[DK] Und ewig rauscht das Meer: Unterwegs auf Dänemarks Ostseeradweg

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  • Sylvie
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    • 20.08.2015
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    • Meine Reisen

    #41
    Immer noch 20. August 2021: Jetzt aber wirklich rüber nach Bogo
    In Stubbeköbing reißt der Himmel auf. Und endlich scheint uns die Sonne. Und wie so oft auf dieser Reise begrüßt man uns mit Musik. Hier im Hafengelände, in einer kleinen, die besten Jahre schon hinter sich habenden, Imbissbude mit verglaster Veranda, sitzt eine fröhliche Alte mit einer schrummeligen Gitarre und singt voller Inbrunst mit rauchiger Stimme Killing me Softly auf Dänisch. Ihr Publikum, drei weitere ziemlich angeschickerte Gestalten, klatscht und grölt lautstark dazu. Die Stimmung ist regelrecht ausgelassen, ich glaube, die feiern Geburtstag hier. Was für ein schräger Moment! Nass wie ein Pudel stehe ich auf der Mole, häng meine Jacke zum Trocknen auf’s Rad und komme aus dem Grinsen nicht mehr raus. Mir kommt das immer vor wie ein Wunder. Diese Musik und die Sonne dazu! Eine Belohnung, die wir nicht verlangten. Und die genau deshalb umso mehr überrascht und erfreut. Stef kauft die Tickets und nen Hotdog für uns. Den essen wir wippend im Stehen, dann machen wir uns rüber zum Fähranleger.

    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20 8 5.jpg Ansichten: 115 Größe: 6,83 MB ID: 3097565

    Der Fährkapitän kommt uns lachend entgegen. Habt Ihr die Tickets oder wollt Ihr betrügen ?, fragt er mich grinsend. Hah! Inzwischen kenne ich den dänischen Humor. Eigentlich sind wir so eher die Cheater, gebe ich ihm zu verstehen, aber dann habe ich Sie gesehen und ziemliche Angst gekriegt. Hier sind unsere Fahrscheine, dürfen wir mit? Der Typ lacht sich schlapp und winkt uns mit großer Geste auf sein riesiges Schiff. Die Fähre nach Bogo ist ein technisches Denkmal. Heute fährt sie für uns ganz alleine.

    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20 8 6.jpg Ansichten: 98 Größe: 5,13 MB ID: 3097564

    Mit prächtigem Gepolter rattert sie über den tiefblauen Sund. Wir stehen fröhlich am Bug und lassen den Wind unsere Sachen trocknen.

    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20 8 7.jpg Ansichten: 104 Größe: 5,57 MB ID: 3097563

    Im Osten sehen wir Mon schon. Dorthin, über den riesigen Damm, den werden wir heute noch fahren. Aber erstmal sind wir auf Bogo. Die Insel ist winzig, sieben Kilometer lang, 1200 Einwohner. Wir fahren zunächst nicht sofort ostwärts Richtung Damm sondern erst mal nach Norden in den einzigen Ort der Insel, Bogoby, um hier im einzigen Laden weit und breit etwas zu essen zu kaufen. Dafür müssen wir zunächst zwei Kilometer straff bergan fahren, aber die hübschen reetgedeckten Häuser entlohnen uns für die Strapazen.

    Auch die Gärten mit ihren vielfachen Sommergärtchen und Winter-Eckchen, den Hecken und Beeten, den beachtlichen Schatten-, Grill- und Chillplätzen sind immer wieder eine Augenweide. Sie rangieren von klassisch aufgeräumt, über kitschig verbaut bis hin zu völlig verrumpelt. Na und die Häuser erst! Hier muss ich leider einen kurzen Ausflug zur dänischen Wohnkultur machen. Wer das nicht spannend findet, sollte diesen Absatz einfach überlesen. Neben den Reetdächern gibt’s natürlich auch ziegelgedeckte. Fast alle Häuser sind aus gelbem oder rotem Klinker – dann meist kombiniert mit grünen oder generell dunklen Fensterrahmen. Der Klinker selbst ist aber oft noch übertüncht, allermeistens mit weiß (besonders schön dazu die Kombination mit hellgrauen oder -blauen Türen und Fensterrahmen), aber wir sehen auch rot, gelb, grün und blau als Übertünchungsfarbe. Der rotweiße Dannebrog flattert munter in jedem 2. Garten, alles hier ist lieblich und von freundlichem Charme. So manches Mal denk ich im Vorbeirauschen an diesen Köstlichkeiten der Wohnkultur, dass ich hier gern auch länger bliebe. Außerhalb der Ortschaften dominiert der Dreiseitenhof, fast immer umgeben von dichten, schweren, üppigen Getreidefeldern in sattestem Weizengelb. Die Landwirtschaft hier ist hochtechnisiert. Alle Halme haben die gleiche Länge, trotzen in großer Stabilität offenbar fast jedem Wetter und tragen schwer an ihren Körnern. Und fast jedes Feld ist umkränzt von einem breiten Streifen üppigster Bienenweiden, die ihre fröhliche Pracht weit in die Welt hinausblühen.

    Aber zurück zum Geschehen: Wir sind inzwischen am Laden angekommen und diskutieren kurz das Abendessen. Ich würde gerne mal Nudeln essen, aber Stef ist für Fleisch mit Salat. Nach kurzem Gefecht kaufen wir das und zwitschern schwer bepackt bergab aus dem Ort heraus und auf die große Straße, die uns über den Sund Richtung Mon führt. Der Damm ist, aus unserer Richtung kommend, der einzige Zufahrtsweg auf die Insel und er stellt sich als vielbefahrene und ätzende Schnellstraße heraus. Die Autos schießen in großer Geschwindigkeit sehr dicht an uns vorüber. Der Streifen für’s Rad ist maximal 70 cm breit und zum Sund hin durch eine hohe Planke abgetrennt. Er geht über mehrere Kilometer so und es gibt nirgendwo Buchten, wo man kurz verschnaufen könnte, zum Schieben ist er zu schmal. Ich bin so konzentriert die Spur zu halten, dass ich nach ner Weile total verkrampfe und mein Rad mit den bollerigen Packtaschen mitunter mächtig ins Taumeln gerät. Die dänischen Autofahrer, die ich bisher nur freundlich und rücksichtsvoll kenne, scheinen auf dieser Straße zu Rowdies zu werden. Ich fluche und stöhne. Der Erholungseffekt der letzten Tage wird auf dem Damm in Stress aufgelöst. Stef fährt hinter mir und versucht mich zu beruhigen: Du hast keine Wahl, ruft er mir zu, Du musst da jetzt durch, es nützt nichts, wenn Du jetzt verzweifelst. Der Spruch hilft. Ich beiße die Zähne zusammen, versuche mich nur auf den schmalen Streifen vor mir zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Als es vorbei ist, heule ich fast vor Erleichterung. Das war die schlimmste Strecke auf der ganzen Tour – und sie war von Bikeline empfohlen, wir fassen es nicht.

    Wir nehmen die erstmögliche Abfahrt aus dieser Höllenröhre und verschnaufen kurz bei einem Dreiseitenhof im Schatten von riesigen Bäumen. Der restliche Weg ist friedlich und schön.


    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20 8 8.jpg Ansichten: 97 Größe: 6,57 MB ID: 3097568

    Und auch das Wetter ist friedlich und schön. Immerhin. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ich diesen Damm bei Regen hätte bewältigen sollen. Wir zuckeln verträumt Richtung Harbolle Havn. Einmal versuchen wir abzukürzen, indem wir einen sandigen Feldweg fahren. Das geht anfangs noch gut, aber dann verkrautet der Weg zusehends, sodass wir am Ende direkt auf dem Feld über sparrige Weizenstoppel fahren. Selbst das geht mit den fetten Reifen, aber es ist mühsam. Wir machen hernach keine weiteren Abkürzungsversuche mehr und folgen brav der Straße.

    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20 8 9.jpg Ansichten: 96 Größe: 6,28 MB ID: 3097567

    Der Mon-Zeltplatz liegt direkt am Meer und er ist herzallerliebst. Die schmale Zufahrtsstraße windet sich mitten auf dem Platz zu einer weitläufigen Wendeschlaufe. Die wird von allerlei johlendem Kindervolk auf allen nur denkbaren Gefährten als Rennstrecke benutzt. Vorn an der Rezeption gibt’s den passenden Fuhrpark dazu; Räder und Roller in allen Größen und Farben liegen dort wild durcheinander; wer sich einreihen möchte in den fahrenden Kinderstrom, sucht sich einfach das passende Fahrwerk aus. Rings um die peesenden Kinder träumen Zelte und Handtücher im Sommerwind, Töpfe klappern, Eltern schnattern, kochen, lachen und trinken. Was für ein friedvoller, fröhlicher Ort! Wer hier ankommt, hat jegliches Unbill vergessen.

    Wir fahren staunend durch diese Szene und haben den Eindruck, wir träumen das. Mitten in all diesem Treiben, auf einer Wiese zwischen zwei Wohnwagen, steht Micha mit seinem Rad wie versteinert. Ein bisschen wirkt es, als stünde er wirklich seit Stunden schon hier, um wie besprochen, den Platz zu besetzen. Wir begrüßen uns lautstark und freun uns wie wild, dass wir uns wieder gefunden haben. Dann rammeln wir einmal über den ganzen Platz, entscheiden uns nach einigem Hin und Her für ein Stückchen Wiese, das allen genehm ist und endlich endlich lassen wir uns nieder.

    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20 8 10.jpg Ansichten: 113 Größe: 6,78 MB ID: 3097566
    Stef baut das Zelt auf und ich fange an, den Salat zu schnippeln. Micha fährt noch mal los, um was zu essen zu finden. Als er wiederkommt, sind wir bereits fertig mit unserem Mahl und die blaue Stunde naht. Wir sitzen noch bisschen und schwatzen im schwindenden Licht, aber ich verzieh mich dann ziemlich bald ins Zelt. Ich bin ganz schön erschossen heute und nur der Schlaf kann mich retten.
    Zuletzt geändert von Sylvie; 10.12.2021, 01:59.

