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[RU] Von Kältepol zu Kältepol (Tscherskigebirge 2023)
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Auch von mir danke und
Was mir so gefällt ist, dass Du bei all Deinem Ärger über Njurgun so sachlich schilderst, dass meine Sympathien und Bewunderung voll auf Njurguns Seite sind.
Ich muss an einige Fabeln denken: Die Grille und die Ameise, die Grille und der Maulwurf, Hase und Igel
Die Art und Weise, wie Njurgun mit social skills, es immer wieder schafft, dann doch vor Dir anzukommen und eine warme Mahlzeit und ein Bett zu haben, lässt das deutsch organisierte Vorgehen nicht immer überlegen wirken.
Dein Schrebstil ist wirklich so, dass ich eine Minute nach dem Lesen schon nicht mehr sicher bin, ob ich nicht doch einen Kinofilm gesehen habe.
Sensationell
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Danke für euer Feedback, das mich motiviert, den ausführlichen Stil des Berichts beizubehalten!
Zitat von qwertzui Beitrag anzeigenWas mir so gefällt ist, dass Du bei all Deinem Ärger über Njurgun so sachlich schilderst, dass meine Sympathien und Bewunderung voll auf Njurguns Seite sind.„Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
Meine bisherigen Reisen
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Zitat von bikevagabond Beitrag anzeigenDanke für euer Feedback, das mich motiviert, den ausführlichen Stil des Berichts beizubehalten!
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Teil 4: Durch das Injali-Tal zum ersten Bergpass
Es geht nun weiter durch das schmale Tal des Injali, welches von eindrucksvollen Bergketten mit bis zu 2000 m hohen Gipfeln umschlossen ist. Der Talgrund ist flach und das Gefälle moderat, doch es herrscht hier ein Gewirr von Flussarmen, Schotterbänken und Auwäldern, in dem man sich nur schwer zurechtfinden kann – wäre da nicht eine markante Fahrspur, die sich wie eine Leitline durch die Wildnis zieht. Diese Spur, die eindeutig von größeren Fahrzeugen herrührt, scheint nach den im Internet zugänglichen Satellitenbildern bis weit in den abgelegenen Nordwesten des Tscherskigebirges zu führen, so dass die Zuversicht entstand, auf dieser Strecke auch mit einem bepackten Fahrrad bis an den Oberlauf des Tscharky zu gelangen.
Doch so ganz traute ich dieser Entdeckung nicht, da die Spur über lange Strecken immer wieder verschwindet und ich vor zwei Jahren schon die Erfahrung machte, dass solche Routen mitunter seit vielen Jahren oder gar Jahrzehnten nicht mehr befahren werden. Ich rechnete also damit, dass die Piste in einem erbärmlichen Zustand sein würde – überwachsen und versumpft – wobei es immer wieder besser bzw. notwendig sein könnte, das Fahrrad vollkommen offroad durch die unbewachsene Schotteraue zu schieben. Immerhin sind die Flusstäler hier von so vielen Freiflächen durchzogen, dass ein hindernisfreies Offroad-Gestiefel durchweg möglich sein sollte. Ich erfasste daher nicht nur die sichtbaren Pistenfragmente, sondern legte mir auch einen Track an, um im Zweifelsfall einer bevorzugten Offroad-Linie mit möglichst wenig Flussquerungen folgen zu können. All diese Informationen übertrug ich dann in passgenau zugeschnittene sowjetische Generalstabskarten im Maßstab 1:200.000, um stets einen Überblick zu den Möglichkeiten zu haben.
Hier ein Beispiel vom Mündungsbereich des Injali mit den eigenen Kartierungen (graue Linien: Verlauf der erkennbaren Fahrspuren, violette Linien: Verlauf des Tracks, wenn dieser von den Fahrspuren abweicht oder Fahrspuren gänzlich fehlen; durch Anklicken kann der Kartenausschnitt vergrößert werden).
Da Njurgun etwas vergessen hatte und kurz nach unserem Start noch einmal zum Ufer der Indigirka zurückfuhr, bin ich schon ein längeres Stück vorausgefahren. Trotz der vielen Wasserlachen fährt sich der Weg immer noch besser als erwartet, daher peile ich als heutiges Tagesziel die erste große Furt an, die nach 7 km Pistenradeln auftauchen sollte. Ich bin regelrecht angefixt, endlich in dieses unbekannte Tal einzutauchen, über das ich im Vorfeld keinerlei Fotos oder Berichte finden konnte. Wahrscheinlich arbeitet sich hier nur alle paar Wochen ein einheimischer Konvoi durch, denke ich mir, als ich auf einmal ein Motorengeräusch vernehme, das immer näher kommt. Es ist ein geländegängiger Ural-Truck, der von Ganjas Hütte zu kommen scheint und schließlich neben mir stoppt.
Auch Njurgun befindet sich in der Besatzung, er war spontan aufgesprungen und will sich bei der Gelegenheit gleich bis zu einer kleinen Arbeiterbasis etwa 11 km hinter der Furt mitnehmen lassen. „Komm, steig auf, wir nehmen dich mit“, bietet mir der Fahrer an. Doch mir ist überhaupt nicht danach, schon jetzt Hilfe in Anspruch zu nehmen, zumal sich der Weg gerade problemlos fahren lässt und ich ohnehin versuchen möchte, jeden Kilometer selbst zurückzulegen. „Nein, fahrt ohne mich, ich werde an der Furt übernachten und morgen nachkommen.“ – „Bist du sicher?“, fragt mich Njurgun. „Ja! Der Weg ist gut, ich möchte ihn selbst befahren.“ Ich kann verstehen, dass Njurgun diesen mühsamen Teil der Route gerne einkürzen möchte, zumal sich sein Rad nicht so gut mit diesem Gelände verträgt. Aber da wir uns nun schon öfter wegen unterschiedlicher Vorstellungen getrennt haben, will ich mich auch diesmal nicht aus dem gewohnten Trott bringen lassen. Und so rattert der Lkw schließlich ohne mich weiter – Furt um Furt, Buckel um Buckel, unterm Strich kaum schneller als ich, so dass ich noch eine Weile warte, bis die Luft wieder von einer meditativen Stille erfüllt ist.
Kaum eine halbe Stunde später erreiche ich schon die große Furt und treffe abermals auf den Truck, dessen Besatzung sich zu einer kleinen Vodkapause am Feuer entschieden hat.
Es ist der Hauptarm des Injali, der an dieser Stelle tief und strömungsstark talwärts zieht. Bei einem Furtversuch zu Fuß würde man hier sofort weggerissen werden. Im Uferwald folge ich noch einer Schneise, doch auch an den anderen zugänglichen Stellen gibt es nirgendwo seichtes Wasser. Es wäre also definitiv notwendig, das Boot aufzubauen, um auf die andere Talseite zu gelangen.
Die Truckfahrer bieten mir abermals an, mich mitzunehmen und so lasse ich mich nun doch darauf ein, aber nur für die Querung des Flusses, da sie auch mit Boot nicht ganz so einfach wäre (man würde auf der gegenüber liegenden Seite unweigerlich in steinige Stromschnellen geraten).
Auch für so einen großen Lastwagen stellt diese Flussquerung eine Herausforderung dar. Der Fahrer schlägt einen riesigen Umweg ein, quert mehrfach den ersten Nebenarm, bis er eine sichere Stelle findet, die seicht genug ist, um den Ural auf die andere Seite des Hauptarms zu bringen. Während Njurgun vorn im Fahrerhaus einen Platz gefunden hat, sitze ich mit dem Rest der Truppe auf der schaukelnden Ladefläche.
Eine halbe Stunde dauert das Manöver, erst dann erreichen wir die Fortsetzung der Fahrspur. Hier lasse ich mich wieder abwerfen und suche mir im fortgeschrittenen Dämmerlicht nur noch einen geeigneten Platz für die Nacht.
Am nächsten Tag gibt es wieder strahlendem Sonnenschein und am Nachmittag hochsommerliche 27°C.
Die Fortsetzung der Piste führt die meiste Zeit mitten durch den Auwald und ist trotz mancher Bachfurten und Sumpflöcher in einem gut fahrbaren Zustand. An einer Matschpassage sehe ich einmal Bären- und Wolfsspuren. Überfallen werde ich aber nur von lästigen Fliegen...
Als ein grobsteiniges Gerinnebett auftaucht, geht die Piste direkt an den linken Talrand, wo sie abschnittsweise zu einem richtigen Damm aufgeschoben wurde.
Nach zwei Stunden auf Achse erreiche ich schließlich die kleine Arbeiterbasis.
Dass es hier eine Basis gibt, hatte ich beim Sichten der Satellitenbilder erst auf den zweiten Blick bemerkt. In den hochaufgelösten ESRI-Bildern ist diese nämlich nicht zu sehen, jedoch auf den Yandex-Bildern, die ebenfalls gut aufgelöst und definitiv aktueller sind. In diesem Zusammenhang erinnerte ich mich auch an eine Bemerkung Karpuchins, der während seiner Fotoexpedition vor 10 Jahren eine leichte Trübung des klaren Injali-Wassers „durch Goldsucher“ feststellte. Die ESRI-Bilder müssen also um einiges älter sein, da sie einen Zustand zeigen, in dem es am Injali noch keinerlei Bergbauaktivitäten gab...
Der Vergleich der beiden Satbilder zeigt auch gut, wie sich innerhalb weniger Jahre der Lauf des Flusses ändern kann. Es ist daher anzunehmen, dass auch die aktuelleren Yandex-Bilder, die ich für die Erstellung des Offroad-Tracks verwendet habe, inzwischen veraltet sind, zumal die dort erkennbare Basis nach Aussage der gestrigen Truckfahrer schon wieder geschlossen sein soll... So schnell können also auch mitten in der Wildnis Veränderungen vonstatten gehen, ohne dass man sie auf den vermeintlich aktuellen Satbildern nachvollziehen kann. Der Pistenverlauf scheint aber nach wie vor der gleiche zu sein (in den Bildausschnitten hellblau hervorgehoben; durch Anklicken können auch diese wieder vergrößert werden).
Auf dem Gelände der Goldgräber-Basis, die vor einem Jahr noch in Betrieb war, scheint nun der Hund begraben zu sein – alles wirkt verlassen und verwahrlost. Und doch gibt es hier noch ein paar Männer, die die Stellung halten, einen treffe ich direkt am Hauptweg. Da er etwas schweißt und mich nicht bemerkt, rufe ich laut „Hallo“ und frage, wo der Ural parkt, der hier letzte Nacht eingetroffen sein sollte. Als er mich sieht, verweist er lediglich in eine Seitengasse und setzt wortlos seine Arbeit fort.
