Glaube ich.
      Noch ein Auto. Kinder springen heraus. Sie laufen zum Steg. Immer wieder hört man Kindergeschrei und die Rufe der Eltern. Gegen 20.00 Uhr kommt die Familie zurück. Ob sie das Zelt sehen? Ich weiß es nicht. Und selbst wenn: Anscheinend stört es sie nicht. Als sie weg sind, herrscht Ruhe. So schlafe ich dank meiner Schlafmaske noch im Hellen ein.
      Zuletzt geändert von Torres; 05.10.2015, 22:16.
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      • Sylvie
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        • 20.08.2015
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        #63
        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

        Sommer der lachenden Kühe - ein zauberhaftes, irrwitziges, ulkiges Buch! Von heiter-leichtfüßig bis melancholisch, und dabei so schräg - eben echt finnisch!!! Ich habe es sehr genossen.

        Dieser Bericht ist so ganz anders als Dein Winterbericht. Irgendwie nachdenklicher, ernsthafter - gefällt mir gut! Ich habe sehr mit Dir mitgefroren!

        Um die Preiselbeeren beneide ich Dich. Die waren im Sommer noch nicht reif. Man kann sie pflücken, dann bisschen Zucker drauf und mit dem Löffeö kräftig umrühren. Sie fangen dann an zu saften und schmecken himmlich bitter-süß-sauer. Ich kenne nichts Lerckererereres.

        Gruß
        Sylvie

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        • Torres
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          #64
          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

          Nun, im Nachhinein würde ich sagen, dass man im Winter vorrangig mit sich selbst "kämpft", vor allem, wenn man - wie ich - völlig unvorbereitet in ein unbekanntes, fremdes Land reist, in dem es dann (im Gegensatz zu hier) auch noch Schnee gibt. Alles ist auf den Umgang mit den Wetterbedingungen fokussiert - angefangen von der Wärmekonzeption bis hin zur Wegsuche, zur Wegbewältigung und den visuellen Eindrücken. Da hilft dann, wenn man scheitert, nur noch (Galgen)Humor.
          Im Spätsommer dagegen besucht man ein Land mit seinen Eigenheiten und Besonderheiten. Das Finnland aus dem Büchern von Aarto Paasilinna hat sich mir jetzt erst ein wenig erschlossen. Die Landschaft, die ich entlang geradelt bin, kannte ich in weiten Teilen zwar schon, und sei es nur aus dem Zugfenster. Aber ohne Schnee ist alles völlig anders und entsprechend denkt man auch mehr nach, weil einem viel mehr auffällt.

          Ich habe übrigens keine Preiselbeeren gegessen. Das mit dem Zucker wusste ich nicht, und ich hätte auch keinen dabei gehabt. Und gegen die wunderbaren Erdbeeren ist das sowieso alles nix.
          Zuletzt geändert von Torres; 07.10.2015, 13:23.
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          • Torres
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            #65
            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

            10.09.2015. Seinäjoki. 88,7 km


            Um 4.15 Uhr bin ich hellwach. Im Dunkeln packe ich meine Sachen ein. Mein Traum war angenehm. Ich war zu Hause und hatte Daunenjacke, Handschuhe und Mütze eingepackt. Die Temperaturen konfrontieren mich mit der bitteren Realität: Die Temperaturen befinden sich knapp über dem Gefrierpunkt.

            Wieder einmal freue ich mich über mein Backpackingsystem. Packen ist seitdem so einfach geworden. Alles hat seinen festen Platz. Das geht dann auch ohne die Stirnlampe nutzen zu müssen.

            Als ich das Fahrrad belade, verbreitet die Sonne die ersten Strahlen Licht.





            Es ist absolut still.





            In der Ferne bellt ein Hund.








            Immer stärker erkennt man Konturen.








            Dann kommt Nebel auf.





            Der Sportplatz. Auf den Bildern wirkt alles heller, als es ist. In Wirklichkeit ist noch Dämmerung.





            Kaum fahre ich los, trifft mich der Kälteschock. Es ist lausig kalt. 6 Uhr. Ich schätze die Temperatur auf 4 Grad. Mit Fahrtwind dürfte es noch kälter sein.

            Aus dem Dunst kommt ein ungewöhnliches Objekt hervor. Ich staune. Eine De Havilland Vampire. Gebaut gegen Ende des 2. Weltkrieges spielte sie in den Kriegshandlungen keine Rolle mehr. Aber wieso steht diese britische Maschine ausgerechnet hier? Nur eine Antwort ist denkbar: So ist das eben in Finnland.





            Meine Knie mucken. Diese feuchte Kälte mögen sie nicht. Ich habe zwar Kniewärmer dabei. Aber sie passen nicht zum Raddress. Meine Hände erstarren zu Eis.

            Die Bushäuschen sind nun verziert.





            In der Ferne machen sich Menschen in den Höfen für den Tag bereit. Die ersten Autos brausen die Straße entlang. Sie haben es eilig. Berufsverkehr. Ein SUV sieht beleuchtungstechnisch aus wie eine Disco.

            Der Nebel zaubert magische Bilder.





            Feucht senken sich die Tröpfchen auf den Helm und das Fahrrad.








            Fohlen toben übermütig auf einer Wiese herum.





            Ich bin ganz ruhig und entspannt und genieße diesen stillen Moment. Aber nur innerlich. Mein Körper zittert vor Kälte. Die flache Strecke ist für die Beine ungewohnt. Die Muskeln sind jetzt auf Steigungen eingestellt und zucken.

            Laut meiner Radkarte ist in der Nähe die Käserei Juustoportti und eine Raststätte. Sie liegen an der Schnellstraße. Ihr folge ich wieder auf einer eigenen Spur. Als sie in Sicht kommt, bin ich froh. Lange würde ich diese Kälte nicht mehr aushalten. Vor allem die Hände sind ein Problem. Die elektronische Temperaturzeige am Gebäude zeigt 6 Grad.





            Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass die Raststätte Teil zu der Käserei gehört. Sie öffnet um 7.00 Uhr und es ist genau 7.00 Uhr. Was für ein Glück. Ich bin mittlerweile so steif gefroren, dass ich kaum vom Fahrrad komme.

            Ich freue ich auf Frühstück, aber die Auswahl ist dürftig. Die Zutaten sind teuer und das blind gekaufte Produkt Mango schmeckt nach Kleister. Keine Ahnung, was das ist. Vom Innenraum der Raststätte hat man einen Blick auf die Käserei. Vor der Tür betrachten zwei Männer mein Fahrrad. Fachmännisch beugen sie sich über das Vorderrad. Hände weg! Ich vermute, sie kommentieren meine Lichtanlage. In Finnland fährt kaum jemand mit Licht. Im Sommer ist es hell hell genug und wenn es früher dunkel wird, ist es vermutlich schon zu kalt.


            Als ich halb neun weiterfahre, sind immer noch 6 Grad, aber inzwischen kommt die Sonne heraus.








            An der Straße steht ein kleiner Junge. Mütze, Handschuhe, geschlossene Augen. Er schläft im Stehen. Mich bemerkt er nicht. Warten auf den Schulbus.





            Kleine Kinder auf Fahrrädern kommen mir entgegen. Eifrig strampeln sie auf dem breiten Radweg. Zwei Jungs kommen aus einem Wohngebiet. Sie sind fröhlich und radeln um die Wette. Der Schulbus fährt vorbei.









            Kitsch kann man kaufen. Ein wenig erinnert mich die Gegend Holland. Die Vorwahl dieser Gegend ist übrigens die gleiche wie die Vorwahl von Hamburg.





            Einen Hauch von Mallorca gibt es auch.





            Die Temperatur ist nun auf 8 Grad angestiegen und damit wieder erträglich. Keskikylä.








            Soldatengräber aus dem Jahr 1944/1945. Blutzoll für die Unabhängigkeit Finnlands? Jedes getötete Leben ein getötetes Leben zuviel. Ich denke an die Flüchtlinge. Wer will ihnen verdenken, dass sie fliehen.








            Die Radwegschilder, die nun konsequent angebracht wurden, sind sehr hilfreich. Ohne Probleme finde ich den Weg. Ich biege in eine schöne Strecke ein. Über den Fluss führt eine Holzbrücke. Wenn Autos darauf fahren, kann man sich als Radfahrer ganz schön erschrecken.






            Die Gegend sieht wohlhabend aus. Viele Leute haben im Vorgarten Bären aus Holz. Ods ruft an. Vorstandsangelegenheiten. Interessiert mich im Moment eigentlich gar nicht. Aber bald ist MV.





            Zwischendrin ist der Belag wieder grauenvoll, und ich fluche.





            Ein Holzkanu in einem Teich.





            Außerdem zwei künstliche Schwäne. Ich verzichte auf Fotos im Gegenlicht. Es folgen wieder Bären vor der Haustür.





            Die Landwirte nutzen aus, dass das Wetter so schön. Viele Erntemaschinen sind unterwegs, ich muss öfter mal ausweichen. Das gehört sich so.








            In der Ferne lärmt die Straße. Herbstfarben zeigen sich.





            Es wird noch flacher. Seen gibt es nun fast keine mehr.





            Kurrika. Eine große Hühnerzucht. Ansonsten Felder und Wiesen. Ein Fluss.





            Vor Häusern hübsche Blumen.








            Im Garten ein Wohnmobil.





            Luovatar. Eine Unterkunft. Ob sie geöffnet ist, kann ich nicht sehen. Bushaltestellen ziert nun die Silhouette eines Elches. Das Hinweisschild auf den Campingplatz kommt in Sicht, und ich nehme mir vor, hier zu bleiben. Das Wetter ist schön und alles ist so idyllisch. Ich habe ja Urlaub. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es ja nicht an.





            Der Eindruck verfestigt sich, als ich in einen Wald eintauche. Traumhaft ist es hier.





            Ein merkwürdiges Gelände, vermutlich geht es um Sport. Ich kann es nicht zuordnen. Ob die Figur etwas damit zu tun hat?





            Den nahegelegenen Reitparcour kann ich dagegen problemlos erkennen. Die Landschaft ist wunderhübsch hier. Ein Stück vertrautes Finnland.











            An einem Haus als Dekoration ein verrostetes Fahrrad. Auf dem Wetterhahn sitzt ein kleiner Vogel. Es duftet nach Heu.








            Ich radele hoffnungsfroh auf den Platz, und er sitzt ansprechend aus. Aber überall stehen Kisten. Ist das hier ein Gemüsegroßhandel? Ich bin ein wenig ratlos. Menschen sind nicht zu sehen. An der Häuserfront hängen Informationen in einer fremden Sprache. Ich tippe auf indisch. Aber es ist wohl thailändisch. Anweisungen für thailändische Beerenpflücker.
            Ein Finne kommt in einem Mittelklassewagen auf den Parkplatz, und ich frage ihn, ob der Platz geöffnet sei. Das wüsste er selber nicht, knurrt er und rüttelt an der Tür der Rezeption. Geschlossen. Er fährt weiter.

            Ich probiere die Tür der Männertoilette. Die Toiletten sind offen, aber völlig verdreckt. Ein Mensch huscht in die hinteren Räume. Das sieht hier alles nach Zweckentfremdung aus. Schade. Ich fühle Enttäuschung. Auf den Bildern kann ich später sehen, dass auf den Plakaten an der Wand Hinweise für das Verhalten im Wald stehen. Das Wort „Yksityinen“ wird erklärt: Privat. Außerdem gibt es Einkommensberechnungen und Bilder der Teams. Anscheinenden Anweisungen für die Gruppenchefs. Kein Platz mehr, um campen zu gehen.

            Das ist umso enttäuschender, weil in der Nähe ein schöner See ist. Man kann hier angeln und schwimmen gehen. Aber zum Wildcampen ist es nun wirklich zu früh. Es ist gerade 12.00 Uhr.





            Ein bisschen ärgere ich mich über mich selbst. Das Wetter ist wunderschön. Ich sollte innehalten. Kurz habe ich die Hand an der Bremse. Trotzdem radele ich vorbei. Die Luft ist immer noch sehr kalt, der Sommer ist vorbei. Heute Abend werden mir wieder Handschuhe und Daunenjacke fehlen. Und letztlich hat alles seinen Sinn.
            Zuletzt geändert von Torres; 08.10.2015, 17:54.
            Oha.
            (Norddeutsche Panikattacke)

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            • Mika Hautamaeki
              Alter Hase
              • 30.05.2007
              • 4006
              • Privat

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              #66
              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

              Aargh...Fernweh....Einfach tolle Bilder. Will auch mal wieder da hin.
              So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
              A. v. Humboldt.

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              • Torres
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                #67
                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                Der nächste Platz ist in Seinäjoki. Das sind noch gut 40 km. Ich gebe Gas. Wieder finde ich Rüttelbelag vor und ein frischer Wind kommt aus nordöstlicher Richtung. Also von vorne. Wie üblich.








                Eine moderne Holzbrücke.





                Sie überspannt einen Canyon. Eine wunderschöne Gegend. Hier kann man auch länger bleiben.





                Ein Schmetterling flattert vor mir her. Als würde er mich begleiten. Als ich schieben muss, kann ich ihn fotografieren.








                Im Schatten ist es kalt, und ich fröstele. Ein interessanter Wegweiser. In Finnland geht nichts verloren. Von Abgasskandalen weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nichts.





