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Land: Pakistan
Reisezeit: September - November 2015
Dauer: 8 Wochen, davon 25 Trekking-Tage
Dieser Reisebericht schließt direkt an unsere Erzählungen aus Kirgistan an. Pakistan sollte in Sachen Wildnis und Abenteuer eigentlich der Höhepunkt dieser achtmonatigen Reise werden, leider war es dazu einfach schon zu spät; der Sommer neigte sich bereits dem Ende zu.
Sofia hat sich wieder bereit erklärt, die Schreiberei zu übernehmen. Nur Fotos, Bildunterschriften und entsprechend gekennzeichnete Kommentare sind von mir.

Naltar Lake, 2. Tag auf Tour

Mittagspause in der Nähe einiger Berghütten, die im Sommer von Schäfern bewohnt werden. Als wir vorbeikamen, waren sie bereits leer.

Dieser Mann hat uns Birnen gebracht, als wir in der Nähe seines Dorfes das Zelt aufschlugen.

Nahe eines unbenannten Passes auf 4.300 m.

Früher Wintereinbruch im Hindukusch – das Wetter hat uns nicht gerade geschont.

Der Hausvater einer Hirtenfamilie, bei der wir eingeladen waren.
Pünktlich um 6:15 piepst Gabriels Uhr schrill um los, ohne zu wissen, dass wir beide schon längst wach sind. Die Anspannung bringt die eiskalte Zeltluft beinahe zum Beben. Langsam drehe ich mich nach links, da ragen Gabriels rote Nase und ein paar Bartstoppeln aus der riesigen Daunenraupe. Noch sagt niemand ein Wort, obwohl die Gedanken in meinem Kopf rasen. Ein paar Mal versuche ich anzusetzen, doch die gefürchtete Ausweglosigkeit raubt mir die Worte. Trotz der Kälte fühlt sich mein Gesicht ganz heiß an. Erst mal tief durchatmen. Dann nochmal von vorn: Wir sind gestern Nachmittag trotz leichtem Schneefall etwa 600 m über großes, loses Geröll aufgestiegen. Weitere 300 Höhenmeter und zwei, vielleicht drei Kilometer trennen uns vom Pass in das nächste Tal. Der Zeltplatz ist sicher und an einem kleinen Bach. Das Problem: Es hat seit 16 Stunden nicht aufgehört zu schneien. Der Bach ist zugefroren. Jacken und Schuhe von gestern klitschnass, steif, gefroren. Weiter Aufsteigen wäre leichtsinnig; wir kennen das Gelände nicht und haben praktisch keine Sicht. Der Neuschnee könnte eventuelle Spalten verbergen; da hoch, obwohl es nicht weit ist, puh, verdammt gefährlich. Aber was ist die Alternative – der Abstieg? Wenn sich auf der Geröllhalde in dem weißen Dickicht auch nur ein Brocken löst, bin ich begraben. Auf den Steinen zwischen 10 und 30 cm Neuschnee; nur einmal in ein Loch treten, und stecken bleiben… Von Absturz bis Steinlawine ist alles möglich. Durchatmen. Langsam. Der einzige klare Gedanke, den ich fassen kann, dreht sich um den Notfall-Messenger. Wie kommen wir hier jemals wieder raus?
Ich sollte vielleicht doch mal von vorne anfangen…
19. September – 06. Oktober: An- und Weiterreise, Tourvorbereitung
[Bishkek – Delhi – Amritsar – Lahore – Rawalpindi, Islamabad – Karimabad – Gilgit – Karimabad, Hunza]
Die vorangegangene Reise-Etappe (Kirgistan: 27 Tage Trekking im Tien Shan) endet am 19. September 2015 in Bishkek. Von dort fliegen wir nach Delhi; wir waren beide schon mal da und der kurze Aufenthalt in Indien dient diesmal einzig und allein der Weiterreise nach Pakistan. Es ist uns ein großes Anliegen, weitestgehend auf Flüge zu verzichten und über Land zu reisen. Wir haben mit den Optionen gespielt, von Kirgistan bzw. Tadschikistan über China (Kaschgar) nach Nordindien oder Pakistan einzureisen und uns diesmal leider aufgrund visatechnischer, bürokratischer und finanzieller Hindernisse letztendlich für den Flug entschieden.
Anmerkung Libertist: Wen das genauer interessiert, kann hier noch mal nachfragen. Grundsätzlich ist es jedenfalls möglich, von Kirgistan über China nach Pakistan einzureisen.
Nun gut, angekommen in Delhi sind wir in ziemlicher Feierlaune. Wir sitzen auf dem Balkon eines kleinen Restaurants, mitten in der 17-Millionen-Menschen-Stadt und können es kaum fassen, dass wir vor zwei Tagen noch in den Bergen des Tien Shan umhergetrekkt sind. Ein bisschen Erholung darf sein, doch es soll auch schnell weitergehen – Gabriel hat große Pläne für das Karakorum und die Zeit läuft: Es ist Ende September, die Trekkingsaison neigt sich eigentlich schon dem Ende zu und der Winter wird nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Natürlich passiert nach einem Tag in Indien, was passieren muss: der Delhi-Belly. Da essen wir einmal was anderes als unseren Trekkingfraß… Na gut, dann bleiben wir doch drei Nächte und genießen im Bett liegend und aufs Klo laufend die indische Atmosphäre. Am 22. September schaffen wir es bis zum Bahnhof und mit größten Mühen schließlich auch in den Zug. Noch nie in meinem Leben war es so kompliziert, ein Ticket zu kaufen und zur richtigen Zeit, im richtigen Zug, die richtige Sitzbank zu finden, wie hier in Delhi. Aber auch das sei irgendwie vollbracht und mit nur 7 Stunden Verspätung kommen wir schließlich in Amritsar an.
Die Sehenswürdigkeit Amritsars schlechthin ist der Goldene Tempel, das Mekka der Sikh. Nachdem sich mein Darm noch nicht dazu aufraffen konnte, Essen wieder normal zu verdauen, müssen wir uns mit einem kurzen Spaziergang zufrieden geben und verschieben die obligatorische Fotografiererei auf die Rückreise (Fotobericht dazu folgt).
Am Morgen des 23. September verlassen wir Indien schon wieder und reisen über die Landesgrenze ‚Wagah Border‘ in Pakistan ein. Hier wird nicht einfach ein Tor geöffnet und geschlossen; an diesem Grenzüberganz findet jeden Nachmittag ein Spektakel sondergleichen statt. Das indische und pakistanische Militär verabschieden sich tagtäglich mit Posaunen und Trompeten, im Hintergrund dröhnen die Nationalhymnen total übersteuert aus den Lautsprechern. Während auf der indischen Seite über Tausend Menschen klatschen und jubeln, sind es auf der pakistanischen unter 100, darunter wir beide, die natürlich für Aufsehen sorgen. Wir werden nicht bloß vom pakistanischen Militär im Land willkommen geheißen - gleich nach der Grenzzeremonie umzingeln uns viele lachende Gesichter und wollen Selfies mit uns schießen.




