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    • 25.06.2013
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    AW: [TR] Langzeitwanderung

    Indien Teil 5



    Bis zum Südkap

    Bis zum nächsten Goastrand ist es nicht weit. Und da Goa's Straßen relativ wenige Schlaglöcher zu bieten haben, hält sich mein Schulterschmerz in erträglichen Grenzen. Unser zweiter Auszeit- strand gehört zum kleinen, von Palmen gesäumten Ort, Palolem.
    Wir mieten uns ein Zimmer mit Veranda nur wenige Meter vom Strand entfernt. Im Garten werfen die Palmen lange Schatten und Enten tummeln sich im kleinen Deich. Aus der Ferne hören wir ganz leise das Rauschen der Meereswellen. Abend- Einschlaf- Musik könnte man es auch nennen.


    Strand der 1000 Palmen

    Die eigentliche Krönung ist jedoch der halbmondförmige Strand. Es ist für uns ein Ort zum Durchatmen. Hier fallen an den Wochenenden noch keine Horden von Männertags- Ausflugs- Indern ein. Spätestens um 22 Uhr, werden die nicht vorhandenen Bürgersteige, sinngemäß hochgeklappt. Was macht man dann aber an solch einem Strand, in solch einem theoretisch langweiligen Ort?


    Grün auf seiner Haube

    Nur in der Sonne braten, mögen wir nicht. Täglich wandern wir zum nördlichen Ende vom Halbmondstrand, denn dort ist es für uns am schönsten. Um die Schönheit erleben zu können, durchwaten wir einen Fluss, laufen am Haifelsen vorbei, und suchen uns einen schattigen Platz an einem der bizarr wirkenden Felsen mit viel Haubengrün.


    Haifelsen :-)

    Hier verbringen wir viele Stunden. Ich schreibe an meinen Texten. Wir beobachten tausende von Krebsen. Wir beobachten die Fischer. In unserer Superunterkunft gibt es Bücher und Zeitungen. Zwei Spiegel verschlinge ich regelrecht. Mit den Spiegeln sind natürlich die Zeitschriften gemeint, und keine Spiegel zum reinschauen. Ein Buch macht mir besondere Freude. Ich bin dann mal weg – von Hape Kerkeling, verschlinge ich regelrecht. Denn so mancher Satz, so manche Episode, so manche Kerkerling- Fuß- Blase und so manche unbeantwortete Frage, erinnert mich stark an unsere eigene längere Wanderung. Ein wunderbares Büchlein.
    Zwischen den vielen Buchstaben, besuche ich Gi im Wasser. Bei annähernd 30 Grad Wassertemperatur kann sie sich nämlich kaum vom nassen Element lösen. Die Wellen sind kindgerecht klein. Ein weiterer Schnellwaschgang ist somit zum Glück für mich ausgeschlossen.
    An einem Tag, es ist gerade Ebbe, laufen wir durchs kniehohe Wasser zur vorgelagerten Insel. Wir erkunden die Palmeninsel, fühlen uns dabei wie Robinson und schauen andächtig von oben zum langen Zauberstrand.
    Bekommen wir Hunger, so durchforsten wir eine der Speisekarten in den zahlreichen Strandrestaurants. Meine Augen bleiben da immer bei den Steaks kleben. Im Land der vielen Vegetarier gibt es also auch Steaks. Sogar ''Heilige Steaks'' sind in Goa kein Tabu. Ich liebe Indien!

    An den Abenden gibt es immer einen Pflichttermin. Gegen 18.30 versinkt die Sonne im Meer oder hinter unserer Robinson- Insel. Ich mag Sonnenuntergänge. Und ganz besonders mag ich nun die von Palolem.
    Drei meditierende Männer erblicke ich im Sucher. Ihre Körper werfen Schatten im feuchtem Sand. Ich habe sie nicht bestellt. Sie sind nicht meine Models. Zum Glück waren sie einfach nur da.


    3 meditierende Männer

    Jeder Pflichttermin überrascht mich anders. Das Sonnenuntergangs- Orchester von Palolem spielt in feinsten Farbtönen. Täglich eine halbe Stunde dauert die grandiose Aufführung. Das perfekte dabei? Jede Aufführung ist ein Genuss für die Sinne.


    Grandiose Aufführung

    Unsere Insel scheint an manchen Abenden zu brennen.


    Brennt sie gleich?

    Die Tage in Palolem haben meiner Schulter gut getan. Auch wenn es schwer fällt, wir verlassen die Zauberbucht. Indien ist groß. Und wir + Kampfmaschine brauchen unseren Auslauf.

    Wir brauchen einige Tage um den nächsten Bundesstaat zu durchtuckern. Karnataka hat nicht die schönsten Strände. Da die Küsteninder aber pfiffige Leute sind, setzten sie einfach einige monströs wirkende Tempelkomplexe in den Küstensand. Das Ziel ist erreicht, denn wer tuckert da schon vorbei.
    Der eindrucksvollste Tempelkomplex für uns verstrahlt seine religiöse Energie auf einer Halbinsel in Murudeshwar.
    Ein monumentaler Eingangsturm (Gopura) zum eigentlichen Tempel, grüßt schon aus weiter Ferne. Kein Wunder bei 20 Stockwerken und über 237 Meter Höhe.


    Eingangsturm

    Natürlich ist es ein viel besuchter Pilgerort für die Hindus. Und da die Hauptreligion im Land der Hinduismus ist, sind, wie meist bei besonderen Tempeln, Menschenmassen unterwegs. 80 Prozent der 1,3 Milliarden Inder sollen Hindus sein.
    Der Blick vom Turm ist grandios. Neben dem Haupttempel sind weitere Tempel am Strand platziert.


    Grün und Gold

    Von unserem Zimmerchen aus, bestaunen wir am Abend die Shiva- Statue in ausgeleuchteter Pracht. 123 Meter reicht sie gen Himmel.


    123 Meter hoch!

    Der Hinduismus, die Nummer 3 in der Religions- Weltrangliste, ist eine recht komplizierte Religion, zumindest was eine fundierte inhaltliche Kurzbeschreibung meinerseits betreffen würde. Es fällt mir nämlich nicht leicht, die Bedeutung von den vielen Göttern, manchem Hauptgott, den weiteren Nebengöttern und den zwangsweise damit einhergehenden unterschiedlichen Ausrichtungen in Kürze auf den Punkt zu bringen. Was allerdings leicht verständlich erscheint, alle Hindus glauben an die Wiedergeburt und Erlösung. Sie gehen davon aus, dass man als Mensch, als Tier oder auch als Steinchen wiedergeboren werden kann.
    Egal, letztendlich wird natürlich auch in dieser Religion behauptet, dass diese die Beste für all ihre Anhänger ist. Und genau da bricht in mir die Wut aus, denn wie bei allen anderen Religionen auch, werden tief sitzenden Wunden keinerlei Heilung angetan. Das Kastensystem, welches in Indien noch immer für viele Menschen das Leben vorbestimmt, ist dafür ein unrühmliches Beispiel. Wobei ich auch gleich ehrenvoll hinzufügen möchte, dass es einige wenige Ausrichtungen im Hinduismus gibt, welche das Kastensystem ablehnen.

    Nach vielen weiteren Tempeln, tuckern wir im Wunderland Kerala (weiterer Bundesstaat) ein. Genau wie Wunderland Goa, zählt auch Kerala zu den Vorzeige- bundesstaaten von Indien. Warum? Es sind die wohlhabendsten Gebiete von Indien. Die Bildung ist jeweils wirklich sehr hoch und durch den Tourismus wird relativ viel Geld in die Bundeskassen gespült. Kerala hat die höchste Alphabetisierungsrate mit weit über 90 Prozent. Die Kindersterblichkeitsrate beträgt nur 1 Fünftel vom Landesdurchschnitt. Und wer in Kerala geboren wird, wird im Vergleich zu Restindien um die 10 Jahre später sterben. Und wem haben die Menschen in Kerala dies hauptsächlich zu verdanken?
    Man staune, Kerala war 1957 der erste Bundesstaat in der Welt, in dem bei demokratischen (!) Wahlen die Kommunisten an die Macht kamen. Seit dieser Zeit wechselt die Macht zwischen der Kommunistischen Partei und der Kongresspartei. Und genau diese Wechselwahlwirkung scheint Kerala gut zu tun.


    Hammer und Sichel

    Man sieht hier wirklich kaum Armut im Sinne der sonst üblichen indischen Armut. Den Menschen geht es weit besser. Was für mich dabei spannend ist, die 3 Hauptreligionen in Kerala sind der Hinduismus, der Islam und das Christentum. Wieso übernehmen dann aber die Kommunisten schon über Jahrzehnte eine führende Rolle? Es können nur besonders pragmatische Kommunisten sein, denn Religion und Kommunismus sind ja eigentlich wie Feuer und Wasser.

    Neben einigen ordentlichen Stränden, gibt es zwei weitere Touristenmagnete in Kerala. Es ist Kochi und die Backwaters .
    In Kochi, die Stadt hat ca. 1,5 Millionen Einwohner, dampft nicht nur Kampfmaschine. Bis wir vom Stadtrand zum eigentlichen Touristenmagnet Fort Cochin vordringen, vergehen Stunden voller Qualen. Der Verkehr, der Staub, der Lärm, die aufgerissenen Straßen, die Huperei, die Schlaglöcher, Gis Trillerpfeife und meine Ungeduld, lassen auch mich wie einen Schnellkochtopf dampfen.
    Erst in Fort Cochin löst sich das Dampf- Ablassventil.
    Wir beziehen eine schöne Unterkunft neben der Santa Cruz Basilika. Fort Cochin ist irgendwie ein mittelalterlicher Mix aus Holland, England und Portugal. Dieser Mix aus Friedhof, Kirchen, alten Vierteln und Museen ist natürlich interessant, doch weit mehr bewegen mich immer die Geschichten am Rande.
    Neben der Basilika ist eine Schule. Da beobachten wir täglich die Schülerinnen. Es ist eine Mädchenschule (es gibt auch gemischte Schulen). Fast alle Mädchen kommen am Morgen mit Fahrrädern zur Schule. Da jedes Fahrrad fast gleich aussieht, war es vielleicht eine Idee der Kommunisten diese Fahrräder den Mädchen zur Verfügung zu stellen. Egal wer die Idee hatte, wir finden es einfach gut, denn neben der Abgasreduzierung im geplagten Abgas- Indien, ist es normalerweise auch nicht üblich, dass das weibliche Geschlecht als Pedalritterin unterwegs ist. Was uns noch auffällt?


    Schulfahrräder

    Die Mädchen tragen Schuluniformen. In ganz Indien besteht für die Schüler und Schülerinnen Schuluniformpflicht. Neben einigen Nachteilen, hat dieser Zwang sicher auch viele Vorteile, finde ich zumindest. Der soziale Status tritt zum Beispiel in den Hintergrund. Zumindest sind für einige Stunden dann alle gleich. Zumindest die, welche in die Schule gehen oder mit dem Fahrrad dorthin fahren dürfen. Übrigens bekommt auch jedes Kind, welches die Schule besucht, ein kostenfreies Essen vom Staat spendiert. Ich gratuliere Indien ausdrücklich dazu! In vielen, oftmals weit reicheren Ländern, ist man diesbezüglich ja nicht so spendierfreudig. Warum nur?


    Schuluniformen sind Pflicht

    An einem Abend sitzen wir in einem Dachrestaurant in der Nähe vom Fähranleger zur Insel Vypeen. Anders als in unserem auserwählten Restaurant, herrscht am Fähranleger viel Betriebsamkeit. Wir sind die einzigen Gäste. Nach dem Essen wissen wir auch warum!
    Auch wenn wir das Essen unter Mangelhaft einstufen, so ist das Dachresto selbst ein überaus interessanter Ausguck, denn in wenigen Minuten wird die Sonne im Meer versinken, und somit ist es auch ein idealer Platz um die berühmten chinesischen Fischernetze, von Fort Cochin, bei Sonnenuntergang abzulichten.
    Nebenbei können wir den Fährbetrieb beobachten. Mit einer dieser Fähren waren wir gemeinsam mit Kampfmaschine, noch vor wenigen Stunden unterwegs. Nur wenige Meter von den altersschwachen Fähren entfernt, bringen recht große Fischerkähne ihren Fang an Land. Ein Kahn steuert plötzlich auf unser Dachresto mit überhöhter Geschwindigkeit zu. Andere Fischer bemerken dies und beginnen eine wahre Konzerthuperei. Es hilft nicht! Der Kahn knallt mit voller Wucht gegen die Grundmauern unseres Null- Sterne- Resto. Wir merken die gewaltige Erschütterung.
    Der Koch, die Kellner, der Besitzer vom Restaurant, und gefühlt weitere hundert Inder, belagern nur wenige Sekunden später unseren Superausblick. Inder sind von Natur aus sehr neugierig.
    Alle schreien den Kapitän vom Kahn an. Der antwortet nicht. Er knallt den Rückwärtsgang in die Schiffschraube und versucht seinen Rosthaufen um andere Kähne zu steuern. Gelingt auch nicht so recht ordentlich, denn 2 Kähne rammt er dabei richtig mächtig. Der Höhepunkt der Aufführung ist die Flucht vom Rammbock. Drei Fischerkähne nehmen die Verfolgung auf.
    Als sich die Inder irgendwann beruhigen, frage ich den Restaurantbesitzer aus purer Neugier, gab es je so viele Besucher in deinem Restaurant? Und gibt es diese Aufführung vielleicht jeden Abend?
    Ich komme mir dabei sehr witzig vor.
    Ja, vor gut einer Woche war mein Restaurant noch mehr voll. Da ist einer von den Fischerkähnen mit voller Wucht in eine der Fähren geknallt. Die ist sofort untergegangen. 7 Menschen sind dabei ertrunken.
    Natürlich wird mir bei dieser Antwort die sofortige Peinlichkeit meiner Fragen bewusst. Doch gefragt, ist gefragt! Ich könnte mich in den Arsch beißen. Der Besitzer scheint mir dies anzumerken, denn sogleich sagt er, ist ja nicht deine Schuld. Der Kapitän war besoffen, genau wie der von vorhin.

