[UK] Rund um das Torridon-Massiv

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    [UK] Rund um das Torridon-Massiv

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    Schottland: Rund um das Torridon-Massiv

    Ein nicht immer ganz ernst gemeinter Reisebericht über den Einfluss der vier Elemente in Schottland.

    20. September: Anreise

    Am 20. September landen wir wieder auf schottischem Boden. Unser Kleiner ist bei Oma und Opa gut untergebracht. Die Rucksäcke sind vollgepackt. Mit dem Mietwagen geht es über die A9 durch die Central-Highlands. Ein kurzer Stopp in Inverness. Im örtlichen TISO besorgen wir noch ein paar Kleinigkeiten, die man immer vergisst – entweder zu Hause oder (wie in meinem Fall) im Zug von zu Hause zu den Schwiegereltern. Ein bisschen Schwund ist halt immer.

    Von Inverness geht es noch ein bisschen nach Nordwesten in Richtung Kinlochewe. Wir wundern uns über die Flüsse, die ihr ohnehin meist großzügig bemessenes Fassungsvermögen mehr als überschritten haben. Es muss in den letzten Tagen ausgiebig geregnet haben. Diese Einschätzung wird in einigen Tagen im Übrigen durch Einheimische bestätigt werden. Zunächst machen wir uns hierüber keine Gedanken. Der Himmel ist grau, aber bis auf sehr vereinzelte typisch schottische Kurzschauern ist es trocken. Eigentlich ist unser Plan, eine erweiterte Tour durch die Letterewe Wilderness zu machen: Von Kinlochewe durch die Letterewe Wilderness nach Poolewe, von dort aus über Gairloch und Red Point Beach ins Torridon und zurück nach Kinlochewe. Es sollte aber anders kommen, und es fängt just in diesem Augenblick an.

    In Kinlochewe fahren wir mit Verachtung am Kinlochewe-Hotel vorbei, das uns im Frühjahr mit unserem 2-jährigen Sohn nicht wollte. Die Begründung ist auf der Homepage des Hotels zu lesen: „Young children can disturb the peaceful and relaxed ambience of the hotel therefore we do not accept children under the age of 12 years as residents of either the hotel or bunkhouse.“

    http:// www.kinlochewehotel.co.uk/tariff.html

    In einer Internetbewertung des Hotels ist zu lesen, dass der Inhaber ein „Basil Fawlty“ sei: Jemand, der seinen Beruf liebe - das Einzige was ihn wirklich daran störe seien die vielen Gäste. Dem haben wir nichts mehr hinzuzufügen und weigern uns, nun, ohne Kind, hier Quartier zu machen.

    Die wenigen B&Bs sind entweder schon belegt oder sprechen uns nicht an. Auf Zelten haben wir angesichts der kommenden nächsten Tage (noch) keine Lust. Also weiter nach Gairloch. Auf der Fahrt nach Gairloch beschließen wir, direkt dort zu starten. Damit wird unsere Letterewe-Tour zur Torridon-Tour. Hiervon wird später noch zu berichten sein.

    Im „Old Inn“ finden wir eine schöne, wenn auch leicht überteuerte Übernachtungsmöglichkeit. Die letzte Übernachtung ohne Zelt für fünf Tage, wie wir vermuten. Wir telefonieren kurz mit zu Hause. Alles in Ordnung. Auf Bitte meines Schwiegervaters trinke ich für ihn an der Bar ein Opa-Uwe-Gedächtnis-Ale. Dann geht es früh ins Bett. Die Rucksäcke zappeln schon unruhig in der Ecke.



    21. September: Element Erde


    Wir lassen uns Zeit mit dem Frühstück. Dann packen wir die Rucksäcke noch einmal um, fahren noch einen Kilometer weiter nördlich zum „Ortszentrum“ und stellen das Auto ab. Es ist recht warm und trocken. Die Softshells ziehen wir schon nach einigen Metern aus. Nach einem kleinen Stück an der Uferstraße geht es am alten Friedhof nach links in den Wald. Schon nach ein paar Metern müssen wir Kompass und Karte herausholen. Es gibt einfach zu viele Wanderwege. Welcher ist der richtige?

