Tourentyp | |
Lat | |
Lon | |
Mitreisende | |
Hallo Leute, hier mal was anderes, da ich gerade einen Vortrag für diese Tour vorbereite. Im Herbst 2014 war ich zwei Monate mit dem Fahrrad im südlichen Sibirien unterwegs: vom Baikalsee über das Sajangebirge nach Tuwa und schließlich noch bei Wintereinbruch bis in den zentralen Altai. Diese Linie zu ziehen wurde jedoch nur möglich durch den zwischenzeitlichen Umstieg auf ein Packraft, denn von den Bergen des Ostsajans hinab nach Tuwa gab es über hunderte Kilometer keinerlei Wege. Für zwei Wochen war also "Bikerafting" angesagt – mit dem Rad auf dem Boot, bis wieder ein Fahrweg auftauchte...

Die Reiseroute mit den interessantesten Abschnitten: Bikerafting I, Bikerafting II, Tannu-Track, Altai-Track
Diese Tour war im Jahr vor dem sechswöchigen Treidel-Rafting-Abenteuer zum Ochotskischen Meer, worüber ich hier im Forum schon ausführlich geschrieben habe (die letzten Kapitel folgen noch). Sie war sozusagen die Vorgängertour, auf der ich meine erste Raftingerfahrung in der Wildnis Sibiriens sammelte, allerdings noch in Kombination mit einer gewohnten Radtour. Auf diese Weise hat glaub ich noch keiner den Sajan überquert...

Ich hatte vor einem Jahr mal einen Reisebericht angefangen, ihn aber leider nie zu Ende geschrieben. Vielleicht motiviert mich ja der Post hier im Forum zu einer Vervollständigung...
Motivation, Idee und Plan
Radreisen in ferne Länder sind schon seit vielen Jahren meine Leidenschaft. Doch das Fahrrad selbst ist für mich nur Mittel zum Zweck, um auf maximal unabhängige Weise die für mich interessanten Regionen zu erkunden. Motorisiert reisen ist mir zu schnell und distanziert, zu Fuß mit allem Gepäck auf dem Rücken wiederum zu langsam und auf Dauer auch zu beschwerlich. Geliebäugelt hatte ich aber immer wieder mit Bootstouren, nur war mir die Anschaffung eines Bootes (ich wollte immer ein Faltkanu) lange Zeit zu teuer. Also blieb ich beim Fahrrad.
Meine bevorzugten Reiseziele sind seit mehr als zehn Jahren Russland, Sibirien und Zentralasien. Von Beginn an hatte mich der Osten in den Bann gezogen: die rauhe Natur, das einfache Leben, der offene Menschenschlag... Ich wollte immer in die entlegensten Ecken und dafür nahm ich auch schlechte Wege in Kauf. Ob schlammige Pisten in der sibirischen Taiga, steinige Tierpfade im kirgisischen Tienschan oder verwehte Schneemobilspuren in der russischen Arktis – meine Devise war: wenn man will, kommt man mit dem Rad überall durch... Nun ja, nicht überall, irgendwo sind natürlich Grenzen gesetzt. Leider meist dort, wo es am interessantesten wird.

