[DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

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    • 16.08.2008
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    #81
    AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

    North Sea Cycle Route

    Burhave – Dangast, 72,6 km


    12.07.2014

    Um 6 Uhr weckt mich meine innere Uhr. Mein Kopf dröhnt immer noch, und ich packe sehr langsam. Einen Moment denke ich an Abbruch, aber vielleicht gibt sich das ja noch. Da hier kein Brötchendienst zu erwarten ist, koche ich Nudeln zum Frühstück. Lecker. Zarte Wolken legen sich über die Sonne. Es könnte ein heißer Tag werden.





    Halb acht begebe ich mich langsam zur Anmeldung. Mein Kopf ist besser geworden. Am liebsten würde ich jetzt fahren. Vielleicht finde ich einen Briefkasten oder jemanden, der das Geld für mich nimmt.
    Vor der Anmeldung steht ein Fahrrad. Sollte ich Glück haben? Tatsächlich ist der Mitarbeiter auf dem Platz und bringt die Gießkanne weg. Ich erhalte einen Sonderpreis und bin kurz darauf wieder auf dem Nordseeküstenradweg. Es ist windstill. Sehr ungewöhnlich.

    Ich radele Richtung Fedderwardersiel. Eine große Ruhezone mit Bänken. Ferienlandschaft. Ein Reiterhof verbreitet Idylle. Ich denke an die deutsche Fußballmannschaft und freue mich auf das Endspiel. Sie werden gewinnen. Ich freue mich darauf. Ich tippe 8:0. Das würde Brasilien freuen. Lachend trete ich in die Pedale. Tippen konnte ich noch nie, aber man darf ja mal träumen.





    Am Fedderwardersiel wird es gleich links abgehen und dann gleich wieder rechts. Die Straßen sind menschenleer. Ein Urlauber schaut halbnackt vom Balkon aus auf das Meer.





    Ich fahre einen kurzen Abstecher zum Siel.





    Der kleine Lebensmittelladen hat bereits geöffnet und zwei oder drei Menschen eilen, Brötchen zu holen. Man grüßt. Ferien. Aber ich mag nicht absteigen und fahre weiter.

    Ich biege rechts in den Fedderwarderdeich ein. Ein Melkhus lockt. Hier vermarkten Bauern ihre frischen Milchprodukte. Ich fahre den kleinen Umweg und gönne mir ein Glas köstlicher Buttermilch. Kein Vergleich mit den Produkten aus dem Supermarkt. Die Bäuerin empfiehlt mir Butjardinger Creme, bestehend aus Quark, Griess, Sahne, Zucker und Kirschen. Sie wird köstlich schmecken.





    Eine Katze sitzt mitten auf der Straße und schaut mich unentwegt an. Nur widerwillig weicht sie, obwohl das gar nicht nötig wäre. Schön ist es hier.





    Eine Bank steht am Wegesrand. Das Schild daneben erklärt, dass hier der Schulstrich ist. Er bezeichnet einen mittelalterlichen Deich, der im 14. JH. zur Eindeichung des Langwarder Grodens gebaut wurde. Als er aufgrund des Küstendeiches im 16. JH. nicht mehr benötigt wurde, wurden die Häuser der Landarbeiter und Landstellenbesitzer auf ihm errichtet, da er aufgrund der erhöhten Lage Schutz bot. Es entstand eine der typischen Deichreihendörfer. Gut zu erkennen ist er aber nicht, da Bäume und Büsche den Blick verstellen.








    Die Kirche von Langwarden. Die Orgel soll sehenswert sein.







    Ein kurzer Blick über den Deich zeigt einen Leuchtturm. Ich befinde mich an der Spitze dieses ein wenig wie eine Halbinsel wirkenden Landstriches, der von Weser und Jade umgeben ist. Die Sandbank vor der Küste nennt sich hier „Der Hohe Weg“ und der Leuchtturm auch. Der Leuchtturm „Hohe Weg“ ist das älteste feste Leuchtfeuer der Außenweser und hat eine große Bedeutung als Navigationshilfe. Er bietet Schutzräume für in Not geratene Wattwanderer. Klick.





    In der Ferne sieht man bereits Wilhelmshaven.





    Ein wunderschöner Küstenabschnitt, den ich sehr genossen habe.

    Der Nordseeküstenradweg biegt nun Richtung Binnenland ab. Ein fröhlicher Trupp Radler mit T-Shirts „Tour 2014“ kommt mir mit einem fröhlichen „Moin“ entgegen.





    Die Beschilderung ist weiterhin perfekt und wird es bis auf Wilhelmshaven bleiben, so dass ich die Radwegschilder nur noch selten fotografiere. Hier, zum Beispiel.





    Es folgt ein Anblick, der mich die nächsten Tage begleiten wird. Die Vegetation bietet hier nur wenig Abwechslung. Eine der wenigen Farbtupfer in der Landschaft.





    Die Sonne versteckt sich ab und zu hinter Wolken, aber regnen wird es nicht.





    Immer wieder sind auch baumreiche Streckenabschnitte dabei, die der Seele gut tun.





    Ein Schild weist auf die Deutschen Sielroute hin, einen 180 km langen, familienfreundlichen Radweg durch die Wesermarsch. Sicherlich eine schöne Wochenendtour für später. Klick.

    Richtung Tossens geht es nun wenig befahrene Landstraße entlang,





    um dann rechts ab wieder Richtung Deich geführt zu werden. Eine Kunstinstallation thront auf dem Deich, doch ich finde nicht heraus, wer sie geschaffen hat und was sie darstellt. Neben dem Radwegschild ist ein Messbaum, der die Höhe der Sturmfluten anzeigt. Rechts hinter dem Deich ist wieder ein Campingplatz der schon erwähnten Organisation und es reizt mich nicht, ihn anzuschauen.





    Nun geht es wieder schnurgeradeaus. Radeln, Radeln, Radeln.





    Ich überhole eine schwer keuchende, unrund fahrende Frau mit Fahrradanhänger. Sie tut mir fast ein wenig leid, aber sie hält durch. Als ich die Fotos mache, überholt sie mich wieder, dann bin ich wieder vorne. Ein paar Reiseradler kommen mir entgegen und grüßen. Ein Jogger hat diese Strecke für sein Training ausgesucht. Schließlich kommt ich in Eckwardenhörne an.





    Und ich gebe ehrlich zu: Wäre ich nicht hier, um den Nordseeküstenradweg abzufahren, wäre ich nun auf dieses Boot gestiegen und nach Wilhelmshaven gefahren. Mehrere Radler und eine Jugendgruppe kommen mir vom Steg aus entgegen und ich beneide sie. Ich weiß nicht, ob es an meinem Kopf liegt oder einfach an der Tatsache, dass mich mit dieser Gegend hier keine Kindheitserinnerungen verbinden: Mir schwant langsam, dass mich die Landschaft hier doch ein wenig langweilt. Klar weiß ich, worauf ich mich eingelassen habe. Aber irgendwie sieht es hier auch nicht anders aus als bei uns. Rechts der Deich, in der Mitte der Weg und links Felder. 2 Tage werde ich für die Strecke brauchen, welche die Radler in geschätzt 10 oder 20 Minuten hinter sich gebracht haben (wobei ich dazu sagen muss, dass der Nordseeküstenradweg nicht den direkten Weg nimmt, denn dann würde man nur einen Tag brauchen). Ich ringe mit meinem inneren Schweinehund. Aber aufgeben gilt nicht. Es wird auch hier noch schöne Ecken geben. Urteilen kann man erst, wenn man es gesehen hat.





    Das Denkmal für Kapitän Anton Hullmann, der von 1947 bis 61 Vorsitzender des Oldenburgischen Deichverbandes war.





    Die Strandhalle neben dem Leuchtfeuer, das seit 2 Jahren nicht mehr in Betrieb ist, ist noch geschlossen. Es ist kurz vor 9.00 Uhr. Immer noch keine Brötchen.
    An der Innenkante befindet sich ein kleiner Campingplatz, der nett aussieht. So weit hätte ich es gestern allerdings nicht mehr geschafft.

    Ich kurve etwas orientierungslos herum, bis ich wieder richtig bin. Es geht weiter am Deich entlang, welch eine Überraschung. Ich hänge die Radlergruppe ab, was keine Kunst ist, denn einige Radler sind doch schon recht betagt. Vor mir taucht ein Reh auf, und ich greife vorsichtig nach meiner Kamera. Es eilt davon, und ich habe keine Möglichkeit, das Objektiv zu wechseln. Langsam radele ich weiter und merke, dass es das Gefühl hat, in der Falle zu sitzen. Mit einem riesigen Satz springt es über einen Zaun, eilt den Deich hoch. Schaut noch einmal zu mir und rast dann den Deich hinunter auf die andere Seite des Weges ins sichere Gebüsch. Ich verfluche das Gegenlicht. Und warum hat man immer das falsche Objektiv drauf?








    Bald darauf komme ich an einen Schilderbaum und bin verwirrt. Es scheint zwei Strecken zu geben. Einmal am Deich entlang und einmal „binnendeichs“. Da die Strecken im Binnenland immer recht interessant sind, entscheide ich mich, abzubiegen. Ein Fehler.





    Zwar fängt die Sache nett an und auch der sich anschließende, schlecht zu fahrende Holperweg ist ziemlich idyllisch, aber es ist einfach ein völlig unnötiger Umweg. Im Grunde ist es die Strecke für Radler, die den Weg nach Nordenham abkürzen wollen, denn Nordenham ist gerade mal 18 km entfernt. Das übliche Radwegzeichen fehlt ebenfalls. So biege ich gleich die nächste wieder rechts ab, um auf meine Strecke zurückzukommen. Obstbäume säumen die Straße und Kühe dürfen auch nicht fehlen.





    An einer Radlerschutzhütte, wie man sie hier freundlicherweise öfter findet, stoße ich wieder auf den Nordseeküstenradweg. Ich mache erst einmal Rast und esse meine Cremespeise. Köstlich. Der Umweg hat eine halbe Stunde gedauert, die Originalstrecke vermutlich 10 Minuten.





    Es ist heiß geworden, aber es ist nicht mehr die klare Hitze von gestern.





    Ich komme an eine Skulptur, Die Arche von Bildhauer Thorsten Schütt. Auf einem Schild wird auf Bibelstellen Bezug genommen. Schade, dass ein Auto den Anblick ruiniert. Sie steht an einem Rastplatz.





    Der Rastplatz und die nächsten paar Meter des Weges gefallen mir sehr und ich bin enttäuscht, als es dann wieder auf eine Straße geht. Nordenham ist nun nur noch 12 km entfernt. Abkürzen wäre hier also leicht, wenn man aus der anderen Richtung kommt. Ausgeschildert ist nur die Tour de Fries, aber ich bin dennoch richtig.
    Zunächst fahre ich auf der Straße und genieße den Grip von vernünftigem Asphalt. Dann nimmt der Verkehr zu und ein Radwegbenutzungspflichtschild zwingt mich auf einen nicht so guten Radweg. Immerhin entdecke ich den seltenen Landstraßenchampignon.








    Die Küstenschutzhalle kommt in mein Blickfeld und mit ihr kommt ein leichter Wind auf. Der Radweg ist von Querflicken durchzogen und ich taufe ihn „Handgelenkskiller“. Anscheinend gibt es hier durchaus einen Deichradweg, aber dieser gehört nicht zum Nordseeküstenradweg. Man versucht den Weg anscheinend etwas abwechslungsreicher zu gestalten, indem man ihn über das Binnenland führt.





    Irgendwo hier in der Nähe muss ein erklärendes Schild zum „Schwimmende Moor“ gestanden habe, dem ich leider keine gebührende Beachtung geschenkt habe. Das Schwimmende Moor war eine Moorlandschaft, die bei Hochwasser aufquoll und die Häuser, die Menschen und das Vieh hochschwemmte. In der Gegend um Sehestedt sind noch stark geschrumpfte Reste erhalten. Klick.


    Ein kleiner Campingplatz vor Diekmannshausen, der hübsch aussieht. Dann führt der Radweg wieder von der Küste weg. Schön ist es hier.





    Bald darauf komme ich an einen Rastplatz, an dem ich Pause mache. Ganz still ist es hier. Noch nicht einmal Vögel hört man für einen längeren Moment. Was für ein Genuss für meine Ohren nach dem Lärm der Landstraße.








    Eine tiefe Zufriedenheit erfasst mich. Eine Familie mit Kindern kommt vorbei, mühsam rollen sie mit Klapperfahrrädern den Weg entlang.

    Nach einer Pause fahre ich weiter.





    Eine Brücke. Für motorisierte Fahrzeuge ist sie gesperrt.





    Schwalben fliegen wild herum und es ist eine Freude, ihnen zu zu schauen. Hier könnte ich bleiben.





    Überhaupt ist der Weg von Vögeln übersäht. Wenn sie mich sehen, fliegen sie weg, um sich gleich darauf wieder niederzulassen.





    Romantisch schlängelt sich die Straße durch die Bäume hindurch, um später in einen Schotterweg überzugehen.





    Dann hat mich die Zivilisation wieder. Schade.





    Bei leichtem Gegenwind geht es erst an einer Bahn entlang und dann folgt wieder Landstraße. Kurz darauf bin ich Varel.





    Dass die Kirche am Synagogenweg liegt, macht mich stutzig und tatsächlich wurde hier eine Synagoge zerstört. Gebaut 1848, zerstört am 10.11.1938. „Darüber wein ich, mein Auge, mein Auge fließt in Tränen.“ Thr 1,16 steht auf der Gedenktafel.





    Kurz darauf brauche ich etwas Scharfsinn, um das Radschild zu entdecken.





    Über die Eisenbahnbrücke geht es weiter,




    und da der Kiosk geschlossen ist, fahre ich zum nächsten Supermarkt. Brötchen und Wasser sind mein Ziel. Auch eine Gurke wird mitgenommen. Hastig verschlinge ich die Brötchen. Ich bin völlig ausgehungert.
    Das Fabrikgelände eines Keksherstellers aus Hannover taucht auf, dessen berühmtestes Produkt nach dem Universalgelehrten und Philosophen Leibniz benannt ist. Bald bin ich an einem kleinen Hafen. Es ist gerade internationales Trike-Treffen und als Motorradfahrer kann mich eines kleines Grinsens nicht erwehren. Hochglänzend funkeln die kreativ umgebauten Maschinen im Sonnenlicht. Die Ente gefällt mir besser.











    Die Fahrt durch Varel war eine angenehme Abwechslung. Nun geht es wieder am Deich entlang. Mittlerweile ist es halb zwei und die Sonne brennt erbarmungslos auf meinen mit einem Tuch und dem Helm geschützten Kopf. Ein Paar steht auf dem Deich und tankt Wasser.





    Wie in Trance radele ich die lange Gerade entlang und merke, dass ich nicht mehr kann. Meine Beine sind in Bestform, aber mein Kopf ist kurz davor, zu platzen. Er glüht, als hätte ich Fieber. Finito.
    Eine Kurve kommt und hinter der Kurve ist ein Campingplatz. Viele Wohnmobile, Zelte sehe ich keine. Immerhin kein K. Ferienpark. Ein kurzer Blick auf die Karte. Der nächste Platz ist in Hooksiel. Das sind geschätzte 35 km. Wenn ich mich ranhalte, ca. 3 Stunden Fahrt. Das macht mein Kopf nicht mehr mit. Ich brauche Ruhe.

    Kurzerhand biege ich Richtung Campingplatz ab und rolle den Hügel hinab. Ein großes, fettes Schild, auf dem steht: Hunde verboten. Oha. Spießer? Oder Naturschutz? Egal. Hauptsache, es ist noch ein Stellplatz frei.
    Es ist buntes Treiben auf dem Platz. Zwei Leute stehen bereits an. Die Rezeption wirkt professionell. Hier ist richtig etwas los. Der Mann an der Rezeption strahlt routiniert und ist schnell. Ich stelle mein Fahrrad irgendwo hin, man macht mir Platz. Abschließen tue ich nicht, das wird mir zuviel. Ich bin kurz vor dem Zusammenbruch. Ich muss aus der Sonne raus.
    Der Mann hinter dem Tresen ist wirklich nett. Apathisch reiche ich ihm den Pass und sage meinen Spruch auf: Eine Nacht, eine Person, ein Zelt, ein Fahrrad. 10.00 Euro. Das ist ein Wort. Er fragt mich, ob ich das Schwimmbad besuchen will, anderthalb Stunden sind inklusive, da könnte ich entspannen. Es wirkt, als wäre er stolz, dass sie ein Schwimmbad haben Nein. Ich brauche Ruhe. Ich habe auch gar nichts mit. Er nickt verständnisvoll und empfiehlt mir, die Zeltwiese zu meiden. Er wird mich bei den Wohmobilen unterbringen, wenn es mir recht ist. Ich nicke. Er winkt einen Mitarbeiter mit Fahrrad herbei. Fast werfe ich mein Fahrrad um, als ich wende, um ihm zu folgen. Er lenkt mich zu einem geschützten Platz zwischen den Wohnwagen. Nicht schön, der Platz. Aber hier ist es ruhig und windgeschützt. Ich bin ihm dankbar.





    Der Boden ist pieksig, daher liegt nun die Evazote unter dem Zelt. Der Wind rüttelt am Zelt und der Eingang nervt mich. Keine echte Privatsphäre. Außerdem ist das Zelt innen viel zu hell, nichts für meinen Kopf. So nehme ich mein Kikeriki Universalfootprint und verlängere meine Apsis.





