[NO][FI] Øvre Anárjohka und Muotkatunturi

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  • Borgman
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    [NO][FI] Øvre Anárjohka und Muotkatunturi

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    Eine Solotour vom 18. August bis zum 06. September durch ein wirklich abgelegenes Gebiet in der inneren Finnmark Norwegens, den Nationalpark Øvre Anárjohka, und im Anschluss auf finnischer Seite direkt nordöstlich davon das Muotkatunturi Wildnisgebiet.

    Bevor es losgeht ein Fund im Siida Inari (samisches Museum und Naturzentrum), der mich sehr glücklich gemacht hat:



    Borgman heißt also August auf Samisch, und das Wort leitet sich ab vom Fellwechsel der Rentiere. Das war mir nicht bewusst, aber … wie geil!! Die anderen Besucher um mich herum haben sich bestimmt gewundert, warum da ein unrasierter Kerl mit nicht ganz sauberer Hose und kaputten Sandalen plötzlich vor Entzücken gluckst und ein breites Grinsen im Gesicht hat. Lassen wir das Bild so stehen und gehen zum Anfang.



    Teil 1: Øvre Anárjohka



    Wie lange steht dieses Gebiet schon auf meiner Liste? Keine Ahnung. Viele Jahre jedenfalls. Eigentlich passt es recht gut in mein Beuteschema: abgelegen, wenig bekannt, praktisch ohne Infrastruktur wie Pfade, Brücken und Hütten. Øvre Anárjohka ist mir irgendwann auf der Karte aufgefallen und hat meine Fantasie angeregt, eben weil ich keine Bilder oder Berichte dazu kannte. Viel Wald und auch Moor schien es dort zu geben, richtige Berge allerdings gar nicht. Das war auch der Grund, warum mich lange Zeit andere Touren mehr gereizt haben, wenn es an die konkrete Planung ging. Dabei liebe ich den Wald – er ist nach meinem Gefühl unser natürlicher Lebensraum.

    2020 sollte es dann doch so weit sein. Durch Videos von Lars Monsen und natürlich den sympathischen Jungs Heaika und Erik hatte ich mittlerweile eine ungefähre Vorstellung von der Landschaft und den zu erwartenden Herausforderungen. Der Fjellfex hatte 2019 den Bericht seiner Süd-Nord-Querung vorgelegt und damit eine der ganz wenigen brauchbaren Beschreibungen einer reinen Wandertour in diesem Gebiet. Beliebter sind wohl Paddeltouren auf dem Fluss Kárášjohka, der dann entweder mit einer Wanderstrecke aus Finnland oder direkt mit dem Wasserflugzeug von Mosquito Air Taxi aus Kautokeino erreicht wird. Schon damals wollte ich lieber von Westen (Kautokeino) oder Nordwesten (Láhpoluoppal) zum Nationalpark laufen und mich dann mit oder ohne Packraft irgendwie nach Karasjok durchschlagen. Daraus wurde bekanntlich nichts. Genauso wie 2022, als ich ein weiteres Flugticket nach Alta verfallen lassen musste, diesmal weil ich mir den Fuß verletzt hatte. Im dritten Anlauf muss es endlich klappen!


  • Borgman
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    #2
    Freitag, 18. August: Láhpoluoppal – Guhkkesjávrrit

    Etwas verloren stehe ich kurz nach 18:00 Uhr an der Stelle, wo mich der Busfahrer abgesetzt hat. Hier quert eine Piste die Hauptstraße, wenige hundert Meter entfernt ein paar Häuser: Láhpoluoppal. Was hatte ich erwartet, einen Wanderparkplatz mit Klohäuschen und Wegweiser? Wird schon die richtige Piste sein, so viel Auswahl gibt es nicht.




    Hütte auf Kufen, gleich am Anfang der Piste


    Láhpoluoppal, eine winzige Siedlung im Nirgendwo

    Eigentlich erwarte ich erst mal gar nichts. Láhpoluoppal habe ich als Start ausgewählt, weil hier Freitag und Sonntag ein Bus ohne Umsteigen von Alta hin fährt und eine vielversprechende Piste nach Süden beginnt. Am Anfang habe ich es gern einfach. Für die ersten ca. 40 Kilometer muss ich nicht nachdenken, sondern folge der Piste, dann einer Fahrspur bis zum Biennaroavvi. Auf den Luftbildern größtenteils erkennbar. Mehr muss ich nicht wissen. Von da sind es noch 15 Kilometer Luftlinie bis zur Nationalparkgrenze, also vielleicht 20 im Gelände. Wie man da vorankommt, kann ich nicht wissen. Jedenfalls gibt es keine Beschreibung, Fotos oder sonst irgendwas für diesen meiner Meinung nach logischen Einstieg zum Øvre Anárjohka Nationalpark.

    Über die weitere Route mache ich mir erst dann Gedanken, wenn ich Wald, Moor, Gesträuch usw. in diesem Gebiet einigermaßen einschätzen kann. Und natürlich die Flüsse. Da ich diesmal kein Boot dabei habe, sind Furten ein Thema. Meine Idee, für alle, die schon mal auf Norgeskart gucken wollen, ist ganz grob über Njullosvađđa und Rátkkavárri zu den Bosmmiidjavrrit zu laufen, weiter bis Gumpegorži (Ulvefossen, Anárjohka) und von dort über Gurbeš Richtung Norden nach Karasjok. Ob sich das umsetzen lässt (und wenn ja auf welcher Route) oder ob ich mir einen neuen Plan ausdenken muss – auf jeden Fall wird es eine Tour in kaum bekannte Gefilde. Nahrung und Spiritus für 12 Tage sind im Rucksack, was nicht gerade üppig erscheint, denn ich rechne ganz grob mit 220 bis 250 Kilometern. Falls ich länger brauche, muss ich das Essen eben ein bisschen strecken.

    Momentan kann ich mir das noch gar nicht vorstellen. Die ersten Kilometer auf der Piste sind mühsam aus einem Grund, der mir vorher bewusst war: ich hatte mir kurzfristig neue Stiefel gekauft, weil ich den alten keine längere Strecke mehr zumuten wollte. Keine gute Idee, die jetzt auf Tour einzulaufen, aber ich hatte einfach keine Gelegenheit dazu. Da muss ich jetzt durch. Den leisen Verdacht, dass Gummistiefel hier sowieso das bessere Schuhwerk sein könnte, schiebe ich mit Verweis auf die langen Tagesetappen beiseite. Besser ein bewährtes Modell und nach zwei schmerzhaften Tagen perfekt passende Schuhe als ein Experiment mit Gummistiefeln, in denen ich noch nie länger als ein paar Kilometer gelaufen bin. So mein Gedanke, nach dem Motto: der bekannte Schrecken ist uns immer lieber als der unbekannte.