Offroad-Passage im kirgisischen Tienschan - mit einem Großteil des Gepäcks auf dem Rücken, ließ sich das Rad leichter schieben und tragen
Da war zum Beispiel diese Idee, den Sajan und Altai im südlichen Sibirien zu durchqueren – und zwar in einem Ritt von Ost nach West auf eigene Faust. Allerdings bereitete mir ein bestimmter Abschnitt lange Zeit Kopfzerbrechen, denn der direkte Übergang von Burjatien nach Tuwa hat keine Fahrwege. Ein riesiges Gebiet unzugänglicher Taiga liegt hier zwischen zwei Stichstraßen, die von beiden Seiten schon recht weit in die Bergwildnis des Ostsajans hineinreichen. Dazwischen allenfalls ein paar Trapperpfade und das auf einer Länge von etwa 200 km. Auf einer derart langen Strecke ein bepacktes Rad offroad durch die Taiga zu zerren, kam für mich nicht in Frage, zumal auch nicht rauszukriegen war, in welchem Zustand die Pfade sind und wo genau sie langführen.
Wie also da durch? Die Antwort kam, als ich zwei Jahre zuvor auf das Thema Packrafting stieß. Die Möglichkeit, auch Wasserwege mit in die Routenplanung einer Radtour einzubeziehen, warf ein ganz neues Licht auf mein Vorhaben. Ein Packraft würde mir als Radreisenden plötzlich das Überwinden von unüberwindbar erscheinenden Wildnisregionen ermöglichen. Ich legte mir ein Alpacka-Raft zu – genaugenommen das Modell Explorer 42 (vergleichbar mit dem neuen MRS Adventure X2). Dieser Packrafting-Zweier erfüllte genau meine Ansprüche, da er in der Solonutzung locker mit allem beladen werden kann: Fahrrad, Ausrüstung für vier Jahreszeiten und Proviant für mehrere Wochen. Insofern hatte ich mich damit schon für ein richtiges Expeditionsraft entschieden, mit dem ich richtig lange autark unterwegs sein kann. Ein paar mehrtägige Probetouren in Polen (Dunajec, Pilica, Pliszka, Drawa) haben mich letztlich überzeugt, es auch in abgelegenen Gebieten Sibiriens einzusetzen.

Erstes "Bikerafting" auf dem Fluss Dunajec an der Grenze Polen-Slowakei
Der Plan war nun, den wegelosen Part von Burjatien nach Tuwa mit einer Flussfahrt zu verbinden. Doch es gab mehrere Varianten in Ost-West-Richtung: Belin – Kyzyl-Hem – Ka-Hem / Kl. Jennissei (südliche Route), Bij-Hem / Gr. Jennissei (mittlere Route) und Izig-Sug – Hamsara (nördliche Route). Ich bat Robtrek, einen erfahrenen Russlandrafter hier aus dem Forum, um Rat und bekam den Tipp, dass die nördliche Variante über den Fluss Hamsara die einfachste sei. Zumindest hätten die anderen Varianten zwischenzeitlich anspruchsvolles Wildwasser der Klasse IV und V, was viel Erfahrung und ein dafür taugliches Raft voraussetzt – beides hatte ich nicht, denn der Explorer ist nur für Wildwasser bis Klasse III konzipiert, entsprechend war auch meine Erfahrung. Aber auch für die nördlichen Route gab es Hinweise auf mögliches Wildwasser der Klasse IV, das zumindest deuteten einige Internetberichte russischer Rafter an, vor allem wenn man bedenkt, dass ein Wildwasser der Klasse III aus der Perspektive eines Katamarans durchaus auch Klasse IV für ein kleineres Packraft bedeuten kann. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich es wagen sollte, immerhin wäre es mein erstes Wildnisrafting, dazu noch im Alleingang. Doch dann schaute ich mir ein paar Youtube-Videos an, um einen Eindruck von der Flussdynamik der Hamsara zu bekommen, übersetzte mit Google-Translator eine knappe Beschreibung der Route und versuchte die dort erwähnten kritischen Stellen sowie alle in den Google-Satbildern erkennbaren Stromschnellen bestmöglich auf den von mir vorbereiteten topographischen Karten im Maßstab 1:100.000 zu verorten – und fasste den Entschluss, es doch zu wagen...
Der lange Weg zum Fluss
Ende August ging es los. Von Irkutsk radelte ich zunächst entlang der stark befahrenen Trasse M55 zur Südspitze des Baikalsees und von dort auf einer etwa 400 km langen Stichstraße direkt in den Ostsajan. Leider bin ich nicht so gut vorangekommen wie geplant, hatte ich doch ziemlich viel Gepäck dabei und in den Beinen anfangs noch zu wenig Kraft. Als sich meine Leistung dann allmählich der täglichen Belastung angepasst hatte, gab es jedoch grobe Schotterpiste, auf der ich kaum mehr als 10 km/h fahren konnte...

