• Torres
    Freak

    Liebt das Forum
    • 16.08.2008
    • 31757
    • Privat


    [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

    Tourentyp Radreise
    Breitengrad 61.776688913
    Längengrad 23.049402236
    "Eine Person, ein Zelt, ein Fahrrad".
    "Okay."
    Pause.
    "Du bist mit dem Fahrrad hier?"
    "Ja."
    Pause.
    "Okay - mit einem Fahrrad?"
    "Ja, mit einem Fahrrad. Ich trage keinen Fahrradhelm, wenn ich Auto fahre."
    "In Finnland ist alles möglich."

    (Übersetzung aus dem Englischen)




    Dieses ist der dritte Teil der Trilogie: Torres in Finnland.

    Teil 1 handelte von dem Versuch, im Januar bei Schnee durch Südfinnland zu radeln und endete mit einer Zugreise zum Weihnachtsmann.

    Teil 2 handelte von dem Versuch, im Januar bei Tauwetter mit dem Klapprodel durch den Wald bei Turku zu streifen und endete mit einer Zugreise nach Lappland, wo bei Tagestouren das finnische Licht entdeckt wurde.

    Teil 3 handelt von dem Versuch, im September - diesmal allerdings ohne Schnee - mit dem Rad von Helsinki nach Vaasa auf der 596 km langen Via Finlandia, zu fahren. Ob das gelingt, erfahrt Ihr demnächst an dieser Stelle.
    Zuletzt geändert von Torres; 12.12.2015, 22:23. Grund: Geotagging
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

  • Sturmkobold
    Erfahren
    • 21.09.2012
    • 109
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    #2
    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

    Oh das klingt spannend. Ich freu mich schon.

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    • tjelrik
      Fuchs
      • 16.08.2009
      • 1244
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      #3
      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

      Super, torres - da freue ich mich schon sehr.
      bear shit - sounds like bells & smells like pepper

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      • Scrat79
        Freak
        Liebt das Forum
        • 11.07.2008
        • 12533
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        #4
        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

        Oh. Klingt nett.
        Abonniert.
        Der Mensch wurde nicht zum Denken geschaffen.
        Wenn viele Menschen wenige Menschen kontrollieren können, stirbt die Freiheit.

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        • schneehuhn
          Gerne im Forum
          • 08.07.2005
          • 57


          #5
          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

          torres ist wieder da!!

          Nun kann ich mich auf einen schönen Bericht freuen, super

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          • rockhopper
            Fuchs
            • 22.04.2009
            • 1239
            • Privat


            #6
            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

            Ich freue mich auf Deinen Bericht!
            VG rockhopper

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            • MaxD

              Lebt im Forum
              • 28.11.2014
              • 8931
              • Privat


              #7
              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

              Das nenne ich gelungene Werbung...ich bin gespannt!
              ministry of silly hikes

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              • Sisterintherain
                Erfahren
                • 18.06.2013
                • 371
                • Privat


                #8
                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                Ich warte gespannt mit

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                • maahinen
                  Erfahren
                  • 01.02.2014
                  • 303
                  • Privat


                  #9
                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                  Hi Torres,
                  so als nordkarelische Ureinwohnerin muss ich aber jetzt, bei alle Liebe, eine kritische Frage stellen: warum die Westküste? Die ist doch öde und langweilig... Der Osten ist viel schöner... Ich sage nur: Nordkarelien und Savo, vielleicht auch Kainuu.
                  Und mit Lokalpatriotismus hat mein Beitrag nichts zu tun!

                  Ach, was solls, ich bin mal wieder richtig gespannt auf dein Bericht!
                  Terveisin
                  Maahinen

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                  • Meer Berge
                    Fuchs
                    • 10.07.2008
                    • 2381
                    • Privat


                    #10
                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                    Ich bin ebenfalls seeehr gespannt!

                    Viele Grüße,
                    Sylvia

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                    • derMac
                      Freak
                      Liebt das Forum
                      • 08.12.2004
                      • 11888
                      • Privat


                      #11
                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                      Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                      In Finnland ist alles möglich.
                      Da kann ich prinzipiell nur zustimmen.

                      Zitat von maahinen Beitrag anzeigen
                      warum die Westküste?
                      Weil es im Osten so wenig Küste gibt?

                      Mac, auch Westküste geradelt aber keinen Reisebericht schreibend

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                      • Mika Hautamaeki
                        Alter Hase
                        • 30.05.2007
                        • 3996
                        • Privat


                        #12
                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                        Uiuiui, gespannt wartend...F5 F5 F5 F5
                        So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                        A. v. Humboldt.

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                        • Torres
                          Freak

                          Liebt das Forum
                          • 16.08.2008
                          • 31757
                          • Privat


                          #13
                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                          Sorry, dauert noch was. Klappt nicht so wirklich mit dem Netz. Muss ich in Ruhe machen.

