Eine vielleicht ganz lehrreiche Geschichte, ganz frisch, vom Mittwoch letzter Woche. Ort ist der Ochsental-Gletscher am Piz Buin, der Anlass: ein Aufstieg auf der Gletscherroute für eine alte Freundin, die sich das gewünscht hatte. Sie hat einige Bergerfahrung, war aber noch nie "richtig" auf einem Gletscher. Der dritte in der Seilschaft ihr Ehemann, sehr sportlich, mit guter Bergerfahrung - den Ochsental-Gletscher hat er mit mir 2007 gemacht, allerdings seine bisher einzige Gletscherroute.
Die Situation:
Herrlichstes Wetter. Wir sind gegen 0900 am Einstieg am unteren Ende des Gletschers. Ich erkläre noch mal etwa eine halbe Stunde lang Seilführung, Pickeleinsatz, Pickelbremse, Eisschraubeneinsatz. Dann gehen wir los. Der Steilaufschwung bietet keine grossen Schwierigkeiten und wir stossen schon unterhalb des Wasserfalls, der aus der Sylvrettahorn-Flanke kommt auf eine Schneedecke. Wir folgen einer deutlichen Spur.
Wir kommen weiter in eine Zone starken Verbruchs mit vielen, aber eher schmalen Spalten. Die Situation dort ist sowas wie "halb-Aper"- altes Russ-Eis mit partiell weissem Schnee vom letzten Winter drauf. Auch sichtbare Spalten haben weisse Schneeränder, vor allem auf der Talseite. Insgesamt ist der Gletscher in einem Zustand, den ich in einem normalen Jahr auf etwa Anfang bis Mitte Juli datieren würde.
Der Sturz:
Etwa 20 Minuten später ist es soweit: Das Seil, das ich immer in der linken Hand trage, wird mir plötzlich mit einem Ruck aus der Hand gerissen. Im umdrehen sehe ich gerade noch Monikas Kopf, der im Eis verschwindet. Als der Ruck kommt, sitze ich schon und werde noch etwa einen Meter weit nach vorne gerissen, bevor ich die Eisen eingestemmt habe. Auch ihr Ehemann, der als Dritter geht, hat gut reagiert, sitzt mit eingestemmten Eisen und hält was geht.
Trotzdem fehlt zwischen uns eine Menge Seil - wir sind mit je zwölf Metern Abstand gegangen und da fehlt gut die Hälfte, denke ich, Sie hängt also 5 bis 6 Meter tief. Ich rufe ihrem Mann zu, er soll halten was er kann, richte auf meiner Seite eine Notverankerung mit dem Pickel ein, renne rüber zu ihm und setze so schnell es geht eine Eisschraube. Dann zurück, die Notverankerung raus und mit dem Seil auf die richtige Seite. Sie reagiert auf Zuruf, ihr tut nichts weh, aber sie will hier raus, sagt sie, und zwar sofort. Da sie nur etwa 60 Kilo wiegt, denke ich, gar nicht lange rummachen, wir sind zu zweit, wir ziehe sie einfach an die Oberfläche und sehen dann weiter. Aber es geht nicht. Auch ein zweiter Versuch, mit Prussik-Schlingen und Pickel als Zug-Griffe bringt nichts. Als ich sie auffordere mit den Steigeisen mit zu helfen, mitzuklettern, antwortet sie, sie würde mit den Beinen feststecken und könne sie nicht bewegen.