Alles fühlt sich gleich ganz anders an. Hinten auf dem Pick-Up, mit dem wir von der Grenze in der Abenddämmerung in die Stadt Lahore fahren, beobachten wir das rege Treiben auf den Straßen. Umso näher wir nach Lahore kommen, desto mehr knatternde alte Honda-Maschinen drängen sich um uns; die lachenden Gesichter der jungen Männer, die uns entdecken, werden von den Rücklichtern rot erleuchtet. Im Stau steckend komm‘ ich mir ein bisschen wie ein Zootier vor, das von allen Seiten begafft wird, als plötzlich ein riesiger Kopf in meinem Blickfeld auftaucht: Da kreuzen tatsächlich drei Kamele die Straße! Nach etwa fünf Stunden in diesem Land bin ich bereits hin und weg. Wir checken in einem der beiden Backpacker-Hostel der Millionenstadt ein und haben gerade noch genug Kraft, um uns über die zwei geschmückten und bemalten Ziegen auf der Dachterrasse vor unserem Zimmer zu wundern, bevor wir erledigt in die Betten fallen. So, jetzt erstmal richtig krank sein, denkt sich mein Körper. Schon lange nicht mehr habe ich mich so elend gefühlt, wie in den nächsten drei Tagen.


Weder Gesundheit, noch Psyche fühlen sich besser, als ich eines Morgens die Türe öffne und aufs Klo laufen will: Liegt da vor mir die hübsche Ziege, röchelt noch ein letztes Mal und bildet eine langsam immer größer werdende rote Lacke. Die zweite hängt schon, gleich rechts von mir, beziehungsweise das, was von dem Tier ohne Fell und Innereien übergeblieben ist. Der blutbespritzte Schlachter lacht mich an und der Hostelbesitzer klatscht in die Hände.
Eid Ul-Adha, das viertägige Opferfest und damit der Höhepunkt des islamischen Jahreskreises wird gefeiert. Wer es sich leisten kann, schlachtet vor oder im eigenen Haus ein Ziege, einen Hammel oder ein Kamel; das erklärt auch den Kamel-Verkehr auf der Autobahn und die leider nicht allzu wohlriechenden Innereien auf der Straße bei 40 Grad Außentemperatur…. Auch als manchmal-Fleisch-Esserin wird mir bei dem Anblick der ausblutenden Kadaver, die vor unserem Schlafzimmer hängen, etwas anders und ich bin sehr dankbar, dass mir die Ärztin gestern eine Joghurt-Bananen-Diät verordnet hat.

Als wir am 26. September von Lahore nach Rawalpindi (Nachbarstadt von Islamabad) fahren, stellen wir zum ersten Mal fest, dass es in diesem Land Hotels gibt, denen es untersagt ist, Tourist_innen zu beherbergen. Bis wir da was finden, dauert es eine ganze Weile. Wir wollen uns aber gar nicht lange aufhalten und setzen unsere Reise am nächsten Tag fort. Während des Wartens auf den Bus in den hohen Norden machen wir uns auf die Suche nach einem Restaurant und nehmen dabei dankend die Hilfe eines jungen Mannes namens Zeeshan an. In perfektem Englisch begleitet er uns, setzt sich zu uns (ohne selbst zu essen) und besteht darauf, für uns zu zahlen. Gegenwehr ist vergebens und so nehmen wir dankend an, während er von seinem Elternhaus im südlichen Punjab erzählt und uns dorthin einlädt. Wir erklären, dass wir wegen der Berge hier sind und er meint nur, wir sollen per Facebook in Kontakt bleiben und ihn unbedingt später besuchen, wenn es uns im Norden zu kalt wird und wir uns entspannen wollen. Das Angebot klingt sehr verlockend und wir versprechen ein Wiedersehen. Zeeshan besteht darauf, uns zurück zum Bus zu bringen, hilft uns bei der Suche nach einem Copy-Shop für Pässe und Visum und kauft uns scheinbar selbstverständlich noch Wasserflaschen und Snacks. Überwältigt von so viel Zuvorkommenheit (von der wir in den nächsten Wochen noch einiges mehr erleben werden) sitzen wir glücklich im Bus; da geht die 27-stündige Fahrt auch schon los. Schnell freunden wir uns mit unseren Sitznachbarn an, so vergeht die Zeit eigentlich ganz schnell. Obwohl es hinten im Bus rumpelt und bumpelt ohne Ende – die Aussicht vom Karakorum Highway auf Berge und Täler ist unbezahlbar. Am Abend des 28. September kommen wir an, suchen uns ein Zimmer und machen uns mit unseren Buskumpeln auf die Suche nach Essbarem.
Nachdem alle Restaurants geschlossen scheinen, wird kurzerhand die Küche eines kleinen Standes übernommen und scheinbar selbstverständlich selbst gekocht. Zusätzlich zu Ei-Curry vermitteln uns die Männer einen Freund, der uns wohl bei unserer Planung helfen könnte. Sein Name ist Shakir und er wiederum führt uns zu Tour-Organisationen und Guides, und bemüht sich sehr, uns bestmöglich zu unterstützen.


Außerdem lädt Shakir uns am folgenden Wochenende kurzerhand zur Hochzeit seiner Cousine ein (In Pakistan werden alle näher oder fernere Verwandten im ungefähr gleichen Alter als Cousinen und Cousins bezeichnet; nachdem diese auch untereinander heiraten, kommt jede_r auf gefühlte 500 Stück.
). Ich war noch nie zuvor auf einer muslimischen Hochzeit und habe alle Bräuche und Rituale sehr interessiert mitverfolgt. Zu all den zwischenmenschlichen Begebenheiten, sowie kulturell-traditionell-religiösen Erfahrungen könnte ich viiiiieeel mehr schreiben, doch da dies ein Outdoorforum ist und der Bericht sonst zu lang werden würde, versuche ich mich diesbezüglich kurz zu fassen. Es wird also gefeiert, getanzt und gelacht und wir genießen das Spektakel.


Sofia tanzt mit unserem neuen Freund namens Sharif, der das sichtlich genießt...


Während sich die Eltern für die Braut freuen, hat diese noch kaum eine Vorstellung davon, was sie in den kommenden Tagen und Wochen erwartet. Wie alle Eheschließungen in Pakistan war auch diese von den Eltern arrangiert. Sofia hatte Gelegenheit, mit der jungen Frau zu sprechen: die Braut vertraut ihren Eltern, bedauert aber trotzdem, ab dem nächsten Tag ganz woanders zu leben, weit weg von ihrer Familie.