    Ich rolle die Isomatte aus, lehne mich kurz an meine rechte Packtasche und schlafe sofort ein. An die Ameisen, die das ausnutzen und durch die offene Tür krabbeln werden, denke ich nicht. Es sind nicht viele und sie werden eine Stunde später unsanft herausbefördert. Mir geht es schon viel besser und es ist erst einmal Duschen angesagt.





    Das Wasser der Dusche ist wunderbar, und die Anstrengung fällt von mir ab. Immer noch ist das Wetter ein Traum und entspannt wandere am Ufer des Jadebusens entlang. Der Jadebusen. Wie haben wir als Kinder über dieses „unanständige“ Wort gekichert. Wie peinlich uns das war, dass der Jadebusen „Busen“ heißt. Ich muss schmunzeln.

    Langsam wird mir klar, warum Hunde hier nicht erwünscht sind. Das ist ein Kindercampingplatz. Höllisch muss man aufpassen, denn ganz unvermittelt brechen kleine Kinder einzeln oder in Gruppen auf Fahrrädern mit Tunnelblick zwischen den Wohnwagen hervor und walzen alles nieder, was ihnen im Weg steht. Ein schöner Platz. Eine gute Atmosphäre. Ich finde den Kiosk und bekomme dort Brötchen und Käse. Der Mann hinter dem Tresen ist ebenfalls sehr nett, bestellen muss ich nicht, wenn ich morgen nicht gerade 20 Brötchen will. Will ich nicht. Hungrig vertilge ich meine Erwerbung.

    Wieder einmal packe ich das Tele aus und fotografiere ein wenig. Ein Zeichen, dass ich mich wohlfühle. Es ist Ebbe.





    In der Ferne liegt Wilhelmshaven.





    Ein weißes Partyboot mit Technofans an Bord schippert vor der Küste herum. Die Bässe hört man meilenweit.





    Ich lasse mein Ladegerät mit Kameraakku in den Sanis. Einmal kontrolliere ich, und alles ist in Ordnung. Später wird wohl ein Kind am Akku herumspielt haben, denn er ist nicht mehr richtig eingesteckt und wird folglich nicht mehr aufgeladen. Ärgerlich, denn über Nacht will ich ihn nicht da lassen. Erst am nächsten Abend werde ich ihn fertig laden können. Als ich von meinem Kontrollbesuch zurückkomme, entdecke ich hinter den Sanis einen Vogelbaum. Ist das Hirse? Sie sind ganz verrückt danach.





    Und das? Ist das Strandflieder?





    Drei Leuchttürme liegen vor mir.





    Wieder horche ich in mich hinein. Wird Deutschland Weltmeister. Ja. Immer noch bin ich mir sicher.





    Eine Skulptur.





    Hier geht es auf einen Pfad zum Wasser. Daneben steht noch ein zweiter Pfahl, aber er gefällt mir nicht so gut.





    Ich koche meine Nudeln und anschließend Gurkensuppe.





    Zwei Zelter bauen zwei Reihen weiter ihr Zelt auf, auch sie sind Reiseradler. Wir schauen gegenseitig hinüber, aber ins Gespräch kommen wir nicht.


    Rot geht die Sonne unter.





    Grillduft zieht über den Platz. Die Kinder werden ruhiger, es ist kurz vor 21.00 Uhr. Ein Junge fährt Fahrrad und bittet mehrfach seinen Vater, zu zugucken. Der räumt die Chipstüte des Sohnes weg und versucht freundlich, einen interessierten Eindruck zu machen, während sein Sohn halbsbrecherisch Richtung Wasser fährt. Ja, ich gucke. Ja ich gucke wirklich. Toll machst Du das. Wie sich die Szenen ähneln. Dann ruft er seinen Sohne zurück. Gleich spielt Brasilien gegen die Niederlande. Ein gespanntes Flirren liegt über dem Platz. Fußballzeit. Ich hoffe für Brasilien.





    Wieviel es wohl steht? Man hört nichts.





    Dann hört man Stöhnen. Enttäuschtes Gemurmel. Die Holländer gewinnen. Um mich herum ist man für Brasilien.





    Noch einen Tag, dann entscheidet sich das Schicksal der deutschen Fußballmannschaft. Das heute ist nur ein Vorspiel. Morgen gilt es. Man spürt es in der Luft. Der Tag aller Tage. Wo ich wohl morgen sein werde?


    Zuletzt geändert von Torres; 16.07.2014, 20:48.
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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    • Torres
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      • 16.08.2008
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      • Meine Reisen

      #82
      AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

      North Sea Cycle Route

      Dangast – Hooksiel, 62 km.

      Untertitel: Wie ich das Finale der WM 2014 verpasste.

      13.07.2014

      Am Morgen ist der Himmel bewölkt. Ich habe gut geschlafen und packe konzentriert. Um 8.00 Uhr stehe ich mit dem gepackten Rad am Kiosk. Die Brötchen und ich erwerbe ein Päckchen Scheibenkäse, zwei Laugenstangen und drei normale Brötchen der Bezeichnung „Camper“. Schnell belege ich die Brötchen mit dem Käse und als ich in das erste hineinbeiße, mache ich große Augen. Fantastisch. Schnell stelle ich mich noch einmal in der Schlange an und kaufe noch zwei Stück. Das wird meine Ration für heute.

      Um zwanzig nach acht blicke ich noch einmal zurück.





      Auf dem Deich geht es Richtung Ortschaft. Wildcamper? Nebenan ist der Kinderspielplatz.





      Das Freibad ist ein monströser Bau. Kurz darauf bin ich im Zentrum. Die meisten Menschen auf der Straße tragen Brötchentüten in der Hand. Der kleine Einkaufsmarkt hat geöffnet. Ein großer Campingplatz liegt in Zentrumsnähe und sieht nett aus. Ein rotes Zelt leuchtet.

      Der Radweg führt nun von der Deichkante weg und ich sehe einen Ortsplan. Der Campingplatz, den ich besucht habe, ist der Campingplatz der Kurverwaltung. Das erklärt die Freude, mit der man bei der Sache war, denn ich vermute, von der Bewirtschaftung profitiert der ganze Ort. Der andere Campingplatz ist als Privatplatz ausgewiesen.





      Es geht wieder rechts ab und am Ende der Straße ist ein großer Parkplatz für die Badegäste des Badestrandes. Wohnmobile verboten. Also schon wieder Wildcamper, diesmal auch mit Motor. Das Zelt ist übrigens Schrott.





      Hinter dem Parkplatz geht es rechts herum auf die Straße zum Siel. Das Dangaster Tief kommt ins Blickfeld





      und gleich darauf das Dangaster Siel. Auch hier ist Campingplatz.





      Ist das ein Leuchtturm?





      Ich stehe nun gerade auf dem E9 und schaue auf das Siel. Im Gegensatz zu den Wanderern muss ich die Straße in der Binnenkante nehmen.





      Schnurgerade geht es nun weiter.





      Ein paar Tribünen stehen deplaziert auf der Wiese herum und ich rätsele, was das sein soll. So richtig schlau werde ich nicht daraus.





      Ein alter Mann beobachtet die Vögel. Er hat eine tarnfarbene JW Jacke an. Am Ende des Weges befindet sich eine Skulptur. Abgebildet ist ein Fötus und sie wirkt ein wenig unheimlich. Die Sonne ist herausgekommen und schnell wird es warm. Ich ziehe meine Jacke aus. Ein Blick zurück auf die Landschaft von eben. Schön ist es hier.





      Durch Zufall sehe ich ein Schild: Die Schatzinsel. Freilichtfestspiele. Aha. Das ist also das Geheimnis der Tribünen. Es scheint ein bedeutendes Event zu sein, denn noch ein paar Mal werden mir die Wegweiser für die Reisebusse begegnen.

      Wieder macht der Nordseeküstenradweg einen Umweg. Bis Wilhelmshaven wären es auf dem direkten Weg 15 km. Aber ich biege links ab ins Binnenland Richtung Zetel. Das offizielle Zeichen fehlt, ich orientiere mich wieder an der Tour de Fries.
      An einem Bauernhaus geht es vorbei und wieder ist unendliche Landschaft.






      Ich überquere das Ellensendammer Tief





      und nähere mich der Autobahn. Die kleinen Radwegweiser lenken mich zuverlässig, und erst geht es parallel zur Autobahn entlang. Ein wackelig fahrender Radfahrer begegnet mir. Dabei ist das Finale der WM doch erst heute Abend. Ansonsten bin ich alleine.
      Dann ist Kulturschock angesagt.





      Eine Schutzhütte taucht auf und ich stelle meinen Lenker ein Stück herunter. Es scheint mir, dass mein Kopf dadurch entlastet wird. Das Dorf Ellens kommt in Sicht und dann bin ich wieder auf Landkurs. Es sieht aus, als würde es regnen, aber es bleibt trocken. Es weht ein leichter Wind. Nicht übermäßig störend, aber auch nicht hilfreich. Eigentlich ganz schön, dass es heute nicht so heiß ist.





      Ich genieße die Fahrt. Schön ist es hier. Und einsam. Die Radwegplaner haben ihre Sache gut gemacht. Es wäre schade, wenn man nur am Deich entlang fahren würde und nicht das dazugehörige Land kennenlernen würde. Auch das Land gehört zur Küste dazu. Ich erfahre durch eine Infotafel, dass Ellens einmal eine Insel war. Ellens liegt auf einer Geestdurchragung und war daher als Siedlungsplatz sehr beliebt. Da der Deichbau noch nicht so fortgeschritten war, war ein erhöhter Siedlungsort die Quelle von Reichtum. Anfang des 16. Jh. wurde Ellens durch Sturmfluten vom Festland abgeschnitten und litt zudem unter der sächsischen Fehde. Ende des 16. Jhs. wurde es durch einen Damm wieder angeschlossen.
      Ein Blick zurück.





      Weiter geht es. Die Gegend hat einen rauen Charme.





      Ich erfahre, was das „Schwarze Brack“ ist. Es ist eine Fläche, in der sich das einbrechende Salzwasser mit dem Süßwasser der Moore vermischt. Durch den Ellenserdamm wurde das „Schwarze Brack“ geschlossen.








      An einem Bauernhaus gibt es einen SB-Automaten für Rohmilch. Er sieht aus wie ein Geldautomat. Leider habe ich kein Behältnis mit. Ein älterer Mann mit einer mobilen Fahrhilfe kommt mir entgegen und wir grüßen uns. Mir fällt auf, dass hier keine Autos fahren. Liegt das am Sonntag, am Endspiel oder ist es hier einfach zu abgelegen?





      Ich biege auf einen Plattenweg ein und prompt kommt mir doch ein Auto entgegen. Das Ausweichmanöver ist etwas schwierig und ich bedanke mich.








      Ich bin nun in Neustadtgödens und weiß noch nicht, dass ich gleich ausgiebig staunen werde.





      Wie in Zürich hängen an den Häusern Fahnen mit Berufen. Sind es die Berufe der Bewohner? Ich weiß es nicht, an einigen Stellen passt es definitiv. An anderen habe ich Zweifel.


      Jödenschool. Darunter: Schulenklopper.





      Ein Gebäude gerät in mein Blickfeld. 1864 errichtet, ist es heute ein Ferienhaus. Früher war es eine Synagoge. Sie hat die Reichsprogromnacht vermutlich deshalb überstanden, weil sie Juni 1938 verkauft wurde und zu dieser Zeit als Lager für Farben und Lacke genutzt wurde. Nur die Synagoge von Dornum wurde ebenfalls verschont. Die meisten ansässigen Juden haben die Naziherrschaft nicht überlebt.
      Ein Blick auf wikipedia zeigt, dass Neustadtgrödens über Jahrhunderte ein Ort religiöser Vielfalt war. 5 Konfessionen hatten hier zusammengelebt: Mennoniten, Lutheraner, Reformierte, Katholiken und Juden. Heute gehört der Ort zu Sande. Klick. http://de.wikipedia.org/wiki/Neustadtg%C3%B6dens











      Glooser.





      Es gibt Schilder „Aphteek“, „Linnenwewer“, „Timmermann“, „Knastenstöter“, „Beerbrower“ und viele mehr. Fast jedes Haus hat ein Schild am Haus.








      An der Ecke rüsten sich die Gastronomen angespannt für den Abend. Noch besteht die Hoffnung, dass es am Abend nicht regnet. Ich schätze aber, die Mühe war umsonst. Ich hoffe, das Geschäft war dennoch gut.





      Leider fehlt mir die Zeit, diesen Hinweis zu ergründen.





      An der Landstraße geht es jetzt weiter und als ich eine Gruppe Männer an der Straße wandern sehe, denke ich sofort an Landschulheim.





      Kurze Zeit später ist klar, was sie dort machen: Boßeln. Der rote Ball hüpft die Straße entlang. Die Jungs grüßen mich und ich rufe zu: Guckt mal weg. Ich will das Foto machen. Sie gucken weg.





      Etwas später stehe ich an einem Schlosstor. Leider ist der Park Sonntags nicht geöffnet, ich wäre gerne hineingefahren. Das Schloss ist immer noch im Besitz der Eigentümerfamilie und wird von ihr vermarktet. Es ist ein Wasserschloss.

      Ein Gestüt kommt in Sicht. Drei Pferdedamen mit Fohlen galoppieren über die Wiese, doch als die Kamera startbereit ist, bleiben sie stehen. Eine Frau kommt mir mit dem Auto entgegen und kurbelt die Scheibe herunter. „Schön, nicht?“, fragt sie und ich nicke.





      Der Wind wird stärker und nun wird er doch lästig.





      An einem Kanal geht es nun nach rechts. Doch zunächst der Ausblick links.





      Dann der Ausblick rechts.





      Zwei ältere Ehepaare stehen in der Kurve und halten ein Schwätzchen. Ich umrunde sie und biege auf den Schotterweg ein. Dann bemerke ich, dass links neben mir ein See ist und kurz darauf bin ich in dem an den See angrenzendem Park und mache eine Pause. Ich befinde mich in Sande am Sander See. Die Skulptur ist von Dressler und heißt „Gegen den Wind“. Das kommt mir vertraut vor.








      Ich befinde mich nun am Ems-Jade-Wanderweg und die Strecke am Kanal ist traumhaft. Es sind zwar einige Radler unterwegs, so dass ich nicht mehr so einsam dahinradeln kann, wie bisher, aber der Weg ist idyllisch.














      Der Radweg lenkt mich nach Mariensiel.








      Von dort an soll es links abgehen und das ist falsch. Ich radele an einem Kindergarten vorbei und komme an einem Kanal heraus – ein Radweg, ja, aber nicht der Nordseeküstenradweg. Ich hätte vor Mariensiel rechts gemusst, wenn ich meinem Navi trauen darf. Ich hole das nach und wieder fehlen die Schilder. Als gäbe es hier einen blinden Fleck. So lande ich am Flughafen von Wilhelmshaven. Auch da wollte ich nicht hin. Also wieder zurück zur Landstraße und rechts in die Landstraße einbiegen. Ein Weg geht ab und er führt mich direkt zurück zum Deich.





      Und schon bin ich wieder richtig.





      Das schönste Stück des Streckenabschnittes Wangerland - Friesland liegt hinter mir. Hier war alles dabei: Einsamkeit, Landschaft und Sehenswertes. Ein Lob an den Planer oder die Planerin dieses Teilstückes. Hat Spaß gemacht.
      Zuletzt geändert von Torres; 31.07.2014, 08:36.
      Oha.
      (Norddeutsche Panikattacke)

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      • lina
        Freak

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        #83
        AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

        Ha, deswegen kommt mir das so bekannt vor: Der Meerweg!
        (= das Schild mit dem blassblaue Gekruschel drauf )

        Zitat von Torres Beitrag anzeigen


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        • Ditschi
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          #84
          AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

          Danke, Torres. Habe es mit Genuß gelesen.
          Ditschi

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          • Torres
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            #85
            AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

            Ich habe nun die Wahl zwischen Außenkante des Deiches oder Innenkante. Da an der Außenkante erfahrungsgemäß die Spaziergänger unterwegs sind,





            fahre ich Innenkante und werde kurz darauf mit einer perfekt asphaltierten Straße belohnt.





            Sie führt neben einer ehemaligen Schienenstrecke entlang und trennt den Jadebusen vom Banter See.





            Es ist brütend warm und sieht nach Regen aus. Bald darauf bin ich in Wilhelmshaven. Blick zurück und Blick nach vorne.








            Ein paar Regentropfen fallen, aber es sind nur wenige. Eine Frau trägt ihren Schosshund auf dem Arm. Zwei junge Frauen unterhalten sich über Operninszenierungen. Ein Leuchtturm steht im Dunst. Büschen schief das Bild, aber schief ist modern.





            Ich fahre auf eine Brücke zu, mit der ich die Wasserverbindung zwischen Jadebusen und Banter See überquere. Es ist eine schöne Brücke, aber es ist viel Verkehr und die Verkehrsführung einspurig. Wenn die Autos rot haben, dürfen die Fahrradfahrer dennoch fahren und ich sehe zu, dass ich hinüber komme. An den Seiten laufen die Fußgänger. Für Fotos ist kein Raum. Dann geht es steil hinunter.
            An der Kreuzung will ich instinktiv rechts abbiegen (das wäre der direkte Weg zur Küste), aber ich muss scharf links.