Fernstraße M55

Fischverkauf am Baikalsee

Im Tunka-Tal

Nach neun Tagen erreichte ich Orlik, das letzte Dorf mit Einkaufsmöglichkeit vor der nun folgenden Wildnisetappe und deckte ich mich mit Proviant für die nächsten drei Wochen ein. Es gab mehrere Magazine, so dass ich fast alles bekam, was ich brauchte, nur auf Brot musste ich verzichten. Anschließend ging es durch das idyllische Sentsa-Tal dem Gebirgspass nach Tuwa entgegen. Ein schamanischer Totem markierte den Abzweig. Drei Tage folgte ich einer einfachen Erdpiste, die bis fast an den 1900 m hohen Pass Choigan-Daban heranführt und dann in einen Wanderpfad übergeht. Steinig war der Aufstieg, steil der Abstieg. Damit ich das Rad an schwierigen Stellen leichter schieben, ziehen oder tragen konnte, hatte ich einen Teil meines Gepäcks in einem Rucksack auf dem Rücken. Ich stieg hinab in eine herrlich wilde Taiga, wie aus russischen Märchen. Auf burjatischer Seite dominierte noch die Lärche, hier war es nun die Pinie, oft auch mit Flechten bewachsen, was den Waldcharakter viel sibirischer machte.

Piste durchs Sentsa-Tal


Pass an der Grenze Burjatien-Tuwa

Nur wenige Kilometer unterhalb des Passes gelangte ich an ein paar heiße Mineralquellen, die zu einer Art Wellnessanlage mit mehreren Blockhütten ausgebaut wurden. Hunderte kunstvoll geschnitzter Holzschildchen zeugen von einem regen Besuch seit vielen Jahrzehnten. Jetzt im September war ich hier jedoch allein, gönnte mir ein ungestörtes Bad in einer der Banjas und zog weiter. Entlang des Flusses Arzhan-Hem kämpfte ich mich durch zunehmend unwegsame Taiga talabwärts. Wurzeln über Wurzeln und etliche umgestürzte Bäume blockierten den Pfad, dass ich selbst mit abgepacktem Rad kaum noch vorwärts gekommen bin, am zweiten Tag schaffte ich mit Mühe gerade mal 5 km... Eigentlich wollte ich den Oberlauf des Flusses noch umgehen, da dieser aufgrund des markanten Gefälles viel Wildwasser hat, doch unter diesen Umständen entschied ich mich, bei der nächstbesten Gelegenheit auf das Boot umzusteigen. An einer ausgetretenen Einatzstelle, die im Sommer offensichtlich auch von russischen Raftern genutzt wird, rollte ich schließlich mein Packraft aus, füllte es mit Luft, demontierte das Rad, verpackte die Ausrüstung strategisch gut sortiert in wasserdichte Säcke und belud das Boot mit allem.

Banja an den Mineralquellen


Bootsaufbau
Wildwasser und Gegenwind (Izig-Sug)
Obwohl der Fluss noch ein Flüsschen war, verlangte er ständige Aufmerksamkeit. Immer wieder gab es ruppige Abschnitte mit starker Strömung, dann flache Stellen, über die ich mein Boot ziehen musste und mehrfach querliegende Bäume, die entweder umgangen oder über- bzw. unterquert werden mussten. Im Großen und Ganzen gab es aber keine ernsthaften Hindernisse, da offenbar auch hier regelmäßig Paddler durchkommen und bereits einige Baumsperren freigesägt waren. Als der Arzhan-Hem in den Izig-Sug überging, wurde es für eine Weile ruhiger. Stille in totaler Abgeschiedenheit umgab mich, umrahmt von wilder Taiga und grandiosen Bergkulissen. Seit einigen Tagen schon hatte ich keine Menschen mehr getroffen. Größere Tiere bekam ich aber auch nicht zu Gesicht, trotz mehrerer Russlandreisen bin ich noch nie einem Bären begegnet.
Adrenalin, als die ersten Stromschnellen auftauchten – genau an jener Stelle wie ich sie anhand der Satbilder lokalisierte und in mein Kartenmaterial einzeichnete. Ich hatte kein GPS dabei, wusste aber immer wo ich war. Navigation per Karte war schon immer meine Leidenschaft und wird es wohl auch bleiben. Es gab viel Steinkontakt, auf einigen bin ich auch mal sitzen geblieben. Aber die Umfahrung der größeren, aus dem Wasser schauenden Felsen ging ganz gut, dafür war das Boot trotz Beladung mit rund nahezu 70 kg Gepäck und mir noch wendig genug. Meine Befürchtung, solche Abschnitte am Ufer umgehen zu müssen, entpuppte sich als unbegründet. Zudem war das Rauschen des wilden Wassers in der Regel schon weithin hörbar, daher kam es auch nie überraschend auf mich zu und ich hatte jedes Mal genug Zeit, mir den Trockenanzug komplett überzuziehen. Bei teils nur 5 Grad Wassertemperatur und der steten Gefahr des Kenterns war der auch unverzichtbar.