Und tatsächlich – hier finde ich schließlich die komplette Lkw-Mannschaft, die sich in den frei zugänglichen Wohncontainern eingerichtet hat. Auch sie sind erst vor kurzem hier angekommen, da der Truck wegen defekter Scheinwerfer und gleichzeitig schwieriger Wegeverhältnisse erst heute bei Tageslicht weiterfahren konnte. Sie alle haben also wie ich irgendwo im Auwald übernachtet, offenbar mehr schlecht als recht, denn die meisten von ihnen liegen jetzt dösend in einem Matratzenlager. Njurgun aber ist am Werkeln und hat die Luftkammern aus dem Drakar Meridian geholt, damit das Boot in der Sonne besser austrocknen kann, was im Vergleich zu einem Packraft immer etwas länger dauert.
Natürlich serviert man uns noch etwas zu Essen: es gibt Reis mit Hühnchen, dazu löslichen Kaffee und Tee.
Zwischendurch bekommen wir Besuch von den ansässigen Arbeitern – kernige Typen, die in der Mittagshitze nur in Unterhosen herumlaufen und von Staub überzogen ganz dem Klischee eines Schachtarbeiters entsprechen... Staunend betrachten sie mein bepacktes Rad und Njurguns Boot, welches nun wieder eingerollt wird, damit wir heute noch ein bisschen Strecke machen können.
Kurz vor 16 Uhr brechen wir auf, die Lkw-Mannschaft wird noch etwas länger bleiben, da es am Fahrzeug einiges zu reparieren gibt. Der Weg ist hier in einem ausgezeichneten Zustand, so dass wir auf den folgenden Kilometern wunderbar vorankommen.
Schwierig wird es nur beim Furten seitlicher Zuflüsse...
...und als der Weg direkt über einen Geröllhang führt.
Am Abend passieren wir noch den Tschalby, der aus einem größeren Seitental geflossen kommt. Hier führt der Weg eine Anhöhe hinauf, auf der es auch einen Abzweig gibt, der durch die Berge in Richtung Arga-Moj zu führen scheint.
Auf den Satbildern sah es so aus, als ob es hier oben eine Hütte geben würde, doch wir finden keine und richten unser Lager schließlich am Wegesrand ein. Es ist das erste Mal auf dieser Tour, dass wir gemeinsam zelten und gemeinsam am Feuer sitzen...
Während ich mir einen Pott Reis mit Trockengemüse koche, gibt es bei Njurgun Grünen Tee und chinesische Instand-Nudeln, von denen er sich ungefähr 20 Päckchen mitgenommen hat (den überall erhältlichen Klassiker Доширак). Wieder einmal frage ich mich, wie lange er mit dieser kargen Proviantrechnung durchkommen wird? Es wäre an der Zeit, dieses Thema mal ausführlicher zu besprechen, doch wir schweigen uns wie üblich an...
Während sich Njurgun nach dem Essen ein Video anschaut, ziehe ich eine erste Bilanz: 25 km konnte ich heute zurücklegen, davon 15 km mit Njurgun – eine beachtliche Etappe, rechnete ich doch im Schnitt mit 10 bis 15 Tageskilometern. Und das, obwohl es unterwegs schon 7 Flussfurten zu queren gab (zwei davon knietief). So gut wird es aber mit Sicherheit nicht weitergehen. Der ausgefahrene Weg wird in wenigen Kilometern in das Changalas-Tal nach Süden abbiegen (in Richtung Kolyma-Trasse), während wir weiter dem Injali-Tal folgen müssen, in dem es auf den nächsten 50 km keinen Fahrweg mehr zu geben scheint. Auf den Satbildern war zumindest keiner mehr zu erkennen, so dass ich davon ausgehe, dass wir diesen Abschnitt vollkommen offroad bewältigen müssen, also immer schön den unbewachsenen Schotterflächen folgend. Dabei wird es allerdings nötig sein, mehr als 30-mal den Hauptarm des Injali zu queren. Unter diesen Umständen wird uns eine Tagesstrecke von 10 km schon sehr sportlich erscheinen, so dass ich mit mindestens 5 Tage für diese Teiletappe rechne. Doch vielleicht haben wir auch Glück und es gibt auch hier noch eine Fahrspur, der wir folgen können. In der Truck-Mannschaft war nämlich einer der Überzeugung, dass es auch im Injali-Tal eine weiterführende Spur geben soll. „Der Abzweig ist nicht zu übersehen!“, gab er deutlich zu verstehen...
Zuletzt geändert von bikevagabond; 28.02.2024, 22:41.„Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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Doch wo genau dieser Abzweig sein würde, konnten wir nicht in Erfahrung bringen und so stoppen wir am nächsten Tag schon nach wenigen hundert Metern, da es hier eine erste Abzweigung in die Flussaue gibt. Wir entscheiden uns, diesen unbekannten Weg erst einmal ohne Gepäck auszukundschaften.
Es dauert nicht lange und wir erreichen den Hauptlauf des Injali. Doch dann verschlechtert sich der Zustand der Piste und es geht durch einige halbmetertiefe eiskalte Wasserlöcher.
Es zeigt sich, dass dies lediglich ein alter Parallelweg ist, der nach 2 km wieder zurück zum Hauptweg führt. Also fahre ich noch ein Stück weiter, in der Hoffnung den richtigen Abzweig zu finden. Njurgun ist mal wieder verschwunden, am Hauptarm des Injali bog er aus unerfindlichen Gründen in die weglose Schotteraue ein und tauchte danach nicht mehr auf...
Kurz darauf entdecke ich neben zwei verfallenen Blockhüttchen einen weiteren Abzweig. Er führt schnurstracks zu einem großen Aufeis (Naled), auf dem sich eine unscheinbare Fahrspur fortsetzt. Sollte das nun unser Weg sein?
Eins ist jedenfalls klar: hier müssen wir rein, weitere Abzweigungen würden nicht mehr zum Injali führen. Also kehre ich wieder um und warte am Ausgangspunkt unserer Erkundung, bis auch Njurgun wieder zurückkehrt. Es stellt sich heraus, dass er ebenfalls bis zum Naled vorgedrungen war. Dort hatte er aber im Gegensatz zu mir genauer hingeschaut, denn er bemerkte, dass es am Rand der Eisfläche noch einen weiteren Abzweig gibt – genau der, den wir suchten!
Ein paar Furten weiter gelangen wir wieder an den Hauptarm des Injali. Hier müssen wir jetzt durch, doch ich sehe schon, dass es mit dem Rad nicht möglich sein wird. Njurgun ist anderer Meinung und läuft geradewegs in die strömenden Fluten, muss dann aber auch erkennen, dass das Wasser am Ende zu tief wird. Er schafft es noch gerade so, sein Rad umzudrehen und zurückzukehren.
Nun ist uns beiden klar, dass wir hier nur mit dem Boot rüberkommen. Also baue ich flugs mein Packraft auf und portiere alles auf die andere Flussseite – zunächst mein eigenes Gepäck mit Fahrrad, dann Njurguns Gepäck mit Fahrrad und im dritten Durchgang schließlich noch Njurgun. Auf diese Weise geht es am schnellsten und man spart sich den Aufbau eines zweiten Bootes, zumal sich das Drakar nicht so leicht trocknen lässt. Mit einem Packraft ist man für solche Aktionen definitiv besser gerüstet – es brauchte nur eine halbe Stunde, um diese Furt paddelnd zu queren.
Ich will gerade wieder mein Rad bepacken, da teilt mir Njurgun auf einmal mit, dass ihm schwindelig ist und er sich eine Weile ausruhen möchte: „Power no! Lass uns eine Pause machen.“ Ob sein Zustand vielleicht mit dem kargen Frühstück zusammenhängt, das heute nur aus ein paar Bissen Brot bestand? Ich habe das dumpfe Gefühl, dass seine knappe Proviantierung schon bald einen Bonus verlangt. Doch jetzt schon mit ihm auf die Jagd zu gehen, wäre mir zu früh. Es würde mir besser gefallen, wenn wir dieses Tal mit all seinen Schwierigkeiten erst einmal hinter uns bringen. Doch ausgerechnet diese Etappe wird von uns die meiste Energie einfordern...
Etwa eine Stunde döst Njurgun im Schatten, dann entfacht er ein Feuer und setzt Wasser für eine Extraportion Chinanudeln an. „Lass uns gleich hier die Nacht verbringen“, schlägt er plötzlich vor. In Gedanken war ich schon dabei, dass wir noch ein bisschen Strecke machen, denn das Wetter ist gerade ideal und wir haben heute noch keine 6 km geschafft. „Es wäre gut, wenn wir nach der Pause noch ein Stück weitergehen“, versuche ich ihn zu überreden. „Nein, ich bleibe hier. Wenn du unbedingt willst, geh alleine.“ Im Grunde wäre es in Ordnung, mal einen Tag etwas auszuspannen, doch die schlechte Laune, mit der er mir begegnet, lässt mich dann tatsächlich packen und aufbrechen. Vielleicht gelingt es mir bei der Gelegenheit noch die nächste Hürde auszukundschaften, damit wir morgen etwas schneller vorankommen.
Gleich hinter der Furt geht es ein längeres Stück durch den Wald, diesmal auf richtig trockenem Grund, so dass die Piste wie ein normaler Waldweg aussieht.
Letztlich ist es aber die offene Schotteraue, die sich für ein Durchkommen am besten eignet und so führt die Fahrspur die meiste Zeit über das holprige Geröll (interessanterweise immer nah am angelegten Track, da es auch für die Fahrzeuge die idealste Linie zu sein scheint). Hier wird mir klar, warum die Spur auf den Satbildern kaum oder gar nicht erkennbar ist – sie hebt sich einfach zu schlecht von der Umgebung ab...
Ein herrliches Abendlicht liegt über dem wilden Land. Einziger Wehrmutstropfen: die allabendlich zunehmende Kriebelmückenplage, die mich auch während der Fahrt das Mückennetz überziehen lässt.
Nach 6 km dann wieder eine Aufzweigung. Ich wähle die linke Spur, da sie ausgefahrener zu sein scheint und markiere meine Entscheidung mit einem 2 m großen Pfeil am Boden.