    Schließlich finden wir unsere Route und ziehen durch die hier für schottische Verhältnisse ungewöhnlich dicht bewaldeten Hügel gen Süden. Bei der Farm von Kerrydale treffen wir wieder auf die Straße von Gairloch nach Kinlochewe, die wir aber nach einigen hundert Metern wieder verlassen und auf die schmale Singletrack-Road Richtung Red Point einbiegen. Es ist wenig Verkehr. Bequem laufen wir die meiste Zeit auf dem Asphalt, nehmen das Panorama der Bucht von Shieldaig und die zahlreichen Fischer- und Segelboote auf. Die Wolkendecke wird immer dünner. Gegen Ende unserer Kilometer auf dem Singletrack lugt sogar kurz die Sonne aus hervor. Die zerklüfteten Berge des Torridon-Massivs zeichnen sich majestätisch im Süden ab. Wir freuen uns über das aufklarende Wetter.








    Kurz vor den paar Häusern von Badachro taucht - genau dort, wo die Karte einen Pfad durch die Moorlandschaft angibt - ein Schild mit genau diesem Pfad auf. Die Inschrift warnt uns:„This path or parts of it may be very rough.“ Das ist in Schottland nichts Neues. Schließlich warnt man in allen angelsächsisch geprägten Ländern vor allem Möglichen, aus Angst man könne sonst in Haftung genommen werden für heißgebrühten Kaffee, mikrowellengeröstete Katzen oder überlaufende Badewannen mit eingepflanztem Wannenstöpsel. Andererseits sind die Warnungen im Hinblick auf den einen oder anderen ambitionierten “Wanderer“ ja durchaus angebracht. Auf zahlreichen solchen durchaus „rogh“en Wegen sind uns immer wieder englische Turnschuh-Touristen entgegen gekommen. Die Schotten betrachten solche Engländer vermutlich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die lokale Bergrettung. Zur Ehrenrettung der Engländer muss man vermerken, dass zwar sämtliche Deutsche auf „rogh“en Pfaden in Schottland gut ausgerüstet sind; das ist allerdings auch nicht schwer, da es die deutschen Turnschuhtouristen meist bereits in den österreichischen Alpen zerlegt hat, so dass sie nicht mehr nach Schottland kommen.

    Wie auch immer, wir schmunzeln etwas über die Ankündigung eines „rough“en Pfandes in Schottland und beschreiten den vorgenannten selbstbewusst. Nur um wenige hundert Meter festzustellen, dass es sich hierbei tatsächlich um einen wirklich (!!!) „rough“en Pfad handelt. Der Regen der vergangenen Tage hat die Erde über die Grenze ihrer Fähigkeit zur Wasseraufnahme gesättigt. Zudem führt der Pfad durch Land, das man auch bei schottischer Trockenheit problemlos als Moor bezeichnen kann. Es beginnen sechs Kilometer, bei denen das Schmatzen von Schlamm bei Herausziehen unserer Stiefel aus dem „rogh“en Schlammpfad zu unserem ständigen Begleiter wird.

    Das Element Erde empfängt uns. Die Schotten kennen so wunderschön viele Worte für die unterschiedlichen Arten von Niederschlägen. Mir fallen beim Anblick des schmatzenden Bodens so viele Vorschläge dafür ein, die unterschiedlichen Arten ihrer Erde zu benennen. Matsch, Schlamm, Dreckwasser, Regenwasser, Brackwasser, Moosmatsch, Schwammgras, Steinschlamm, Torfmatsch, usw. Besonders tückisch sind die grünen Moose, die das schottische Adäquat für die mitteleuropäischen Seerosen sind: Einladend zum Betreten mit gleichzeitiger Einsinkgarantie. Wir winden uns mit schmatzenden Tritten über den „rogh“en Pfad. Englischen Turnschuhtouristen begegnen wir nicht. Genauer gesagt begegnen wir niemandem. Wahrscheinlich ist kein Brite so dämlich, sich wie wir den schmatzenden Erdmassen auszusetzen. Noch nicht einmal ein Engländer.








    Schließlich sind wir durch. Erst einmal Pause. South Erradale besteht aus etwa 20 in eine schützende Mulde gebaute Farmhäuser. Wir gehen den kurzen Feldweg zur hier wieder auftauchenden Singletrack-Road. Nach wenigen Metern geht es wieder zurück auf einen Feldweg. Als dieser endet stelle ich mit einem Blick auf die Karte fest, dass rechts ein eingezeichneter Pfand in Richtung Red Point abgehen sollte. Claudia besteht mit dem unbestechlichen Blick einer Ingenieurin auf der Tatsache, dass dort kein Pfad zu finden sei. Das ist ein Argument, das ich tatsächlich nicht widerlegen kann. Mit unverblümtem Optimismus beteure ich, dass die Karte einen Pfad vorsehe und ein solcher dann mit Sicherheit nicht weit sein könne. Meine protestierende Frau im Schlepptau, die lieber den Singletrack auf Asphalt laufen möchte, betrete ich den nicht vorhandenen Pfad. Es schmatzt wieder. Der Pfad lässt sich zunächst nicht blicken. Nach ca. 500 Metern durch wegloses Sumpfland zeigt sich ein Band aus weißen Steinen, das durch die Moorlandschaft verläuft. Als wir dort sind, stellt sich die versöhnende Tatsache heraus, dass wir beide Recht hatten. Ich hatte Recht, dass ein Pfad existiert. Leider hat Claudia ein kleines Quäntchen mehr Recht. Der Pfad ist so überspült und im Moor versunken, dass man nicht von mehr als einer groben Marschrichtung durch unwegsames Moorland sprechen kann. Wieder sind wir in unserem heutigen Element Erde.