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    • Sylvie
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      • 20.08.2015
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      #42

      Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20 8 10.jpg Ansichten: 0 Größe: 6,78 MB ID: 3097573
      Zuletzt geändert von Sylvie; 06.12.2021, 15:56.

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      • Ditschi
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        #43
        Wie immer gut beobachtet und lebendig beschrieben. Ich freue mich auf jede Fortsetzung. Und wenn ich selbst eine Gegend einigermaßen kenne, finde ich es spannend, zu lesen, wie ein anderer sie erlebt.
        Ditschi

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        • Sylvie
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          #44
          Zitat von Ditschi Beitrag anzeigen
          Wie immer gut beobachtet und lebendig beschrieben. Ich freue mich auf jede Fortsetzung. Und wenn ich selbst eine Gegend einigermaßen kenne, finde ich es spannend, zu lesen, wie ein anderer sie erlebt.
          Ditschi
          Danke Kai, das freut mich sehr! Und ja, das kann ich mir gut vorstellen, dass man die Sicht des Fremden auf eine Gegend, die man selbst ins Herz geschlossen hat, gerne begrüßt und erwartet. Besonders, wenn man die schönen Dinge wiederfindet.
          Jetzt kommt der nächste Tag. Und ab hier habe ich keine Aufzeichnungen mehr gemacht und schreibe alles aus dem Kopf. Mal gucken, ob's vielleicht bisschen kürzer wird dadurch. :-)

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          • Sylvie
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            #45
            21. August 2021: Der Sommertag, wie schön er war… von Harbolle Havn nach Klintholm Havn
            Boarr… heute haben wir endlich mal Glück mit dem Wetter. Die Sonne scheint uns heiß aufs Zelt, wir springen bestens gelaunt aus unseren Schlafsäcken und frühstücken erst mal ausgiebig gemeinsam mit Micha. Heute gibt’s sogar Brötchen, die haben wir gestern noch an der Rezeption bestellt. Nach langen Gesprächen über Gottes Tierpark und des Lebens Seltsamkeiten, heißt es wieder mal Abschied nehmen. Micha packt seine Sachen und düst davon; er will heute noch die ganze Insel umrunden. Wir nicht. Wir nutzen das schöne Wetter und gehen erst mal baden.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 1.jpg Ansichten: 0 Größe: 6,27 MB ID: 3098526

            Das Wasser ist kalt, klar und quallenfrei. Die Sonne brennt, wir freun uns des Lebens und sehen den Kindern beim Toben zu.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 2.jpg Ansichten: 0 Größe: 5,79 MB ID: 3098527
            Dann irgendwann packt uns die Neugier und wir machen uns auf den Weg. Heut weht uns ein warmer Fön entgegen. Diese Winde sind mir immer die liebsten.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 3.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,13 MB ID: 3098524

            Mon ist, wie alle Inseln, die wir bisher passierten, erstaunlich bergig. Es geht ordentlich hügelan hügelab, von Gehöft zu Gehöft. Aber die Insel ist klein und also sind auch die Felder kleiner. Der Wind kriegt hier keine Gewalt, uns vom Rad zu pusten.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 4.jpg Ansichten: 0 Größe: 8,16 MB ID: 3098528

            Wir fahren heute brav nach Bikeline, mal mehr am Meer entlang, dann wieder rein ins Land in Richtung Stege Nor, einem großen Brackwassersee, wo man hervorragend Hechte angeln kann. Irgendwo unterwegs blinkert mich silbern am Wegrand ne Siggflasche an. Die hat jemand hier stehen lassen, denke ich. Ich fahre so dicht an ihr vorbei, dass ich erkennen kann, wie wenig zerkratzt sie ist – ganz im Gegensatz zu unseren Flaschen, die beseelt sind durch mancherlei Abnutzungsspuren.

            Viele Stunden und eine Brombeerpause später kommt dann die Nachricht von Micha: Er vermisst seine Flasche. Herre… wenn ich mich doch nur erinnern könnte, wo genau das war. Möglicherweise in Bissinge? Wo es Honig und Obst am Straßenrand zu kaufen gab? Vorstellbar wäre es, denn dort hat er haltgemacht, um etwas zu kaufen. Wir diskutieren das heftig am Telefon, aber genaueres kann ich leider nicht sagen; ich weiß nur, dass ich sie sah, nicht aber wo. Immerhin war es unterwegs und nicht auf dem Zeltplatz; vielleicht reicht ihm ja das als Anhaltspunkt, den Weg noch einmal abzufahren. Noch einige Zeit danach, wir fahren schon wieder in Richtung Meer, denke ich drüber nach, dass der Abschied zu früh kommt manchmal und man an und mit einem Menschen noch irgendwas lernen soll. Dann stellt einem das Leben seltsame Dinge in den Weg – wie vergessene Silberflaschen. Ich meine, wir hätten woanders langfahren können, oder ich hätte sie nicht sehen können oder eben auch nicht wahrnehmen, aber die Flasche war silbern, sie blinkte mir förmlich ins Angesicht. Weil eben auch die Sonne schien. Und weil Micha, der insgesamt drei Flaschen mit sich führt ausgerechnet diese, die silberne, am Wegrand stehen ließ… und so und so….


            Inzwischen sind wir in Klintholm Havn angekommen. Hier solls einen wilden Zeltplatz geben. Den wollen wir uns ansehen. Der Ort ist idyllisch, ein altes Fischerdorf mit nettem Hafen und etwas Tourismus drumrum. Und auch der Zeltplatz ist idyllisch, eine kleine Dorf-Wiese gewissermaßen, die zwischen den letzten Wohnhäusern und dem Strandzugang liegt. Hier gibt es ne Feuerstelle, mehrere Holzbänke und eine riesige Hängematte. In die werf ich mich erstmal hinein und lass den Himmel über mir tanzen.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 5.jpg Ansichten: 0 Größe: 7,44 MB ID: 3098529
            Während Stef das Zelt aufbaut, lauf ich kurz rüber zur Surfschule und hol einen Kaffee für uns. Nach dem Kaffee geht’s runter zum Strand, denn Stefan will baden. Wir wollen grade den Platz verlassen, da tauchen weitere Gäste auf. Drei wilde Gesellen in schwarzen Lederklamotten, tätowiert und mit sturmgepeitschten Bärten sind eben auf riesigen Motorrädern angekommen. Ihre Motorradanhänger sind riesige Kisten, die wie Särge auf Rädern anmuten. Die drei Rocker schieben diese Vehikel behäbig auf den Platz und zaubern dann mit großem Tamtam ihr gesamtes Equipment aus diesen Kisten. Das verstreuen sie lärmend auf dem Rest der Wiese.

            Wir trudeln indes runter zum Strand, der auch hier wieder mit schönstem hochzeitsweiß entzückt.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 6.jpg Ansichten: 0 Größe: 6,13 MB ID: 3098525
            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 6a.jpg Ansichten: 0 Größe: 4,31 MB ID: 3098530 Hinten vermutlich die Fähre nach Trelleborg.

            Stef springt schnell ins Wasser, ich beseh‘ mir in der Zeit Himmel und Menschen.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 7.jpg Ansichten: 0 Größe: 2,18 MB ID: 3098539
            Bevor wir uns was zu Essen suchen, will Stefan noch mal zurück zum Zelt. Er ist unruhig wegen der wilden Gesellen, die heute mit uns den Zeltplatz teilen. Das sind doch nur Rocker, beruhige ich ihn. Die sind in der Regel ganz lieb und friedlich, die tun uns nichts. Uns nicht, aber unserem Zelt vielleicht. Das steht zu nah an der Feuerstelle und wenn denen einfällt, ein Feuer zu machen, dann ernten wir häßliche Löcher. Hm… das Zelt ist Stefans Baby. Kein anderer darf es auf- oder abbauen, geschweige denn hegen und pflegen. Ein Loch darinnen käme einem mittleren Weltuntergang gleich. Und bei diesen Wettercapriolen, die wir bisher hier erlebten, will ich das eigentlich auch nicht haben, ne undichte Stelle im Baldachin. Also trotten wir noch mal zurück, räumen alles raus, packen das Zelt dann im Ganzen an und stellen es woanders wieder auf. Die Rocker gucken verdutzt. Was tut Ihr?, wollen sie wissen. Wir erklären es ihnen. Ah ok, sagen sie vorsichtig, sie wirken nicht überzeugt. Bestimmt halten die uns jetzt für ziemlich verkniffen - die Klischees spielen heute mal Bingo auf diesem Platz.

            Wir können uns aber jetzt um die Meinung der Typen nicht weiter kümmern, denn der Hunger treibt uns ins Dorf. Ganz in der Nähe gibt’s ein Restaurant, das peilen wir an. Der Wirt erklärt uns, dass es grad knackevoll ist. Aber Weggehen lohnt sich nicht, meint er freundlich, ich bin der Einzige weit und breit, der hier noch offen hat. Also gut, wir dürfen derweil im Biergarten Platz nehmen und kriegen sogar ein Bier fürs Warten. Die Sonne steht schon recht tief, der Wind hat aufgefrischt, es ist kühl hier draußen. Wir sind froh, als wir endlich hineindürfen, der Laden ist wirklich bis zum letzten Platz besetzt, und hier sitzen wir nun, in der gewohnt ausgelassen lärmenden Dänengesellschaft. Wo haben die nur immer ihre gute Laune her?, frage ich mich. Und dieses Temperament! Nicht dass ich selbst wenig davon hätte, ich fühle mich hier wie unter Meinesgleichen, was das Lachen, Witzereißen und Wildgestikulieren angeht – das Erstaunliche ist, dass man so etwas hier, so weit im Norden, nicht unbedingt erwartet. Die Klischeekiste ist erfolgreich angeworfen und rattert munter weiter in meinem Kopf. Was den Lärmpegel betrifft, komm ich mir vor wie auf Sizilien. Nur dass die Sizilianer sich in beide Richtungen sehr ereifern können und also auch die Klaviatur des Schimpfens, Klagens oder Wetterns in beeindruckend sanguinischer Weise beherrschen. Hier aber lacht man nur. Und lärmt und scherzt. Na jedenfalls genießen wir das alles sehr und das Essen ist wieder mal wunderbar ungesund und oberst lecker.