Inzwischen sind etwa 10 Minuten seit dem Sturz vergangen. Ein Flaschenzug dauert einfach zu lange und - wenn er dann auch nichts bringt? Ich richte eine zweite Verankerung ein und seile mich an. Das Seil, an dem Monika hängt, lege ich mit einem HMS in den Karabiner an der erste Eisschraube. Über die zweite seile ich mich vorsichtig zu ihr runter - es hängt noch viel Schnee am Spaltenrand und ich möchte so wenig wie möglich davon auslösen. Als ich bei ihr unten bin - etwa 5 Meter tief, verstehe ich langsam, was passiert ist: Die Spalte ist hier etwa 80 Zentimeter breit. In 5 Metern Tiefe hängt ein zweiter "Boden" aus lockerem Schnee in ihr. In diesen Boden ist Monika reingeknallt, ist mit den Beinen bis zum Schritt versunken, hat den Schnee dabei gepresst und verfestigt. Jetzt, so sagt sie, hat sie das Gefühl, dass sie wie einbetoniert sei, sie könne die Beine nicht bewegen. Offenbar wird diese Spalte unter ihr auch schmaler - deshalb wurde der Schnee so gepresst.
Ich muss sie also ausgraben - ich kann aber nur hinter ihr stehen, vor ihr wird die Spalte zu eng. Ausserdem hängt da noch eine Menge Schnee drin - und wenn der runterkommt, wird sie ganz verschüttet. Wir haben zusammen etwa 10 Minuten mit zwei Pickeln gearbeitet, sie war inzwischen nahe an der Hysterie und ich bekam immer mehr Angst wegen den Zeitfaktor. Als ich dachte, dass der Schnee um ihre Beine herum jetzt genug gelockert sein müsste, hackte ich mit meinem Pickel eine kleine Stufe in das Eis der rechten Wand. Dann hab ich den Pickel mit dem Dorn in die linke Wand gerammt und den Schaft mit der Faust runter gehämmert, bis der Kopf auf der kleinen Stufe lag. Dann hab ich mich mit dem Oberkörper auf den Pickelschaft gelegt, die Tragegurte ihres Rucksackes gepackt und gezogen was ging. Und es ging ein kleines Stück, Dann nochmal, und plötzlich sagt sie: "Ich rutsche gleich aus meinen Stiefeln." Ich sage ganz spontan: "Vergiss die Stiefel, die holen wir nachher raus." Und dann hatte ich sie aus dem Loch rausgezerrt, in Strümpfen zwar, aber das war mir in dem Moment echt egal. 2 Minuten später war sie oben, von ihrem Mann gezogen und von mir geschoben. Noch eine Viertelstunde später, als ich selber, mit ihrem ersten Schuh nach oben kam, hat sie so gezittert, dass sie fast nicht reden konnte. Ihr Mann hat ihr die nassen Kleider ausgezogen, alles angezogen, was wir drei an trockener Kleidung dabei hatten und als ich das nächste mal mit ihrem zweiten Schuh wieder noch oben kam, ging es ihr schon wieder einigermassen.
Wir sind dann auch ohne weitere Hilfe wieder runtergekommen.
Also eine "etwas andere Situation" auf einem Gletscher: Halb abgestürzt und halb verschüttet. Aber so ist das halt: das eine ist die schöne Theorie und das andere, was einem um die Ohren fetzt, das ist die Wirklichkeit. Wir mussten ganz schön improvisieren, um mit der Situation fertig zu werden, bevor die Unterkühlung zuschlägt. Insgesamt war sie etwa 30 Minuten dort unten eingemauert.
Verluste hatten wir folgende: einen mittelschweren Schock beim Opfer, dazu ein paar blaue Flecken und einen geschwollenen Knöchel. Bei mir: abgeschürfte Ellbogen und ein paar schlimme Steigeissenspuren auf meinen neuen Bergstiefeln, ein 10 Zentimeter Riss in einer meiner Gamaschen. Also alles in allem nichts - wenn man in Betracht zieht, was hätte passieren können.
Und bevor ich es vergesse: Ich hatte in der ganzen Hektik vergessen, die Eisschrauben-Köpfe mit Schnee abzudecken. Tatsachlich war die erste schon etwas locker, als ich die Sicherung abgebaut habe, nach etwa einer Stunde. Die Schrauben erwärmen sich in der Sonne einfach schneller als das Eis. Je nach Intensität der Sonneneinstrahlung kann eine beim Reindrehen bombensichere Eisschraube nach kurzer Zeit einfach so aus dem Loch fallen. Also da muss man aufpassen. (In diesem Zusammenhang verstehe ich auch diese neuen Schrauben mit dem modischen roten Köpfen nicht so ganz.)