                Es schließt sich nun ein Radweg an der Straße an. Es ist zwar nur wenig Verkehr, aber viel Natur gibt es nun nicht mehr. Man kann nur Strecke machen. Mein Magen meldet sich, ich habe furchtbaren Hunger, aber die Kebab Pizzeria Istanbul ist mir dann doch zuwenig finnisch. Möglicherweise ungerechtfertigt. Aber der Gedanke an Pizza überzeugt nicht.





                Die Kirchen sehen hier ganz anders aus. Beeindruckend. Sie muss noch zu Kurikka gehören, wenn ich die Karte richtig verstehe.








                Ich suche nach einer Tankstelle mit Restaurant. Ich fahre jetzt schon länger mit einer der alten GT2 Karten. Deren Maßstab ist radlerfreundlich, und sie verzeichnet auch die Tankstellen. Leider muss ich aber feststellen, dass es Tankstellen gibt, an denen man nur tanken kann.

                Rettung kommt in Koskenkorva. Diese Tankstelle hat eine Küche. Der langhaarige Mann an der Theke spricht begeistert etwas Englisch. Es gibt Beef mit Potato. Er macht eine Handbewegung. Ich nicke. Er will mir schonend beibringen, dass es Püree gibt. Besser geht´s nicht. Pantomimisch zeige ich, dass ich ihn verstanden habe. Es macht ihn glücklich. Als der dampfende Teller aus der Küche kommt, bin ich unglaublich dankbar. Ich schlürfe an einem Tisch auf der Terrasse die heiße Köstlichkeit in mich hinein. Bis auf das Frühstück in der Raststätte habe ich bisher noch nichts gegessen. Um mich herum sind nur Raucher, den anderen ist es draußen vermutlich zu frisch.





                Zwei Frauen in auffälliger Kleidung, die man vor ein paar Jahren noch „Zigeunerlook“ genannt hätte, tauchen auf. Sie stellen sich auf der Terasse auf, scherzen lasziv miteinander und trinken demonstrativ eine kleine Cola. Welche Sprache sie sprechen, kann ich leider nicht mehr hören, ich bin bereits bei meinem Fahrrad. Ich bilde mir ein, die Männer schütteln leicht den Kopf. Auf jeden Fall sind sie über den Auftritt nicht erfreut. Das scheint die Frauen nur anzuspornen. Carmen in Finnland. Ich vermute, es sind Sinti oder Roma. Ein bisschen muss ich grinsen. Die mischen hier ziemlich cool die Ortschaft auf. Kurz darauf radele ich zwei Frauen mit langen, schwarzen Kleidern hinterher und überhole sie. Definitiv keine geborenen Finnen.

                Es bleibt flach.





                Dann wieder das Finnlandstereotyp. Kitschfoto.





                Trotzdem ist die Strecke jetzt langweilig und flach. Der Wind ist zwar nicht kräftig, aber nervig ist er doch. Erntemaschinen rotieren.





                Die Kirche von Ilmajoki (1764-65)








                Die Brücke über den Kyrönjoki.








                Dann ist die Ruhe vorbei. Ich muss eine vielbefahrene Hauptstraße entlang fahren. Als der Radweg endet, finde ich den Anschluss nicht sofort. Hier wäre ein Radwegschild mehr als nützlich. Zunächst will ich der Hauptstraße folgen, doch das entpuppt sich als lebensgefährlich. Im Navi sehe ich eine Parallelstraße. Das ist sicherlich der Radweg. Aber das wird aus der Karte nicht deutlich.





                Unvermittelt wird es im Wohngebiet felsig.





                Eine Schule oder ein Sportplatz ist hier, es gibt viele Kinder. Drei sitzen auf einem Felsen in der Sonne und lachen über mich. Ich winke ihnen zu. Ich denke an das Felsenschwimmbad ganz am Anfang. Eine Ewigkeit ist das her.

                Der letzte Anstieg nach Seinäjoki ist einfach nur fies. Der Radweg folgt der vielbefahrenen, lauten Hauptstraße, und ich bin einfach müde. Die ersten Rennradler zischen an mir vorbei. Radfahren als urbanes Phänomen.





                Während des Schiebens immerhin ein Lichtblick.





                Die Milchfabrik. Ich erkenne die Marke schon, bevor das Schild Maitosuomi kommt und meine Annahme bestätigt. Die ersten Häuser sind ein Kulturschock. Lange keine Stadt mehr gesehen. Ich fühle mich überfordert. Es dauert ewig, bis die Abzweigung in Nebenstraßen kommt. Radwegschilder finde ich nun keine mehr und fahre durch Unigelände. Wie kleine Torpedos kommen von allen Seiten Radfahrer und Radfahrerinnen und ich muss höllisch aufpassen. Die Erwachsenen fahren hier wie achtjährige Kinder. Eine junge Frau schaut ordnungsgemäß nach rechts, sieht mich und biegt trotzdem ohne zu bremsen nach links ab und fährt mir voll vor den Karton. Vollbremsung. Es interessiert sie nicht. Was man nicht sehen will, ist eben nicht da. Ich kann noch nicht mal schimpfen, ich kann ja kein Finnisch.








                Ich bin nun erschöpft und finde Seinajöki nicht gerade attraktiv. Funktionell, wie so viele finnische Städte. Der Campingplatz ist 4 km entfernt, im Süden, weitab meines Weges. In Nokia hatte ich den Versuch noch riskiert. In Seinäjoki weiß ich instinktiv, dass der Campingplatz geschlossen ist. Ich überlege, ob ich trotzdem die 4 km nach Süden fahren und mich notfalls wieder in die Büsche haue. Aber eigentlich habe ich darauf keine Lust mehr. Für heute bin ich genug gefahren. Meine Ausrüstung ist außerdem an der Grenze, das weiß ich genau. So rufe ich die Nummer des Platzes an: Eine Mailbox mit finnischem Gemurmel ohne Rückruffunktion.

                Lost in Seinäjoki? Ich sehe an der Straße ein Tourist-Info-Schild. Ist das der Hinweis auf den Infopoint vor dem Bahnhof? Ich fahre wieder zurück, und überprüfe noch einmal die Wegführung des Schildes. Sie führt eindeutig zu dem Infopoint. Kann das wirklich sein? Ich versuche es mit Logik. Einen grünen Infopoint schildert man nicht auf der Straße mit blauen Schildern aus. Hier muss noch eine echte Touristeninformation sein. Tatsächlich, an der Seite des Bahnhofs ist ein Büro. Geöffnet bis 16.00 Uhr. Ein Blick auf die Uhr. Es ist genau 16.02 Uhr, seit genau 2 Minuten ist hier also geschlossen. Schxxe. Hiiilllffee. Wie ein Ertrinkender klopfe ich erst zart, dann wild an die Scheibe. Bitte lasst mich nicht im Stich!

                Die Tür öffnet sich, eine junge Frau guckt irritiert um die Ecke. Sorry, sorry, sorry, aber ich brauche Hilfe. Sie streicht von meiner Liste im Radführer erstmal einen Teil der Unterkünfte. Die Hostels gibt es nicht mehr. Geschlossen. Der Campingplatz hat zu, da ist auch nichts zu machen. Es bleiben Hotels mit Preisen ab 65.00 Euro aufwärts. Für Finnland ist das sogar preiswert. Allerdings sind das reine Onlinehotels einer Kette. Das ist mir mit dem Fahrrad zu heikel. Tatsächlich werde ich später von außen sehen, dass die Treppen sehr schmal sind. Wie ich mein Glück kenne, ist das Zimmer dann im sechsten Stock. Aber vielleicht gibt es ja auch einen Aufzug. Trotzdem. Eine Rezeption ist mir lieber.

                Das nächstpreiswerte Hotel kostet um die 80,00 Euro und ist fast um die Ecke. Tatsächlich werden es sogar mehr. 107,00 Euro für das Einzelzimmer. Hilft nichts. Ich mag jetzt nicht mehr weiter. Die Frau an der Rezeption ist nett. Sie spricht sogar etwas deutsch. Sie hat vor Jahren mal in Mainz gewohnt. Gebucht. Das Fahrrad kommt unter die Treppe.
                Sofort wird das Hotelzimmer ein wenig freundlich gemacht. Man weiß ja, wie das aussieht.





                Gegenüber ist ein Kleidergeschäft. Ich brauche dringend eine Mütze. Leider gibt es nur helmunkompatible Wintermützen mit Bommel. Abschneiden kann man den nicht. So wird ein Stirnband. Die Verkäuferin ist wirklich nett. Ein anstrengender Arbeitsplatz. Kunstlicht und das dumpfe Nichtgeräusch von Passagen. Das Licht ist ein Problem, das gibt sie zu.

                Ich habe nun wieder Hunger und gehe in Richtung Bahnhof. Bei der Information frage ich nach dem kleinen Heft für die Züge nach Helsinki. Mit dem Fahrrad kommen nur drei Züge pro Tag in Betracht. Die anderen sind für Fahrräder nicht erlaubt. Ja, in Vaasa gibt es auch einen Ticketschalter. Das ist wichtig, denn die Fahrradreservierung ist nicht so einfach. Wie gut, dass ich das alles schon kenne.

                Ich suche finnische Spezialitäten und finde leider nur einen Imbiss mit Kebab. Na gut. Warum eigentlich nicht. Ich wähle die Dürüm Variante, und sie schmeckt erstaunlich gut. Die Bestellung war einfach, da die Finnin mit Migrationshintergrund Zeichensprache versteht.
                Kurz gehe ich noch in einen Supermarkt und hole mir zum Nachtisch Milch und Blaubeeren. Außerdem füllte ich meine Brot- und Käsevorräte auf. Dann setze ich mich in die Sauna, und das tut dann doch gut. Wärme. Was für ein Genuss. Per W-Lan checke ich die nächsten Campingplätze und stelle fest, auch die nächsten beiden haben eindeutig zu. Einer in der Mitte der Strecke und der Campingplatz in Vaasa. Enttäuschend. Auf Vaasa hatte ich gehofft, der Platz ist auf einer Insel. Es wäre der perfekte Abschluss gewesen. Hotels gibt es auf der Strecke anscheinend nicht. Ich muss morgen nach Vaasa durchradeln und mir dort wieder ein Hotelzimmer suchen. Das Wetter soll perfekt sein.


                Oha.
                (Norddeutsche Panikattacke)

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                • Torres
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                  Liebt das Forum
                  • 16.08.2008
                  • 32315
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #68
                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                  11.09.2015. Vaasa. 111 km.

                  Als ich morgens das Frühstück sehe, das im Restaurant nebenan serviert wird, kommen mir fast die Tränen vor Glück. Milch, Müsli, Obst, Gemüse, Eier. Ich habe echten Hunger. Ah, sieht das lecker aus. Als ich die Straße betrete, ist es wieder richtig kalt. Ich bin froh über das Stirnband. Und dass ich über Nacht ein warmes Bett hatte. Man muss ja nicht übertreiben.

                  Ich schiebe das Rad in die Sonne – reine Psychologie, wärmen tut sie noch nicht – und dann habe ich ausnahmsweise eine gute Idee. Als ich gestern im Supermarkt war, hatte ich auf ein Hotel einer Hotelkette geblickt, die auch in Vaasa vertreten ist. Ich fahre vor und bekomme die Nummer der Filiale. Telefonisch buche ich ein Zimmer in Vaasa. „Wann kommen Sie an?“ „18.00 Uhr, eventuell 19.00 Uhr. Ich fahre mit dem Fahrrad.“

                  Die Idee ist gut. Sie wird mich von dem Druck der letzten Tage entlasten, abends immer auf Glück setzen zu müssen. Ich werde viel entspannter fahren. Schnell finde ich die richtige Straße.





                  Der Belag ist aufgeplatzt und wellig.





                  Ein Regionalzug fährt vorbei, eine leuchtendrote Lok voran, doch als ich auslöse, weil mir der Anblick so gut gefällt, versteckt sich die Lok hinter einem Baum.





                  Es geht nun in Richtung Aunes,





                  und das Wort kommt mir wenig finnisch vor. Wieder begrüßen mich Pferde, diesmal mit freundlichen Gewieher. Mein letzter Tag auf dieser Route. Ein wenig werde ich sentimental.





                  Wieder ist der Radweg ausgeschildert und zwar fast so gut wie in England. An den Einfahrten stehen Schüler. Kurz darauf begegnet mir ein Bus. Ein rotes Auto überholt etwas hektisch und hält an jedem Briefkasten. Anscheinend suchen die Insassen ein ganz bestimmtes Haus. Ob das wohl finnische Räuber sind? Ich glaube eher, es sind Handwerker.





                  Die Häuser sehen luxuriös aus. Dieses Haus finde ich besonders geschmackvoll. Modern und dennoch finnisch.





                  Die Landschaft ist schön, und es ist still. Der Untergrund der Straße ist allerdings anstrengend, aber mittlerweile kenne ich mein Fahrrad so gut, dass ich irgendwie durch komme.








                  Ein dunkler Schmetterling mit hellem Rand. Ich kann mich nicht erinnern, einen derartigen Schmetterling schon einmal gesehen zu haben.











                  Dunkle Kartoffeln auf einem Acker.