Offenbar habe ich an dieser Stelle gerade einen Bären aufgescheucht – es gibt frische Spuren, die sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung führen...
Kurz darauf die nächste große Furt. Hier gehe ich heute nicht mehr durch, zumal es wieder nötig sein wird, das Boot einzusetzen.
Ich parke mein Zelt nah am Abzweig, auf einer halbwegs ebenen Stelle mit schattigem Gebüsch im Rücken. So lässt es sich auch bei zunehmender Sonnenstrahlung noch eine Weile im mückensicheren Zelt aushalten.
Typische Auenlandschaft des Injali.
Zurück an der Furt, inspiziere ich die Möglichkeiten, auf die andere Seite zu gelangen. Durch die vielen Steine im stark strömenden Wasser, sehe ich jedoch kaum eine Chance, direkt rüber zu paddeln. Man würde unweigerlich an einem verholzten Prallufer landen, von dem es sehr umständlich wäre, in die offene Aue zurückzukehren.
Also erkunde ich erstmal den anderen Abzweig und gelange einen Kilometer weiter an eine bessere Furt. Es gelingt mir ohne Probleme überzusetzen, so dass ich schon einen Teil meines Gepäcks auf die andere Seite bringe und die Fortsetzung der Fahrspur erkunde. Dann paddle ich zurück ans Ausgangsufer und warte im Wald Blaubeeren sammelnd auf Njurgun.
Die Markierung am Abzweig hatte ich schon auf rechts gedreht, so dass er schon bald direkt hierher finden sollte. Doch als er 15:30 Uhr immer noch nicht auftaucht, entscheide ich mich ihm entgegen zu fahren. Ich war schon bereit, einige Kilometer Rückfahrt auf mich zu nehmen, da sehe ich am Abzweig, dass der aufgestellte Teil der Markierung umgeworfen wurde und die signalgebende Plastiktüte verschwunden war. Sollte es ein Bär gewesen sein? Oder war es Njurgun? Vorsichtshalber fahre ich noch einmal den linken Abzweig rein und siehe da: es war tatsächlich Njurgun, der sich für den falschen Weg entschied, weil er den riesigen Pfeil am Boden übersehen hatte... Zum Glück ist er gerade erst angekommen, so dass er noch nicht auf die Idee kam, mit dem Boot überzusetzen. Dennoch wirkt er irgendwie angefressen, als er mich kommen sieht. „Geht es dir wieder besser?“, frage ich. „Ja, alles in Ordnung“, antwortet er trocken. Den gestrigen Abend hatte er noch genutzt, um zu angeln, seine Watstiefel zu reparieren und sein Gewehr zu kalibrieren. „Lass uns den anderen Weg gehen, dort lässt sich die Furt besser queren“, sage ich und nehme ihm noch den Rucksack vom Vorderrad ab, damit er mir leichter folgen kann.
Als wir schließlich das Ufer erreichen, an dem ich das bereits aufgebaute Boot an einen Strauch gebunden hatte, nehme ich wieder die Rolle des Fährmanns ein und überführe all unsere Ausrüstung, die Räder und zum Schluss auch Njurgun auf die andere Seite des Flusses. Diesmal bin ich gezwungen, die Ladung auf insgesamt fünf Überfahrten aufzuteilen, damit ich in den höheren Wellen nicht Gefahr laufe zu kentern. Und doch gelingt die Portage wieder in kürzester Zeit, so dass wir schon eine gute halbe Stunde später weiterfahren können.
Es geht weiter auf einer kaum erkennbaren Spur quer durch die blanke Schotteraue. Zeitweise verschwindet sie ganz, so dass wir einfach der Nase nach über das Geröll stiefeln, immer die am leichtesten begehbare Linie wählend.
Da ich mit meinem Fatbike leichteres Spiel habe, bin ich irgendwann weit vor Njurgun, bleibe aber stets auf Sichtweite und nutze den Vorprung, um so manche grobsteinige Abschnitte erstmal ohne Rad zu erkunden. Sobald ich dabei auf Fragmente einer Fahrspur stoße, kehre ich wieder um und gehe mit dem Rad in genau diese Richtung. Dabei bilde ich mir ein, dass ich damit auch Njurgun einen Gefallen tue, da er mir nur folgen braucht, doch es scheint ihm nicht zu gefallen, dass ich ständig vorausgehe und die Richtung bestimme. Als ich ihm einmal entgegen laufe, um mit ihm die nächsten Schritte zu besprechen, geht er wortlos an mir vorbei und schlägt bewusst eine andere Route ein.
Okay, solange wir auf Sichtweite bleiben, kann ja jeder den Weg wählen, den er für den besseren hält. Als dann aber die ersten Auwaldinseln auftauchen und ich mit meinem Rad schon wieder ein ganzes Stück voraus bin, sehe ich, wie Njurgun hinter mir in einen anderen Korridor hineinläuft und zwischen den Bäumen verschwindet... Verflixt nochmal! Wieso gibt er mir nicht Bescheid oder versucht sich an so einer Stelle mit mir abzustimmen? Ich renne zurück, will ihn noch abpassen und rufe „Njurgun! Wo gehst du hin?“ Doch es gibt keine Reaktion, er läuft einfach weiter. Im Dauerlauf lege ich nach und hole ihn schließlich ein. „Was ist los? Warum antwortest du nicht? Ich habe dort drüben eine Spur gefunden.“ – „Na und? Ich habe hier auch eine Spur gefunden.“ – „Okay, dann wäre es aber gut, wenn wir uns an so einer Stelle absprechen würden! Sonst finden wir uns vielleicht nicht wieder.“ Doch das scheint ihn überhaupt nicht zu interessieren, denn er läuft trotzigen Schrittes weiter... Ich bin vollkommen genervt von dieser Situation und stelle für mich fest: So will ich nicht weitermachen! Soll er doch gehen, wohin er will. Von nun an werden wir uns parallel bewegen – jeder für sich, ohne den Anspruch, einander wiederzufinden. In Ust-Nera hatten wir uns ja im Grunde darauf geeinigt, es genau so zu machen, „falls unsere Differenzen zu groß werden sollten“...
Resigniert stiefle ich zurück zu meinem abgelegten Rad und folge weiter dem Korridor, den ich bereits eingeschlagen hatte. Da mittlerweile die Sonne untergeht, rechne ich nicht mehr damit, dass wir uns heute noch wiedersehen. Doch dann treffen sich unsere Linien unverhofft wieder und ich sehe Njurgun vor mir auf eine Furt zulaufen.
Dort stoppt er, bis ich aufhole, läuft dann aber durch die Gegend, als ob er etwas sucht. Will er hier vielleicht übernachten? Es wäre besser, noch ein Stück weiter zu gehen, um im Auwald hinter der Furt einen geschützten Platz zu haben. Also gehe ich schon mal durch den ersten Flussarm und warte dort noch eine Weile, um zu sehen, was er als nächstes macht. Doch Njurgun baut weder das Zelt auf, noch folgt er mir – er wählt schlichtweg eine andere Stelle durch den Fluss und verschwindet erneut hinter ein paar Bäumen. Möglich, dass er dort einen guten Platz für die Nacht vermutet, also quere ich noch den zweiten Flussarm, um ebenfalls in den Auwald zu gelangen. Gleich hinter der Furt entdecke ich dann einen Platz, der mir richtig gut gefällt und entscheide mich, hier die Nacht zu verbringen, zumal auch Njurgun noch irgendwo in der Nähe sein sollte. Es wäre gut, wenn wir die Entscheidung, auf getrennten Wegen weiterzugehen, noch einmal im Einvernehmen besprechen würden. Also mache ich mich sogleich auf den Weg zu der Stelle, an der er vorhin den Fluss durchquert hat. Doch dann sehe ich nur wenige Meter neben meinem auserkorenen Lagerplatz seine Reifenspur im Sand – er ist tatsächlich noch weitergefahren! Unter diesen Umständen werde ich ihm heute nicht mehr folgen. Ich werde morgen einfach etwas zeitiger starten, um ihn an seinem Lagerplatz abzupassen.
Im Licht der Abenddämmerung baue ich schließlich mein Zelt auf, entfache ein Feuer und koche mir mein Abendessen. Doch anstatt die Stille der Natur zu genießen, denke ich pausenlos darüber nach, was Njurgun so dermaßen verstimmt haben könnte. Sollte es wirklich damit zu tun haben, dass ich immerzu vorausgehe und die Richtung bestimme? Oder nervt es ihn grundsätzlich, dass er sich auf diese steinige Offroad-Strecke eingelassen hat, obwohl er doch die Möglichkeit gehabt hätte, einer anderen, mutmaßlich besseren Route zu folgen? Vielleicht nimmt er mir aber auch übel, dass ich ihn gestern in einem Moment zurückgelassen habe, in dem es ihm nicht gut ging – das könnte durchaus eine ganz schlechte Botschaft hinterlassen haben. Was auch immer das Problem ist – um es aufzuklären, müssten wir mal ganz konkret miteinander reden. Doch ausgerechnet dazu scheinen wir nicht in der Lage zu sein...
Zuletzt geändert von bikevagabond; 27.02.2024, 19:11.„Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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Wieder ein überaus lesenswerter Abschnitt mit beeindruckender Natur. Mir gefällt es vor allem wie differenziert Du über die Probleme und Differenzen mit Njurgun schreibst und Dich dabei auch selbst kritisch hinterfragst und Ursachenforschung betreibst, anstatt die Schuld gleich pauschal bei ihm zu suchen. Ist halt nur echt schade, dass der Tourgenuss darunter so leidet. Gerade wenn man abends am Lagerfeuer sitzt gibt es bestimmt schönere Dinge als sich über sowas Gedanken machen zu müssen.
Und so wie ich das lese scheint der Njurgun einfach kein wirklicher Teamplayer zu sein. Mag sein, dass er Gründe für seine Handlungen hat, nur halte ich es dann für sinnvoll über diese auch zu reden, anstatt nur stumm mein eigenes Ding zu machen. Naja, mal schauen wie sich das Drama noch so weiterentwickelt. 😉
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Ein riesiges Dankeschön für diesen spannenden Reisebericht, der sich unterhaltsamer als manch Roman liest.
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Das vorletzte Bild. Hast du da richtige Gummistiefel an? Kein EVA?