Andreas
Die Situation:
Herrlichstes Wetter. Wir sind gegen 0900 am Einstieg am unteren Ende des Gletschers. Ich erkläre noch mal etwa eine halbe Stunde lang Seilführung, Pickeleinsatz, Pickelbremse, Eisschraubeneinsatz. Dann gehen wir los. Der Steilaufschwung bietet keine grossen Schwierigkeiten und wir stossen schon unterhalb des Wasserfalls, der aus der Sylvrettahorn-Flanke kommt auf eine Schneedecke. Wir folgen einer deutlichen Spur.
Wir kommen weiter in eine Zone starken Verbruchs mit vielen, aber eher schmalen Spalten. Die Situation dort ist sowas wie "halb-Aper"- altes Russ-Eis mit partiell weissem Schnee vom letzten Winter drauf. Auch sichtbare Spalten haben weisse Schneeränder, vor allem auf der Talseite. Insgesamt ist der Gletscher in einem Zustand, den ich in einem normalen Jahr auf etwa Anfang bis Mitte Juli datieren würde.
Der Sturz:
Etwa 20 Minuten später ist es soweit: Das Seil, das ich immer in der linken Hand trage, wird mir plötzlich mit einem Ruck aus der Hand gerissen. Im umdrehen sehe ich gerade noch Monikas Kopf, der im Eis verschwindet. Als der Ruck kommt, sitze ich schon und werde noch etwa einen Meter weit nach vorne gerissen, bevor ich die Eisen eingestemmt habe. Auch ihr Ehemann, der als Dritter geht, hat gut reagiert, sitzt mit eingestemmten Eisen und hält was geht.
Trotzdem fehlt zwischen uns eine Menge Seil - wir sind mit je zwölf Metern Abstand gegangen und da fehlt gut die Hälfte, denke ich, Sie hängt also 5 bis 6 Meter tief. Ich rufe ihrem Mann zu, er soll halten was er kann, richte auf meiner Seite eine Notverankerung mit dem Pickel ein, renne rüber zu ihm und setze so schnell es geht eine Eisschraube. Dann zurück, die Notverankerung raus und mit dem Seil auf die richtige Seite. Sie reagiert auf Zuruf, ihr tut nichts weh, aber sie will hier raus, sagt sie, und zwar sofort. Da sie nur etwa 60 Kilo wiegt, denke ich, gar nicht lange rummachen, wir sind zu zweit, wir ziehe sie einfach an die Oberfläche und sehen dann weiter. Aber es geht nicht. Auch ein zweiter Versuch, mit Prussik-Schlingen und Pickel als Zug-Griffe bringt nichts. Als ich sie auffordere mit den Steigeisen mit zu helfen, mitzuklettern, antwortet sie, sie würde mit den Beinen feststecken und könne sie nicht bewegen.
Inzwischen sind etwa 10 Minuten seit dem Sturz vergangen. Ein Flaschenzug dauert einfach zu lange und - wenn er dann auch nichts bringt? Ich richte eine zweite Verankerung ein und seile mich an. Das Seil, an dem Monika hängt, lege ich mit einem HMS in den Karabiner an der erste Eisschraube. Über die zweite seile ich mich vorsichtig zu ihr runter - es hängt noch viel Schnee am Spaltenrand und ich möchte so wenig wie möglich davon auslösen. Als ich bei ihr unten bin - etwa 5 Meter tief, verstehe ich langsam, was passiert ist: Die Spalte ist hier etwa 80 Zentimeter breit. In 5 Metern Tiefe hängt ein zweiter "Boden" aus lockerem Schnee in ihr. In diesen Boden ist Monika reingeknallt, ist mit den Beinen bis zum Schritt versunken, hat den Schnee dabei gepresst und verfestigt. Jetzt, so sagt sie, hat sie das Gefühl, dass sie wie einbetoniert sei, sie könne die Beine nicht bewegen. Offenbar wird diese Spalte unter ihr auch schmaler - deshalb wurde der Schnee so gepresst.