                  In Gedanken radelnd, übersehe ich den Radweg am Straßenrand. Ein DB Schenker LKW mit Anhänger überholt mich im Millimeterabstand. Ein kleines Schwanken, und es wäre um mich geschehen. Kurz darauf parkt er an der Straße. Der Fahrer liefert an einem Eigenheim einen Teppich ab. Wieder überholt er knapp - einen Radstreifen gibt es nicht mehr - dann sehe ich den Hänger an der Bushaltestelle stehen. Aus dem Zugfahrzeug lädt er an der Straße Tierfutter aus.








                  Eine Kirche kommt in Sicht. Die Straße heißt Kitinolantie. Die Ortschaft weiß ich nicht. Auf ihrer Uhr ist es halb zwei. Das stimmt aber nicht. Es ist gerade mal zehn.





                  Ich halte an. Heute ist Werners (Cervantes) Todestag, wenn ich mich richtig erinnere. Gestorben ist er ungefähr um diese Zeit. Ach, Werner. Irgendwann sind wir gleichalt.








                  Einen Moment lasse ich mich auf der Bank nieder.





                  Die Glaskugel übersetzt: „Um den Rest der vergrabenen Lieben Memorian“.





                  Ich glaube, meine Reise nach Finnland hätte Dir gefallen. Du hast Aarto Paasilinna so gemocht.








                  Wenn ich mich nicht irre, wird am gleichen Tag, also heute, in Hamburg Ben geboren.








                  Und für diese beiden Symbole des Glückes packe ich jetzt sogar das Tele aus.








                  So habe ich doch noch mein Kranichbild bekommen.








                  Ich bin so schön drin, da biegt der offizielle Radweg in einen Nebenweg ab. Soll ich oder soll ich nicht? Es ist eine Sand- und Schotterstrecke. Ich bin unschlüssig. Aber vielleicht verpasse ich ja etwas. Widerwillig verlasse ich die gutausgebaute Straße. Der unbefestigte Weg lässt sich gut fahren, und ich wähne mich im Glück.

                  Ein verstecktes Fahrradschild.





                  Eine Brücke.





                  Auch hier hätte ich noch die Chance gehabt, auf Asphalt einen Umweg zu fahren. Aber ich will es ja unbedingt wissen. Und dann kommt es knüppeldick. Hier wurde neuer Schotter aufgetragem. Jedes Auto eine Staubwolke. Umweg fahren oder schieben. Ich wähle schieben. Das bin ich mir schuldig. Ich gehöre zu den Harten! So kurz vorm Ziel kann ich einfach nicht schlapp machen.





                  Litauen lässt grüßen. Spektakulär wirken die Bilder nicht. Denn wenn die Autos neben mir sind, kann ich nicht fotografieren. Dann muss ich mich schützen.





                  Kurzzeitig werde ich mit einem schönen Ausblick belohnt. Stromschnellen an einem Wehr. Hier ist es wirklich idyllisch. Hier hätte ich sogar zelten können. Einen Moment ärgere ich mich. Die Unterkunft ist gebucht. Man weiß es halt nicht vorher.














                  Und dann ist wieder Wandertag. Es geht jetzt 6 km auf diese Piste am Fluss entlang. Dem Kyrönjoki, den ich bereits gestern und heute morgen auch wieder überquert hatte. Der Fluss wird mich fast den ganzen Tag begleiten. Nur selten kann ich in diesem Abschnitt radeln. Der Schotter ist viel zu tief.





                  Dabei ist der Fluss neben mir wunderschön und wird später meine Fantasie anregen, als ich mein Buch lese. Ich werde an einigen Stellen genau an diesen Fluss denken.





                  Kühe sprechen mich an. Sie heben synchron das Kinn hoch und zwar in ganz bestimmter Weise, und als alter Kosmopolit weiß ich genau, was das bedeuten soll: „Was geht ab, Alda?“ fragen sie. „Schieben geht ab, Mann, ey“, antworte ich. Die Antwort befriedigt sie.






                  Die Strecke kostet mich gut eine Stunde. Das Schieben ist ja gar nicht so schlimm, auch wenn es Kraft kostet. Es fällt schwer, den Fluss wahrzunehmen. Und das ist wirklich schade. Man schaut ständig auf die Straße. Und kann eigentlich nur fluchen.

                  Endlich ist der Schotterweg zu Ende. Wieder ist die Karte ungenau. Ich biege in eine ausgeschilderte Landstraße ein – extra auf der anderen Seite des Flusses – stelle aber fest, dass dies die vorgesehene Strecke ist. Weiter geht es am Fluss entlang. Schnell wird der Weg wieder zum Sandweg, dieser lässt sich aber wunderbar fahren.








                  Es ist anscheinend ein Angelgebiet. Was heißt Uhrikoski? Es gab am vorherigen Schild noch einen anderen Begriff, aber den konnte ich mir nicht merken.





                  Ab und zu zeigen sich noch einmal Steine, aber eigentlich ist es flach hier.














                  Ich wechsele nun die Seite. Immer noch ist es derselbe Fluss.














                  Ylistaro. Für einen Moment setze ich mich an eine Bushaltestelle und blinzele in die Sonne. Eine Frau keucht den Hügel hinauf, wir lachen, und sie sagt etwas auf finnisch. Die kleine Tochter radelt abgeklärt auf einem pinkfarbenen Rad mit viel zu hohem Lenker hinterher.








                  Holland. Nein, natürlich nicht. Aber der Schwerpunkt liegt in dieser Gegend eben auf Landwirtschaft.








                  Es duftet nach Stroh. Getreideernte.





                  Unvermittelt wieder Hügel auf dem Feld. Erinnerung an das vertraute Finnland.





                  Wieder der Fluss. Hier in der Nähe muss auf der anderen Seite des Flusses ein Campingplatz sein, wenn ich mich nicht täusche. Ich werde später erzählt bekommen, dass sowohl der Platz als auch die Gegend wunderschön sein sollen.





                  Eine Grillhütte. Für alle oder privat?





                  Eine hübsche Brücke, fast sehe ich den Wegweiser nicht. Schade, die Straße war gerade sehr schön zu fahren.











                  Auf der anderen Seite bin ich etwas enttäuscht. Man wird auf den Radweg an einer Straße gelotst. Für Paare ist das natürlich besser, aber ich wäre lieber Landstraße gefahren. Vielleicht will man aber auch einfach wieder etwas bieten. Ein Museum. Das gehört schon zu Isokyrö.





                  Die Kirche soll berühmt für Wandmalereien sein.








                  Ein Wirsingfeld führt zur Hauptstraße auf den Radweg.





                  Anscheinend ist Vaasa gar nicht mehr weit weg. Als Radroutenfahrer kann man sich da irren, wie ich weiß und natürlich wird es so sein.





                  Dann kommt das erste Schild. Es ist nur die Gemeinde, nicht die Stadt (die ist noch ziemlich weit weg), aber als ich es sehe, werden jede Menge Glückshormone frei. Foto. Ich habe es so gut wie geschafft. Beim dritten Anlauf hat die Tour endlich geklappt. Was ohne Schnee ja auch nicht besonders schwer ist, sage ich mal. Egal. Die Autofahrer halten mich bestimmt für bekloppt.





                  Oha.
                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                  • Inarijoen Peter
                    Dauerbesucher
                    • 22.07.2008
                    • 777
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                    • Meine Reisen

                    #69
                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                    Der Schmetterling ist ein Trauermantel .

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                    • Torres
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                      • 16.08.2008
                      • 32315
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                      • Meine Reisen

                      #70
                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                      Zitat von Inarijoen Peter Beitrag anzeigen
                      Der Schmetterling ist ein Trauermantel .
                      Danke schön für den Link. Es war tatsächlich etwas Besonderes, ihm zu begegnen. Es war, als würde es plötzlich ganz still. Er wirkte so zeitlos. Ich habe mich nicht näher herangetraut, um ihn nicht zu stören. Das Bild ist vergrößert. Er saß recht lange dort und als er fortflog, dachte ich an Werner. Vieleicht waren die Schmetterlinge auf der Île de Bréhat die Verbindung.
                      Oha.
                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                      • Torres
                        Freak

                        Liebt das Forum
                        • 16.08.2008
                        • 32315
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                        #71
                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                        Ich hatte schon zweimal widerstanden, kalte Cola zu kaufen, aber nun beherrsche ich mich nicht mehr, als ich an ein kleines Gewerbegebiet komme. Ein Kiosk.





                        Der Mann spricht englisch und preist sein frisches Gebäck an. Er habe es am Morgen gebacken. Drei Stück sind noch da. Erst will ich nicht zugreifen, aber dann packt mich die Neugier. Essen ist vielleicht nicht schlecht. Auf einer Bank vor dem Kiosk lasse ich mich nieder. Ich habe ja keinen Druck. Ich habe ein Zimmer reserviert. Es wartet auf mich. Ach, wie schön. Die Sonne ist wärmt das Gesicht und einen Moment mache ich einfach die Augen zu. Es sind heute 17 Grad.

                        Ich esse das Gebäckstück und bin süchtig. Schnell kaufe ich die anderen beiden Exemplare auch. Wie das heißt? Voisilmäpulla.





                        R. wird später lachen: „Wo bekommen Touristen nur immer diese völlig überflüssigen Worte her?“ Nun, das Wort ist einfach wunderschön. Voisilmäpulla. Jeden Tag ein neues Wort. Der Klang gefällt mir. Voisilmäpulla (Finnish Butter Eye Buns: Klick. Das Bild ist besser: Klack ). Das Wort gefällt mir noch besser als Lummiko-Orava. Der Laden ist eine Glückspielzentrale. Wer anhält – und das sind viele -, spielt Lotto oder am Automaten. Fast niemand kauft etwas zu essen oder zu trinken.





                        Kurz darauf muss ich feststellen, dass es in Finnland genauso schwer ist, eine gute Stelle zu finden, wo man mal anhalten kann, wie eine Stelle zum wildcampen zu finden. Jedenfalls ohne Hauptständer am Rad. Als ich endlich etwas finde, stürzen sich sämtliche Fliegen und Blattläuse der Gegend auf mich. Vielleicht kennen die Insekten Leute wie mich schon. Die ersten Rennradler sind bereits unterwegs. Die Stelle ist an einer Einfahrt zu einem Haus, sehe ich später, wie peinlich. Ich entschuldige mich nachträglich.

                        Mittlerweile tut meine linke Schulter richtig weh. Spüren tue ich sie schon seit der Hälfte der Kilometer. Auch der Nacken ist gereizt. Immer noch nicht die richtige Geometrie? Den Beinen geht es dagegen gut, und ich fliege dahin.

                        Die Zahl der Rennradler und Radfahrer mit forschem Fahrstil erhöht sich. Die Stadt naht. Ein Rennradler fährt am Ende des Radweges auf der Schnellstraße geradeaus, ich beneide ihn, folge aber den Schildern und biege in einem Schotterweg ab. Der Weg lässt sich erstaunlich gut befahren und ist für die Muskeln eine gute Abwechslung. Rabenvögel sitzen auf dem Weg und warten, um dann mit großen Getöse aufzufliegen.





                        Dann wieder Straße.





                        Präzise Beschilderung ist alles. Die wird jetzt schlechter.




                        Mit Navi muss ich in mich Laihia korrigieren, ich bin gerade auf dem Weg nach Helsinki. Ein Ehepaar, das ich frage, versteht nicht, was ich will. Das liegt nicht nur am Englisch. Sie denken in Autostraßen, nicht in Radwegen. Anhand der Kirche, die im Zentrum des Ortes steht, die ich aber nicht fotografiere, klappt die Orientierung dann doch.


                        Die zweitälteste Steinbrücke Finnlands. Den mit voll aufgedrehter Stereoanlage über die Brücke heizenden Finnen in einem Opel Ascona interessiert das nicht.











                        Die Sonneneinstrahlung färbt das Getreide braun.





                        Ich mache Selfies.





                        Noch einmal Flussfeeling.








                        Und weil mir das Motiv so gut gefällt, noch eins.





                        Sagte ich irgendwann, mich erinnern Teile der Landschaft an Schleswig-Holstein? Diese Bezeichnung in der Tat. Die Endung „by“ findet man auch in Angeln, dort ist es der Einfluss der Dänen gewesen.








                        Vor dem Flughafen verfahre ich mich erst, nur mit Mühe finde ich das Schild dennoch. Man warnt vor Fallschirmfliegern, die vom Himmel fallen. Ich fliege über den Asphalt.





                        Der wird leider bald wieder Rüttelstraße.





                        Ich denke an die Stinkeblumen, die mir manchmal in Mittelfinnland am Wegesrand begegnet sind. Ein ganz intensiver, unbeschreiblicher Geruch. War das falsche Kamille gewesen? Ich weiß es nicht. Hier stinkt es nicht, und ich muss dennoch daran denken.








                        Die Schilder fehlen jetzt teils, und ich irre herum. Irgendein Gemäuer. Keine Ahnung, was das ist.





                        Ich finde kein Schild mehr und lande an einer Hauptstraße. Das ist gut zu fahren, aber falsch. Ich wende und schlage mich dank des Navis auf kleinen Trampelpfaden querfeldein. Radspuren zementieren eine aus Bequemlichkeit gewachsene Verbindung. Kurz darauf bin ich wieder richtig.