Arzhan-Hem

Izig-Sug

Im weiteren Verlauf ging es dann aber richtig zur Sache: Schwelle an Schwelle, über einige Kilometer pausenloses Wildwasser, teilweise doch etwas heftiger, als zu Beginn und dann tatsächlich mal ein kritischer Moment, als mein Boot an einen Felsen gedrückt wurde und ruck zuck voll lief... Dabei rutschte mein bisher noch nicht gesicherter Schlafsack heraus, der nun plötzlich Anstalten machte, davonzuschwimmen. Glücklicherweise konnte ich alle losen Teile schnell greifen, das Boot wieder in die Strömung lenken und mich mit allem in ruhigeres Wasser treiben lassen, ohne dass irgendwas abhanden gekommen war. Fortan befestigte ich jedes einzelne Teil am Boot, auch Trinkflasche und Wischlappen, denn was im Wildwasser einmal herausfällt, ist weg – für immer.
Gekentert bin ich kein zweites Mal, aber vollgeschwappt ist mir das Boot noch mehrfach. Dann musste ich kurz anlanden, um es auszukippen. Zu lange konnte ich mit dem eingefangenen Wasser nicht paddeln, da es einerseits die Wendigkeit des Bootes reduzierte, andererseits auch langsam in die Packsäcke eindrang und die Ausrüstung einweichte, so auch einmal den Schlafsack und die in eine Kapuze eingewickelte Spiegelreflex. In der hoch stehenden Mittagssonne ließ sich aber alles wieder trocknen.


Umtragestelle an einer Treibholzblockade
An den Abenden wurde es rasch kalt und in den Nächten gab es regelmäßig Frost mit Tiefstwerten bis -7 Grad. Der klare Sternenhimmel faszinierte, in Burjatien zeigte sich noch kontrastvoll die Milchstraße, jetzt erhellte der zunehmende Mond mehr und mehr die nächtliche Landschaft. Als ich nach drei Tagen auf dem Wasser endlich den Zufluss des Choigan-Hem erreichte, traf ich auf eine elfköpfige Männergruppe, die hier für 18 Tage Angel- und Jagd-Urlaub machte. Sie hatten sich und ihre komplette Ausrüstung mit Helikopter einfliegen lassen und waren sichtlich erstaunt, hier draußen einen paddelnden Radfahrer zu treffen. Natürlich wurde ich eingeladen und durfte auch ein wenig vom selbst gebrannten Vodka probieren, den sie kübelweise auf Vorrat hatten...

Bis zu den Seen Ustju-Deerlig-Hol und Aldy-Deerlig-Hol war es nun nicht mehr weit. Ruhiges Wasser und spürbarer Gegenwind machten die Überquerung nicht einfach. Mit viel Mühe schaffte ich gerade mal 1 km/h, auf Dauer unmöglich zu halten, ein Schlauchboot ist einfach zu windanfällig. Sobald ich stoppte, trieb ich sofort zurück... Da das Seeufer begehbar war, schraubte ich kurzerhand mein Rad zusammen und versuchte zu Fuß weiterzukommen. Doch schon nach anderthalb Kilometern war Schluss und so stieg ich wieder um aufs Boot. Letztendlich nutzte ich die Abend- und Morgenflaute, um vorwärts zu kommen, es war die einzige Chance.