                          Westküste? Wie kommst Du auf Westküste?
                          Oha.
                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                          • maahinen
                            Erfahren
                            • 01.02.2014
                            • 303
                            • Privat


                            #14
                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                            Na, endlich ein Lebenszeichen von Torres!
                            Bis du eigentlich noch in Finnland unterwegs? Kein Netz? Die öffentlichen Büchereien haben meistens ein offenes WLAN.

                            Wie ich auf Westküste komme? Vaasa liegt doch da...

                            Auf jeden Fall: viel Spaß noch! Und schreib doch bitte bald, wir sind gespannt.

                            Liebe Grüße
                            Maahinen

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                            • maahinen
                              Erfahren
                              • 01.02.2014
                              • 303
                              • Privat


                              #15
                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                              Ach, noch was für den Fall, dass du noch in Finnland bist...
                              Vielleicht hast du auch schon mitgekriegt:
                              1.Es wird morgen in Finnland in vielen Bereichen gestreikt, besonders betroffen sind die öffentlichen Verkehrsmittel.
                              2.Es wird morgen in Finnland sehr stürmisch und nass werden, such dir ein warmes und kuscheliges Plätzchen!

                              Noch mal liebe Grüße
                              Maahinen

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                              • Inarijoen Peter
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                                • 22.07.2008
                                • 777
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                                #16
                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                Zitat von maahinen Beitrag anzeigen
                                Vielleicht hast du auch schon mitgekriegt:
                                1.Es wird morgen in Finnland in vielen Bereichen gestreikt, besonders betroffen sind die öffentlichen Verkehrsmittel.
                                Helsinki–Travemünde
                                Fr 18.9.keine Abfahrt von Helsinki aufgrund eines Streiks der Hafenarbeiter, MS Finnmaids Abfahrt verschiebt sich daher auf Sa 19.9., 11:00,Ankunft in Travemünde am So 20.9. um 15:00

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                                • Torres
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                                  Liebt das Forum
                                  • 16.08.2008
                                  • 31757
                                  • Privat


                                  #17
                                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                  Danke schön für die Info. Bin eben aufgewacht und dachte, ich schau mal in meine sms. Jetzt weiß ich auch, welche Nummer mich seit Mittwoch erreichen will. Beim Rückruf habe ich den Firmennamen nicht verstanden und dachte, das sei Spam. War also Finnlines.

                                  Naja, bin eh schon strategisch positioniert, ein Tag später ist okay. Hab ein gutes Buch, das von Karelien handelt :-). Ich habe hier Empfang, allerdings nicht verlässlich. Am besten ist er auf dem Klo, das ist aber nicht so der passende Ort....

                                  Ob ich mal nach Helsinki reinradele? Sollen wohl 100.000 Leute erwartet werden. Wundert Euch übrigens nicht über die Zeit des Postes, hier ist eine Stunde später.

                                  Zuletzt geändert von Torres; 18.09.2015, 03:53.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  • ronaldo
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                                    Moderator
                                    Liebt das Forum
                                    • 24.01.2011
                                    • 12506
                                    • Privat


                                    #18
                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                    Aahh... ooohhh... Torres wieder im Anflug!

                                    Los, mach, bittebitte...

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                                    • Torres
                                      Freak

                                      Liebt das Forum
                                      • 16.08.2008
                                      • 31757
                                      • Privat


                                      #19
                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                      30.08.2015 Abfahrt


                                      Finnland ohne Schnee. Eine unvorstellbare Vorstellung. Für mich jedenfalls. Bis ich fertig gepackt habe, das Fahrrad modifiziert habe, und das Gepäck am Rad vertüddelt habe, ist es fast dunkel.

                                      Am Hauptbahnhof angekommen, kämpfe ich mit dem Automaten und nehme das günstigere Ticket. Das ist sogar richtig. Der Aufzug ist natürlich kaputt. Also trage ich das Rad die Treppen herunter und schubse versehentlich einen Smartphonebetrachter zur Seite, der plötzlich stehen bleibt. Der Zug geht in 45 Minuten.
                                      Ich frage eines von fünf betont desinteressiert schauenden Schneckchen, die sich auf einer Sitzgruppe plaziert haben, ob der Müll auf dem letzten Sitzplatz wegkann. Entsetzt quietscht sie "das ist noch voll" und greift sich die mit abstoßend aussehendem Inhalt gefüllte Asia Box. Ich setze mich. Das Rad steht ja nicht alleine, ich habe keinen Radständer dran. Keine Lust, es die ganze Zeit im Stehen festzuhalten. Kurz darauf allgemeine Gruppenhysterie. Der Zug nach Kiel fährt nicht aufgrund einer Baustelle in Bad Oldesloe. Sie müssen anders fahren. Eine afrikanische Großfamilie auf den Sitzbänken auf der andere Seite fragt die Mädels nach ihren Erkenntnissen und lamentiert nach Erhalt der Info mit Altstimme auf Englisch herum. Kurz darauf verlassen beide Gruppen das Gleis. Es wird ruhig.