Der Hochzeitsvorsteher.
Zurück in Karimabad verbringen wir die nächste Woche damit, unsere Wunschtour zu planen. Gabriel kam mit zwei Ideen: Der etwa 16-tägige Snow Lake -Trek und die anschließende 14-tägige Gondogoro La – Passquerung über Concordia, vorbei am K2-Basecamp. Schnell kam uns zu Ohren, dass der zuletzt genannte Pass in diesem Jahr vom Militär gesperrt ist und keine einzige Reisegruppe diese Tour durchgeführt habe. Also mussten wir diesen Plan fürs erste aufgeben, na sagen wir lieber, aufschieben. *bg*
Bleibt der Versuch der Organisation der Snow Lake -Tour (auch Hispar-La genannt), mit der wir uns über eine Woche beschäftigt und bestimmt mit über 20 Guides, Porter und Tour-Agenturen diskutiert haben. Natürlich wollen wir alleine gehen, also zu zweit, brauchen aber ein paar Meinungen zur aktuellen Schneelage da oben. Im Ergebnis sind sich alle einig: Wir sind zu spät dran, es ist zu kalt und es liegt zu viel Schnee. Außerdem scheint unsere Frage sehr unverständlich, da scheinbar niemand im Karakorum Touren ohne entsprechendes Team unternimmt (mindestens 2 Guides und 8 Träger pro Kopf (!) wurden uns durchschnittlich geraten). Dazu kommt, dass ich mir nach den letzten Gletscherabenteuern in Kirgistan und der Erinnerung an die kalten Füße für die 16 Tage am Gletscher im Karakorum nicht ganz sicher bin. Ein paar Tage lang versuchen wir andere trekkingbegeisterte Reisende zu finden, doch die Saison ist vorbei und niemand mehr da. So überlegen wir sogar, ob wir einen Guide bezahlen wollen, doch denen ist es allen zu spät bzw. die wenigen vorgeschlagenen Preise wirken wie zur Abschreckung gedachte Wucher. Eine gute Entscheidung zu fällen, ist alles andere als einfach, doch die Zeit drängt und die Ratio siegt: Mithilfe des 66-jährigen Mannes Shabbir, der seit 28 Jahren als Hirte, Guide und Träger in den Bergen Nordpakistans unterwegs ist, planen wir eine knapp vierwöchige Tour im Hindukusch: Sie soll ca. 400 Kilometer, über 5 Pässe und durch mehrere besiedelte Täler führen, wo wir unsere Nahrungsvorräte immer wieder neu auftanken können. Angeblich beginnt der Winter im Hundukusch etwas später als im Karakorum. Die geplante Route wäre folgende:
Naltar Tal – Pakhora Pass – Ishkoman Tal – Asumber Pass – Yasin Tal – Thui Pass – Yarkun Tal (Chitral District) – Borochol – Kurumber Lake Pass – Chilinj Pass –– Chapursam Tal (Sost)
Also wird eingekauft, SPOT aktualisiert, Akkus geladen, zusammengepackt und dann geht’s los.
07. – 13. Oktober Etappe 1: Vom Naltar-Tal ins Ishkoman-Tal über den Pakhora Pass
[Hunza – Naltar – Pakhora Pass – Chatorkhand (Ishkoman Valley)]
Endlich wieder auf Tour! Der erste Tag besteht eigentlich fast nur aus der Anreise von Karimabad über Aliabad und Nomal nach Naltar. Dort schlagen wir am frühen Nachmittag unser Zelt im Garten des „Palace Hotel“ auf. Weil dieses Hotel dem Cousin eines Mannes gehört, den Gabriel auf der Hochzeit kennengelernt hat, dürfen wir auch darin das Badezimmer und die Küche benutzen. Doch am liebsten sind wir im Zelt; voller Vorfreude für die kommende Tour schlafe ich zum Geräusch des prasselnden Regen ein.
Am nächsten Tag starten wir mit vollen Rucksäcken auf 2.820 m Richtung Pass. Die ersten Kilometer des Anstiegs laufen wir auf gutem Weg durch den herbstlich bunt gefärbten Mischwald. Das Highlight des Tages ist der in den Farben aller Hundert Wasser schillernde Naltar See. Umrahmt von den gefallenen gelben Birkenblättern, zwischen denen kleine schwarz-weiße Ziegen grasen, glitzert er in allen erdenkbaren Grün- und Blautönen in der Sonne.





Bei den Begegnungen mit Locals fühle ich mich stets ein bisschen wie ein Alien – die Kommunikation besteht hauptsächlich aus Anstarren und wilden Gesten, die ich beim besten Willen nicht interpretieren kann. In der Annahme, die Menschen sind freundlich gesinnt, nähere ich mich immer mit einem Lächeln und einem „Asalaam Aleikum!“, manchmal auch Nüsse, Schokoriegel und getrocknete Früchte anbietend. Das klappt meist ganz gut, aber die zwei Hirtenjungen, die unser Zelt am zweiten Morgen bei Sonnenaufgang entdecken, verstehen meine Bitte nicht ganz, ihr Glotzen zumindest zu unterbrechen, während ich mich umziehe. Da hilf auch Gabriels Pantomime-Talent nicht weiter.
Gegen 11 Uhr sollen wir laut Karte an den Fuß des weißen Gletschers kommen. Leider nein! Vor uns liegt nur eine furchtbar fein-geröllige Endmoräne. Anfangs motiviert, habe ich schnell das Gefühl, bei jedem Schritt 100 kcal zu verbrauchen und zwei Schritte zurück zu rutschen. Nicht mal Hunger und Durst können von den Muskelschmerzen ablenken, während sich ein eiskalter Wind mit knallender Sonnenhitze abwechselt. Es hat nur einen Tag gedauert und schon fühle ich mich am Limit, bin der Verzweiflung nahe. Mehr schlecht als recht schaffen wir es irgendwie, die Moräne zu queren und auf einen kleinen Vieh-Pfad an deren Rand zu flüchten. Bis der Untergrund eben genug zum Zelten ist, vergehen noch ein paar Stunden und zum Abendessen wird der Beschluss gefasst, uns für den Aufstieg noch einen weiteren Tag Zeit zu lassen. Außerdem treffen wir eine weitere (wie sich später herausstellt, sehr gute) Entscheidung: Obwohl uns die Sowjetkarte von 1981 den Weg über den Gletscher geradeaus anzeigt, wollen wir in das Nebental biegen und den benachbarten Gletscher wählen, dessen Anstieg zumindest von hier unten machbar aussieht.