    Der eigentliche Pfad mag vor Jahrzehnten einmal begehbar gewesen sein. Aktuell ist er in einem knöchel- bis knietiefen Sumpf verschwunden. Der vorherige Pfad kommt uns nun wie eine Autobahn vor. Immer wieder sind weite Umwege notwendig, weil Tümpel und Schlammgruben den eigentlichen Pfad unbegehbar machen. Mehrere Male entfernen wir uns weit von der eigentlichen Richtung und laufen im wilden Zickzack durch das Moor. Die 2,5 Kilometer Luftlinie bewältigen wir in etwa eineinhalb Stunden. Abgekämpft kommen wir an der Red Point Farm wieder auf halbwegs festen Untergrund.

    Zum Strand von Red Point geht es nun in großen Schritten. Wir finden eine große Düne am Südende des Strandes, hinter dem wir das Zelt geschützt von den inlandigen Windböen aufbauen können.

    Ich gehe noch ein paar hundert Meter weiter auf unserem für morgen geplanten Pfad, um Wasser zu holen. An einer Furt sprudelt ein etwa zwei Meter breiter Bach über den Pfad. Er ist nicht sehr tief. In seiner Mitte kann man auf einen großen Stein treten und kommt trockenen Fußes auf die andere Seite. Ich fülle den Wassersack und gehe zurück zum Zelt.

    Über der Insel Skye ziehen dicke Regenwolken auf. Gerade nachdem wir unser Abendessen beendet haben, beginnt es zu regnen. Wir verkriechen uns ins Zelt und trinken den mitgebrachten Wein. Schließlich verkriechen wir uns in die Schlafsäcke.

    Der Regen dauert an - die gesamte Nacht über.


    Kilometer: 21, Höhenmeter: ca. 350
    Zuletzt geändert von Cattlechaser; 04.11.2011, 10:49.
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    #2
    [UK] Rund um das Torridon-Massiv

    22. September: Element Wasser

    Als wir uns das Frühstück zubereiten hört der Regen auf. Ein Blick aus dem Zelt verheißt allerdings nichts Gutes. Über Skye und weiter südlich im Loch Shieldaig sammeln sich dunkle Wolken.





    Das Zelt ist schnell abgebaut. Wir sind gut ausgeruht und trotz der dicken Wolken voller Enthusiasmus. Im Süden zeichnet sich die steil abfallende Küste ab, links die nördlichen Ausläufer des Torridon-Massivs, rechts die von der Insel Skye beruhigte See des Atlantiks. Nach wenigen Metern verlassen wir den Strand. Der Pfad, über den ich gestern Abend noch ohne Probleme zum Wasserholen laufen konnte, hat sich in einen teils stehenden, teils fließenden Bach verwandelt. Die Stiefel stehen beständig ein bis zwei Zentimeter im Wasser.

    Ein lautes Rauschen kündigt bereits den Fluss an, an welchem ich gestern Wasser geholt habe. Als wir von ihm stehen, wissen wir auch, warum das Rauschen so laut war. Der Fluss ist durch die starken Regenfälle der Nacht zu einem reißenden Strom geworden. Schnell über die Steilküste abstürzend, über zwei Meter breit, rauscht er uns an. Der Stein zur trockenen Querung ist in den Wassermassen versunken. Die Fließgeschwindigkeit lässt jeden Versuch, den Fluss an dieser Stelle zu queren, aussichtslos erscheinen. Also arbeiten wir uns den Hang hinauf. Nach einigen Metern übersteigen wir einen Kuhzaun und treffen auf eine Stelle mit langsamer Fließgeschwindigkeit.