                                      Der Zug kommt früher, und ich mache das Fahrrad fest. Die Reise beginnt im Radabteil. Wie üblich.

                                      Zwei Minuten später sinniere ich, ob Skurrilitäten zu einer Reise nach Finnland so untrennbar dazu gehören, wie Wellen zum Meer. Ein Mann mit Retrobike. Stillvolles Rennrad, schlank, braun mit viel Chrom. Eine Fronttasche aus beigem Stoff, Brillenetuidesign, nur größer. Der Fahrer ausgestattet mit Retrokappe à la Tour de France von vor fünzig Jahren, Brooks-Shirt, braunen Lederradschuhen und farblich abgestimmten langen Radshorts. Beige. Er packt ein Butterbrot aus.
                                      Ein afrikanisch-deutsches Ehepaar mit zwei süßen kleinen Mädchen bringt einen kurzen Moment Normalität in den Saal. Ich helfe. Liebevoll hält der Vater das Kleinkind im Arm.
                                      Dann kommt der Auftritt von Madame. Hollandrad, schwarz. Die Dame geschätzt in den späten Fünfzigern, was sie gut kaschiert. Hochgewachsen, Stiefeletten, schwarzer langer Faltenrock, schwarzer Pulli. Ein luftiger Schal mit einem Hauch von Orange. Unmut im Gesicht, dass sie das Rad nicht anlehnen kann, das Abteil ist bereits voll. Sie stellt es an die Stange in der Mitte. Elegant wird die riesige Fronttasche „Modell Picknickkorb“ mit Henkel aus orangenem Lack vom Lenker genommen. Farblich passend zur orangenen Handtasche aus orangenem Krokodilimitat. In großen Schritten wählt sie erst den Platz neben mir, um dann das Zwischenabteil zu wählen. Greta Garbo und Marlene Dietrich in einem. Schauspielerin? Tänzerin? Ein raumfüllender Auftritt. Respekt. Das hat Stil.
                                      Im letzten Moment schiebt sich noch ein junger Rollstuhlfahrer neben mich. Die Bierflasche in seiner Hand ist halbvoll, aber er wird das Bier nicht anrühren. Er trägt Kutte und der Geruch von ungelüfteter Kleidung, Zigaretten, Bier und einem Hauch billigen Rasierwassers ist gewöhnungsbedürftig. So setze ich mich schräg und flirte mit dem älteren Mädchen der Familie. Es ist vielleicht zwei. Das fängt ja alles interessant an.

                                      In Lübeck steigen die anderen aus, die Dame schauspielreif mit großer Geste und erhabenem Gesicht.
                                      Ein Reiserad schiebt sich ins Abteil, drei weitere folgen. Dicke Packtaschen unterschiedlichsten Zustandes und Couleur. Mein Alter. Sachsen. Sie sind auf dem Weg ins Baltikum. Man kommt ins Gespräch und steigt gemeinsam aus. Ich erinnere mich lebendig an meine Irrfahrt nach Travemünde und weigere mich an der Straße, den Schilderpark an der Unterführung überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. „Links“, sage ich bestimmt. „Das Navi zeigt rechts“, sagt einer aus der Truppe. „Böse Falle“, konstatiere ich. „Das ist falsch“. Ein MTBler, der die Rampe mit Vollgas nimmt, bestätigt meine Version. Zwei Räder auf der anderen Seite fahren vorbei, und ich erinnere den Radweg.
                                      Mein Licht ist noch nicht angestellt, das der anderen auch nicht. Es ist stockfinster. Winterfeeling. Ich spüre die Kälte und den Wind von damals und erinnere die dunklen Schatten der Bäume genau. Vorsicht Glatteis. In Wirklichkeit sind immer noch warme 20 Grad. Mein Licht springt an und vorne denkt man, da käme ein Auto. Die Steigung ist nun genommen. Die Stelle, wo ich fast in den Graben geweht wurde. Ein Film läuft vor meinen Augen ab, so lebendig, als wäre es eben erst geschehen. Rechts erscheinen kleine Lichter. Die gab es damals nicht. Es ist der Zeltplatz. Zelte in der Dunkelheit wie kleine Höhlen und Hügel im Gras. Gedämpftes Murmeln dringt an mein Ohr.
                                      Ich fahre jetzt vor und bin mir sicher, dass es jetzt links abgeht (Anm.: Das ist richtig, man erkennt die Einfahrt an dem Sackgassenschild. Leider ist der Radweg von dieser Seite aus immer noch nicht ausgeschildert. Nur auf dem Rückweg sieht man einen Schilderbaum). Das Navi des einen sagt etwas anderes, und so fahren wir die Schleife für die Autofahrer. Bald stehen wir an der Zufahrt zum Terminal. LKW steuern mit traumwandlerischer Sicherheit in hoher Geschwindigkeit ihre Geschosse durch den Kreisverkehr. Die Schlangen am Schalter sind klein. Es ist zehn nach halb elf.
                                      Wir stellen uns zu einer Truppe von zwölf finnischen Motorradfahrer. Da ist wieder diese perlende Sprache, die klingt wie ein Gebirgsbach. Mir ist warm, aber das hat ja nichts zu sagen. Im Geiste suche ich den Schnee.