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Zitat von Mortias Beitrag anzeigenUnd so wie ich das lese scheint der Njurgun einfach kein wirklicher Teamplayer zu sein. Mag sein, dass er Gründe für seine Handlungen hat, nur halte ich es dann für sinnvoll über diese auch zu reden, anstatt nur stumm mein eigenes Ding zu machen. Naja, mal schauen wie sich das Drama noch so weiterentwickelt. 😉
Zitat von sibirier Beitrag anzeigenDas vorletzte Bild. Hast du da richtige Gummistiefel an? Kein EVA?) Das sind also klassische russische Gummistiefel - robust, stilvoll und im sumpfigen Gelände der beste Wanderschuh...
„Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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Als ich am nächsten Morgen aufwache, bemerke ich einen starken Brandgeruch in der Luft. Rauchdunst eines entfernten Waldbrandes hat sich über das Tal gelegt und lässt die umliegenden Berge in einem apokalyptischen Licht erscheinen. Es ist die Kehrseite des sommerlich-warmen Wetters, das nun schon seit zwei Wochen anhält, wobei es seit dem Besuch an der Wetterstation „Jurty“ fast durchweg trocken blieb (während dieser Zeit gab es nur einmal Regen – während meiner Bergtour zu den Kisiljachi bei Ust-Nera).
Kurz nach 9 Uhr bin ich schon starbereit und setze meinen Weg in das obere Injali-Tal fort. Njurgun dürfte gestern nicht mehr allzu weit vorausgegangen sein, also sollte ich schon bald auf sein Lager treffen. Mein Gefühl sagt mir, dass wir unsere Entscheidung, auf getrennten Wegen weiterzuziehen, mit einvernehmlichen Worten beschließen sollten. Sich stillschweigend voneinander zu verabschieden, halte ich für den falschen Weg. Doch so aufmerksam ich mich auch umschaue – ich kann nichts entdecken, das auf Njurgun oder seinen Lagerplatz hindeutet. Möglich, dass er sich im Auwald abseits des Weges versteckt hat. Zuzutrauen wäre es ihm, zumal ich auch keinerlei Zeichen oder Markierungen finden konnte, ja nicht mal mehr eine Fortsetzung seiner Fahrradspur.
Als dann nach zweieinhalb Kilometern die erste größere Furt auftaucht, gebe ich schließlich auf – hier wird er gestern Abend sicher nicht mehr durchgegangen sein. Das Wasser ist tief und strömungsstark, aber ich meine eine gute Linie zu erkennen, um die Furt problemlos queren zu können. Also setze ich den Rucksack auf den Rücken, ziehe meine Watstiefel an und laufe kurzentschlossen in den Fluss. Doch dann bemerke ich, dass die Furt viel tiefer ist als gedacht... Krampfhaft stemme ich mich gegen die kräftige Strömung, denn sie reißt mich fast davon. Der Wasserdruck auf die fetten Reifen und die eingetauchten Radtaschen ist dermaßen groß, dass ich das Rad kaum noch halten kann. Mit Ach und Krach schaffe ich es gerade so auf die andere Seite und stelle fest, dass ich die Passage vollkommen unterschätzt habe. Hier hätte ich definitiv das Boot aufbauen sollen!
Leider ist die Notwendigkeit eines Bootseinsatzes nicht immer sofort ersichtlich, so dass ich an der nächsten oberschenkeltiefen Furt ein weiteres Mal fast weggetrieben werde. Meine anfängliche Einschätzung war sogar, dass sie nur knietief sein würde, deshalb krempelte ich mir lediglich die Hosenbeine hoch und stieg mit meinen Trekkingsandalen ins Wasser, also ohne Watstiefel und ohne den Rucksack vom Gepäckträger abzunehmen. Ein fataler Fehler, der zum Glück nur mit einer nassen Hose und einer vollgelaufenen Radtasche bestraft wurde...
An dieser Stelle war schon auf dem ersten Blick erkennbar, dass ein Furtversuch zu Fuß in einem Desaster enden würde. Also flugs das Packraft aufgebaut und alles in einem Rutsch auf die andere Seite portiert. Eine halbe Stunde dauert das Ganze.
Während die zahlreichen Furten der heutigen Etappe viel Zeit und Kraft kosten, lassen sich die Abschnitte dazwischen recht gut bewältigen, da die Fahrspur wieder einer klaren Linie folgt und entsprechend gut ausgefahren ist.
Als sich die Sonne dem Horizont nähert, lässt der Rauchdunst etwas nach und der Abend bekommt noch ein stimmungsvolles Licht. An einer schön gelegenen Furt mit Weitblick entscheide ich mich ausnahmsweise mal direkt auf dem Flussbettschotter zu zelten.
Obwohl ich zeitig gestartet bin und fast pausenlos unterwegs war, habe ich heute lediglich 14 km geschafft. Ich konnte zwar problemlos der Piste folgen, die sich insgesamt auch gut fahren lassen hat, doch der Wegeverlauf entsprach wie schon vermutet der Offroad-Version meines Tracks, so dass es auch zu den unvermeidbaren Flussfurten kam. Insgesamt 20-mal musste ich heute den Injali durchqueren, wobei 6 Furten knietief und 4 oberschenkeltief waren, plus eine, die sich nur per Boot bezwingen ließ. Kein Wunder, dass ich nach dieser Plackerei ziemlich fertig bin und das erste Mal echte Erholung brauche. Dabei muss ich unweigerlich an Njurgun denken, denn er wird es auf dieser Etappe noch schwieriger haben. Vor allem an den tiefen Furten wird er nicht nur das unpraktische Drakar aufbauen müssen, sondern jedes Mal auch gezwungen sein, einen neuen Schaft für sein Paddel zu schnitzen...
Als der nächste Tag anbricht, bekomme ich Besuch von drei Tanklastern, die auf dem Weg nach Ust-Nera sind. Als sie mich in der Aue zelten sehen, stoppen sie natürlich und verwickeln mich in einen kurzen Plausch.
„Von wo kommt ihr her?“, frage ich. „Von einer Mine weit entfernt in den Bergen. Am Pass befinden sich noch vier weitere Fahrzeuge, sie werden bald folgen.“ Interessant! Da hinten scheint es also etwas zu geben, das dem Weg eine gewisse Bedeutung verleiht. Doch wo genau sich diese Mine befindet, können oder wollen sie mir nicht erklären. Als ich erwähne, dass mein Ziel der Tscharky ist, erzählt mir einer aus der Truppe noch, dass er vor zwei Jahren ein paar Russen traf, die von Ust-Nera kommend auf gleicher Route zu diesem Fluss gegangen sind – allerdings zu Fuß mit großen Rucksäcken. Um auf dieser langen Marschetappe Gewicht zu sparen, ernährten sie sich unterwegs angeblich nur von Fisch, Beeren und Pilzen... Es ist im Grunde der gleiche Ansatz, den auch Njurgun auf dieser Reise verfolgt. Auf ihn komme ich dann auch noch zu sprechen, als ich mich von den Fahrern verabschiede: „Ein paar Kilometer flussabwärts werdet ihr noch einen Jakuten treffen, der wie ich mit dem Fahrrad unterwegs ist. Wir hatten ein paar Probleme, daher bewegen wir uns jetzt getrennt.“ Auch wenn wir uns nicht mehr sehen, sind wir doch irgendwie noch gemeinsam unterwegs. Zwar jeder für sich, aber auf gleicher Route, mit gleicher Richtung und gleichem Ziel... Schließlich krachen die Fahrertüren und die drei Tanklaster setzen sich wieder in Bewegung. Ein paar Minuten noch höre ich das Rattern ihrer Motoren bis mich wieder die gewohnte Stille umgibt, die lediglich vom Plätschern des Flusses unterbrochen wird.
In der schattenlosen Demse koche ich mir noch einen Griesbrei und mache mich schließlich bereit für die nächsten anspruchsvollen Kilometer. Da ich noch die Anstrengungen des gestrigen Tages in den Knochen spüre, fühle ich mich etwas träge und lasse es heute etwas ruhiger angehen. Die Herausforderungen sind im Grunde die Gleichen: Flussquerung an Flussquerung, Orientierung im Gelände, Vorwärtskommen... Einmal muss ich mein Rad über ein paar Treibholzhaufen tragen, um eine geeignete Stelle zum Furten zu erreichen, ein anderes Mal ist dann wieder ein Bootseinsatz unumgänglich. Von kritischen Momenten bleibe ich heute aber verschont, obwohl ich einmal in zu tiefes Wasser gerate, welches mir sofort in den Watstiefel läuft. Einzig die zunehmend glitschigen Steine im Fluss machen es mir gelegentlich schwer, das schwer bepackte Rad in Balance zu halten. Auch in den weniger tiefen Furten muss ich mich dann vorsichtig nach vorne tasten – Schritt für Schritt, Radumdrehung für Radumdrehung...
Je weiter ich das Tal hinaufgehe, desto höher streben die umliegenden Berge, deren Gipfel nun schon die 2500 m-Marke erreichen. Der höchste von allen befindet sich sogar recht nah auf der linken Seite – ein namenloser Gigant mit kleinem Kargletscher, laut Karte fast 2700 m hoch.
Auch die vor mir liegenden Bergketten beeindrucken mit ihren schroff gezähnten Graten, die im trüben Licht des wieder zunehmenden Rauchdunstes eine dramatische Kulisse abgeben.
Am Nachmittag passiere ich mitten in der Schotteraue eine mysteriöse Gedenkstätte, die etwas Christliches und Heidnisches zugleich ausstrahlt. Auf dem Holzpfahl prangt eine Inschrift, die ich zunächst nicht entziffern kann. Dies gelingt mir erst am Ende der Reise mithilfe eines Mitarbeiters des Verchojansker Museums: „Sage Gott nicht, dass du in Schwierigkeiten bist, sondern sag, dass Gott mit dir ist.“
Trotz des eingetrübten Wetters ist es immer noch hochsommerlich warm: gestern stieg die Temperatur auf 28°C, heute auf 25°C.
Allmählich weitet sich das Tal und es gibt ein längeres Stück ohne Flussfurten.
Erst nach 4 km zwingt mich der Injali wieder zum Absteigen. Da der Wasserlauf an dieser Stelle auf eine felsige Uferböschung trifft, von der man einen schönen Ausblick in die Weite hat, hebe ich mir die Flussquerung für den nächsten Tag auf.