    Es folgt an diesem Tag zum ersten Mal das Ritual: Rucksack absetzen, Wanderstiefel ausziehen, Socken ausziehen, Hose ausziehen, Turnschuhe zum Queren aus dem Rucksack holen und anziehen, Stöcke höher schrauben, Furtstelle antesten, Rucksack auf, Stiefel um den Hals, Fluss queren, Rucksack ab, Turnschuhe aus, Sachen alle wieder an, Stöcke tiefer schrauben, Turnschuhe am Rucksack verstauen, Rucksack auf und… - eigentlich weiter, aber wir brauchen zunächst eine Pause.

    Die Pause wird uns verwehrt, da der Regen wieder einsetzt. Während wir unsere Regenkleidung anziehen wird der Regen immer stärker. Der schmale Pfad ist klar vor uns sichtbar – als ein immer stärker anschwellendes Rinnsal. Wirkliche Ausweichmöglichkeiten nach rechts und links gibt es auch nicht; bei jedem Schritt abseits des Weges sinken wir tief ein. Das uns seit gestern geläufige Schmatzgeräusch begleitet jeden Schritt. Wir kämpfen uns weiter nach Süden. Links von uns sind die abfallenden Hänge, rechts von uns, im Verlauf des Pfades nicht immer sichtbar, die Steilküste.








    Wir marschieren über einen Hügel und vernehmen ein lautes Rauschen. Da die nächste Einkerbung in der Küstenlandschaft noch mehr als hundert Meter vor uns liegt, verheißt dies nichts Gutes. Tatsächlich ist das als kleiner aber steil abfallender Gebirgsbach in der Karte eingezeichnete Gewässer über Nacht zum reißenden Wasserfall geworden. Nach rechts zur Küste hin fällt er so steil durch die schluchtartige Einkerbung ab, dass wir uns erst gar keine Mühe machen, eine Querungsmöglichkeit zu suchen. Claudia atmet tief und brüllt zunächst ein paar am Wegrand stehende Steine und dann ihren ausgezogenen Rucksack an. Auf meine vorsichtige Frage, ob wir denn nicht besser umkehren sollen, zieht sie wortlos ihren Rucksack wieder an und klettert unter Zuhilfenahme der Hände durch den Grashang nach oben. Nach einiger Zeit finden wir eine flache Stelle, die sich queren lässt. Also wieder: Rucksack absetzen, Wanderstiefel ausziehen, Socken ausziehen, Hose ausziehen, Turnschuhe zum Queren aus dem Rucksack holen und anziehen, Stöcke höher schrauben, Furtstelle antesten, Rucksack auf, Stiefel um den Hals, Fluss queren, Rucksack ab, Turnschuhe aus, Sachen alle wieder an, Stöcke tiefer schrauben, Turnschuhe am Rucksack verstauen, Rucksack aufsetzen.

    Es regnet immer noch. Eigentlich wird es erst am späten Nachmittag wirklich aufhören, von einigen kurzen Regenpausen abgesehen. Von den weiteren drei Rinnsalen auf der Karte sind zwei so mächtig geworden, dass wir das oben beschriebene Ritual noch zweimal wiederholen müssen. Einen dritten Fluss können wir nur nach intensiver Suche nach einer Furt queren, ohne die Bergstiefel auszuziehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit mit beginnender Nässe sämtlicher Kleidung steigen wir ins Glen Craig ab.

    Der Pfad biegt sich an dem Flussufer entlang, führt zwischen großen, teilweise mit Moos bewachsenen Felsen hindurch und verschwindet fasst im Dickicht der hier bis zu zwei Meter hohen Farne. Fast beginnen wir zu glauben, dass der reißende Fluss die eingezeichnete Fußbrücke weggespült und unsere Reise an diesem Punkt beendet hat, als die Brücke zwischen den Bäumen auftaucht. Nach wenigen Metern wird auch die Craig Bothy sichtbar. Vor der Bothy begegnen uns das erste Mal seit etwa 24 Stunden: Menschen. Zwei Wanderer sind aus Lower Diabag in die Bothy gelaufen und machen sich gerade für den Rückweg fertig. Die beiden beschreiben den Weg als „well-prepared“ und „pretty easy“ und – nein, Flüsse seien alle trocken zu queren, kein Problem.

    Die Informationen heben unsere Laune etwas. Wir gehen in die Bothy, die als ehemalige Jugendherberge ungewöhnlich groß und gut gepflegt ist. Es ist früher Nachmittag. Wir beratschlagen, ob wir nicht diese Nacht in der Bothy verbringen sollen. Mit einem Kaffee kommt aber sowohl die Laune als auch der Ehrgeiz wieder.