            Auch andere Radfahrer sind ziemlich planlos und fast stoße ich mit einer Frau zusammen, die am Fußübergang schräg zur Brücke radeln will. Der Stadtteil wirkt deprimierend und ich erinnere mich, dass in Wilhelmshaven die Mieten günstig und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Ein Blick zurück auf die Brücke.





            Weitere Radwegschilder fehlen jetzt, aber es kann eigentlich nur hier am Kai entlang gehen. Der Wind frisch auf. Fassungslos betrachte ich das Ally. So geht es auch. Es ist Gegenwind.








            Der Motorbootfahrer lässt das Ally vom Haken, ruft ein paar Tipps herüber und überlässt die Familie ihrem Paddelschicksal. Immerhin ist hier der Wind nicht mehr so stark, so dass sie nun aus eigener Kraft vorankommen können. Sie werden wohl auf dem Banter See paddeln.
            Wieder sehe ich ein ehemaliges HADAG Schiff und denke wehmütig an meine Begegnung mit einem dieser Schiffe in Venedig. Dies hier ist die Wohldorf. Anscheinend ist hier ein Museum.





            Ein wunderschöner Wegweiser.





            Am Ende der Promenade verfahre ich mich. Es soll jetzt Richtung Bahnhof gehen und es gibt sogar ohne Vorwarnung ein kurzes linksabbieger Radwegstück zwischen den Autospuren an der Kreuzung. Aber ein erhellendes Schild fehlt. So fahre ich erst geradeaus, werde unsicher, checke mein Navi und folge dann kurzentschlossen einer Radtruppe, die ohne jede Zweifel an der besagten Kreuzung rechts abbiegt. Laut Navi ist das richtig. Bis zum Bahnhof folge ich ihnen.





            Dann geht es in eine Parkanlage.








            Am Ende des Weges biege ich fälschlicherweise rechts ab. Richtig ist es, neben der Statue vor dem Appartmentkomplex einzubiegen. Ich entdecke meinen Fehler schnell und korrigiere.





            Nun geht es durch den Stadtpark und ich bin fasziniert. Der Radweg führt jetzt ausschließlich durch die Natur. Von der Stadt bekomme ich mit wenigen Ausnahmen nichts mehr mit. Aber auch dort wirkt es, als sei autofreier Sonntag.














            Die Beschilderung ist zuverlässig und eine Zeitlang fahre ich hinter einer Reiseradlerin her. Eine Schnellstraße muss überquert werden. Ich bekomme die Ampel nicht mehr und neben mir steht eine feine Dame, die kerzengerade auf dem Fahrrad sitzt und mich beim Anfahren elegant abhängt. Ich gebe Gas, denn das geht gar nicht.

            Es geht nun über ruhige Nebenstraßen weiter und schließlich ein Stück an der Autobahn entlang. Ein Mann drängelt mich auf dem engen Weg zur Seite, um zu überholen, reißt aber nichts und fährt nun genauso schnell wie ich vor mir her. Ich verspotte ihn von hinten. Blödmann. Die zwanzig Meter hätte er doch noch warten können, der Weg wurde kurz darauf breiter. Als ich das Foto von dem Autobahnschild mache, fährt er mir endlich davon.





            Ich überquere die Autobahnabfahrt und die Autobahn und muss nun ein kurzes Stück Landstraße fahren, bevor es rechts in ein Wohngebiet geht. Die Dame von vorhin quert die Straße, und ich vermute, dass der Nordseeküstenradweg nun ebenfalls links abknickt. Tut er. Kurze Zeit später überhole ich die Dame, und als ich an ihr vorbei fahre, stelle ich fest: „Es gibt eine Abkürzung“. Sie lacht: „Genau“. Norddeutsche unter sich. Es ist alles gesagt. Ein nettes Gespräch war das.





            Ich habe die Wolken am Himmel nicht mehr beachtet, doch nun fallen wieder die ersten Tropfen. Die Dame hält an, um ihre Regenjacke zu suchen. Ich fordere mein Schicksal heraus, aber dann sehe ich eine derart fette Wolke, dass ich unter Bäumen halte. Keinen Moment zu früh, denn sintflutartiger Regen übergießt die Landschaft. Ich habe den Regenponcho mit und er schützt mich leidlich. Es ist ja warm. Über dem Lenker sammeln sich in der Kuhle des Ponchos gefühlt Tonnen von Regenwasser.











            Einen kurzen Moment wird der Regen weniger, um dann wieder volle Fahrt aufzunehmen. Der Wind bläst unverändert frisch. Von der Landschaft bekommt man auf diese Weise nichts mit. Man ist nur auf den Weg konzentriert.





            An einem Schild geht es wieder rechts ab, und ich überlege, wie es weitergehen soll. Ich wäre gerne noch nach Carolinensiel gefahren. Es wäre mir als guter Ort erschienen, die WM zu schauen. Aber ich schätze die Strecke auf mindestens 24 km. Das ist zu weit bei diesem Wetter. Man bekommt doch gar nichts mehr von der Natur mit. Vielleicht ist es morgen besser.
            Der nächste Campingplatz ist Hooksiel. Er liegt nicht direkt an der Strecke, aber er ist jetzt nur noch 4 km entfernt. Oder soll ich den Nordseeküstenradweg verlassen und außen herum fahren? Dann ist Carolinensiel vielleicht nur 15 km weit und vorher gibt es bereits mehrere Campingplätze zur Auswahl. Ich kann mich nicht entscheiden.





            Eine Signalboje steht am Straßenrand. Wie die leuchtet. Becks hätte seine Freude. Sie liegt am Ortseingang von Hooksiel. Ich übersteuere das Bild ein wenig, damit die Boje stärker leuchtet.





            Ich entscheide mich, nach Hooksiel hineinzufahren und dort zu entscheiden. Der Hafen sieht nass aus, und ich verzichte auf ein Foto. Eine Familie mit Kindern kommt mir auf Rädern entgegen. Die Innenstadt sieht gemütlich aus. Die Menschen auf der Straße wirken gelöst. Die Entscheidung ist gefallen. Ich sollte mir hier eigentlich ein Hotelzimmer suchen und die WM anschauen. Aber meine Beine führen mich automatisch weiter. Am Deich geht es entlang Richtung Campingplatz.

            Der Campingplatz sieht genauso scheußlich aus wie alle Campingplätze in der Gegend hier. Noch weiß ich nicht, dass es ein riesiger Platz mit 1500 Stellplätzen ist. Vor dem eigentlichen Campingplatz ist ein Pförtnerhäuschen, das Menschen, die mit dem Auto einfach nur ans Wasser wollen, abweist. Auch für ´s Parken muss man wohl bezahlen. Als die Kontrolleurin mich sieht, freut sie sich: „Rezeption im Gebäude, WM Spiel in der Scheune. Viel Spaß!“ Ich fahre zur Rezeption. Die Dame will mir einen Gefallen tun ,und so bekomme ich einen Platz bei den Wohnwagen. Dort es ist es windgeschützter. Da ich mein Zelt noch nicht so gut kenne, nehme ich das Angebot an.

            Und dann radele ich an Reihen und Reihen von Wohnwagen entlang. Ich dachte, es wäre ein kleiner, netter Platz wie gestern. Weit gefehlt. Der Platz ist in mehrere „Stadtviertel“ aufgeteilt und wirkt unpersönlich. Aus Lautsprechern scheppert eine Stimme: „Die Bäckerei schließt in einer halben Stunde.“ "Bitte beachten Sie...." Meine Nerven.

            Ich finde meinen Platz und kriege die nächste Krise. Er ist schief, teils sandig, es liegen Kippen, Steinchen und Glassplitter herum. Und das mit einem UL Zelt. Ich werde die Evazote unter das Zelt packen.
            Nach längerem Grübeln finde ich eine halbwegs gerade Stelle und habe nun Sandboden in der Apsis, aber keine Abdeckung dafür. Der böige Wind, die Regenschauer und die Umgebung erzwingen eine neue Tarpkonstruktion. Keine Lust, auf dem Präsentierteller zu stehen. Ein Ehepaar läuft an mir vorbei: „Auf diese Kriecherei hätte ich keine Lust“. Ihr wisst nicht, was Euch entgeht, Leute. Ich lege meinen Poncho in die Apsis, damit die Steine im Sand nicht alle im Zelt landen. Und, um meine Knie zu schonen.





            Ich dusche erst einmal ausgiebig und gehe dann Richtung Wasser. Vielleicht hätte ich doch die einsame Zeltwiese nehmen sollen? Aber ich hatte überlegt, vielleicht einen Wohnwagenbesitzer zu finden, bei dem ich das Spiel schauen kann. Mein Nachbar neben mir hat eine Satellitenschüssel. Mal sehen, was passiert, wenn er zurückkommt. Oder Open Air. Das wäre natürlich am besten. Wenn es nicht regnet.
            Das Bild von der Zeltwiese ist am nächsten Morgen aufgenommen. Dahinter ist der Wohnmobilplatz.





            Der Campingplatz liegt in einer kleinen Bucht. Man sieht den Strand in der Nähe des Alten Hafens.





            Viel mehr sieht man nicht.








            Es regnet wieder. Ein Mann führt seinen Hund spazieren und wir schnacken ein paar Sätze. Hier sind Hunde erlaubt, aber nicht überall. Alle drei Meter steht ein Schild, dass sich Hunde von der anderen Seite des Weges fernzuhalten haben. Der Hund tut mir leid.

            Ich gehe in dem Restaurantimbiss essen. Die einzige fleischlose Mahlzeit ist Fisch im Teig mit Pommes. Der gemischte Salat wird vergessen und der Hunger ist ein guter Koch. Man bereitet den Abend vor. Die Leinwand wird aufgebaut und es soll gegrillt werden. Ich darf meinen Fotoakku fertig laden.
            Die ersten Fußballfans kommen und bestellen Bier. Es ist die Sorte Fans, wegen derer ich nicht gerne öffentlich Fußball gucke. Mag ja sein, dass sie nüchtern ganz nett sind. Aber sie sind zu laut und überhaupt. Ich möchte das nicht vertiefen. Ich flüchte und setze mich wieder ans Meer auf eine Bank. Vom Restaurant her plärren ein paar „hach, ich bin so jung und daher kann ich auch völligen Dummsinn reden“-Moderatoren über die WMs der letztes Jahre. Ich muss hier weg.

            Es regnet nun richtig und ich gehe zum Zelt zurück. Der Nachbar mit Satellitenschüssel ist aus HH und bereitet das Vorzelt für die erwachsenen Kinder vor. Gastfreundlich wirkt er nicht. Ich flüchte in den Pavillon der Motorradclub Familie mit kleinem Kind, die vor mir steht. Martialisches Aussehen, aber total nett. In einer Regenpause verziehe ich mich ins Zelt. Überall im Innnenzelt ist nun Sand aus der Apsis und ich habe keine Chance, die nassen Sachen außerhalb des Innenzeltes auszuziehen. Nein, für Regenwetter ist das Zelt nicht gebaut. Kaum ist der Reißverschluss zu, beginnt es zu gießen.

            Es ist Spielbeginn und ich entscheide, zu warten. Wenn Deutschland ein Tor schießt, kann ich immer noch aufstehen und in das Lokal gehen. Aber es bleibt ruhig. Ich dämmere ein wenig vor mich hin. Deutschland gewinnt. Immer noch bin ich mir sicher. Aber warum ist es so ruhig hier? Der Regen prasselt auf das Zelt. Immerhin ist es dicht. Ich checke ods und als november schreibt: „Das sieht aber gar nicht gut aus“, rutscht mir das Herz in die Hose. Sollte ich mich so geirrt haben? Ich entschließe mich, das Spiel zu ignorieren und stecke mir Ohropax in die Ohren. Mein Kopf dröhnt und ich kann eine Mütze voll Schlaf gebrauchen. Es regnet in Strömen und das Zelt ist viel zu hell. Irreal, diese Mischung aus Taghelligkeit, Regenprasseln und untergründiger Anspannung. Meine netten Nachbarn sitzen jetzt bei den anderen Nachbarn im Vorzelt. Wenn sie jubeln, werde ich bestimmt aufwachen.

            Um 23.50 Uhr wache ich von alleine wieder auf. Ich nehme die Ohropax aus dem Ohr. Totenstille. Nur der Nachbar redet mit seiner schnarrenden Stimme auf die Familie ein. Höre ich Freude in der Stimme. Nein. Nichts. Er doziert. Wir haben verloren. Noch einmal horche ich in mich hinein. Ich war mir so sicher. Soll ich nachschauen? Nein. Ich will jetzt glauben, dass wir gewonnen haben. Morgen kann ich mich immer noch mit einer Niederlage beschäftigen.

            Mein Handy hängt noch am Powerakku. Es sollte jetzt voll sein. Als ich es abziehe, ploppt eine SMS auf: „Gratulation. Weltmeister.“ Meine mazedonische Kollegin freut sich für Deutschland. Ich starre auf mein Handy. Weltmeister. Ich mag es kaum glauben. Hat mich mein Gefühl tatsächlich nicht getrogen? Meine Tageszeitung bestätigt. Götze. Ausgerechnet Götze. In der Verlängerung. Ich schreibe zurück: „Danke. Ich hab´s verschlafen“. Die Antwort folgt prompt: „Ich auch“. In Hamburg wird man wach, wenn ein Tor fällt. Hier nicht.
            Der Nachbar redet weiterhin auf die kleine Familie ein. Die Stimme schnarrt unangenehm. Wieso freut er sich nicht? Ist er einer der Menschen, die sich ärgern, wenn sie den nächsten Tag nicht sagen können: Ich hab´s doch gewusst, der Löw, der schafft das nicht?

            Irgendwann kommt mir die Idee, einfach mal auf der Seite der öffentlich rechtlichen Sender nach zu schauen. Livestream. Podolski junior läuft mit Bastian Schweinsteiger über den Platz. Was für ein Bild. Die Szenen haben einen ganz besonderen Zauber. Die nächste SMS ploppt auf: Ihr Highspeed-Volumen ist erschöpft – sie surfen jetzt mit 64 irgendwas. Das Bild bricht ab.

            In der Ferne hört man Hupen. Endlich. Es ist wahr.
            Oha.
            (Norddeutsche Panikattacke)

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            • Torres
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              #86
              AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

              North Sea Cycle Route

              Hooksiel – Dornumersiel, 71,7 km


              14.07.2014



              Am nächsten Morgen hat der Regen aufgehört. Der Himmel ist bedeckt, aber an einer Stelle kann man die Sonne ahnen. Schnell packe ich zusammen, um die Ausrüstung trocken verstauen zu können. Das Außenzelt ist nass und ich schüttele die Tropfen ab. Auch die Evazote ist von unten nass geworden. Alles andere ist trocken.

              Gegen 7.00 Uhr kaufe ich in der Campingplatzbäckerei Brötchen. Kein Vergleich mit den Brötchen in Dangast. Schnell esse ich einen Happen an einem nassen Tisch vor der Tür. Ich fülle meine Wasserflasche am Wasserhahn auf – ich trinke auf der Tour täglich 3,5 Liter Wasser – und radele in Richtung Ausgang. Ein Mann im Overall fährt schwungvoll mit dem Fahrrad zur Rezeption hoch. Er ist zu spät, aber seine Kollegen lächeln. War eine kurze Nacht, gestern. Ein Blick vom Deich auf den Platz. Von oben sieht er klein aus, die Wohnwagen sind hinter den Bäumen verborgen.

              Ich fahre am Deich zurück zu dem Schild, an dem ich im Ort den Nordseeküstenradweg verlassen habe. Der Weg ist voller roter und schwarzer Schnecken und ich taufe die Strecke „Schneckenslalom“. Im Ort holen die ersten Gäste frische Brötchen. Ich halte einen Mann auf einem Fahrrad an und frage nach einer Bank. Auf bayrisch erklärt er mir, dass er erst einen Tag da ist, aber er glaubt sich zu erinnern, wo die Bank ist. Tatsächlich ist seine Empfehlung richtig und ich hole Geld. Am Straßenrand stehen Silvesterknaller. Ich hätte gestern im Ort bleiben sollen.





              Drei gemütlich aussehende italienische Restaurants lassen mich seufzen. Der Fisch im Teig taucht vor meinem geistigen Auge auf. Glückliches Italien. Bella cucina italiana.





              Ich finde die richtige Seitenstraße wieder und auf Nebenwegen geht es nun küstenfern im Binnenland weiter. Ein Bauernhof im typischen Baustil dieser Region.





              Dann folgen wieder Felder. Ich fotografiere während der Fahrt.





              Es ist Montag, aber die Tage scheinen in dieser Landschaft keine Rolle zu spielen. Ich kann keinen Unterschied zu Sonntag erkennen. Man sieht keine Menschen und man sieht keine Autos. Für den Großstädter eine fremde Welt. Und doch glaube ich hinter den verschlossenen Türen eine tiefe Zufriedenheit zu spüren. Deutschland ist Weltmeister. Unglaublich.








              Der Weg endet an ein paar Häusern. Es geht links ab, aber das Stück Landstraße ist kurz.





              An der nächsten Ecke geht es gleich wieder auf einen Feldweg. Ein Spiegel hilft dem Fahrradfahrer beim links abbiegen.





              Wieder geht es zwischen Feldern entlang und ich langweile mich wieder. Bitte nicht falsch verstehen, es ist schon schön hier. Aber die Bilder ähneln sich. Mehr als Radeln kann man eigentlich nicht machen. Es gibt nichts, was man entdecken könnte.