Im lichten Uferwald finde ich eine schöne Stelle für das Zelt und richte mich auf eine verregnete Nacht ein, denn es fängt ein wenig an zu tröpfeln.
Heute konnte ich fast 18 km zurücklegen und musste dabei 16 Flussfurten durchqueren, davon 6 knietiefe, 7 oberschenkeltiefe und eine per Boot (ich habe unterwegs eine Strichliste geführt). Wenn der Regen nicht zu einem Anschwellen des Wasserpegels führt, sollte ich morgen bereits das Ende der schwierigen Etappe erreichen. In etwa 8 km Entfernung wird aus einem schmalen Seitental von links eine weitere Fahrspur hinzukommen, die auf den Satbildern auch in der oberen Injali-Aue gut sichtbar blieb.
Am nächsten Morgen regnet es immer noch – zwar nur leicht, aber beständig. Ganz anders die eben aktualisierte Wettervorhersage meines Satellitenmessengers: sie zeigt einen Sonne-Wolken-Mix mit NULL Prozent Niederschlagswahrscheinlichkeit! Ein prägnantes Beispiel dafür, wie zuverlässig koordinatenbezogene Piktogramm-Prognosen sind, wobei es im aktuellen Fall auch am Rauchdunst liegen kann, der in den Modellrechnungen sicher nicht eingegangen ist (mehr Aerosole = mehr Kondensationskerne = mehr Wolken- bzw. Tröpfchenbildung).
Da ich dennoch eine Tendenz zu besserem Wetter erwarte, nutze ich die erstbeste Regenpause, um einzupacken und weiterzugehen. Je früher ich das Injali-Tal hinter mir habe, desto besser – es ist die Achillesferse der Tour. Erst wenn diese unberechenbarste aller Etappen gemeistert ist, kann ich mich entspannter auf den Rest einlassen.
Die hinzukommende Fahrspur von links habe ich nicht bemerkt. In der buschigen Aue aber scheint der Weg auf einen generell besseren Untergrund zu treffen, so dass ich wieder ein paar längere Abschnitte fahrend zurücklegen kann.
Die Furten sind nach wie vor anspruchsvoll, inzwischen aber nicht mehr ganz so tief. Als es einmal quer durch einen vielfach aufgezweigten Flussbereich geht und ich mir eine individuelle Route abseits der Fahrspur suche, kommt mir gerade die angekündigte 4er-Kolonne entgegen. Da ich mich zu diesem Zeitpunkt nicht in ihrem Sichtfeld befinde, scheinen sie mich nicht zu bemerken und fahren durch, ohne anzuhalten.
Im Schotterbett finde ich einen sonderbar geschliffenen Stein. Derweil regnet es unaufhörlich weiter, aber nur leicht, so dass ich auch ohne Regenkleidung nicht durchnässe.
Auf den Satbildern hatte ich schon gesehen, dass die Fahrspur abschnittsweise auch durch den Wald am rechten Auenrand zu führen scheint, erkennbar an ein paar auffällig hellen Schneisen. Als ich die erste Stelle erreiche, biegt mein Weg tatsächlich nach rechts und wirkt plötzlich wie ein ganz normaler Waldweg.
Doch ausgerechnet hier wird es dann noch unverhältnismäßig oft nass, denn alles Wasser der Umgebung scheint sich auf diesem Weg zu sammeln. Streckenweise laufe ich wie in einem Fluss, wobei das Wasser mitunter so eisig kalt ist, dass sich flache Nebelschwaden darüber bilden...
Eine gewisse Erleichterung macht sich breit, als ich wieder in die offene Aue zurückkehre. Wenn es hier mal etwas schwieriger wird, habe ich definitiv mehr Spielraum, eine für mich optimale Passage zu finden.
Als dann eine erhöhte Stelle mit einer einzelnen frei stehenden Lärche auftaucht, ist der Moment gekommen, das Lager aufzuschlagen. Während rundherum alles quietschnass ist, finde ich direkt unter dem Baum ein lauschig trockenes Plätzchen, an dem es sich auch im anhaltenden Nieselregen gut draußen sitzen lässt.
Derweil passiert mich ein weiterer Fahrzeugtross flusabwärts: ein Trekol-Pistenfahrzeug, das von einem übergroßen Quad mit Anhänger begleitet wird. Diesmal sind sie es, die sich ein ganzes Stück abseits der eigentlichen Fahrspur durch die Aue bewegen, so dass ich sie erst sehen kann, als sie schon längst an mir vorbeigefahren sind.
Zuletzt geändert von bikevagabond; 15.03.2024, 00:21.„Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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Warum sie nicht die ausgefahrene Spur eingeschlagen haben, wird mir am nächsten Morgen klar, denn es gibt eine viel zu hohe Kante, um einfach so aus dem Fluss ans Ufer zu gelangen. Auch ich komme hier nicht durch und arbeite mich alternativ durch den Uferwald zu einer flacheren Stelle.
Trotz der vielen Schwierigkeiten genieße ich die Abwechslung, die der Weg jeden Tag aufs Neue mit sich bringt. Es wird nie langweilig oder eintönig – das Gegenteil ist der Fall, zumal sich durch die zurückgehende Vegetation immer häufiger schöne Weitblicke ergeben.
Am Nachmittag erreiche ich das zweite noch großflächig erhaltene Naled. Diese Aufeisflächen, von denen es laut Kartenmaterial früher noch ein paar mehr gab, bilden sich bevorzugt in den flachen Talbereichen, in denen sich der Fluss in viele langsam fließende Nebenarme auffächert. Wenn der Winter kommt, friert hier das Wasser schneller als anderswo und zwar schichtweise von unten nach oben, so dass sich ein meterhoher Eispanzer bilden kann. Im Frühling wird das Eis dann lediglich linienhaft durchschnitten, wobei große Teile den ganzen Sommer und damit auch Jahre oder Jahrzehnte überdauern können. Deshalb nenne ich diese Eisfelder auch gerne Flussgletscher.
Um mir einen Überblick zu verschaffen, wo es weitergehen könnte, besteige ich eine felsige Anhöhe, die sich wie eine Insel aus der flachen Ebene hebt. In der Tundra am rechten Rand scheint es zumindest keine Fahrspuren zu geben.
Also bleibt nur der Weg mitten durch, wobei es wahrscheinlich am schlauesten ist, den eisfreien Korridoren am linken Rand zu folgen. Dort komme ich dann tatsächlich reibungslos durch, obwohl sich der Kanal zwischen den 2-3 m hohen Eisflanken vorübergehend auf wenige Meter verengt. Währenddessen vernehme ich gelegentlich ein dumpfes Rumpeln, das dem Grollen eines entfernten Gewitters ähnelt – immer dann, wenn irgendwo Teile des permanent schmelzenden Eises abbrechen.
Ich bin total fasziniert von dieser unwirklichen Wanderung zwischen Wasser, Eis und Geröll, so dass ich wiederholt stoppe, um diese einmalige Stimmung mit meiner Kamera einzufangen.
Irgendwann stoße ich wieder auf eine markante Fahrspur – ich bin also auf der richtigen Seite.
Geradezu einladend wirkt das inzwischen zugängliche Ufer, so dass ich mich kurzerhand entscheide, hier die Nacht zu verbringen.
Von der Böschung habe ich einen wundervollen Blick über das weite Flusstal. Nachdem ich einen guten Platz für das Zelt finden konnte, hole ich noch mein Rad hinterher und trage alles was ich brauche, den Hang hinauf.
Ich liebe solche exponierten Lagerplätze – es ist einer der schönsten, den ich auf dieser Tour ausfindig machen konnte. Inzwischen ist auch die Luft wieder klarer geworden, so dass die Farben der Dämmerung für ein stimmungsvolles Licht sorgen.
Mein beschaulicher Lagerplatz bei Sonnenaufgang.
Ein weiteres Mal bekomme ich Besuch von einer Fahrzeugkolonne – es ist die gleiche, die mir schon vor drei Tagen begegnet ist. Jetzt sind die Tanklaster auf dem Weg zurück ins Gebirge und in Begleitung des Trekol mit dem übergroßen Quad, welche vorgestern Abend an mir vorbeifuhren. Ich bin erstaunt, dass es hier unterm Strich etwa alle zwei Tage zu einer Fahrzeugbegegnung kommt – soviel Verkehr hatte ich auf dieser abgerissenen Piste absolut nicht erwartet.
Diesmal legen die Männer eine richtige Pause ein und schenken mir sogar eines ihrer Brote. „Die letzten Tage waren anstrengend, ständig musste ich den Fluss durchqueren, einige Male gelang mir das nur mit dem Boot“, erzähle ich ihnen. „Dabei hast du noch Glück! Das Wasser ist zurzeit besonders niedrig, denn es hat schon lange keinen richtigen Regen mehr gegeben. In manchen Jahren ist der Fluss viel voller, da hättest du an jeder Furt ein Boot gebraucht...“ Ja, auch dass es hier eine so gut ausgefahrene Spur gibt, ist ein großes Glück, denn vollkommen offroad wäre ich in der mit Treibholz durchzogenen Aue des Mittellaufs sicher an meine Grenzen gekommen. So einfach wie in den Flusstälern des Tschuktschengebirges kann man sich hier nicht durcharbeiten. Kein Wunder, dass Njurgun an diesem Gelände keine Freude finden konnte, obwohl ich immer noch der Überzeugung bin, dass er mit dem Fahrrad schon viel anspruchsvollere Offroad-Strecken hinter sich gebracht hat und eigentlich daran gewöhnt sein müsste. „Habt ihr unterwegs meinen radreisenden Kollegen getroffen?“, frage ich die Trucker. Ich bin neugierig, wo sie Njurgun zuletzt gesehen haben und was er ihnen so erzählt hat. Doch ihre Antwort fällt ernüchternd aus: „Nein, da war sonst niemand auf der Strecke.“
Sehr merkwürdig, wie kann das sein? Ich hätte schwören können, dass es bei so vielen Kolonnenfahrten zu einer Begegnung gekommen sein muss! Unweigerlich beginnt mein Kopf zu rattern und spielt alle möglichen Szenarien durch, die in dieses Bild passen könnten. Es wäre zum Beispiel möglich, dass Njurgun seine Lagerplätze auch später noch abseits des Weges eingerichtet hat und die Trucker-Kolonnen stets ahnungslos an ihm vorbeigefahren sind? Vielleicht ist er aber auch umgekehrt, da ihm die Route durch das Injali-Tal schon seit längerem nicht mehr zusagt und mit den vielen tiefen Furten schließlich zu heftig wurde? An seiner Stelle wäre ich dann einfach ins Boot gestiegen, um zur Mündung des Injali zurückzuraften, denn von da ließe sich die Tour mit einer Flussfahrt auf der Indigirka bis nach Chonuu fortsetzen, wobei zwischendurch auch eine Trekking-Tour in die Berge der „Verlorenen Welt“ möglich wäre (gegenüber von Tschumpu-Kytyl) – das wäre zumindest mein Plan B gewesen. Vielleicht ist Njurgun aber auch mit der zweiten Lkw-Kolonne mitgefahren, um sich an die Kolyma-Trasse zurückbringen zu lassen? Ich vermute, dass es eines der Umkehr-Szenarien ist, denn wenn er noch den Willen haben sollte, meiner Route nach Batagaj und Verchojansk zu folgen, wäre er doch sicher auf die jetzt vor mir stehenden Trucks aufgesprungen!? Oder sollte ihm gar etwas passiert sein? Es wäre ja möglich, dass er beim Queren eines tiefen Flusses von der Strömung weggerissen wurde und nun in echten Schwierigkeiten steckt?? Falls es tatsächlich zu einem derartigen Drama gekommen sein sollte, würde ich mir wahrscheinlich Vorwürfe machen... Nein, nein! Warum sollte ich mich denn in so einem Fall verantwortlich fühlen? Es war schließlich seine Entscheidung, zu gehen. Und er ist definitiv erfahren genug, um sich in Problemsituationen selber helfen zu können. Wer drei Tage lang barfuß und ohne Ausrüstung durch die Taiga laufen kann, um den muss man sich nicht sorgen... „Vielleicht hat ihn ja ein Bär gefressen?“, scherzen die Trucker. „Nein, das glaube ich nicht, er hat doch ein Gewehr dabei...“
Schließlich ist es soweit und die Kolonne zieht weiter – irgendwohin zu einer geheimnisvollen Mine inmitten des nördlichen Tscherskigebirges.