                                      Diesmal fahre ich das Rüttelsieb, das damals meine Spikes dezimiert hat, in einem Rutsch hoch. Das bin ich meinem Ehrgeiz schuldig. Auf das obere Deck schiebe ich das Fahrrad dagegen, mit den schmalen Reifen sind mir die dicken Rillen zu gefährlich. Zu steil ist es auch. Die Befestigung des Rades an den Fahrradständern überfordert mich mal wieder, ein Mann vom Personal hilft. Das Umlegen des Feststellers kannte oder erinnerte ich nicht. Kurz darauf habe ich Angst um meine Felgen und öffne die Konstruktion noch einmal, um die Felge mit Evazote abzupolstern. Nicht umsonst nennt man diese einfachen Radständer schließlich Felgenbrecher.





                                      Ich habe nur ein Bett in einer Zweierkabine gebucht, und als ein Cello, zwei riesige Rollkoffer, eine große Tasche und ein Rucksack samt einer darunter verborgenen Person an mir vorbeirollen, weiß ich sofort, dass wir die schmale Kabine teilen werden. So ist es.
                                      Das Cello hat ein Auslandssemester an der Sibelius-Akademie in Helsinki vor sich. Ich schätze das Packvolumen auf drei 110 Liter Rucksäcke plus einen 50 Literrucksack. Das Öffnen des größeren Koffers fördert eine Sammlung Tütensuppen zutage. „Finnland ist ein zivilisiertes Land“, bemerke ich. "Die haben sogar Supermärkte". Wir lachen. Die Küche musste ausgeräumt werden, also kam das halt alles mit.





                                      Ich treffe die Sachsen wieder. Vor Jahren hatten sie eine Radtour durch Syrien gemacht. Palmyra angeschaut. Ein zivilisatorisch hochentwickeltes Land. Ihnen blutet das Herz.

                                      Der Wunsch, zu schlafen, überkommt mich, aber ich nicke nur kurz ein. Als sich die Fähre um 3.00 Uhr morgens in Bewegung setzt, gehe ich noch einmal raus. Das Wasser ist spiegelglatt und vom Mond beschienen. Es ist, als erzeugten die Lichter helle Punkte in tiefschwarzem, glänzenden Lack. In der Ferne blinken Windräder rhythmisch im Takt. Ein Segelhafen, die Häuserblocks umher sind hell erleuchtet. Vor dem runden Restaurant parkt eine dicke Yacht. Der Anleger der Priwallfähre kommt in Sicht. Noch immer habe ich die Vorwendezeit vor Augen. Das sah hier früher anders aus. Ein Waldstück, Fußgängerweg und ein einsames Wohnmobil. Vermutlich ist hier ein Privatgrundstück.

                                      Und dann schimmert schon das helle Holz, aber noch könnte es ein Strommast sein: Der Grund meiner Sehnsucht und meiner Bettflucht. Aus der Tiefe der Nacht taucht sie auf, und nun erkennt man auch die Masten: Ein Viermaster, die Passat. Ich bereue, den Fotoapparat in der Kabine gelassen zu haben, so magisch ist dieser Moment. Aber vielleicht ist das auch ganz gut: Unfotografierte Momente sind intensiver. Man prägt sie sich viel besser ein. Die Passat ist nun auf meiner Höhe, und sie wirkt rührend klein. Ein schönes Schiff, aber hoffnungslos veraltet aus heutiger Sicht. Immer noch ist das Wasser glatt und die Lichter leuchten. Es ist, als zögen Schatten der Vergangenheit dahin.

                                      Wir lassen die Passat hinter uns. Still und leise zieht sie sich ins Nichts zurück. Die Leuchtfeuer, der Strand von Priwall, Kindheit, die Lübecker Bucht. Das Schiff nimmt Kurs auf Helsinki.
                                      Zuletzt geändert von Torres; 20.09.2015, 20:08.
                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      • tjelrik
                                        Fuchs
                                        • 16.08.2009
                                        • 1244
                                        • Privat


                                        #20
                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                        Mal wieder ganz großes Kino, Torres. Hau in die Tasten - ich bin gespannt wie es weiter geht.
                                        bear shit - sounds like bells & smells like pepper

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                                        • Torres
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                                          Liebt das Forum
                                          • 16.08.2008
                                          • 31757
                                          • Privat


                                          #21
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                                          30.09.2015 Auf dem Schiff

                                          Ruhetag. Ich habe viel gearbeitet in letzter Zeit und bin völlig ausgelaugt. Lange hatte ich überlegt, wo ich hinfahren soll. Balkan? Estland und Lettland? Der Funke zündet nicht. Ein Land, wo man gut schlafen kann. Vielleicht bleibe ich zu Hause. Campen an der Nordsee? Auch irgendwie blöd. Einfache Anreise. Bloß keinen Stress. Und keine Gewalttour wie letztes Jahr in England.
                                          Und eines Morgens wache ich auf und denke: Warum nicht Finnland? Hüpf, macht mein Herz. Zwei Wochen ist das her. Der Zustand bleibt stabil. Ich buche die Fähre.