    Am nächsten Abend sitzen wir erneut im Dachrestaurant. Wir sind die einzigen Besucher. Vorher habe ich die Fischernetze im Glutrot der Abendsonne abgelichtet. Schönheit und Leid liegen oft dicht beieinander. Nur wissen tut man es meist nicht.


    Schönheit und Leid liegen oft dicht beieinander

    Die Backwaters sind ein System aus wunderschönen Seen, Inseln und Kanälen auf einer Fläche von ca. 800 Quadratkilometern. Zur Backwater- Hochburg zählt die Stadt Alappuzha. Hier bleiben wir aus unterschiedlichen Gründen eine Zeit. Dafür fahren wir in einen Ortsteil von Alappuzha am Meer. Gute Wahl, denn wir erhandeln ein schönes, sauberes Zimmer mit Ozean- Wellen- Nachtmusik.
    Am ersten Tag suchen wir den erhofften Enfieldshop in Alappuzha. Es gibt wirklich eine große Werkstatt und Verkaufshalle. Wir staunen! Somit ist eine Frischzellenkur für Kampfmaschine angesagt. Die Enfield- Jungs sind begeistert von unserer bisherigen Tour. Wir sind angeblich die ersten ausländischen Touristen, welche in ihrem Laden, mit einer Bullet aus dem fernen Delhi aufkreuzen.
    In Auftrag gebe ich einen Ölwechsel, Ölfilterwechsel, die Reinigung des Luftfilters und eine Generalreinigung von Kampfmaschine selbst. Die defekte Hupe erwähne ich nicht. An Gis Trillerpfeife habe ich mich nämlich gewöhnt.
    Am zweiten Tag können wir Kampfmaschine abholen. Sie glänzt wie neu geboren.

    Am dritten Tag beschauen wir Kanäle und Hausboote. Der absolute Renner für Touristen ist hier, sich ein Hausboot mit Mannschaft (Steuermann + Koch) zu mieten.


    Hausboot

    Wir schauen uns einige Hausboote an. Da sind wirkliche Schmuckstücke dabei. Der Mietpreis würde umgerechnet zwischen 60 und 80 Euro pro 24 Stunden inklusive Fahrt durch die wunderschönen Kanäle und Seen kosten. Unser Zimmer mit Meerblick kostet 10 Euro pro Nacht. Auch wenn es uns juckt, wir mieten kein Hausboot, denn nach einiger Überlegung wird uns bewusst, unser Meerblickzimmer ist super. Auch sind wir ja irgendwie Individualisten. Selbst das Boot steuern wäre für uns perfekt, doch dies mögen die Vermieter nicht.
    Egal, man muss nicht alles haben. Und um die Backwaters zu bestaunen, gibt es zudem eine wunderbare Ersatzlösung.
    Genau diese praktizieren wir an Tag 4. Im Herzen von Alappuzha legen die Fähren nach Kottayam ab. Diese überqueren den Vembanad- See und machen halt an unterschiedlichsten Kanälen. Hin und zurück (ca. 6 Stunden) schippern wir fast einen ganzen Tag, denn in Kottayam genehmigen wir uns ein längere Pause.

    Die Fahrt selbst ist herrlich. Von Palmen gesäumte Kanäle durchqueren wir. Von isolierten Dörfern steigen Bewohner aus oder zu. Zu sehen, zu bestaunen, und zu enträtseln gibt es ständig etwas.

    An Tag 5 in Alappuzha - wie schnell doch so die Zeit vergeht - führen wir geputzte Kampfmaschine aus. Während wir im Meer tollen oder einfach nur unterschiedliche Strände ablaufen, darf Kampfmaschine sich im Schatten der Palmen ausruhen.


    Ruhezeit

    An Tag 6 packen wir erneut zusammen. Wir tuckern weiter Richtung Süden. 4 Tage später rollen wir im nächsten Bundessaat (Tamil) ein. Unser Ziel ist Kanyakumari. Diese schmucke Kleinstadt beherbergt den südlichsten Festlandpunkt von Indien. Es ist das Kap Komorin. Drei Meere vereinigen sich hier am Ende von Indien. Als ich am Kap Kampfmaschine in Ruhestellung versetze, zeigt mir der Tacho 3.410 getuckerte Kilometer seit unserem Start von Delhi.
    Die Stadt gefällt uns auf Anhieb. Auch lernen wir am Kap einen wirklich ganz außergewöhnlichen Inder kennen. Was an ihm so außergewöhnlich ist, und warum uns die Stadt so gefällt, erzähle ich aber erst im nächsten Indienbericht.

    Bis dahin,
    liebe Grüße,

    Wi + Gi + Kampfmaschine

    Kilometerstand: 3.410 km Stand: Mitte Oktober 2015


    Backwaters

    PS: Wünschen herrlich 2. Advent
    Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

    Gruß, Wi grenzenlos

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    • tizzano1
      Erfahren
      • 13.06.2006
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      • Meine Reisen

      AW: [TR] Langzeitwanderung

      Hallo ihr zwei!

      Über 3000km unfallfrei und von einem schönen Sonnenuntergang zum nächsten...
      Ich hab ja ein bißchen Angst gehabt als ihr losgefahren seid- auf der Kampfmaschine ...so ganz ohne Airbag.

      ABER..wer`s kann, der kann`s

      Vielen Dank für eure schönen Reiseberichte...und jetzt gehe ich die zweite Adventkerze -euch gewidmet- anzünden

      Weiterhin alles Gute,
      Sepp

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      • blauloke

        Lebt im Forum
        • 22.08.2008
        • 8408
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        AW: [TR] Langzeitwanderung

        Einfach ein herrlicher Bericht.
        Wir können hoffentlich noch lange an euren Erlebnissen teilhaben.
        Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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        • grenzenlos
          Dauerbesucher
          • 25.06.2013
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          AW: [TR] Langzeitwanderung

          Zitat von tizzano1 Beitrag anzeigen
          Hallo ihr zwei!

          Über 3000km unfallfrei und von einem schönen Sonnenuntergang zum nächsten...
          Ich hab ja ein bißchen Angst gehabt als ihr losgefahren seid- auf der Kampfmaschine ...so ganz ohne Airbag.

          ABER..wer`s kann, der kann`s

          Vielen Dank für eure schönen Reiseberichte...und jetzt gehe ich die zweite Adventkerze -euch gewidmet- anzünden

          Weiterhin alles Gute,
          Sepp
          Lieb Sepp,

          wenn ich ehrlich bin, auch ich/wir haben etwas ''Muffensausen'' gehabt. Doch etwas Risiko gehört einfach zum Leben dazu. Meist zahlt es sich aus, in Form von neuen Erfahrungen und Eindrücken.

          Danke für die Adventkerze

          LG, Wi grenzenlos
          Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

          Gruß, Wi grenzenlos

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          • grenzenlos
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            • 25.06.2013
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            AW: [TR] Langzeitwanderung

            Zitat von blauloke Beitrag anzeigen
            Einfach ein herrlicher Bericht.
            Wir können hoffentlich noch lange an euren Erlebnissen teilhaben.
            Dankeschön, Blauloke

            + es wird noch einige Berichte bis zu unserer D-Rückkehr geben. Ich brauche halt immer etwas Zeit, Lust und Laune

            LG, Wi grenzenlos
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            Gruß, Wi grenzenlos

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            • grenzenlos
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              • 25.06.2013
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              Indien Teil 6



              Überraschung am Kap

              Egal wo wir in den letzten Jahren auch unterwegs waren, immer trafen wir Langzeit- Radler während unserer Touren. Speziell Europäer sind viel in der Welt unterwegs. Einen Inder haben wir noch nie getroffen. Am Kap Komorin ist es dann soweit.


              Radeln für die Umwelt

              Da wir aus eigener Erfahrung wissen, dass sich Radler immer freuen, wenn man sich mit ihnen unterhält, stoppen wir als wir plötzlich den jungen Mann mit seinem bepacktem Fahrrad sehen. In der Regel fragen wir, ob der Radler oder die Radlerin Hilfe, Wasser oder irgendwas anderes brauchen. Auch, Abhishek Kumar Sharma, fragen wir. Er braucht wirklich nichts, sagt er. Aber unterhalten möchte er sich sehr gerne mit uns. Es wird eine sehr lange Unterhaltung, denn Abhishek möchte uns viel erzählen.
              Studiert hat er Philosophie. Nach Abschluss seines Studiums hat er, wie viele junge Inder auch, keine Arbeit gefunden. Da stellte er sich die Frage, was mache ich nun? Da seine Gedankenwelt sich häufig mit indischen Umweltproblemen herumquält, wollte er irgend etwas in dieser vernünftigen Richtung tun. Es war ihm regelrecht ein Bedürfnis. Er stellte sich die Fragen, wie kann ich viele Menschen erreichen, ihnen meine Mission erklären, und wie kann ich dies ohne große Geldausgaben erreichen?
              Nach kurzer Zeit stand sein Plan! Ich werde Indien ein Jahr lang mit dem Fahrrad umrunden, dabei meine Botschaften den Menschen erklären. Er bemühte sich um Sponsoren. Ein absoluter Glückssponsor ist dabei ein Fahrradhersteller aus Bangladesch, denn dieser stellt ihm für die Tour insgesamt 4 unterschiedliche Sport- Fahrräder zur Verfügung. Nach jeweils 3 Monaten übergibt ein Firmenmitarbeiter das nächste Fahrrad an einem vorher vereinbarten Ort.
              Der unermüdliche Abhishek bekommt sogar einen Termin beim Umweltminister. Der findet seine Ideen gut. Das Empfehlungsschreiben vom Umweltminister wird seine größte Trumpfkarte unterwegs, denn neben der erklärenden Verbindung zum Umweltplan der Regierung von 2014, werden auch alle Inder aufgefordert, den Umwelt- Radler zu unterstützen.
              Am 10. November 2014 startet er seine Tour. In wenigen Wochen wird sie am Ausgangspunkt beendet werden. 15 Tausend Kilometer wird er dann geradelt sein.


              Werbung ist wichtig!

              Ich bin platt, begeistert und einfach nur froh, diesen so außergewöhnlichen Inder getroffen zu haben. Er ist der erste Inder mit dem wir uns unterhalten, welcher von ganz alleine über eines der größten indischen Probleme spricht. Es ist die Umweltverschmutzung und alles was damit irgendwie zusammenhängt.
              Wir waren noch in keinem Land, wo so schlimme Umweltsünden wie in Indien täglich ersichtlich sind. Es ist wirklich absolut krass. Flüsse sind nur einige Meter im Umkreis der Quelle nicht verunreinigt. Die meisten Seen sind vermüllt. Grundwasser ist in vielen Regionen verseucht. Gäbe es in Indien Smogalarm, ständig würden die Signale tönen. Der indische Fuhrpark ist total überaltert und nimmt ständig zu. Abgaswolke folgt da auf Abgaswolke im 30 Kilometer- Stundendurchschnitt des katastrophalen Straßenverkehrs. Sauberes Trinkwasser kann sich nur ein kleiner Teil der Inder leisten.

              Wir kennen auch kein weiteres Land, wo so viel in die Landschaft gekackt und uriniert wird. Ganze Dörfer und auch Stadtteile verfügen über keine Toiletten oder gar ein Kanalsystem. In Schulen fehlt oft die Toilette oder es gibt für Männchen und Weibchen nur eine Gemeinschaftstoilette. Schätzungsweise hat ein Drittel der Inder keine eigene Toilette. Da ein Drittel dann mindestens 400 Millionen Menschen sein müssen, wird einem dieses rein menschliche Problem gravierend bewusst. Und um genau dieses Problem kümmert sich Abhishek auch.
              Er sagt, es kann doch nicht sein, dass fast 70 Jahre nach der Unabhängigkeit, noch immer so viele Inder täglich die Straße, den Park, den Strand, die Wiese oder das Feld als Toilette benutzen müssen.
              Der junge Mann fasziniert uns. Er legt den Finger in so manche indische Wunde.
              Er zeigt uns weitere Empfehlungsschreiben von irgendwelchen Bürgermeistern. Er zeigt uns Zeitungsausschnitte, in denen über seine Mission berichtet wird. Und er sagt uns, er habe schon einiges erreicht. Aber es reicht natürlich noch lange nicht.
              Ich frage nach seiner Webseite.
              Ich habe keine, antwortet er.
              Ich kann es nicht fassen! Du brauchst unbedingt eine Webseite, versuche ich ihm zu erklären. Wenn du viele Menschen erreichen willst, dann ist eine Webseite absolut nützlich.
              Wir reden ziemlich lange über den Sinn von Webseiten. Ich bemerke dabei, wie sehr er an diesen Vorschlag interessiert ist. Und weil er so interessiert ist – ich merke es auch an seinen freundlichen Augen – sage ich ihm noch, schreibe ein Buch über deine Tour, über deine Mission. Ein Vorwort vom Umweltminister wäre dabei sehr gut.