Im kontrastvollen Sonnenlicht des Nachmittags zeigen sich die schroffen Berge endlich wieder von ihrer malerischen Seite.
Auch heute gibt es zu Beginn noch einige Flussfurten, später sind es nur noch Bachläufe, bis das Wasser sogar ganz versiegt. Auch auf dieser Etappe zeigt sich die Piste über lange Strecken in einem gut fahrbaren Zustand. Erst zum Ende hin werden die Steine immer gröber und die fahrbaren Abschnitte immer kürzer (maximal 100 m, wenn es gut kommt).
Kurz vorm Talschluss biegt die Fahrspur schließlich nach rechts und führt über die Baum- und Buschgrenze aus der Aue heraus.
Als ich in der flechtenbewachsenen Bergtundra eine kleine Anhöhe erspähe, ist sofort der Platz für die Nacht ausgemacht. Kein Lüftchen weht, kein Plätschern ist zu hören – es ist unglaublich still hier oben (ich befinde mich inzwischen auf über 1300 m). Doch das Beste ist: der schwierigste Teil der Tour ist endlich geschafft!
Bis zum ersten großen Pass sind es nur noch wenige Kilometer. An rostigen Fässern vorbei führt die Piste zunächst in eine düstere Schlucht hinein.
Überreste eines alten Rentierzauns deuten darauf hin, dass hier früher die nomadisch umherziehenden Ewenen ihr Revier hatten.
Nach gut 2 km Fußmarsch erreiche ich eine versumpfte Hochebene. Während am trockenen Lagerplatz noch die Lemminge piepsten, sehe ich hier nun einige Grashüpfer über den Weg springen (ich hätte nicht gedacht, dass es die in solch rauen Gefilden noch gibt).
Auf der Passhöhe geht es dann streckenweise über grobe Blockfelder, die an manchen Stellen auch noch von Wasser überflutet sind. Insgesamt aber nichts, das sich nicht auch mit einem bepackten Fahrrad überwinden lässt.
Und dann ist es soweit: ich stehe auf kanpp 1500 Metern, dem höchsten Punkt der Tour! Ein besonderer Moment, den ich natürlich mit einem „Passfoto“ festhalten muss ;) Über die vor mir liegenden Bergketten kriechen derweil dicke Nebelwolken herab. So wie es aussieht, hat sich im Nordstau des Gebirges Kaltluft angesammelt, die nun allmählich rüberschwappt. Damit könnte in den nächsten Tagen tatsächlich mal ein konkreter Wetterwechsel eintreten (die Wettervorhersage des Satmessengers hat es schon angedeutet).
Da ich in meinem Logbuch neben der zurückgelegten Tagesstrecke auch jede größere Furt notiert habe, hier noch eine Zusammenfassung zu den Herausforderungen der Injali-Etappe:
Tag 12 (10.8.): 8,8 km, 1 Flussfurt (mit Lkw)
Tag 13 (11.8.): 25,0 km, 7 Flussfurten (2 knietief)
Tag 14 (12.8.): 11,8 km, 5 Flussfurten (1 knietief, - oberschenkeltief, 1 mit Boot)
Tag 15 (13.8.): 6,0 km, 2 Flussfurten (- knietief, 1 oberschenkeltief, 1 mit Boot)
Tag 16 (14.8.): 14,2 km, 20 Flussfurten (6 knietief, 4 oberschenkeltief, 1 mit Boot)
Tag 17 (15.8.): 17,7 km, 16 Flussfurten (6 knietief, 7 oberschenkeltief, 1 mit Boot)
Tag 18 (16.8.): 19,8 km, 20 Flussfurten (5 knietief, 4 oberschenkeltief)
Tag 19 (17.8.): 14,0 km, 16 Flussfurten (2 knietief)
Tag 20 (18.8.): 15,6 km, 16 Flussfurten (1 knietief)
Tag 21 (19.8.): 3,5 km bis zum Pass
Injali-Tal von der Mündung bis zum Pass:
9 Tage, 136,4 km, 103 Flussfurten (23 knietief, 16 oberschenkeltief, 4 mit Boot, 1 mit Lkw)
Die Hauptarbeit dieser Etappe lag definitiv in der Bewältigung der zahlreichen Flussfurten. Durch die unerwartet guten Pistenverhältnisse konnte aber dennoch ein Vorankommen von durchschnittlich 15 km/Tag erreicht werden, was einem „Best Case“ entspricht (in der Planung rechnete ich mit 10 bis maximal 15 km/Tag).Zuletzt geändert von bikevagabond; 06.03.2024, 18:46.„Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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Teil 5: Über den zweiten Pass zur Tscharky-Hochebene
Der erste von zwei Pässen ist geschafft, doch die Piste bleibt noch eine Weile verblockt, so dass ich mich stellenweise an den Kammweg im Riesengebirge erinnert fühle.
Irgendwann ist es aber soweit und der Untergrund wird wieder fahrbar, dazu noch mit einem tollen Weitblick über die vor mir liegenden Bergtäler (ganz hinten links ist schon das Hochtal des Tscharky zu sehen).
Bevor ich wieder in tiefere Gefilde eintauche, passiere ich noch eine alte Basis. Die Hütten und Prospektionslinien am Berghang konnte ich schon auf den Satbildern sehr gut erkennen, so dass ich mich die ganze Zeit fragte, ob sich hier noch Leute aufhalten?
Schnell wird klar, dass dieser Ort schon seit längerem verlassen ist.
Eine der zwei Hütten scheint noch gelegentlich in Benutzung zu sein und bietet für den Notfall einen trockenen Unterschlupf.
Die andere jedoch gammelt vor sich hin und wirkt wie eine Zeitkapsel, in der schon seit vielen Jahren nichts mehr angerührt wurde...
Zurück am Weg, treffe ich zum dritten Mal auf die Truckfahrer, die mit ihren Tankwagen eine entfernte Mine versorgen. Jetzt sind sie mal wieder auf dem Weg nach Ust-Nera und beschenken mich erneut mit einem Proviantbonus.
Auf die Frage, in welchem Zustand die weiterführende Piste sei, bekomme ich eine wenig mutmachende Antwort: „Der Weg zum Tscharky ist schlecht – viel schlechter und sumpfig... Dagegen ist dieser Weg wie Asphalt!“ Dann erzählen mir die Fahrer noch, dass es in einigen Kilometern ein paar weitere Hütten geben soll – mit Banja und richtigen Pritschen zum Übernachten. Wenn dem so ist, sollte ich versuchen, sie noch heute zu erreichen. Der Wind hat inzwischen spürbar zugenommen, weht mit beißender Kälte aus Nord und lässt mich bei jeder Böe frösteln, so dass ich mich ausnahmsweise mal nach einer festen Unterkunft sehne. Doch zuvor muss noch ein Canyon gequert werden, bei dem ich mich frage, wie hier die Trucks durchkommen, denn man muss mitten durch den Fluss, vorbei an etlichen großen Felsbrocken...
Dahinter geht es dann in die schützende Taigazone des Burkat-Tals.
Richtig idyllisch erscheint mir das halb bewaldete Tal, als auf der linken Seite eine einzelne freistehende Blockhütte auftaucht. Sie macht einen soliden und heimeligen Eindruck, so dass ich schon mit dem Gedanken spiele, zu bleiben.
Da es aber erst 17 Uhr ist, erkunde ich noch ein wenig die Umgebung und entscheide mich schließlich, ein Stück weiterzufahren.
Ein paar hundert Meter abwärts entdecke ich dann eine ganze Reihe weiterer Blockhütten. Es scheint früher eine richtige Geologensiedlung gewesen zu sein – mit Wohnhütten, Sommerzelten, Banja, Backofen, Öllager...
Vieles ist aber auch hier schon verfallen und verwahrlost. Nur eine Hütte ist noch voll intakt und wohnlich eingerichtet.
Hundehütte davor.
Zeltgerüst nebenan.
Müllplatz.
An sich ein guter Ort, um schlechtes Wetter auszusitzen, doch irgendwie hat mir die freistehende Einsiedlerhütte davor besser gefallen, so dass ich nach ausgiebiger Inspektion der kleinen Geologensiedlung wieder zu ihr zurückfahre. Hier mache ich es mir dann gemütlich, während von draußen immer wieder kalte Windböen gegen die Holztür donnern.