    Schmerzhaft reiben die Stiefel vor allem am Schaft, wo ich ganz gut entlasten kann, wenn ich nicht bis ganz oben schnüre. Und am Bein ein Stück Tape aufklebe. So wird es gehen. Die offene Landschaft mit vereinzelten Birken, kleinen Sträuchern und Rentierflechten gefällt mir jedenfalls ausgesprochen gut, und auch die Wetteraussichten für die ersten Wandertage sind günstig. Tagestemperaturen um 12 bis 15 Grad, wenig Wind, kein Niederschlag.

    Für heute bin ich vollkommen zufrieden, als ich nach etwa 6 km an einem Bach direkt hinter dem südlichsten der drei Guhkkesjávrrit gute Zeltstellen entdecke. Bessere werde ich nicht finden, zumal es schon kurz vor 20:00 Uhr ist. Nach einer Katzenwäsche koche ich feierlich den ersten Tourkaffee und bin so richtig im Urlaub angekommen. Der Abend ist mild und windstill, ein paar Mücken schwirren mehr träge als zielstrebig um das Zelt herum. Alle Anspannung der Reise und überhaupt der letzten Wochen und Monate weicht einer wohlig-anregenden Mischung aus drei Wochen Freiheit, Neugier und – was am Anfang einer Tour eher selten ist – Gelassenheit. Ich glaube, es ist die ruhige, harmonische Landschaft hier, die mir das Gefühl von Geborgenheit gibt. Körperlich bin ich zwar nicht übermäßig fit und mental auch eher urlaubsreif als allen Herausforderungen gewachsen, aber in diesem Moment weiß ich, dass die Entscheidung für Øvre Anárjohka genau richtig war.



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    • Fjellfex
      Fuchs
      • 02.09.2016
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      • Meine Reisen

      #3
      Zitat von Borgman Beitrag anzeigen
      Borgman heißt also August auf Samisch, und das Wort leitet sich ab vom Fellwechsel der Rentiere. Das war mir nicht bewusst, aber … wie geil!!
      "Es gibt keinen Zufall, und was uns blindes Ungefähr nur dünkt, grad das steigt aus den tiefsten Quellen." (Schiller - Wallenstein)
      Kann dein Entzücken nachempfinden!
      Und du vielleicht meines, dass dein Bericht jetzt beginnt (obwohl ich schon ein bisschen weiß).
      Jetzt gibt es hier also 2 Geotaggs in der südlichen Finnmark... da fühlt sich meiner gleich nicht mehr ganz so einsam. Bin gespannt!!!
      Zuletzt geändert von Fjellfex; 25.09.2023, 12:50. Grund: wenn schon Zitat, dann richtig ;-)

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      • Borgman
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        • 22.05.2016
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        #4
        Ja, Fjellfex, ich weiß, dass du dich auf den Bericht freust. Und bemühe mich um schnelle Lieferung. Jetzt geht es erst mal weiter mit einer langen Strecke, damit wir bald zu den interessanteren Stellen kommen:

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        • Borgman
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          • 22.05.2016
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          #5
          Samstag, 19. August: Guhkkesjávrrit bis See 443m hinter Veambilčorru

          Nach dem entspannten Abend konnte ich wunderbar schlafen und freue mich auf den Tag. Nicht so sehr auf die Stiefel … seufz … aber ich will trotzdem das gute Wetter nutzen um möglichst weit auf der Piste voranzukommen. Wie üblich starte ich mit einem Kaffee und 3 Bixit-Keksen, packe dann zusammen und breche um 6:40 Uhr auf. Es ist bedeckt bei 5°C und leichtem Südwind. Gleich hier am Bach teilt sich die Piste, ich folge der Variante westlich des Gáhkkorjávri.



          Abgesehen von wenigen nassen oder steinigen Stellen läuft es sich sehr einfach. Vielleicht ist das ausnahmsweise ein Nachteil, weil ich deshalb die schmerzenden Stellen (wo die neuen Stiefel reiben) und das Rucksackgewicht stärker wahrnehme. Oder weniger mit Navigation und Gelände beschäftigt bin, was auf das selbe hinausläuft. Jedenfalls brauche ich schon nach einer Stunde eine kurze Pause für die Füße. Die richtige Frühstückspause von 9:15 bis 10:50 Uhr mit Kaffee und Kornmo folgt nach einer weiteren Wanderstunde direkt hinter der Furt Lávžejohka (harmlos, nicht mal knietief). Einen Kilometer vor der Furt zweigt nach Osten eine Piste zum Áhkkanasjávri und zur Kárášjohka ab. Hätte ich das Boot dabei, wäre das wahrscheinlich meine bevorzugte Variante, weil es dort viele Seen gibt.






          Lávžejohka

          Inzwischen kommt öfter die Sonne durch. Zum Ausgleich frischt der kühle Wind auch etwas auf, so dass es selbst gegen Mittag nie zu warm wird. Hinter dem nächsten Hügel, Riebančorru, quert die Piste ein Moor und teilt sich dabei in verschiedene Spuren auf. Ich halte mich an die deutlichste und mache damit ein paar hundert Meter Umweg nach Westen. Nicht unbedingt besser, weil hier das Gesträuch dichter ist und man trotzdem durch Moor läuft. Danach geht es praktisch nur noch über trockene, oft sandige Hügel parallel zum Fluss Náhpoljohka.



          Um 12 brauche ich wieder eine halbe Stunde Pause. Kurz den Rucksack absetzen, Schuhe ausziehen, was trinken, ein Müsliriegel. Anscheinend wird das mein neuer Rhythmus, jeweils nach einer Wanderstunde eine Zwischenpause zu machen. So war es schon in Lierne, und da hat er sich bewährt. Die Spätsommertage sind lang in der Finnmark, es ist wirklich egal. Zumal ich flott vorankomme. Zur Mittagspause um 13:30 Uhr am Abfluss des Gurrabuolžžajávri bin ich heute geschätzt 18 oder 19 km gelaufen. Die merke ich allerdings auch in den Beinen.