Ustju-Deerlig-Hol - bis zum Mittag herrschte noch Windstille

Aldy-Deerlig-Hol - hier ging nur noch Treideln am Ufer

Die Reiseroute mit den interessantesten Abschnitten: Bikerafting I, Bikerafting II, Tannu-Track, Altai-Track
Diese Tour war im Jahr vor dem sechswöchigen Treidel-Rafting-Abenteuer zum Ochotskischen Meer, worüber ich hier im Forum schon ausführlich geschrieben habe (die letzten Kapitel folgen noch). Sie war sozusagen die Vorgängertour, auf der ich meine erste Raftingerfahrung in der Wildnis Sibiriens sammelte, allerdings noch in Kombination mit einer gewohnten Radtour. Auf diese Weise hat glaub ich noch keiner den Sajan überquert...

Ich hatte vor einem Jahr mal einen Reisebericht angefangen, ihn aber leider nie zu Ende geschrieben. Vielleicht motiviert mich ja der Post hier im Forum zu einer Vervollständigung...
Motivation, Idee und Plan
Radreisen in ferne Länder sind schon seit vielen Jahren meine Leidenschaft. Doch das Fahrrad selbst ist für mich nur Mittel zum Zweck, um auf maximal unabhängige Weise die für mich interessanten Regionen zu erkunden. Motorisiert reisen ist mir zu schnell und distanziert, zu Fuß mit allem Gepäck auf dem Rücken wiederum zu langsam und auf Dauer auch zu beschwerlich. Geliebäugelt hatte ich aber immer wieder mit Bootstouren, nur war mir die Anschaffung eines Bootes (ich wollte immer ein Faltkanu) lange Zeit zu teuer. Also blieb ich beim Fahrrad.
Meine bevorzugten Reiseziele sind seit mehr als zehn Jahren Russland, Sibirien und Zentralasien. Von Beginn an hatte mich der Osten in den Bann gezogen: die rauhe Natur, das einfache Leben, der offene Menschenschlag... Ich wollte immer in die entlegensten Ecken und dafür nahm ich auch schlechte Wege in Kauf. Ob schlammige Pisten in der sibirischen Taiga, steinige Tierpfade im kirgisischen Tienschan oder verwehte Schneemobilspuren in der russischen Arktis – meine Devise war: wenn man will, kommt man mit dem Rad überall durch... Nun ja, nicht überall, irgendwo sind natürlich Grenzen gesetzt. Leider meist dort, wo es am interessantesten wird.

Offroad-Passage im kirgisischen Tienschan - mit einem Großteil des Gepäcks auf dem Rücken, ließ sich das Rad leichter schieben und tragen
Da war zum Beispiel diese Idee, den Sajan und Altai im südlichen Sibirien zu durchqueren – und zwar in einem Ritt von Ost nach West auf eigene Faust. Allerdings bereitete mir ein bestimmter Abschnitt lange Zeit Kopfzerbrechen, denn der direkte Übergang von Burjatien nach Tuwa hat keine Fahrwege. Ein riesiges Gebiet unzugänglicher Taiga liegt hier zwischen zwei Stichstraßen, die von beiden Seiten schon recht weit in die Bergwildnis des Ostsajans hineinreichen. Dazwischen allenfalls ein paar Trapperpfade und das auf einer Länge von etwa 200 km. Auf einer derart langen Strecke ein bepacktes Rad offroad durch die Taiga zu zerren, kam für mich nicht in Frage, zumal auch nicht rauszukriegen war, in welchem Zustand die Pfade sind und wo genau sie langführen.
Wie also da durch? Die Antwort kam, als ich zwei Jahre zuvor auf das Thema Packrafting stieß. Die Möglichkeit, auch Wasserwege mit in die Routenplanung einer Radtour einzubeziehen, warf ein ganz neues Licht auf mein Vorhaben. Ein Packraft würde mir als Radreisenden plötzlich das Überwinden von unüberwindbar erscheinenden Wildnisregionen ermöglichen. Ich legte mir ein Alpacka-Raft zu – genaugenommen das Modell Explorer 42 (vergleichbar mit dem neuen MRS Adventure X2). Dieser Packrafting-Zweier erfüllte genau meine Ansprüche, da er in der Solonutzung locker mit allem beladen werden kann: Fahrrad, Ausrüstung für vier Jahreszeiten und Proviant für mehrere Wochen. Insofern hatte ich mich damit schon für ein richtiges Expeditionsraft entschieden, mit dem ich richtig lange autark unterwegs sein kann. Ein paar mehrtägige Probetouren in Polen (Dunajec, Pilica, Pliszka, Drawa) haben mich letztlich überzeugt, es auch in abgelegenen Gebieten Sibiriens einzusetzen.