Als ich in der Dämmerung noch einmal vor die Hütte gehe, bemerke ich an einem weit entfernten Berghang talabwärts einen Lichtpunkt – zweifellos ein Ort, an dem sich Menschen befinden! Doch ob es sich dabei um eine bewohnte Basis oder gar um die mysteriöse Mine handelt, werde ich im weiteren Verlauf der Tour nicht mehr klären können...
Die Nacht verlief ohne Regen, doch der graue Himmel und der kalte Wind sind geblieben.
Der Weg ist immer noch ziemlich gut ausgefahren und führt anfangs ein Stück durch die offene Waldtundra, später dann abschnittsweise durch die dichter werdende Lärchentaiga.
Die meiste Zeit aber geht es direkt im Flussbett des Burkat weiter. Dabei muss auch hier etliche Male der Wasserlauf durchquert werden, was jedoch aufgrund der geringen Wassermenge kein Problem darstellt. Weiter unten versiegt der Fluss sogar komplett!
Auf den Satbildern dieses Abschnitts ist die Fahrspur sowohl im Wald als auch im Schotterbett gut sichtbar, an einer Stelle lässt sich sogar ein Fahrzeugtross erkennen – offenbar genau jener, dem ich schon dreimal begegnet bin (Form und Farbe der Trucks deuten darauf hin).
Als nach 13 km das Tal des Burkat auf das Tal des Mjurele trifft, befinde ich mich auf 1000 m über NN. Hier zweige ich nach links ab, um als nächstes über den Oberlauf des Mjurele zum zweiten Pass zu gelangen. Da der kalte Wind inzwischen auf Ost gedreht hat, bläst er nun mit voller Wucht das Tal hinauf, so dass ich immer in Bewegung bleiben muss, um nicht auszukühlen.
Am Anfang ist auch dieses Flusstal vollkommen trocken. Erst nach zweieinhalb Kilometern treffe ich auf einen ersten Bachlauf. Ausgerechnet hier sehe ich eine große Äsche durch das flache Wasser schwimmen! Wie sie wohl hierhin gekommen ist? Im weiteren Verlauf nimmt die Wassermenge noch etwas zu und ich habe es wieder mit einem richtigen Flusslauf zu tun, der permanent gequert werden muss. Das größte Problem sind dabei die glitschigen Steine, die jede einzelne Furt zu einer nervenaufreibenden Angelegenheit machen.
Gerade mal 9 km bin ich das Mjurele-Tal hinaufgegangen, da zweigt die ausgefahrene Spur plötzlich in ein rechtes Seitental ab. Vermutlich geht es hier zur ominösen Mine...
Auch wenn der gute Pistenzustand lockt – auf dieser Route würde ich sehr wahrscheinlich in einer Sackgasse landen. Ich muss unbedingt im Tal des Mjurele bleiben, also geht es ab jetzt offroad durch die Schotteraue.
Doch dann entdecke ich wieder Fragmente einer Fahrspur und kann noch einige Kilometer zurücklegen – bis ich einen schönen Felsvorsprung erreiche, der mit seinem herrlich bunten Tundrateppich zum Verweilen einlädt. Ganze 27 km habe ich heute geschafft – in diesem Gelände eine Rekordetappe! Direkt vor meinem Zelt hüpft dann noch ein neugieriger Hermelin herum, der mit langem Hals immer wieder in meine Richtung lugt...
Zuletzt geändert von bikevagabond; 16.03.2024, 00:33.„Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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Nachdem es schon über Nacht ein wenig tröpfelte, hat es sich nun am Vormittag ein wenig eingeregnet. Auch der Wind weht weiterhin frisch aus Ost, so dass ich es vorziehe, im Zelt abzuwarten, bis sich bessere Bedingungen einstellen. Durch die gestrige Mammutetappe mit wiederholten Schiebepassagen habe ich heute mit grenzwertig schmerzenden bzw. tauben Händen zu tun, so dass ein wenig Erholung nicht schaden kann.
Ich hatte mich schon auf einen kompletten Pausentag eingerichtet, da reißt am Nachmittag plötzlich die Wolkendecke auf und lockt mich zu einem kleinen Rundgang über die Klippenkante. Bei diesem Licht sieht das Tal gleich viel freundlicher aus und auch der weitere Verlauf der Fahrspur lässt sich aus der exponierten Perspektive ganz gut nachvollziehen.
Blick auf die umliegenden Berge im Norden und Osten. Auf den 2000ern des Tscherski-Hauptkamms hat es frischen Neuschnee gegeben!
Tolle Farben, die jetzt in der Sonne so richtig leuchten.
Da es nicht mehr regnet, versuche ich trotz der fortgeschrittenen Tageszeit noch ein Stück weiterzukommen und betrachte die imposanten Felswände nun von unten. Wo es weiß ist, haben sich Vögel ein Nest gebaut...
Etwa 10 km schaffe ich noch und erreiche damit endlich den zweiten Pass auf 1370 m Höhe. Es ist ein überwältigender Moment, als ich aus dem Mjurele-Tal emporsteige und vor mir die weite Hochebene des Tscharky erblicke. Hier befindet sich auch der Quellsee des Tscharky, an dessen Ufer ich schließlich mein Zelt aufschlage – direkt neben einer einzelnen Lärche, die mir Schutz vor dem frischen Ostwind bietet. Da das Thermometer nur noch 2°C anzeigt, verziehe ich mich rasch ins Zeltinnere.
Auch der nächste Tag präsentiert sich mit strammem Eiswind super ungemütlich, so dass ich mich ausgerechnet hier in der schutzlosen Bergtundra für einen kompletten Pausentag entscheide. Ich bleibe einfach im Schlafsack liegen und esse, döse, schreibe, lese... Am Abend gehe ich noch eine kleine Runde zum Ausfluss des Sees und entdecke dabei die Überreste eines früheren Nomadenlagers (Gläser, Stiefel, Geweihe).
Nach zwei unruhigen Nächten an diesem unwirklichen Ort blicke ich erneut in eine wolkenverhangene Szenerie, die von peitschenden Ostwinden und Temperaturen knapp über den Gefrierpunkt begleitet wird. Jetzt ziehen sogar noch Schneefälle auf, die kurzzeitig für eine weiße Umgebung sorgen.
Ich warte bis der letzte Schauer durchgezogen ist, dann baue ich mein Zelt ab. Noch länger will ich hier nicht ausharren – ich muss weiter, irgendwohin, wo ich dem ganzen Unbill nicht mehr so ungeschützt ausgesetzt bin.
Mit dem Rückenwind komme ich auf der flachen Ebene fix voran, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Wenn die Piste in diesem Zustand verbleibt, könnte ich es vielleicht in einem Rutsch bis zum geplanten Einstiegspunkt für das Rafting schaffen! Doch schon nach 6 km wird es dann doch noch schwieriger: die erste zerfurchte Sumpfpassage taucht auf, hier zum Glück noch trocken, aber genau so könnten die nächsten 15 oder gar 30 km aussehen...
Ich wähle daher die nächstbeste Fahrspur zum Fluss, um im Schotterbett des Tscharky weiterzukommen. So wie es aussieht, scheint es sogar die Hauptspur zu sein.
Der Fluss führt hier schon ordentlich Wasser, doch es gibt alle paar Meter flache Stellen, die einen vorzeitigen Bootseinsatz sinnlos machen würden. Ich muss also auch diesem Flusslauf zu Fuß folgen – und zwar Furt um Furt, von Gleithang zu Gleithang, bis er irgendwann genügend Wasser für ein Rafting führen wird.
Auf einer Steinböschung zur Rechten stoße ich zufällig auf einen alten geodätischen Messpunkt.
Am Nachmittag lässt sich dann auch mal die Sonne blicken – endlich! Ich bin total fasziniert von den knalligen Herbstfarben der Tundra und staune über die hell aufleuchtende Nebelhaube, die immer noch die Gipfel der Onelski-Bergkette im Nordosten verhüllt. Genau in diesem Licht wollte ich das Hochtal erleben!
Nach 11 km im Flussbett mit 60 tieferen Furten erreiche ich schließlich den Rand einer plateauartigen Erhebung, die ich natürlich sofort besteige, um mir einen Rundumblick zu verschaffen. Es ist ein herrlicher Platz bei herrlichem Abendlicht, so dass ich hier trotz zugiger Kälte gleich mein Zelt aufschlage.
Zuletzt geändert von bikevagabond; 16.03.2024, 00:42.„Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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In der Nacht fällt erneuter Schnee, zeitweise auch Regen. In den Bergen bleibt der Flockenwirbel sogar großflächig liegen und lässt die Onelski-Bergkette am Morgen wie aus einem Wintergemälde erscheinen.
Ein wenig durchgefroren begebe ich mich am späten Vormittag wieder in das Schotterbett des Tscharky und folge den Fragmenten der verbliebenen Fahrspur. Dabei passiere ich gleich zu Beginn eine kleine Eisfläche, die sich im Schatten einer hohen Uferböschung gehalten hat. Irgendwer scheint hier etwas kühl zu lagern, abgedeckt mit einer blauen Plane und markiert mit drei sich kreuzenden Holzstangen. Obwohl mich meine Neugier darunter schauen lässt, kann ich nicht erkennen, um was es sich handelt... Vielleicht ist es Rentierfleisch? Oder Fisch? Aber würde so ein frei zugängliches Depot nicht Bären anlocken?
Kurz darauf erreiche ich das zugehörige Lager, das einheimischen Rentierhirten zu gehören scheint. Die Truckfahrer hatten schon angedeutet, dass es hier im Hochtal ein Zeltlager geben soll. Dass es sich so dicht an meinem Weg befindet, sehe ich als willkommene Gelegenheit, einen Blick in das archaische Leben dieser Leute zu werfen. Also lege ich kurzerhand mein Rad auf die Seite, schnappe meine Kamera und stiefle zu ihnen hin.
Merkwürdig nur, dass niemand zu sehen ist. Erst als ein Hund anschlägt, tritt ein Mann aus einem der Zelte. Der scheint aber kaum überrascht zu sein, hier draußen einen Fremden anzutreffen. Er stellt sich einfach nur an den nächstbesten Busch und pinkelt – direkt in meine Richtung... Ist das die Art, wie man sich hier begrüßt? „Privet!“, rufe ich ihm entgegen. Doch von seiner Seite gibt es nur ein lautes Gebaren, wie man es von Leuten im Vollrausch kennt... Okay, dieser Besuch wird wohl etwas speziell. Eigentlich habe ich keine Lust auf sowas, aber unhöflich will ich auch nicht sein, also gehe ich unbeirrt auf ihn zu.