              Wir wünschen viel Glück

              Mir war nämlich positiv aufgefallen, dass die Inder sehr viel Zeitung lesen, und es relativ viele Buchläden gibt. Wenn er wirklich ein Buch schreiben würde, und bei über einer Milliarde Inder, dann muss es sich einfach gut verkaufen. Die indische Umwelt und er selbst hätten es verdient. Vielleicht wird aus seiner jetzigen Berufung sogar sein Beruf. Auch wäre es sicherlich für seinen größten Wunsch hilfreich. Beim Abschied hat er uns diesen nämlich verraten. Er möchte irgendwann mit einem Fahrrad um die ganze Welt radeln.

              Neben dem ernsthaften Umwelt- Verbesserungs- Inder, sind wir auch von Kanyakumari selbst begeistert. Die Stadt am südlichsten Festlandpunkt von Indien hat einiges zu bieten. Es gibt da zwei vorgelagerte Inseln. Genau hier vereinigen sich drei Meere. Doch nicht nur wegen dieser wässrigen Vereinigung, strömen viele Inder ans Kap. Es sind auch die Inseln und das Städtchen selbst. Das Hinterland mit seinen bizarren Granitfelsen und die silbrig schimmernden Reisfelder dazwischen, nötigen einem zudem, Ausflüge ins weitere Umland zu unternehmen.


              Inselchen

              Direkt an den quirligen Vereinigungswellen befindet sich der Tempel der jungfräulichen Meeresgöttin. Da männliche Besucher beim Betreten des Tempels ihr Hemd ausziehen müssen, tue ich dies natürlich auch. Ich tue es sogar sehr freudig, denn es sind um die 35 Grad.

              Nicht weit von dem Tempel ist der Fährableger für die Inselfahrt. Auf der Insel befindet sich ein Denkmal. Es ist einem berühmten Wandermönch (Swami Vivekananda) gewidmet. Er meditierte längere Zeit auf der Insel zu sozialer Gerechtigkeit im Hinduismus. Seine Botschaften verkündete er später auch außerhalb Indiens.

              Dies ist alles natürlich sehr interessant. Doch weit interessanter empfinde ich aber unsere echt sehr kurze Fährüberfahrt, denn nicht nur Loriot hätte dabei seine Freude gehabt. Natürlich geht es nicht um die berühmte Nudel in seinem Gesicht. Doch um die hundert Schwimmwesten sorgen für ordentlich Stimmung auf der Fähre.


              Lustige Bootsfahrt

              Wir selbst kennen uns zwangsweise mit Schwimmwesten aus. Dies ist Gis Respekt vor dem Wasser geschuldet. Vor sehr vielen Jahren waren wir mit einem Faltboot (RZ 85) in den kroatischen Kornaten unterwegs. Es war damals eine meiner spontanen abenteuerlichen Urlaubsideen. Gi jedoch Bestand zumindest darauf, Schwimmwesten unbedingt mit an ''Bord'' zu nehmen und die Westen auch immer zu benutzen. Durch die ständige Gi- Trageverpflichtung, wurden wir Schwimmwesten- Überzieher- Profis.
              Aus heutiger Sicht war Gis nerviger Westenzwang, gegenüber Westenmuffel Wi, die richtige Eingebung, denn wir kamen doch damals wirklich in einen schweren Sturm (Bora- Fallwind!) Nur mit gemeinsamer Kraftanstrengung konnten wir sozusagen, fast in letzter Minute, an einer der felsigen Inselküsten anlanden. Das Boot schlug leck! Die Schwimmwesten waren uns, aus unterschiedlichsten Gründen, damals sehr hilfreich. Und seit dieser Schwimmwesten- Trainigszeit wissen wir auch, wie schwierig es zu Beginn war, die Weste fachmännisch anzulegen.
              Und genau dieses gleiche Problem haben alle indischen Fährboottouristen an Bord. Da spielen sich unbeschreibliche lustige Szenen ab. Alles was man nur falsch machen kann, wird hundertfach auch falsch gemacht. Um die Show nicht abzuwürgen, hat Gi die Idee, dass auch wir uns als die einzigen Ausländer an Bord, ebenfalls als Westen- Anlegeamateure benehmen. So können die Inder über uns lachen, und wir hundertfach über die Inder. Erst als sich ein Mann fast mit seinen Westenleinen stranguliert, greift die Bordbesatzung ein. Er ist der Held des Tages, denn nach unendlich erscheinender lustiger Zeit, erklärt endlich jemand, wie man solch ein Monstrum anlegt. Loriot, hätte wirklich seine Freude gehabt!


              Wir haben viel Spaß zusammen

              Neben der Lustigkeit hat die Stadt auch sehr schöne Viertel zu bieten. Wie fast überall in Indiens Städten ist auch hier die Aufteilung der Religion geschuldet. Man lebt halt lieber unter sich. Was aber allen gemein ist hier, sie verstehen ihre Lebensbereiche attraktiv zu gestalten. Nur sehr selten sahen wir in Indien bisher solch eine Buntheit an Häusern, solch saubere Gassen und soviel Grünpflanzen zwischen all den Annehmlichkeiten. Dies tut unseren Augen sehr gut. So durchstreifen wir täglich eines der Viertel, dabei immer auf der Suche nach dem eigentlichen Viertel- Höhepunkt.


              Grüne Pracht

              Bei den Hindus sind es die Tempel mit all ihren Rätseln. Im christlichen Viertel findet gerade eine Messe statt. Wir werden eingeladen, sind sozusagen Ehrengäste, denn 2 Stühle werden geschwind herbeigeschafft. So überblicken wir den ganzen Kirchenvorplatz. Wegen der Wärme geht niemand in die stickige Kirchenhalle.


              Gottesdienst

              Die Frauen sitzen mit ihren Kindern getrennt von den Männern. Alles wirkt sehr feierlich auf uns, sehr andächtig, sehr emotional. Ich bin ständig beim schauen, bin begeistert von den Momentaufnahmen in meinem Kopf. Die bunte Sariwelt verwebt sich dabei mit den Gesängen, dem Geläut der Kirchenglocken und der friedlichen Stimmung auf dem Platz.

              Was ich in all den Jahren festgestellt habe, immer wenn es in Ländern an Armut nicht mangelt, sind die Menschen bei ihrer Religionshingabe besonders andächtig, gerührt, versunken, aufmerksam und meist zutiefst ergriffen. Es bereitet mir Freude und Angst zugleich, denn ich lese aus den Gesichtern leider auch Sorge, Leid und Zukunftsangst.


              Zutiefst ergriffen

              An einem Freitag besuchen wir die Moschee. Auch hier werden wir, für das so wichtige Freitagsgebet, eingeladen. Was mir dabei auffällt? Genau wie in den indischen Kirchen und in den Tempeln, nehmen auch hier Angehörige anderer Religionen an den jeweiligen Götterdiensten teil. Ist es Interesse oder nur Neugier? Egal, zumindest finde ich es gut.

              Die Lage der unterschiedlichen Gotteshäuser am Kap ist dabei immer postkartenreif erwählt.


              Postkartenreif

              Alles scheint hier irgendwie harmonisch. Diese Friedlichkeit tut sehr gut, denn Indien ist leider auch bekannt für seine nicht friedlichen Auseinandersetzungen zwischen den Religionen. In diesem Moment wünsche ich mir, mögen all diese friedlichen Schwingungen vom Kap Komorin sich rasend schnell über unsere Welt verteilen. Bitter nötig wäre es ja!

              Am Kap überlegen wir, welche Richtung wir weiter tuckern werden. Weiter entlang der Ostküste Richtung Norden macht wettermäßig wenig Sinn. Die letzten Wochen hatte endlich der Regen an der Westküste aufgehört. Dieser wird nun in den nächsten Wochen, oder gar nur in wenigen Tagen, als Monsun an die Ostküste wechseln.


              Wir ziehen weiter

              Deshalb tuckern wir zurück nach Palolem, zur Bucht der geilen Sonnenuntergänge. Die über 1000 Kilometer machen viel Freude, denn wir kennen ja bereits für unterwegs die besten Übernachtungsplätze und die schönsten Strände. Natürlich bleiben wir für einige Tage erneut in Palolem. Nach weiteren Sonnenuntergängen der ganz besonderen Art, satteln wir erneut Kampfmaschine in der Gewissheit, dass wir für sehr lange Zeit nicht mehr am Meereswasser sein werden.
              Von Indien- Spezialisten wird ja oft behauptet, wenn man nur Goa und Kerala an Indiens Westküste bereist hat, hat man das wirkliche Indien nicht kennengelernt. Es gibt sogar Leute, welche behaupten, man war da ja gar nicht in Indien. Finde ich selbst Quatsch, denn wenn Asiaten nur Schloss Neuschwanstein in – die Bayern mögen mir verzeihen - Deutschland besuchen, würden die ja auch nicht behaupten, sie waren nicht in Deutschland. Natürlich ist Kerala und Goa eine schöne indische Besonderheit, so wie halt auch Schwanstein für die Asiaten was ganz besonders ist.
              Meine Heimatstadt Sonneberg ist zum Beispiel ja auch nicht gerade der touristische Knüller. Doch auch da gibt es sehr schöne Ecken und sogar einige versteckte Besonderheiten. Und genau solche wollen wir auf unserer weiteren Tour durch Indien erkunden.
              Dafür tuckern wir von Goa aus westwärts, überwinden dabei die ersten ernsthaften Berge und kommen nur zwei Tage später etwas genervt in Hampi an. Warum genervt?

              Zu vermuten wäre, Kampfmaschine macht erneut Probleme, doch dem ist nicht so. Die Segnung durch den Sadhu war bisher absolut wasserdicht. Mir persönlich macht aber der unberechenbare Verkehr zu schaffen.

              Auf der Strecke nach Hampi bin ich kurz vorm ausrasten, denn am ersten Tag rauscht uns ein Mopet von hinten ins gesegnete Motorrad. Das Moped selbst wurde erst durch ein Auto richtig in Schwung versetzt, um auch ja Kampfmaschine tüchtig zu rempeln. Mit viel Mühe kann ich Kampfmaschine halten. Drei Leute purzeln auf der Straße herum. Es sind Vater, Mutter und Kind vom Mopet. Das Auto hat eine echt große Delle im Kotflügel.
              Zum Glück ist den Mopethelden körperlich nichts passiert. Zumindest können die gleich richtig loslegen.

              Gemeinsam mit dem Autofahrer brüllen sie nämlich die Schuldfrage durch die Gegend. Die mindestens 30 versammelten Inder am Wegesrand – wo die nur immer so schnell herkommen? - nicken alle mit den Köpfen. Dies bedeutet natürlich, wir sind Schuld. Wir brüllen sogleich zurück. Wir brüllen gegen die Ungerechtigkeit. Dies scheint zumindest einen Wegesrand- Inder mächtig zu imponieren, denn er brüllt nun in die Gegend, wir wären nun wirklich nicht schuldig. So nebenbei sagt er uns ganz leise aber nachdrücklich: Fahrt einfach weiter! Ist am besten so!
              Und genau dies tun wir.
              Nur 100 Meter weiter biege ich in einen Feldweg ein. Von dort beobachten wir die Auflösung der Schreihälse.
              Am nächsten Tag, wir tuckern recht gemütlich einer schönen Allee entlang, sehe ich eine Gruppe von Frauen vor uns. Als ich an ihnen vorbei tuckern will, springt wie von Geisterhand eine Junge aus der Frauengruppe.
              Automatisch trete und zerre ich mit aller Wucht die Bremsklötze. Es quietscht fürchterlich. Kampfmaschine will ausbüchsen. Irgendwie kommen wir ohne Sturz davon. Das nächste Wunder? Zwischen dem Jungen und Kampfmaschine war nur noch wenige Zentimeter Luftfreiheit.
              Ich setzte mich an den Straßenrand, atme tief durch. Ich stelle mir kurz vor, was passiert wäre, hätte es die luftigen paar Glücks- Zentimeter nicht gegeben.
              Ich sehe hunderte brüllender Inder am Straßenrand. Alle schreien: Du Mörder! Ich sehe mich im indischen Knast. Meine Mitbewohner sind tausende von Kakerlaken. Und noch schlimmer, ich sehe mich viergeteilt auf der Straße liegen. Die Kakerlaken darf ich nicht mehr besuchen.
              In Hampi angekommen, hole ich mir sofort Rat bei den Sadhus. Ihr Rat?


              Ich brauche Rat

              Konzentriere dich mehr! Versuche immer zu erahnen, was die anderen Menschen jetzt tun werden! Wenn du dies machst, wird nichts mehr passieren, denn deine Gedankenwelt wird Indisch sein. Dies ist der beste Weg.

              Dabei schaut einer der Sadhus, mit irgendwie verlorenen Augen, in eine für mich verschlossene Welt. Er scheint weit weg zu sein. Sehr mysteriös, denke ich.


              Er scheint weit weg zu sein

              Ach ja, Hampi ist wirklich eine indische Besonderheit. Ich muss mich aber erst sammeln, mich auch mehr konzentrieren, irgendwie auch mehr Inder werden, sagten ja die Sadhus zu mir. Deswegen erzähle ich erst im nächsten Bericht, von dieser verwunschenen Besonderheit und von meiner eventuellen Verwandlung zum richtigen Inder.