                                          Es ist eine Stunde später als in Deutschland. Finnish Time auf dem Schiff. Das Cello und ich stellen die Uhren um. Dann machen uns auf zum Morgenbrunch. Das Cello wird dort sitzen bleiben, um sich bis Mittag satt zu essen. Studenten müssen sparen. Ich lege mich wieder hin und schlafe.
                                          Das Cello kommt und sucht in den Koffern ein Kleidungsstück. Ich filme das mit des Cellos Smartphone. Das Video wird einsame Klasse, wie ich finde, auch wenn das Cello überlegt, ob man dieses Chaos den Eltern zeigen kann. Das Video endet mit den Worten „Schxxe. - Schxxe.“ Ich bin stolz auf die gelungene Dramaturgie. Immerhin geht der größere Koffer entgegen meiner Wetten wieder zu.
                                          Das Cello hat eine Erasmusstudentin im gleichen Alter aus Deutschland kennengelernt, die finnisch studiert, wenn auch nicht in Helsinki. Beide tauschen sich aus, essen am Abend zusammen, und ich habe das Zimmer für mich. Ich bastele an meiner Route.





                                          Eine Woche zuvor hatte ich das Outdoor-Wunderland besucht, denn ich brauchte eine neue GT1 Karte. Meine hatte ich bekanntlich in der Nähe von Turku verloren, als ich meinte, mit dem Klapprodel durch Finnlands Wälder ziehen zu müssen. Eine neue Karte hatte ich mir nicht besorgt, wozu, das reicht ja auch später. Dachte ich. Böser Fehler. Unverzeihlich. Blöd. Idiotisch. Die Karte gibt es nicht mehr. Stattdessen gibt es nun eine GT Karte. 1:25.000 statt 1:20.000 und Informationen über die Shelter fehlen. Eine Karte für Augenkranke, denn man kann darauf kaum die Details sehen. Schon gar nicht auf dem Fahrrad. Der Maßstab ist zu klein. Die Kartenherstellung von fünf Karten für Finnland lohnt sich vermutlich nicht mehr.
                                          Immerhin: Bei der hektischen Suche nach der GT1 Karte in den Kartenboxen war mir ein vergilbtes Exemplar der Broschüre „Via Finlandia“ in die Hand gefallen. So eine Art bikeline. Ich hatte sie erworben. Vielleicht ist das ja was. Daran halten muss ich mich ja nicht. Im Internet sehe ich, dass German Tourist die Strecke mal gefahren ist. Es klang nicht besonders begeistert. Sonst sind Informationen rar. Einen Track davon gibt es nicht.

                                          Den Versuch, die Karten des Heftes in die GT Karte zu übertragen, hatte ich vor ein paar Tagen genervt aufgegeben. Im dichtbesiedelten Finnland benötigt es Details. Also reiße ich aus dem Heft ein paar Seiten raus und entdecke, dass die Via Finlandia Campingplätze mit einbezieht. Das klingt doch nett. Ich muss mich schonen, eine Infrastruktur kann nicht schaden. Ich habe zwar Essen für ca. 5 Tage mit (auf Tour esse ich immer sehr wenig), aber ich könnte mich also auch in die Büsche schlagen, wenn ich will. Ob ich das will, weiß ich noch nicht. Ist ja anscheinend kein Winter. Laut Wetterapp.

                                          Der nächste Platz ist in Järvenpää, da habe ich doch mal ein erstes Ziel. Sibelius hat dort gelebt, vielleicht gibt es was zu schauen. Die Helsinkikarte (Ulkoilukartta), die ich damals bei meiner Winterradtour am Camping Rastila geschenkt bekommen hatte, und mich zu dem Satz:

                                          Zitat von Torres
                                          Wie schaffe ich es eigentlich immer, kurz vor der Abreise die Karten zu finden, die ich vor der Anreise gebraucht hätte? Das Leben könnte so einfach sein.
                                          inspiriert hatte, um von Fjaellraev daraufhin die Antwort zu bekommen:

                                          Zitat von Fjaellraev Beitrag anzeigen
                                          Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis :
                                          Das ist ein dezenter Wink mit dem Zaunpfahl dass man nochmal in die Region sollte.
                                          Also auf zur Planung der nächsten Radtour in Finnland

                                          Gruss
                                          Henning
                                          zeigt mir eine Abkürzung. Ich müsste nicht durch die Stadt fahren, wenn ich nicht will. Mal schauen, wie ich morgen gelaunt bin. Die Topo, die mir Inarijoen Peter geschenkt hatte, hatte ich übrigens trotz intensivsten Suchens nicht mehr gefunden. Es muss auch ohne gehen. Die erfolgreiche Planung des morgigen Tages beglückt mich. Das Cello kommt kurz vorbei, schwärmt vom Sonnenuntergang, und ich gehe ein wenig nach draußen.