                        Der kombinierte Fuß- und Radweg ist nun plötzlich voller Spaziergängern und das ist nach den Tagen der Einsamkeit eine echte Gewöhnung. Immer mehr Menschen tauchen auf. Eine Arena. Anscheinend ist heute ein Eishockeyspiel. Kein Problem. Nur keiner sieht mich.





                        Fast kicken mich die Leute vom Radweg runter. Sie kommen direkt auf mich zu, und ich betätige die Klingel. Und dennoch bin ich einfach nicht da. Eine Frau mit Rad kommt genau auf mich zu und lächelt blöde, als ich nicht ausweiche. Wohin auch? Ich kann ja nicht auf die Autos springen. Sie weicht im letzten Moment unwillig auf ihren Streifen des Radweges aus.
                        Der Radweg endet und nun kämpfen Autos, Motorrad, Fahrrad und Fußgänger um den Platz auf einer zweispurigen Straße, die dazu noch durch eine Unterführung beengt wird. Jeder will der Schnellste sein und man behindert sich gegenseitig. Ein globales Phänomen, nicht finnisch. Bei uns ständen da längst schon Ordner, seit Duisburg hat sich da einiges verändert..

                        Ich bin froh, als ich weg bin, und der Mann mit Handy am Ohr, der aus einer Seitenstraße schießt, kann mich nicht mehr schocken. Ich fahre sowieso Schrittgeschwindigkeit.

                        Wieder einmal habe ich den Weg verloren, kombiniere mir dank des Navis aber den Zugang zu einer Parkanlage zusammen und habe endlich einen Blick auf den Bottnischen Meerbusen und die Schären.





                        Die Parkanlage ist recht leer.











                        Und dann bin ich am Ziel.





                        Ich stelle mein Navi auf Routing ein und finde das Hotel dennoch nicht. Es muss genau hier sein, am zentralen Platz. Ein Schild sehe ich nicht. Also fahre ich um den Block. Ich bin fast einmal herum, aber nichts. Ich rufe die Nummer an, es meldet sich eine finnische Hotline: Service in Englisch 4. Seufz. Also noch ein Anlauf. Ich schaue mir die Front genau an. Nichts. Wieder ein Stück zurück. Das muss hier sein!
                        Da sehe ich einen Geschäftsmann mit Rollkoffer und befrage ihn. Er spricht Englisch mit englischem Akzent. Er sucht es auch und findet es nicht. Ich schlage vor, wir suchen gemeinsam. Also wieder zurück zum Platz.
                        Zwei Teenies kommen aus einer Einkaufspassage, und ich frage. Als Antwort wird erst einmal gekichert. Englisch, Gott wie peinlich. Die eine zeigt immerhin auf die Passage, ich schüttele den Kopf. Da hatte ich doch schon geguckt. Doch, sie zeigt auf das Gebäude. Und der Eingang? Sie zeigt auf die Passage. Bei mir fällt ein Groschen.

                        Inside, sage ich zu dem Mann und gehe durch die Tür. Ein Übersichtsplan. Der Mann ist mir gefolgt, überzeugt ist er nicht. Ich scanne in Sekundenbruchteilen die Infos ein. Die Kunst, zu lesen, ohne zu lesen. Tatsächlich. Da ist das Hotel. Das sage ich ihm, aber er versteht nicht so ganz, er hat die Nummer auf dem Übersichtsplan noch nicht gefunden. Sind Fahrräder hier im Center erlaubt? Ich laufe sicherheitshalber schon einmal los.

                        Ich erinnere mich nun nämlich an die Szene in England, als der Sicherheitsdienst mich der Touristeninformation eines Centers verwiesen hatte. Mein Instinkt trügt nicht, denn zwei Sekunden später höre ich Rufen. Sie halten aber erst einmal den Engländer an, vermutlich denken sie, wir gehören zusammen. Locker und unaufällig lege ich einen Zahn zu, wozu trainiert man auf Tour denn Radwandern. Wieder ein Rufen. Ach, wie blöd, ich spreche leider kein Finnisch, ich kann das leider nicht verstehen. Ich erhöhe das Tempo. Jemand läuft hinter mir her, ich höre die Schritte. Noch eine Kurve, und ich kann mein Glück kaum fassen: Das Hotel verleiht Räder. Ein Platz im Fahrradständer ist noch frei. Lässig schiebe ich das Rad hinein und nehme mit größter Selbstverständlichkeit die Packtaschen ab.
                        Der Mann, der hinter mir hergelaufen ist, bremst und sagt außer Atem irgendetwas auf finnisch. „I´m sorry, I don´t understand“, sage ich und entlade weiter. Der Mann spricht ein gutes Englisch. „Das Einkaufszentrum darf mit Fahrrädern nicht betreten werden.“ „Oh, das tut mir leid,“ sage ich, „aber ich habe hier im Hotel ein Zimmer gebucht. Ich konnte leider den Eingang nicht finden. Ich bin hier zweimal (okay, geflunkert) um das Gebäude gekreist, aber ich habe nicht gesehen, wo das Hotel ist. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Und dann hat man mir den Eingang gezeigt, und auf dem Plan stand das Hotel. Und da war ich soo glücklich. Und ich musste ja irgendwie hier hinkommen. Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen.“ Während ich rede, entlade ich weiter und stelle die erste Packtasche in den Eingang des Hotels. Wenn ich will, habe ich einen leicht ausgeprägten Hang zur Dramatik. Vor allem, wenn ich am Ziel bin. Er weiß nicht so ganz genau, was er jetzt machen soll, er guckt offiziell, findet das ganze aber auch eindeutig lustig: „Bitte nehmen sie dann das nächste Mal den Eingang direkt hier vorne, dann fällt das nicht so auf.“ Aber klar, kein Problem und danke schön. Den anderen Eingang hatte ich wirklich nicht gesehen, tatsächlich steht dort von außen in klein über der Tür der Hotelschriftzug drauf. Da muss man erst einmal drauf kommen.
                        Der vermeintliche Engländer kommt nun auch und da er finnisch spricht, vermute ich mal, er ist ein Finne. Ich stelle mich bei der Rezeption an. Es ist jetzt nicht ganz 19.00 Uhr. Heute morgen war das ziemlich gut geschätzt von mir.

                        Das Fahrrad wird von dem Mann der Rezeption im Keller verstaut. Überall stehen Kisten, Kasten und Kartons. Heute ist Technoparty im Einkaufszentrum. Sie nutzen die Räume des Hotels mit. Bis morgens um drei. Es wird laut. Egal. Ein Bett.

                        Ich schreibe Inarijoen Peter, dass ich gut in Vaasa angekommen bin und jetzt nach Helsinki zurückfahren werde. Ursprünglich war der Plan, noch an der Westküste entlang nach Pori zu radeln, aber da die Campingplätze alle geschlossen sind, habe ich mich dagegen entschieden. Die Möglichkeit, wildcampen zu können, lockt mich nicht. Ich hatte mir ja vorgenommen, diesmal einen entspannteren Urlaub zu verbringen, als im letzten Jahr in England. Helsinki hat auch viel Natur. Da wird mir schon etwas einfallen.
                        Peter u. R. laden mich nach Hämeenlinna ein, wenn ich will, schon morgen. Ich freue mich unglaublich, schön, die beiden noch einmal wiederzusehen. Das wird mit der Zugbuchung allerdings knapp, und ich hätte auch gerne morgen einen Tag für mich. Samstag ist Ruhetag. Ich muss erst einmal herunterkommen. Wir einigen uns auf Sonntag.

                        Ich laufe noch ein wenig durch die Stadt. Es riecht nach Sommer und die Stadt fühlt sich jung an.








                        Sehnsüchtig schaue ich auf die beleuchtete Brücke und das Wasser vor mir. Da hinten liegt irgendwo der Campingplatz. Warum zum Teufel hat der schon geschlossen?

                        In einer Seitenstraße parkt ein schwarzer Plymouth Fury Kombi, Modell Harald and Maude. In Finnland ist alles möglich.





                        Es ist immer noch relativ warm, und als ich noch schnell in einen Supermarkt husche, denke ich an die lauen Sommernächte voller Hoffnung auf vertrauten Straßen und Plätzen, als würde etwas geschehen, in der Kleinstadt, in der nie etwas geschah, als man selbst jung war.





                        Dicke amerikanische Autos aus den fünziger Jahren blubbern vorbei. Jugendliche Gruppen, teils endzeitmäßig schwarz gekleidet, und doch irgendwie schüchtern.





                        Der zentrale Platz. Pommesduft steigt mir in die Nase, und ich bekomme Hunger. Im Imbisswagen steht eine junge Asiatin. Ohne Nachzudenken trete ich näher. Neben mir ein von einem Hauch von Tragik umgebener, dicklicher, bebrillter, rundgesichtiger finnischer Junge. Er erklärt mir in holprigem Englisch, wie wichtig Englisch sei, und dass er es eigentlich nicht kann. Er lernt schwedisch. Niemand braucht Schwedisch. Wir reden ein bisschen. Das freut ihn.
                        Die Asiatin kann zwar ein wenig englisch, aber kaum finnisch. Er merkt zaghaft an, dass sein Bus gleich fährt und die Asiatin nickt jaja. Wenn der Bus weg ist, muss er nach Hause laufen, erzählt er mir. Er guckt traurig und bleibt dennoch ohne Regung stehen. Sein Essen könne ruhig kalt sein, er mache es zu Hause warm, sagt er zu der Asiatin und findet sich gleichzeitig mit der Vergeblichkeit seiner Worte ab. Sein Bus sei jetzt da. Nun habe er noch vier Minuten, tut er seufzend kund und steht weiter da und wartet. Er tut mir leid, und ich mache der Asiatin Druck: Sein Bus führe in 4 Minuten, und sie hätte jetzt noch zwei Minuten Zeit, sein Essen in die Tüte zu packen, sonst bekäme er sein Geld zurück. Sie schreckt auf und tatsächlich kommt sie nun in Wallungen. Ich sage an: Noch drei Minuten. Noch zwei Minuten. Okay, okay, fertig. Er ist so verblüfft, dass er mit der Tüte in der Hand einfach stehen bleibt und weiter wartet. Er hat sich wohl schon mit seinem unabänderlichen Schicksal abgefunden. „Nun lauf schon, Dein Bus fährt gleich,“ muntere ich ihn auf. „Oh ja.“ Glücklich setzt er sich in Bewegung. Eifrig trabt er auf den Bus zu, die Tüte wackelt in seiner Hand hin und her. Er stolpert die Stufen hinauf, und ich kann förmlich hören, wie er den Busfahrer anlächelt und sagt: „Heute muss ich nicht laufen.“ Ich denke an den Marktplatz von Turku und den Bus nach Raisio. Lang, lang ist es her.

                        Die Pommes sind besser, als ich dachte. Ich schlendere den Platz entlang. Ein finnischer Kebabwagen. Anscheinend gibt es keinen Grund, den Schriftzug zu ändern.





                        Der Platz ist belebt und die Menschen sind fröhlich.








                        Bald gehe ich zurück. Der Türsteher am Eingang der Bar lässt mich durch, die Bar ist heute abend der Eingang zum Hotel. Die Nacht ist klar. Es könnte Nordlichter geben. Das Zimmer ist hell und ich ziehe die Schlafmaske auf. Die Ohrstöpsel funktionieren heute nicht. Zwar dämpfen sie die Töne. Aber aufgrund der Bässe wackelt das ganze Haus. Das nächste Mal mache ich Camping.


                        Zuletzt geändert von Torres; 11.10.2015, 18:36.
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                          #72
                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                          12.09.2015. Vaasa. 2 km.

                          Wie immer wache ich früh auf. Ich habe schlecht geschlafen. Ein paar Mal bin ich nachts aufgewacht, weil das Bett wackelte. Erst kurz nach drei hörten die Bässe auf. Nordlichter konnte ich keine sehen.

                          Ich habe Hunger, laufe aber zuerst zum Bahnhof, um zu schauen, wann das Büro der Eisenbahngesellschaft aufmacht. Gar nicht. Am Wochenende ist geschlossen. Ein Mann mit orangener Weste verlässt den Raum. Ich nehme mir den Automaten vor. Das Ticket zu lösen ist kein Problem. Aber eine Funktion, eine Reservierung für das Fahrrad zu bekommen, gibt es nicht. Ich frage noch eine Frau vom Café, aber auch diese findet nichts. Die Automaten sind nicht mit einem Netzwerk verbunden und können daher nicht nachprüfen, welche Stellplätze bereits besetzt sind. Hätte ich mir eigentlich denken können.