Erstes "Bikerafting" auf dem Fluss Dunajec an der Grenze Polen-Slowakei
Der Plan war nun, den wegelosen Part von Burjatien nach Tuwa mit einer Flussfahrt zu verbinden. Doch es gab mehrere Varianten in Ost-West-Richtung: Belin – Kyzyl-Hem – Ka-Hem / Kl. Jennissei (südliche Route), Bij-Hem / Gr. Jennissei (mittlere Route) und Izig-Sug – Hamsara (nördliche Route). Ich bat Robtrek, einen erfahrenen Russlandrafter hier aus dem Forum, um Rat und bekam den Tipp, dass die nördliche Variante über den Fluss Hamsara die einfachste sei. Zumindest hätten die anderen Varianten zwischenzeitlich anspruchsvolles Wildwasser der Klasse IV und V, was viel Erfahrung und ein dafür taugliches Raft voraussetzt – beides hatte ich nicht, denn der Explorer ist nur für Wildwasser bis Klasse III konzipiert, entsprechend war auch meine Erfahrung. Aber auch für die nördlichen Route gab es Hinweise auf mögliches Wildwasser der Klasse IV, das zumindest deuteten einige Internetberichte russischer Rafter an, vor allem wenn man bedenkt, dass ein Wildwasser der Klasse III aus der Perspektive eines Katamarans durchaus auch Klasse IV für ein kleineres Packraft bedeuten kann. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ich es wagen sollte, immerhin wäre es mein erstes Wildnisrafting, dazu noch im Alleingang. Doch dann schaute ich mir ein paar Youtube-Videos an, um einen Eindruck von der Flussdynamik der Hamsara zu bekommen, übersetzte mit Google-Translator eine knappe Beschreibung der Route und versuchte die dort erwähnten kritischen Stellen sowie alle in den Google-Satbildern erkennbaren Stromschnellen bestmöglich auf den von mir vorbereiteten topographischen Karten im Maßstab 1:100.000 zu verorten – und fasste den Entschluss, es doch zu wagen...
Der lange Weg zum Fluss
Ende August ging es los. Von Irkutsk radelte ich zunächst entlang der stark befahrenen Trasse M55 zur Südspitze des Baikalsees und von dort auf einer etwa 400 km langen Stichstraße direkt in den Ostsajan. Leider bin ich nicht so gut vorangekommen wie geplant, hatte ich doch ziemlich viel Gepäck dabei und in den Beinen anfangs noch zu wenig Kraft. Als sich meine Leistung dann allmählich der täglichen Belastung angepasst hatte, gab es jedoch grobe Schotterpiste, auf der ich kaum mehr als 10 km/h fahren konnte...