              Da werden Straßenschilder schon zur Sensation.





              Kurz mache ich Rast und lasse die Landschaft auf mich wirken. Es ist still und menschenleer. Nur das Spiel des Windes ist zu spüren. Die Uhr zeigt kurz vor halb neun. Ich hänge meinen Gedanken nach.





              Eine Landstraße. Es sieht nach Regen aus.





              Boßeler sehe ich keine mehr, aber ich fotografiere das entsprechende Warnschild.








              Ein hübsches Teilstück beginnt. Es führt an einem kleinen Fluss entlang.








              Es herrscht ein frischer Wind von vorne. Man sieht es an den Wellen. Ein paar Enten beäugen mich misstrauisch. Ob man hier wohl paddeln kann?








              Ein Streckenabschnitt kommt, in dem der Asphalt in der Mitte aufgeplatzt ist. Ich komme mir vor wie im Mecklenburg-Vorpommern nach der Wende. Da hatte ich mir auf so einer Straße mal eine Felge ruiniert.





              Zwei Joggerinnen kommen mir entgegen und eine Walkerin läuft vor mir. Die ersten Menschen auf der Strecke für heute. Das lässt auf die Nähe einer Stadt schließen. Tatsächlich: Ich bin kurz vor Jever.





              Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wieder in der Zivilisation anzukommen und auf Verkehr achten zu müssen. Auch wenn Jever auf mich ebenfalls wie ausgestorben wirkt. Schläft man hier noch?





              Ich komme an einer Kreuzung heraus. Das stolze Gebäude auf der anderen Seite nennt sich „Hof von Oldenburg – am Schloss“. Sollte es hier ein Schloss geben? In der Tat.





              Ich quere die Kreuzung und mache ein Foto. Erst die Internetrecherche informiert mich, dass das Schloss zwischen dem 15. und 16. Jh. auf dem Platz einer Burg der Ostfriesischen Häuptlinge errichtet wurde. Klick.. Das Schlossmuseum ist bestimmt sehr interessant. http://www.schlossmuseum.de/. Ungebildet, wie ich es zu diesem Zeitpunkt noch bin, radele ich durch das Tor und holpere über das Kopfsteinpflaster näher, aber von nahem sieht das Schloss doch ein wenig unromantisch aus. So fahre ich zur Kreuzung zurück. Es geht jetzt halblinks an der Hauptstraße weiter.





              Ein glitzernder Palast gerät in mein Blickfeld. Miami? New York? Hongkong? Nein – es ist das Aushängeschild des Ortes. Mag sein, dass es anderen anders geht. Ich kenne den Ort Jever nur durch: „Wie das Land, so das Jever.“ „Friesisch-herb.“
              Interessanterweise hat das Friesische Brauhaus zu Jever (Friesland, Niedersachsen) lange Zeit den Leuchtturm Westerhever (Nordfriesland, Schleswig-Holstein) für seine Werbung genutzt, der auf der Halbinsel Eiderstedt in der Nähe von St.Peter-Ording steht. Klick.
              Im Gegenzug gilt der Leuchtturm „Roter Sand“ als Wahrzeichen Hamburgs, der zwischen Friesland und dem Cuxhavener Land in der Wesermündung steht. Nachdem ich ihn auf der Fahrt nach Bremerhaven nicht gesehen hatte, hatte ich gehofft, man könnte den Leuchtturm hier in Friesland sehen, aber anscheinend ist er vom Land aus nicht zu sehen, sondern nur in einer dreistündigen Bootsfahrt zu erreichen. Vielleicht ist er daher so unangefochten ein universelles Wahrzeichen, weil ihn niemand sehen kann, und niemand weiß, wo er wirklich steht.

              Der Jever-Shop hat noch geschlossen. Auf der anderen Straßenseite ist ein kleiner Teich mit einer Fontäne darin. Eine Skulptur steht davor.





              Sie heißt „Vater und Kind“ und scheint umstritten (gewesen?) zu sein. Das ist die Aufgabe von Kunst.

              Es beginnt zu nieseln und ich suche die Schilder.





              Ich muss an einer Ampel halten. Ein paar Autos sind tatsächlich unterwegs und ich warte. Als ich fotografieren will, springt die Ampel um.





              Kurz darauf ist Jever auch schon zu Ende.





              Ich radele über eine Autobahnbrücke. Der Weg für nun auf einem Radweg an einer Landstraße entlang. Ab und zu fahren Autos vorbei. Diese Strecke gefällt mir nun gar nicht. Zumal der Wind bremst und man nicht einfach Strecke machen kann. Abwechslung verschafft nur ein Bahngleis, das völlig unmotiviert plötzlich auf dem Seitenstreifen liegt. Blick zurück.





              Ein Badeschuh liegt mitten auf der Straße. Die Autos überfahren ihn und er wirbelt immer wieder durch die Luft, fällt aber spätestens nach dem zweiten Mal wieder auf die Sohle zurück. Bestimmt gibt es eine wissenschaftliche Erklärung dafür.





              Das Nordseeküstenradwegschild ist teilweise schlecht zu erkennen. Es ist ausgewaschen und schimmert wahlweise pink oder lila. Manchmal ist der Druck auch völlig verschwunden.





              Als es nach einer gefühlten Ewigkeit endlich wieder auf einen kleinen Radweg geht, bin ich sehr froh.








              Ich fotografiere Kühe.

              „Olaf hat Husten“.





              Hier ist irgendwas ganz schön verdreht. Ganz schön gelenkig, die Dame.





              Moin.





              Bunte Punkte im Grün. Zum Erhalt der Kulturlandschaft sind sie nicht wegzudenken.





              Radweg durch einen Ort. Blumen am Wegesrand. Einwohner sind mit Fahrrädern unterwegs und grüßen.











              Der Wind wird nun richtig lästig und kostet Kraft. Eine schiefe Bank lädt zur Zwischenrast ein. Es ist nun 10.00 Uhr.





              Ein Hof steht in einer Kurve und ein Gartenzwerg grüßt mich. Rückenwind wäre gut.








              Ich mache Gerstefotos. Ein Mofafahrer hält in meiner Nähe und raucht eine Zigarette. Als er davon knattert, bin ich wieder alleine.





              Die Umgebung gefällt mir nun wieder besser, aber ich freue mich über jeden Meter, den ich den Wind nicht spüre. Noch habe ich recht viel Glück. Aber mir graut vor der Küste.








              Ich bin nun im Harmslust, das im Bereich der ehemaligen Harlebucht liegt. Genaugenommen auf dem Bedumer Altendeich von 1599, wie mir ein Schild erklärt. Er bestand aus Klei – einer klebrigen Erdmasse, deren Bearbeitung viel Kraft kostete. Durch weitere Eindeichungen wurde das vor dem Deich gewonnene Land gesichert und Groden genannt (von to grow = wachsen), da das neue Land immer etwas höher als das Alte war. Die alten Deiche waren beliebte Siedllungsplätze, weil sie eben erhöht waren. Heute kann man das nur noch vage erahnen.





              Zwei Reiseradlerinnen kommen mir entgegen. Sie haben rote Regenjacken an und heben sich deutlich von der umgebenden Natur ab. Übersehen kann man sie nicht. Nur: Wer will sie übersehen, in einem Land, das flach ist und wo man alles, was sich bewegt, auf Meilen sieht?





              Ich komme der Küste immer näher und das Wunder geschieht. Nun, eigentlich ist es kein Wunder. Es ist normal, dass das Wetter an der Küste anders als im Binnenland ist. Wie dem auch sei: Die Sonne kommt heraus. Unverzüglich wird es ein paar Grad wärmer.





              Der Wind legt nun wieder zu. Vor mir liegt Carolinensiel und dahinter das Meer.





              Hier herrscht nun reger Betrieb.





              Bald geht es rechts ab Richtung Hafen. Nun ist die Küste nicht mehr fern.


              Zuletzt geändert von Torres; 31.07.2014, 08:34.
              Oha.
              (Norddeutsche Panikattacke)

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                • 27.06.2012
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                • Meine Reisen

                #87
                AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                @Torres: danke für den Bericht

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                • Ditschi
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                  • 20.07.2009
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                  #88
                  AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                  Danke gleichfalls von mir. Da steckt viel Arbeit drin. Und da Du bekanntlich mit Sprache umgehen kannst, liest er sich der Reisebericht vergnüglich.
                  Ditschi

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                  • Torres
                    Freak

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                    • 16.08.2008
                    • 30727
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                    #89
                    AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                    Schön, dass er Euch gefällt. Ich habe eben gesehen, dass zwei Bilder doppelt waren. Das habe ich gerade geändert. War ein wenig spät gestern...
                    Oha.
                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                    • Torres
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                      #90
                      AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                      Ich reiße mich von dem Anblick der Schiffe und Masten in dem kleinen Binnenhafen los. Die Straße geht leicht bergan. Ein Vater mit seiner Tochter ist vor mir, und ich fahre ruhig und kontinuierlich ohne zu überholen, obwohl mir ein wenig mehr Tempo bei der Steigung entgegenkommen würde. Kurz darauf bin ich am Verladehafen. Und sehe Autos. Weiter hinten steht ein Fährschiff. Die Deutsche Bahn wirbt mit Inselbahn und Überfahrt nach Wangeooge. Och ne.





                      Ich wende und ein ca. 4 oder 5 jähriger Torpedo mit Fahrrad gerät in mein Blickfeld. Er schießt in Zickzacklinien auf die Straße und eilt Richtung Kreuzung. Die Mutter, beseelt vor Urlaubsfreude in die Landschaft schauend, folgt ihm entspannt und schneidet mich, was sie mit einem strahlenden Lächeln quittiert. Ich halte Abstand. Die Abbiegung nach rechts nähert sich, da werden beide langsamer. Die Mutter sagt in dem glockenhellen, geduldhaften Tonfall, den Mütter so an sich haben, denen Demokratie bereits im Kleinstkindalter wichtig ist, zu dem Torpedo: „Wohin möchtest Du denn jetzt fahren. Nach rechts oder geradeaus.“ Der Sohn gibt wackelnd Gas und macht, was ich ahne: Er fährt zielstrebig geradeaus, um dann mit einem zackigen Schlenker, ohne auf die Straße zu achten, rechts abzubiegen und in Schlangenlinien die Bordsteinkante anzuvisieren, deren Richtung ich folge. Schnell ist er, das muss man ihm lassen. Da ich nur langsam angefahren bin, bremse ich sofort. Er kommt vor mir zum Stehen. Perlend ertönt von seiner Mutter „Du musst mir schon sagen, wohin Du fahren willst“, während der Torpedo sein Fahrrad in eine neue Position bringt und über die Richtung nachdenkt. In der Tiefe meines Herzens hätte ich ein Entschuldigung auch nicht schlecht gefunden, aber ich bin nicht pingelig. In einem großen Bogen fahre ich um ihn herum, bevor er wieder die Richtung ändert und mache, dass ich fortkomme.

                      Ich bin jetzt in Harlesiel und auch hier findet sich ein großer Campingplatz. Auf der anderen Seite des Meers liegt Wangeooge. Auf dieser Insel war ich noch nie und kann daher nichts dazu sagen.








                      Es ist windig und die Zelter sitzen in warmer Kleidung hinter dem Zelt oder haben ein Auto als Windschutz vorgefahren. Es ist jetzt 11.09 Uhr. 39 km liegen hinter mir. Zeit für eine Pause.

                      Ich packe die Kamera wieder ein und werde von dem Torpedo und seiner Mutter überholt. Mist, ich hätte nicht fotografieren sollen. Aber Zelte ziehen mich nunmal magisch an. Ich folge wieder respektvoll und lerne aufgrund des völlig wirkungslosen Rufens der Mutter, dass er Kleine „Noah“ heißt. Alttestamentarische bzw. hebräische Namen scheinen derzeit äußerst beliebt zu sein. Als beide abbiegen, bin ich erleichtert. Und habe wieder Augen für die Natur.





                      Hinter dem Siel, das in der Ferne zu sehen ist,





                      mache ich auf einer Bank gut eine halbe Stunde Rast und lese im Smartphone Zeitung. Die WM. Gierig sauge ich die Informationen ein. Es ist heiß, aber ein Baum spendet Schatten. Viele Radfahrer kommen vorbei, aber E-Bikes sehe ich keine. Ein Ehepaar fragt nach dem Weg zum Strand. Er ist Rentner und sie ist recht jung und spricht deutsch mit einem ostdeutschen Akzent. Sie passen gut zusammen.

                      Der Radweg lenkt einen nun an einem kleinen Hafen vorbei.





                      Auch hier haben Reiseradler die Möglichkeit, etwas zu verzehren oder Lebensmittel einzukaufen. Die Wegführung ist also durchaus sinnvoll.

                      Etwas später sehe ich das anders, denn nun muss ich an der Straße entlang. Und nicht nur durch den Ort, sondern auf den folgenden Kilometern auf einem Radweg an der Straße.





                      Und der Wind prallt nun mit aller Härte auf mich ein. Immer, wenn man denkt, man käme mal flott voran, kommt irgendwoher ein fieser Wind, der jeden optimistischen Schnitt zunichte macht. Ich fluche.
                      Elendlang die Strecke und ohne Windschutz. Ich suche und finde meinen Rhythmus und fahre stumpfsinnig immer geradeaus.





                      Ein älteres Ehepaar sucht Radwegschilder. Die Frau ruft: Neuharlingersiel und ich antworte, während ich weiterradele: Geradeaus. Eine Zeitlang fahren sie hinter mir her.





                      Dann sind sie nach der Fotopause vor mir.





                      Ich merke, dass der Mann viel schneller fährt, als es gut für ihn wäre. Er will nicht als langsam gelten und fährt mit Kraft, da er mich in seinem Nacken weiß. So erhöhe ich die Umdrehungszahl und überhole zügig, aber ohne mich anzustrengen. Sofort lassen sie sich zurückfallen und fahren nun wieder ihren eigenen Rhythmus. Ich werde sie nicht wiedersehen.

                      Nach 50 Minuten erreiche ich tatsächlich Harlingersiel. Hier gehen die Überfahrten nach Spiekeroog ab. War es Spiekeroog, das ich vor gefühlt 100 Jahren einmal in einer Tagestour besichtigt haben? Oder doch Langeoog? Ich weiß es nicht mehr und Bilder existieren von dem Tag nicht.





                      So richtig aufhalten mag ich mich in Neuharlinger Siel aber nicht, was vielleicht ein Fehler ist. Aber da die Strecke hierher viel Zeit gekostet hat, eile ich weiter. Ich habe noch einige Kilometer vor mir.

                      Wieder geht es von der Küste weg. Den Wind beeindruckt das nicht. Er kommt unverändert von vorne. Allerdings nicht mehr ganz so stark wie in Küstennähe. Der Landstraßenradweg ist erneut ein Handgelenkskiller und meine Motivation bekommt eine leichte Delle. Durststrecke nennt man das wohl im überragenen Sinne. Meine Wasser geht auch zur Neige.





                      In einem Ort ein stolzer Hof.





                      Als endlich das Abbiegeschild kommt (Richtung Esens), bin ich froh. Trotz des Windes ist die Küste besser als diese Landstraße.





                      Es wird wieder waldreicher und ein bisschen windstiller, wenn auch nicht viel. Aber ich genieße die Fahrt.








                      Früher gab es Pappschilder. Diese hier sind erheblich besser sichtbar.





                      An der Kreuzung geht es links ab. Mitten auf der Straße steht ein Kombi mit Trierer Kennzeichen. Die Freisprechanlage ist an, und die Frau beschallt mit ihrem Gespräch die ganze Gegend. Ob ihr das bewusst ist?





                      Ich fahre in Richtung Innenstadt. Ein Transparent hängt über der Straße: „Esens feiert Schützenfest. Am zweiten Wochenende im Juli – hier steppt der Bär“. Kein Mensch ist zu sehen und ich zweifele die Aussage an. Aber kurz darauf erreiche ich die Fußgängerzone und hier ist es tatsächlich voll. Menschen, vor allem wohl Urlauber, die shoppen gehen. Wie ungewohnt.





                      Ein Schild klärt mich auf, dass es von Carolinensiel nach Esens 15,8 km waren. Dafür habe ich anderthalb Stunden gebraucht. Mein Ziel ist nun Dornumersiel. Ca. 10 km.

                      Ich biege fälschlicherweise rechts ab, weil ich zu blöd bin, das Schild richtig zu interpretieren, korrigiere aber schnell. Ich muss geradeaus. Zwei Reiseradler begegnen mir, aber sie scheinen genervt zu sein. Grüßen tun sie nicht.





                      Ganz idyllisch geht es auf einen kleinen Weg. Viele Einheimische sind unterwegs.





                      Und dann wieder an einem Kanal entlang. Gegenwind.





                      Rechts steht eine Skulptur, die von mir während der Fahrt fotografiert wird, doch das Bild verwackelt. Dafür gelingen die Zeugnisse touristischer Infrastruktur. Der Campingplatz im Binnenland befindet sich vor dem auffälligen Gebäude.





                      Der Hafen in Bensersiel sieht nett aus und direkt nebenan ist ein weiterer Campingplatz am Meer. Touristen laufen an der Straße entlang und kaufen Souvenirs. Urlaubsstimmung. Hier gehen die Schiffe nach Langeoog ab. Der Ort gefällt mir, er hat eine positive Ausstrahlung. Aber für eine Übernachtung ist es zu früh.