    Der Pfad erweist sich dann trotz unserer Skepsis als relativ gut befestigt. Flüsse sind ebenfalls kein Problem. Nach weiteren 1,5 Stunden sind wir erfreut, die Häuser von Lower Diabag zu sehen. Wir entscheiden uns, nicht den an der felsigen Küste verlaufenden Pfad zu nehmen, sondern den steilen Berg hinauf über den Singletrack in Richtung Torridon zu laufen. Während uns der Schweiß von der Steigung den Rücken hinunter läuft, beratschlagen wir angesichts des fortgeschrittenen Nachmittages, ob wir nicht doch per Anhalter weiter reisen sollen. Wir beschließen, dass wir so fertig noch nicht sind, aber wenn ein Auto von sich aus anhalte, würden wir die Einladung gerne annehmen.

    Dreißig Sekunden später kommt das erste Auto von hinten – und hält an. Zwei überaus nette englische Damen in den Sechzigern bieten uns eine Mitfahrgelegenheit nach Torridon an. Wir nehmen die Einladung sofort an, entschuldigen uns aber umgehend für den Feuchtigkeitsgrad und Schlammgehalt unserer Kleidung. Macht alles nichts. Die Fahrerin (nach deren Namen wir leider bis zum Schluss nicht fragen werden) ist nach dem Antritt ihrer Rente von London nach Shieldaig (bei Appelcross, nicht bei Gairloch) gezogen und verbringt ihre Zeit mit Wandern in den Highlands. Auf unsere Darstellung, woher wir kommen antwortet sie: „Oh, you did THAT horrible path? I did it once in dry weather and I can’t imagine how it must be in rainy wheather.“ Wir erzählen ihr auf der Fahrt, wie “horrible” das Ganze tatsächlich war. Während die Moorlandschaft an uns vorüber zieht, der Regen wieder einsetzt und wir realisieren, dass wir wahrscheinlich bis zum Anburch der Dunkelheit nach Torridon gelaufen wären, sind wir unendlich froh, so eine nette Mitfahrgelegenheit gefunden zu haben.

    Die beiden stoppen in Torridon, um einen Tee im örtlichen Cafe zu trinken. Die Fahrerin will ihrer Freundin, die für einige Tage aus London zu Besuch ist, die Gegend zeigen. Wir sind eingeladen, mit ihr weiter in den Torridon Inn zu fahren, der entgegen seinem Namen zwei Kilometer weiter außerhalb Richtung Shieldaig liegt, sobald sie ihre Teepause beendet haben. Wir erörtern einen Augenblick die Möglichkeiten, befühlen unsere feuchten Sachen und entschließen uns am heutigen Tage gegen Campen und für die angenehme Dekadenz eines geheizten und trockenen Hotelzimmers. Die Besitzerin des Cafes gibt uns die Telefonnummer, die Begleiterin unserer Fahrerin das Mobiltelefon. Ich gehe einige Meter auf die Straße, um in den Bergen auch Empfang zu haben und tatsächlich: Das Torridon Inn hat ein Doppelzimmer für uns frei. Ich schaffe es noch, von ihnen unbemerkt für unsere Fahrerin und deren Begleiterin zu zahlen, was die beiden sich zuvor energisch verbeten hatten.

    Zwei Stunden später sind wir frisch und heiß geduscht, haben die nassen Sachen in unserem Zimmer ausgebreitet und sitzen, auf unser Essen wartend, beim ersten Pint. Wir verlassen unseren Tisch an diesem Abend nur noch 1. zum Toilettenbesuch 2. zweimal zur Bestellung zwei neuer Pints bzw. zweier Singlemalts und 3. um früh aber rundum glücklich in das geheizte Doppelzimmer zu gehen.

    Kilometer zu Fuß: 12, Höhenmeter: ca. 200, Kilometer per Auto: ca. 13
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      #3
      [UK] Rund um das Torridon-Massiv


      23. September: Element Luft


      Heute ist besseres Wetter angesagt. Die Sonne lässt sich zwar nicht blicken, aber zumindest ist es trocken. Nach dem Sammeln der zumeist getrockneten Sachen und einem ausgiebigen Frühstück geht es los.