                          Also laufe ich zurück zur Rezeption. Der Mann von gestern hat wieder Dienst. Ob er vielleicht? Leider hat er viel zu tun. Ständig checken Gäste aus. Es gäbe aber einen Computer für die Gäste. Er zeigt ihn mir.
                          Ich recherchiere im Netz auf deutsch und auf englisch. Man kann sich im Internet ein Ticket als sms, als E-mail oder als Codenummer zum Ausdrucken am Ticketautomat im Bahnhof bestellen. Die letzte Funktion hatte ich vorhin gesehen, die ist mir aber zu unsicher. Ich entscheide mich für eine Mail. Sms funktioniert laut meiner Quelle nicht. Ich zücke mein in Seinäjoki erworbenes Heftchen und geben den Wunschzug ein. 12.20 Uhr. Keine Radmitnahme möglich. Aber die hatten doch gesagt, man kann in diesen Zügen Radplätze reservieren.....???? Mein Nervenkostüm bekommt den ersten kleinen Riss.
                          Der Zug um 9.20 Uhr. Keine Fahrradmitnahme möglich. Und nun? Ich will den Mann an der Rezeption fragen, aber der bedient gerade Kunden. Der Zug um 15.20 Uhr. Fahrradmitnahme möglich. Ah. Verstanden. Die anderen Züge sind ausgebucht. Gut, dann also 15.20 Uhr.
                          Ich wähle E-Mail. Ich tippe den Anfang meiner E-Mail Adresse ein. Wo ist das „@“? Hier nicht. Da auch nicht. Verflixt. Was ist denn das für eine Schxxxtastatur!!? Ich probiere alle Variationen durch. Nichts. In meinem Nervenkostüm der zweite Riss.
                          Ich suche wieder nach dem Mann an der Rezeption. Eine riesige Schlange. Er ist beschäftigt. Verdammt, ich muss das sofort buchen, sonst ist der letzte Platz auch noch weg. Also dann die Mobilfunknummer. Vielleicht geht das ja gut (nein, ginge es nicht. Das Fahrradticket wird definitiv nicht mitgeschickt, es ist, als hätte man es nicht gekauft. Abgebucht wird es natürlich schon.). Jetzt die Kreditkarte. Sicherheitscode. Zertifizierung bei der Bank. Ihr Passwort. Ich HASSE DIESE Zertifizierung. Wo ist das Passwort? Hatte ich doch mal irgendwo notiert. Sicherheitshalber verschlüsselt. Ist es das? Nein. Passwort falsch. Der dritte Riss im Nervenkostüm.
                          Passwort neu anfordern. Ach ja, ich habe ja Zeit. Identität bestätigen. Ja. Ich bin es. Hallo. Freut mich. Schön, dass ihr mich erkennt. Neues Passwort eingeben. Meiner Meinung ist das jetzt das gleiche wie das alte. Geklappt. Danke für Ihre Bestellung. Hier ist Ihre Zusammenfassung. Ich mache ein Foto. Da steht nämlich das Fahrradticket drauf. Ob das wohl reicht?
                          Wollen Sie ausdrucken? AUSDRUCKEN? Natürlich will ich ausdrucken. Aber wie? Ich brauche einen Drucker. Wo ist ein Drucker? An der Rezeption? Hhm, wenn sie gut sind, ist sogar hier ein Drucker. Ja. Glück gehabt. Er ist unter dem PC. Funktioniert aber nicht. Okay. Vielleicht einfach mal anstellen? Ja. Funktioniert jetzt doch. Printmodus.
                          Ein Fenster geht auf: Irgendwas mit open google kommt. Auf finnisch. HÄ? Hilfe! Was soll das? Der vierte Riss.

                          Der Mann von der Rezeption hat gerade Zeit. Ich bitte ihn herbei. Er drückt eine Taste. Anscheinend ist das richtig. Speichern oder drucken, steht da. Auf deutsch. Er bewegt fragend den Zeiger in die richtige Richtung. Ich nicke. Er hat früher einmal etwas deutsch gelernt und in Deutschland gearbeitet. Welch ein Glück. Der Drucker druckt.
                          Und so halte ich zwei Sekunden später ein Printticket in der Hand. Puh. Ich bin am Ende meiner Kraft. Zwei Wochen Urlaub für die Katz. Der Mann kriegt Trinkgeld.

                          Es ist 9.30 Uhr und das Frühstück endet um 10.00 Uhr. Mir ist in der Magengegend ganz flau, und ich springe in den Aufzug. Im Gegensatz zu gestern ist das Frühstück enttäuschend. Ein kleiner Raum am Ende einer düsteren Bar, völlig überfüllt. Ich muss an einem der Bartische Platz nehmen. Der Boden klebt von verschüttetem Bier. Die Auswahl ist okay, aber alles ist eng, überfüllt und die Qualität war gestern auch besser.

                          Als ich fertig bin, verlängere ich mein Zimmer um einen Tag, denn mein Zug fährt ja erst morgen und die anderen Hotels sind genauso teuer. Ich hatte bereits eine Reservierung und der Mann an der Rezeption freut sich. Ich bin jetzt auch sehr froh, einfach mal nichts tun zu dürfen. Der heute Morgen hat mir gereicht.

                          Ich packe mein Buch ein und mache mich auf dem Weg zum Wasser.








                          Die Sonne lacht, aber wirklich warm ist es nicht.








                          Ich schätze die Temperaturen auf um höchstens 14 Grad.





                          Das Kunstmuseum. Ein Ehepaar sucht den Eingang. Aber für ein Museum habe ich heute keine Kraft.





                          Ich setze mich ans Wasser. Eigentlich ist das zu kühl, denn ich habe keine Evazote dabei. Aber ich mag das jetzt so. Irgendwo da gegenüber liegt der Campingplatz.





                          Schon gestern, als ich am Flughafen vorbeifuhr, hatte ich über die Via Finlandia nachgedacht. Ja, die Route hat mir gefallen.

                          Der erste Teil war in der Zivilisation verhaftet. Es war ein Radeln im Gewohnten, manchmal mit dem Wunsch nach mehr Natur, aber in der sicheren Begleitung durch Infrastruktur und Sehenswürdigkeiten (bis Nokia).
                          Der zweite Teil war die Auseinandersetzung mit der Natur. Diese Phase war durch die Eintönigkeit der Landschaft und die technischen Herausforderungen gekennzeichnet, die mich an körperliche und geistige Grenzen brachten, andererseits aber das Schöne umso stärker leuchten ließen (bis Koskue).
                          Der dritte Teil war die Erholung. Das Dahinfliegen auf flacher Strecke mit der neuerworbenen Offenheit, sich in die Schönheit der Landschaft zu versenken.


                          Es scheint, als wäre die Via Finlandia als eine Form der Initiation, als Übergang aus der gewohnten Welt in eine neue Stufe des Daseins geplant worden. Oder lag das an mir? Weil ich mich auf den Weg einlassen konnte?
                          Einen Moment überlege ich, wie ich diesen Weg wohl empfunden hätte, wenn ich anders herum gefahren wäre? In Vaasa im Flachland gestartet, um dann den Weg durch das tiefe Tal zu gehen und die nächsten Tage an der Schnellstraße 3 und der Bahnlinie in Richtung Metropole entlangzuradeln? Nicht vorstellbar. Nein, das hätte mir nicht gefallen.

                          Was mich aber wirklich erstaunt hatte, waren die unglaublich vielen guten, mal weniger guten, aber immer durchdachten Radwege. Die ganzen Unterführungen, die extra für Radfahrer (und Fußgänger) angelegt waren. Die guten Möglichkeiten, an Landstraßen entlang zu fahren. Die Radinfrastruktur in den Städten. Finnland ein Radfahrerland. Das hätte ich nie gedacht und kann es auch jetzt noch gar nicht richtig fassen. Hat mir der Radweg besser gefallen, als der Nordseeküstenradweg im letzten Jahr? Ja. Das hat er. Es war überraschender hier. Ich kann das gar nicht klar benennen. Und die Eindrücke gingen tiefer. Die tiefen Wälder. Die Seen. Die Natur. Und das Licht.





                          Ich schlage das Buch auf, das mir die ganze Zeit als Gewichtsausgleich zwischen der leichteren linken und der schwereren rechten Packtasche gedient hatte. Es sind Kurzkrimis, von Laien geschrieben. Einige paar gute Ideen, aber die Ausführung ist doch ziemlich vorhersehbar. Ich lasse es da. In Helsinki kaufe ich mir ein neues Buch.

                          Es ist kühl geworden, und ich friere. So laufe ich zum Hotel zurück. In einem kleinen Laden, indem man aus großen Behältern Nüsse, Schokolade, Reis, Nudeln, Lakritz, Müsli und Gewürze abfüllen kann, erwerbe ich ein Gastgeschenk. Alle anderen Geschäfte interessieren mich nicht.





                          Das Nachdenken über die Via Finlandia hat mich inspiriert, und ich schreibe im Smartphone die ersten Zeilen des Reiseberichts. Dabei ist die Reise doch noch gar nicht zu Ende. Aber irgendwie müssen die Worte jetzt raus. Am liebsten würde ich schreiben: „Ich habe es geschafft - wohooo“, aber das wäre ja langweilig. Überraschung muss sein. Also veröffentliche ich vor lauter Vorfreude schon einmal die erste Folge im Netz. Die Formatierung und die Korrektur der Tippfehler entpuppen sich aber als so umständlich, - zumal das W-Lan nicht besonders schnell ist, - dass ich auf das Veröffentlichen der zweiten Folge verzichten muss. Sie ist zwar schon geschrieben, aber das ist mir zuviel Stress.

                          Supi schickt eine PN. Wenn ich Lust hätte, könnte ich ihn gerne besuchen. Ich wähnte seinen Wohnort ganz woanders, schade, mit dem Zug hätte ich das sogar hingekriegt. Aber nun ist alles schon geplant. Das Ticket tausche ich jetzt nicht mehr aus! Ich muss ihm leider absagen. Dann gehe ich früh zu Bett.


                          Oha.
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                            #73
                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                            13.09.2015. Vaasa / Hämeenlinna. 10 km.

                            Der Frühstücksraum ist genau so unbequem und voll, wie am Tag zuvor. Immerhin klebt der Boden nicht mehr. Eine junge Familie mit Kleinkind befindet sich hinter mir, und schnell besetze ich den letzten Tisch an der Tür mit einem Becher Milch. Ein wenig verzweifelt suchen sie im Raum nach einem freien Tisch, aber sie finden nichts. Sie sehen nett aus, und ich frage sie, ob sie mit an meinen Tisch wollen. Erleichtert sagen sie ja. Der andere Raum ist so kalt und dunkel. Das weiß ich auch, da saß ich ja gestern.
                            Wir kommen ins Gespräch. Ich erfahre, dass es am Freitag einen Generalstreik gibt. Ob die Fähre betroffen ist? Glaubt er nicht. Man hört von Öffentlichem Nahverkehr, Polizei und Krankenhaus. Der Wirtschaft in Finnland geht es schlecht. Wir haben ja Nokia, war immer der Tenor. Jetzt ist Nokia nicht mehr da, und nun merkt man, dass Finnland seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Er zuckt die Schultern. Er ist aus Vaasa, sie aus Turku. Das Kind wird von klein auf zweisprachig aufwachsen: Finnisch und Schwedisch. Englisch lernt es später sowieso.

                            An der Rezeption steht diesmal eine junge Frau. Sie begleitet mich in den Keller, damit ich mein Fahrrad holen kann. Sie hat eine Freundin in Bremen. Sie erzählt, dass es viele Verbindungen zwischen Deutschland und Finnland gibt. Viele Finnen lieben deutsche Autos. Und Deutsche lieben finnische Musik. Sie konnte gar nicht glauben, dass eine Band, die in Finnland keiner kennt in Deutschland Stadien füllt. Den Namen weiß sie aber nicht. (Leningrad Cowboys? Apocalyptica? HIM? Nightwish?) Klick. Klack.

                            Es ist jetzt gegen 10.00 Uhr, und ich habe noch ewig Zeit, bis der Zug fährt. So beschließe ich, den Campingplatz anzuschauen. Den Weg zum Bottnischen Meerbusen kenne ich ja schon.





                            Das Wetter ist schön, aber es ist sehr kühl und sehr windig.





                            An der ersten Insel finde ich ein Schwimmbad vor. Es ist Samstag, und es sind einige Menschen unterwegs. Sie gehen spazieren oder genießen das schöne Wetter.








                            Über eine lange Brücke geht es auf eine größere Insel. Durch ein Waldstück kommt man zum Campingplatz. Schön, mal wieder Bäume zu sehen.





                            Schnell stelle ich fest, dass der Campingplatz zwar nicht abgesperrt, aber definitiv und ausdrücklich geschlossen ist. Das Schild, das an der Tür und den Fenstern hängt, ist eindeutig. Geschrieben auf Finnisch und auf Englisch. Eine Telefonnummer, die Verhandlungsspielraum gäbe, gibt es nicht. Der Platz ist videoüberwacht.





                            Eine Gruppe Wanderer läuft an der Schranke vorbei in Richtung Wasser. Halti Rucksäcke. Es sind also Finnen.





                            Die Gruppe vor Augen, nehme ich mir heraus, das Gelände zu betreten und radele zum Badestrand. Ein Wohnwagen mit Fahrrädern davor steht auf dem Gelände. Anscheinend sind das die letzten Gäste hier. Sonst ist der Platz leer. Ein kleiner, netter Badestrand. Vor dem Anblick von Industriegebäuden ist auch dieser Platz allerdings nicht gefeit.





                            Dann schaut eben in die andere Richtung. Der Platz ist sehr schön und gepflegt. Schade. Hier wäre ich gerne gewesen. Zum Abschluss hätte das sehr gut gepasst.