                                          Dann zappe ich durch das Fernsehprogramm und schaue kurz ein Lied bei Starsearch, aber befriedigend ist das nicht. Im Lesezimmer, wo man ausgelesene Bücher lassen kann, finde ich einen Krimi, den leihe ich mir aus. An der Bar erwerbe ich ein Sandwich aus finnischen Roggenbrötchen zum Abendbrot. Das reicht mir, das Teil macht satt.
                                          Gegen 22.00 Uhr schaut das Cello hektisch rein und sucht irgendwelche Sachen. Dann entschwindet es wieder und murmelt etwas von russischen Bekanntschaften der Bekanntschaft. Ich fliege über die Krimiseiten und tatsächlich lese ich den Krimi bis 1.00 Uhr zu Ende. Das zweite Buch nehme ich mit. Gewichtsausgleich für die Tasche mit dem Schlafsack. Ich habe Ohrstöpsel und eine bei der dm-Drogerie erworbene Schlafmaske dabei – inklusive Entspannungsgel, das hatte ich allerdings gleich entsorgt. Die Schlafmaske ist nicht nur UL, sondern entpuppt sich als eine der Top 10 wichtigsten Errungenschaften für Outdoorers, wie sich noch zeigen wird. Ich schlafe sofort ein. Es wird trotzdem eine kurze Nacht.


                                          Zuletzt geändert von Torres; 21.09.2015, 13:43.
                                          Oha.
                                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                                          • schneehuhn
                                            Gerne im Forum
                                            • 08.07.2005
                                            • 57


                                            #22
                                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                            oh wow - bin schon verzaubert. Mit einem Cello die Kabine zu teilen, finde ich großartig (ist mein Lieblingsinstrument).

                                            Bitte bald weitermachen.....

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                                            • Torres
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                                              Liebt das Forum
                                              • 16.08.2008
                                              • 31757
                                              • Privat


                                              #23
                                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                              31.08.2015 Järvenpää. 62,2 km

                                              Ich bin aufgeregt. Nervös sitze ich am Oberdeck und verspeise erneut ein finnisches belegtes Brötchen. Der Hafen kommt in Sicht. Kein Schnee. Nirgends. Was ist das denn? Das habe ich nicht gebucht! Aber insgeheim freue ich mich.





                                              Die Durchsage sagt, man solle in der Kabine warten, bis das jeweilige Deck abgefertigt wird. Typisch deutsch stürme ich dennoch Punkt 9.00 Uhr zu meinem Fahrrad. Es könnte ja jemand zersägen oder im Motorraum verstauen. Bis ich es dann endlich startklar habe, dauert es 30 Minuten, ich muss ja die Evazote wieder verstauen und die Kameratasche befestigen. Und das Wasser. Ich winke dem Cello zum Abschied zu und greife zu meinem Opinel. Mit einem kühnen Schwung kappe ich die Nase, die am Getränkehalter die Flasche unten fixiert. Die nervt mich schon lange. Er sorgt dafür, dass die Flaschen zu locker sitzen. Neulich war mir eine während der Fahrt heruntergefallen und mit lautem Getöse auf der Straße zerplatzt. Natürlich vor jeder Menge Zeugen. Ich fahre mit 1,5 Literflaschen vom Discounter. Diese kleinen Nuckeldinger der Rennfahrer reichen mir nicht.

                                              Ich unterhalte mich ein bisschen mit den Sachsen. Denn es heißt warten, warten, warten. Die Fähre ist voll und erst werden die anderen Decks geräumt. Kurz vor 11.00 Uhr sind auch die Räder dran. Man sollte auf das Personal auch mal hören.

                                              Ich schiebe wieder die dicken Rillen herunter, dann fahre ich die vereiste Rampe hinunter. Ach was, das ist ja Wasser. Kein Schnee. Kein Glatteis. Ich kann tatsächlich Gas geben. Das ändert sich ein paar Meter später. Das Rad blockiert, ich trete ins Leere. Fahrrad kaputt. Mein Herz setzt aus. Dann kann ich ja gleich wieder mit der Fähre zurückfahren. Was für ein Spaß. Finnland wird noch mein Unglück.
                                              Ich mahne zur Ruhe und schaue nach unten. Wasser plätschert über´s Pedal. Die Wasserflasche. Aufgescheuert am Zahnrad. Ich Idiot. Klar, auf den anderen Rädern habe ich die Rohloff drauf. Da lehnt die Flasche am Rahmen. Mit Kettenschaltung ist das anders. Das kostbare Nass versickert auf den Platten. Aber das Fahrrad ist ganz. Würdevoll verstaue ich den Restmüll auf meinem Vorbau.