Fernstraße M55

Fischverkauf am Baikalsee

Im Tunka-Tal

Nach neun Tagen erreichte ich Orlik, das letzte Dorf mit Einkaufsmöglichkeit vor der nun folgenden Wildnisetappe und deckte ich mich mit Proviant für die nächsten drei Wochen ein. Es gab mehrere Magazine, so dass ich fast alles bekam, was ich brauchte, nur auf Brot musste ich verzichten. Anschließend ging es durch das idyllische Sentsa-Tal dem Gebirgspass nach Tuwa entgegen. Ein schamanischer Totem markierte den Abzweig. Drei Tage folgte ich einer einfachen Erdpiste, die bis fast an den 1900 m hohen Pass Choigan-Daban heranführt und dann in einen Wanderpfad übergeht. Steinig war der Aufstieg, steil der Abstieg. Damit ich das Rad an schwierigen Stellen leichter schieben, ziehen oder tragen konnte, hatte ich einen Teil meines Gepäcks in einem Rucksack auf dem Rücken. Ich stieg hinab in eine herrlich wilde Taiga, wie aus russischen Märchen. Auf burjatischer Seite dominierte noch die Lärche, hier war es nun die Pinie, oft auch mit Flechten bewachsen, was den Waldcharakter viel sibirischer machte.

Piste durchs Sentsa-Tal


Pass an der Grenze Burjatien-Tuwa

Nur wenige Kilometer unterhalb des Passes gelangte ich an ein paar heiße Mineralquellen, die zu einer Art Wellnessanlage mit mehreren Blockhütten ausgebaut wurden. Hunderte kunstvoll geschnitzter Holzschildchen zeugen von einem regen Besuch seit vielen Jahrzehnten. Jetzt im September war ich hier jedoch allein, gönnte mir ein ungestörtes Bad in einer der Banjas und zog weiter. Entlang des Flusses Arzhan-Hem kämpfte ich mich durch zunehmend unwegsame Taiga talabwärts. Wurzeln über Wurzeln und etliche umgestürzte Bäume blockierten den Pfad, dass ich selbst mit abgepacktem Rad kaum noch vorwärts gekommen bin, am zweiten Tag schaffte ich mit Mühe gerade mal 5 km... Eigentlich wollte ich den Oberlauf des Flusses noch umgehen, da dieser aufgrund des markanten Gefälles viel Wildwasser hat, doch unter diesen Umständen entschied ich mich, bei der nächstbesten Gelegenheit auf das Boot umzusteigen. An einer ausgetretenen Einatzstelle, die im Sommer offensichtlich auch von russischen Raftern genutzt wird, rollte ich schließlich mein Packraft aus, füllte es mit Luft, demontierte das Rad, verpackte die Ausrüstung strategisch gut sortiert in wasserdichte Säcke und belud das Boot mit allem.

Banja an den Mineralquellen


Bootsaufbau
Wildwasser und Gegenwind (Izig-Sug)
Obwohl der Fluss noch ein Flüsschen war, verlangte er ständige Aufmerksamkeit. Immer wieder gab es ruppige Abschnitte mit starker Strömung, dann flache Stellen, über die ich mein Boot ziehen musste und mehrfach querliegende Bäume, die entweder umgangen oder über- bzw. unterquert werden mussten. Im Großen und Ganzen gab es aber keine ernsthaften Hindernisse, da offenbar auch hier regelmäßig Paddler durchkommen und bereits einige Baumsperren freigesägt waren. Als der Arzhan-Hem in den Izig-Sug überging, wurde es für eine Weile ruhiger. Stille in totaler Abgeschiedenheit umgab mich, umrahmt von wilder Taiga und grandiosen Bergkulissen. Seit einigen Tagen schon hatte ich keine Menschen mehr getroffen. Größere Tiere bekam ich aber auch nicht zu Gesicht, trotz mehrerer Russlandreisen bin ich noch nie einem Bären begegnet.
Adrenalin, als die ersten Stromschnellen auftauchten – genau an jener Stelle wie ich sie anhand der Satbilder lokalisierte und in mein Kartenmaterial einzeichnete. Ich hatte kein GPS dabei, wusste aber immer wo ich war. Navigation per Karte war schon immer meine Leidenschaft und wird es wohl auch bleiben. Es gab viel Steinkontakt, auf einigen bin ich auch mal sitzen geblieben. Aber die Umfahrung der größeren, aus dem Wasser schauenden Felsen ging ganz gut, dafür war das Boot trotz Beladung mit rund nahezu 70 kg Gepäck und mir noch wendig genug. Meine Befürchtung, solche Abschnitte am Ufer umgehen zu müssen, entpuppte sich als unbegründet. Zudem war das Rauschen des wilden Wassers in der Regel schon weithin hörbar, daher kam es auch nie überraschend auf mich zu und ich hatte jedes Mal genug Zeit, mir den Trockenanzug komplett überzuziehen. Bei teils nur 5 Grad Wassertemperatur und der steten Gefahr des Kenterns war der auch unverzichtbar.