                      Ich entschließe mich, weiterzufahren. Schließlich würde ich gerne bis Norddeich fahren und dann morgen nach Emden. Weit wäre das eigentlich nicht, es sind noch ca. 40 km. Aber der Wind. Ich werde spontan entscheiden, was ich mache.





                      Nach kurzer Zeit geht es von der Straße ab in Richtung Innenkante Deich.





                      An einer Fußgängerstelle laufe ich kurz über den Deich.





                      Tatsächlich gibt es an der Außenkante keinen Weg. Ich schaue direkt auf den Campingplatz.





                      Eine gutlaunte Großfamilie mit Inlinern kommt und schaut ebenfalls nach einem Weg zum Wasser. Sie werden mir eine Zeitlang folgen und dann umdrehen. Vermutlich ist auch ihnen der Wind zu stark.





                      Wieder geht es gegen den Wind weiter. Eine Ruine taucht auf. Das Haus ist verlassen und dem Verfall preisgegeben. Gab es keine Erben? Waren die Schulden zu hoch? Was sich hier wohl für eine Geschichte verbirgt?





                      Flott überholen mich Reiseradler, als ich fotografiere, und es kommen mir auch welche entgegen. Einer genießt sichtbar die Natur und lächelt mir zu, als er auf meiner Höhe ist. Er hat ein Zelt dabei. Auch eine Familie mit Zelt freut sich, mich zu sehen. Aber viele fahren stumpf die Kilometer ab und verzichten auf einen Gruß. Bestimmt Urban Outdoorer.





                      Ein paar Wolken tauchen auf, und es sieht nach Regen aus. 15.06 Uhr ist es nun, und ich merke, dass ich keine Lust mehr habe. Mein Wasser ist fast alle, ich habe gut 3 Liter getrunken, und das wird für eine Weiterfahrt nicht reichen. Ich müsste also einkaufen fahren. Außerdem habe ich Hunger. Ich studiere die Karte. Die vor mir liegende Strecke führt immer am Deich entlang und bei meinem derzeitigen Schnitt, werde ich wohl erst am späten Abend in Norddeich ankommen. Dies ist die letzte Übernachtungsmöglichkeit vor Norddeich. Lohnt es sich wirklich, jetzt noch weiterzufahren? Ich will doch das Land kennenlernen!
                      Spontan entscheide ich: Nein. Hier war ich noch nie und ich kann diesen Teil nur kennenlernen, wenn ich einen Moment verweile. So erklimme ich kurzerhand den Deich, hinter dem der Campingplatz liegt.





                      Der Hafen macht einen netten Eindruck. Kleine Fischbuden locken die Kundschaft an.





                      Ich entere die Rezeption. Am Fenster hängt ein Schild: „Wir zeigen alle WM Spiele.“ Oh, denke ich. Das klingt ja interessant. Ich sage: „Moin“ und betrete den Container. „Ich habe gerade gelesen, Sie übertragen alle WM Spiele. Das ist ja toll. Wann ist denn das nächste?“ Die Frau im hinteren Bereich guckt alarmiert und ich schwäche umgehend ab: „Ist ein Scherz“. Der Mann am Computer kichert, hebt den Kopf und sagt trocken: “ Das steht noch nicht so genau fest. Die spielen ja jetzt nur noch gegen sich selbst.“ Ich lache, und wir albern etwas herum, während die Frau sicherheitshalber das Schild abnimmt.
                      Ich zahle um die 10,00 Euro und 5 Euro Pfand für die Zeltmarke und steuere auf den Wohnmobilplatz zu. Angeblich soll es eine Zeltwiese geben, dort soll ich mich hinstellen. Aber ich sehe den Zugang nicht. So zapfe ich erst einmal Wasser am Wasserhahn und schließe Bekanntschaft mit einem VWBus-Camper aus NRW, der mir den Zugang zeigt. Er ist vor dem eingezäunten Bereich. Als ich die Zeltwiese sehe, bin ich sprachlos. Die Zeltwiese ist vor den Wohnwagen angesiedelt: Eine Wiese vor einem kleinen Deich und dahinter sind der Strand und Meer. Ein Zaun fehlt. Erlaubtes wildcampen am Meer. Sehr zelterfreundlich. Sehr schön. Erfahrungen sind besser als Vorurteile.

                      Der Mann von vorhin hat den Platz am Zaun, mit dem die Zeltwiese vom Wohnwagenplatz abgetrennt wird, so dass wir Nachbarn sind. Zufall. Wir schnacken ein wenig. Eine Jungmädelsgruppe baut ein Familienzelt mit Pavillon auf. Die Alkoholvorräte sehen interessant aus. Vermutlich kündigen sie der Familie, die etwas später kam, Lärm an, denn die Familie transportiert das aufgebaute Zelt, den Pavillon und die Ausrüstung weit nach hinten, wo Stille zu erwarten ist.





                      Ich verlasse die Wiese und erklimme den kleinen Deich. Wie klein mein Zelt wirkt. Aber im Gegensatz zu den anderen Zelten flattert es nicht.





                      Ich gehe weiter. Es ist Ebbe. Ein paar Meter Wiese. Ein Weg. Eine Bank. Und dann durchströmt ein tiefer Friede mein Herz. Hier bin ich richtig. Was für eine gute Entscheidung, nicht weiter zu fahren. Diesen Moment hätte ich nicht missen mögen. Diese Weite. Diese Luft. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich lieber mag. Das Meer oder das glitzernde, unendlich scheinende Watt.





                      Langeeog und Baltrum liegen in der Ferne. Die Mutter und ihr Kind laufen mit der Schaufel immer weiter in das Wattenmeer hinaus, um den den Boden zu untersuchen. Eigentlich sind sie schon ziemlich weit weg, aber das Tele holt sie heran.





                      Es macht Freude, ihnen zuzuschauen. Immer kleiner werden sie, zu bunten Punkten, als sie sich entfernen. Ein Fotograf macht Fotos von seinen Kindern. Auch andere Familien spielen im Watt. Ein breiter Priel trennt Inseln und Watt.








                      Im Dunst ist der Campingplatz Bensersiel zu sehen. Spuren von Zivilisation in der Ferne. Wangerooge vielleicht?





                      Auch meine lärmenden Freunde sind wieder da. Wieso müssen die immer so herumschreien? Kein Respekt vor der Natur.





                      Urlaubsfreuden.





                      Ein kleiner Junge holt Schlick und andere spannende Sachen aus dem Meer und die Eltern heucheln Freude. Ich gehe ein wenig spazieren. Am Ende des Strandes ist Überschwemmungsgebiet, die Sonne taucht die Fläche ich faszinierendes Licht. Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben.











                      Ich beschließe erst einmal duschen zu gehen. Es ist ein festes Gebäude auf Stelzen und der hygienische Standard ist hoch. Nur warum die Leute die Türen immer so knallen müssen, wird mir ein Rätsel bleiben.

                      Dann gehe ich noch einmal ein wenig spazieren.





                      Glücksbringer. Kurz darauf weht ihn der Wind davon.





                      Eine Schwalbe schießt in meiner Nähe über den Platz und fliegt Attacken. Vermutlich gibt es hier viele Insekten. Für ein Foto ist sie zu schnell.

                      Auf Kochen habe ich keine Lust. So radele ich in den Ort. Es soll hier ein fantastisches Restaurant geben. Leider hat es Montags geschlossen, ein Jammer, denn die Speisekarte sieht gut aus. Ich finde einen Supermarkt und decke mich mit Wasser ein, während es zu regnen anfängt.
                      Ich entscheide mich für die Pizzeria. Viele Menschen haben Fußballtrikots an und man merkt immer noch die tiefe Zufriedenheit. Das Lokal ist rappelvoll und ich werde in die Kinderspielecke gequetscht. Egal. Ich habe Hunger. Die Pizza ist nicht schlecht und kommt erstaunlich schnell. Die Mitarbeiter sind freundlich, aber auch ein wenig erschöpft. Saison ist schön, aber gleich kommt noch eine große Gruppe. Irgendwann ist die Müdigkeit spürbar.
                      Als ich zurückradele, merke ich, wie müde auch ich bin. Rüttelpflaster auf der Straße. Plötzlich tut mir alles weh. Ein älteres Ehepaar grüßt freundlich.
                      Schnell verziehe ich mich in mein Zelt. Das Licht ist wunderschön.








                      Die Gruppe Mädels feiert hörbar im Familienzelt. Der Alkohol wirkt. Dann entscheiden sie sich für eine Sonnenuntergangswanderung. Unter Kichern und Lachen laufen sie in Richtung Meer.





                      Als sie zurückkommen, liege ich bereits im Halbschlaf. Einen Moment denke ich noch an Ohropax, dann bin ich auch schon eingeschlafen.
                      Zuletzt geändert von Torres; 30.07.2014, 07:22.
                      Oha.
                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                      • Polte
                        Fuchs
                        • 23.04.2012
                        • 1538
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #91
                        AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                        Sehr schöne Bilder die in mir die Sehnsucht wecken einfach mal das Rad, das Zelt, das Gerümpel und den Hund zu schnappen und 2,3 Tage radeln zu gehen.
                        Danke dafür

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                        • Torres
                          Freak

                          Liebt das Forum
                          • 16.08.2008
                          • 30727
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #92
                          AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                          North Sea Cycle Route

                          Dornumersiel – Norddeich Mole, 30,9 km


                          15.07.2014

                          Als ich aufwache, ist es bereits 7.00 Uhr. Ich habe wunderbar geschlafen. Es ist still. Keine Stimmen, keine Vögel, kein Wind.

                          Das Zelt ist voller Kondens und auch das Tarp ist von unten nass. Ebenso mein Fahrrad und die umgebende Wiese. Wassertropfen glitzern in der Sonne. Ich entferne das Tarp.





                          Eine Zeitlang döse ich im Zelt vor mich hin. Nun gefällt es mir, dass es so hell ist. Dann überlege, wie es weitergehen soll, aber ich kann keine richtige Entscheidung treffen. Soll ich bleiben und heute abend das Restaurant ausprobieren? Oder soll ich weiter fahren? Gerne wäre ich heute abend zu Hause, da ich noch einiges zu erledigen hätte und meinem Kopf kann ein Tag Ruhe auch nicht schaden. Ganz in Ordnung ist er immer noch nicht. Andererseits könnte er sich auch hier ausruhen.





                          Ich lege mich in den Eingang des Zeltes und blinzele in die Sonne. Einen Tag Urlaub am Meer? Nur selten habe ich hier so schönes Wetter erlebt. Normalerweise kühlt es nachts schnell herunter. Dass man abends noch gemütlich ohne Schlafsack im Zelt sitzen kann, kenne ich nicht. Dass man morgens nicht friert, wenn man aus dem Schlafsack kommt, kenne ich auch nicht. Sollte ich das nicht genießen?

                          Ich gehe zu den Sanis. Noch habe ich den Strand für mich alleine.





                          Aber das wird nicht lange so sein. In der Ferne hört man die ersten Spaziergänger. Bald wird der Platz wach werden. Instinktiv packe ich. Ich möchte den Eindruck dieses wundervollen Morgens nicht durch neue Eindrücke überlagern.

                          Als ich das Außenzelt abmache, wird das Innenzelt benässt. Inzwischen ist ein frischer Wind von Landseite aus aufgekommen, der das Zeltgewebe zum Flattern bringt und die äußerlichen Tropfen in der Landschaft verteilt. Zum Trocknen reicht die Kraft der Sonne noch nicht aus. Ich lasse das AZ eingeklinkt. Einen Moment nicht aufgepasst und losgelassen – das Zelt wird sich nicht einholen lassen, es ist zu leicht.





                          Als ich den Platz verlasse, sind die ersten Mädels der Mädelstruppe schon auf und blinzeln in die Sonne. War wohl doch nicht so lang gestern. Ich gebe an der Rezeption meine Zeltmarke zurück und erwerbe ein paar Brötchen. Dann verabschiede ich mich von dem kleinen Hafen





                          und dem Campingplatz.





                          Ich möchte nicht ausschließen, hier noch einmal Urlaub zu machen.


                          Kurz darauf bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich den richtigen Entschluss getroffen habe. Dornumersiel liegt an einer Wetterscheide. Ich fahre aus einem Schönwettergebiet in die Düsterheit. Im Binnenland wäre das nicht so relevant, aber hier an der Küste, im reizarmen Gebiet, lässt sich besseres wünschen.

                          Das Wunder lässt leider auf sich warten. Der Wind hat wieder aufgefrischt. Er kommt jetzt nicht mehr aus Westen und auch nicht aus Landseite, sondern genau aus Südwest. Das ist ungeheuer praktisch, denn meine Strecke führt zunächst nach Westen und dann nach Süden. Wer benötigt schon Rückenwind, schließlich sind wir Outdoorer.





                          Ich tröste mich mit der Tatsache, dass sich auch über Dornumersiel Wölkchen über die Sonne schieben. Aber nur vor die Sonne – drumherum ist der Himmel tiefblau.





                          Trotzdem bleibe ich bei meiner Entscheidung. Vielleicht verflüchtigt sich das Wolkenband, in das ich bald eintauchen werden. An der Küste weiß man nie.








                          Tut es nicht.





                          Immer wieder schaue ich zurück. Der helle Streifen weicht immer weiter zurück und irgendwann ist er verschwunden. Ich beneide die Radler, die mir entgegenkommen. Sie fahren in das schöne Wetter. Sie wissen es nur noch nicht.





                          Sehr viel Abwechslung bietet die Strecke nicht. Hier ein Wegweiser.








                          In Neßmersiel ist die Abfahrt der Fähren nach Baltrum, aber ich verzichte auf den Umweg. Der Ort wirkt menschenleer. Ich fühle mich etwas verloren.





                          Kurz zeigt sich ein wenig Zivilisation. Wenige Menschen, vier oder fünf vielleicht, und ein Wegweiser zu einem Geschäft.





                          Aber das dauert nur kurz.





                          Singletrail.





                          Dann wieder die Straße. Kühe als willkommene Abwechslung.





                          Es geht zum Deichweg zurück. Die Atmosphäre ist trüb. Obertrüb.





                          Baustellengeräusche dringen an mein Ort. Irgendetwas wird gebaggert. Auf dem nächsten Feld ist Erntezeit und der Traktor wird von Möwen verfolgt.





                          Eine große Radelgruppe macht Pause an einer Sitzgruppe. Es scheint eine geführte Tour zu sein, denn ein Transporter steht in der Nähe.





                          Jede Abwechslung ist nun gerne gesehen. Wildgänse.





                          In regelmäßigen Abständen kommen mir nun Reiseradler mit vollem Gepäck entgegen. Frontroller, Backroller. Die wenigsten grüßen, obwohl ich sie grüße. Es ist, als wäre ich Luft für sie. Eine Vierergruppe - zwei Ehepaare um die fünfzig - kommt mir entgegen und ich assoziiere mit ihnen Bulldoggen. Verbissen machen sie Strecke. Sie haben Rückenwind. Können sie denn nicht genießen? Es ist Urlaub. Vielleicht haben sie Angst vor Regen. Vermutlich fahren sie von Hotel zu Hotel und möglicherweise haben sie schlecht geschlafen. Ich bin mir mittlerweile sicher, dass die meisten Radler keine Zelte dabei haben. Was eigentlich nicht verkehrt ist. Auf diese Weise ist der Weg auch für ältere Radtouristen geeignet und die touristische Infrastruktur profitiert ebenfalls. Die Radwegführung kommt beiden Ansätzen entgegen.

                          Ich komme auf die Idee, meinen Sattel zu verstellen. Der Wind drückt mich stark in den Sattel und ich erahne Druckstellen. Das bringt mir ein paar Zwangspausen ein. Erst ist die Schraube nicht fest, dann der Sattel zu weit vorn, dann wieder alles wie vorher, dann endlich ganz gut, aber immer noch nicht richtig fest und bei fünften Mal klappt es dann endlich. Ein Einheimischer radelt an mir vorbei und guckt milde auf mein Multitool.

                          Befreit gebe ich Gas und entscheide mich, nun ein wenig Strecke zu machen. Doch dieser Entschluss währt nicht lange. Zwei Radfahrer haben ihr Fahrrad an den Schafzaun gelehnt. Die Schafe strömen herbei. Das ist mir doch ein Bild wert.





                          Und dann bin ich bereits kurz vor Norddeich. Ein Regionalzug schiebt sich über die Brücke. Norddeich ist eine der "Bahnhofsetappen". Die letzten Anreisemöglichkeiten per Bahn zum Nordseeküstenradweg befanden sich in Esens oder Jever.





                          Leider verliere ich den Radweg, ich glaube, ich fahre links weiter, weil das Schild einen leichten Linksdrall hat. Dabei führt der Weg geradeaus über den Deich. So komme ich an der Hauptstraße heraus. Hier war ich schon mal. Es ist recht viel Verkehr. Der Überfahrt nach Norderney wegen.





                          Ich komme wieder auf den Radweg. Die Wolken hängen tief. Auf dem kominierten Fuß- und Radweg sowie oben auf dem Deich gehen viele Menschen spazieren, ein paar Kinder schreien. Ich setze mich auf eine Bank und trinke einen Schluck Wasser. Mein Kopf muckt. Hier bleibe ich auf keinen Fall.