                                              Ich eiere den andere hinterher, mein Kampfgewicht habe ich noch lange nicht und die Kondition könnte besser sein. Gute Idee: Foto.





                                              Man sieht, hier fehlt eindeutig der Schnee. Alles sieht so sonnig und freundlich aus. Ich rufe den Sachsen die Wegführung zu. Rechts, dann links abbiegen, an der Hauptstraße wieder links und am Kreisel rechts. Sie starren in ihr Navi. Na gut. Ich gebe Gas.

                                              Die Sonne schmeichelt meiner Haut, das Wetter ist ein Traum. An der Tankstelle kaufe ich neues Wasser. Die Kreuzung, an der ich überlegen musste, wo denn Helsinki ist. Ich fand ja nur Helsingfors. Hilfreich ist die Beschilderung für den Neuankömmling wirklich nicht. Für Radfahrer geht es nach links.





                                              Dann sause ich den Anstieg hinunter. Kein klarer Wintertag mehr, an dem die Sonne aufgeht, sondern die Erwartung eines warmen Tages. Kein Foto. Wie damals. Das ist mir wichtig.
                                              Hinter dem Kreisel stöpsele ich das E-Werk neu ein. Mein Navi hat nicht mitgeloggt, sondern ging zwischendrin aus. Leichtes Unbehagen. Bedienungsfehler, wie ich später feststellen werde. Ich muss den Powerakku anstellen, sonst stellt er sich irgendwann aus. Für diese Erkenntnis brauche ich ein paar Tage.

                                              Ich fliege die Radwege dahin. Hier kenne ich mich aus. Die Baustelle in Vuossari ist beinahe verschwunden. Die Häuser sind fertig, und es sieht nicht mehr so asozial aus. Die Unterführung mit der Taubenkacke ist im Sommer sauber, ein paar Anstiege, mit diesem Fahrrad geht das. Ein Kind fährt vor mir her.
                                              Rastila. Der Radweg ist gesperrt, auch hier ist Baustelle. Ein Umweg ermöglicht einen kurzen Blick zum Campinglatz. Er sieht so sommerlich aus. Ich suche die Weiterführung des Radweges und muss die Seite wechseln. Darf man in Finnland gegen die Fahrtrichtung fahren? Man darf. Eine ältere Frau, die ich anspreche, sagt: Folgen sie mir. Ich muss in Ihre Richtung. Der See, der damals grau und trostlos war, erstrahlt in sommerlichem Glanz. Das Wetter soll sich ändern. Heute ist der letzte schöne Tag.





                                              Hinter der Brücke geht es links ab. Die Dame fährt ein kurzes Stück mit, dann hält sie am Altersheim an. „Viel Glück. Bis Vaasa ist es weit.“ Ich weiß. Eine Skulptur säumt den Weg.





                                              Ich suche den Einstieg in den Radweg zum Ufer. Ein kurzer Irrtum, dann Radwegbeschilderung. Es geht durch einen Park. Und dann geht mein Herz auf.








                                              Wäre dieser Ausblick nicht da, müsste man ihn erfinden.





                                              Einen kurzen Moment setze ich mich auf eine Bank und genieße den Sommer. Ich könnte doch einfach hierbleiben. Die Radtour fällt aus. Drei Wochen schlafen. Wie herrlich. Der Weg endet an einem Schwimmbad, und trotz Navi irre ich etwas herum. Dann sehe ich sportliche Radfahrer. An der Hauptstraße komme ich raus. Ich finde die richtige Unterführung und mit einem eher halbherzigen Blick nach rechts überquere ich todesmutig am Fußgänger- und Radweg die Straße. Ein Auto kommt flott von rechts, es ist auch noch die Polizei. Vorsichtiger sein. Auch hier nimmt man die Vorfahrt.

                                              Wieder suche ich ein wenig herum, dann sehe ich ein vergilbtes Radschild. Ich will Helsinki auf genau diesem Radweg 6 umfahren, es geht durch Naturschutzgebiet.





                                              Ein Waldweg. Und kurz darauf stockt mir der Atem. Mann, ist das hier schön.





                                              Die tückischen, glatten Felsen. Der Schlitten machte da immer so ein fieses Geräusch. Zwei Minuten später bin ich erleichtert: Auch Finnen schieben bergauf. Das macht mir Mut. Kein Reiseradler, übrigens. Einkäufe.