Arzhan-Hem

Izig-Sug

Im weiteren Verlauf ging es dann aber richtig zur Sache: Schwelle an Schwelle, über einige Kilometer pausenloses Wildwasser, teilweise doch etwas heftiger, als zu Beginn und dann tatsächlich mal ein kritischer Moment, als mein Boot an einen Felsen gedrückt wurde und ruck zuck voll lief... Dabei rutschte mein bisher noch nicht gesicherter Schlafsack heraus, der nun plötzlich Anstalten machte, davonzuschwimmen. Glücklicherweise konnte ich alle losen Teile schnell greifen, das Boot wieder in die Strömung lenken und mich mit allem in ruhigeres Wasser treiben lassen, ohne dass irgendwas abhanden gekommen war. Fortan befestigte ich jedes einzelne Teil am Boot, auch Trinkflasche und Wischlappen, denn was im Wildwasser einmal herausfällt, ist weg – für immer.
Gekentert bin ich kein zweites Mal, aber vollgeschwappt ist mir das Boot noch mehrfach. Dann musste ich kurz anlanden, um es auszukippen. Zu lange konnte ich mit dem eingefangenen Wasser nicht paddeln, da es einerseits die Wendigkeit des Bootes reduzierte, andererseits auch langsam in die Packsäcke eindrang und die Ausrüstung einweichte, so auch einmal den Schlafsack und die in eine Kapuze eingewickelte Spiegelreflex. In der hoch stehenden Mittagssonne ließ sich aber alles wieder trocknen.


Umtragestelle an einer Treibholzblockade
An den Abenden wurde es rasch kalt und in den Nächten gab es regelmäßig Frost mit Tiefstwerten bis -7 Grad. Der klare Sternenhimmel faszinierte, in Burjatien zeigte sich noch kontrastvoll die Milchstraße, jetzt erhellte der zunehmende Mond mehr und mehr die nächtliche Landschaft. Als ich nach drei Tagen auf dem Wasser endlich den Zufluss des Choigan-Hem erreichte, traf ich auf eine elfköpfige Männergruppe, die hier für 18 Tage Angel- und Jagd-Urlaub machte. Sie hatten sich und ihre komplette Ausrüstung mit Helikopter einfliegen lassen und waren sichtlich erstaunt, hier draußen einen paddelnden Radfahrer zu treffen. Natürlich wurde ich eingeladen und durfte auch ein wenig vom selbst gebrannten Vodka probieren, den sie kübelweise auf Vorrat hatten...

Bis zu den Seen Ustju-Deerlig-Hol und Aldy-Deerlig-Hol war es nun nicht mehr weit. Ruhiges Wasser und spürbarer Gegenwind machten die Überquerung nicht einfach. Mit viel Mühe schaffte ich gerade mal 1 km/h, auf Dauer unmöglich zu halten, ein Schlauchboot ist einfach zu windanfällig. Sobald ich stoppte, trieb ich sofort zurück... Da das Seeufer begehbar war, schraubte ich kurzerhand mein Rad zusammen und versuchte zu Fuß weiterzukommen. Doch schon nach anderthalb Kilometern war Schluss und so stieg ich wieder um aufs Boot. Letztendlich nutzte ich die Abend- und Morgenflaute, um vorwärts zu kommen, es war die einzige Chance.

Ustju-Deerlig-Hol - bis zum Mittag herrschte noch Windstille

Aldy-Deerlig-Hol - hier ging nur noch Treideln am Ufer
Kommentar