                          Ich muss mich entscheiden. Bald wird der Radweg wieder ins Binnenland abknicken und einfacher zu fahren und abwechslungsreicher werden. Die nächste Ausstiegsstelle ist dann Emden, da stoße ich wieder auf einen Bahnhof. Das könnten so 80 km sein, wenn ich die Strecke ausfahre. Ich grübele über der Karte. Aber ich könnte in Wirdum abkürzen. Dann wäre es nur geschätzt 40 km. Das wäre zu schaffen, aber ich wäre erst sehr spät zu Hause.
                          Die andere Alternative wäre, in der Höhe von Krummhorn zu übernachten und morgen nach Emden zu fahren. Aber dann fehlt mir der morgige Tag. Ich schaue mir die Karte noch einmal an. Unterhalb Emdens führt der Radweg weiter durch das Rheiderland. Hatten wir hier nicht mal einen User aus den Rheiderland? Da war ich noch nie. Nur dafür später einmal anzureisen, lohnt sich eigentlich nicht. Was tun?

                          Ich beschließe, das Problem zu verschieben. Ich werde mal schauen, wie das Fährterminal heute aussieht. Ich war lange nicht mehr hier.

                          Ich wende.

                          Mit Rückwind fahre ich zügig deichaufwärts. Hier oben ist es windig, unwirtlich und voller Menschen und Autos. Der Autoverkehr in Richtung Fähranleger dröhnt. Zuviel für meinen Kopf. Ein Bild von einem Stück Hafen. Die Abfertigung der Inseltouristen nach Juist und Norderney ist weiter hinter.





                          Eine Bahnschranke versperrt die Straße und ich schlängele mich an den Autos vorbei. Ein heller Zug fährt quietschend rückwärts in den Bahnhof ein. Als der Weg frei ist, quere ich die Gleise. In der Ferne scheint der Bahnhof zu sein. Der Zug hat angehalten.
                          Wie ferngesteuert lenkt sich mein Fahrrad zum Bahnsteig. Ohne weiter Nachzudenken gebe ich am Fahrkartenautomaten meine Daten ein. Gibt es hier überhaupt Züge, die Räder mitnehmen? Der Zug am Gleis sieht nicht so aus, als hätte er ein Fahrradabteil, das scheint einer der alten Regionalzüge zu sein. Ich laufe zum letzten Waggon und schaue hinein. Doch, da ist ein Gepäckabteil. Hhhm. Ich laufe zum Automaten zurück. Dass ich vorhin einen modernen roten Regionalzug gesehen habe, habe ich längst vergessen. 12.39 Uhr soll der Zug laut Reiseverbindungshinweis fahren. Jetzt ist es 11.36 Uhr. Der steht aber früh da. Eine Stunde warten. Egal. Sicherheitshalber kontrolliere ich die Anzeigetafel am Bahnhof, aber da steht nur die Uhrzeit drauf. Der Schaffner beobachtet mich. Ich würde ihn gerne fragen, ob es der richtig Zug ist, aber er ist zu weit weg.

                          Ich ziehe Fahrkarte und Fahrradkarte. Dann nähere ich mich dem Zug. Ich habe ja noch eine Stunde Zeit, steige aber schon mal ein. Ich muss abladen und packe das Fahrrad in den Zug. Es stehen noch zwei andere Fahrräder im Abteil. Es muss an einen Haken gehängt werden und so richtig gelingt mir das nicht auf Anhieb. Dann hole ich die Koffer. Der Schaffner ruft: „Wir warten nur auf Sie“. Schock. Hä? Ich schnappe mir blitzschnell meine Taschen und werfe sie in den Zug, der sich kurz darauf in Bewegung setzt. Erst jetzt sehe ich ein Ticket an den anderen Rädern. Ich bin falsch. Das ist kein Regionalzug. Was tun? Gleich an der nächsten Haltestelle wieder aussteigen?

                          Schon ist der Schaffner neben mir. Ich bin im IC oder EC nach Luxemburg. Mein Ticket ist gültig, aber für den Fernzug brauche ich ein anderen Fahrradticket. Das Niedersachsenticket für 4.50 gilt hier nicht. Das neue Ticket kostet 6.50 Euro mit Bahncard. Mir egal, Hauptsache ich muss keine weitere Strafe zahlen und werde nicht aus dem Zug geworfen. Ich suche mir einen Platz und schaue aus dem Fenster. In Emden fährt der Zug ein Stück parallel zum Nordseeküstenradweg und natürlich fallen mir die Schilder sofort auf. Ich werde mich daran erinnern, wenn es so weit ist.





                          Der Schaffner hatte mir den Umstieg in Emden empfohlen. Tatsächlich: Am gegenüberliegenden Gleis habe ich direkt Anschluss an einen weiteren IC und zwei Minuten später geht es in Richtung Bremen weiter. Eine Sinti oder Roma Familie steigt mit einem riesigen Doppelkinderwagen voller Kleidung, Spielzeug, Tand hinzu. Der Wagen ist zu breit und wir versuchen, zu helfen. Erst als der Metallschutz an der Seite abgebaut wird, bekommen wir den Wagen ins Abteil. Eine angenehme Fahrt in interessanter Gesellschaft.

                          Anschließend geht es bei strahlendem Sonnenschein und Sommerhitze wieder abenteuerlich durch Bremen und ich schaffe es, nicht von Radfahrern überfahren zu werden. Ich entdecke das Outlet Bahlsens, dann geht es schnurstracks nach Hause.
                          Oha.
                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                          • morit.z
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                            • 16.03.2009
                            • 644
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                            #93
                            AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                            Sehr schön. Vielen Dank!

                            Ich bin vorgestern die Strecke von Norddeich nach Emden gefahren (und dann weiter landeinwärts nach Osten); da ist die Beschreibung der Strecke östlich von Norddeich sehr hilfreich, da die als nächstes auf der Liste steht

                            Bin gespannt wie es weitergeht.
                            Bilder.

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                            • blauloke

                              Lebt im Forum
                              • 22.08.2008
                              • 8361
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                              #94
                              AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                              Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                              Danke für die Bilder von einer Region, in der ich mich nur wenig auskenne. Freue mich auch auf die Fortsetzung.
                              Umgekehrt gilt das selbe.

                              Vor vielen Jahrzehnten bin ich mal mit dem Auto durch Norddeutschland gefahren. Davon weiß ich nur noch die Stellen von denen ich Fotos habe.
                              Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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                              • Torres
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                                Liebt das Forum
                                • 16.08.2008
                                • 30727
                                • Privat

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                                #95
                                AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                                Ich musste ja einen Moment überlegen, wo Du das Zitat von mir herhast . Ein Kommentar zu Deinem Reisebericht, nicht wahr?

                                Vom Auto aus erschließt sich diese Landschaft hier oben nicht, da geht es mir wie Dir. Landstriche, die hügelig sind, wirken anheimelnd und romantisch. Eine flache Landschaft ist kein Raum. Daher vergisst man sie schnell, wenn man keine Erinnerungen mit ihr verbinden kann. Diese Landschaft muss man bewohnen und mit Erlebnissen füllen. Erst dann beginnt sie einen mit ihrem rauen Charme zu berühren. Jetzt, wo ich sie erradelt habe, hat die Gegend eine völlig andere Bedeutung für mich als vorher, wo ich auch eher mit dem Auto die Landschaft durchfahren habe.

                                Wobei man nicht vergessen sollte: Nirgends ist der Kontrast zwischen Sommer und Winter so groß wie an der Nordseeküste. Diese Gegend ist im Winter nicht sehr kalt (Golfstromeinfluss) und folglich schneearm und wenn es dann im Herbst und Winter dunkel, feucht und regnerisch ist, braucht es eine gute Portion Heimatgefühl, hier zu überwintern. Was im Sommer lieblich erscheint, ist im Winter überflutet und was im Sommer menschenleer wirkt, ist im Winter trist und kalt. Auch das hat seinen besonderen Charme, definitiv - zumindest seit es Strom, Wasser und Zentralheizung gibt.
                                Oha.
                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                • Torres
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                                  Liebt das Forum
                                  • 16.08.2008
                                  • 30727
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                                  #96
                                  AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                                  North Sea Cycle Route

                                  Norddeich Mole - Wirdum, 37,4 km



                                  Sa, 30.08.2014


                                  Ich sitze im Zug nach Norddeich Mole, um wie üblich ein Stück Nordseeküstenradweg zu fahren. Aber etwas ist diesmal anders: Es ist mein erster Urlaubstag. Ich kann es noch gar nicht glauben. Mein Wunschziel ist England. Ob ich es erreichen werde, steht in den Sternen.

                                  Unglaubliche Wassermassen prasseln in einigen Regionen auf den Zug ein. Nach einem fantastischen Sommer bis Anfang August, ist das Wetter umgeschlagen. Zwar scheint heute zwischendrin auch die Sonne, aber immer wieder ziehen Unwetter durch. Aber fast alle die ich kenne, hatten einen verregneten Urlaub. Das wäre also nichts Besonderes. In der Schweiz und in Südeuropa scheint es unglaublich geregnet zu haben und das hat meine Entscheidung gefestigt, diesmal im Norden zu bleiben. Urlaub in Holland. Nie konnte ich mir das vorstellen. Aber eigentlich will ich ja auch nicht nach Holland, sondern nach England.

                                  Der Zug ist brechend voll. Mit Gewalt verschaffe ich mir Zugang zum ausgewiesenen Radabteil, das von Kofferbesitzern bereits blockiert und weiterhin angesteuert wird. Zwei weitere Räder müssen auf der Treppe zum Gang stehen bleiben. Zeitweise ist absolut kein Durchkommen mehr. Bei einem Unfall hätte man keine Chance. Ich setze mich neben eine Frau mit Rucksack. Sie ist im letzten Jahr den E5 gelaufen und wir unterhalten uns.

                                  Als ich aus dem Zug steige, ergießen sich eimerweise Liter von Wasser über den Bahnsteig. Alles hetzt und drängt zum Ausgang oder zu den Schiffen nach Norderney oder Juist. Ich muss aufpassen, nicht von Rollkoffern torpediert zu werden. Ich tarne mich in meinem neuen Poncho, einem Radponcho, der lange Ärmel hat. Auf die Dauer erschien mir mein kurzärmliger Poncho für England zu gewagt, da nasse Jackenärmel so schlecht trocknen. Die Regenüberschuhe nicht vergessen, sie sind an den Waden ein wenig zu eng.





                                  Gegen 14.00 Uhr bin ich startbereit. Kurz darauf hört es auf zu regnen. War ja zu erwarten. Ich fahre über die Bahngleise Richtung Deichweg. Es ist viel Verkehr, kaum komme ich über die Straße zum Radweg. Alles will zu den Schiffen oder von den Schiffen weg. Dann bin ich endlich auf der richtigen Seite und fahre kurz auf den Deich. Nordseeluft. Salz. Ich habe Urlaub. Ich kann es immer noch nicht glauben.






                                  Ich fahre mit einer Mischung aus Bikepacking-Setup und konventioneller Beladung mit Frontrollern als Backrollern. Bisher hatte ich das Gewicht immer hinten und wollte es besser verteilen. Ob das System wirklich die Leistung steigert, kann ich nicht beurteilen, im Nachhinein kommt es mir so vor. Aber ich habe nun auf dem Lenker Platz für eine Tasche, in der die wichtigsten Dinge verstaut sind und alles ist besser griffbereit und sortiert.
                                  Diesmal ist das gelbe Fahrrad mit. Es ist stabiler als mein Stadtrad und für den harten Einsatz gebaut. Den Lenker habe ich weit heruntergestellt und damit die Sitzposition verändert. Dem ersten Eindruck nach fährt es sich so besser.
                                  Meine Systemkamera habe ich durch eine Kleinknipse ersetzt. Für das Fahrrad ist die Große einfach zu groß und zu schwer. Auch wenn es beim Fahrrad nicht so auf das Gewicht ankommt, so ist das ständige Hochheben der Kamera, vor allem während der Fahrt, doch eine hohe Belastung für die Handgelenke. Ob ich es bereuen werde, weiß ich noch nicht. Dem ersten Eindruck nach sind die Ergebnisse nicht immer gleichwertig. Aber man muss Kompromisse eingehen können. Man kann eben nicht alles haben.





                                  Eine Gruppe Bergsteiger hat den Deich erklommen. Ohne Seilsicherung wandern sie auf dem schmalen Grat. Ob das man gut geht.





                                  Der Radweg knickt hinter den letzten Häusern schnell vom Deichweg ab. Wieder ist binnenradeln angesagt. Bedauerlich, aber der Weg führt nun nach Norden (Anm.: Keine Himmelsrichtung, sondern ein Ort), vermutlich aufgrund des dortigen Bahnhofs. Aber der Weg ist idyllisch. Der obgligatorische Wind stört nicht, er kommt hier von der Seite. Es riecht nach warmem Regen.





                                  Ein Pferdehof, umgeben von Wasser. Kinder striegeln ein Pony. Entengrütze.





                                  Die ersten Herbstfarben.





                                  Ich verpasse die Abzweigung nach links und fotografiere einen Ramskopf.





                                  Dann bin ich wieder richtig. Der direkte Weg nach Greetsiel beträgt 16 km, aber wie üblich macht der Nordseeküstenradweg einen riesigen Umweg. Der nächste Campingplatz ist in Krummhörn, da ich erst Mittags gestartet bin, stimmen die Distanzen nicht. Ich werde mir etwas einfallen lassen müssen. Ich mustere die Bushaltestelle. Sie sind hier windgeschützt gebaut, und man könnte sie eventuell zweckentfremden. Aber dafür ist es noch viel zu früh.


                                  Zwei Wanderer grüßen und der Traktor zieht die Möwen an. Sie kreischen wild.






                                  Kurz darauf erreiche ich Norden. „Ich bin ein Hund. Hier ist mein Haus ….. „. So kann man Warnungen auch ausdrücken.





                                  Ein Frosch sitzt auf der Straße, man sieht ihn kaum. Es sind wenige Menschen auf der Straße, es ist Wochenende. Ein Mann bastelt an seinem Auto. Es ist hinten völlig zertrümmert.

                                  Anschließend wird es wieder ländlicher.











                                  Der Radweg ist ein Bremsweg.





                                  Dann geht es auf einem Radweg an der Landstraße entlang. Der Weg ist langweilig und der Wind bremst.





                                  Eine Kanueinsatzstelle mit Rastplatz lockt am Leydeich mit einem roten Kanu. Die Felder sehen staubig aus. Es ist ein helles grau. Kein dicker, fruchtbarer Boden, sondern eher wie flüchtiger, eintöniger Sand. Die Kamera fängt den Eindruck nur rudimentär ein.





                                  Ich erreiche Neuwesteel. Eine Schautafel, die auf die Vergangenheit hinweist. Aber so richtig nachvollziehen kann ich nichts. Dafür entdecke ich, dass mein GPS in Norddeich keinen Empfang hatte und mich in München wähnte. Obwohl ich alle Daten gelöscht hatte, stehen jetzt 710 km auf dem Tacho. Fein.
                                  Es geht weiter die Straße entlang. Dann auf einen Radweg, der von der Straße abgetrennt ist. Zeit für eine kurze Pause.





                                  Es dauert, bis der Radweg auf eine ruhige Seitenstraße führt. Von den Orten habe ich noch nie etwas gehört. Nur Norden kannte ich vorher.





                                  Ich bin jetzt also im Brookmerland. Die Straße scheint auf einem Deich zu liegen und fährt sich gut. Bis hierhin muss wohl einmal das Wasser der Leybucht gegangen sein, wenn ich das richtig verstanden habe. Es ist eine Landgewinnungslandschaft.





                                  Rehe jagen über ein Feld.





                                  Der nächste Ort taucht auf. Osteel. Zwei Jungs überholen mich auf ihren Fahrrädern in einem Höllentempo und dann macht es „Poff“. In voller Fahrt platzt dem einen das Hinterrad. Mit strahlendem Gesicht schiebt er zurück und in seinem Lachen spiegeln sich gleichzeitig der Schreck und die Freude, etwas besonderes erlebt zu haben. Die Kirche ist von überragender kunsthistorischer Bedeutung, doch für eine Besichtigung habe ich keine Zeit. Klick.





                                  Marienhafe. Die Kirche war einmal die größte und bedeutendste Kirche in Ostfriesland, wurde nach einem Teilverfall aber rückgebaut. Klick. Die beiden Kirchen dürften der Grund für den Umweg sein, den der Radweg hier macht. Manchmal sollte man sich einfach mehr Zeit lassen. Ich nehme mir die aber nicht, denn ich will nach England.





                                  Laute Musik erschallt und ein junger Mann darf vor johlendem Publikum in aufreizendem Lederoutfit Unmengen von bunten Gegenständen, vermutlich Kronkorken, auffegen. Es sieht nach Junggesellenabschied aus.

                                  Ich sehe Radfahrer aus einer Seitenstraße kommen, finde aber kein Schild und fahre geradeaus. So muss ich später an der Hauptstraße rechts abbiegen, bis ich wieder auf die offizielle Route komme. Die Straße ist ätzend und zerrt an meinen Nerven.





                                  Bald erblicke ich eine Wolke, die mir verdächtig vorkommt. Der Eindruck verfestigt sich.





                                  Ich biege in eine idyllische Straße ein und die ersten Tropfen fallen. Schlau wie ich bin, wähle ich die Strategie aus Kindheitstagen. Ich stelle mich unter Bäumen unter, die zusammen mit dichtem Buschwerk ein Haus von den Unbilden der Natur schützen.