              Bis dahin,

              liebe Grüße, schöne Weihnacht + alle Reisetraumerfüllungen für 2016,

              wünschen Euch,

              Wi + Gi + Kampfmaschine


              Kilometerstand: 4.830 Kilometer Stand: Ende Oktober 2015


              Kap - Sonnenuntergang
              Zuletzt geändert von grenzenlos; 26.12.2015, 09:20.
              Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

              Gruß, Wi grenzenlos

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              • Sternenstaub
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                • 14.03.2012
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                AW: [TR] Langzeitwanderung

                Hallo Wi + Gi,

                es ist immer wieder eine Freude, bei euch weiter zu lesen!

                Die Geschichte mit dem Umweltinder hat mich sehr berührt. Seinen Mut (denn ich denke, es braucht verdammt viel Mut, einfach so aus dem Nichts, mit solch einem Projekt zu beginnen) bewundere ich sehr und wünsche ihm, dass er etwas anstößt, damit sich die Verhältnisse nachhaltig verändert. Was er begonnen hat, quasi als rollendes Steinchen - mit einem rollenden Stein löst man ja bekanntlich oft eine Lawine aus, das kann man nur mit vielen guten Wünschen und Hoffnung begleiten. Das Buch würde ich mir umgehend kaufen, selbst wenn ich die Sprache niocht lesen könnte, in der es geschrieben wird.

                Euch wünsche ich frohe Weihnachten und möglichste keine Unfälle oder Beinaheunfälle mehr.
                Two roads diverged in a wood, and I—
                I took the one less traveled by,
                And that has made all the difference (Robert Frost)

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                • grenzenlos
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                  • 25.06.2013
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                  AW: [TR] Langzeitwanderung

                  Zitat von Sternenstaub Beitrag anzeigen
                  Hallo Wi + Gi,

                  es ist immer wieder eine Freude, bei euch weiter zu lesen!

                  Die Geschichte mit dem Umweltinder hat mich sehr berührt. Seinen Mut (denn ich denke, es braucht verdammt viel Mut, einfach so aus dem Nichts, mit solch einem Projekt zu beginnen) bewundere ich sehr und wünsche ihm, dass er etwas anstößt, damit sich die Verhältnisse nachhaltig verändert. Was er begonnen hat, quasi als rollendes Steinchen - mit einem rollenden Stein löst man ja bekanntlich oft eine Lawine aus, das kann man nur mit vielen guten Wünschen und Hoffnung begleiten. Das Buch würde ich mir umgehend kaufen, selbst wenn ich die Sprache niocht lesen könnte, in der es geschrieben wird.

                  Euch wünsche ich frohe Weihnachten und möglichste keine Unfälle oder Beinaheunfälle mehr.
                  Ja, und genau solche Menschen wie der Umwelt- Inder, bereichern unsere Touren unterwegs sehr wesentlich. Ich mag diese kleinen Geschichten, welche eigentlich sehr große sind, am Wegesrand . Sie sind oft wichtiges Futter für meinen Glauben an eine bessere Welt. Speziell Indien hat große Probleme was die Umwelt betrifft. Es ist da eigentlich schon 5 nach 12 Uhr.
                  Ich hoffe auch, dass der rollende Stein zur Lawine wird. Die Hoffnung stirbt immer erst zum Schluss
                  Ob er meinen Rat bezüglich Buch umsetzen wird, ich kann es nur hoffen. Wenn wir erneut in Deutschland einschlagen werden, versuche ich Verbindung mit Abhishek aufzunehmen.

                  Danke für die Wünsche

                  LG, Wi
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                  Gruß, Wi grenzenlos

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                  • grenzenlos
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                    AW: [TR] Langzeitwanderung

                    Indien Teil 7


                    Besinnungsstunde

                    Weiter Weg bis Varanasi

                    Hampi ist berühmt wegen seiner verwunschenen Naturland-schaft. Hier schlafen zudem auch viele verlassene Tempel. Eingebettet sind diese Schläfer zwischen gigantischen Granitfelsen, eingebettet auch zwischen vielen Reisfeldern und Palmenhainen.


                    Hampis Tempel

                    Den Kontrast zu den rostfarbigen Granitmurmeln bildet oftmals ein azurblauer Himmel. Ein träger Fluss durchfließt die märchenhafte Landschaft. Hampi ist somit fast zwangsweise ein Ort für längere Zeit. Die Zeit ist dabei keine Verschwendung, denn auf unseren vielen Wanderungen zwischen den vielen Granitfelsen, staunen unsere Augen meist ohne Pause.


                    Murmelland

                    Es sind nicht nur die weit verstreut, eingebettet liegenden Hindu- Tempel, welche die Augen verzaubern. Wir erklimmen fast täglich einen der murmeligen Granitaussichtspunkte. Dabei versuchen wir immer, die Zeit der letzten Sonnenstrahlen zu erwischen, denn das Granit entfaltet zu dieser Stunde seine schönsten Farben. Zu unserem Lieblingsausguck kraxeln wir mindestens eine Stunde ständig nach oben.


                    Kraxeln in rostigen Murmeln

                    Doch der steile Weg lohnt sich, denn von unserem Lieblingsplatz, es ist ein längst vergessenes Ruinentempelchen, können wir das verwunschene Hampital überblicken. Wir sehen dabei all die Schleichwege im Tal, die Schleichwege durch die Reisfelder, die Schleichwege zum Fluss und die Schleichwege zwischen den verstreut liegenden Ortschaften. Und sehen jedes mal auch die Sonne am Horizont versinken. Es sind Minuten der Ruhe, Entspannung und inneren Einkehr.


                    Minuten der Entspannung, Ruhe, und ...

                    Da ich auch viele Stunden an einem weiteren Lieblingsplatz verbringe, gehen meine Gedanken fast zwangsweise zurück zu unserer damaligen Radeltour. Hampi hatte uns nämlich schon damals fasziniert und genau dieser Fels diente auch damals für einige Besinnungsstunden.


                    Weiterer Lieblingsplatz

                    Jetzt könnte ich natürlich im Sinne von touristischer Besinnlichkeit, all die lebendigen und toten Tempel, unsere preiswerte Superunterkunft in Hampi Bazaar oder auch all die inspirierenden Schleichwege rund um Hampi beschreiben, doch diese Art von Lektüre ist tausendfach in Reise- Büchern oder natürlich auch im Internet auffindbar. Deswegen lasse ich es lieber, da mir tausendfach einfach als genug erscheint. Was mich aber während der neuen Stunden- Besinnlichkeit beschäftigt, ist folgendes:

                    Vom Virupaksha-Tempel aus (Tempel ersichtlich auf Bild 2) führt eine recht lange Straße zum Mantangaberg. Die ersten gut 300 Meter vom Tempel aus, sind rechts und links entlang der Straße gesäumt von sehr alten, teilweise zerfallenen Basarläden und Lagerhallen. Diese dienten bei unserem ersten Besuch in Hampi (2008) noch als wirkliche Läden, Imbissbuden und auch als Wohnunterkünfte für viele Menschen. Diese „Ruinen“ sind nun leer. Begründet wird die „Leerung“ mit dem Kulturerbe von Hampi. Ich persönlich finde es sehr schade, denn genau diese Straße war damals ein Sahnehäubchen von Hampi für uns. Die vielfältige Buntheit entlang der Straße, war auch im Sinne von indischer Buntheit, kaum zu überbieten. Nicht nur die Läden waren bunt, auch die Menschen wirkten sehr, sehr bunt angezogen und sehr, sehr bunt behängt. Ein Schmaus für die Augen!
                    Das müssen „Zigeuner“ sein, sprach ich damals zu Gi. Sie erinnerten mich nämlich stark an die durchaus sehr interessanten Begegnungen mit den Roma während unserer früheren Balkantouren. Erst Monate später wurde meine Einschätzung - ich wollte es einfach wissen - fast bestätigt, denn der größte Teil der Wissenschaft vermutet die Herkunft von den „Zigeunern“ genau aus dieser Region. Was ich bei meinen Nachforschungen dann noch wichtiges gelernt habe, war, dass das Wort „Zigeuner“ nicht mehr zeitgemäß ist. Mir war dies, zu meiner eigenen Schande, bis dahin nicht bewusst. Man lernt zum Glück nie aus.
                    Es wird von den meisten „Zigeunern“ als Schimpfwort oder als Rassismus empfunden! Wenn man sich dann genauer damit beschäftigt, genauer auch mit der schrecklichen Geschichte dieser Volksgruppe, und dies zum Teil bis zum heutigen Tag, ist dies auch genau so. Dieser Sammelname für diese unterschiedlichsten Gruppen von Menschen (Roma, Sinti und weitere), verschwindet allmählich auch im normalen Sprachgebrauch, in der Politik und in den Medien.
                    Was ich nun hoffe, ist, dass die Zwangsvertreibung dieser Menschen entlang dieser Hampistraße nicht genau dieser rassistischen Einstellung geopfert wurde. Ich vermute es leider. Ich hoffe aber, man überlegt erneut. Ich mag zudem auch kein Weltkulturerbe, welches erst von Menschen „gesäubert“ werden muss, um danach den ersehnt maximalen Profit zu erzielen. Beispiele gibt es leider weitere (z.B. Petra in Jordanien). Für mich sind die Menschen an solchen Orten immer die Würze, immer die Sahnehäubchen, denn nur so atmet der Ort seine faszinierende Wichtigkeit, seine Schönheit, auch seine Besonderheit für die Menschheit weiter aus und ein.
                    Wir verlassen Hampi somit auch in der Hoffnung, auf die Weltkulturerbe- Besserungeinsicht, denn die menschliche Buntheit sollte unbedingt erneut die Straße beleben.

                    Bunt ist auf jeden Fall unser weiterer Weg, denn die Straßen, die Landschaften, die Menschen und somit die Eindrücke unterwegs wechseln sich täglich ab. Oft sind es auch nur wenigen Stunden oder gar Minuten zwischen diesen Abwechslungen. Die Szenen dieses spannenden Film's, versuche ich über die nächsten knapp 2000 Kilometer bis Varanasi in meinem Kopf krampfhaft abzuspeichern. Beim Speichern hilft mir die Kamera. Sie belebt zum Glück die Momentaufnahmen in sekundenschnelle. Und immer wenn man Lust dazu hat. Sie holt zurück was fast vergessen. Sie holt auch zurück was übersehen wurde. Der Kopf und die gespeicherten Bilder werden zu einer Einheit. Die Kopfgedanken und die Kamera ersetzen somit für mich das Tagebuch aus alten Zeiten. Was ihnen jedoch gemeinsam ist, sie gebären, wenn auch unterschiedlicher kaum möglich, weiterhin die kleinen Geschichten von unterwegs, die Geschichten am Wegesrand.

                    Zu einer dieser kleinen Geschichten gehört der indische Straßenverkehr. Und dabei natürlich meine Bemühungen, endlich ein richtiger Fahr- Inder zu werden. Die Sadhus in Hampi hatten mir ja gesagt, ich muss wie ein Inder denken. Also gebe ich mir ordentlich Mühe. Und was soll ich nun schreiben? Ich kann nur schreiben, ja es gelingt mir. Die Regeln im indischen Straßenverkehr sind wahrlich nicht europäisch. Für mich, zumindest zu Beginn unserer Tour, die wirklich schlimmsten in der Welt. Dabei ist eigentlich alles ganz einfach!


                    Endlich Fahr-Inder!

                    Der Motor- Stärkere hat immer Vorfahrt. Blinker werden kaum eingesetzt. Ein winkendes Handzeichen ersetzt meist den Blinker. Hupt es, und dies ist nervend fast ständig, dann bedeutet dies, mach Platz! Dieses Gebot einzuhalten, ist überlebensnotwendig. Fahre nach Möglichkeit nie in der Nacht, denn dies sind Horrorfahrten. Respektiere die Tiere, wie Kühe, Ochsen, Schweine, Kamele, Hunde, Affen und weiteres Getier, als mindestens gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer. Rechne immer mit kraterähnlichen Schlaglöchern, offenen Gullideckeln, plötzlichem Wechsel von Asphalt zu Pisten und fast ständig unbefestigten Seitenstreifen. Gemeingefährlich sind die Hubbel (Tempohemmschwellen) zur Geschwindigkeits- Reduzierung in allen Städten und Dörfern quer über die Fahrbahn. Wenn du nicht kurz fliegen willst, so bremse vorher tüchtig ab. Bürgersteige sind auch in Städten meist purer Luxus. Rechne immer damit, dass ein Fußgänger, und davon gibt es nicht wenige, dir den Weg schneidet. Wundere dich nicht, wenn dir ein Fahrzeug oder auch eine Kuhherde auf der eigentlich falschen Straßenseite entgegenkommt. Es sind keine Geisterfahrer. Es sind ganz normale indische Verkehrsteilnehmer. Besonders auf Autobahnen erlebt man dies stündlich.
                    Wenn du diese Regeln, und noch ca. hundert weitere berücksichtigst, somit also faktisch ein indischer Allroundfahrer geworden bist, wird dir das Fahren sogar Spaß und Freude bereiten. Vergesse während dieser Freude aber nie, dass du ein Fahr- Inder bist, nur ein Rädchen im indischen Verkehrschaos, nur ein Rädchen im Kampf um Zentimeter, im Kampf um Fortbewegung. Sei Stolz am Abend auf deine erfahrenen Kilometer, auch wenn es nur sehr wenige sind. Es gibt nämlich Tage, da sind 150 Kilometer Tagesleistung schon sehr gewaltig.