An Tag 4 haben wir also nur 600 Höhenmeter bis auf das Plateau kurz vor dem Pass vor. Hier finden wir bereits am frühen Nachmittag einen super Zeltplatz, bloß 400 Höhenmeter und einen Kilometer vom Pass entfernt. Rund um uns von fern bis nah: vergletscherte Bergspitzen, gelb gefärbtes Gebüsch, riesig-flauschige Yaks – das Panorama ist unfassbar schön.





Tag 5 ist Passtag! Um 8:00 Uhr stapfen wir schon los; nur 1,5 Stunden später stehen wir auf 4.650 m und genießen das Weiß-Blau des Gletscherpanoramas. So ‚einfach‘ und gut der Aufstieg ging, desto mühsamer, schwieriger und gefährlicher gestaltet sich der Abstieg. Den verschneiten Abhang des Passes laufen wir schnell nach unten, doch dann taucht vor uns wie aus dem Nichts ein riesiger Eisbruch auf – wir müssen das gesamte Gletschermassiv und Spalten über Spalten queren. Der brave Libertist darf mal wieder tüchtig vorausstochern. Hin und wieder taucht ein kleines oder größeres Steinmännchen auf, doch ich kann beim besten Willen keine stringente Linie entdecken. Mich beschleicht das Gefühl, die scheinen total willkürlich aufgebaut worden zu sein. Auch die beiden Mittelmoränen sind uns nicht ganz geheuer und so schlagen wir uns letztendlich ganz nach Süden auf den Geröllrand durch. Geschafft? Zu früh gefreut! Hier geht’s hoch und runter - zwischen losen Geröllbrocken, unter Neuschnee begrabenen rutschigen Grasbüscheln und Felshängen kämpfen wir uns im Schneeschneckentempo nach unten. Immer wieder versinke ich bis übers Knie im Pulverschnee und scheine dabei nicht die Einzige zu sein. Die Ohren nach schönen Naturgeräuschen spitzend, vernehme ich ganz nah ein lautes liebliches Fluchen.






Bis zum Ende der Schneegrenze sehe ich gelegentlich Tierspuren im Schnee, die wie große Tatzen einer Wildkatze aussehen und sehe mich neugierig um, doch nichts zu sehen. Schneegrenze erreicht, doch es geht steil weiter nach unten – hin und wieder im Flussbett des Gletscherabflusses, links und rechts Eis, dann wieder über die Moräne. Endlich haben wir es an das Ende des Gletschers geschafft, doch das Tal bleibt schluchtig. Während wir schon wieder in den Wald kommen, entfernt sich das Flussrauschen und ohne Wasser wollen wir auch nicht zelten. Also weiterlaufen, bis schließlich die Dämmerung hereinbricht. Erschöpft steigen wir wieder zum Flussbett hinab und schaffen es, um 17:30 das Zelt aufzuschlagen (um 18:00 Uhr ist es stockfinster). Total k.o. lasse ich mich heute bekochen, putze im Halbschlaf Zähne und sinke erledigt, aber glücklich auf meine Luftmatratze.




An Tag 6 schlafen wir wohlverdient bis halb 9 Uhr (!) aus und machen uns dann weiter an den stets schluchtig-steilen Abstieg. Einige Male ist der Weg, der den Hang entlang führt, durch große Risse unterbrochen, die uns wieder und wieder zum Abstieg und Hochklettern zwingen. Das ist nicht nur für Körper und Konzentration sehr anstrengend, sondern durch die rutschig-losen Erdhänge mehrmals brenzlig. Leider ist das Tal so schluchtig, dass wir im Flussbett nicht gehen können und immer wieder hoch an den Hang müssen, solange er intakt ist. Durch das ganze Hoch und Nieder schaffen wir in fünf Stunden Laufen gerade mal 3-Luftlinien-Kilometer. Dafür erblicken wir am Nachmittag auf der anderen Flussseite auf einem kleinen Wiesenplateau das idyllische kleine Dorfparadies mit dem klingenden Namen Guru. Über eine winzige Brücke staksen wir hinüber und werden von vielen netten Gesichtern begrüßt. Ein älterer Herr zeigt uns, wo wir unser Zelt aufschlagen dürfen und lädt uns in seine kleine Hütte auf – zu Gabriels riesigem Vergnügen – salzigen Chai ein.
Anmerkung Libertist: Ich hasse Tee mit Salz. Und ich habe kein Verständnis dafür, wie man diese Kombination mögen kann.
Unsere pakistanische Zeichensprache macht Fortschritte! Erfreut über den ersten kleinen Erfolg der langen Tour genießen wir einen ruhigen Abend.





Entlang der anderen Flussseite stehen am nächsten Tag 1.200 Höhenmeter Abstieg mit etwa 5 Stunden Fußmarsch über den steilen, schmalen Pfad am Hang bis in das Dörfchen Pakhora an. Doch zuvor heißt es nach dem delikaten Müslifraß-Frühstück erstmal eine passende Naturtoilette suchen, was gar nicht so einfach ist, mit den neugierigen Blicken der gesamten Dorfgemeinschaft im Rücken…




Der Tag geht für mich so schlecht weiter, wie er begonnen hat. Nach ‚nur‘ einer Woche Trekking fühlt es sich schon so an, als würde mir die Zeltdecke auf den Kopf fallen, obwohl gerade mal ein Viertel der geplanten Tour geschafft ist… Mit grübelnd-unglücklichen Gesicht stolpere ich den schluchtigen Sandweg nach unten und ärgere mich über mich selbst. Da ist Diskussion vorprogrammiert, wird jedoch erstmal auf das Ankommen abends vertagt.
Als wir nachmittags in der Siedlung namens Pakhora eintrudeln und die ersten Häuser entdecken, landen wir durch einen weiteren Zufall bei einer großen Familienzusammenkunft und bekommen Tee und Kekse serviert. Eigentlich sind das keine Zufälle - sobald wir in halbwegs besiedelten Gebieten unterwegs sind, können wir uns vor Chai-Einladungen kaum retten und müssen regelmäßig mal ablehnen. Gastfreundschaft hat in dieser Kultur einen unheimlich großen Stellenwert, immerhin gelten Gäste auch als ein Geschenk Allahs. Eine freundliche junge Frau erklärt uns, wie wir von hier in den nächstgrößeren Ort Chatorkhand kommen, wo es Geschäfte und eine Übernachtungsmöglichkeit gibt. Im Guesthouse eingecheckt wird Wäsche gewaschen, Essensnachschub gekauft, Gabriels Bart gestutzt, warm geduscht und beim Abendbrot schließlich über meine (fehlende) Motivation und die Fortsetzung unserer Tour diskutiert.
Outcome: Wir wollen unsere Route abkürzen und statt dem geplanten Asumber-Pass über den Utter Lake ins Yasin Tal gelangen, von dort über den Darkhot Pass in das Chitral Tal und so etwa 5 Tage früher als geplant zurück in Karimabad sein.