                            Ein Mann auf dem Fahrrad kontrolliert die Sanitärräume. Anscheinend sind die Türen noch offen. Ich frage „offen“ (auf finnisch) und meine die Sanis, aber er schüttelt den Kopf. Er meint sicherlich den Platz. Der Platz ist einfach geschlossen, das muss man akzeptieren.

                            In der Nähe ist ein Wanderweg. Und eine Loipe?





                            Ein Werbeplakat vom Sportboothafen harmoniert mit den Yachten des Hafens, aber das Bild wird leider unscharf. Den Sportboothafen hatte ich gestern von meinem Platz aus gesehen. Dafür sehe ich ein neues Schild:





                            Und das hier. Hundeausführen ist anscheinend nur vom 1.4. bis 15.11. erlaubt.





                            Ein Waldstück. Mitten im Bild ist eine tiefe Spalte. Würde man mit dem Rad querfeldein wandern, könnte das schief gehen. Bei ähnlicher Gelegenheit hatte ich mir schon ohne Fahrrad die Haxen verknackst.











                            Ich biege nun in eine asphaltierte Straße ein. Menschen und Autos sind nicht zu sehen. Kurz darauf komme ich hier heraus.





                            Dieser Hafen verbindet Vaasa und Umea. Die kürzeste Verbindung zwischen Finnland und Schweden. Die Fahrt mit der Autofähre dauert 3,5 Stunden. Sonntags fährt das Schiff um 8.00 Uhr und um 20.00 Uhr. Ursprünglich hatte ich überlegt, im Falle meiner Ankunft in Vaasa nach Schweden zu fahren und dort an der Küste gegen Süden zu radeln. Da diese Strecke aber nicht gerade kurz ist und es dann recht umständlich ist, wieder nach Hause zu kommen, hatte ich diese Option verworfen.

                            Ein Schenker LKW steht im Hafen. Ein Schiff kommt in den Hafen hinein und legt gerade an.





                            War ich nun eben schon in Schweden? Oder im Niemandsland? Jetzt bin ich auf jeden Fall wieder in Finnland.





                            Ich radele die Straße zurück. Der Mann vom Campingplatz begegnet mir wieder und schaut interessiert. An der Gabelung biege ich rechts in eine Hauptstraße ein und lande erneut an einer Brücke.





                            Und fotografiere endlich mal jemanden auf dieser Mischung zwischen Rollschuhen und Skiern. Mir waren schon einige davon auf den Radwegen in Mittelfinnland entgegengekommen, aber zu einem Foto hatte es nie gereicht.





                            Ein Motorboot steuert den Hafen an.





                            Routiniert wirft die Frau des Kapitäns das Tau aus. Angler sitzen trotz des Wellenganges in ihrem Boot.





                            Einen Moment überlege ich, trotz des Windes weiterzufahren. Die Straße führt nach Süden zum Festland in Richtung Sundom. Hielte ich mich dann in Richtung Osten käme ich irgendwann auf der Höhe des Flughafen Vaasa heraus. Die Wegsuche und der Zeitaufwand lassen sich jedoch schwer kalkulieren und das ist mir dann doch zu heikel. Das Zugticket war hart erkämpft. So fahre ich zurück und lasse mich am Schwimmbad nieder. Menschen stehen an großen Wannen (für Angler?) und waschen Teppiche. Ich setze mich unter ein paar Bäumen hin.











                            Der Wind ist frisch und wirbelt die Blätter auf. Es ist Herbst geworden. Als ich losfuhr, dufteten in Helsinki noch die Rosen. Ein Angler packt seine Angel ein.





                            Die Möwen gleiten im Wind. Auch ein paar Rabenvögel sind dabei, die ich auf dem Weg oft gesehen habe.











                            Segeln macht heute sicherlich Spaß.





                            Und dann fällt mir ein, dass ich mich ja noch gar nicht bei meinem Fahrrad bedankt habe. Und das hole ich jetzt nach.





                            Es bekommt von mir einen Bären. Ich fand das besser als einen Elch.





                            Und dann wird mir einfach zu kalt. In der Ferne kommen die ersten Wolken auf.





                            Zwei Klappräder werden die Steigung hochgeschoben.





                            Ich schiebe ebenfalls. Weil ich will. Nicht, weil ich muss. Ich habe ja noch über drei Stunden Zeit. Ich suche noch einmal die Skulptur, die mich am ersten Abend so fasziniert hat. Sie wirkt so lebendig.











                            An einem Brunnen ist noch eine weitere.





                            Und noch eine dritte Figur.





                            Auch hier setze ich mich noch einmal auf eine Bank. Ein Mann spricht mich an. Er würde gerne mit einem Fahrrad nach Gran Canaria fahren. Er hätte dort ein Haus. Ich erkläre ein wenig. Schnell sehe ich, dass es ihm nicht ernst ist. Die typischen Fragen von Leuten, die so tun wollen, als würden sie dazu gehören. Eigentlich will er nur von sich erzählen. Er sei Geschäftsmann und ein Schwede aus Finnland.

                            Ohne Sonne wirkt der Marktplatz trostlos. So entscheide ich mich, die paar Meter zum Bahnhof zu radeln.





                            Immer noch habe ich zweieinhalb Stunden Zeit. So trinke ich erst einmal einen heißen Kakao und hänge meinen Gedanken nach. Eine rote Lok. Ich denke an das abgeschnittene Foto. Mit einem derartigen Zug werde ich nachher nach Seinäjoki fahren.





                            Züge laufen ein, und ich schaue mich schon einmal nach den Radabteilen um. Naja, wird schon klappen. Ich mache mir da immer zu viele Gedanken drum.

                            Dann wird es ernst. Der Regionalzug nach Seinäjoki kommt. Der Schaffner öffnet das Transportabteil. Ich hebe das Fahrrad hoch, es ist ganz schön schwer. Der Schaffner zieht es ins Abteil. Ich muss ein paar Meter weiter durch die normale Tür einsteigen, da das Gepäckabteil keine Treppen hat.





                            Vor einem Hamster/Hundekäfig parkt nun das Fahrrad. Er fragt, ob er die Tür abschließen soll, damit ich mich ins Abteil setzen kann, aber ich verneine. Ich bleibe lieber beim Fahrrad. Ich stecke das Vorderrad zwischen die Speichen des Käfigs. Befestigen kann man das Rad hier nicht.





                            Ein Kinderwagen wird noch hochgezogen. Die Mutter setzt sich mit Kind ins Abteil. Anscheinend kennt man sich.
                            Der Schaffner fragt, wohin ich wolle? Seinäjoki, Hämeenlinna. Ob ich ein Fahrradticket habe? Er schaut mich besorgt und etwas nachdenklich an. Ja, habe ich. Er verriegelt die Außentür, der Zug fährt an. Ich zeige ihm mein Ticket. Die Fahrradreservierung sieht er nun. Die Landschaft fliegt vorbei. Hier bin ich vorgestern geradelt.








                            Laihia. Hier hatte ich mich verfahren. Wie lange ist das her? Und vor allem: Wie viele Stunden habe ich gebraucht? Unfassbar, hier zu stehen. Die Strecke wirkt so kurz.





                            Der Schaffner fragt mich nach meiner Reise. Helsinki – Vaasa. Via Finlandia. Es gibt bestimmt auch einen finnischen Begriff für diese Route, aber den weiß ich nicht. Ich zähle die Stationen auf (Ikaalinen vergesse ich). Wie lange ich gebraucht habe? Ungefähr 10 Tage (in Wirklichkeit waren es 11 Tage, aber 10 wären auch machbar gewesen). Er nickt nachdenklich. Ob es mir gefallen hätte. Ja, das hat es. Finnland ist toll, um Rad zu fahren. Das hat mich selbst überrascht. Ich war mit dem Zelt unterwegs. Ich erkläre ihm, was in welcher Packtasche ist. Und ungefähr das Gewicht, das sie tragen. Er wirkt, als hätte ich ihn auf eine Idee gebracht. Er sieht sportlich aus. Vielleicht ein Urlaub für die Familie.

                            Ich starre aus dem Fenster. Erkenne ich etwas wieder? Die Ortschaften, auf jeden Fall. Jede einzelne bin ich durchfahren. 3 Stunden 50 Minuten dauert eine Zugfahrt von Helsinki nach Vaasa. Mit dem Fahrrad fuhr ich 11 Tage. Angelegt ist der Radweg laut des Begleitheftes sogar auf 21 Etappen. Will man zwischendrin in Ruhe etwas besichtigen oder schwimmen gehen, braucht man solange. Schon verrückt.

                            Ein kleiner Junge rennt ein paar Mal seiner Mutter davon und läuft im Gepäckabteil herum. Er sieht aus, als trüge er noch Windeln. Reden kann er noch nicht. Sie läuft ihm flink hinterher, aber sie hat Schwierigkeiten, ihn zu fangen. So schnell, wie er ist, wird er bestimmt einmal ein Sportler. An einer Station steigt die Frau aus und trifft sich mit einem Mann. Sie übergibt ihm Geld. Der Schaffner steht bei der Transaktion dabei, als würde er die korrekte Abwicklung begleiten. Er muss wechseln, sie bekommt noch Wechselgeld zurück. Anscheinend macht man vom Zug aus Geschäfte.

                            Seinajöki. Der Schaffner öffnet die Tür und springt heraus. Ich warne ihn: Das Fahrrad ist schwer. Er hebt den Arm, um es anzunehmen und greift es. „Achtung, das ist schwer! Warten Sie, ich komme rum.“ Er hört nicht auf mich und lässt das Hinterrad nicht im Waggon, sondern hebt es hoch. Er fällt fast um, als ich loslasse. Ich renne mit Vollgas aus dem Abteil und aus der Zugtür hinaus, da hat er es aber schon mit einer artistischen Einlage gefangen und stellt es sanft auf dem Boden auf. Puh. Er sieht etwas erschöpft aus. Ich weiß genau, wie sich das anfühlt, das Problem hatte ich auch schon. Ich bedanke mich sehr herzlich. Das ist Ihr Zug, sagt er fürsorglich. Der IC nach Helsinki fährt gerade auf dem gegenüberliegenden Gleis ein. „Okay, ja. Danke schön!" Ich setze noch "Kiitos“ hinzu. Er schaut mir kurz nach. Ich laufe los.

                            Wagen 7 die 444. Ich trabe zügig zum richtigen Waggon. Ein Kinderwagen steht in der Radbucht, den räume ich erst einmal raus. Und bin heilfroh, dass ich weiß, wie das System funktioniert. Das hatte ich damals auf dem Weg nach Rovaniemi gelernt und nicht vergessen. Zelt und Taschen ab. Greifarm runter. Fahrrad mit dem Lenker einhängen. Hochziehen. 50 cent einwerfen. Abschließen. Dann den reservierten Platz suchen. Erst will ich am Rad bleiben und lasse mich auf einem Platz in der Nähe nieder, aber schnell wird klar, dass der Zug richtig voll wird. Also gehe ich zu meinem Platz auf dem Oberdeck im Wagen 8. Ganz weit weg. Ein paar junge Finnen in Uniform schlafen.

                            Der Schaffner kommt, und ich habe ein Deja vu. Er sieht genauso aus wie der Schaffner in dem Regionalzug. Der Zug fuhr weiter nach Jyväskylä, das kann er also nicht sein. Ich starre ihn an. Als er an meine Sitzreihe kommt, lächelt er kaum merklich. „Hello again,“ sagt er und scannt den Barcode ein. „Hello again“, sage ich auch, dann ist er schon vorbei.





                            Tampere kommt. Ach Tampere.








                            Ein Mann will meinen Platz, ich war falsch. Mein Sitzplatz ist eine Reihe davor. Da saß vorher ein Paar ohne Reservierung. Auch die Soldaten der finnischen Armee müssen Platz machen und weichen auf den Gang aus. Der Zug ist voll.
                            Tojala. Ich gehe los, um mein Rad zu bepacken.





                            Aulanko.





                            Die Brücke, an der mir weiss gemacht wurde, ein Orava wäre ein Lummiko. Ich vergesse, das Foto der Burg zu machen. Als sie auftaucht, ist es zu spät. Aussteigen.

                            Sicherheitshalber schaue ich noch, ob Peter irgendwo steht. Ich hatte gesagt, er soll mich nicht abholen, aber man weiß ja nie. Zuzutrauen wäre es ihm, dass er sich nicht daran hält.
                            Ich schiebe das Rad die eiserne Treppenführungen hinunter und bin dann auf dem Vorplatz. Ich schwinge mich aufs Rad und schaue in einem Anfall von Kontrollzwang noch einmal auf der Karte nach. Das Navi ist nämlich aus. Eigentlich weiß ich, wo es lang geht, aber man weiß ja nie. Könnte ja sein, dass sich der Bahnhof gedreht hat oder die Straße im Nichts verschwunden ist.
                            Von links kommt ein Fahrradfahrer mit hoher Geschwindigkeit auf mich zu, ich sehe ihn im Augenwinkel, während ich meine Karte anstarre (auf der ich eigentlich nur sehe, was ich sowieso schon weiß). Der Radfahrer macht aus voller Fahrt einen Schlenker, um sich neben mich zu setzen, und ich muss gar nicht hinsehen. Das ist ist kein Finne, das können die nicht. Ohne hinzuschauen sage ich in einer schlechten Schwyzerdütsch-Kopie "Ein Schwyzer auf dem Fahrrad (richtig wäre Velo), ich habe es bemerkt," da gibt Peter auch schon Gas, und ich muss schauen, dass ich hinterherkomme.