                    Diese wenigen Kilometer sind zum Glück auch den unzähligen Begegnungen am Wegesrand geschuldet. In der Langsamkeit liegt oft ein Segen. Dutzende Gründe gibt es, um irgendwo eine kurze oder auch längere Rast einzulegen.
                    Da sind die Sadhus mit ihrer heiligen Kuh. Sie ziehen von Ort zu Ort, von Tempel zu Tempel und verdienen sich mit ihren Kunststücken den Lebensunterhalt. Für uns ist es eine Freude, denn das halbe Dorf schaut zu, gibt Applaus, lacht wenn ein Kunststück nicht auf Anhieb gelingt und grölt wenn alles perfekt erscheint. Der Höhepunkt ist die stehende Kuh auf den Oberschenkeln des Mannes.


                    Kunst soll Leben

                    Eine halbe Stunde verbringen wir bei dem Spektakel. Wir sind begeistert. Zur Vorführung gehört auch die passende Musik des anderen Mannes. Er umkreist ständig die zwei Vorführenden, trifft absolut vorzüglich die Töne und untermauert damit wohlklingend die Dramatik der Vorführung. Seine aufgeblasenen Wangen scheinen zu platzen.
                    Zum Schluss macht der Klingelbeutel die Runde. Kunst will Leben. Kunst braucht Nahrung. Es trennt sich die Spree vom Weizen. Nur wenige geben eine Münze. Wir geben einen Schein. Kunst soll Leben!


                    Die Wangen scheinen zu platzen

                    Und da Kühe, besonders natürlich die wandernden Kühe, ab und zu neue Hufe brauchen, findet man auch in allen ländlich geprägten Ortschaften die Hufbeschläger. Und da in Indien eine ausgeprägte Arbeitsteilung herrscht, beschlägt nicht der Hufschmied, sondern der Hufbeschläger.


                    Muss halt sein

                    Neben einem Baum warten weitere Kühe auf ihre neuen Schuhe. Dabei können sie beobachten was sie erwartet. Sie erscheinen uns nicht unbedingt glücklich, denn die Beschläger wollen, müssen Geld verdienen, haben keine Zeit, kennen keine Gnade. Da wird gefesselt, gedrückt, gehämmert, gezogen und das Gewimmer der leidenden Kühe verhallt ungehört in der Ferne. Zum Glück sind wir keine Kühe.
                    Wobei, den Kühen ergeht es in Indien eigentlich ja sehr angenehm. Die Hufbeschlagung ist zudem auch nicht täglich. Und als wir einen Bauern beobachten, wie dieser mit seiner Kuh durchs Wasser gleitet, überlegen wir erneut. Wären wir nun Hindu, glaubten dabei auch an die Wiedergeburt, als Kuh hat man in Indien nicht die schlechtesten Karten.

                    Der Bauer verwöhnt seine Kuh regelrecht, denn vor dem gleiten durchs Wasser hat er sie sanft abgeschrubbt, gestreichelt, mit ihr geredet und ihre Hufe gereinigt. So manchen Menschen ergeht es in Indien da weit schlechter.


                    Seine Lieblingskuh?

                    Die Strecke immer Richtung Norden ist meist von Armut geprägt. Zwei Tage tuckern wir dabei an Baumwollfeldern vorbei. Wir merken sofort, mit Baumwolle ist schlecht Geld zu verdienen, zumindest nicht für die Arbeiter/innen im Baumwollfeld. Die Häuser sind meist winzig klein und aus Lehm erbaut. Oft schaut da die Kuh stolz übers Strohdach.
                    Im Hof liegen aufgestapelt die Kuhfladen zum trocknen. Diese werden als Brennmaterial verwendet. Nur in den Städten wechselt die Armut etwas ihr Gesicht. Die Armut hat dort meist gemauerte Wände, ein oder mehrere Kühe ums Häuschen laufen, und mehrere aufgestapelte Kuhfladen- Türme im Hof stehen.

                    Die Backsteine für die armseligen Steinhäuser werden oftmals an den Ortsrändern in kleinsten Manufakturen hergestellt. Die Männer formen die lehmigen Erdschichten in Holzformen. Bei um die 30 Grad keine unbedingt beneidenswerte Arbeit, denn in diesen meist sumpfigen Gegenden vermiesen auch viele Moskitos den Arbeitseifer. Harte Arbeit, karger Lohn, erzählen mir die männlichen Arbeiter.


                    Harte Arbeit - Karger Lohn

                    Es geht aber noch beschissener, denn nachdem die Steine durch die sonnige Wärme vorgetrocknet wurden, tragen Frauen diese hochgestapelt auf dem Kopf zum Brennplatz. Sie tun dies ohne Klage. Manche lächelt uns sogar an. Ich denke, noch härtere Arbeit, noch weniger Lohn.
                    Was würde Indien ohne seine Frauen machen? Frauen arbeiten auf dem Bau, bessern Straßen aus, bestellen die Felder, sammeln Stapel von Holz, formen die Kuhfladen, kümmern sich um die zahlreichen Kinder, und, und, und …
                    Ich frage mich dabei immer, warum müssen in Indien hauptsächlich die Frauen die körperlich schwersten Arbeiten verrichten? Hat da einer der vielen indischen Götter den Männern vielleicht ins Ohr geflüstert, lasst den Frauen all die schwere Arbeit tun, denn ihr Männer seid dafür ja einfach zu schwach. Oder sind vielleicht all diese Götter nur männliche Götter? Und keiner mag der Nestbeschmutzer sein? Oder, oder, oder …?


                    Was wäre Indien ohne seine Frauen

                    Egal wo wir auch Rast machen, einkaufen, den Menschen bei der Arbeit zuschauen, übernachten, oder nur für wenige Minuten etwas Ruhe suchen auf unserem langen Weg nach Varanasi, wir sind da nie lange alleine. Entlang der Strecke gibt es sonst keine Ausländer zu bestaunen oder zu befragen. Die Strecke hat nicht den Wohlstands- Charm von Kerala oder gar Goa. Es ist nicht das indische Schloss Neuschwanstein. Und doch sind wir begeistert, denn die meist sehr armen Menschen sind sehr freundlich, unterhaltsam, wissbegierig und zu manchem Späßchen aufgelegt. Wir fühlen uns wohl auf dem Weg nach Varanasi.


                    Wir sind nie lange alleine

                    So verrinnt die Zeit mit vielen neuen Eindrücken, auch mit neuen Fragen und vielen spannenden Erkenntnissen.
                    Erst in Varanasi kann ich mich lösen von den vielen Fragen, den Eindrücken und Erkenntnissen. Dieses Loslassen ist auch bitter nötig, denn die heilige Stadt am Ganges verlangt nach einem klaren Kopf, nach klaren Gedanken.
                    Sie gilt als die chaotischste Stadt von ganz Indien. Sie strapaziert die Eigenarten des Gefühlsleben. Leib und Seele ringen um Verständlichkeit, um Erklärungen, und wandert dabei zwischen Mitleid, Liebe, Komik, Ironie, Ärger und Freude.

                    In Varanasi (eine der 7 heiligen Städte der Hindus) schlägt des Herz der Hindus. Sünden versucht man im Ganges abzuwaschen. Die Befreiung aus dem Todes- und Wiedergeburt- Kreislauf wird hier durch Verbrennungen der Verwandten am heiligen Wasser in aller Einfachheit zelebriert. Etwas für uns eigentlich sehr persönliches, somit sehr intimes, ist hier in aller Offenheit, auch in aller Öffentlichkeit, über 24 Stunden täglich ersichtlich.

                    Zum klaren Kopf gehört für mich auch immer eine Runderneuerung zur Ansicht meines Kopfes selbst. Also besuche ich zuerst in Varanasi den Straßenfriseur. Die langen Haare werden fachmännisch gestutzt, die schon juckenden Barthaare abrasiert und so nebenbei massiert er mir den Kopf, den Nacken und die Schultern. Zum krönenden Abschluss reinigt er mir sogar noch die fast verschlossenen Gehörgänge.


                    Runderneuerter Kopf, gleich klare Gedanken?

                    Jetzt fehlt nur noch eine heiße Dusche, ein weißes Bettlaken, ein Zimmer mit Aussicht auf den heiligen Fluss und der Mut, um sich auf all die Möglichkeiten, welche Varanasi bietet, ohne Vorurteile einzulassen.
                    Es soll durchaus schon hartgesottene Traveller gegeben haben, welche nach nur wenigen Stunden Varanasi fluchtartig verlassen haben. Ob wir auch flüchten oder ob die widersprüchliche Stadt für uns zu einem weiteren lohnenswertem Erlebnis wird, verrate ich aber erst im nächsten Bericht.

                    Bis dahin,

                    LG, Wi + Gi + Kampfmaschine


                    Kilometerstand: 6.530 km Stand: Mitte November 2015


                    In aller Offenheit
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                    Gruß, Wi grenzenlos

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                    • Julia
                      Fuchs
                      • 08.01.2004
                      • 1384

                      • Meine Reisen

                      AW: [TR] Langzeitwanderung

                      Liebe Gi und lieber Wi - ist bei Euch alles ok? Jetzt ist es hier nämlich ziemlich beunruhigend lange still gewesen...

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                      • grenzenlos
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                        • 25.06.2013
                        • 566
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                        AW: [TR] Langzeitwanderung

                        Zitat von Julia Beitrag anzeigen
                        Liebe Gi und lieber Wi - ist bei Euch alles ok? Jetzt ist es hier nämlich ziemlich beunruhigend lange still gewesen...
                        Lieb Julia, es ist alles in bester Ordnung, nur ist die Internetverbindung leider in dem Land, in welchen wir uns momentan aufhalten (Oman) echt besch... Der Nächste Bericht von Indien ist schon längere Zeit auf der Startbahn, doch spielt die Technik leider nicht mit (Kanäle verstopft, die Bilder brauchen Stunden zur Übertragung, Batterien reichen nicht für die benötigte zeit usw.). Zudem haben wir nur mangelhafte Verbindung in wirklich größeren Ortschaften. Da wir viel abseits der belebten Regionen unterwegs sind, ist dies ein zusätzliches Problemchen. Ich hoffe, diese Nachricht kommt an Der Empfang ist momentan leidlich gut um zumindest einen Text zu senden

                        LG, Wi + Gi + Danke für die rührende Seelenverwandtschaft

                        Liebe Extragrüße in den schönen Norden dieser Welt
                        Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                        Gruß, Wi grenzenlos

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                        • Julia
                          Fuchs
                          • 08.01.2004
                          • 1384

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                          AW: [TR] Langzeitwanderung

                          Ja, Nachricht angekommen - super! Weiterhin alles Gute für Euch! Ich wollte Euch auch nicht stressen, aber da ich selber zwischendurch weiter weg war (über'n Atlantik, keine Outdoorreise, nur normaler Ferientrip mit eingelegten Vogelbeobachtungstagen) war vielleicht das Gefühl um so grösser, dass es eine Weile seit dem letzten Post war. Genießt die Zeit im Oman! Und danke für das Lebenszeichen!

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                          • grenzenlos
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                            • 25.06.2013
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                            Zitat von Julia Beitrag anzeigen
                            Ja, Nachricht angekommen - super! Weiterhin alles Gute für Euch! Ich wollte Euch auch nicht stressen, aber da ich selber zwischendurch weiter weg war (über'n Atlantik, keine Outdoorreise, nur normaler Ferientrip mit eingelegten Vogelbeobachtungstagen) war vielleicht das Gefühl um so grösser, dass es eine Weile seit dem letzten Post war. Genießt die Zeit im Oman! Und danke für das Lebenszeichen!
                            Übern Atlantik, wie wunderbar. Hoffe, war ne angenehme Zeit. Vielleicht folgt ja Bericht + stressen tue ich mich nicht, denn es geht eh nur was geht

                            LG, Wi
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                            Gruß, Wi grenzenlos

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                            • grenzenlos
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                              • 25.06.2013
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                              AW: [TR] Langzeitwanderung

                              Indien Teil 8



                              Leben mit dem Tod

                              Damals, während unserer Welt-radeltour, sind wir recht abgekämpft in Varanasi eingeradelt. Ich kann mich noch erinnern was Gi mir flüsterte, als ich von einem Varanasi- Spaziergang ins Zimmer zurückkam. Gi sagte an diesem Abend zu mir: Ich glaube, ich habe den Ekelwahn.
                              Natürlich fragte ich, warum?
                              Als du in deiner Leichenstadt unterwegs warst, habe ich mit einem Hoteljungen eine Ratte in unserem Zimmer gefangen. Die Kakerlaken im Bad haben wir – so gut es eben ging – tot gesprüht oder halt erschlagen. Von der Chemiekeule hat das Hotel in drei Jahren immer noch was. Als ich mir dann frische Luft am Fenster reinziehen wollte und nach unten schaute, du wirst es nicht glauben, saßen da wirklich drei kackende Inder! Dein Leichenhausen treibt mich zum Wahnsinn!
                              Wow, die Erinnerung ist natürlich heftig.
                              Zur Erklärung: Es war gerade die Phase, als Gi mit ihrem Darmproblem zu kämpfen hatte (zu lesen in Bericht Nr. 3 ). Genau geschrieben, es war ihre hochgradige Indien- Hass- Phase, als sie nämlich damals erkannte, dass sie statt der Tabletten gegen heftigen Durchfall, die Tabletten für heftigen Durchfall geschluckt hatte. Es war also die Gi- Indien- Hass- Phase hoch drei, welche für eine Stadt wie Varanasi, natürlich sehr kontraproduktiv sein kann, um es diplomatisch auszudrücken.
                              Sie war während unserer 3 Tage in der Stadt nur einmal an den Ghats dabei. Eine der Tablettennebenwirkungen war wahrscheinlich daran Schuld, dass sie bei genau diesem Besuch an einem der Verbrennungsghats, sehr, sehr intensiv den Leichen- Verbrennungsgeruch erschnüffeln konnte, behauptete sie jedenfalls. Sie hatte somit sehr schnell die Nase randvoll. Varanasi wurde für sie zu „Leichenhausen“ und letztendlich verließen wir die von ihr ordentlich Geschmähte schon nach 3 Tagen.
                              Ich selbst hatte mich irgendwie mit Varanasi angefreundet, denn ich fand die Stadt zumindest außerordentlich interessant.