Reisezeit: September - November 2015
Dauer: 8 Wochen, davon 25 Trekking-Tage
Dieser Reisebericht schließt direkt an unsere Erzählungen aus Kirgistan an. Pakistan sollte in Sachen Wildnis und Abenteuer eigentlich der Höhepunkt dieser achtmonatigen Reise werden, leider war es dazu einfach schon zu spät; der Sommer neigte sich bereits dem Ende zu.
Sofia hat sich wieder bereit erklärt, die Schreiberei zu übernehmen. Nur Fotos, Bildunterschriften und entsprechend gekennzeichnete Kommentare sind von mir.

Naltar Lake, 2. Tag auf Tour

Mittagspause in der Nähe einiger Berghütten, die im Sommer von Schäfern bewohnt werden. Als wir vorbeikamen, waren sie bereits leer.

Dieser Mann hat uns Birnen gebracht, als wir in der Nähe seines Dorfes das Zelt aufschlugen.

Nahe eines unbenannten Passes auf 4.300 m.

Früher Wintereinbruch im Hindukusch – das Wetter hat uns nicht gerade geschont.

Der Hausvater einer Hirtenfamilie, bei der wir eingeladen waren.
Pünktlich um 6:15 piepst Gabriels Uhr schrill um los, ohne zu wissen, dass wir beide schon längst wach sind. Die Anspannung bringt die eiskalte Zeltluft beinahe zum Beben. Langsam drehe ich mich nach links, da ragen Gabriels rote Nase und ein paar Bartstoppeln aus der riesigen Daunenraupe. Noch sagt niemand ein Wort, obwohl die Gedanken in meinem Kopf rasen. Ein paar Mal versuche ich anzusetzen, doch die gefürchtete Ausweglosigkeit raubt mir die Worte. Trotz der Kälte fühlt sich mein Gesicht ganz heiß an. Erst mal tief durchatmen. Dann nochmal von vorn: Wir sind gestern Nachmittag trotz leichtem Schneefall etwa 600 m über großes, loses Geröll aufgestiegen. Weitere 300 Höhenmeter und zwei, vielleicht drei Kilometer trennen uns vom Pass in das nächste Tal. Der Zeltplatz ist sicher und an einem kleinen Bach. Das Problem: Es hat seit 16 Stunden nicht aufgehört zu schneien. Der Bach ist zugefroren. Jacken und Schuhe von gestern klitschnass, steif, gefroren. Weiter Aufsteigen wäre leichtsinnig; wir kennen das Gelände nicht und haben praktisch keine Sicht. Der Neuschnee könnte eventuelle Spalten verbergen; da hoch, obwohl es nicht weit ist, puh, verdammt gefährlich. Aber was ist die Alternative – der Abstieg? Wenn sich auf der Geröllhalde in dem weißen Dickicht auch nur ein Brocken löst, bin ich begraben. Auf den Steinen zwischen 10 und 30 cm Neuschnee; nur einmal in ein Loch treten, und stecken bleiben… Von Absturz bis Steinlawine ist alles möglich. Durchatmen. Langsam. Der einzige klare Gedanke, den ich fassen kann, dreht sich um den Notfall-Messenger. Wie kommen wir hier jemals wieder raus?
Ich sollte vielleicht doch mal von vorne anfangen…
19. September – 06. Oktober: An- und Weiterreise, Tourvorbereitung
[Bishkek – Delhi – Amritsar – Lahore – Rawalpindi, Islamabad – Karimabad – Gilgit – Karimabad, Hunza]
Die vorangegangene Reise-Etappe (Kirgistan: 27 Tage Trekking im Tien Shan) endet am 19. September 2015 in Bishkek. Von dort fliegen wir nach Delhi; wir waren beide schon mal da und der kurze Aufenthalt in Indien dient diesmal einzig und allein der Weiterreise nach Pakistan. Es ist uns ein großes Anliegen, weitestgehend auf Flüge zu verzichten und über Land zu reisen. Wir haben mit den Optionen gespielt, von Kirgistan bzw. Tadschikistan über China (Kaschgar) nach Nordindien oder Pakistan einzureisen und uns diesmal leider aufgrund visatechnischer, bürokratischer und finanzieller Hindernisse letztendlich für den Flug entschieden.
Anmerkung Libertist: Wen das genauer interessiert, kann hier noch mal nachfragen. Grundsätzlich ist es jedenfalls möglich, von Kirgistan über China nach Pakistan einzureisen.
Nun gut, angekommen in Delhi sind wir in ziemlicher Feierlaune. Wir sitzen auf dem Balkon eines kleinen Restaurants, mitten in der 17-Millionen-Menschen-Stadt und können es kaum fassen, dass wir vor zwei Tagen noch in den Bergen des Tien Shan umhergetrekkt sind. Ein bisschen Erholung darf sein, doch es soll auch schnell weitergehen – Gabriel hat große Pläne für das Karakorum und die Zeit läuft: Es ist Ende September, die Trekkingsaison neigt sich eigentlich schon dem Ende zu und der Winter wird nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Natürlich passiert nach einem Tag in Indien, was passieren muss: der Delhi-Belly. Da essen wir einmal was anderes als unseren Trekkingfraß… Na gut, dann bleiben wir doch drei Nächte und genießen im Bett liegend und aufs Klo laufend die indische Atmosphäre. Am 22. September schaffen wir es bis zum Bahnhof und mit größten Mühen schließlich auch in den Zug. Noch nie in meinem Leben war es so kompliziert, ein Ticket zu kaufen und zur richtigen Zeit, im richtigen Zug, die richtige Sitzbank zu finden, wie hier in Delhi. Aber auch das sei irgendwie vollbracht und mit nur 7 Stunden Verspätung kommen wir schließlich in Amritsar an.
Die Sehenswürdigkeit Amritsars schlechthin ist der Goldene Tempel, das Mekka der Sikh. Nachdem sich mein Darm noch nicht dazu aufraffen konnte, Essen wieder normal zu verdauen, müssen wir uns mit einem kurzen Spaziergang zufrieden geben und verschieben die obligatorische Fotografiererei auf die Rückreise (Fotobericht dazu folgt).
Am Morgen des 23. September verlassen wir Indien schon wieder und reisen über die Landesgrenze ‚Wagah Border‘ in Pakistan ein. Hier wird nicht einfach ein Tor geöffnet und geschlossen; an diesem Grenzüberganz findet jeden Nachmittag ein Spektakel sondergleichen statt. Das indische und pakistanische Militär verabschieden sich tagtäglich mit Posaunen und Trompeten, im Hintergrund dröhnen die Nationalhymnen total übersteuert aus den Lautsprechern. Während auf der indischen Seite über Tausend Menschen klatschen und jubeln, sind es auf der pakistanischen unter 100, darunter wir beide, die natürlich für Aufsehen sorgen. Wir werden nicht bloß vom pakistanischen Militär im Land willkommen geheißen - gleich nach der Grenzzeremonie umzingeln uns viele lachende Gesichter und wollen Selfies mit uns schießen.