                                  Ich habe Hunger und esse einen Keks. Dann fällt mir am Ende der Straße eine Art Hütte auf. Aber ich kann trotz Zooms nicht erkennen, ob es eine Schutzhütte ist, oder nur ein Schuppen. Um das herauszufinden ist es nun auch zu spät, denn es tröpfelt bereits.








                                  Meine Strategie geht zunächst auf. Erst nieselt es und dann schüttet es ganz gewaltig, aber der Regen fällt gerade vom Himmel und betrifft mich nicht.





                                  Aber dann fegt ein stürmischer Wind herbei und innerhalb von Sekunden ist mein Platz nicht mehr sicher. Schnell ziehe ich den Poncho über, obwohl auch er nicht mehr schützen kann. Zu stark der Wind, zu groß die Wassermassen. Es ist tatsächlich ein an drei Seiten geschlossener Unterstand für Radfahrer, und ich flüchte mich hinein. Zum Übernachten ist sie nicht geeignet. Sie ist zur Straße hin weit offen, und jedes Auto, das hier vorbeikommt, wird sie beleuchten. Übernachten ist hier nicht erwünscht. Ein Schild verweist darauf, dass es in der Gegend Trekking-Hütten für Radfahrer gibt, die für maximal 2 Nächte gebucht werden können. Sie befinden sich auf Campingplätzen oder an den Kanurastplätzen der Umgebung, sind 24 qm groß, haben im Erdgeschoß einen Aufenthaltsraum und im oberen Teil Platz für 6 Personen. Schlafsäcke etc. müssen selbst mitgebracht werden. Die Telefonnummern stehen dabei.

                                  Geschützt sehe ich nun entspannt dem Tanz der Regentropfen zu.





                                  Da rechts unter den Bäumen war mein ursprünglicher Platz.





                                  Kurz darauf ist alles vorbei. Ein großer Regenbogen umspannt die Felder, aber er ist zu groß, um ihn ganz auf das Bild zu bekommen.





                                  Als wäre nie etwas gewesen.





                                  Ein radelndes Ehepaar kommt mir entgegen. Sie sehen trocken aus und haben keine Regenkleidung an. Vermutlich wollen sie nur in den nächsten Ort und haben den Schauer abgewartet.





                                  Die Pflanzen und Felder glitzern.





                                  Der nächste Ort heißt Wirdum und automatisch schaue ich in mein Navi, ob es Übernachtungsmöglichkeiten gibt. Landgasthof zum Großen Krug. Das Wort klingt zauberhaft. Ich seufze. Ich werde nie ein richtiger Outdoorer. Es wäre Pflicht, den ersten Tag stilgerecht irgendwo im Matsch zu verbringen – in einer Gegend, wo einen jeder auf Meilen sehen kann. Aber anschauen kann man ja mal.





                                  Der Parkplatz des Landgasthofes ist voll, das Essen durftet, das Personal ist gut beschäftigt und macht dennoch einen fröhlichen Eindruck. Für den ersten Urlaubstag genau das Richtige. Ein Zimmer ist auch noch frei. Wenn ich die Kirche besichtigen möchte, bekomme ich einen Schlüssel. Ich möchte.





                                  Es ist eine evangelisch reformierte Kirche. Schlicht, aber wunderschön. Klick.








                                  Auf Bilder vom Innenraum verzichte ich hier. Die Kanzel ist ganz in weiß gehalten und verziert mit goldener Schrift.








                                  Langsam gehe ich zum Gasthof zurück. In einer Schautafel sehe ich, dass sich hinter dem Haus ein friesisches Steinhaus befindet, das im Hochmittelalter als Stammsitz der ländlichen Grundherrschaft wurde. Heute dient es als Ferienhaus.





                                  Das Gasthaus ist gut gefüllt und soeben ist eine größere Gruppe Radfahrer angekommen, die dort reserviert hatte. Ihre Räder haben Packtaschenvollausstattung. Ich wette, sie haben weder Zelt, noch Schlafsack, noch Küche dabei. Ich esse Scholle mit Krabben, Kartoffeln und Salat und schnacke ein bisschen mit einem Einheimischen.

                                  Sehr früh gehe ich schlafen, während meine Sachen in der Dusche trocknen. Der Weg morgen könnte weit werden. Die Abstände zu den Campingplätzen stimmen nicht mehr. Ich hätte in Norddeich bleiben müssen.


                                  Zuletzt geändert von Torres; 21.09.2014, 15:47.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                    AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                                    North Sea Cycle Route

                                    Wirdum – Bingum, 98 km


                                    So, 31.08.2014


                                    In der Nacht hat es geregnet, aber der Morgen sieht vielversprechend aus.





                                    Es ist kurz nach sieben und es riecht nach frischem Regen. Auf einer Schautafel erfahre ich, dass Wirdum zu den ältesten Warfendöfern Krummhörns gehört und Sitz der Häuptlingsfamilie Beninga war, die Mitte des 14. Jhs. Ihre Burg in Wirdum hatte. Auch die Kirche ist aus dem 14. Jh. und die Kanzel stammt von Jakob Cröpelin aus Esens aus dem Jahr 1699.





                                    Ich komme an eine Hauptstraße und erschrecke über eine Blitzampel. Dabei betrifft sie mich gar nicht. Die Strecke ist wunderschön, es geht auf Nebenwegen entlang, die leider manchmal nicht besonders gut befahrbar sind, weil die Wegqualität schlecht ist.








                                    Kein Kommentar.





                                    Die Sonne kommt heraus.








                                    Überall sind kleine Vögel. Sie zwitschern und jagen herum. Eine Idylle.








                                    Der Weg wird noch schlechter, es sind diese Bremssteine, die quer verlegt bequemes Rollen verhindert. Schief ist der Weg auch, das Gewicht der vielen Erntemaschinen hat ihn teilweise extrem verformt. Mit dem Auto könnte ich hier nicht entlang fahren, es würde aufsetzen.





                                    Ein Schild weist auf die Ausdehnung der Leybucht um 1800 hin. Das hier gab es da wohl noch nicht. Natürlich muss ich nun unbedingt in eine tiefe Pfütze treten, habe aber Glück, die Socken werden nicht nass.





                                    Menschen sind keine zu sehen, nur eine paar Kühe stehen auf einer Wiese in einer Gruppe zusammen. Massentierhaltung. Wunderschön ist es hier. Strohballen türmen sich zu Burgen.






                                    Auf einem Schild erfahre ich, dass 1947 Arbeitskräfte gesucht wurden, welche die Leybucht eindeichen. Ihr Lohn war die Anwartschaft auf Land. Vier Jahre später wurde der Ort Leybuchtpolder gegründet.





                                    Ich mache an der Bank ein wenig Pause und da passiert es. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Eine Windboe kommt, erfasst mein Fahrrad, das auf dem Hauptständer steht. Der an sich feste Boden ist vom Regen aufgeweicht, so dass es den Halt verliert und mit einem lauten Geräusch auf die Platten knallt. Passiert ist das schon öfter und so mache ich mir keinen großen Kopf drum, denn normalerweise fangen die Backroller den Sturz auf. Dumm nur, dass ich keine drauf habe. Sondern Frontroller.





                                    Als ich startbereit bin, registriert mein Gehirn, dass der Abstand zwischen Pedal und Hauptständer ziemlich knapp ist, aber meinen Verstand erreicht die Information nicht. Eicheln liegen auf der Straße.

                                    Kurz darauf bin ich in Greetsiel, einen sehr hübschen kleinen Ort, wo meine Eltern einmal Urlaub gemacht haben. Ein Papierboot schwimmt auf dem Wasser, ein Schild weist auf die Greetsieler Wochen hin. Stolz steht das Nationalparkhaus am Straßenrand.
                                    Die ersten Menschen sind bereits unterwegs und die Einwohner fegen vor den Häusern, um die Spuren des Regens und die Blätter zu entfernen. Urlaub.











                                    Der Bäcker hat bereits geöffnet und ich kaufe eine Tagesration Brötchen. Dann geht es in Richtung Deich.





                                    In der Ferne leuchtet bereits der Leuchtturm Pilsum und zwei Jogger sind auf dem Deich unterwegs. Hell leuchtet das orangene Laufshirt in den Morgen hinein. Ich könnte nun Gas geben, aber meine Beine sind schwer und ich habe das Gefühl, ich komme einfach nicht richtig voran. Die Jogger sind schnell, sobald ich ein Foto mache, holen sie enorm auf. So komme ich nie nach England. Meine Stimmung trübt sich etwas.


                                    Der Leuchtturm Pilsum kommt näher.





                                    Am Leuchtturm ist ein Münzprägeautomat und ich habe plötzlich das Gefühl, ich bräuchte so eine Münze. Ich suche verzweifelt in sämtlichen Taschen nach einem 5 cent Stück. Ausgerechnet heute finde ich natürlich keines und auch die Jogger haben kein Geld dabei. Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen.








                                    Ich steige auf den Deich. Ruhig liegt das Meer vor mir.





                                    Was für ein schöner Tag.





                                    Es folgt nun ein Abschnitt, der dick mit Schafscheiße bedeckt ist. Das Geräusch ist interessant. Wie schön, dass es nicht regnet. Ausrutschen sollte man hier besser nicht. Gänse ziehen in große Schwärmen vorbei. Die Sommersonne trügt, es wird Herbst.





                                    Leider geht es nun wieder ins Binnenland, ich wäre gerne am Deich geblieben. Etwas weiter befinden sich zwei Campingplätze, die von Norddeich an einem Tag gut zu erreichen wären. Für mich ist das hier noch zu früh.





                                    Zielobjekt ist Pilsum und die Kirche von Pilsum, die eine einzigartige Form besitzt und von den Schiffen daher auch als Orientierungspunkt genutzt wurde. Klick.





                                    Ich umrunde sie.





                                    Ich passiere ein Kriegsdenkmal und folge dem Radweg an der Landstraße.
                                    Der Radweg ist wie immer nicht ganz eben und ich habe das Gefühl, überhaupt nicht mehr voran zu kommen. Meine Stimmung senkt sich bedenklich. Ich bin richtiggehend genervt. Ich hätte das schwarze Fahrrad mitnehmen sollen. Ich habe das Gefühl, das gelbe Fahrrad ist erheblich langsamer. Eigentlich sind sie fast baugleich, von außen sieht man die Unterschiede kaum. Aber das schwarze Fahrrad ist schon immer mein Liebling gewesen, möglicherweise auch wegen der Straßenreifen. Hier habe ich dickere Reifen drauf. Ich trete und trete und habe das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Verdammtes Fahrrad. Oder eher das Alter? Egal, was es ist. Ich fluche.

                                    Ich erreiche Groothusen. Dort steht die Osterburg. In der Einfahrt steht ein Auto und zwei Leute sitzen herum, so dass ich nur mit Mühe ein vernünftiges Bild machen kann.





                                    Wieder eine Kirche und ein altes Haus.





                                    Das Wetter hat sich wieder etwas verschlechtert und Wind kommt auf. Viele Spaziergänger sind unterwegs. Der Weg ist holperig. So langsam schaffe ich es nie nach England.





                                    Ich nutze einen kurzen unbeobachteten Moment, um hinter einen Baum zu gehen, und als ich zurückkomme, trifft mich der Schlag. Was ist das denn? Verdammt, verdammt, verdammt. Das sieht irgendwie nicht richtig aus. Kein Wunder, dass ich nicht vom Fleck kommen.





                                    Ich habe gelernt, lösungsorientiert zu denken und meine Lösung lautet sofort: Was mit Gewalt rausging, geht mit Gewalt auch wieder rein. Sollte etwas kaputt sein, ist es nun eh schon kaputt. Kurz: Ich brauche einen Hammer.
                                    Mit dieser Einstellung mache ich mich auf die Suche nach einem Menschen, der mir einen Gummihammer leihen kann. Leider ist in den umliegenden Häusern niemand zu finden. Es nieselt leicht und man hört Donnergrollen. Dann geben mir zwei Kinder den entscheidenden Tipp. Der Landwirt versteht das Problem sofort. Im Gegensatz zu mir fällt ihm auch auf, dass die Kette zum Zerreißen gespannt ist und er sucht den Mechanismus, sie zu lockern. Dass der Mechanismus in der Kurben drin ist, weiß ich da noch nicht. Es ist Sonntag und ich kann niemanden fragen. Ich sollte mich mehr um die Technik kümmern.
                                    Mit dem Gummihammer kloppt er das Teil also so wie es ist wieder rein und wir schnacken noch ein wenig. Bald stehe ich wieder am Deich und blicke wohl bereits auf die Emsmündung. Auf der anderes Seite müsste Holland sein.





                                    Hier befinden sich zwei Campingplätze, aber dafür ist es zu früh. Es ist gerade Mittag. Ein Leuchtturm, Campen.





                                    In Campen ist die Hölle los, der Fahrradweg ist kaum befahrbar, denn von überall her strömen Menschen herbei. Es riecht verlockend nach Schweinesteaks und Grillwurst. Alte Traktoren werden präsentiert und die Schaulustigen erfreuen sich an ihrem Anblick. Fast fahre ich einen Mann um, der den Fahrradweg als Pissoir nutzt. Es nieselt.





                                    Ich fahre durch Loquard, ein ungewöhnlicher Name. Einer der alten Traktoren scheint auf dem Heimweg zu sein, man hört ihn meilenweit tuckern.










                                    Rhysum. Die Orgel ist die ältestes noch bespielbare ihrer Art und daher berühmt.





                                    Eine Windmühle gibt es auch. Ich treffe eine Frau, die mich fragt, so ich hinwill. Ihre Tochter ist hierhergezogen. Sie fühlt sich fremd. Das Wetter wird nun wieder besser. Die Höfe der Gegend sehen nicht sehr wohlhabend aus.





                                    Bis Emden sind es immer noch 15,5 km und ich stöhne. Da liegt noch einiges vor mir. Das nächste Schild sagt 17 km, dann eines 16 km und ich bin genervt. Langsam kann ich das Wort Emden nicht mehr sehen.





                                    Ein Pferd mit Beatlesfrisur. Das Land hier liegt übrigens 2 bis 3 Meter unter dem Meerespiegel.





                                    Irgendwann verpasse ich eine Abzweigung, denn ich passiere eine Baustelle und möglicherweise wurde das Schild entfernt. Merken tue ich das nicht. An einer Landstraße geht es nun Richtung Knock.

                                    Eine Abzweigung erscheint und diesmal schaue ich nicht richtig hin. Da ich mich woanders wähne, biege ich Richtung Campingplatz Knock ab. Es ist zwar erst 13.00 Uhr, aber wenn es dort schön ist, kann ich ja mal einen halben Tag Urlaub machen.
                                    Der Radweg geht die Landstraße entlang. Es ist windig, aber ich komme gut voran. Das Fahrrad fährt wunderbar. Ein älteres Ehepaar überholt mich schnittig. E-Bikes. Ich schnaube. Die Landschaft sieht idyllisch aus und ich mache eine Pause an einem Rastplatz für Radfahrer.





                                    Die Sonne wärmt und ich bleibe länger, als ich wollte. Soll ich auf dem Campingplatz Knock mein Zelt aufschlagen? Ein bisschen in der Sonne dösen? Urlaub machen? Der nächste Campingplatz ist weit hinter Emden und ca. 40 km entfernt. Dass ich den Campingplatz Knock nie sehen werde, weiß ich da noch nicht.

                                    Ich reiße mich los und es geht weiter. Ich nähere mich dem Siel- und Schöpfwerk Knock. Hier in der Nähe ist eine Fähre nach Holland eingezeichnet. Würde ich mit dieser Fähre nach Delfzijl übersetzen, würde ich anderthalb Tage Radfahren einsparen. Delfzijl ist mein Ziel für morgen.





                                    Rechts liegt der Mahlbusen und ich denke noch: Guckmal, das ist ja die Brücke, die ich vorhin gekommen bin.





                                    Aber das Licht geht leider noch nicht auf.





                                    Dann stehe ich vor einem Radwegschild und denke: Rhysum? Da warst Du doch schon. Und Emden ist in der Gegendrichtung? Hä? Da komme ich gerade her. Und Emden ist von hier aus 12 km entfernt? Soll das heißen, ich bin 2 km in die falsche Richtung gefahren? Es sieht so aus. Verdammt!

                                    Und ich werde richtig sauer. Und wenn ich sauer bin, werde ich schnell. Ich wende und rase den Radweg zurück zum Ausgangspunkt. Das Anzeigegerät sagt nun 18 km/h und mein Navi sagt 20 km/h. Das wird der Schnitt der nächsten Meter.

                                    An der Kreuzung sehe ich, dass ich geradeaus gemusst hätte, und das fahre ich nun auch. Das erste Emden-Schild taucht auf, doch es ist erst der Ortsteil Vorwerk. Damit ist es also nicht getan. Mit Wut im Bauch fahre ich weiter. Emden. Der Radweg führt jetzt wieder zickzack über irgendwelche Radwege und es dauert ewig, die Schilder zu finden oder voranzukommen. Teilweise ist die Strecke jetzt auch die sogenannte Dollart-Route. An einer Stelle folge ich ihm, da ich kein anderes Symbol finde, und das ist nicht ganz richtig. Der Weg ist so schlecht, dass ich eine Absicht der Bundesregierung vermute, um Kindergeld einzusparen. Gesund kann das einfach nicht sein. Die Larrelt-Mühle. Wieder ein Umweg. Ich erkläre Emden zu meinem neuen Feindbild. Noch 5,4 km bis Emden. Die Fähre Petkum, die mich über die Ems bringen soll, ist 11,4 km entfernt.