            Nach dem Essen bummeln wir noch ein bisschen durch den Hafen...

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 10.jpg Ansichten: 0 Größe: 4,90 MB ID: 3098534

            ... und finden auch hier noch zwei drei weitere Restaurants, die auch geöffnet haben. Haha, wir hätten also dort nicht warten müssen, es gibt hier scheinbar nicht nur letzte Zimmer sondern auch letzte Restaurants, die man gerne bemüht, um seine Kunden in der Warteschlaufe zu halten – aber ist jetzt auch egal. Wir sind müde und satt und mehr braucht es auch nicht, um selig zu sein. Die Sonne geht unter.

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            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 9.jpg Ansichten: 0 Größe: 6,07 MB ID: 3098532

            Bevor wir ins Zelt huschen, stiefeln wir noch mal zum Meer, um ihr dabei zuzusehen.

            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 11.jpg Ansichten: 0 Größe: 5,37 MB ID: 3098535
            Und gleichzeitig geht der Mond auf. Vollmond fast. Der Himmel zieht heute alle Register für uns.

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            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 14.JPG Ansichten: 0 Größe: 3,18 MB ID: 3098537
            Als wir zurück zum Zeltplatz kommen, haben die Rocker inzwischen ihre Zelte aufgebaut. Und ich verstehe jetzt auch, warum sie unser Zeltproblem nicht so richtig verstanden. Es stehen drei Kinderzelte auf der Wiese, ein pinkfarbenes mit Barbie drauf, ein hellblaues mit Arielle und ein kleines Spitzdachzelt, das noch aus Zeiten stammt, wo Barbie und Arielle auf ihre Geburt warteten. Diese Hünen von Menschen, mit ihren Lederklamotten und den wilden Bärten werden ganz bestimmt wunderbare Träume von Ken und vom Meer haben. Zumal ihre Füße vermutlich draußen schlafen werden, oder der Kopf, wer weiß. Ich lache laut und lauter. Nette Zelte habt Ihr da, gebe ich ihnen zu verstehen. Jahaha, die Rocker lachen sofort mit. Wir haben‘s nicht so mit Zelten, die sind von unseren Kindern geborgt. Aha, aha, Ihr habt Kinder… Und so kommen wir ins Gespräch.

            Die drei Gesellen laden uns sogleich zu sich an die Feuerstelle ein, wo ein winziges Feuerlein an einem riesigen verkohlten Stamm vor sich hin leidet. Stef geht gleich los, um ein paar Zweige zu finden, dann peppt er das Feuer auf und ist für alle der Held. Ey Stefan, sagen die Lederbehosten, wir probieren hier schon ne halbe Stunde dieses Feuer anzukriegen und Du machst einmal Schnipp und das Ding brennt. Bist Du Superman, oder was? Was sind Deine geheimen Zauberkräfte?


            Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 21 8 8.jpg Ansichten: 0 Größe: 5,43 MB ID: 3098531

            Wie ich gehofft und erwartet hatte, sind auch diese Prachtexemplare der dänischen Spezies ganz besonders lustig drauf und kommunizieren faktisch nur in Witzen, Metaphern und Bonmots. Wir sitzen ne Weile und bequatschen die Parameter. Die drei kommen aus Kopenhagen, sind allesamt brave Unternehmer und Familienväter, aber einmal im Jahr kommt das Rockergen in ihnen raus und schreit nach Beachtung. Dann touren sie mehrere Tage durch die Lande und haben Spaß. Und zu Hause wird in dieser Zeit nicht angerufen, versichern sie mir. Von Corona haben sie in Dänemark nicht sehr viel mitgekriegt, sie sind allesamt geimpft (nach sanftem Druck, ihre Worte) und keiner von ihnen kennt auch nur einen einzigen, der die Krankheit wirklich hatte. Und das in Kopenhagen und nach anderthalb Jahren grassierender Seuche, wie beachtlich. Als wir erzählen, dass wir Corona hatten und mittlerweile auch sehr viele kennen, die die Krankheit durchlaufen haben oder zumindest positiv getestet waren, wollen sie das anfangs gar nicht glauben. Ihr testet zu viel und schert Euch zu viel darum, ist ihr lapidarer Kommentar dazu.

            Dann fragen sie uns, ob die alte Whiskeybar im Hafen noch offen hat. Jawoll, sie hat, wir sind grade dran vorbeigelaufen. Na dann, lasst uns losgehen, Ihr kommt doch mit, oder? Vermutlich wäre das das Schlauste gewesen, denn ich ahne bereits, was diese Nacht noch bringen wird, aber wir sind zu kaputt, um jetzt noch mal loszuziehen. Wir müssen ins Bette, sag ich zu ihnen, wir sind heute 50 Kilometer gefahren. Oh oh, 50 Kilometer, das ist hart, da hätten wir zwischendurch mindestens fünf Pausen machen müssen, um uns die Beine zu vertreten. Wir lachen alle zusammen noch ne Runde miteinander, dann ziehen sie johlend davon. Nun liegen wir hier im Zelt und lesen. Und obwohl ich weiß, dass diese Nacht kurz werden wird, kann ich nicht einschlafen. Oder vielleicht auch grade deswegen.

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Ansichten: 564
Größe: 1,23 MB
ID: 3098533
            Zuletzt geändert von Sylvie; 10.12.2021, 02:41.

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            • Sylvie
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              #46
              22. August 2021: Müde im Sonnenschein
              Die Nacht war wie erwartet ungemütlich. Die drei Rockergesellen entern morgens um drei, ordentlich beklingelt, laut grölend und von zahlreichen unangenehmen Geräuschen begleitet, den Zeltplatz. Irgendwann wird es ruhig für eine Minute, bevor ein wahrhaft ohrenbetäubendes Schnarchen dem allgegenwärtigen Wellenrauschen Konkurrenz macht. Na klar, denke ich, und schiebe mir die Ohrstöpsel bis ins Gehirn, genauso hatte ich mir das vorgestellt. Nach effektiv drei Stunden Schlaf (wenn überhaupt) krieche ich morgens um sieben völlig gerädert aus dem Zelt. Stefan hat gut geschlafen, sagt er. Na dann, kanns ja jetzt losgehen auf die Mon-Klippen, die er sich unbedingt ansehen will.

              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: image_41842.jpg Ansichten: 4 Größe: 7,93 MB ID: 3101497

              Wir packen zusammen. Auch die Rocker kriechen verkatert aus ihren Kinderzelten. Zweie sind noch übrig, einer ist irgendwie verschollen. Keiner sagt was, alle grummeln lautlos vor sich hin. Stefan und ich rühren uns friedlich unser Müsli zusammen, das wir immer mit sehr viel Liebe zubereiten, also Obst und Nüsse mit rein, Milchpulver, Honig und dann heißes Wasser drüber.

              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: image_41839.jpg Ansichten: 8 Größe: 6,39 MB ID: 3101495

              Die beiden Rocker, die am Holztisch Brot und Speck essen, beäugen und kommentieren das interessiert und obgleich ich nicht verstehe, was sie sagen, ahne ich doch, was sie meinen, so nach dem Motto: das sind Gesundheitsfetischisten, die essen Müsli und Bio. Wenn die wüssten, haha. Aber so ist das nun mal mit den Klischees, kaum isste ein Müsli, biste drinnen in der Biokiste.

              Wo ist Euer Kumpel ?, frage ich sie. Ah, der musste schon los, er ist heute früh gleich gefahren. Stimmt. Das Barbiezelt steht gar nicht mehr. Also muss ich ja doch etwas geschlafen haben, sonst hätte ich das gehört. Ein richtiges Gespräch entspinnt sich aber dann nicht mehr zwischen uns, dafür sind alle zu übernächtigt. Ein jeder packt still seine Siebensachen, die beiden Dänen werfen alles in ihre Packsärge und sind entsprechend schneller fertig, wir verabschieden uns freundlich, aber nicht überschwänglich, und dann schwingt ein jeder sich auf sein Zweirad und düst davon. Also die Dänen düsen, und das mit Schmackes. Wir hingegen zuckeln. Die Sonne brennt heute und Mons Klint ist nicht mehr fern. Vor dem Anstieg auf die Steilküste haben uns schon mehrere Leute gewarnt. Nehmt lieber den Bus, hatten sie gesagt, die Steigung dort ist nicht für's Rad gemacht. Ich selbst würde die berühmten Kreidefelsen am liebsten ganz weglassen, so müde und fertig bin ich. Stefan hat für heute in einer Bikerpension kurz vor Stege ein Zimmer bekommen – dorthin würde ich, wenn‘s nach mir ginge, auf kürzester Strecke fahren und dann einfach nur noch schlafen. Aber es geht nicht nach mir. Stefan will dieses Highlight unbedingt ansehen und also füge ich mich.