Alles fühlt sich gleich ganz anders an. Hinten auf dem Pick-Up, mit dem wir von der Grenze in der Abenddämmerung in die Stadt Lahore fahren, beobachten wir das rege Treiben auf den Straßen. Umso näher wir nach Lahore kommen, desto mehr knatternde alte Honda-Maschinen drängen sich um uns; die lachenden Gesichter der jungen Männer, die uns entdecken, werden von den Rücklichtern rot erleuchtet. Im Stau steckend komm‘ ich mir ein bisschen wie ein Zootier vor, das von allen Seiten begafft wird, als plötzlich ein riesiger Kopf in meinem Blickfeld auftaucht: Da kreuzen tatsächlich drei Kamele die Straße! Nach etwa fünf Stunden in diesem Land bin ich bereits hin und weg. Wir checken in einem der beiden Backpacker-Hostel der Millionenstadt ein und haben gerade noch genug Kraft, um uns über die zwei geschmückten und bemalten Ziegen auf der Dachterrasse vor unserem Zimmer zu wundern, bevor wir erledigt in die Betten fallen. So, jetzt erstmal richtig krank sein, denkt sich mein Körper. Schon lange nicht mehr habe ich mich so elend gefühlt, wie in den nächsten drei Tagen.


Weder Gesundheit, noch Psyche fühlen sich besser, als ich eines Morgens die Türe öffne und aufs Klo laufen will: Liegt da vor mir die hübsche Ziege, röchelt noch ein letztes Mal und bildet eine langsam immer größer werdende rote Lacke. Die zweite hängt schon, gleich rechts von mir, beziehungsweise das, was von dem Tier ohne Fell und Innereien übergeblieben ist. Der blutbespritzte Schlachter lacht mich an und der Hostelbesitzer klatscht in die Hände.
Eid Ul-Adha, das viertägige Opferfest und damit der Höhepunkt des islamischen Jahreskreises wird gefeiert. Wer es sich leisten kann, schlachtet vor oder im eigenen Haus ein Ziege, einen Hammel oder ein Kamel; das erklärt auch den Kamel-Verkehr auf der Autobahn und die leider nicht allzu wohlriechenden Innereien auf der Straße bei 40 Grad Außentemperatur…. Auch als manchmal-Fleisch-Esserin wird mir bei dem Anblick der ausblutenden Kadaver, die vor unserem Schlafzimmer hängen, etwas anders und ich bin sehr dankbar, dass mir die Ärztin gestern eine Joghurt-Bananen-Diät verordnet hat.

Als wir am 26. September von Lahore nach Rawalpindi (Nachbarstadt von Islamabad) fahren, stellen wir zum ersten Mal fest, dass es in diesem Land Hotels gibt, denen es untersagt ist, Tourist_innen zu beherbergen. Bis wir da was finden, dauert es eine ganze Weile. Wir wollen uns aber gar nicht lange aufhalten und setzen unsere Reise am nächsten Tag fort. Während des Wartens auf den Bus in den hohen Norden machen wir uns auf die Suche nach einem Restaurant und nehmen dabei dankend die Hilfe eines jungen Mannes namens Zeeshan an. In perfektem Englisch begleitet er uns, setzt sich zu uns (ohne selbst zu essen) und besteht darauf, für uns zu zahlen. Gegenwehr ist vergebens und so nehmen wir dankend an, während er von seinem Elternhaus im südlichen Punjab erzählt und uns dorthin einlädt. Wir erklären, dass wir wegen der Berge hier sind und er meint nur, wir sollen per Facebook in Kontakt bleiben und ihn unbedingt später besuchen, wenn es uns im Norden zu kalt wird und wir uns entspannen wollen. Das Angebot klingt sehr verlockend und wir versprechen ein Wiedersehen. Zeeshan besteht darauf, uns zurück zum Bus zu bringen, hilft uns bei der Suche nach einem Copy-Shop für Pässe und Visum und kauft uns scheinbar selbstverständlich noch Wasserflaschen und Snacks. Überwältigt von so viel Zuvorkommenheit (von der wir in den nächsten Wochen noch einiges mehr erleben werden) sitzen wir glücklich im Bus; da geht die 27-stündige Fahrt auch schon los. Schnell freunden wir uns mit unseren Sitznachbarn an, so vergeht die Zeit eigentlich ganz schnell. Obwohl es hinten im Bus rumpelt und bumpelt ohne Ende – die Aussicht vom Karakorum Highway auf Berge und Täler ist unbezahlbar. Am Abend des 28. September kommen wir an, suchen uns ein Zimmer und machen uns mit unseren Buskumpeln auf die Suche nach Essbarem.
Nachdem alle Restaurants geschlossen scheinen, wird kurzerhand die Küche eines kleinen Standes übernommen und scheinbar selbstverständlich selbst gekocht. Zusätzlich zu Ei-Curry vermitteln uns die Männer einen Freund, der uns wohl bei unserer Planung helfen könnte. Sein Name ist Shakir und er wiederum führt uns zu Tour-Organisationen und Guides, und bemüht sich sehr, uns bestmöglich zu unterstützen.


Außerdem lädt Shakir uns am folgenden Wochenende kurzerhand zur Hochzeit seiner Cousine ein (In Pakistan werden alle näher oder fernere Verwandten im ungefähr gleichen Alter als Cousinen und Cousins bezeichnet; nachdem diese auch untereinander heiraten, kommt jede_r auf gefühlte 500 Stück.



Sofia tanzt mit unserem neuen Freund namens Sharif, der das sichtlich genießt...


Während sich die Eltern für die Braut freuen, hat diese noch kaum eine Vorstellung davon, was sie in den kommenden Tagen und Wochen erwartet. Wie alle Eheschließungen in Pakistan war auch diese von den Eltern arrangiert. Sofia hatte Gelegenheit, mit der jungen Frau zu sprechen: die Braut vertraut ihren Eltern, bedauert aber trotzdem, ab dem nächsten Tag ganz woanders zu leben, weit weg von ihrer Familie.