          Nach einem Schläfchen und anschließendem Kaffee kann ich mich kurz nach 16:00 Uhr noch mal aufraffen. Die Piste ist seit dem letzten Abzweig (ebenfalls nach Osten zur Áhkkanasjohka) nur noch eine einfache, komfortable Fahrspur. Hügel rauf, Hügel runter, Hügel rauf ohne allzu viele Höhenmeter.






          ab und zu ein See

          Kurz nach 18:00 Uhr (nicht ohne eine weitere Zwischenpause) finde ich, es reicht langsam und steuere den See 443m an, etwa 400m östlich der Fahrspur. Aus der Ferne sieht es nach guten, trockenen Zeltstellen aus. Nicht, dass es hier einen Mangel an solchen Stellen gäbe.


          perfekter Platz am See 443m

          Nach der Waschaktion koche ich einen Kaffee und bin äußerst zufrieden mit dem Tag. Gegen Ende habe ich die Stiefel trotz der langen Strecke kaum noch gespürt (im Gegensatz zum Rucksack, der immer unbequemer wurde). Morgen werde ich also nach den letzten paar Kilometern Fahrspur richtig in die Wildnis eintauchen. Neben Neugier und Vorfreude ploppen auch einige Fragezeichen auf (Gelände? Vegetation? Furtstellen? Beste Route?), die ich vorerst beiseite schiebe. Wird sich alles finden.

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          • Fjellfex
            Fuchs
            • 02.09.2016
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            • Meine Reisen

            #6
            Zitat von Borgman Beitrag anzeigen
            bemühe mich um schnelle Lieferung.
            Das ist natürlich sehr löblich.
            Schon den vermeintlich "uninteressanten" Teil verfolge ich gespannt auf der Karte.
            Und vielleicht gehst du gelegentlich auf die Frage ein, warum du dieses mal mit dem Hilleberg auf Tour warst und nicht mit dem Zelt, das du in Lierne dabei hattest...

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            • ronaldo
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              • 24.01.2011
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              • Meine Reisen

              #7
              "Wird sich alles finden."
              Gefällt mir sehr! Bin gespannt, wie es weitergeht.

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              • Borgman
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                • 22.05.2016
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                #8
                Fjellfex: Das Akto ist im Gegensatz zum Stratospire 1 ein warmes Zelt: kleinerer Raum, AZ geht ganz bis zum Boden, alle Lüfter sind komplett verschließbar, weniger Mesh am IZ und natürlich absorbiert die dunklere Farbe mehr Strahlung. Bei viel Wind und wenig Sonne finde ich es deutlich gemütlicher, deshalb ist es mein Favorit für kühlere Gegenden und bei uns die kühleren Jahreszeiten. Das Stratospire mag ich, weil es wegen der beiden komplett zu öffnenden langen Seiten flexibler und bei Wärme wesentlich besser zu belüften ist. Bei kaltem Wind finde ich es zu zugig (so war es z.B. in Varanger).

                ronaldo: Danke! Seit einigen Jahren improvisiere ich lieber als mich vorher schon auf eine Route festzulegen. In Øvre Anárjohka wie Muotkatunturi gab es jeweils ein paar Stellen, die ich gerne besuchen wollte (wie z.B.
                Gumpegorži oder Peltojärvi), aber man muss sich ja doch immer den Bedingungen anpassen. Selbst wenn was nicht klappt wird es meistens eine schöne Tour.

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                • Borgman
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                  • 22.05.2016
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                  • Meine Reisen

                  #9
                  Sonntag, 20. August: See 443m bis See 450m östlich Allaganvárri

                  Mir ist kalt … gefühlt seit Stunden … was nicht nötig wäre. Ich konnte mich einfach nur nicht überwinden, unter dem Quilt hervorzukriechen um einen Pulli anzuziehen. Selber schuld. Obwohl jetzt um halb sechs schon die Sonne scheint, ist das Außenzelt innen noch mit Raureif überzogen. Windstill, leichter Nebel, -2°C. Ein herrlicher, leuchtender Morgen.





                  Nach und nach ziehen Wolken auf, als ich gegen 6:45 Uhr zurück zur Fahrspur gehe. Nach der Karte sollte ich ihr noch ein paar Kilometer folgen können, aber sie wird bald undeutlich und teilt sich in unterschiedliche Richtungen auf. Ich sehe sie noch mal in einem kleinen Moor, danach nicht mehr. Verschwende aber auch keine Zeit mit Suchen, denn die Richtung ist eindeutig.




                  genau nach Süden – der Urddotoaivi im Hintergrund dient zur Orientierung

                  Ohne die Fahrspur wird ein gutes Maß an Buschwerk unvermeidlich sein. In den Senken gibt es auch Abschnitte, wo man bei jedem Schritt tief in weichem Moos einsinkt (anstrengend) und natürlich nasse Stellen. Dort scheuche ich ständig eine Menge verschreckter Schneehühner auf, die sich lautstark über den Eindringling beschweren. Erste Pause am Südende des Golmmačiegatjávri nach einer Stunde. Hier der Blick nach Westen zum Buollán Áltevárri:




                  trockene Rentierflechte ist ein sehr angenehmer Untergrund – nass wird sie rutschig

                  Über die Höhe 490m laufe ich noch bis zum See 479m und baue dort das Zelt zum Trocknen auf. Darin kann ich mich auch kurz ausstrecken, denn es ist immer noch ziemlich kühl. Frühstückspause 9:15 bis ca. 11:00 Uhr.



                  Kurz danach habe ich eine nette Begegnung mit einer Gang aus 11 neugierigen Rentieren. Wie Rentiere so sind, bleiben sie erst mal stehen und gucken, laufen ein Stück und gucken noch mal. Das reicht ihnen aber noch nicht, also umkreisen mich einmal komplett und trauen sich dabei immer näher heran.





                  Und jetzt ändert sich die Landschaft, die für viele Kilometer so gleichförmig war, dass ich schon dachte sie bleibt immer so, doch ein bisschen. Durch teils felsiges und unübersichtliches Gelände geht es über Ráhpes Urddotoaivi zur Áhkkanasgorsa.