Jetzt spricht er mich auch mit Worten an, doch verstehen tue ich nur sehr wenig. Immerhin winkt er mich ins Zelt, in das ich nun mit ihm hineintrete. Die Einrichtung ist typisch einfach und auf das nötigste reduziert (zwei Matratzen und ein Ofen), wäre da nicht noch ein riesiger Flachbildfernseher in der Ecke... Gerne hätte ich diese skurrile Szenerie mit einem Foto eingefangen, doch ich wage es nicht, die Kamera herauszuholen, da auf der Matratze daneben noch ein Saufkumpan meines volltrunkenen Erstkontakts lümmelt. Mit Schaum vorm Mund brüllt er diesen nun an, der wiederum müht sich einen ab, um in eine aufrechte Position zu gelangen.
Trotz oder wegen der angespannten Situation, versuche ich die beiden in ein Gespräch zu verwickeln und frage sie nach den Rentieren, weiteren Menschen, wie oft hier Fahrzeuge durchkommen und ob sie außer mir schon andere Touristen getroffen haben. „Ich bin mit dem Fahrrad hierher gekommen“, erkläre ich ihnen beiläufig. Doch genau das scheint nun ihre Vorstellungskraft zu sprengen und so verlangen sie plötzlich Beweise: „Pokazhij! Pokazhij! – Zeig uns dein Rad!“ Es ist mal wieder mein Erstkontakt, der den Ton angibt und zwar einen ernsten, wobei sich in seiner aufbrausenden Art der Schaum von seinen Lippen löst und in Spritzern durch die Luft fliegt... „Es ist unten am Fluss“, erwidere ich und bilde mir ein, sie würden jetzt mit mir dort hin gehen wollen, um es sich anzuschauen. Doch ich höre nur eine Wiederholung ihrer Forderung: „Zeig es! Zeig es!“ Genau in diesem Moment wird es mir zu ungemütlich und ich will nur noch weg von hier. „Also gut, ich hole es“, sage ich, verlasse das Zelt, mache noch ein paar Fotos vom Lager und gehe zurück zum Flussufer. Eine bessere Gelegenheit werde ich nicht haben, um mich problemlos davonzustehlen...
Etwas abseits sehe ich noch einen prächtigen Rentierbullen grasen – er scheint neben dem Hund das einzige Tier an diesem Ort zu sein.
Als ich wieder am Rad bin, gehe ich einfach weiter meines Weges. Gerne hätte ich an so einem Ort noch etwas mehr Zeit verbracht, aber auf so eine Gesellschaft kann ich getrost verzichten.
Die Sonne scheint wieder und lässt aus der feuchten Luft Schauerwolken emporsteigen. Da der Wind nun endlich nachgelassen hat, fühlt es sich das erste Mal seit dem Injali wieder angenehm warm an.
Am Zufluss des Uriltin hoffe ich auf eine deutliche Zunahme der Wassermenge, um vielleicht schon das Boot einsetzen zu können. Doch dann weitet sich das Schotterbett und lässt den Flusslauf in mehrere flache Ärmchen aufzweigen, so dass ich noch ein paar Kilometer weitergehen muss.
Ein Naled befindet sich in diesem Bereich des Tscharky.
Vor den Onelski-Bergen ziehen Regenschleier über die weite Tundra und lassen im kontrastvollen Abendlicht einen prächtigen Regenbogen entstehen.
Als sich dass Flussbett wieder verengt, werden die Furten mit jeder Querung tiefer. Ich gehe noch so weit, bis sich der aufgezweigte Wasserlauf wieder in einen markanten Kanal vereint.
Genau an dieser Stelle taucht wie gerufen ein herrlicher Felsvorsprung auf, der sich wie eine Insel aus der flachen Aue erhebt – der perfekte Platz für das nächste Nachtlager!
Irgendwer hat hier vor langer Zeit mal einen Shelter erreichtet.
Fantastischer Rundumblick von meiner kleinen Festung.
Der nächste Tag startet mit freundlichem Sonnenschein und lässt mich schon früh aus dem Zelt steigen. Da ich nun endlich am Beginn der zweiten Raftingetappe bin, entscheide ich mich für einen entspannten Pausentag und erkunde zunächst die herrlich bunte Lärchentaiga, die ab hier wieder die festen Ufer säumt.
Dann nutze ich die angenehmen Bedingungen für ein längst überfälliges Vollbad im Fluss und spüle bei der Gelegenheit auch gleich ein paar meiner Sachen durch.
Auch das Fatbike wird noch durchgecheckt, da das Vorderrad während der letzten Tage immer wieder etwas Luft gelassen hat. Das Loch im Schlauch ist winzig und lässt sich nur durch Eintauchen in einen ruhigen Wasserpool finden. Auch wenn ich das Rad in den nächsten Wochen nicht brauchen werde – besser jetzt das Ganze reparieren, als später bei vielleicht ungemütlichem Wetter...
Das Boot baue ich auch schon auf, damit ich morgen zeitig starten kann.
Und dann ist der Tag auch schon rum, so dass ich erst in der Dämmerung dazu komme, noch ein paar „Taigabrote“ zu backen. Ich nehme mir vor, das erste von zwei Kilo Mehl in einem Rutsch zu verarbeiten. Damit alles am Schnürchen läuft und ich während des Teigknetens nicht noch Holz sammeln oder die Zutaten auspacken muss, lege ich mir alles penibel zurecht.
Wie einst von den Ewenen im Suntar-Chajata abgeschaut, frittiere ich die fertigen Teigfladen in Sonnenblumen-Öl, bis sie braun und knusprig sind.
Ganze zweieinhalb Stunden dauert die Backaktion, doch das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wie das duftet! Es ist immer wieder eine Wonne, mitten in der Wildnis in ein knusprig-frisches „Taigabrot“ beißen zu können. Ich kann mich kaum zurückhalten, es nur bei ein paar Kostproben sein zu lassen. Immerhin sollen die Brote nun den Pausenproviant der kommenden Woche ausfüllen.
Bis tief in die Nacht hinein genieße ich noch die Stimmung am Feuer, während es unter dem klaren Sternenhimmel zum ersten Mal richtigen Frost gibt. Morgen, am 26. August, werde ich endlich zum Rafting übergehen und in die malerisch anmutenden Täler des nördlichen Tscherskigebirges eintauchen. Vier Wochen sind inzwischen seit dem Start in Tomtor vergangen bzw. drei Wochen seit der letzten Versorgungsstation Ust-Nera.
Auch zu dieser Etappe habe ich noch einen Überblick in Zahlen:
Tag 21 (19.8.): 10,0 km vom ersten Pass ins Burkat-Tal, 4 Flussfurten (1 knietief)
Tag 22 (20.8.): 27,2 km vom Burkat-Tal ins Mjurele-Tal, 30 Flussfurten (2 knietief)
Tag 23 (21.8.): 10,5 km vom Mjurele-Tal zum zweiten Pass, 4 Flussfurten
Tag 24 (22.8.): 0 km (Pausentag am Quellsee des Tscharky)
Tag 25 (23.8.): 20,2 km durch das Hochtal des Tscharky, 60 Flussfurten
Tag 26 (24.8.): 21,7 km durch das Hochtal des Tscharky, 43 Flussfurten (5 knietief)
Tag 27 (25.8.): 0 km (Pausentag am Beginn der zweiten Rafting-Etappe)
Für die Strecke über den zweiten Pass zum paddelbaren Tscharky lässt sich zusammenfassen:
5 Tage, 89,6 km, 141 Flussfurten (davon 103 im Tscharky, 8 knietief)
Unterm Strich hat also die insgesamt 226 km lange Bergetappe von der Indigirka zum Tscharky ziemlich genau zwei Wochen gedauert (ohne die zwei Pausentage). Damit liege ich nach wie vor gut in der Zeit und kann das bevorstehende Wildnisrafting ganz entspannt angehen. Die Inventur meiner Proviantreserven hat zudem ergeben, dass ich noch für insgesamt 19 Tage zu essen habe. Das sollte locker reichen, um damit sorgenfrei bis nach Betenkes zu gelangen.
Zuletzt geändert von bikevagabond; 16.03.2024, 00:56.„Es gibt einen Weg, den keiner geht, wenn du ihn nicht gehst.“
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Einfach nur eine starke Tour! Danke danke danke. Bin gespannt, ob und wann (davon gehe ich aus) du Njurgun wieder triffst.
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Zitat von codenascher Beitrag anzeigenEinfach nur eine starke Tour! Danke danke danke. Bin gespannt, ob und wann (davon gehe ich aus) du Njurgun wieder triffst.
Und ich find es ja grundsätzlich interessant, dass es überhaupt eine Schotterpiste gibt. Das erscheint mir manchmal etwas surreal, wenn auf einmal ein LKW, eine Hütte oder andere Spuren der Zivilisation in dieser wunderschönen Wildnis zu sehen sind. Und gerade Deine letzten paar Tage waren echt beeindruckend. Diese Weite und diese Farben. Einfach wunderbar. 🤩
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Zitat von codenascher Beitrag anzeigenEinfach nur eine starke Tour! Danke danke danke. Bin gespannt, ob und wann (davon gehe ich aus) du Njurgun wieder triffst.
Zitat von Mortias Beitrag anzeigenIch hab zumindest den Eindruck, dass Du seine Abwesenheit die letzten Tage nicht sonderlich bedauert hast. 😉Bedauert habe ich nur die unversöhnliche Art des Abschieds...
Zitat von Mortias Beitrag anzeigenUnd ich find es ja grundsätzlich interessant, dass es überhaupt eine Schotterpiste gibt. Das erscheint mir manchmal etwas surreal, wenn auf einmal ein LKW, eine Hütte oder andere Spuren der Zivilisation in dieser wunderschönen Wildnis zu sehen sind. Und gerade Deine letzten paar Tage waren echt beeindruckend. Diese Weite und diese Farben. Einfach wunderbar. 🤩Die zugehörige Fotoauswahl zu begrenzen, fällt mir jedenfalls nicht einfach (bin gerade dran)... Generell muss ich mich mal ranhalten mit dem Weiterschreiben, sonst wird es knapp, noch vor dem Sommer fertig zu werden ;) Ich hoffe, dass ich den nächsten Teil über das Wochenende fertig bekomme.
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