Ich muss sie also ausgraben - ich kann aber nur hinter ihr stehen, vor ihr wird die Spalte zu eng. Ausserdem hängt da noch eine Menge Schnee drin - und wenn der runterkommt, wird sie ganz verschüttet. Wir haben zusammen etwa 10 Minuten mit zwei Pickeln gearbeitet, sie war inzwischen nahe an der Hysterie und ich bekam immer mehr Angst wegen den Zeitfaktor. Als ich dachte, dass der Schnee um ihre Beine herum jetzt genug gelockert sein müsste, hackte ich mit meinem Pickel eine kleine Stufe in das Eis der rechten Wand. Dann hab ich den Pickel mit dem Dorn in die linke Wand gerammt und den Schaft mit der Faust runter gehämmert, bis der Kopf auf der kleinen Stufe lag. Dann hab ich mich mit dem Oberkörper auf den Pickelschaft gelegt, die Tragegurte ihres Rucksackes gepackt und gezogen was ging. Und es ging ein kleines Stück, Dann nochmal, und plötzlich sagt sie: "Ich rutsche gleich aus meinen Stiefeln." Ich sage ganz spontan: "Vergiss die Stiefel, die holen wir nachher raus." Und dann hatte ich sie aus dem Loch rausgezerrt, in Strümpfen zwar, aber das war mir in dem Moment echt egal. 2 Minuten später war sie oben, von ihrem Mann gezogen und von mir geschoben. Noch eine Viertelstunde später, als ich selber, mit ihrem ersten Schuh nach oben kam, hat sie so gezittert, dass sie fast nicht reden konnte. Ihr Mann hat ihr die nassen Kleider ausgezogen, alles angezogen, was wir drei an trockener Kleidung dabei hatten und als ich das nächste mal mit ihrem zweiten Schuh wieder noch oben kam, ging es ihr schon wieder einigermassen.
Wir sind dann auch ohne weitere Hilfe wieder runtergekommen.
Also eine "etwas andere Situation" auf einem Gletscher: Halb abgestürzt und halb verschüttet. Aber so ist das halt: das eine ist die schöne Theorie und das andere, was einem um die Ohren fetzt, das ist die Wirklichkeit. Wir mussten ganz schön improvisieren, um mit der Situation fertig zu werden, bevor die Unterkühlung zuschlägt. Insgesamt war sie etwa 30 Minuten dort unten eingemauert.
Verluste hatten wir folgende: einen mittelschweren Schock beim Opfer, dazu ein paar blaue Flecken und einen geschwollenen Knöchel. Bei mir: abgeschürfte Ellbogen und ein paar schlimme Steigeissenspuren auf meinen neuen Bergstiefeln, ein 10 Zentimeter Riss in einer meiner Gamaschen. Also alles in allem nichts - wenn man in Betracht zieht, was hätte passieren können.
Und bevor ich es vergesse: Ich hatte in der ganzen Hektik vergessen, die Eisschrauben-Köpfe mit Schnee abzudecken. Tatsachlich war die erste schon etwas locker, als ich die Sicherung abgebaut habe, nach etwa einer Stunde. Die Schrauben erwärmen sich in der Sonne einfach schneller als das Eis. Je nach Intensität der Sonneneinstrahlung kann eine beim Reindrehen bombensichere Eisschraube nach kurzer Zeit einfach so aus dem Loch fallen. Also da muss man aufpassen. (In diesem Zusammenhang verstehe ich auch diese neuen Schrauben mit dem modischen roten Köpfen nicht so ganz.)
Andreas
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