              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: image_41840.jpg Ansichten: 5 Größe: 6,92 MB ID: 3101470

              Der Anstieg auf der Straße ist zunächst moderat, erst als wir nach rechts in den Steilküstenwald einbiegen, wird es zusehends steiler und am Ende ist es ganz schön happig. Die letzten paar Meter schiebe ich. Und freue mich dann, dass wir schon oben sind. Viele Autos stehen hier auf dem Parkplatz, aber Menschen sehen wir zunächst nur wenige. Die sind wahrscheinlich alle im GeoCenter-Museum verschwunden. Eigentlich wollten wir uns das auch ansehen, aber dann sehen wir von außen, wie voll es da drinnen ist und so verzichten wir auf dieses Highlight. Stattdessen begeben wir uns gleich auf den zauberhaften Holzsteg, der uns oberhalb der Kreideklippen durch wilde Buchenwälder führt.

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              Ab und zu erhaschen wir tatsächlich einen Blick auf weiße Steine, die ihre Hälse stolz wie Schwäne aus dem dichten Laubwerk strecken.

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              Wir müssten vermutlich nach unten, um die ganze Pracht der Felsen zu erfassen. Aber wir klemmen uns das und besehen uns stattdessen, den eindrucksvollen Offshore-Windpark der mit 72 Windrädern der größte in Skandinavien ist. Er wird von Klintholm Havn betrieben und kann den jährlichen Stromverbrauch von 600.000 dänischen Haushalten abdecken. Das alles lesen wir auf den Hinweistafeln und sind beeindruckt. Die Insel Mon ist mit seinen 9000 Einwohnern also erstmal bestens versorgt.

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              Irgendwo hinter den Windrädern, noch weiter im Süden liegt Hiddensee und von dort aus werden wir nur zwei Wochen später, Mon noch einmal durchs Fernglas wie ein Schemen erkennen können. Mon, das erfahren wir auf Hiddensee, war für DDR-Bürger in der Tat die Insel der Träume. Denn Hiddensee war die Aussteiger-Insel schlechthin. Hier tummelten sich jeden Sommer, vom fürsorglichen Vater Staat wohl überwacht doch geduldet, die Verrückten und Geächteten, die Künstler und Freidenker, die politisch Verfolgten, die unangepassten Widerständler, die subversiven Elemente, die Feinde des Sozialismus – sie alle kamen jeden Sommer und feierten wilde Partys am Strand. Manche stiegen wirklich aus und blieben das ganze Jahr oder für immer. Und einige stiegen noch wirklicher aus und machten sich auf den Weg nach Mon, die legendäre Insel der Träume im Staate Dänemark. Hier gab es zwar jeden Abend Grenzpatrouillen am Strand, aber keine Mauer und keine Mauerschützen. Hier gab es nur das Meer als wilde Barriere. Und das war nicht zu unterschätzen.

              Meine Recherchen auf Hiddensee ergaben: Ein paar tausend Ostdeutsche versuchten zwischen 1961 und 89 mit Segel- oder Schlauchboten und sogar auf Surfbrettern nach Mon oder Gedser zu kommen. Mehr als 4000 von ihnen wurden dabei entdeckt und ins Gefängnis gesteckt. Etwa 600-900 (die Zahlen variieren in den Quellen) gelang der Ausbruch über das Baltische Meer. Und 189 Personen starben bei diesem gefährlichen Unterfangen. Erik Jensen, der Hafenmeister von Klintholm Havn erinnert sich an die Gescheiterten: „Wenn unsere Fischer zwischen Møn und Rügen das Schleppnetz hochholten, lagen manchmal Leichen zwischen den Fischen. Ich kann mich an zwölf Tote erinnern. Wir brachten sie hier an Land und übergaben sie dem gerichtsmedizinischen Institut in Kopenhagen. Dort wurden sie untersucht und als unbekannte Personen begraben. Wir wussten nicht, woher sie kamen. Ostdeutschland hat uns keine Vermisstenmeldungen geschickt. Aber es wurden nirgendwo so viele Leichen aufgefischt wie zwischen Rügen und Møn.“

              Das ist ein Teil der Geschichte, der im Schatten der Mauertoten, bisher noch zu wenig beleuchtet worden ist. Aber zurück zum Geschehen: Das alles wissen wir natürlich noch nicht, als wir hinüber zum Offshore Windpark schauen, den wir Wochen später von der anderen Seite betrachten werden, aber mein Bericht aus zeitlicher Ferne erlaubt diesen Abstecher auf Nebenschauplätze und also gehe ich ihn. Nach eingehender Betrachtung der Felsen, die mir weniger beeindruckend scheinen, als ihr Pendant auf Rügen – und meine Müdigkeit ist hier wohl der Hauptgrund dafür, heute kann ich mich für nichts richtig begeistern, außer für Betten - schlendern wir zurück zum GeoCenter, denn hier gibt’s ein Café mit einer sehr idyllisch auf einem Hügel gelegenen Sonnenterasse. Wir kaufen uns Kaffee und Küchlein, brezeln uns in die wärmende Sonne und beobachten das vielerlei Volk, das jetzt von überall her auf den Hügel rauscht. Die meisten kommen aus dem Museum, als wäre hier ein riesiges Tor aufgegangen, das all die fleißigen Besucher in einem Schwall nach draußen befördert. Wir besehn uns die schnatternden Massen noch zehn Minütchen, dann geben wir unseren Platz frei und schlendern gemütlich zu unseren Rädern.

              Den Rückweg fahren wir, anders als Bikeline empfiehlt, auf dem N8, der uns mit steilem Gefälle quer durch den Buchenwald führt, was mich leise an den Gendarmenstieg erinnert. Dann düsen wir auf stimmungsvollen und wunderbar sonnigen Alleen immer bergab über Magleby bis wir in Borre auf die Hauptstraße der Insel treffen. Stefan will einen Abstecher an die Nordküste machen und dort in Meeresnähe nach Stege fahren, aber ich will das nicht. Ich will heute eigentlich nur noch ankommen und schlafen. Also fahren wir straßenbegleitend neben der Hauptstraße, was zugegebenermaßen kein sonderlich schöner Weg ist, denn der Verkehr ist anständig und es gibt wenig Schatten. Stefan grummelt, ich grummele, wir hatten schon bessere Laune auf dieser Tour, selbst an Regentagen.

              In Elmelunde schimmert ein weißes Kirchlein im flirrenden Sommerlicht.

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              Das sehen wir uns an und entdecken voll Freude, dass es im Innern ein Kleinod ist. Reich mit bunten Fresken bemalt lädt es uns ein zum Schauen und Staunen.

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              Wir rasten kurz auf einer Friedhofsbank und bemerken dann, dass es an diesem Ort der Stille auch ein stilles Örtchen gibt, wo wir sogar unsere Flaschen wieder betanken können.

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              Und das scheint Usus hier zu sein, wie wir später beglückt feststellen. Von Elmelunde ist es nicht mehr weit bis zu unserem Hotel Stege Nor, das direkt am Steger Haff liegt und mir endlich die ersehnte Ruhe verspricht.

              Das Hotel ist ein seltsames größeres Gebäude, von dem ich gerne wüsste, wofür es früher benutzt worden ist. Das gesamte Haus ist von außen mit Holzschindeln eingekleidet. Es liegt idyllisch inmitten von Wiesen am träumenden Haff. Vor dem Hotel fragt uns ein Däne, wo wir unsere Motoren versteckt hätten, die Frage haben wir schon öfter hier gestellt bekommen. Ich tippe nur auf meine Oberschenkel und sage Biomotor, was bei meinem Gegenüber erstauntes Gelächter auslöst. Das Innere des Hauses wirkt auf den ersten Blick wie ne Mischung aus Jugendherberge und Wohnzimmer. An eine geräumige Küche schließt sich wandlos der Speisesaal mit großen Fenstern auf eine schöne Terrasse. Alles ist zauberhaft in helles Kiefernholz gekleidet, das jetzt freundlich in der Nachmittagssonne erstrahlt. In der Küche sitzt der Besitzer, ein junger, großgewachsener, sportlicher Typ an seinem Laptop. Home Office, meint er zu uns, als wir eintreten. Ok, das Hotel betreibt er also nebenbei, oder seinen Job als Programmierer betreibt er nebenbei. Oder beides betreibt er nebenbei, denn eigentlich ist er ein passionierter Radfahrer, wie wir von ihm erfahren. Wir bequatschen mit ihm kurz die Einzelheiten, dann holen wir unsere Packtaschen.

              Unser Zimmer im 1. Stock mit Blick auf das Haff ist eher altmodisch eingerichtet, aber sehr zauberhaft und gemütlich.

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              Den Haffblick haben wir mitgebucht.

              Während ich erst mal dusche und ein paar Sachen wasche, stellt Stef unser Zelt auf der Wiese zum Trocknen auf. Dann kommt er hoch und drängelt, er will jetzt nach Stege in den Ort laufen und dort was zu essen finden. Ich aber will heute nirgends mehr hin und auch nichts mehr essen. Wir streiten deswegen, einigen uns dann darauf erst mal ne Runde zu schlafen und danach loszugehen. Aber auch nach der kurzen Ruhe fühle ich mich eher noch erschöpfter und zu keinen weiteren Aktivitäten in der Lage. Stefan zieht letztlich alleine los. Nach einer Weile kommt er zurück mit ein paar Lebensmitteln, die er gekauft hat und wir essen halbversöhnt und halbzerstritten auf dem Balkon im letzten Abendlicht. Herrje, was für ein trüber verlorener Tag. Ausgerechnet auf Mon, der absolut zauberhaftesten Insel, die wir bisher sahen, muss uns eine schlaflose Nacht die Freude an ihren Schönheiten rauben.
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              Zuletzt geändert von Sylvie; 20.12.2021, 16:34.

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              • Karlsson
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                #47
                Ich sehe nur ein Bild, das letzte.

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                • Sylvie
                  Erfahren
                  • 20.08.2015
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                  #48
                  Zitat von Karlsson Beitrag anzeigen
                  Ich sehe nur ein Bild, das letzte.
                  Danke für den Hinweis Karlsson. Ich hab's jetzt versucht, zu beheben. Siehst Du die Bilder jetzt?