                  See 473m


                  Áhkkanasjohka

                  Hier sieht man sehr schön, wie üppig die Vegetation im Uferbereich wuchert. Das kenne ich schon von Heaika und Eriks Videos … sie mussten sich regelmäßig erst mal zum Fluss durchkämpfen und dann eine geeignete Furt suchen. Hier ist das nicht schwierig. Nach kurzer Erkundung entscheide ich mich für eine Stelle und quere über stark bewachsene größere Steine sicher ans andere Ufer.


                  nämlich hier

                  Dass sogar die Unterwasservegetation üppig ist, wundert mich ein bisschen. Nach der Furt (12:15 Uhr) genieße ich für eine halbe Stunde die Sonne. Das tun hier am Fluss allerdings auch die Mücken, und anders als die Schneehühner freuen sie sich über den Besuch. Es ist warm geworden. Beim Blick auf die Karte frage ich mich, ob es sinnvoll sein könnte noch ein Stück nach Süden und dann nahe der finnischen Grenze nach Osten über die Hügel zu laufen. Das wäre wahrscheinlich etwas einfacher als die direkte Route am Rand der Ebene zum Njullosvađđa und der Nationalparkgrenze, aber eben auch ein Umweg. Andererseits kann ich auch später noch über die Hügel ausweichen. Ich halte mich vorerst nach OSO zum Punkt 485m und schaue mir das Gelände dahinter an.


                  Áhkkanasgorsa


                  hier geht es noch ganz gut …


                  aber hinter dem ersten Hügelausläufer ist ein breites, elend nasses Tal zu queren …


                  mit Silberweidengestrüpp und Mücken

                  Am ersten der beiden Bäche im Tal mache ich um 14:00 Uhr eine mehr als verdiente Mittagspause. Nach dem Essen muss ich mich eine Stunde hinlegen und neue Kraft sammeln. Weiter geht es um 15:50 Uhr nach Osten, am Hügel 539m vorbei, zum Nordende des Máđárjávri. Ich notiere die Zeiten so genau im Tagebuch, damit man nachvollziehen kann wie viele Stunden ich in diesem doch recht wechselhaften Gelände gebraucht habe. Auf dem Abschnitt bis zum Máđárjávri gibt es neben einigen angenehmen Stellen auch viel von diesem dicken Moos, gerne garniert mit kleineren Strauchweiden, in dem man ungefähr so beschwingt vorankommt wie in aufgeweichtem Schnee. Schon nach wenigen Schritten wird es anstrengend.


                  das ist so eine typische Stelle: vorne Rentierflechte (gut), dahinter weich, dann nass


                  đárjávri



                  Hier am Nordzipfel des đárjávri gibt es absolut perfekte Zeltstellen, und überhaupt gefällt mir dieser See. Ich bin schwerstens versucht hier zu bleiben, suche mir schon mal einen Platz aus und setzte mich für einen Moment, um darüber nachzudenken. Besser wird es nicht. Es gibt einen kleinen Sandstrand und sogar eine Feuerstelle. Urlaubsparadies đárjávri. Andererseits ist heute erst der zweite volle Wandertag und optimales Wetter. Nee, eine Stunde schaffe ich noch.

                  Als wollte die Natur diese Aussage widerlegen, geht es direkt danach einen Kilometer durch Moor und Weidengestrüpp. Aber ich bin ein geduldiger Mensch, und bevor ich meine Entscheidung verfluche (oder jedenfalls gerade erst dazu ansetze sie zu verfluchen), bessert sich die Lage am Allaganvárri. Ein schöner Blick über die Ebene und massenhaft reife Heidelbeeren versüßen den letzten Abschnitt bis zum See 450m an dessen Ostseite. Nach einem guten Platz muss man auch hier nicht lange suchen. Um 18:20 Uhr steht das Zelt.


                  Blick nach NO nördlich des Allaganvárri


                  See 450m



                  Leider werden die Mücken jeden Tag aufdringlicher. Beim Baden im See mit Rasieren und Sachen waschen kriege ich noch etliche Stiche ab, was meine gute Laune aber nur kurz trübt. Frisch gewaschen mit einem Kaffee in der Wildnis zu sitzen und von der Abendsonne gewärmt zu werden macht mich für heute einfach nur wunschlos glücklich.

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                  • evernorth
                    Fuchs
                    • 22.08.2010
                    • 1839
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                    #10
                    Nun habe ich endlich Zeit gefunden, in deinen neuen Bericht einzutauchen. Eine - mehr oder weniger - gleichförmige Landschaft ist das, doch das Fehlen von landschaftlichen „Besonderheiten“ wird ergänzt von beinahe schon meditativen Eindrücken. Das hat was.
                    Ich folge gespannt den weiteren Tagen und praktiziere schon mal in Gedanken die yogische, tiefere Entspannung. 🧘
                    My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

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                    • Borgman
                      Dauerbesucher
                      • 22.05.2016
                      • 724
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                      #11
                      Freut mich, lieber Tom, dass du eintauchst und dabei bist! Und du hast Recht: diese Landschaft habe ich als meditativ, entspannend und auf eine Art sogar heilsam empfunden. Was vielleicht auch an meinen persönlichen Umständen dieses Jahr liegt. Aber bevor es hier zu esoterisch wird: sie hat auch handfeste Herausforderungen zu bieten. Ich arbeite am nächsten Teil .

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                      • Borgman
                        Dauerbesucher
                        • 22.05.2016
                        • 724
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                        #12
                        Montag, 21. August: See 450m bis kurz hinter Kárášjohka, nahe Jalgesvárri

                        Die Nacht war wieder so (vergleichsweise) mild wie die erste. 5°C am Morgen, tief hängende Wolken, mäßiger Wind aus SO. Ich konnte gut schlafen und bin entsprechend früh auf den Beinen. Um 6:15 Uhr habe ich das Zelt verpackt und laufe zuerst 1 ½ Kilometer nach Süden, um das westliche der beiden langgestreckten Moore im Tal zu umgehen. Das zweite quere ich dann an einer Stelle, die nicht ganz so nass aussieht und halte die Richtung OSO auf den nächsten Hügelrücken zu. Humastat steht in der Karte südlich davon, das ist dann wohl der Name des Höhenzugs.


                        Blick zurück zum Allaganvárri – hinten in der Mitte „mein“ See 450m


                        kleiner See 500m, mitten auf dem Hügelrücken

                        Die Sicht ist trotz des trüben Wetters ausreichend und wird auf der Ostseite deutlich besser. Ich will das Tal in möglichst direkter Linie zum Njullosoaivi queren, was sich dann auch als ideal erweist. Weiter nördlich sind Felsabbrüche und unwegsames Gelände. Eigentlich erwarte ich im Tal ein Flüsschen, Njullosjohka, aber nach einem Bach, den ich über einen einzigen Trittstein quere, beginnt der Anstieg. Das war es schon, und hier beginnt auch der Øvre Anárjohka Nationalpark. Wegen der dichten Vegetation mache ich kein Foto vom Talgrund. Aber eine halbe Stunde Pause kurz danach.