                              Gassenkampf

                              Damit meine damals gefühlte Freundschaft, diesmal auch so für Gi eintreffen möge, machte ich mir dazu vorher schon Gedanken. Wichtig erschien mir dabei, unser damaliges Zimmer für 3,80 Euro pro Nacht, gegen ein höherwertiges einzutauschen, denn ein passables Zimmer ist immer schon die halbe Miete, zumindest glaube ich manchmal fest daran. Da unsere Fahrt, von Hampi bis Varanasi, zudem sehr angenehm und ohne jegliche Darmproblematik verlief, also mit vielen schön angereicherten Tagen, rechnete ich dies elegant zur anderen Hälfte der Miete. Wird meine einfache Rechnung aufgehen?
                              Diesmal zuckeln wir recht beglückt nach meinem Freiluft- Friseurbesuch durch die engen Gassen von „Leichenhausen“. Hinter jeder Gassenecke gibt es eine neue Überraschung. Manchmal steigt Gi ab, um zu Fuß den Weg zu erfragen, um mich zu lotsen, um mich einzuweisen oder um gar sperrige Dinge in den Gassen wegzuräumen. Wir suchen nämlich im unglaublichen Gassengewirr eine ganz bestimmte Unterkunft. Diese zu finden ist nicht einfach. Doch Gi, anders als bei unserem damaligen Fahrradbesuch, ist echt gut gelaunt. Sie gibt nicht auf. Es ist ihr egal, dass wir eine gute Stunde brauchen, um das erhoffte Glückshotel zu finden. Ich hatte es vorher über eine Internet- Hotelsuchmaschine auserkoren.
                              Okay, die Hürde des fünffachen Preises, gegenüber dem Rattenzimmer von damals, musste ich dabei erst mutig überspringen, doch wenn ich der ausführlich märchenhaften Beschreibung des Hotels glauben darf, erwartet uns ein Traum von Zimmer, ein Traum von Hotel.

                              Ich will den Spannungskurve kurz halten. Es wird tatsächlich ein indischer Hoteltraum für uns!


                              Zimmer-Hotel-Traum

                              Hier passt einfach alles, stellen wir schon nach nur wenigen Minuten fest. Unser Zimmer ist ein Wohlfühlzimmer. So etwas sauberes haben wir in Indien noch nie erlebt. Neben sauber, geizt das Hotel auch nicht mit dekorativer Verspieltheit. Das Fenster eröffnet einen grandiosen Blick runter zum Ganges, runter zu einem der ca. 80 Ghats. Für drei Nächte habe ich vorgebucht. Letztendlich bleiben wir sieben. Die Zahl 7 gibt zu erkennen, dass Varanasi selbst, diesmal auch für Gi, eine etwas länger machbare Option sein wird.

                              Was macht nun aber dieses Varanasi - je nachdem wie man halt die Stadt selbst erlebt oder erleidet - so spannend, so verrückt, so bunt, so unerträglich, so faszinierend, so abstoßend, so romantisch oder gar so schockierend ?


                              Altstadt

                              Der interessanteste Stadtteil, nämlich die Altstadt von Varanasi, verteilt sich einige Kilometer entlang am Westufer des heiligen Ganges. Da befinden sich auch die berühmt- berüchtigten Ghats (zum Ganges hinabführende Treppen). Jedes Ghat hat einen Namen. Zum Ghat gehört immer ein Tempel, welcher für die so wichtigen Religionshandlungen erbaut wurde. An diesen Treppenabgängen verrichten die Hindus ihre Kulthandlungen, ihre Waschungen und an einigen wenigen dieser Ghats wird auch die Verbrennungszeremonie ihrer Toten sehr öffentlich abgehalten. Die Hindus werden religionsbedingt verbrannt. Und wer es sich leisten kann, bringt den Verstorbenen oder seine Asche nach Varanasi.

                              Im Labyrinth der Gassen, kann man sich der Flut der bizarren Gerüche, der Buntheit des indischen Lebens und am Ganges den Hindu- Ritualen des Totenkultes sehr intensiv ausliefern.


                              Verbrennungsghat aus respektvollem Abstand

                              Bei all unseren Spaziergängen in den Gassen oder entlang der vielen Ghats, erschlagen mich erneut fast die Eindrücke. Viel Zeit brauche ich, um all die magischen, skurrilen und surrealen Momente zu verarbeiten. Besonders an den Verbrennungsghats zerrt das Nervenkostüm wie ein aufgeblasenes Segel bei Windstärke 10. Um dem Segel etwas Wind zu nehmen, um bestimmte Dinge richtig einordnen zu können oder um auch nur annähernd zu verstehen, sitzen wir oft lange Zeit einfach nur herum, denn lange Zeit nur zu beobachten, enträtselt so manche Eigenheit. Dabei hilft mir auch sehr, mich wie in anderen Ländern oftmals auch, einfach zu hinterfragen, was wäre aus mir geworden, wäre ich denn hier geboren worden? Doch diesmal frage ich mich gleichzeitig, welcher Job wäre für mich bei all dieser reichen Jobauswahl der angenehmste?

                              Egal wo man in Indien unterwegs ist, Sadhus trifft man immer. Und in Varanasi trifft man sie zudem dann ständig, denn hier ist mit all den Touristen recht gut Knete zu machen. Vorausgesetzt natürlich, man scheut nicht den Kontakt zu den ausländischen und auch vielen indischen Reisenden. Nur wenige Sadhus in Varanasi sind nur auf der Durchreise, auf dem langen Pilgerweg ihres Lebens. Die meisten gehören zum Varanasi- Inventar. Ein Touristen- Sadhu möchte ich selbst nicht sein, auch wenn die Mahlzeiten gesichert erscheinen, denn ständig die gleichen Sprüche zu klopfen, wäre mir auf Dauer zu langweilig, zu eintönig und somit sicherlich auch zu anstrengend. Als Sadhu auf ständiger Wanderschaft, könnte ich mich da schon eher vorstellen.


                              Kein Tourisadhu

                              Als Straßenbarbier hat man auch nicht die besten Karten, denn auch davon gibt es sehr viele. Die Rikschafahrer leben am Rande der Stadt. Dort sind die Elendsviertel. Ihr gnadenlos erkämpftes Geld reicht nicht zum würdigen Leben. Überhaupt ist es in Varanasi, wie überall in Indien, die Jobs sind knallhart umkämpft, die Reviere mafiamäßig abgesteckt und die Kastenordnung lässt nur wenig Spielraum für erwünschte Veränderungen.
                              Nur selten trifft man Individualisten, Menschen welche eine Nische für sich auserkoren haben. Dazu gehört ein Mann, welchen ich schon damals voller Neugierde beobachtet hatte. Noch immer taucht er nach Kostbarkeiten im Gangesschlamm. Täglich mindestens acht Stunden verbringt er im keimigen Gangeswasser, taucht unter, wühlt im Gangesschlamm, ergreift was die Hände erfühlen, taucht auf, begutachtet und wirft letztendlich meist den Schlamm zurück in die schmutzigen Fluten, denn keine Kette, kein Ring und auch keine Münzen werden sehr oft von den Gangespilgern im Wasser verloren, als dass sich jeder Tauchgang lohnen würde. An vielen Tagen hat er nur Schlamm in den Händen. Ring, Kette oder Münzen geben nur sehr, sehr selten Anlass zu Freude. Für den Mann gibt es aber auch kleine Freuden, denn was er ziemlich oft zwischen den Fingern an die Wasseroberfläche bringt, sind weiße Würmer. Und da er sie wie damals, auch diesmal noch immer genüsslich im Mund verschwinden lässt, dabei auch immer leicht lächelt, muss ich somit von kleiner Freude schreiben. Die kleinen Freuden der Menschen weltweit können sehr unterschiedlich sein.

                              Für mich wäre es keine Freude! Für mich wäre seine tägliche Arbeit eine echte Qual. Nicht nur wegen der Würmer. Ich kann mir einfach nur sehr schwer vorstellen, täglich das dreckige Wasser zu fühlen, geschweige denn darin täglich einzutauchen.


                              Schon viele Jahre taucht er unter

                              Das Wasser berühren oder gar täglich eintauchen, bedeutet nämlich, mit all dem Schmutz in Berührung zu kommen, was der Ganges halt so an schmutzigen Überfluss bietet. Nicht sehr weit vom Glückstaucher befindet sich eine der vielen Freiluftwäschereien.
                              Hier wird in Kesseln die Wäsche sehr umweltschädlich vorgekocht. Alte Autoreifen und Abfälle der Schuhindustrie werden verschürt. Zum Schluss gelangt die Brühe in den Ganges. Die Wäscherinnen klopfen die Wäsche auf Steinen bis sie sauber erscheint. Arbeit bei den Wäschern, wäre auch nicht so mein Ding.


                              Autoreifen für saubere Wäsche

                              An manchen Abenden schippern wir in einem Boot über den Ganges. Da ist der Sonnenuntergang immer so romantisch. Die brennenden Blumen-schälchen der Pilger ziehen dabei wie Lichterketten an den Booten vorbei. Es ist die Zeit der mystischen Varanasi- Stimmungen. Natürlich paddelt unser Bootsführer auch immer an den Ghats mit den Verbrennungen vorbei. Am Abend sind die Feuer weit sichtbar. Da frage ich mich, könnte ich vielleicht an diesen Feuerghats arbeiten?
                              Es wäre ein Leben mit dem Tod. Die Einäscherung von den Toten, wäre mein Geschäft. Da täglich zwischen 100 bis 400 Verbrennungen an den Ghats stattfinden, wäre es eine absolut krisensichere Arbeit. Und aus der Krisensicherheit ist leicht zu erraten, irgendwann würde ich selbst da liegen. Liegen auf einer Bambustrage, eingehüllt in Tücher. Die Verwandten oder starke Jungs, würden mich auf der Trage die Stufen runter tragen, kurz im heiligen Ganges untertauchen, zurück schleppen, um auf einem Stapel Feuerholz verbrannt zu werden. Meine Asche würde letztendlich im Ganges verschwinden, sich vermischen mit allem was der Ganges in seinem Wasserbauch mit sich führt. Dies könnte mir aber egal sein, denn die schnelle Befreiung aus dem Kreislauf von Tod und Wiedergeburt erlangt man an diesem heiligen Ort angeblich sehr schnell.
                              Als Kind, angelockt durch ältere Freunde, hatte ich meinen ersten Toten im damaligen Leichenschauhaus des Sonneberger Krankenhauses vor lauter Angst erzittern dürfen. Ich will sofort gestehen, es war der ultimative Horror für mich, denn Alpträume begleiteten mich danach längere Zeit. Noch heute sehe ich die obduzierte Leiche vor mir. In Varanasi spukt mir die neugierige Alptraum- Jugendsünde erneut im Kopf herum. Die Arbeit mit dem Tod, könnte nicht mein Geschäft sein.
                              Und doch muss die Arbeit getan werden, weltweit getan werden. Ich habe sehr viel Achtung vor all diesen Menschen. Weltweit geschieht dies sehr unterschiedlich. So öffentlich wie in Varanasi, geschieht es jedoch nur sehr selten. Was mir dabei noch durch den Kopf geht?
                              Was überall, bei dem Kreislauf von der Geburt bis zum Tod, weltweit gleich ist, ist die Tatsache, dass jeder mit leeren Händen kommt und jeder mit leeren Händen geht. Egal was er sich an Reichtum angehäuft hat. Die Hände werden leer sein!


                              Ich mag den Holzgeruch

                              Da ich den unter-schiedlichen Geruch von Holz sehr mag, könnte ich mir zumindest vorstellen, in einem der vielen Holzlager neben den Verbrennungsghats zu arbeiten.
                              Ich mag die Maserung, die unterschiedlichsten Farbtöne und auch die Spalt- oder Sägegeräusche bei der Holzverarbeitung.
                              Und harte Arbeit ist mir zudem nicht fremd. Doch auch harte Arbeit findet ihre körperlichen Altersgrenzen.


                              Harte Arbeit ist mir nicht fremd - okay, war mir nicht fremd

                              Nach vielen weiteren Vorstellungen, zu möglichen Jobs in Varanasi, fällt mir das für mich eigentlich sehr nahe erst sehr spät auf. Es war so nah, dass es mir vielleicht deshalb erst am letzten Abend bewusst wird. Würde ich nämlich zur Kaste der Bootsführer gehören, dann wäre ich sicherlich zufrieden, denn mit dem Gangeswasser käme ich kaum in Berührung, der Tod hätte immer einen erfreulichen Abstand und täglich würden in meinem Paddelboot andere Menschen sitzen. Und da ich ja dann auch hier geboren sein würde, würde ich all die intimen Geschichten, Begebenheiten und Geheimnisse von Varanasi, und somit auch vom Leben mit dem Tod viel mehr wissen. Und es würde mir sehr viel Freude bereiten, all diese Geschichten meinen Bootsgästen zu erzählen, mein Varanasi zu rühmen. Zwischen jedem Satz, würde ich das Paddel durchs Wasser ziehen, dabei genüsslich meine staunenden Gäste betrachten, und wieder am Ufer angekommen, mich über ein saftiges Trinkgeld erfreuen. Ich bin mir ziemlich sicher, diese Arbeit würde mir gefallen.
                              Letztendlich tröste ich mich aber mit dem Gedanken, dass ich sicherlich irgendeinen Job hier machen würde. Und da für mich jede Arbeit auch etwas mit Anerkennung, Respekt, Achtung und Würde zu tun hat, würde ich mir dabei nur wünschen, man möge mich, egal welche Arbeit ich verrichten würde, respektvoll behandeln.