      Unser eigentlicher Plan war, hinter Torridon House in den Torridon Forrest abzuknicken, also nördlich des Liathach zu wandern, dann links zum Loch nan Cabar abzuknicken und nördlich des Massivs des Beinn Eighe nach Kinlochewe zu laufen. Nach den Niederschlägen der letzten Tage und unserer gestrigen Erfahrungen sind aber auf dieser Route unzählige Nassquerungen von Flüssen zu erwarten. Wir entscheiden uns also stattdessen, über die Straße durch das Glen Torridon nach Kinlochewe zu gehen. Nachdem wir die schützenden Wäldchen zum Eingang des Tales verlassen haben, pfeift uns ein kalter Wind energisch ins Gesicht. Nach dem Tag des Wassers ist also heute Tag des Windes. Wir holen unsere Mützen heraus, ziehen die Windjacken an und laufen weiter.

      Es ist angenehm wenig Verkehr auf der Singletrack-Road. Nur selten müssen wir Fahrzeugen ausweichen. Das Glen Torridon zieht sich vor uns nach Osten. Trotz des Windes sind die Gipfel der Berge Wolken verhangen. Wir kommen schnell voran, die Laune ist gut. Immer wieder bieten sich schöne Blicke in die Seitentäler hinein.

      Etwa auf halber Strecke hält ein Auto an: „Nice to see you again“. Unsere Fahrerin von gestern hat uns wieder gefunden. Sie hat gerade ihre Freundin zum Bus in Kinlochewe gefahren. Für uns würde sie aber noch einmal umdrehen und uns ebenfalls nach Kinlochewe bringen. Diese „aweful“ weite Strecke über diese Straße möchte sie uns nicht zumuten. Wir lehnen dankend ab, beteuern ihr aber noch einmal unsere Dankbarkeit, dass sie uns „drowned rats“ gestern gerettet hat.














      Wir kommen recht früh in Kinlochewe an. Nach einem Zwischenstopp am Tante-Emma-Post-Office-und-auch-Cafe, in welchem wir unsere Vorräte etwas aufstocken, nehmen wir noch einen Tee und ein Sandwich im Whistlestop-Cafe zu uns. Wir lernen ein sehr nettes deutsches Paar aus Westfalen kennen, die ebenfalls zum x-ten Mal in Schottland sind. Sie haben eine Cottage in Lochcarron gemietet und gehen jeweils einzelne Tagestouren.

      Während die Gartenzwergzüchter in ihren Wohnwagen direkt im Ortszentrum stehen, ist der Zeltplatz von Kinlochewe zwei Kilometer außerhalb des Ortes. Dafür liegt er aber sehr schön mit Blick auf den Slioch und hat eine gepflegte sanitäre Einrichtung – und das alles kostenlos. Wir sind die einzigen Camper an diesem Abend. Getrieben vom Hunger laufen wir die zwei Kilometer zurück in den Ort. Das Kinlochewe-Hotel hat uns zwar als Übernachtungsgäste nicht verdient (siehe oben), aber angesichts unseres Kalorien- (und Bier-)bedarfes nehmen wir es beim Essen und Trinken nicht so genau.

      Mit zwei Pints gehen wir die zwei Kilometer zurück zum Zeltplatz. Meine Wade zwickt, vermutlich aufgrund des langen Asphaltmarsches. Claudias Achillessehne schmerzt. Beides nicht unbedingt sehr stark, aber wir haben ja auch derzeit keine Rücksäcke auf. Die Achillessehne zumindest scheint mir durchaus Besorgnis erregend. Wir beschließen, die Nacht abzuwarten und am nächsten Morgen zu entscheiden, ob es in die Letterewe Wilderness geht, oder ob wir uns eine Alternativroute suchen.

      Kilometer: 25, Höhenmeter: 250


      24. September: Element Feuer

      Morgens empfangen uns nicht nur einige Hirsche auf der benachbarten Wiese, sondern auch strahlender Sonnenschein. Laut gestrigem Aushang im Whistlestop-Cafe hat der Wetterbericht für heute eben diesen strahlenden Sonnenschein angekündigt, mit einigen zwischenzeitlichen Wolken im Nordwesten. Der Blick auf den sonnenerleuchteten Slioch und die sich hinter ihm erstreckende Letterewe Wilderness scheint dies zu beweisen. Mit dem Sonnenschein wird, so beschließe ich, heute der Tag des Elementes Feuer anbrechen. Letzteres stimmt. Der Sonnenschein wird sich aber später noch hinter dichten Wolken verstecken.