                        Njullosoaivi, da geht es gleich hoch

                        Am Hang ist der Wald nicht allzu dicht, und ich bekomme auch langsam ein Gefühl dafür, an welchen Stellen man gut voran kommt und welche man möglichst umgeht. Oder wo man eben durch muss, wenn sie sich nicht umgehen lassen. Das wird besonders deutlich, als ich im Anschluss Njullosvađđa nach Osten quere – ja, wie soll ich es nennen? Hochebene? Hügelkette? In meiner Richtung ist es eine Reihe von 4 oder 5 Kuppen auf denen sich wunderbar laufen lässt. Dazwischen verlaufen jeweils Bänder mit unangenehmer Vegetation.


                        Blick vom Njullosoaivi nach Osten

                        Viele Heidelbeeren wachsen am letzten Hügel, kurz vor dem See Njullosráhppáidjávri, von denen ich aber nur ein paar nasche, denn es gibt gleich richtiges Frühstück. Nur noch über den Bach und am östlichen Seeufer ein Stück nach Norden. Das ist nicht nur eine gute Stelle für die Pause (9:30 bis 11:50 Uhr), sondern auch strategisch günstig für den Weiterweg. Den ich jetzt in aller Ruhe planen kann.


                        Njullosráhppáidjávri, rechts auf der anderen Seeseite mein Pausenplatz

                        Wenn ich die großen Moore meiden will (ja bitte!), dann muss ich bis zur Schlucht der Kárášjohka, die will ich nämlich gerne sehen, ein bisschen im Zickzack durch die Ebene laufen. Das wird meine erste navigatorische Herausforderung, denn inmitten der Vielzahl ähnlich aussehender kleiner Hügel, kleiner Seen und kleiner Moore kann man, besonders in bewaldetem Terrain, schnell verwechseln welcher jetzt welcher ist. Nach GPS wäre es einfach, aber ich will mich bewusst nicht von Technik abhängig machen. Vielleicht ist es nur eine schrullige Eigenart, mir liegt jedenfalls die Orientierung nach Karte und Kompass, geschätzter Entfernung, Sonnenstand (unter Berücksichtigung von Sommerzeit und Längengrad) und eben auch einem guten Teil Instinkt. Es gelingt nicht immer perfekt und ich weiß auch nicht immer genau wo ich bin, aber wenn ich dann den Fehler erkenne und die Karte wieder mit der Wirklichkeit übereinstimmt, finde ich das extrem befriedigend.


                        so sieht das hier aus


                        Furt Dápmotjohka nach genau einer Stunde …


                        auch hier etwas dichtere Vegetation, aber unproblematisch


                        Blick nach SW über den Stuora Dápmotjávri zum Muottahasoaivi

                        Einen guten Kilometer hinter der Furt sitze ich für eine halbe Stunde auf dem Hügelrücken östlich des Stuora Dápmotjávri (ca. 13:15 bis 13:45 Uhr) in der Sonne und entspanne mich. Das hat doch bis jetzt sehr gut geklappt. Bisschen Buschwerk und Torfhöcker zwischendrin, aber es gab keine ganz üble Stelle.


                        Blick nach NO zum See 426m

                        Ich halte mich jetzt noch ein Stück nach Süden und quere dann nach Osten zwischen Rámšovárri und Njárgajávri zum nächsten Höhenzug. In Wald und unübersichtlichem Gelände drifte ich zu weit nach NO ab und bemerke das erst, als ich freien Blick über ein kilometerlanges Moor im Tal habe. Nee, das kann nicht sein, da hätte ich viel früher mal den Kompass befragen müssen. Ich bin ein gutes Stück westlich des länglichen Sees unterhalb der auffälligen Kerbe gelandet, die ich eigentlich oben passieren wollte. Egal, es ist nicht viel mehr als ein Kilometer Umweg, und das Gelände am Rand angenehm zu gehen.


                        die andere Seite sieht nämlich weniger angenehm aus


                        unten der See und das lange Moor, Blick nach N


                        Fels ist ja hier eher selten, also eine Sehenswürdigkeit


                        namenlose Kerbe von oben

                        Trotzdem bin ich jetzt wirklich erschöpft. Vom Njullosráhppáidjávri bis hier habe ich knapp 3 Stunden reine Gehzeit für 9 bis 10 km in wechselhaftem Gelände gebraucht, davor waren es schon 8 bis 9. Es ist 15:10 Uhr und ich bin außerdem hungrig. Was mir fehlt ist Wasser. Nur im Notfall würde ich aus einem der warmen Tümpel am Hügelrücken trinken, aber so schlimm ist es nicht. Immerhin gibt es eine Menge Beeren. Bis zur Furt schaffe ich es bestimmt noch.

                        Tja, und das ist nach dem Navigationsschnitzer schon die zweite einer ganzen Reihe von Fehleinschätzungen, die diesen Nachmittag noch unvergesslich machen werden. Ich habe zwar heute schon viel geschafft, aber der Spaß fängt gerade erst an.

                        Ich quere also zuerst den steinigen Hügelkamm und schaue mir mal das Tal der Kárášjohka an, die hier in einer langen, schmalen Schlucht fließt:



                        Wo soll da ein Fluss sein? Rechts sieht man den Nordausläufer des Davit Bissovárri, dahinter den langgestreckten Höhenzug Riehttečearru, über den ich morgen weiter nach Osten laufen will. Ich hätte die Möglichkeit rechts zu gehen und den Fluss vor der Schlucht zu überqueren, was ein kleiner Umweg wäre, oder eben links Richtung Bissoskaidi und dort irgendwo zu furten. Ganz klar letzteres, da sieht das Gelände besser aus. So gehe ich also fröhlich über den spärlich bewachsenen Streifen, den man auf dem Foto in der Mitte sieht.

                        Hätte ich mir vorher die Luftbilder angeguckt und eine Route ausgearbeitet, dann wäre mir aufgefallen, dass ich dahinter in sehr unwegsames, felsiges, verblocktes und dicht bewachsenes Gelände komme. Dann wäre ich oben über den Hügelkamm gelaufen. Habe ich aber nicht und bin ich nicht. Ich bin hier nahe an der Kárášjohka und schlage mich so gut es geht nach Norden durch. Der ebene Streifen am Fluss ist nicht nur dicht mit Birken und Silberweiden überwuchert, sondern es steht auch Wasser im ganzen Uferbereich. Ich bin erschöpft, genervt, verschwitzt, die Mücken piesacken mich. Ich will jetzt endlich über diesen verdammten Fluss!