                  LG Sylvie

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                  • Karlsson
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                    #49
                    Hallo Sylvie, ja, jetzt sehe ich sie alle und sogar doppelt im Anhang. Danke!

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                    • Sylvie
                      Erfahren
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                      #50
                      Zitat von Karlsson Beitrag anzeigen
                      Hallo Sylvie, ja, jetzt sehe ich sie alle und sogar doppelt im Anhang. Danke!
                      Ja haha... dieses Programm kann einen uschig machen. Eigentlich hätte ich den gesamten Beitrag neu setzen müssen, aber dazu war ich zu faul. Und weil ich auch noch zu ungeduldig war und immer glaubte, es hätte sich hier alles aufgehängt, habe ich die Bilder doppelt und dreifach hochgeladen. Nu ja... vielleicht bereinige ich das ganz am Schluss noch mal. Jetzt will ich aber erst mal irgendwie zum Ende kommen mit meinem Bericht.
                      LG Sylvie

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                      • Sylvie
                        Erfahren
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                        #51
                        23. August 2021: Nach Seeland
                        Wir schlafen lange und gut, aber am Morgen fühl ich mich immer noch wie gerädert. Aber wird schon werden, das Rad wird mir schon die nötige Frische einstanzen, hoffe ich. Das Frühstück im Stege Nor ist übersichtlich, sodass wir zweimal nach etwas mehr Brot und Wurst fragen. Das ist kein Problem, der Hotelchef, der eigentlich Radfahrer ist, sitzt nebenan in der Küche am Laptop und arbeitet. Er bringt uns das eilfertig und ignoriert dabei das Franzosenpärchen, das gerade gekommen ist und ratlos wie wir, ein fast leeres Büfett in Augenschein nimmt. Na, die Franzosen werden das schon schaukeln, wir frühstücken eilig und schwingen uns heiter aufs Rad.

                        Stege ist ein zauberhafter kleiner Ort mit einem kreisrunden (aber jetzt leeren) Wassergraben, der den mittelalterlichen Stadtkern umschließt. Auch Reste von der Stadtmauer und das alte Mühlentor sind noch vorhanden. Wir fahren einmal drumrum um den Kern und besehen uns dann im Inneren der Mauern die große romanische St. Hans Kirke.

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                        Zwischendurch versuch ich mal wieder telefonisch ein Bett für uns in Vordingborg zu kriegen, denn dort wollen wir heute pausieren. Es klappt, wieder das letzte Zimmer, sagt der Betreiber. Also dann, lasst uns die Insel verlassen und nach Seeland rüber demmeln. Der Weg bis Koster ist nur teilweise angenehm. Er führt hauptsächlich neben der großen Hauptstraße entlang, aber es gibt auch nur wenige Alternativen hier und heute machen wir keine Spirenzchen, den Meeresblick kriegen wir schon noch von der Brücke aus.

                        Vor der Querung des Sunds allerdings habe ich ein bisschen Angst; zu präsent sind mir die Erinnerungen an unsere letzte Dammtour auf die Insel hinauf. Ich möchte das eigentlich in dieser Form nicht noch mal erleben und befürchte, dass alle Wege nach Mon zumindest für Radfahrer nur mit Stress zu bewältigen sind. Aber Entwarnung: Die Dronning Alexandrines-Brücke erhebt sich, schön wie ein fliegender Schwan, über den Ulvsund. Und diese Schönheit schließt mit ein, dass sie einen gut abgetrennten und ansehnlich breiten Streifen für Radfahrer mit sich führt.

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                        Wir lassen die malerische Bucht aber rechts von uns liegen und fahren sobald wir Seeland erreichen scharf links auf den Bikeline-Weg, der uns kurz darauf etwas weiter ins Landesinnere führt. Auf dem ersten Hügel, im Schatten einer weißen Kirche mit Blick auf Brücke und Sund rasten wir erst mal und genießen die Aussicht.

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                        Unten an der Hauptstraße hält gerade der Schulbus und spuckt ein halbes Dutzend Kinder aus seinem puckernden Leib. Die stürmen fröhlich den Hügel hinan, um in ihr Dorf zu kommen. Schulweg anderthalb Kilometer, konstatiert Stefan knapp. Die Dänenkinder dürfen noch was tun für ihre Gesundheit. Wir besichtigen die Kirche...

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                        ... und strampeln dann weiter hügelan, hügelab durch liebliche Dörfchen, Felder und Wäldchen. Irgendwann ziehts uns dann doch wieder mehr an die Küste und wir verlassen Bikeline, um durch endlose Buchenwälder zu fliegen.

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                        Es ist warm heute, wir pausieren erneut an einem zauberhaften Badeplatz und springen kurz ins Wasser. Das Meer weist hier einen friedlichen Haff-Charakter auf und mutet eher wie ein größerer See an.

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                        Wir bleiben auch danach so lange es geht in Küstennähe und durchfahren ein Gebiet aus immerwährenden schrebergartenartigen Feriensiedlungen, durchbrochen von Wiesen und Buchenwäldchen.

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                        • Sylvie
                          Erfahren
                          • 20.08.2015
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                          #52
                          Immer noch 23. August 2021: Vordingborg
                          Vordingborg begrüßt uns mit seiner prominenten Burgruine, die mitsamt ihrem Gänseturm hoch über der Stadt thront.

                          Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 23 8 15.jpg Ansichten: 41 Größe: 7,42 MB ID: 3103521
                          ​​
                          Hier, also in der Burg, nicht unbedingt im Turm, wurde 1353 Dänemarks berühmte Königin Margarethe I. geboren, unter deren Ägide sich Schweden, Dänemark und Norwegen zur Kalmarer Union formierten. Ihr Vater war König Waldemar IV. (nicht der berühmte große Waldemar I.) und Kong Valdemar heißt auch unser Hotel, was direkt neben der Burg, gleich am Beginn der Fußgängerzone thront. Wir schangeln uns durch ungewohnt dichten Verkehr, die Stadt hat etwa 12.000 Einwohner, direkt auf die Burg zu und finden Kong Valdemar ziemlich sofort. Von außen sieht das Haus ziemlich heruntergekommen aus, scheint aber, dem Blick nach innen zu urteilen, früher mal rauschende Zeiten gehabt zu haben. Auf dem Weg zur Rezeption erhasche ich einen Blick in einen pompösen Ballsaal mit Marmorsäulen, glänzenden Lüstern und schweren hellblauen Samtvorhängen.

                          Der jetzige Besitzer ist mit seinem dunklen Teint zwar eindeutig kein Nordländer; die hier übliche Freundlichkeit und den bissigen Witz beherrscht er aber ohne Tadel. Er empfängt mich sehr freundlich und erklärt mir, dass wir unsagbares Glück gehabt hätten, denn wir haben zwar nicht sein bestes Zimmer bekommen, aber sein letztes. Echt jetzt? Ich muss fast lachen, als ich diesen Spruch zum zweiten Mal höre. Kennt der den Typen vom Ebsens oder ist das hier in Dänemark so ein allgemeiner Spruch, der von Hoteliers gerne benutzt wird, um ihre Gäste auf’s Äußerste vorzubereiten? Ich bin gespannt, antworte ich lachend, und das ist die pure Wahrheit. Wir machen schnell das Geschäftliche klar und dann fahren wir die Räder zum Hintereingang, wo wir sie auf dem Hotelparkplatz anschließen können.

                          Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 23 8 16.jpg Ansichten: 40 Größe: 6,68 MB ID: 3103520

                          Der Parkplatz ist ziemlich groß und riesig ist auch das Hotel. Von der Vorderseite unentdeckt schlummern nach hinten raus mehrere miteinander verbundene Neubauten, die zusammengenommen ein ähnlich unentflechtbares Gewirr aus Gängen und Trakten bilden wie das Ebesens Hotel in Maribo. Auf dem Weg nach oben halten wir den Atem an; wir sind in der Tat gespannt, was uns erwartet und rechnen mit einer grusligen Bruchbude. Aber die Brüchigkeit hält sich in Grenzen; wie gut, dass wir Schlechtes erwarteten, so konnten wir wenigstens positiv überrascht werden. Es riecht zwar etwas seltsam hier drinne und alles ist alt, aber immerhin brauchbar und zweckdienlich. Wir wechseln in Windeseile die Kleider und spornen uns für den Gang in die Stadt. Der Hunger treibt uns an.

                          Vordingborg schien uns eben noch belebt, aber nun ist es schon wieder halb sechse und die Stadt verfällt in die hier typisch dänische Abendstarre. Wenig Menschen auf den Straßen, alle Läden haben bereits geschlossen.

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                          Es gibt genau zwei Restaurants in unmittelbarer Nähe; bei dem einen werden wir aus uns nicht erkennbaren Gründen nicht bedient, nach 30 Minuten Wartezeit, in der man uns mit konstanter Boshaftigkeit ignorierte, trollen wir uns von hier und suchen stattdessen das andere auf. Stef hatte hier nicht hingewollt, es ist ein muslimisch betriebenes Restaurant und hier gibt es kein Bier. Nun sitzen wir doch darinnen und genießen plaudernd das unverschämt gute Essen samt Nachtisch. Das Bier gibt’s im Anschluss in der Kneipe nebenan, wo man wie gewohnt Billard und Flipper spielt und sehr viel blauen Dunst fabriziert. Die Dame hinterm Tresen, blondbezopft, tätowiert und mit einer Lederweste bekleidet, kriegt einen Teil meiner Bewunderung ab; ich mag Menschen, die mir wild und unabhängig deuchen. Wir schlürfen das Bier vor der Tür, weil‘s uns drinnen zu rauchig ist. Und wir trinken es schnell, denn die Sonne sinkt und es wird frisch in Vordingburg.