      Nach dem Frühstück und Zeltabbau testen wir meine Wade und Claudias Achillessehne. Meine Wade ist kein besonderes Problem. Claudias Achillessehne schmerzt nicht so wie am Abend zuvor, ist aber noch bemerkbar. Sicherheitshalber, das heißt um zu vermeiden, die Tour inmitten der Letterewe Wilderness nicht abbrechen zu können, entschließen wir uns, in Zivilisationsnähe weiter zu laufen. Da zwischen uns und Letterewe der Loch Maree liegt und sich westlich des Loch Maree direkt das Torridon-Massiv und seine Ausläufer ausdehnen, bleibt nach Blick auf die Karte zunächst nichts anders übrig, als die doch recht stark befahrene Straße zu laufen. Am Ende des Tages werden wir dann noch bei Slattadale in die Wildnis abknicken können und uns am darauffolgenden Tag um Ufer des Loch Maree entlang Richtung Poolewe nach Gairloch zurück arbeiten.

      Die Entscheidung ist getroffen. Es erfüllt mich mit Bedauern, dass wir damit nicht die Letterewe Wilderness sehen werden. Die Letterewe-Tour wird damit endgültig zur Torridon-Tour, der Umrundung des Torridon-Massivs. Aber die Sicherheit aller geht vor.

      Wir kommen auf dem Asphalt schnell voran. Der Verkehr nervt etwas und zwingt uns öfters zu einigen Metern auf dem schmalen Seitenstreifen. Aber von hinten strahlt die Sonne und erlaubt uns wunderschöne Aussicht auf die Torridon-Berge im Westen und im Osten, jenseits des Loch Maree, auf die Letterewe-Wilderness.





      Leider hält der Sonnenschein nicht lange an. Wolken ziehen über den Loch Maree und verdunkeln den Tag. Heute brennt nicht die Sonne wie Feuer, sondern Claudias Achillessehne: In ihr Gesicht schleicht sich immer mehr eine Falte, die darauf hindeutet, dass die Achillessehne mehr Probleme macht, als sie zeigt. Sie lässt sich zunächst nichts anmerken. Als wir schon etwa 7 bis 8 km gelaufen sind, macht Claudia sich bemerkbar. Die Schmerzen sind ernsthaft. So ernsthaft, dass sie vermutlich morgen nicht mehr laufen kann. Ich biete ihr an, sofort abzurechen. Sie besteht darauf, dass es so schlimm dann doch nicht sei, und sie es zumindest noch probieren wolle.





      An dieser Stelle knickt laut Karte ein breiter Weg ab, welcher etwa 3 km in einiger Entfernung parallel zur Straße führt. Wir schlagen diesen Weg ein. Es scheint sich um die alte Straße nach Gairloch zu handeln. Zunächst ist es sehr angenehm, einmal nebeneinander ohne Verkehr zu laufen. Der Zahn der Zeit hat aber auffällig schnell an der alten Straße genagt. Die Disteln und Heidesträucher haben an einigen Stellen die Straße fast gänzlich zugewuchert. Wir bahnen uns den Weg und wünschen uns eine Machete herbei. An einer Stelle ist die Betonbrücke eingestürzt, so dass wir über die Trümmer auf die andere Seite des Wassergrabens balancieren. Nach mehr als zwei Kilometern schmerzt die Achillessehne so sehr, dass wir den Abbruch beschließen. Hinter der nächsten Brücke soll nach einigen hundert Metern die alte zugewachsene Straße wieder in die neue münden. So lange müssen wir noch durchhalten.

      Auch die nächste Brücke ist eingestürzt, nur dass sie keinen Wassergraben sondern einen ausgewachsenen Bach querte, welcher weder per Sprung oder Klettern überquert werden kann, noch wegen der steil abfallenden Wände irgendwie feucht gequert werden kann. Ich fluche und beschließe, zuhause eine Email an Landranger Maps zu schreiben, damit sie die Brücken aus ihrer Karte löschen. Durch Hügel, Steine und Heidsträucher, wesentlich erschwert von Claudias schmerzender Achillessehne, quälen wir uns querfeldein auf die Straße zurück.





      An einem nahe gelegenen Parkplatz machen wir erst einmal heißen Kaffee und ebenso heiße Nudeln. Dann stelle ich mich an die Straße. Das fünfte Auto ist die schottische Müllabfuhr und hält an. Ein Mittvierziger, den man mit seinen langen, zum Zopf gebundenen Haaren und einem grauen Vollbart auch in Großbritannien ungestraft als kauzig bezeichnen kann, fährt heute eine Ladung Bauschutt von Lochcarron nach irgendwo. Er kommt aus Dundonnell und fährt die gesamte Küstenroute ab. Er lächelt, erkundigt sich kurz nach mir und ist danach vollkommen zufrieden mit sich selbst. Ich genieße die Schaukelei nach Gairloch.