                        nicht hier, ich teste mit dem Stock: zu tief, zu schlammig


                        hier sind wenigstens Steine im Wasser

                        Bloß nicht noch länger am Fluss entlang. Ich ziehe die Hose aus, wechsele in die Sandalen, ziehe die Stöcke weiter heraus und probiere es an genau dieser Stelle. Bis zur Hälfte geht es auch ganz gut über die großen Steine (man sieht nichts, weil das Wasser so braun ist), danach wird der Untergrund weich, das Wasser geht mir bis zum Bauch. Jetzt müsste ich umkehren, denke ich, tue es aber nicht. Ist doch nur noch ein kleines Stück. Dann habe ich gar keinen Boden mehr unter den Füßen und finde auch am Ufer keinen Tritt. Greife nach einem Strauch, werfe mit der anderen Hand die Stöcke an Land und ziehe mich mit letzter Kraft weiter hoch. Den nassen Rucksack auf dem Rücken, Stiefel um den Hals vollgelaufen, alles sackschwer.

                        Uff, das wäre geschafft. Starke Leistung, aber … ääh … dumm. Endbescheuert. Merkste selber, oder? Ziemlich kleinlaut fülle ich meine Wasserflasche und suche mir einen Platz, wo ich meine Sachen ausbreiten kann. Was ist alles nass geworden: Stiefel und Socken … die Hose, die außen am Rucksack hing … Quilt im Bodenfach, der wird so schnell nicht trocknen … Zelt, das ist egal … und sonst war eigentlich alles gut verpackt. Scheiße, die Kamera! Hoffentlich ist nichts ins Gehäuse gelaufen, das ist nicht abgedichtet. Ich nehme vorsichtshalber den Akku raus, stelle sie offen in die Sonne und knalle mich mit ein paar Kornmos daneben auf den Boden. Warum gibt es hier Kriebelmücken? Und warum sind die so groß? Das wird die erste Pause mit Kopfnetz. Danach rauche ich ein Zigarillo, aber das vertreibt sie auch nicht. Ich muss hier bald weg, es ist kaum auszuhalten.

                        Um 16:00 Uhr habe ich gefurtet, eine gute Stunde später packe ich mein nasses Zeug und gehe weiter nach Norden durch das Bissoskáidi. Skáidi ist Land zwischen zwei Flüssen, aber der kleine Bach da auf der Karte wird ja wohl kein Hindernis sein. Ich will nur noch das Moor an der schmalsten Stelle queren, dann über den Bach, dort zelten und morgen weiter zum Jalgesvárri. Denkste! Das Moor ist kein Problem, aber vor den Bach hat Gott das dichteste Silberweidendickicht gestellt. Und das nasseste. Gleichzeitig. Leider kein Foto, weil die Kamera noch trocknen soll. Aber das ist sehenswert. Fahrt hin, guckt es euch an.

                        Oder lieber doch nicht, denn der Bach ist hier nicht zu furten. Nur vielleicht drei Meter breit, aber tief und schlammig. Oh nein, nicht schon wieder! Finde ich diesmal auch eine schöne Stelle mit Steinen? Ich probiere es bachabwärts und schlage mich also durch das sperrige Dickicht, schaue hier und da zum Wasser. Es sieht überall ähnlich aus. Dafür sind meine Arme jetzt nicht nur zerstochen, sondern auch übel verkratzt. Nee, das ist schon die beste Stelle bisher, mehr sandig als schlammig, ich muss es versuchen. Selbe Routine wie vorhin, nur sind diesmal die Stiefel oben am Rucksack befestigt und die Kamera in einem Gefrierbeutel. Zum Glück trägt der Sand, das Wasser geht knapp bis zum Schritt an der tiefsten Stelle.

                        Hinter der Furt kommt ein hundert Meter breites Moor und nicht weit davon eine gute Zeltstelle am Hang. Zuerst muss das Zelt trocknen, alle anderen Sachen hänge ich in die Birken und gehe noch mal zum Bach um Wasser zu holen und mich kurz zu waschen. Wobei … sauber geworden bin ich ja schon in der Kárášjohka. Es ist wieder bedeckt und auch schon recht spät, viel wird nicht trocknen. Nach dem Kaffee und vor dem Abendessen probiere ich die Kamera aus:


                        funktioniert

                        Zeit, die Sachen reinzuholen. Der Quilt ist nur noch am Kragen ein bisschen nass – der Aufpreis für imprägnierte Daunen hat sich anscheinend gelohnt. Stiefel und Socken trocknen bis morgen Abend, wenn ich hoffentlich noch mal Glück mit dem Wetter habe. Eigentlich bin ich gar nicht unzufrieden, immerhin war es ein erlebnisreicher Tag. Dieses Zähne-zusammenbeißen-und-durch wenn man eigentlich schon erschöpft ist kennen wahrscheinlich die meisten, und auch, dass man dann nicht immer die richtige Entscheidung trifft. Ich hätte meine Pause an der Stelle machen sollen, dann wäre ich erfrischt weiter gegangen und hätte eine bessere Furt gefunden. Beim nächsten Mal …

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                        • ronaldo
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                          Moderator
                          Liebt das Forum
                          • 24.01.2011
                          • 11968
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                          • Meine Reisen

                          #13
                          Sehr sehr anschaulich. Ich leide mit.

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                          • Blahake

                            Fuchs
                            • 18.06.2014
                            • 1441
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #14
                            Oha! Der Tag war ja dann wirklich nicht mehr so meditativ! Eher nervenaufreibend, selbst beim Lesen. Ich bin mit Spannung dabei!

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                            • Borgman
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                              • 22.05.2016
                              • 724
                              • Privat

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                              #15
                              ronaldo, Blahake; Danke! Der Nachmittag war so verkorkst, dass ich mich schon beim Tagebuchschreiben am Abend darüber lustig machen konnte. Mitten drin hatte ich nur minimalen Sinn für Humor. Andererseits ist das richtige Wildnis, und das habe ich eben auch zu spüren bekommen. Weiter geht es hoffentlich morgen, spätestens Dienstag.