                                    Der Radweg ins Zentrum führt über laut Beschreibung über eine Streuobstwiese, nur Streuobst kann ich nicht erkennen. Emden. Ich hasse Emden. 4,6 km bis zum Zentrum. Ich überhole ein Radlerpärchen, aber an der Brücke überholen sie mich wieder. Die Brücke führt über die Autobahn nach Oberhausen. Ich sortiere meine innere Geographie neu.

                                    Der erste Eindruck von Emden ist überraschend positiv, aber so leicht lasse ich mir meine Feindbilder nicht nehmen. Noch bin ich immer noch sauer.





                                    Ein Kanuclub. Der Radweg führt am Wasser entlang.





                                    Ein Hügel fasziniert.





                                    Ein Schild am Wegesrand weist auf die Mülldeponie Normannenstraße hin. Das wird doch wohl nicht ….. ?

                                    Der Radweg endet am Wasserturm.





                                    Um bald darauf in das Waldgebiet um den Emder Wall abzutauchen. Und wieder steht meine wahre Outdoorgesinnung auf dem Prüfstand. Diese Grünanlage wäre wohl laut Definition Urban Outdoor und dennoch empfinde ich sie viel stärker als Outdoor als die Felder zuvor. Unglaublich schön hier. Verkehrte Welt.

                                    Und so muss ich zu meinem großen Unbehagen feststellen, dass Emden wirklich attraktiv ist. Eine interessante Stadt. Ich sollte sie einmal besichtigen.
                                    Das Hinweisschild zum Bahnhof. Merkwürdiges Gefühl, jetzt nicht nach Hause zu fahren. Kanäle. Schleusen. Touristen erhalten Erklärungen.





                                    Ich würde mich gerne genauer umschauen, aber es ist mittlerweile bereits 16.00 Uhr. Wie lange fährt die Fähre auf die andere Seite? Der nächste Campingplatz ist im Rheiderland. Vielleicht kann ich es schaffen. Alles hängt jetzt von der Fähre ab. Ich suche die Schilder.
                                    Ein Mann fragt, ob ich etwas suche und erklärt mir den Weg zur Fähre. Aber ich will ja genau die ausgeschilderte Strecke fahren, ich bedanke mich. Ich finde den Weg wieder und am Ende der Straße husche ich über eine Schleuse. Direkt hinter mir gehen die Signallampen an und das Warngeräusch erklingt. Glück gehabt, dass ich nicht warten musste. Ich spurte auf dem Feldweg weiter und biege rechts in Richtung Brücke ab. Ein MTB Fahrer kommt gerade heruntergeprescht. Kaum bin ich in Schwung, erklären Schilder, dass der Radweg hinter der Brücke aufgrund von Brückenarbeiten gesperrt ist. Nein, bitte nicht. Ich fand Emden gerade sympathisch.

                                    Ich donnere dennoch die Brücke hoch. Hoffentlich haben die Radfahrer hier nicht alle umgedreht, denn noch zwei kamen aus dieser Richtung. Ich versuche es einfach und biege nach der Brücke rechts in den Dollart-Routenweg ab. Als er gerade idyllisch wird, steht wieder ein Schild mit der Nachricht, hier ginge es nicht weiter. Man sieht Bauarbeiten in der Ferne. Eine Inlinke-Skaterin sucht in ihrem Handy nach einem Ausweg. Wir rätseln gemeinsam. Verdammt.

                                    Wieder zurück. Ich rolle die erste Brücke halb herunter. Ein junger Mann ist zu schnell, aber ein alter Mann mit Elektrofahrrad rollt heran und ich kann ihn stoppen. Alte Männer wissen alles, finde ich, und so frage ich nach der Sperrung. Er schüttelt den Kopf und lacht. Die haben die Schilder vergessen. Die sind längst fertig. Aber fahren sie trotzdem nicht den Weg, der ist zu schlecht, das ist ein Wanderweg. Fahren sie einfach geradeaus und dann rechts. Da haben die eine neue Straße gebaut, die ist gerade fertig. Ich überlege, ob ich einfach so vom Radweg abweichen darf, will ihn aber nicht enttäuschen und fahre geradeaus. Sein Tipp ist richtig. Die alte Strecke scheint ein Reifenkiller zu sein, denn der junge Mann von vorhin muss schieben.





                                    Ein Oldtimer tuckert die Querstraße entlang, in die ich einbiegen soll, aber ich bekomme die Kamera nicht schnell genug in Gang. Das Nordseeküstenradwegschild steht an der Kreuzung und weist den Weg. Und ich gebe nun Gas. 4,8 km bis nach Petkum.


                                    Idyllisch geht es an einem Kanal entlang.





                                    Dann plötzlich wieder ein Baustellenschild. Durchfahrt verboten, auch für Fahrrad. Verdammt. Ein anderer Radler bremst auch. Umweg über die Landstraße. Mit 21 km/h fliege ich dahin. Die Schilder von der Fähre. Mein Puls läuft auf Hochtouren. Das Gefühl, die Fähre zu verpassen, obwohl ich gar nicht weiß, wann sie fährt, ist nicht wegzukriegen. Eine Schwäche von mir, ich weiß.
                                    Ein steiler Anstieg. Zwei Radfahrer schieben. Ich mobilisiere alle Kräfte und radele wie ein Kranker hinauf. Die Fähre steht auf dieser Seite. Ein paar Autos warten, ein paar Motorradfahrer. Der Fährführer holt gerade das Seil ein. Ich fahre vorsichtig näher heran, ich bin gerade in Schwung. „Willst Du noch mit“?, fragt der Mann und winkt. Ich springe vom Rad und hechte auf die Fähre. Überdosis Adrenalin. Zwischen den Autos ist zuwenig Platz „Langsam“, sagt der Mann und fährt das Fahrrad vor die Autos. Das Seil passt nicht um die Mittelstange, weil die Rahmentasche stört. Hektisch reiße ich an der Schnallen herum und der Mann sagt „Nix kaputt machen“. „Das muss sie aushalten“, sagte ich, „sonst geht sie zurück“. Ich lockere die Befestigung und das Seil geht durch. Glück gehabt. Noch zwanzig km bis zum Campingplatz, das ist zu schaffen. Die Fähre legt ab.





                                    Das Fahrrad sieht schwer bepackt aus, aber eigentlich stimmt das nicht. Es ist Volumen, nicht Gewicht.





                                    Ein holländisches Ehepaar fragt, wo ich hin will und wir unterhalten uns. Ca. vier Autos passen auf die Fähre, dann ist sie voll. Alle anderen müssen warten. Die Stimmung auf der Fähre ist gut und meine Anspannung fällt langsam ab. Sollte ich wirklich Urlaub haben? Das erste Mal wird das Gefühl greifbar.








                                    Und dann bin ich in Ditzum im Rheiderland. Ein Blick zurück zur Fähre. Die Menschen sitzen in Cafés. Ein schöner Ort. Die Stimmung ist heiter und entspannt.





                                    Da steht es: Rheiderland.





                                    Ein Reiseradler mit vier orangenen Ortliebtaschen kommt mir entgegen und ich finde, das sieht einfach nur peinlich aus. Dann gebe ich Gas. Das Wetter ist perfekt.

                                    Schön ist es hier. Ruhig und majestätisch liegen die Höfe zwischen den Feldern. Der Radweg ist perfekt und ich fliege dahin. Nur die Rüttelgitter bremsen. Hier war ich noch nie.








                                    Der Weg ist extrem gut ausgeschildert. Jeder Ort hat sein eigenes Schild.








                                    Um 18.07 Uhr erreiche in den Campingplatz von Bingum. Die Rezeption ist bereits geschlossen. 98 km. Geht doch.

                                    Die Formalien übernimmt die Dame vom Imbiss. Sie ist Holländerin und die Gäste auch. Ich eile zum Zeltplatz, denn es fängt wieder an zu regnen. Es sind mehrere Reiseradler da, einer baut gerade das Taurus auf.

                                    Ich schnappe mir mein Zelt und erfreue mich an meinem Packsystem. Nie war es so einfach, nur die Dinge zu holen, die ich wirklich brauche. Alles ist thematisch fein säuberlich getrennt. Vorne Zelt, hinten links Schlafen, hinten rechts Küche, hinter dem Sattel die Reservebekleidung. So soll es sein. Was nicht gebraucht wird, bleibt am Fahrrad.
                                    Das Zelt (Vaude Mark 2P) ist trocken und steht unter Spannung und der Aufbau ist wie immer fummelig. Hoffentlich reißt da nicht irgendwann man etwas aus.

                                    Die Dusche ist geheizt und ich wasche ein paar Sachen aus. Sie werden morgen trocken sein. An den Beinen habe ich mich wund gefahren, der Schmerz ist grausam. Die Unterhose ist der Übeltäter. Zum Rollerfahren war sie ideal. Auf dem Fahrrad macht sie Ärger. Zeit, meinen neuen Hirschtalgstick auszuprobieren. Morgen muss ich die Radhose anziehen. Der Kameraakku ist eine Enttäuschung, er hält ungefähr einen Tag, da bin ich besseres gewohnt. Ich lade ihn am Waschbecken auf. Wenn ich ihn täglich lade, dauert das 2 Stunden.

                                    Ich koche Nudeln im Reactor und bin kurz darauf im Schlafsack verschwunden.
                                    Zuletzt geändert von Torres; 22.09.2014, 17:19.
                                    Oha.
                                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                                      North Sea Cycle Route

                                      Bingum – Bad Nieuweschans, ca. 22 km


                                      Mo, 01.09.2014

                                      Am Morgen ist das Außenzelt voller Kondens und ich entscheide, das Innenzelt auszuhängen, um es trocken einzupacken. Mein Mark 2P sind IZ, AZ und Bodenschlaufe am Gestängeende an einem Plastikteil befestigt, das übereinandergeklippt wird. Dummerweise ist die Bodenschlaufe unten und das IZ in der Mitte. Also muss ich erst einmal die Clips so tauschen, dass das IZ unten ist, bis ich das IZ entfernen kann. Kondens tropft auf meine Haare. Toll. Warum mache ich das? „Weil es einfach ist!“, sage ich. Dieser Satz wird nun jeden Tag mein Spruch werden, wenn ich das IZ aushänge oder einclipse und irgendetwas hakt. „Weil es einfach ist!“ Aber im Grunde stimmt es schon: Die Marks sind meine einzigen Zelte, bei denen es tatsächlich einfach ist. Bei anderen Zelten mache ich das nie.

                                      Schnell packe ich meine Sachen zusammen und bin bald verschwunden. Die anderen Radler schlafen noch. Die Steine in der Bucht sind weiß überzogen. Vermutlich ist es Salz. Ein faszinierender Anblick.








                                      Ich radele zur Hauptstraße, da ich kein Schild sehe, vermutlich wäre der Weg durch den Ort gegangen. Eine Fahrradskulptur.





                                      Die Autos dröhnen. Es ist Berufsverkehr. Leer ist gerade einmal 4 km entfernt. Auf einen Blick auf die Ems verzichte ich. Es ist der Nordseeküstenradweg. Ich werde sie mir später einmal anschauen.


                                      Kurz darauf geht es in eine ruhige Nebenstraße. Am Kuhstall klebt Werbung. Die Kühe sind auf der Weide. Der Fortschritt macht auch hier nicht Halt.





                                      Ein Weltkriegsdenkmal.





                                      Der Zauber von gestern ist etwas verflogen. In der Ferne sieht man Industrie.





                                      Die Meyer Werft ist allgegenwärtig.





                                      Ein Mann mit Hund.





                                      Pferde tollen auf der Weide um die Kühe herum.





                                      An einer Paddel- und Pedalstation steht ein mit Grünspan überzogenes Tipi. Mein Magen knurrt, aber das Cafe ist nicht geöffnet. Die Industrie entpuppt sich als Papierfabrik.





                                      Weener hat einen schönen Hafen, der einmal der Torfschifffahrt diente.





                                      Aber die Stadt wirkt wie ausgestorben. Viele Läden sind geschlossen. Junge Leute sieht man keine, vielleicht sind sie zur Arbeit gefahren. Von einer älteren Dame, die auf der Straße klönt, erfahre ich, wo die Bäckerei ist. Der Schlachter ist direkt daneben. Praktisch.
                                      Ich erwerbe Brötchen, vier Scheiben Hühnchensülze und Käse. Mehr Wurst ist nicht drin, sonst bekomme ich wieder Knieprobleme. Ein Jammer, es ist eine gut geführte Fleischerei.


                                      Eine Fahrradwerkstatt liegt direkt am Wege und ich erinnere mich, dass ich heute früh das Gefühl hatte, der Kurbelblock wäre wieder nach draußen gerutscht. Ich bitte den Gesellen, ihn noch einmal reinzuhämmern. Er schaut mich entsetzt an und murmelt etwas von Gewinde im Block, mit dem man die Kette verstellt. Ich kontere, dass wenn da etwas kaputt ist, es sowieso kaputt ist, und er tut mir widerstrebend den Gefallen. Der Kunde ist eben König.





                                      Es fängt wieder an zu nieseln und ich habe Glück. Eine Bushaltestelle steht genau richtig. Am Samstag war Weener überflutet, ich habe es in der Zeitung gesehen. Meterhoch stand das Wasser in den Straßen. Auch jetzt kommt eine ziemlich Menge hinunter. Ich frühstücke derweil.





                                      Am Ortsrand wird es idyllisch und ich erledige noch ein paar Telefonate, bevor es über die Grenze geht. Eine Spinne hat ein kunstvolles Netz geknüpft. Ich nehme mir vor, es zu fotografieren und vergesse es dann doch. Als es mir auffällt, möchte ich nicht mehr umkehren.





                                      So müssen andere Motive her.





                                      Ich befinde mich im Naturschutzgebiet Püttenbollen. Noch ca. 8 km bis zur holländischen Grenze.





                                      Im nächsten Ort, Bunde, ist ein Friedhof und ich decke mich mit frischem Wasser ein. Ich hoffe, ich denke daran, später zu erwähnen, dass ich – nachdem ich einen großen Schluck getrunken habe – Pflanzenreste im Wasser finden werden. Bäääh.
                                      In einer Bäckerei neben einem Supermarkt kaufe ich noch einmal etwas Wegzehrung. Nun geht es in Richtung Eisenbahnschienen auf einen kleinen Radweg. Der Wind weht scharf von vorne.





                                      An einem Spielplatz steht eine Bank und ich halte, um mich noch einmal zu stärken. Und bekomme plötzlich Muffensausen. Die Worte des Mechanikers gehen mir nicht durch den Kopf. Da ist ein Gewinde drin? Vielleicht ist das Fahrrad ernsthaft kaputt. Ich rufe meine Werkstatt an.
                                      Ich schildere das Problem und bekomme erklärt, wie das Ding funktioniert. Man stellt mit den mittleren Schrauben die Kette ein. Ich hole das Multitool und versuche mein Bestes. Ein bisschen scheint es zu nutzen. Hoffen wir mal.
                                      Ein großes Schild verbietet Hunden, in den Sandkasten zu kacken. Traurig, dass so etwas nicht selbstverständlich ist.

                                      Am Weg neben der Eisenbahn kämpfe ich nun gegen den Wind und gebe alles. Schleichlangsam kämpfe ich mich voran. Das kann ja heiter werden.





                                      Und dann, ganz unvermittelt, stehe ich an einer Brücke.





                                      Es ist die Grenze zwischen Deutschland und Holland. Auch der E9 führt hier vorbei.





                                      Hätte ich nicht das Teilstück Niebüll – Dänemark ausgelassen, wäre ich den deutschen Teil des Nordseeküstenradwegs jetzt komplett abgefahren. So bleibt das Projekt vorerst unvollständig.

                                      Mit dem Übergang über die Brücke betrete ich nun völliges Neuland.

                                      Und das ist einen eigenen Reisebericht wert: "Ups und Downs auf der North Sea Cycle Route": https://www.outdoorseiten.net/forum/...05#post1337905
                                      Zuletzt geändert von Torres; 22.09.2014, 17:33.
                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                        AW: [DE] Faszination Nordsee - Die North Sea Cycle Route und Inseltouren

                                        Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                        Laute Musik erschallt und ein junger Mann darf vor johlendem Publikum in aufreizendem Lederoutfit Unmengen von bunten Gegenständen, vermutlich Kronkorken, auffegen. Es sieht nach Junggesellenabschied aus.
                                        Ich kenn es so, daß ein Mann wenn er an seinem 30. Geburtstag nicht verheiratet ist "Fegen" muß, bis ihn eine Jungfrau küsst.

                                        Ein sehr schöner Bericht, ich glaub ich muß echt mal wieder los.
                                        Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich bin in Euch und geh’ durch Eure Träume. (Michelangelo)
                                        Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren von Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir weggehen. (Albert Schweitzer)

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                                          Liebt das Forum
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                                          Du hast absolut Recht. Da stand sogar ein Auto mit "M. 30 Jahre" herum, aus dem die Musik kam. Aber ich habe die beiden Dinge nicht miteinander verknüpft, da ich den Brauch nicht kannte.
                                          Und wie löst man das Problem, wenn keine der Umstehenden helfen kann?
                                          Oha.
                                          (Norddeutsche Panikattacke)

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