                            Kurz darauf sitze ich in einer Wohnung mit Blick auf Wasser und werde mit köstlich gekochtem Essen umsorgt. Es folgen heiße Diskussionen und tiefgründige Gespräche, und Peter zeigt mir, wie man Nordlichter fotografiert. So spät wie beim ersten Mal wird es allerdings nicht. Ich bin einfach zu müde. Und schlafe wunderbar.
                            Oha.
                            (Norddeutsche Panikattacke)

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                            • Gast202105024
                              Gelöscht
                              Fuchs
                              • 03.07.2012
                              • 1920
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                              #74
                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                              Toller Bericht, vielen Dank!

                              Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                              Menschen stehen an großen Wannen (für Angler?) und waschen Teppiche.
                              Das waren vermutlich Teppichwaschanlagen (bisschen scrollen), eine finnische Spezialität, auf die die Helsinkier (?) so stolz sind, dass man sie immer gezeigt bekommt.

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                              • earlyworm

                                Erfahren
                                • 07.03.2007
                                • 387
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                                #75
                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                11.09.2015. Vaasa. 111 km.


                                Es ist anscheinend ein Angelgebiet. Was heißt Uhrikoski? Es gab am vorherigen Schild noch einen anderen Begriff, aber den konnte ich mir nicht merken.




                                Koski bedeutet Stromschnelle (Järvi bedeutet See). Auch wenn ich kein Finnisch-Übersetzter-Diplom besitze würde ich sagen das hier Uhri-Stromschnelle ist, und du dir also eine Angellizenz und Angel besorgen solltest um dort einen leckeren Fisch zu fangen.
                                ------------------------------------------------
                                http://www.canoeguide.net
                                Only the early worm catches the fish
                                ------------------------------------------------

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                                • Torres
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                                  Liebt das Forum
                                  • 16.08.2008
                                  • 32315
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                                  #76
                                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                  @Pedder
                                  Du hast Recht. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass die Anlage für Teppiche ist. Beim ersten Mal dachte ich, das wäre Zufall, da hätte halt jemand gerade einen Teppich vom Boot geholt. Als ich das zweite Mal vorbeigeradelt bin, waren die Leute dort so eifrig mit Schrubben und Abspülen beschäftigt, dass ich den Eindruck hatte, das wäre hier normal (es erinnerte mich daran, wie früher Sonntags vor der Tür die Autos gewaschen wurden). Glauben konnte ich es dennoch nicht. Danke für die Aufklärung.

                                  @earlyworm
                                  Auch an Dich einen Dank für die Info. Das Wort "Koski" kannte ich, aber dass es sich um ein zusammengesetztes Wort handeln könnte, auf die Idee bin ich nicht gekommen.
                                  Zuletzt geändert von Torres; 18.10.2015, 16:47.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  • Torres
                                    Freak

                                    Liebt das Forum
                                    • 16.08.2008
                                    • 32315
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                                    #77
                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                    14.09.2015. Nationalpark Torronsuo, Tammela.

                                    Am Morgen ist R. schon wach und beobachtet Vögel. Zum Frühstück gibt es geräucherte Lachsforelle (@R.: Tämä kala on herkullista) und hier noch einmal einen herzlichen Dank an R. (Kiitos). Ich biete noch nicht einmal meine Hilfe an, sondern genieße es, so verwöhnt zu werden. Wieder geht uns der Gesprächsstoff nicht aus, und so dauert es, bis wir uns auf den Weg zum Nationalpark Torronsuo in der Nähe von Forssa machen.





                                    Zunächst wirkt der Nationalpark – wie die Natur so oft in Finnland – ziemlich unspektakulär. Ein paar Pflanzen. Ein paar Bäume. Matte Herbstfarben. Ohne Sonne alles ein bisschen trostlos.





                                    Ein Steg, damit man das Moor auch dann betreten kann, wenn es feuchter ist als derzeit.





                                    Ich erfahre, dass hier das größte noch in ursprünglichem Zustand erhaltene Moor Finnlands ist. Mein Fotoakku ist fast leer. So greife ich zur Olympus. Ich habe nur das Teleobjektiv dabei. Konzentration auf die Details.


                                    Rotfärbung.





                                    Gelbfärbung.





                                    Irgendwie afrikanisch.





                                    Je mehr ich fotografiere um zu vielfältiger erscheint mir die Natur.











                                    Kenne ich den? Vielleicht ein finnisches Fabelwesen?





                                    Ich trödele.








                                    Landschaften, wie gemalt.








                                    Wenn man hinten läuft, gibt es leider nur Rückenansichten.








                                    Tiere sind keine zu sehen. Es soll eine große Population von Schmetterlingen und Vögeln geben. Heute halten sie sich versteckt.

















                                    Ein kleines Feuerwerk für die Sinne.











                                    Wir laufen nur eine kleine Runde, da der Rundweg gegen Ende leider sehr lange an einer Landstraße entlangführt.











                                    Die Farbe ist einfach wunderschön.





                                    Moi.





                                    Wie das heißt, habe ich wieder vergessen.





                                    An einer Grillhütte sitzen Kinder mit ihren Großeltern. R. erklärt, dass das ein in Finnland häufig verbreitetes Phänomen ist, damit die Töchter und Schwiegertöchter arbeiten können. Ob sie wohl Saugwürstchen essen? Ich freue mich auf das im Anschluss geplante Grillen.





                                    Wir suchen einen Grillplatz auf der anderen Seite des Moores auf, der im Wald versteckt ist. Auch ein großer Shelter ist hier vorhanden, der mehreren Menschen Platz bietet. Ein Foto mache ich davon allerdings nicht. Von der Landstraße aus braucht man auf Schotterwegen durchaus ein paar Minuten, bin man in Laufnähe ist und Ortskenntnis schadet auch nicht, um den richtigen Weg zu finden. Das bestätigt wieder meine Theorie, dass man die Shelter auf einer Radtour nur dann in die Tourenplanung aufnehmen kann, wenn man sich ein wenig auskennt. Das ist ungünstig, wenn wenig Zeit für Irrtümer bleibt.
                                    Einen Aussichtsturm gibt es auch. Von dort aus kann man das Moor überblicken. Es beginnt zu nieseln.





                                    Zwei Schwäne sind zu erkennen.





                                    So eintönig ist der finnische Wald gar nicht.





                                    Und hier wieder die verschiedenen Moorfarben. An einigen Stellen sieht man Moorlöcher.














                                    Am Grillplatz sitzt bereits ein Ehepaar und grillt Würstchen. R. macht ebenfalls welche zurecht, und sie sind von hervorragender Qualität und schmecken köstlich. Man kann sie übrigens auch verzehren, ohne zu saugen. Peter kocht auf seinem Gaskocher stilgerecht Wasser für Kaffee.








                                    Am Abend reden wir wieder viel. Dass das Lummiko - wie vermutet - kein Eichhörnchen ist, sondern ein Wiesel, erfahre ich nun auch. Außerdem, dass man in Finnland nicht auf die Dächer von Sheltern steigt und auch seine Kinder davon abhält, es zu tun. Das gibt die Konstruktion nicht her, die meist nur durch dünne Dachpappe abgedichtet und geschützt wird. Schnell bekommt sie Risse, so dass das Dach undicht wird und den Nächsten keinen Schutz mehr bietet.
                                    Wir reden über meine Eindrücke auf Tour, und Peter erklärt, dass man hier in der Natur zu zweit unterwegs sein sollte. Es gibt selbst Ortskundige, die fanden alleine nicht mehr aus dem Gelände heraus. Da reicht es schon, gerade mal 10 km von der Straße entfernt zu sein. Es sieht eben alles gleich aus und Orientierungspunkte gibt es kaum. Peter denkt da vor allem an seine Zeit in Lappland, bei Inari, aber für andere menschenleere Gebiete gilt das auch. Ich fühle mich bestätigt, keine Abenteuer in unbekanntem Gelände fernab von Straßen versucht zu haben. Peter muss immer wieder den Kopf über die anklingende Naivität von Wanderern aus Deutschland schütteln, die sich mit Begeisterung auf die Wildnis stürzen. Mag man in Deutschland die Gefahr im Wald überschätzen, so ist es in Finnland anders herum. Mit der Natur ist hier nicht zu spaßen. Nur einmal kurz den Weg verfehlt oder beim Pinkeln zu weit vom Shelter entfernt. Und in welche Richtung ging es nun? Meine Phantasie reicht aus, um das nicht erleben zu wollen.


                                    Zuletzt geändert von Torres; 18.10.2015, 19:08.
                                    Oha.
                                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                                    • Torres
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                                      • 16.08.2008
                                      • 32315
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                                      #78
                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                      15.09.2015. Helsinki. 23,2 km.

                                      Am Morgen frühstücken wir gemeinsam, und dann heißt es Abschied nehmen. Das Wetter sieht nach einem Wetterumschwung aus. R. füllt mir noch ein wenig Salz ab. Noch einmal einen riesigen Dank für die Gastfreundschaft!

                                      Den Weg zum Bahnhof finde ich sofort. Eine Frau schimpft über eine Baustelle. Der Wind weht die Blätter über den Radweg.








                                      Ich klinke mein Fahrrad in das Haltesystem ein und sehe, dass die Schaffnerin hinter mir ist. Ich zeige ihr mein Ticket. Mein Platz ist weit entfernt. Sie zeigt auf den Sitz, auf den ich meine Packtaschen gestellt habe. Ich soll mich setzen. Der Zug ist so gut wie leer. Aus dem Fenster sieht man bunte Bäume. Die waren auf dem Hinweg noch nicht da. Die Straße verlief ja oft zur Bahn parallel.

                                      Helsinki. Ich suche wieder automatisch den Schnee. Doch es ist keiner da. Windig ist es dafür. Aber noch sonnig. Doch ich fühle erneut: Das Wetter wird wechseln. Ich überlege, ob ich mit der Metro fahren soll, aber die Sonne verlockt zum Radeln. Und ich habe ja noch etwas offen, was ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln gar nicht erreichen kann. Also los. Die Richtung ist mir vertraut. Einfach geradeaus nach Westen. Mit Erstaunen entdecke ich Radwege. Stimmt. Als ich die ersten Male da war, lagen die unter dem Schnee. Und sogar Fahrradspuren mitten auf der Straße. Wenn nur der blöde Wind nicht wäre. Er weht einen fast vom Fahrrad. Und durch den Wind ist es kühl.

                                      Kurz darauf erkenne ich eine Straße wieder. Richtig. Ich bin kurz vor der Kirche. Der Weg am Wasser. Hier lief ein Mann mit Kinderwagen. Wieder sehe ich vor mir den Schnee und fühle die Kälte. Wie ein Film läuft meine erste Radtour vor mir ab. Hier ist ein Badestrand. Unglaublich. Das konnte man im Winter nicht sehen. Der Wind reißt die Äste ab.





                                      Die Brücken erinnern mich an die Museumsinsel. Aber sie muss weiter weg sein. So ist es.





                                      Ein Auto parkt die Einfahrt zu. Naja. Ich quetsche mich demonstrativ vorbei. Die Abzweigung nach links. Die hatte ich damals verzweifelt gesucht. Der Bus fährt hier geradeaus. Wo war eigentlich der Parkplatz mit dem Asiaten? Das muss weiter hinten sein. Da unten bin ich jedoch entlanggefahren. Eigentlich ist das ein Fußweg. Das hat mich damals, glaube ich, weniger interessiert. Heute fahre ich aber lieber richtig.
                                      Ich stelle nun doch das Navi auf Routing. Soll ich nachher noch schauen, wo die Brücke ist, auf der ich die Sportbrille verloren habe? Die Sportbrille. Anscheinend verliere ich auf jeder Tour in Finnland etwas. Das muss wohl so sein.

                                      Mein Navi zeigt mir mein Ziel an, und es ist wie erwartet gar nicht mehr weit. Einmal über die Straße und dann in den Park. Und da ist es:





                                      Und davor alberne, laute, anstrengende Touristen. Einen Moment fühle ich mich völlig überfordert und würde am liebsten unverzüglich zurückfahren und in die Weite und Ruhe der Wälder und Seen entfliehen. Aber jeder Urlaub ist einmal zu Ende, und ich muss mich tapfer den Realitäten stellen. Nächste Woche arbeite ich wieder in einer Großstadt und dann sind es nicht nur diese paar Menschen, die mir begegnen, sondern Tausende.

                                      Ich zwinge mich dennoch, zu dem eigentlichen Platz zu gehen. Die Touristinnen, es sind ausschließlich Frauen, albern herum. Wie lustig. Posier´hier, posier´da. Sind wir hier auf einer Spaßveranstaltung? Ich versuche, das Monument ohne sie zu fotografieren, aber das ist gar nicht leicht. Als ein Mann mit Rucksack sie energisch anspricht, bin ich froh. Plappernd entschwinden sie in Richtung Park.


                                      Andächtig fotografiert der Mann das Monument.