                              Mit vielen neuen Eindrücken, verlassen wir Varanasi. Gi hat ihren Frieden mit ihrer ,,Leichenstadt'' geschlossen. Dies freut mich natürlich besonders. Sie war oft der treibende Keil für unsere Wanderungen durch die engen Gassen, für unsere Wanderungen entlang des heiligen Ganges.

                              Im nächsten Teil versuchen wir Richtung Himalaya zu tuckern, besuchen aber vorher die Stadt der erotischen „Kunstturner/innen“, die Stadt der Felsskulpturen und die Stadt Agra, mit dem wohl berühmtesten Grab der Welt, dem Taj Mahal.

                              Bis dahin,

                              LG, Wi + Gi + Kampfmaschine, welche in Varanasi verdiente Pause hatte.

                              Kilometerstand: 6.530 km Stand: 3. Woche im November 2015

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                              Gruß, Wi grenzenlos

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                              • Sternenstaub
                                Alter Hase
                                • 14.03.2012
                                • 3401
                                • Privat

                                • Meine Reisen

                                AW: [TR] Langzeitwanderung

                                oh wie schön, es geht weiter.
                                Gibt kaum besseres (wenn man schon in der Stadt sein muss und die Arbeit wartet) am mittelfrühen Morgen bei einer Tasse Kaffee eine weitere Episode eurer Reise mitzuverfolgen.

                                Was du beschreibst macht sehr nachdenklich. Wie unterschiedlich sind doch die verschiedenen Teile unserer Welt und trotzdem in so vielen und ganz wichtigen Dingen so ähnlich. Das eine ist neben der Faszinaton schon ein Stück weit erschreckend, das andere hingegen sehr tröstlich.
                                Freu mich schon auf den nächsten Teil.
                                Two roads diverged in a wood, and I—
                                I took the one less traveled by,
                                And that has made all the difference (Robert Frost)

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                                • dominik_bsl
                                  Erfahren
                                  • 13.02.2006
                                  • 298
                                  • Privat

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                                  AW: [TR] Langzeitwanderung

                                  Eine tolle Schilderung von Varanasi! Ich glaube nicht, dass ich Indien - und speziell Varanasi - aushalten würde, aber dank eueres Berichtes war ich ja sozusagen trotzdem dort. Danke!

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                                  • grenzenlos
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                                    AW: [TR] Langzeitwanderung

                                    Zitat von Sternenstaub Beitrag anzeigen
                                    oh wie schön, es geht weiter.
                                    Gibt kaum besseres (wenn man schon in der Stadt sein muss und die Arbeit wartet) am mittelfrühen Morgen bei einer Tasse Kaffee eine weitere Episode eurer Reise mitzuverfolgen.

                                    Was du beschreibst macht sehr nachdenklich. Wie unterschiedlich sind doch die verschiedenen Teile unserer Welt und trotzdem in so vielen und ganz wichtigen Dingen so ähnlich. Das eine ist neben der Faszinaton schon ein Stück weit erschreckend, das andere hingegen sehr tröstlich.
                                    Freu mich schon auf den nächsten Teil.
                                    Hallo Sternenstaub,

                                    danke für die netten Sätze . Freut mich natürlich, dass ich die Tasse Kaffee am mittelfrühen Morgen versüßen konnte .
                                    Ja, vieles in der Welt gibt Rätsel auf, und jedes Rätsel verschlüsselt eine andere Nachricht. Dies macht das Reisen so spannend. Ich hoffe immer dabei, die Rätsel mögen immer eine gute Auflösung haben. Leider ist dies nicht immer so. Doch ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die guten Rätsel die Mehrheit behalten werden

                                    LG, Wi
                                    Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                                    Gruß, Wi grenzenlos

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                                      Indien Teil 9



                                      Tuckern bis Beatleshausen

                                      Noch ganz in Gedanken mit Varanasi verbunden, tuckern wir in Khajuraho ein. Khajuraho ist bekannt für seine kunstvollen Reliefs an unterschiedlichen Tempelgruppen. Diese gehören zum Weltkulturerbe.


                                      Tempel

                                      Bei Weltkulturerbe erwartet man natürlich etwas ganz besonderes. Doch ich muss sogleich gestehen, die Landschaft und auch die Ortschaft selbst, in welcher die Tempel erbaut wurden, können mit Weltkulturerbe nicht gemeint sein, denn die Landschaftsform wirkt sehr öd auf mich, und die verstaubte Ortschaft selbst ist bewohnt von etlichen, wirklich nervenden Einwohnern. Hier wird Indien leider seinem Nepper- Schlepper- Bauernfängerruf voll gerecht, denn ständig werden wir angehauen. Das alle irgendwie Geld verdienen wollen, ein Geschäft wittern, kann ich verstehen, doch das wir selbst keine tuckernde Sparkasse sind, müssten die Yogis, die Masseure, die Taxifahrer, die Pensionsvermieter, die Restaurantbetreiber, die bettelnden Kinder und Erwachsenen, spätestens nach wenigen Stunden begriffen haben, denn wenn ich mir schon ihre Gesichter merken kann, werden wohl auch sie uns, bei jeder erneuten Anmache, erkannt haben. Es nervt einfach, und dies fast minütlich.

                                      Wir haben selbst Schuld, könnte ich nun schreiben, denn Orte die wie ein Touristenmagnet vermarktet werden, haben leider sehr oft diese negativen Nebenwirkungen. Hier kommt allerdings noch hinzu, dass die Vermarktung gezielt auch den erotischen Faktor ins Spiel bringt. Und Erotik verkauft sich weltweit gut. Und somit sind die Nerver im Preis einfach inbegriffen, denken sie zumindest.

                                      Als ich ein kleiner Bub war, so um die 6 Jahre, schickte mich meine Mutter zum Kunstturnen. Ich bin ihr heute dafür noch dankbar, denn einen Handstand oder einen Flickflack bekomme ich immer noch irgendwie hin. Okay, natürlich nicht mehr mit der Bestnote 10.
                                      Was ich am Turnen so geliebt habe, war die sehr breitgefächerte Beanspruchung aller Körperpartien. Jede Muskelgruppe wird dabei breitgefächert ausgebildet. Was ich damals allerdings nicht wusste, dass ich um die 54 Jahre später, an Tempeln im fernen Indien, so manche Abbildung als reine Kunstturn- Akrobatik bestaunen werde, in dieser gemeißelten Liebesakrobatik viele Grundelemente des Turnen erkenne würde und als Liebes- Turnkampfrichter ebenfalls geneigt sein würde, so manche Bestnote 10 zu verteilen.
                                      Was ich zudem damals auch nicht erkannte, dass solch eine Turnerausbildung durchaus dienlich fürs spätere Leben sein kann. Und dies meine ich natürlich auch im Sinne von sehr breitgefächert. Diese breitgefächerte Eingebung war mir damals noch nicht bewusst. Danke, liebe Mutter!


                                      Kunstturnerinnen? Kunstturner?

                                      Um die 1000 Jahre sind all die wirklich kunstvollen Steinmetzarbeiten alt. Natürlich wurden nicht nur breitgefächerte Liebesszenen in Stein gehauen. Die Abbildungen erzählen vom damaligen Leben. Es geht dabei um Götter, Göttinnen, Tiere, Krieger, Handwerker und die sehr vielen grazilen Nymphen, an den immerhin noch 25 erhaltenen Tempeln. Es sollen um die 80 Tempel die öde Landschaft damals beglückt haben.
                                      Was muss vor 1000 Jahren hier los gewesen sein, frage ich mich ständig, denn um all diese Tempel der Nachwelt zu hinterlassen, müssen zehntausende Menschen hier gelebt haben. Meine Gedankenwelt lässt den Ort neu auferstehen.
                                      Ich sehe den Künstlern bei der Arbeit zu. Die verstaubten Gassen sind gefüllt mit kleinen Basaren. Die Gewürze entfachen ein Feuerwerk der Gerüche. Aus den Tempeln lausche ich den Gesängen und Gebeten. Am Abend führen die Mahut ihre Elefanten zur Wasserstelle. Es wird gekocht. Es riecht verführerisch. Rinder ziehen durch die Gassen. Am Dorfteich waschen die Frauen ihre Saris. Bunt gekleidete Menschen beleben die Stadt, beleben die Gassen, beleben die Trampelpfade zu den Tempeln.
                                      Heute sausen Mopeds durch die staubigen Gassen. Die Fahrer sind dabei immer auf der Suche nach Touristen.
                                      Warum kann ich die Zeit nicht zurückdrehen? Könnte ich es, dann würde ich all meine Fragen los.

                                      Wie viele Menschen haben wirklich hier gelebt? Wie viele davon waren die Künstler? Gab es nur männliche Künstler? Warum wurden gerade hier die Tempel erbaut? Warum gibt es die vielen erotischen Abbildungen? Ist den Künstlern die Fantasie durchgegangen? Hatten sie freie Hand oder wurde im Auftrag gearbeitet? Und auch die Frage, wer hat die Nymphe im nassen Sari so kunstvoll erschaffen, werde ich leider nie erfahren. Genau diese Nymphe ist für mich Kunst mit Hammer und Meißel in Vollendung.


                                      Bildmitte Numphe mit nassem Sari

                                      Das Städte auch ohne Weltkulturerbe- Ernennung, fast immer einen Besuch lohnen, erleben wir in Gwalior. Die Stadt hat überraschend viele schöne Eigenheiten. Da stört mich auch nicht, dass ich beim eintuckern den Helm aufsetzen muss, denn die Soldaten erklären mir, ihre Stadt ist nicht nur sauber, sie soll auch verkehrssicher sein. Sauber stimmt, zumindest fast, und man staune, auch noch nie in Indien haben wir solch einen fast sicheren Verkehrsablauf erlebt. Über all die positiven Entwicklungen wacht symbolisch eine mächtige Festung auf majestätischem Hügel.


                                      Festung

                                      Dieser Hügel ist nicht an Fläche klein. Wir unternehmen eine Tageswanderung um all die Hügelschönheiten zu erkunden. Die Festung selbst ist auch majestätisch. Also, eine majestätische Festung auf majestätischen Hügel. Und da alles irgendwie somit sehr königlich erscheint, wundern wir uns dann auch nicht über die Zugabe des Palastes mit viel Fries. Man staune dabei erneut, denn der Fries besteht nämlich hauptsächlich aus gelben Enten, aus Mosaiken mit Elefanten, Krokodilen und Tigern. Auch diese sind in Gelb, Blau und Grün gehalten. Wir empfinden diese frühe Hindu-Architektur farblich als sehr entspannend.


                                      Gelbe Enten

                                      Doch der eigentliche Hammer, zumindest für uns, sind die 30 Felsskulpturen an unterschiedlichen Abhängen des Hügels. Bis 17 Meter sind da einige an Höhe aus dem Fels herausgemeißelt. Um die 500 Jahre sind sie alt. Sie wurden in früher Zeit leider zerstört, doch zum Glück erneut aufgebaut.


                                      Da waren Meister am Werk

                                      Dieser Umstand erlaubt uns, all diese Figuren zu bestaunen. Wir brauchen ordentlich Zeit um all die Figuren in unserem Inneren aufzunehmen, denn jede Figur hat ihre besondere Schönheit. Meine heraus gemeißelte Lieblingsfigur wird die Figur mit den einladenden Händen. Es gibt keine Begrenzung, auch keinen schriftlichen Verbotshinweis, um meinem Liebling sehr nahe zu kommen. Ich zögere, doch ein Inder erklärt mir, ich darf, denn es ist keine buddhistische Heiligkeit.

                                      Ich fühle die glatten Hände. Ich fühle sehr viel Wärme. Ich fühle friedliche Ruhe in mir. Für Momente vergesse ich wo ich mich befinde. Zusammen mit meiner Figur, bin ich unterwegs, unterwegs in Raum und Zeit.


                                      Gemeinsam in Raum und Zeit

                                      In Agra holt uns ein kleiner Teil der indische Wirklichkeit wieder ein. Dies bedeutet, Massentourismus umgibt uns. Geschuldet ist dies einzig dem Taj Mahal. Reichtum und Elend geben sich aber nicht die Hand, wie zu erwarten wäre. Sie werden nicht eins, um gemeinsam Raum und Zeit genießen zu können.