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                              • Borgman
                                Dauerbesucher
                                • 22.05.2016
                                • 724
                                • Privat

                                • Meine Reisen

                                #16
                                Dienstag, 22. August: Bach hinter Bissoskáidi bis Bosmmiidjávri 405m

                                Dank der bisher mildesten Nacht war der Quilt auch in leicht feuchtem Zustand warm genug. Ich hatte mir schon ausgemalt, wie ich alle Kleidung übereinander anziehen muss, aber das war nicht nötig. 7°C am Morgen, bedeckter Himmel mit wenigen Wolkenlücken, und es weht wieder ein leichter Wind aus SO. Die stabile Wetterlage ist mein Glück, besonders heute. Eigentlich würde ich nach dem anstrengenden Tag gerne länger ausruhen, und es kostet auch etwas Überwindung mit nassen Socken in die nassen Schuhe zu steigen, aber um 6:45 Uhr bin ich dann doch abmarschbereit. Wer weiß, welche Überraschungen mich noch erwarten? Da will ich wenigstens keine Zeit vertrödelt haben.


                                Blick zurück, links Davit Bissovárri

                                Die Mücken sind auch schon wach, aber ich lasse sie bald hinter mir. Durch Strauchheide und lichten Wald geht es hoch zum Jalgesvárri und weiter zum Allavárri. Mit dem Gelände gibt es jedenfalls vorerst keine Überraschungen. Auf den Hügelkuppen läuft es sich prima, und in den Senken wuchern die Strauchweiden auf dickem, weichem Moos. Nur die Kamera zickt ein bisschen, da ist wohl doch Feuchtigkeit eingedrungen. Einige Bilder sind sogar unbrauchbar. Vielleicht kann ich später noch was retten.


                                dieses ist gut …


                                dieses nicht, wie auch das nächste, aber man hat trotzdem einen Eindruck von der Landschaft

                                Halbe Stunde Pause am Allavárri, danach muss ich leider drei Kilometer durch ziemlich üble Vegetation …



                                auf direkter Route bis zum See 484m, wo ich um 9:45 Uhr mein Zelt für die Frühstückspause aufstelle. Besser wäre wohl ein Umweg nach Süden über den Hügel 522m und dann nach Osten zum Rátkkavárri gewesen. Der Quilt trocknet auf dem Zelt ausgebreitet relativ schnell, und bei den Schuhen merkt man auch schon was.

                                Um 11:30 Uhr laufe ich weiter teils durch Gesträuch hoch zum Rátkkavárri, wo ich auf Mobilnetz hoffe. Wirklich stabil ist es nicht, aber ich kann mit etwas Geduld ein paar Textnachrichten abschicken und erhalte eine Wettervorhersage. Ab dem späten Nachmittag / frühen Abend soll es regnen, morgen den ganzen Tag. Das passt mir ehrlich gesagt ganz gut, dann kann ich morgen einen gepflegten Ruhetag einlegen. Der Wechsel aus einfachem, anstrengendem und sehr anstrengendem Gelände schlaucht heute mehr als an den anderen Tagen.

                                Das Bild vom Gavdnjajávri aus der Kamera ist unbrauchbar (zum Glück habe ich ein Foto mit dem Telefon gemacht), das nächste vom Noarvváš ist zu retten.


                                Blick nach SO zum Gavdnjajávri


                                Blick nach NO: in der Mitte Noarvváš, rechts davon Deanobokvárri, ganz links Stuorra Gurbeš

                                Ab dem Rátkkavárri geht es ein paar Kilometer durchgehend angenehm bis zum See 451m südlich Gavdnjaráhppát. Trotz des sonnigen, warmen Wetters sind hier nur wenige Mücken, so kann ich ungestört die Karte studieren. Wenn ich mich am Nachmittag noch mal richtig ins Zeug lege, kann ich die Hütte erreichen und dort den Regentag verbringen. Ja, es gibt eine offene Hütte im Nationalpark, die nirgendwo verzeichnet ist. Aber sie steht mitten in einer riesigen, waldigen, von Mooren durchzogenen Ebene an der Bosmmiidjohka. Ich bin mir erstens nicht sicher wie viele Stunden ich in dem Gelände bis da hin brauche und zweitens, ob das überhaupt meine favorisierte Route ist. Von den beiden denkbaren Varianten zum Deanobokvárri ist das jedenfalls die nassere, besonders nach einem Regentag.

                                Muss mich aber jetzt noch nicht festlegen, denn die ersten 4 km bis zum nordwestlichsten der Bosmmiidjávrrit (See 405m) sind gleich. Eigentlich sollte es kein Problem sein wenigstens grob die Richtung zu halten, also eine gute Stunde nach Osten zu laufen. Nach der Karte sind nur ein paar kleine Moore zu umgehen und am Ende ein größeres und ein See. Der Wald ist nicht mal besonders dicht. Aber dann quere ich schon nach kurzer Zeit einen Bach, den es nicht geben dürfte und merke, dass ich komplett verloren bin. Klar, ich weiß schon noch wo Osten ist, aber nicht mehr, ob ich nördlich oder südlich meiner Linie bin. Das Problem sind die vielen kleinen Hügel, die sich gegenseitig den Blick versperren und die mich immer dazu verführen, ein Stück auf ihnen zu gehen. Vom größten Hügel müsste man ja irgendwas sehen können, z.B. eine charakteristische Seenkette. Aber welcher ist der größte? Und wenn ich schon zu weit südlich bin, dann ist der größte Hügel völlig falsch.

                                Nach einiger Verwirrung stoße ich auf einen See, den ich erst nicht zuordnen kann. Bis mir dämmert, dass ich ihn aus einer ganz unerwarteten Perspektive betrachte, nämlich von Nordwesten. Jetzt ist alles ganz einfach. Das hat zu viel Zeit und Kraft gekostet, als dass ich heute noch eine längere Nachmittagsetappe machen wollte. Mittagspause an Ort und Stelle, danach gehe ich nur noch zum Bosmiidjávri und suche mir dort einen schönen Platz für den Regentag.


                                am See 422m nach der Pause

                                Der Weg dahin ist dann auch einfach und angenehm über die Hügel, und sogar der Bach, den ich queren muss, ist nicht so dicht zugewuchert wie andere.


                                das könnte der See 413m sein, bin mir nicht ganz sicher


                                dann ist das See 414m …


                                und das ganz sicher Bosmmiidjávri 405m

                                Etwas weiter oberhalb findet sich im Birkenwald auf jeden Fall eine gute Zeltstelle, aber weil es noch früh ist (erst 16:45 Uhr), gehe ich zuerst zum Seeufer und dann ein bisschen in der Gegend herum. Für zwei Nächte soll es bitteschön der allerbeste Platz sein.