Der Hochzeitsvorsteher.
Zurück in Karimabad verbringen wir die nächste Woche damit, unsere Wunschtour zu planen. Gabriel kam mit zwei Ideen: Der etwa 16-tägige Snow Lake -Trek und die anschließende 14-tägige Gondogoro La – Passquerung über Concordia, vorbei am K2-Basecamp. Schnell kam uns zu Ohren, dass der zuletzt genannte Pass in diesem Jahr vom Militär gesperrt ist und keine einzige Reisegruppe diese Tour durchgeführt habe. Also mussten wir diesen Plan fürs erste aufgeben, na sagen wir lieber, aufschieben. *bg*
Bleibt der Versuch der Organisation der Snow Lake -Tour (auch Hispar-La genannt), mit der wir uns über eine Woche beschäftigt und bestimmt mit über 20 Guides, Porter und Tour-Agenturen diskutiert haben. Natürlich wollen wir alleine gehen, also zu zweit, brauchen aber ein paar Meinungen zur aktuellen Schneelage da oben. Im Ergebnis sind sich alle einig: Wir sind zu spät dran, es ist zu kalt und es liegt zu viel Schnee. Außerdem scheint unsere Frage sehr unverständlich, da scheinbar niemand im Karakorum Touren ohne entsprechendes Team unternimmt (mindestens 2 Guides und 8 Träger pro Kopf (!) wurden uns durchschnittlich geraten). Dazu kommt, dass ich mir nach den letzten Gletscherabenteuern in Kirgistan und der Erinnerung an die kalten Füße für die 16 Tage am Gletscher im Karakorum nicht ganz sicher bin. Ein paar Tage lang versuchen wir andere trekkingbegeisterte Reisende zu finden, doch die Saison ist vorbei und niemand mehr da. So überlegen wir sogar, ob wir einen Guide bezahlen wollen, doch denen ist es allen zu spät bzw. die wenigen vorgeschlagenen Preise wirken wie zur Abschreckung gedachte Wucher. Eine gute Entscheidung zu fällen, ist alles andere als einfach, doch die Zeit drängt und die Ratio siegt: Mithilfe des 66-jährigen Mannes Shabbir, der seit 28 Jahren als Hirte, Guide und Träger in den Bergen Nordpakistans unterwegs ist, planen wir eine knapp vierwöchige Tour im Hindukusch: Sie soll ca. 400 Kilometer, über 5 Pässe und durch mehrere besiedelte Täler führen, wo wir unsere Nahrungsvorräte immer wieder neu auftanken können. Angeblich beginnt der Winter im Hundukusch etwas später als im Karakorum. Die geplante Route wäre folgende:
Naltar Tal – Pakhora Pass – Ishkoman Tal – Asumber Pass – Yasin Tal – Thui Pass – Yarkun Tal (Chitral District) – Borochol – Kurumber Lake Pass – Chilinj Pass –– Chapursam Tal (Sost)
Also wird eingekauft, SPOT aktualisiert, Akkus geladen, zusammengepackt und dann geht’s los.
07. – 13. Oktober Etappe 1: Vom Naltar-Tal ins Ishkoman-Tal über den Pakhora Pass
[Hunza – Naltar – Pakhora Pass – Chatorkhand (Ishkoman Valley)]
Endlich wieder auf Tour! Der erste Tag besteht eigentlich fast nur aus der Anreise von Karimabad über Aliabad und Nomal nach Naltar. Dort schlagen wir am frühen Nachmittag unser Zelt im Garten des „Palace Hotel“ auf. Weil dieses Hotel dem Cousin eines Mannes gehört, den Gabriel auf der Hochzeit kennengelernt hat, dürfen wir auch darin das Badezimmer und die Küche benutzen. Doch am liebsten sind wir im Zelt; voller Vorfreude für die kommende Tour schlafe ich zum Geräusch des prasselnden Regen ein.
Am nächsten Tag starten wir mit vollen Rucksäcken auf 2.820 m Richtung Pass. Die ersten Kilometer des Anstiegs laufen wir auf gutem Weg durch den herbstlich bunt gefärbten Mischwald. Das Highlight des Tages ist der in den Farben aller Hundert Wasser schillernde Naltar See. Umrahmt von den gefallenen gelben Birkenblättern, zwischen denen kleine schwarz-weiße Ziegen grasen, glitzert er in allen erdenkbaren Grün- und Blautönen in der Sonne.





Bei den Begegnungen mit Locals fühle ich mich stets ein bisschen wie ein Alien – die Kommunikation besteht hauptsächlich aus Anstarren und wilden Gesten, die ich beim besten Willen nicht interpretieren kann. In der Annahme, die Menschen sind freundlich gesinnt, nähere ich mich immer mit einem Lächeln und einem „Asalaam Aleikum!“, manchmal auch Nüsse, Schokoriegel und getrocknete Früchte anbietend. Das klappt meist ganz gut, aber die zwei Hirtenjungen, die unser Zelt am zweiten Morgen bei Sonnenaufgang entdecken, verstehen meine Bitte nicht ganz, ihr Glotzen zumindest zu unterbrechen, während ich mich umziehe. Da hilf auch Gabriels Pantomime-Talent nicht weiter.
Gegen 11 Uhr sollen wir laut Karte an den Fuß des weißen Gletschers kommen. Leider nein! Vor uns liegt nur eine furchtbar fein-geröllige Endmoräne. Anfangs motiviert, habe ich schnell das Gefühl, bei jedem Schritt 100 kcal zu verbrauchen und zwei Schritte zurück zu rutschen. Nicht mal Hunger und Durst können von den Muskelschmerzen ablenken, während sich ein eiskalter Wind mit knallender Sonnenhitze abwechselt. Es hat nur einen Tag gedauert und schon fühle ich mich am Limit, bin der Verzweiflung nahe. Mehr schlecht als recht schaffen wir es irgendwie, die Moräne zu queren und auf einen kleinen Vieh-Pfad an deren Rand zu flüchten. Bis der Untergrund eben genug zum Zelten ist, vergehen noch ein paar Stunden und zum Abendessen wird der Beschluss gefasst, uns für den Aufstieg noch einen weiteren Tag Zeit zu lassen. Außerdem treffen wir eine weitere (wie sich später herausstellt, sehr gute) Entscheidung: Obwohl uns die Sowjetkarte von 1981 den Weg über den Gletscher geradeaus anzeigt, wollen wir in das Nebental biegen und den benachbarten Gletscher wählen, dessen Anstieg zumindest von hier unten machbar aussieht.









An Tag 4 haben wir also nur 600 Höhenmeter bis auf das Plateau kurz vor dem Pass vor. Hier finden wir bereits am frühen Nachmittag einen super Zeltplatz, bloß 400 Höhenmeter und einen Kilometer vom Pass entfernt. Rund um uns von fern bis nah: vergletscherte Bergspitzen, gelb gefärbtes Gebüsch, riesig-flauschige Yaks – das Panorama ist unfassbar schön.