                                      Taj im Abendsmog

                                      Ja, das Taj Mahal ist fast göttlich. Es ruht eingezäunt auf großer sauberer Fläche, Springbrunnen kämpfen gegen den Feinstaub an, die Besucher lächeln, sind irgendwie aufgekratzt und doch alle in staunender, demütiger und somit feierlicher Stimmung. Mindestens zehntausende Augenpaare versuchen täglich die Schönheit zu verstehen, zu begreifen und manche Köpfe werden dabei auch hinterfragen. Warum musste ein ganzer Staat für dieses göttliche Grabmal fast ausbluten? Darf ein einzelner Mensch, seiner geliebten Frau, solch ein Grabmal errichten lassen, und dabei das Volk in bittere Armut drängen?
                                      Am Abend, wie an drei Abenden zuvor, stehen wir am Rande eines Friedhofs, um die Stimmung des Taj bei Sonnenuntergang in der Kamera fest zu brennen. Es gelingt nicht wirklich gut, denn der Smog hat die Stadt an jedem Abend im Griff.
                                      Trotzdem glänzt das Taj zumindest Foto-leidlich. Vor Jahren war dies noch anders. Meine damaligen Fotos hatten Ausstellungsniveau. Die Zeit ist aber vorbei, leuchtet mir schnell ein. Ganz Agra hat sich gewandelt. Es gibt natürlich noch immer das Taj, doch die Stadt selbst vergammelt, verarmt leider auch immer mehr. Der Stadt fehlt die Luft zum atmen. Die Stadt hängt am Tropf.

                                      Täglich laufen wir dorthin, wo der Atem spürbar fehlt, wo es keinen Tropf gibt, wo somit auch keine Touristen zu sehen sind. Keine Ahnung, doch ich schätze ca. 50 Prozent der Bewohner leben in Agra in den sogenannten Elendsvierteln.


                                      Die Stadt hängt am Tropf

                                      Ich frage vorher, wenn ich Bilder von ihrem Elend aufnehmen möchte. Sie haben nichts dagegen. Die Menschen sind freund-lich. Sie haben ihre Würde nicht ganz verloren. Dies wundert uns. Würde/n ich/wir das aushalten? Was geschieht mit den vielen Millionen Eintrittsgeldern vom göttlichen Taj? Bleibt das Geld in der Stadt? Ist nicht wenigstens Geld da um den Wasserkanal an einem der unzähligen Armenviertel zu säubern? Baut sich Indien erneut ein Grabmal?


                                      Ist kein Geld da?

                                      Auch in der Altstadt sind wir unterwegs. Dies hat einen besonderen Grund. Während unserer Weltradeltour habe ich dort einen besonderen Mann kennen gelernt. Lange habe ich damals seiner Arbeit zugeschaut. Dabei wurde mir bewusst, der macht die ausgesprochen gut, denn über Kundenandrang konnte er sich nicht beschweren. Er hatte mir damals erklärt, seine Bohrmaschine hat einen Akku. Ganze Gebisse kann er auf Bestellung fertigen. Und einen Zahn ziehen, ist natürlich seine leichteste Übung.


                                      Des Meisters Werkzeug

                                      Auf meine Frage bezüglich Hygiene antwortete er, er habe natürlich ein Mittel zum desinfizieren. Ohne ginge es auch nicht, denn dann hätte ich ja keine Kunden mehr.
                                      Gelächelt hat er damals bei der Antwort. Mir fiel auch auf, er hatte Goldringe an den Fingern. Nur wer gute Arbeit macht, kann sich Goldringe leisten, dachte ich.
                                      An seinem Arbeitsplatz, bei dem ich ihm in den längst vergangenen Jahren schon öfters bei der Arbeit zugeschaut hatte, treffen wir ihn auch diesmal an.
                                      Als er mich erkennt lächelt er wie immer. Nur Älter ist er geworden, denke ich. Nur Älter ist er geworden, wird er selbst auch von mir denken. Egal, zwei alte Bekannte freuen sich. Dies ist wichtig!
                                      Damals wäre mir nie in den Kopf gekommen selbst seine Dienste zu erbitten. Ich hatte ja keinen Grund. Meine Zähne erfreuten sich bester Gesundheit. Nur damals überlegte ich schon, könnte ich mich da hinsetzen?
                                      Diesmal ist es anders. Diesmal muss, will ich es wissen. Meine Plombe, welche mir ein Zahnarzt vor knapp einem Jahr im Jemen einsetzte, hat sich vor zwei Tagen gelockert und ist mir am heutigen Morgen ausgefallen. Ich zeige ihm die Plombe, und frage, kannst du mir helfen? Er lächelt wie immer.
                                      Er schaut ins kleine Loch, da wo vorher noch die Plombe war. Er versucht mir zu erklären, das Loch ist sauber. Dies soll sicherlich bedeuten, es ist keine Karies vorhanden. Muss nicht gebohrt werden!
                                      Nur kurze Zeit später ist die Plombe eingesetzt. Mein Geschmack im Mund ist säuerlich. Er steckt mir noch ein Hölzchen zwischen die Zähne und sagt, ich soll nur noch 10 Minuten richtig darauf beißen.
                                      War ich nun mutig? Ja und nein, denke ich, denn schon immer brauche ich viel Mut um einen Zahnarzt zu besuchen, egal wo auf der Welt. Hier wusste ich aber, es ist ja nur die Plombe. Mein Freund kann nicht viel falsch machen. Seine Akkubohrmaschine kommt ja auch nicht zum Einsatz. Das bisschen notwendiger Rest-Mut wurde zudem letztendlich vom Drang beschleunigt um selbst zu erfahren, was Millionen von Indern als ganz normal betrachten, denn Strassenzahnärzte gibt es ja in jeder Stadt. Und sehr wichtig erscheint mir, um mutig zu sein, gehört auch immer Vertrauen dazu. Und dieses Vertrauen war zu hundert Prozent vorhanden.

                                      Jedenfalls bilde ich mir ein, weit mehr Mut müsste ich aufwenden, würde ich für Tage, Nächte oder gar mehrere Wochen, in einem der Elendsviertel, mein Leben verbringen.


                                      Vertrauen ist wichtig!

                                      Neu verplombt, frage ich oft nach dem Weg Richtung Norden. Rishikesh ist zwar eine berühmte Stadt am Ganges, doch an Hinweisschildern mangelt es. Dafür tuckern wir sehr oft am Ganges entlang. Wir treffen auf viele indische Pilger.


                                      Wo geht es hin?

                                      Sie kommen von der Gangesquelle. Es ist die Zeit der Pilgerrückkehr, denn an der Quelle selbst hat bereits der Winter Einzug gehalten. Am Ganges entlang, besuchen die Pilger die heiligen Stätten der Hindus. Manche laufen hunderte von Kilometern.


                                      Laufen, laufen ...

                                      In Rishikesh durchbricht der Ganges die letzten Gebirgshindernisse. Im Jahre 1968 besuchten die Beatles Rishikesh. Einige Wochen lebten sie in einem Ashram. Seit dieser Zeit ist Rishikesh ein überaus bekannter Ort und jährlich strömen Traveller aus aller Welt sinflutartig ein. Dies hat Vor- und Nachteile mit sich gebracht.


                                      Teilsicht auf R.

                                      Der Vorteil? Die Traveller- Infrastruktur ist hervorragend. Es gibt unzählige Unterkünfte, gutes Essen und eine Vielzahl von Freizeitvergnügungen. Trotzdem fühlen wir uns selbst nicht so recht wohl in Beatleshausen.


                                      Habe da eine Idee

                                      Für uns überwiegen die Nachteile. Die ständige Verkaufsanmache geht uns auf die Nerven. Joga, Ayurveda, Massagen, Deutsche Bäcker, Raftingtouren, Ashrams, Ohrensäuberer, Klamottenverkäufer, Taxifahrer, Geldtauscher und Drogen-händler lassen keinen Versuch aus, ihre Angebote an den Mann und die Frau zu bringen.
                                      Das einzige Werbungsschild, welches mich so richtig nachdenklich werden lässt, ist die Werbung für die: World Peace Yoga School. Hier würde ich nämlich alle Kriegstreiber dieser Welt zu Dauerseminaren verpflichten.
                                      Rishikesh liegt nur auf ca. 400 Höhenmetern, doch durchs Flusstal weht ein eisiger Wind aus Norden. Der Winter hat den Himalaya bereits im Griff. Es ist Anfang Dezember. Da wird uns schnell bewusst, wenn wir etwas vom Himalaya ertuckern wollen, müssen wir uns sputen, denn täglich rückt die Schneegrenze weiter gen Süden. Manali, gelegen auf über 2000 Höhenmetern, steht auf unserer Wunschliste. Nach nur zwei Tagen verlassen wir Rishikesh.
                                      Ob wir Manali noch vor Wintereinbruch erreichen werden, erzähle ich im nächsten Bericht.

                                      Bis dahin,

                                      LG, Wi + Gi + Kampfmaschine

                                      Kilometerstand: 8.220 km Stand: Anfang Dezember 2015

                                      Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                                      Gruß, Wi grenzenlos

                                      Kommentar


                                      • veloziped
                                        Erfahren
                                        • 19.11.2012
                                        • 143
                                        • Privat

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                                        AW: [TR] Langzeitwanderung

                                        Hallo Wi & Gi,

                                        jetzt habe ich fast den ganzen Thread in einem Zug bis nach Mitternacht durchgelesen!
                                        Also erstmal dicken Respekt von mir für Eure Touren ... und ich muss meine Gedanken einfach mal rauslassen.

                                        Man wird ja neuerdings zugesch ... üttet mit Reiseberichten, Blogs und all dem Weltreisegedöns. Ich kanns eigentlich nicht mehr hören! Radeln für den Weltfrieden, Paragliden gegen die Ausbeutung der Delfine ... rhabarberrhabarber

                                        Und dann lese ich Eure Berichte ... ja, mir wurde warm ums Herz! Ich könnte Euch knuddeln!!

                                        Egal, ob ihr wandert (mit nem 100 Euro Billig-Anhänger ... ich wär nicht losgelaufen) oder radfahrt oder mit einem indischen Motorrad durch Indien ... Ihr bleibt Wi & Gi! Ihr seht die Länder nicht durch die Radfahrerbrille ... Wandererbrille ... Mopedfahrerbrille ... Ihr bleibt Euch treu und es geht immer ums Entdecken, nie um die Art der Fortbewegung.

                                        Da zweite ist noch schwerer zu beschreiben. Ich versuchs mal.
                                        Mal davon abgesehen, dass ihr Euch Eure Unabhängigkeit bewahrt und nicht als mobile Werbeträger durch die Welt wandelt, nein, es ist diese faszinierende Mischung aus kindlicher Neugier und Offenheit, unverstelltem Ärger, wenn es eben ärgert, und jedesmal dem Ringen um Verständnis für die Verhältnisse, dem Hineinversetzen in die Situation aus ihrer eigenen Logik heraus, ohne Euch dabei jedoch aufzugeben oder für eine Seite Partei zu ergreifen!

                                        Achtung - es wird jetzt noch pathetischer ... aber DAS ist für mich wahrer Humanismus. Ganz praktisch mit viel Schweiß, Angst und Freude erlebte und gelebte Menschlichkeit!

                                        So, ich höhr ja schon auf, sonst sprengt das hier den Rahmen und es ist ja Euer Reisethread und kein Philosophieforum

                                        Thread ist natürlich abonniert und ich bin gespannt auf weitere Berichte

                                        Ahoj sagt veloziped
                                        Mein Blog über Bikepacking und MYOG

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                                        • grenzenlos
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                                          AW: [TR] Langzeitwanderung

                                          Zitat von veloziped Beitrag anzeigen
                                          Hallo Wi & Gi,

                                          jetzt habe ich fast den ganzen Thread in einem Zug bis nach Mitternacht durchgelesen!
                                          Also erstmal dicken Respekt von mir für Eure Touren ... und ich muss meine Gedanken einfach mal rauslassen.

                                          Man wird ja neuerdings zugesch ... üttet mit Reiseberichten, Blogs und all dem Weltreisegedöns. Ich kanns eigentlich nicht mehr hören! Radeln für den Weltfrieden, Paragliden gegen die Ausbeutung der Delfine ... rhabarberrhabarber

                                          Und dann lese ich Eure Berichte ... ja, mir wurde warm ums Herz! Ich könnte Euch knuddeln!!
                                          d
                                          Hallo veloziped,

                                          Respekt vor Deiner Leselust bis nach Mitternacht.
                                          Und so wie es Dir ergangen ist mit: ... und ich muss meine Gedanken einfach mal rauslassen, so ergeht es mir immer, wenn wir länger unterwegs sind. Und deswegen gibt es die Berichte.

                                          Ja, wir haben keine Sponsoren. Wir sind nicht für den Weltfrieden unterwegs. Und für UNS ist dies auch so gut. Wir sind für UNS unterwegs. Ich mag mich auch in meinem Alter nicht mehr ändern , oder zum Glück, ich/wir müssen uns nicht ändern. Ein schönes Privileg.

                                          Und dann lese ich Deinen Kommentar... ja, ich wurde rot im Gesicht, habe es Gi sogleich vorgelesen, und sie sagte: Das tut aber gut! Wir könnten Dich knuddeln!!

                                          Heute wurde ich 61. Kein Grund zum Feiern für mich/für uns, denn das Alter rennt ja regelrecht. Das einzige was ich mir selbst wünsche, möge mir die kindliche Neugier noch lange erhalten bleiben, denn momentan sind wir in Äthiopien unterwegs und das Land schreit regelrecht nach kindlicher Neugier und Offenheit.

                                          Bevor nun aber bei mir die Philosophie die Tür zu weit aufschlägt, schreibe ich lieber am nächsten Bericht/Berichte weiter + hoffe, auch diese mögen Dir gefallen

                                          Bis bald, Wi grenzenlos
                                          Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                                          Gruß, Wi grenzenlos

                                          Kommentar

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