                                      Dann bittet er mich, ein Foto von ihm und dem Monument zu machen. Aber gerne. Und noch eines mit dem Kopf von Sibelius. Er bietet mir an, auch mich zu fotografieren und vertrauensvoll gebe ich ihm die Kamera in die Hand, nicht ohne kurz nachzudenken, wann ich die Speicherkarte gewechselt habe. In Vaasa. Die wichtigsten Bilder habe ich also am Mann. Aber alles geht gut. Er ist Chilene, und die Damen haben ihn genervt. Ich tippe auf Spanien, aber er schüttelt den Kopf. Venezuela oder Ecuador. Südamerikaner. So laut. Immer so laut. Letztens ist er wütend geworden und meinte zu den Frauen: Schließt doch einfach mal die Tür! Die Unterhaltung war nicht auszuhalten. Er macht eine Reise ins Baltikum und anschließend nach Russland. Dort wird er drei Monate bleiben. Schon wieder. Auch diese Touristen besuchen gar nicht Finnland. Sie besuchen Helsinki als Durchgangsort zu Russland oder Lettland. Das werde ich später noch öfter merken.

                                      Ich radele in Richtung Innenstadt.





                                      Erst irre ich ein wenig an zwei Hauptstraßen herum. Es dauert, bis ich den Radweg finde. Der Verkehr dröhnt in meinen Ohren. So viele Autos bin ich nicht mehr gewöhnt.





                                      Der Wind ist nicht mehr frisch, sondern lästig. Radwege in Helsinki. Da träumt der Hamburger von.





                                      An einem Zaun sehe ich lauter Urban Outdoorer.








                                      Anscheinend fühlen sie sich zwischen Baustellen und Hauptverkehrsstraßen pudelwohl.





                                      Eine Joggerin in einer hellblauen Outdoorjacke macht Fotos. Wir werden uns für längere Zeit immer wieder gegenseitig überholen. Es geht nun steil bergauf. Ich bin in der Nähe der Eisenbahn und suche eine Brücke, um auf die andere Seite zu kommen.





                                      Für einen Moment wirkt es hier ländlich. Das Haus bietet einen traumhaften Blick auf das Wasser und über Teile der Stadt.





                                      Ich frage die Frau in hellblau, wo die Brücke ist. Ich wolle zum nächsten „lake“. Sie versteht mich nicht. Ach so, sagt sie, ich wolle „to the sea“. Sie erklärt mir mit Händen und Füßen den Weg.








                                      Als ich erneut an ihr vorbeifahre, frage ich sie, ob sie Finnin ist. Ja, aus Helsinki. Das erstaunt mich. Sea für See sagen eigentlich nur Deutsche. Ich weiß da noch nicht, dass das Gewässer gar kein See ist, sondern zu einer Bucht gehört. Dennoch. Lathi bedeutet Bucht, das wäre Bay und nicht Sea. Oder sieht sie die Bucht als Teil der Ostsee (Baltic Sea) an?








                                      An einer Ampel muss ich warten. Es ist genau 13.13 Uhr. Die Frau in hellblau holt mich wieder ein. Es sind angenehme 17 Grad. Wenn der Wind nicht weht.





                                      Hochhäuserburgen befinden sich am Wasser. Was diese Wohnungen hier wohl kosten?





                                      Als ich über die nächste Brücke fahre, weht mich der Wind fast um. Ich muss schieben. Das ist mir zu gefährlich. Die Frau in hellblau joggt nun weiter in Richtung Innenstadt.








                                      Am Rande der Bucht sehe ich, bestätigt sich meine Vermutung, dass ich hier in der Nähe schon einmal war. Helsinki ist ziemlich klein. Die Innenstadt wäre jetzt nicht weit. Aber ohne Schnee gefällt sie mir nicht.





                                      Auf einer Halde fährt ein Bagger und zieht eine lange Staubspur hinter sich her. Leider fährt er langsamer, als ich die Kamera endlich gezückt habe. Leider ist die Kamera noch nicht startbereit, daher wird das Bild zu hell.





                                      An der lauten Straße 4 geht es weiter. Urban Outdoor im Industriegebiet. Blick auf den Finnischen Meerbusen.





                                      Am Rande einer Baustelle ein Radwegschild. Kulosaari. Das liegt auf meinem Weg. Ich bin erleichtert. Ein altes Industriegebiet. Ob man das erhalten wird? Oder reißt man es Schritt für Schritt ab und baut Hochhaustürme hier hin? Ich hoffe nicht.











                                      Zwei Anfang zwanzigjährige Graffittimaler sind gerade am Werk. Ich frage, ob ich fotografieren darf. Ja. Aber ohne uns. In zwei Stunden sieht das Werk besser aus. Da bin ich leider nicht mehr da. Morgen fahre ich hier zwar mit der Bahn vorbei, das Bild ist aber verdeckt.








                                      Ein Junge zieht einsam seine Kreise.








                                      Ich befinde mich jetzt wieder an der Schnellstraße 4.





                                      Erstaunlich, dass bei allen Brückenbauten an Radfahrer gedacht wird. Baulärm drängt an mein Ohr, hier werden riesige Flächen neu bebaut. Die Zufahrt zur Brücke ist mir zu steil, ich muss schieben.











                                      Neue Radwegschilder. Ich bin richtig.





                                      Meine Karte zeigt einen Radweg, der um die Insel herumführt, und ich suche ihn. Und finde ihn nicht. Die Brücke nach Mustikkamaa. Einen Moment überlege ich, ob ich einfach weiterfahre. Aber der Wind ist sehr stark und das Wetter gefällt mir immer noch nicht. Da braut sich etwas zusammen. Ohne, dass ich sagen kann, woran dieser Eindruck liegt. Der Wind schlägt mir fast die Kamera aus der Hand.








                                      Ich suche erneut den in der Karte eingezeichneten Radweg, finde ihn aber nicht und komme wieder in der Nähe der Schnellstraße heraus. Da ich keine Lust habe, jetzt noch umständlich zu suchen, entscheide ich mich, den ausgeschilderten Weg zu nehmen. Morgen ist auch noch ein Tag, vielleicht fahre ich dann noch einmal hierhin, um ihn zu suchen. So geht es wieder in der Nähe der Hauptstraße weiter. Ein Radweg wird neu gebaut. Ich muss ausweichen. Mehr ahne ich, dass hinter mir ein Radfahrer ist, als dass ich ihn sehe. Ich weiche zur Seite, damit er überholen kann. Es ist ein Mitglied der Polizei.

                                      Die ersten dunkeln Wolken ziehen auf. Ich bin nun an der Kreuzung, die zum Nationalpark führte. Sehnsüchtig blicke ich auf die Einfahrt. Lang ist es her. Ich muss jetzt in die Gegenrichtung. Aber auf halber Strecke schwächele ich. Ich biege falsch ab und muss umkehren. Eine dicke Wolke zieht über das Stadtviertel, und ich verspüre den Impuls, so schnell wie es geht, zum Campingplatz zu fahren. Dabei weiß ich genau, dass ich nun in Richtung Wasser abbiegen muss. Aber irgendetwas hält mich zurück. So lasse ich mich auf Radwegen an Straßen entlang routen. Langgezogene Steigungen sind der Lohn. Der Radweg war dagegen flach, dort hatte ich auf dem Hinweg das britisch wirkende Ehepaar in der Sonne sitzen sehen. Die Parkanlage, dann bin ich wieder auf der Route der Hinfahrt. Ein Radfahrer transportiert auf dem Fahrrad seine Surfbretter.





                                      Die Skulptur, die ich auf dem Hinweg fotografiert habe. Dann bin ich auch schon an der Brücke, die den Finnischen Meerbusen bei Rastila überquert. Die Sonne strahlt durch die dichten Wolken und es entsteht ein faszinierendes Licht.








                                      Ein Lummiko, das ein Orava ist, starrt mich an. Als ich anhalte, rennt es davon.





                                      Dann bin ich auch schon am Campingplatz. Meterhoch stand damals der Schnee, als ich aus Lappland zurück kam. Heute ist alles ganz leicht. Das erste Mal kommen mir Frauen mit Kopftuch entgegen, und obwohl mir ein derartiger Anblick mehr als vertraut ist, kommt mir das in Finnland seltsam merkwürdig vor.





                                      Ich stelle fest, dass sich der Erwerb der Camping Key Card in Lempivaara (bzw. zu Hause beim Automobilclub) wohl doch gelohnt hätte. Mein Fahrrad wird in einem separaten Raum eingeschlossen. Im Sommer gab es hier einen Beinahe-Fahrraddiebstahl. Mein Rad sieht zu wertvoll aus, die junge Frau an der Rezeption will auf Nummer sicher gehen.

                                      Der Platz ist weitgehend leer. Ich brauche dennoch ziemlich lange, um einen guten Platz zu finden. Die Hochhäuser neben dem Platz stören mich sehr. Das bin ich nicht mehr gewohnt. Der Platz, an dem ich damals im Winter mit dem Trollspiret stand, ist besetzt. Ich entscheide mich für einen Platz ganz am Anfang. Mit Blick auf die Hütte, sie sieht finnisch aus. Neben mir ein Busch. Damit man mich nicht gleich sieht. Und ich die Hochhäuser nicht sehe. Dass ich wieder einmal vor einer Laterne stehe, merke ich nicht. Tretrollerfahrer rollern über den Platz.





                                      Ich wandere am Restaurant vorbei in Richtung Wasser. Der Badestrand.





                                      Das Bild habe ich, glaube ich, auch bei Schnee fotografiert.





                                      Das Restaurant ist nur mittags geöffnet. Die Hütte ist leer und der Grillplatz weist kein Holz auf. Vielleicht hätte ich doch noch zwei Tage in Lempivaara verbringen sollen und mir Rihimäki anschauen sollen. Ich hatte kurz daran gedacht.
                                      Ich dusche. Die Dusche ist im gleichen Gebäude wie die Toilette. Das mag praktisch sein, für den Geruchssinn ist es grausam. Die Dusche stellt sich alle zwei Sekunden wieder aus. So drücke ich im Takt auf den Knopf, aber richtig warm wird mir nicht. Da war die Dusche von Aulanko ja besser, seufze ich. Ich frage an der Rezeption nach einer Sauna. 20,00 Euro kostet das Saunieren für eine Stunde. Das ist es mir dann doch nicht wert.

                                      Ich kaufe im nahegelegenen Supermarkt ein wenig Hackfleisch für die Tomatensoße, die ich seit geraumer Zeit – war es Parkano? - mit mir herumfahre. Um es anzubraten kaufe ich Öl. Da ich nichts wegwerfen kann, werde ich das Öl natürlich mit nach Hause nehmen, nachdem das Zermartern meines Hirns keine Lösung gebracht hat, wem ich es geben könnte. Das wird einfach nichts mit mir und UL.





                                      Als das Essen gerade fertig ist, fängt es zu gießen an. Mein Sitzplatz hat einen Rauchabzug, und bald fängt es zu tropfen an. Ich rücke etwas nach rechts, aber auch tropft es hinein. Ich halte dennoch aus. Als der Regen anfängt, waagerecht über den Platz zu fegen, ziehe ich auf die andere Seite zu den Bänken der Küchenzeile um. Sie wirken finster und trostlos. Es ist kalt geworden, und schnell kühle ich aus. Menschen hetzen zu ihrem Wohnmobil oder zu den Sanis. Gegrüßt wird hier nicht. Ein warmer Raum wäre jetzt nicht schlecht. Am nächsten Tag sehe ich, dass im zweiten Gebäude eine geheizte Küche ist. Ich werde sie dennoch nicht benutzen. Kochen könnte ich da nicht.

                                      In einer Regenpause, in der es nur leicht nieselt, gehe ich zum Zelt. Die Zeltwiese steht voll Wasser, aber mein Platz ist trocken. Außerdem war ich so schlau und hatte mein footprint als Tarp an einer Sitzgelegenheit befestigt. So komme ich trocken ins Zelt.





                                      Aber nach all der Natur und den Erlebnissen der letzten Tage fühle ich mich hier ziemlich schlecht. Ein Durchgangsplatz. Mehr nicht.
                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      • derMac
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                                        Liebt das Forum
                                        • 08.12.2004
                                        • 11888
                                        • Privat

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                                        #79
                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                        Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                        Mein Magen meldet sich, ich habe furchtbaren Hunger, aber die Kebab Pizzeria Istanbul ist mir dann doch zuwenig finnisch. Möglicherweise ungerechtfertigt. Aber der Gedanke an Pizza überzeugt nicht.
                                        Du hättest die Pizza nehmen sollen. Die Finnen können erstaunlich gut Pizza machen, ich hab das auch nicht gedacht, aber ich hab da noch keine Niete gehabt.

                                        Mac

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                                        • Torres
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                                          Liebt das Forum
                                          • 16.08.2008
                                          • 32315
                                          • Privat

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                                          #80
                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                          Zitat von derMac Beitrag anzeigen
                                          Du hättest die Pizza nehmen sollen. Die Finnen können erstaunlich gut Pizza machen, ich hab das auch nicht gedacht, aber ich hab da noch keine Niete gehabt.

                                          Mac
                                          Danke für den Tipp. Vielleicht habe ich wirklich etwas verpasst.
                                          Oha.
                                          (Norddeutsche Panikattacke)

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