                          Zum krönenden Abschluss des Tages klettern wir noch aufs Burggelände, bestaunen den imposanten Gänseturm, der auf der Turmspitze statt eines Hahnes eine güldene Gans befestigt hat. Man munkelt, Kong Valdemar wollte damit die Hanse verspotten, gegen die er mehrfach in Kriege gezogen ist. Allerdings wurde diese Gans hier erst lange nach seinem Tod an der Turmspitze befestigt. Nun ja, Geschichtsschreibung hat eben auch viel mit Geschichtenerzählen zu tun. Der Großteil der Burg ist nur noch in Mauern vorhanden. Auf denen lässt es sich trefflich sitzen und auf den Hafen hinabschauen.

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                          Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 23 8 19.jpg Ansichten: 42 Größe: 5,30 MB ID: 3103515

                          Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 23 8 20.jpg Ansichten: 38 Größe: 6,60 MB ID: 3103517

                          Das tun wir ausgiebig, bevor uns die Abendkühle wieder nach unten ins Hotel treibt. Das Hotel hat unserer Meinung nach seinen Namen nicht verdient und also benennen wir’s kurzerhand um in King Voldemort.

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                          Zuletzt geändert von Sylvie; 03.01.2022, 23:50.

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                          • Sylvie
                            Erfahren
                            • 20.08.2015
                            • 361
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                            #53
                            24. August 2021: Kein Glück in Naestved
                            Im King Voldemort gibt’s leider kein Frühstück für uns, sodass wir uns in der Stadt nach etwas Passendem umsehen müssen. Ich habe gestern ganz in der Nähe einen kleinen Bagel-Laden entdeckt, hier kehren wir ein, um uns fürstlich zu befrühstücken. Der Laden öffnet erst um zehn, wir müssen noch ne halbe Stunde warten. Also setzen wir uns raus in die Sonne und betrachten von hier aus das Stadtleben. Das ist nicht sonderlich quirlig um diese Zeit, wenig Menschen, wenig Verkehr, eine gähnende Stadt im Morgenrock.

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                            Nach diesem Frühstücksrausch in die Gänge zu kommen, fällt uns schwer. Ich brauche eine ganze Weile, ehe ich mich wieder freigestrampelt habe. Heute geht’s erst mal Naestved. Dort gibt’s ein Hotel so lieblich wie ein warmer Sommertag, das Hotel Kirstine. Das wäre mir ein Traum, dort nächtigen zu dürfen. Aber bisher haben wir kein Glück. Ich habe schon zweimal angerufen, doch Kirstine zeigte uns die kalte Schulter. Es gibt weitere lockende Herbergen dort, Naestved ist mit 44.000 Einwohnern die größte Stadt in der Gegend, aber auch hier finden wir nirgends noch ein freies Zimmer. Na egal, erst mal sind wir unterwegs und die Sonne scheint. Wir fahren zunächst eine längere Strecke immer neben der Hauptstraße entlang. Links von uns blinkt uns manchmal der Dybsofjord an, rechts von uns Felder, Felder, Felder. Puh… langsam werde ich dänemarkmüde. Es ist hier alles zauberhaft und wenn das Wetter gut ist, so wie heute, dann erst recht, aber nach 11 Tagen immergleichen Ambientes habe ich langsam genug und berate mit Stef die ein oder andere Ausstiegsmöglichkeit. Nach Flensburg ist es noch weit, wir müssen uns langsam um den Rückweg kümmern. Wir rasten kurz an einer urigen Imbissbude direkt am Fjord und trinken Kaffee hier...

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                            ... dann trudeln wir weiter bis nach Egesborg, wo wir uns mehr Richtung Küste und auf kleinere Straßen begeben.

                            Dieses Gebiet zwischen Dybso- und Karrebaekfjord kommt uns verträumt und verwunschen vor. Wir sehen lange Zeit keine Dörfer mehr, nur einzelne Gehöfte, die einsam zwischen riesigen Feldern hocken.

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ID: 3104318

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                            Der kühle Trunk frischt uns die Seele auf. Danach geht es wacker voran. In der Ferne grüßt uns munter der Karrebaekfjord.

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                            Auf unserer Seite hingegen wird das Gelände park- und sogar freizeitparkähnlich, es gibt viele Bänke, Skaterbahnen, allerlei Kurzweil und viele Menschen, die hier durch die letzten Sommerstrahlen flanieren. Am Ende des Kanals beginnt unverzüglich die Stadt, wir sind sofort mittendrin, der Verkehr ist mehrspurig mit fetten Ampelkreuzungen und beachtlichen Autokolonnen. Drüben, auf der anderen Seite dieses für uns ungewohnt unübersichtlichen Straßenkonstruktes winken uns schmucke Häuser und die riesige St. Peters-Kirche zu. Dort wollen wir hin, ein bisschen das alte Zentrum anschauen und das Hotel Kirstine suchen – ich will noch mal persönlich fragen, ob sie nicht doch ein Zimmer… ??? Beim Überqueren der Straßen bin ich wieder mal erstaunt, wie rücksichtsvoll die dänischen Autofahrer mit Radfahrern umgehen, selbst wenn wir uns verfransen, sie warten geduldig ab, bis wir unseren Weg gefunden haben, sie lassen uns vorfahren und winken uns in allen erdenklichen Situationen hinüber und herüber. Die Raser auf dem Damm nach Mon waren die absolute Ausnahme gewesen.

                            Kirstine empfängt uns im rotweißen Dirndl und ist genauso liebreich, wie auf den Booking-Fotos versprochen, ein Fachwerkhaus mit vielen Nebengelassen, die Balken sind dunkelkirschrot geschminkt. Wir erwischen das Hotel bei der Hinterpforte, die einen weitläufigen Garten vom Rest der Welt separiert. Hier gibt es kleine Brunnen, geschmackvoll umpflanzt, und allerlei zauberhafte Nischen unter Sonnenschirmen, in denen sich Gäste in edelstem Zwirn tummeln. Vermutlich gibt's hier eine Hochzeit oder höheres, aber ich wage dennoch den Eintritt. Da ich zum Hintereingang rein bin, muss ich mich durch mehrere verschlungene Restaurantabteilungen arbeiten. Erst kommt die Veranda, dann der verglaste Teil der Veranda, dann ein Jagdzimmer und dann, vorbei an einem Festsaal, ein normaler Speisesaal. Alles hier sieht aus wie in einem Märchenschloss, romantisch verschnörkelte Nussholzmöbel, riesige Blumenarrangements in jeder freien Ecke, Silberkübel, Kerzenhalter, Seidentapete. Wunderbar. Verschwitzt und braungebrannt, mit wirren Haaren, aber leuchtenden Augen, und in Hosen, die den Unterhosen meines Mannes gleichen, schiebe ich mich durch die duftende Menschenmenge. So plauze ich (nahe der Rezeption) mitten in einen Sektempfang. Ich ernte erstaunte Blicke aber noch viel mehr freundliches Lachen, die Dänen lassen sich auch durch tollkühne Radfahrer nicht aus der guten Laune bringen. Die Rezeptionistin ist sehr freundlich, sagt mir aber heute zum dritten Mal, dass leider kein Zimmer mehr verfügbar ist. OK, es soll halt nicht sein, dass wir an diesem wundersamen Ort die Nacht verbringen werden. Ich bedanke mich artig und trete wieder durch alle Säle, Gaststuben und Veranden den Rückzug an. Nix, sag ich zu Stefan und auch er bedauert das; der Blick in den Garten allein reicht aus, um hier verweilen zu wollen.

                            Dann fahren wir etwas bedrückt durch die schöne Innenstadt, die durch schöne Plätze besticht und uns sehr viel belebter vorkommt, als alle Plätzen zusammen, die wir bisher besuchten.

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                            Im Restaurant Vivaldi gönnen wir uns zum Trost einen Kaffee mit Eis und schmieden einen Alternativplan aus.

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ID: 3104320

                            Es gibt Zeltplätze in der Nähe, etwa 20 Kilometer von hier, direkt am Fjord. Die steuern wir an auf gut Glück. Auf dem Weg aus der Stadt schauen wir noch im Vinhuset vorbei und fragen auch hier nach freien Betten. Aber Fehlanzeige, es gibt hier weder letzte noch nicht beste Zimmer, die Stadt scheint einfach komplett ausgebucht. Also gut, dann eben wieder im Zelt.

                            Der weitere Bikeline-Weg führt direkt am Fjord entlang, diesmal aber auf der anderen Seite. Wir umfahren die hier ansässigen Industrieanlagen weitläufig, bevor wir auf einen exzellenten Radweg einbiegen, der hier über lange Strecken zwischen Straße und Waldrand verläuft. Der Weg scheint zu anderen Zeiten stark genutzt zu sein, eventuell als Arbeitsweg, denn an einer Stelle gibt’s sogar einen Kreisverkehr für Radfahrer. Mit drei verschiedenen Ausgängen. Wir staunen nicht schlecht, als wir das sehen und drehen auf dem Kreisel gleich eine Extrarunde. Selbstredend sind wir allein hier, aber die Vorstellung, dass hier zu Hochzeiten dutzende Radfahrer langfahren, die sich alle brav im Kreisverkehr einordnen, gefällt mir.