      Das Auto steht noch da. Nach einer mir viel kürzer als die Fahrt mit dem Müllwagen erscheinende Hinfahrt bin ich wieder am Parkplatz. Claudia lacht mir entgegen. Wir laden die Rucksäcke ein und fahren nach Big Sands, einem wunderschönen Campingplatz inmitten weitläufiger Dünen und ohne große Kolonien von Gartenzwerg züchtenden Wohnmobilbesitzern.

      Vor uns liegen noch zwei Urlaubstage, die wir trotz feuriger Achillessehne genießen werden.

      Kilometer zu Fuss: ca. 10, Höhenmeter: 100
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        • 18.04.2008
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        #4
        AW: [UK] Rund um das Torridon-Massiv

        Oh menno ey!!! Warum habe ich so wenig Urlaub!!!!

        Schöne Tour habt ihr das gemacht. Und macht Euch mal wegen des Im-Zimmer-Übernachtens keine Vorwürfe: Es gibt noch viel größere Opportunisten.

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        Alles unter Nutriscore "D" ist rausgeschmissenes Geld.

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        • Borderli
          Fuchs
          • 08.02.2009
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          #5
          AW: [UK] Rund um das Torridon-Massiv

          Schön! Ich meine, der Bericht ist schön, euer Wetter war es anfangs wohl eher nicht. Mr Borderli (der Wandermuffel) und ich sind ab Samstag in Kinlochewe, und der Spaziergang von Diabaig nach Craig steht auf dem Pflichtprogramm. Der Rest, der "Horrorweg", steht schon seit einiger Zeit auf meiner to-do-Liste, ebenso wie die Querfeldeinroute Redpoint-Badachro, und einiges mehr in dieser Gegend.
          Danke für den Bericht!

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          • Cattlechaser
            Dauerbesucher
            • 04.08.2010
            • 848
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            #6
            AW: [UK] Rund um das Torridon-Massiv

            Zitat von Borderli Beitrag anzeigen
            Mr Borderli (der Wandermuffel) und ich sind ab Samstag in Kinlochewe, und der Spaziergang von Diabaig nach Craig steht auf dem Pflichtprogramm.
            Der Weg von Lower Diabag nach Craig ist sicherlich auch tauglich für Mr. Borderli.

            Vielleicht kommt er ja doch noch auf den Geschmack? Mrs. Cattlechaser ist bis 2004 gar nicht wandern gegangen, hat sich 2007 die ersten Wanderschuhe gekauft und im Mai 2010 die erste kurze Trekkingtour gemacht.

            Liebe Grüße und ganz viel Spaß in Schottland.

            Ulf
            Magie ist Physik durch Wollen. www.uhempler.de

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            • Alex79
              Dauerbesucher
              • 05.06.2007
              • 740
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: [UK] Rund um das Torridon-Massiv

              Sehr schön!

              Und ja, das grüne Gras ist echt das böse! Besser das braune!

              Ich glaub dein Bericht spielt in der Gegend, die spätestens 2012 auf unserer weiteren Tour nach Cape Wrath führt. Dann werde ich mir diesen Bericht nochmals genau ansehen!

              Gruß,

              Alex

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              • Borderli
                Fuchs
                • 08.02.2009
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                #8
                AW: [UK] Rund um das Torridon-Massiv

                Zitat von Cattlechaser Beitrag anzeigen
                Der Weg von Lower Diabag nach Craig ist sicherlich auch tauglich für Mr. Borderli.

                Vielleicht kommt er ja doch noch auf den Geschmack?
                Daran glaube ich irgendwie nicht so recht. Wir waren diese Woche am "Old Man of Storr", also auch ein kleiner Spaziergang auf guten Wegen, da wollte er erst gar nicht hin, weil es so "viel" bergauf geht. Letztendlich ist er dann sogar mit mir auf einen Aussichtshügel gegangen, und fand es toll. Kaffeekochen zwischen den Felsen fand er auch toll. Aber als ich dann eine weitere (kleine) Tour für den nächsten Tag plante, kamen schon die ersten Ausreden. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der sich über grottenschlechtes Wetter im Urlaub freut.

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                  #9
                  AW: [UK] Rund um das Torridon-Massiv

                  Zitat von Alex79 Beitrag anzeigen
                  Und ja, das grüne Gras ist echt das böse!
                  Nur das breitblättrige grüne Gras ist böse. Das feine grüne Gras ist gutes Gras.
                  Alles unter Nutriscore "D" ist rausgeschmissenes Geld.

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