                                am Seeufer wäre der Blick nett, aber zu feucht (dickes Moos)


                                Nordwestende Bosmmiidjávri

                                Schließlich lande ich doch im Birkenwald, stelle das Zelt auf und gehe noch mal zum Bach, um mich zu waschen und Wasser zu bunkern.


                                weicher, ebener und vor allem auch durchlässiger Untergrund – ich will morgen nicht in einer Pfütze stehen

                                Eine Viertelstunde nachdem ich eingerichtet bin beginnt der Regen. Perfektes Timing. Alle Sachen sind über den Tag getrocknet und lagern sicher in meiner gemütlichen Höhle. Jetzt muss ich nichts mehr tun, nichts mehr denken, kann einfach nur entspannen.


                                Mittwoch, 23. August: Abwettern

                                Es regnet tatsächlich den ganzen Tag ohne Pause. Anfangs stetig und gleichförmig, perfekt um den Vormittag zu verschlafen, später kräftig mit Windböen. Kein Unwetter, aber die gemütliche, meditative Stimmung ist gefährdet. Ich lese ein paar Stunden und lasse die Gedanken durchziehen. Nichts haftet, das ist gut so. Gegen 17:00 Uhr finde ich, es könnte langsam aufhören, und eine Stunde später nervt der Regen ein bisschen.

                                Angesichts der doch recht ergiebigen Regenmenge über 24 Stunden hat sich die Variante durch die Bosmmiid-Ebene und über Bassečohkka erledigt. Moore und Bäche dürften jetzt randvoll sein. Ich nehme die Karte zur Hand und prüfe eine Route, die ich bisher nur vage als zweite Option im Kopf hatte, genauer. Nach Norden Richtung Čuoikaduottar und dann in gerader Linie nach Osten über den Noarvváš zum Deanobokvárri. Mal schauen wie lange ich für die Strecke brauche. Die Beine hatten ja den ganzen Tag zum Ausruhen.

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                                • vobo

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                                  #17
                                  Lieber Bernd, das sieht ja schon sehr finnisch aus in der Finnmark. Was für weite Ebenen mit ein paar Schluchten, sanften Hügeln und viel Moor. Ganz schön mühsam zu verfolgen - die ganzen Seen und Schreibweisen, mal findet man sie auf der Karte und mal nicht. Vermutlich genau so wie Deine Wegfindung auch war. Schön, dass es in diesem aufregenden Jahr endlich geklappt hat!

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                                  • Borgman
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                                    #18
                                    Danke, Volker – freut mich, dass du dir die Mühe machst, meine Route zu verfolgen. Du bist ja auch ein Freund von präzisen Angaben. Ich greife mal zwei deiner Stichworte raus, um ein paar Hintergrundinfos wenigstens anzureißen. Passt an dieser Stelle ganz gut zu dem Regentag aus dem letzten Teil.

                                    Finnmark/Finnland (ich bin historisch nicht so bewandert, also korrigiert mich bitte): mir schwirrt der Vertrag von Strömstad 1751 im Kopf herum, mit dem die Königreiche Dänemark-Norwegen und Schweden-Finnland die Grenze festgelegt hatten. In dessen Zusatz „lappe-codicillen“ wurden den Samen zwar einige Sonderrechte wie freier Grenzübertritt zugestanden, faktisch war die Grenzziehung der Nationalstaaten aber der Anfang vom Ende ihrer traditionellen Lebensweise. Im Gebiet indre Finnmark – Lemmenjoki gab es keine „natürliche“, also landschaftlich, sprachlich oder kulturell begründete Grenze, sie war rein willkürlich. Spätestens als Schweden dann 1809 Finnland an Russland abgeben musste, waren hier die Routen zwischen Sommer- und Winter-Weidegebieten unterbrochen.

                                    Als finn / pl. finner wurden die Samen in Norwegen bezeichnet (entsprechend lapp / lappar in Schweden), bevor sich im 20. Jahrhundert same / samer durchsetzte. Altnordisch skriðfinn, später fjellfinn meinte speziell die nomadisch, mit der Domestizierung der Rentiere halbnomadisch lebenden Samen des Nordens. Daher auch die Bezeichnung Finnmark für den nördlichsten Landesteil, was nichts anderes bedeutet als „Samenland“. Finnische Immigranten in Norwegen (in Troms eine anerkannte Minderheit) nennt man dagegen kven / kvener.

                                    Unterschiedliche Schreibweisen: da bin ich mir nicht sicher, aber es könnte damit zusammenhängen, dass samische Schriftsprachen erst in neuerer Zeit entwickelt wurden. Vielleicht auch noch mit der rigorosen Assimilationspolitik im frühen 20. Jahrhundert. In allen nordischen Ländern und Russland waren samische Sprachen in öffentlichen Schulen verboten. Mit dem wachsenden Interesse an samischer Kultur und Sprache seit den 1970er und 80er Jahren musste Vieles neu entdeckt und gelernt werden.

                                    Und überhaupt: samische Flurnamen sind toll! Sie haben alle eine spezifische Bedeutung. Mir ist zum ersten Mal auf der Laksefjordvidda-Durchquerung (Tana Bru – Skoganvarre) aufgefallen, dass man eine ziemlich gute Vorstellung von der Landschaft bekommt, wenn man die Namen übersetzt. Im Bericht habe ich darauf verzichtet. Wer sich dafür interessiert, findet einige Nordsamisch-Norwegische Wörterbücher.

                                    Dieses ist einfach zu benutzen, weil Sonderzeichen direkt eingefügt werden können und es eine englisch Oberfläche gibt:
                                    https://sanit.oahpa.no/sme/nob/

                                    Mehr Wörter findet man hier:
                                    https://533.davvi.no/ordbok_norsam.php

                                    Einen tieferen Einblick in die Bedeutung samischer Flurnamen gibt ein Gedicht von Matti Morottaja, das die neue Ausstellung im Siida Inari einleitet:


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                                      • 24.01.2011
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                                      Ah danke! Nicht nur schöne Landschaften und Befindlichkeiten, sondern auch a weng Kultuuur...

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                                        Zitat von ronaldo Beitrag anzeigen
                                        Ah danke! Nicht nur schöne Landschaften und Befindlichkeiten, sondern auch a weng Kultuuur...
                                        Hier wäre was für die ganz speziell Interessierten: eine Diplomarbeit in Archäologie, mit viel Feldarbeit in der Region; es wurden viele "kulturminner" entdeckt; auch das Thema Ortsnamen findet breite Berücksichtigung -
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