Tag 5 ist Passtag! Um 8:00 Uhr stapfen wir schon los; nur 1,5 Stunden später stehen wir auf 4.650 m und genießen das Weiß-Blau des Gletscherpanoramas. So ‚einfach‘ und gut der Aufstieg ging, desto mühsamer, schwieriger und gefährlicher gestaltet sich der Abstieg. Den verschneiten Abhang des Passes laufen wir schnell nach unten, doch dann taucht vor uns wie aus dem Nichts ein riesiger Eisbruch auf – wir müssen das gesamte Gletschermassiv und Spalten über Spalten queren. Der brave Libertist darf mal wieder tüchtig vorausstochern. Hin und wieder taucht ein kleines oder größeres Steinmännchen auf, doch ich kann beim besten Willen keine stringente Linie entdecken. Mich beschleicht das Gefühl, die scheinen total willkürlich aufgebaut worden zu sein. Auch die beiden Mittelmoränen sind uns nicht ganz geheuer und so schlagen wir uns letztendlich ganz nach Süden auf den Geröllrand durch. Geschafft? Zu früh gefreut! Hier geht’s hoch und runter - zwischen losen Geröllbrocken, unter Neuschnee begrabenen rutschigen Grasbüscheln und Felshängen kämpfen wir uns im Schneeschneckentempo nach unten. Immer wieder versinke ich bis übers Knie im Pulverschnee und scheine dabei nicht die Einzige zu sein. Die Ohren nach schönen Naturgeräuschen spitzend, vernehme ich ganz nah ein lautes liebliches Fluchen.






Bis zum Ende der Schneegrenze sehe ich gelegentlich Tierspuren im Schnee, die wie große Tatzen einer Wildkatze aussehen und sehe mich neugierig um, doch nichts zu sehen. Schneegrenze erreicht, doch es geht steil weiter nach unten – hin und wieder im Flussbett des Gletscherabflusses, links und rechts Eis, dann wieder über die Moräne. Endlich haben wir es an das Ende des Gletschers geschafft, doch das Tal bleibt schluchtig. Während wir schon wieder in den Wald kommen, entfernt sich das Flussrauschen und ohne Wasser wollen wir auch nicht zelten. Also weiterlaufen, bis schließlich die Dämmerung hereinbricht. Erschöpft steigen wir wieder zum Flussbett hinab und schaffen es, um 17:30 das Zelt aufzuschlagen (um 18:00 Uhr ist es stockfinster). Total k.o. lasse ich mich heute bekochen, putze im Halbschlaf Zähne und sinke erledigt, aber glücklich auf meine Luftmatratze.




An Tag 6 schlafen wir wohlverdient bis halb 9 Uhr (!) aus und machen uns dann weiter an den stets schluchtig-steilen Abstieg. Einige Male ist der Weg, der den Hang entlang führt, durch große Risse unterbrochen, die uns wieder und wieder zum Abstieg und Hochklettern zwingen. Das ist nicht nur für Körper und Konzentration sehr anstrengend, sondern durch die rutschig-losen Erdhänge mehrmals brenzlig. Leider ist das Tal so schluchtig, dass wir im Flussbett nicht gehen können und immer wieder hoch an den Hang müssen, solange er intakt ist. Durch das ganze Hoch und Nieder schaffen wir in fünf Stunden Laufen gerade mal 3-Luftlinien-Kilometer. Dafür erblicken wir am Nachmittag auf der anderen Flussseite auf einem kleinen Wiesenplateau das idyllische kleine Dorfparadies mit dem klingenden Namen Guru. Über eine winzige Brücke staksen wir hinüber und werden von vielen netten Gesichtern begrüßt. Ein älterer Herr zeigt uns, wo wir unser Zelt aufschlagen dürfen und lädt uns in seine kleine Hütte auf – zu Gabriels riesigem Vergnügen – salzigen Chai ein.
Anmerkung Libertist: Ich hasse Tee mit Salz. Und ich habe kein Verständnis dafür, wie man diese Kombination mögen kann.
Unsere pakistanische Zeichensprache macht Fortschritte! Erfreut über den ersten kleinen Erfolg der langen Tour genießen wir einen ruhigen Abend.





Entlang der anderen Flussseite stehen am nächsten Tag 1.200 Höhenmeter Abstieg mit etwa 5 Stunden Fußmarsch über den steilen, schmalen Pfad am Hang bis in das Dörfchen Pakhora an. Doch zuvor heißt es nach dem delikaten Müslifraß-Frühstück erstmal eine passende Naturtoilette suchen, was gar nicht so einfach ist, mit den neugierigen Blicken der gesamten Dorfgemeinschaft im Rücken…




Der Tag geht für mich so schlecht weiter, wie er begonnen hat. Nach ‚nur‘ einer Woche Trekking fühlt es sich schon so an, als würde mir die Zeltdecke auf den Kopf fallen, obwohl gerade mal ein Viertel der geplanten Tour geschafft ist… Mit grübelnd-unglücklichen Gesicht stolpere ich den schluchtigen Sandweg nach unten und ärgere mich über mich selbst. Da ist Diskussion vorprogrammiert, wird jedoch erstmal auf das Ankommen abends vertagt.
Als wir nachmittags in der Siedlung namens Pakhora eintrudeln und die ersten Häuser entdecken, landen wir durch einen weiteren Zufall bei einer großen Familienzusammenkunft und bekommen Tee und Kekse serviert. Eigentlich sind das keine Zufälle - sobald wir in halbwegs besiedelten Gebieten unterwegs sind, können wir uns vor Chai-Einladungen kaum retten und müssen regelmäßig mal ablehnen. Gastfreundschaft hat in dieser Kultur einen unheimlich großen Stellenwert, immerhin gelten Gäste auch als ein Geschenk Allahs. Eine freundliche junge Frau erklärt uns, wie wir von hier in den nächstgrößeren Ort Chatorkhand kommen, wo es Geschäfte und eine Übernachtungsmöglichkeit gibt. Im Guesthouse eingecheckt wird Wäsche gewaschen, Essensnachschub gekauft, Gabriels Bart gestutzt, warm geduscht und beim Abendbrot schließlich über meine (fehlende) Motivation und die Fortsetzung unserer Tour diskutiert.
Outcome: Wir wollen unsere Route abkürzen und statt dem geplanten Asumber-Pass über den Utter Lake ins Yasin Tal gelangen, von dort über den Darkhot Pass in das Chitral Tal und so etwa 5 Tage früher als geplant zurück in Karimabad sein.





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