                            Nach den letzten Häusern der Zivilisation gibt’s hier wieder nur noch die Straße, den Wald und uns. Ab und zu lichten sich die Bäume und lassen etwas Raum für den Rest der Landschaft: weite Wiesen, dahinter der Fjord. Hier in den Hügeln gibt’s eine Golfschule. Ungefähr 20 Eleven jeglichen Alters und Geschlechts stehen brav in einer Reihe und üben gemeinsam den Aufschwung. Zirr - zirr - zirr - die Bälle schwirren weit ins Land und landen verloren irgendwo im Gras. Dann kommt die nächste Batterie Bälle in ihre Halter, der Trainer gibt das Signal zum Aufschwung und wieder zirrt und zurrt es konzertant durch die dänische Fjordluft. Wir verweilen ein Zeitchen am Rande und sehen dem seltsamen Treiben zu, dann schickt uns der beginnende Regen wieder auf’s Rad. Der erste Zeltplatz ist unser, hatten wir ausgemacht. Wenn es hier nichts gibt, nehmen wir den zweiten. Der Campingplatz heißt zum Weißen Schwan und gleich an der Einfahrt begrüßt uns ein gleichnamiges Restaurant, das einen sehr verwegenen und mittelalterlichen Eindruck macht. Dunkelschwarzes Holz, ein Dreiseitenhof, im Inneren ein riesiger Kamin und robuste Bierbänke, ebenfalls aus dunklem Holz. Leider ist es geschlossen, die Saison ist hier schon vorbei. Direkt hinter dem Restaurant stehen ein paar leere Blockhütten – das bringt uns auf eine Idee. Wir könnten doch hier in den Hütten…?? Dann müssen wir das Zelt nicht aufbauen. Das wollen wir gleich mal versuchen.

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ID: 3104325
                            Die Rezeption ist nicht besetzt, auf einem festgeklebten Pappteller an der Tür gibt’s aber ne Telefonnummer. Das Gespräch mit dem Betreiber gestaltet sich schwierig, da der Empfang hier sehr schlecht ist. Die Hütten sind eigentlich schon zu, sagt der Mensch, aber wenn wir keine Bettwäsche verlangen, kann er uns eine vermieten. Juchu, ich triumphiere innerlich, muss mich aber dann wieder auf das Gespräch konzentrieren, weil man nun von mir wissen will, wie lange wir duschen wollen. Wir nehmen zweimal sechs Minuten entscheide ich spontan und schon ist die Sache beschlossen. Nach einer halben Stunde kommt eine alte Frau zur Rezeption gelaufen und bringt uns den Schlüssel. Dankbar ziehen wir ein.

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ID: 3104323

                            Stefan fährt noch mal los, um in der Nähe was zu essen zu finden, ich mache mich los Richtung Waschhaus. Der Zeltplatz ist ziemlich groß, es gibt abenteuerliche Spielplätze hier und ein zauberhaftes Schwimmbad mit Innen- und Außenbecken. Und hinten rauscht ewig das Meer. Die sanitären Anlagen sind allererste Qualität, ein bisschen gruslig zwar, denn sie bestehen aus einer riesigen Halle mit gefühlt hundert weißen Türen. Keine Menschenseele ist hier zugegen, auch das Schwimmbad ist leer. Die Luft hier drinnen ist neblig-dunstig. Ich tappe hier ganz alleine durch die Halle, es ist offenbar grad keine Duschzeit in Dänemark, und denke mir so, dass dies der perfekte Ort für einen Mord ist. Es wäre ritschratsch ganz schnell geschehen, niemand sähe oder hörte etwas, erst danach wär das Geschrei groß. Noch unter der Dusche spinn ich die Story weiter, aber leider sind meine Duschmarken zu früh verbraucht, als dass ich sie hätte zu Ende denken können.

                            Inzwischen hat es aufgehört zu regnen, sodass ich die Sachen zum Trocknen auf die Balustrade hängen kann. Stef kommt zurück und wir stürzen uns erst mal hungrig zu Tisch. Zum Kochen haben wir keine Lust, also gibt es Brot mit allerlei Drum und Dran. Dann sitzen wir friedlich auf der Terrasse, trinken heißen Tee und schauen den Wolken beim Umherziehen zu.

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Größe: 5,48 MB
ID: 3104324
                            Morgen soll es schon wieder stürmisch werden. Und es wird Regen geben.

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                            • Sylvie
                              Erfahren
                              • 20.08.2015
                              • 361
                              • Privat

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                              #54
                              25. August 2021: Wir schummeln uns nach Korsor
                              Schon am Morgen sagt uns der Blick aus dem Fenster: Es wird ungemütlich. Oder eigentlich ist es das schon. Dicker Platzregen, stürmischer Wind, wir frühstücken gleich erst mal im Haus und nicht auf der Terrasse. Aber ich habe über Nacht eine Lösung gefunden. Wir fahren heute einfach mal nicht Rad, wir nehmen den Zug bis Korsor. Stefan guckt sich den Himmel an und nickt. Dänemarks weite Felder mögen bei Sonnenschein gut zu ertragen sein, aber bei Regen sind sie das nicht. Wir packen eilig zusammen und düsen in allerfeinstem Regenschleier zurück nach Naestved, finden den Bahnhof und dann geht das Abenteuer los.

                              Der Ticketautomat erzählt uns zunächst, dass wir für die Räder reservieren müssen, wegen Corona und so. Man kann sich aber zwecks der Platzreservierung leider nicht einfach durchs Menü hangeln, man muss das telefonisch tun. Also gut, ich rufe da an und lande in einer dänischen Warteschlaufe, á la, wenn Sie das wollen drücken sie die 1, wenn sie das nicht wollen, drücken sie nicht die 1. Ich verstehe natürlich nur Bahnhof und lege genervt auf. Ratlos stehen wir vor dem Automaten. Mein Vorschlag: Wir hangeln uns jetzt durch das Menü, kaufen, was wir kaufen können und wenn das nicht reicht, wird uns der Schaffner das schon mitteilen. Stefan ist nicht begeistert und fürchtet hohe Strafen, aber ich erinnere ihn daran, dass wir bisher ticketmäßig noch nie Probleme hatten und die Dänen das auf den Fähren zumindest immer recht lax gehandhabt hatten. In irgendeinem Nebenmenü finden wir dann sogar Fahrradkarten, die wir kaufen, aber wir sind uns nicht sicher, ob das alles reicht, denn wir fahren einmal mit der Regionalbahn und einmal mit dem IC.

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: image_43238.jpg Ansichten: 11 Größe: 6,17 MB ID: 3105964
                              Das nächste Problem winkt alsbald, der Zugang zum Bahnsteig ist nur über steile Treppen möglich, die keine Fahrradrampe besitzen. Uns verwundert das. Im Lande der Radwege und Radzuvorkommenheit gibt es ein solches nicht? Gerade als wir uns anschicken wollen, es zu versuchen und unsere Räder die steilen Treppen hochzuwuchten – ich meine, nach dem Gendarmenstieg kann uns fast kein Gelände mehr schrecken – macht uns ein freundlicher Herr darauf aufmerksam, dass es eine extra Brücke zu den Bahnsteigen gibt. Mit vielfach wendender Radrampe nach oben und Fahrstühlen nach unten auf die Bahnsteige. Ah, Gottseidank, diese Hürde wäre also auch geknackt.

                              Der Interregio hat ein Fahrradabteil, das wir postwendend aufsuchen wollen, aber leider ist dieser Waggon schon mit einer Schulklasse im Ausflugmodus besetzt. Die machen keine Anstalten, aufzustehen, als wir unsere dicken Gefährte dort hineinschieben. Auch die Lehrerin der Klasse sieht hier keinen Handlungsbedarf und lässt ihre Teenager gewähren. Also gut, die jungen Leute sitzen auf den Klappsessel an den Seitenwänden des Abteils; wir stellen unsere Räder einfach vor die zappelnden Schülerfüße und uns selbst stellen wir dicht daneben. Eine Stange zum Festhalten findet sich, fahren wir also die erste Strecke im Stehen. Das wird mir gar nicht langweilig, weil es wieder mal interessant ist, die Teenager zu beobachten. Wer hat das Sagen, wer eher nicht? Wie interagieren sie? Was machen sie für Dummheiten? Und wie ist ihre Ausrüstung, es geht wohl auf eine mehrtägige Fahrt, alle haben Schlafsäcke mit. Das alles ist mir ein willkommener Quell der Abwechslung und Information. In Slagelse müssen wir raus und stellen mit Schrecken fest, die Hammelherde hier schickt sich ebenfalls an, auszusteigen. Jetzt rede ich doch mit der Lehrerin und frage sie, ob wir zuerst aussteigen können, damit wir den Anschlusszug nach Korsor nicht verpassen. Aber die Frau ist ganz entspannt. Wir wollen auch nach Korsor sagt sie zu mir. Keine Angst, der Zug wartet auf uns.

                              Und so ist es dann auch. Im IC reisen wir etwas entspannter, denn wir sind alleine im Fahrradabteil. Der Schaffner kommt und taxiert mich regelrecht mit seinen stahlblauen Augen, guckt auf die Karten, guckt wieder auf mich. Ist alles in Ordnung?, frage ich bang. Er schweigt, guckt wieder alles durch, und dann sagt er freundlich: Ja, alles ok. Ich bin irritiert von diesen dänischen Beamten. Entweder, er wollte uns verunsichern, wie der Käpt‘n der Bogo-Fähre, oder wir haben zu viel bezahlt und er hatte keine Lust, uns das zu erklären oder wir haben zu wenig bezahlt und er hatte ebenso keine Lust, das weiter zu verfolgen. Am Bahnhof in Halsskov, einem Vorort von Korsor, springen wir aus dem Zug und machen uns los Richtung Zeltplatz. Ach ja, ich habe noch gar nicht davon gesprochen, wo wir heute übernachten wollen. Auf einem Zeltplatz, wie angedeutet, aber nicht im Zelt, sondern wieder in einer kleinen Hütte, die sogar mit Klo und Dusche ausgestattet ist. Der Platz liegt direkt am Meer und zwar am Fuße der Store Baelt-Brücke, die Seeland mit Fünen verbindet.

                              Der Zeltplatz ist eher klein und wirkt etwas verrumpelt, aber die Stimmung hier direkt an der Brücke ist eine ganz besondere. Ein beständiges Summen schwebt über dem Platz. Das kommt von den Autos, die unablässig den Belt überqueeren. Die Luft ist erfüllt von Sehnsucht, man möchte immerzu fort von hier, am besten fliegend durch Himmel und Wolken.


                              Die Schlafhütten sind recht komfortabel.

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: image_43236.jpg Ansichten: 11 Größe: 3,49 MB ID: 3105961

                              Auf kleinstem Raum hat man hier Bad und Küche, einen kleinen Chillbereich und sechs Schlafplätze untergebracht. Während wir einziehen, stell ich mir vor, wie die Halbgroßfamilie der Olsenbande hier den Sommer verbringen würde.

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: image_43237.jpg Ansichten: 9 Größe: 2,64 MB ID: 3105963

                              Wir leeren ein paar Taschen und machen uns los in die Stadt, um einzukaufen. Das schlechte Wetter ist hier noch nicht angekommen, wir fahren durch einen Mix aus Sonnenschein und Nieselregen, zunächst am Strand entlang, später aber als die Wege uns zu sehr versanden, wieder auf der Straße. Korsor hat etwa 14.000 Einwohner und ist ein beschauliches Städtchen mit wieder mal schöner Innenstadt – überhaupt haben wir hier nie Städte gesehen, die uns irgendwie hässlich dünkten, nur verlassen wirkten sie oft.

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 25 8 4.jpg Ansichten: 0 Größe: 5,65 MB ID: 3106004

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: image_43241.jpg Ansichten: 7 Größe: 6,11 MB ID: 3105967

                              Wir checken erst mal die Restaurant-Lage hier, es gibt nicht sehr viele und sie öffnen nach 3G. Zum ersten Mal auf dieser Reise müssen wir nachweisen, dass wir gesund sind, zumindest was Corona betrifft. Wir überlegen, ob wir dann nicht doch lieber kochen, aber keiner von uns beiden hat wirklich Lust darauf. Also gut, erst mal gehen wir einkaufen, denn unser Jeden-Tag-Vorrat für den Fall, dass wir keine Bleibe finden, ist restlos aufgebraucht. Gleich neben dem Supermarkt gibt’s ein Testzentrum, das besuchen wir jetzt, damit wir ins Restaurant einreiten können. Im Gegensatz zum letzten Mal ist man in diesem Zentrum freundlich und kompetent, nach kurzer Zeit ist unsere Gesundheit bewiesen und wir dürfen essen gehen. Und das keine Minute zu spät, denn es fängt fürchterlich an zu regnen, sodass wir regelrecht hineinhechten in die gute Stube.

                              Das Essen ist gewohntermaßen ausgezeichnet, das Bier schmeckt herrlich, wir sitzen lange hier und schwatzen und beraten, wie es weitergehen soll. Nach einigem Hin und Her beschließen wir, unsere Reise an dieser Stelle zu beenden. Knapp 500 Kilometer sind wir gefahren, nun haben wir uns erst mal sattgesehen an Feldern und Wäldern, Orten und Menschen, und am tobenden Meer, das uns immer das liebste war auf unseren Wegen. Mein Vorschlag, mit den Rädern morgen in den Zug zu steigen und bis nach Flensburg zu fahren, findet bei Stefan jedoch wenig Zustimmung. Dieses ewige Gebuckle auf die Bahnsteige und in die Züge, wir müssen mehrmals umsteigen, und dann die Unsicherheit mit den Radfahrkarten – das alles hält ihn davon ab, von diesem Plan begeistert zu sein. Stattdessen offeriert er mir Folgendes: Er läuft morgen zum Bahnhof, fährt alleine nach Flensburg und kommt dann mit dem Auto zurück. Ich kann indessen einen ganzen Schreibtag einlegen und nachholen, was ich bisher versäumte. Hm… das klingt für mich ziemlich verlockend. Wir beschließen das kurzerhand und machen uns fröhlich auf den Heimweg.

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: image_43243.jpg Ansichten: 6 Größe: 5,35 MB ID: 3105969
                              Marinestützpunkt in Korsor

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: image_43244.jpg Ansichten: 6 Größe: 5,70 MB ID: 3105981

                              Der Regen ist vorbei und die Sonne macht sich langsam bettfertig.

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Ansichten: 164
Größe: 2,46 MB
ID: 3106006

                              Wir fahren zurückzu wieder am Strand entlang und erleben eine atemberaubende Sicht auf die Brücke, die sich 13 Kilometer lang über den großen Belt von Seeland bis nach Fünen schwingt.

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Ansichten: 163
Größe: 5,30 MB
ID: 3106008

                              Bis dorthin freilich können wir nicht gucken; vielmehr scheint die Brücke irgendwo im Nirgendwo zu enden. Sie verschwindet im Nebel und verschmilzt mit dem Abendrot.

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 25 8 11.jpg Ansichten: 0 Größe: 6,38 MB ID: 3105415
                              Dort, wo sie hinführt, könnte ein ganz wunderbarer Ort sein, kein irdischer Ort, eher so ein bisschen das Himmelreich, wo es kein Leid und keine Widersprüche gibt.

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 25 8 12.jpg Ansichten: 0 Größe: 5,72 MB ID: 3105414
                              Aber! Entwicklung und Veränderung ist nur möglich, wo verschiedene Welten aufeinandertreffen, wo Unterschiede sind und Ungerechtigkeiten, Diskussionen und Debatten, Diskurs und Gegensätze, wo man sich Brücken bauen muss (und will), um gemeinsam an all diesen Dingen und aneinander zu wachsen.

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 25 8 13.jpg Ansichten: 0 Größe: 2,53 MB ID: 3105412
                              Diese Brücke ist für mich ein Zeichen der Hoffnung. Der Mensch ist in der Lage riesige Brücken über Meere und Täler zu bauen – da sollte doch der kurze Weg zu unseren Mitmenschen unsere leichteste Übung sein.

                              Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 25 8 14.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,56 MB ID: 3105413
                              Angehängte Dateien
                              Zuletzt geändert von Sylvie; 09.01.2022, 17:53.

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                              • Annette666
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                                • 15.12.2020
                                • 6
                                • Privat

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                                #55
                                Vielen Dank für deinen schönen Reisebericht, ich habe hier sehr gerne mitgelesen.

                                Grüße, Annette

                                Kommentar


                                • Stani
                                  Neu im Forum
                                  • 10.01.2022
                                  • 1
                                  • Privat

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                                  #56
                                  Liebe Sylvia, ich bin immer wieder begeistert von Deinen Berichten. Sie sind so lebendig und interessant geschrieben, so dass selbst ich als Wenigleser keinen Bericht von Dir verpasse. Danke für Deine Mühe und liebe Grüße auch an Stefan.

                                  Stani

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                                  • Ditschi
                                    Freak

                                    Liebt das Forum
                                    • 20.07.2009
                                    • 12392
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                                    #57
                                    Zu Ende? Schade, ich hätte gerne weiter gelesen. Wenn ich die kleinen Städte mit ihren malerischen Häfen sehe, packt mich die Sehnsucht. Dort am Meer ist es überall schön.
                                    Ditschi

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                                    • Sylvie
                                      Erfahren
                                      • 20.08.2015
                                      • 361
                                      • Privat

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                                      #58
                                      Zitat von Annette666 Beitrag anzeigen
                                      Vielen Dank für deinen schönen Reisebericht, ich habe hier sehr gerne mitgelesen.

                                      Grüße, Annette
                                      Vielen Dank Annette! Ich freue mich immer, wenn es andere freut.

                                      LG Sylvie

                                      Kommentar


                                      • Sylvie
                                        Erfahren
                                        • 20.08.2015
                                        • 361
                                        • Privat

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                                        #59
                                        Zitat von Stani Beitrag anzeigen
                                        Liebe Sylvia, ich bin immer wieder begeistert von Deinen Berichten. Sie sind so lebendig und interessant geschrieben, so dass selbst ich als Wenigleser keinen Bericht von Dir verpasse. Danke für Deine Mühe und liebe Grüße auch an Stefan.

                                        Stani
                                        Na herrlich mein Lieber! Ich überlege, ob ich noch ein Fazit schreibe.... Dann hast Du noch mal was zu lesen. :-) Grüß bitte Conni schön von mir!

                                        Sylvie

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                                        • Sylvie
                                          Erfahren
                                          • 20.08.2015
                                          • 361
                                          • Privat

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                                          #60
                                          Zitat von Ditschi Beitrag anzeigen
                                          Zu Ende? Schade, ich hätte gerne weiter gelesen. Wenn ich die kleinen Städte mit ihren malerischen Häfen sehe, packt mich die Sehnsucht. Dort am Meer ist es überall schön.
                                          Ditschi
                                          Hallo Ditschi,
                                          der Abreisetag wäre noch übrig, da ist aber nicht mehr viel passiert. Bis auf die beeindruckende Fahrt über die Store-Belt-Brücke und vorbei an dieser winzigen Insel, auf der in den 60er Jahren die liederlichen Mädchen gefangen gehalten und zwangssterilisiert wurden. Auch das freie, liberale Dänemark hat Schattiges hinter sich. Aber vielleicht sind diese dunklen Epochen ja Voraussetzung dafür, dass es dann demokratisch und frei zugeht. Der Mensch muss es immer erst in die eine Richtung übertreiben, ehe er nachhaltig draus lernt und die andere Richtung einschlägt.

                                          Danke, dass Du dabei warst. Es hat Spaß gemacht, mit Dir zu reisen.

                                          LG Sylvie


                                          Editiert vom Moderator
                                          Realname gegen Username getauscht. Bitte Realnamen nur verwenden wenn diese vom Nutzer selbst offen im Forum genutzt werden.

                                          Bei Nachfragen bitte eine PN an den Moderator senden. Dein Team der
                                          Zuletzt geändert von ApoC; 23.01.2022, 09:08.

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