                                              Der Weg führt waldreich auf und ab. Ein paar Jogger. Sehr sportliche Radfahrer in hohem Tempo. Ausschließlich Männer mit Helm und Radbekleidung. Man muss aufpassen, dass man sich rechtzeitig zur Seite drückt. Kleine Rambos mit viel Kondition. Ein paar Mal schiebe ich. Ach, ist das schön hier. Felder lösen den Wald ab. Es duftet betörend nach Rosen. Er kommt aus verborgenen Gärten. Eine alte Frau sitzt auf einer Bank. Auf der Tüte prangt groß der Schriftzug von Lidl. Langsam schleppt sich sich bald darauf in der glühenden Sonne den Weg entlang.
                                              Ein Aussichtsturm. Radfahrer mit Kamera und Fernglas haben sich mit Blick auf Häuser positioniert. Eine Anflugschneise für Gänse. In ihrem Rücken schimmert Helsinki.

                                              Wieder erschließt sich der Weg nicht ganz, und ich fahre auf Verdacht. Anscheinend ist das richtig, denn bald sind Radwege beschildert. In die kleinen Wege darf ich nicht rein. Die wären auch viel zu eng.





                                              Der Wald ist kühl und die Wege sind schmal. Dennoch lässt es sich hier gut fahren. Schilder erklären die Vegetation. Im Winter ist das Skigebiet.





                                              Dann ist der Wald zu Ende und einen Moment bin ich erstaunt. Das sieht so völlig anders aus.





                                              Ich radele einen gut ausgebauten Weg entlang. Einen Moment habe ich den Überblick verloren. Das ist nämlich falsch. Ich hätte im Wald links abbiegen müssen. So komme ich zur Straße. Immerhin gibt es einen gut ausgebauten Radweg.





                                              Die Straße ist laut und unangenehm, aber kurz darauf geht es wieder in das Waldstück zurück. Ich lasse einen Transporter vor. Der Mann dankt.
                                              Ich verfahre mich erneut, weil ich den Anschluss an die Via Finlandia suche und mich nun mit der GT Karte orientieren muss. Meine Helsinkikarte ist zu Ende. Immerhin bringt mir das spektakuläre Ausblicke ein.





                                              An einem Museum ein Wasserfall.





                                              Dann finde ich doch noch den richtigen Weg. Es geht nun einen Fluss entlang. Ein Schwimmbad lockt zu meiner Linken. Auf dem Felsen sonnt sich ein Mann.





                                              An einer Brücke wechsele ich die Seite. Spektakulär ist der Weg zwar nicht. Aber er ist gut fahrbar. Ein fester Sandradweg.





                                              Nach einiger Zeit nehme ich erschöpft auf einer Bank Platz. Ich habe fürchterlichen Durst und nicht genug Wasser dabei. Das war ja auch anders geplant. 1,8 Liter habe ich bereits getrunken, 0,2 Liter bleiben noch. Ich bastele mir eine Konstruktion aus einer alten Flasche an mein Fahrrad, damit ich den Flaschenhalter weiter benutzen kann. Klebeband habe ich vergessen, so nehme ich eine grüne Schnur und hoffe, dass die Flaschen von nun an halten. Das werden sie, in der Tat, obwohl die Konstruktion ziemlich wackelig ist. Eine Schülergruppe kommt zurück vom Kanufahren. Weiter. Meine Beine sind schwer, obwohl ich bisher kaum Kilometer gefahren bin. So komme ich nie nach Vaasa.

                                              Wieder eine Brücke. Und ein Naturschwimmbad. Erleichtert zapfe ich an der Dusche Wasser ab. Ein Dixie Klo gibt es auch.





                                              Ich irre jetzt irgendwelche Straßen eines ruhigen Wohngebietes entlang, die in die gewünschte Richtung führen. Den Radweg finde ich nicht, aber vielleicht ist er es auch. Eine dunkle Wolke gefällt mir nicht, aber sie wird sich nicht entfalten. Wieder falsch. Korrigieren. Gas geben. Ich suche Vantaa.
                                              Wieder ein Flussradweg. Ich war also doch falsch mit meiner Straße. Auf groben Sand rutsche ich entlang. Der perfekte Weg für meine Reifen. Das meine ich natürlich ironisch. Ein paar Mal muss ich schieben.





                                              Spaziergänger machen verwundert Platz. Bei jeder Schiebestrecke überholen sie mich wieder. Eine Unterführung, eine Stadt. Der Verkehr ist laut. Es geht wohl immer noch am Fluss weiter, so interpretiere ich die Karte. Ich bin gerade mal 30 kam gefahren. Die Hälfte der Strecke liegt noch vor mir und es ist schon Nachmittag. Das klappt wohl nicht mit mir und Finnland. Weiter, weiter, am Fluss entlang. Junge Leute gehen spazieren, aber ich traue mich nicht, zu fragen. Auf der anderen Seite ein Junge mit dem Rad. Wenn das so weitergeht, will ich nach Hause.

                                              Ich biege auf Verdacht links ab. Die Schilder verstehe ich nicht.





                                              Aha. Ich bin laut Navi in Vantaa. So geht das nicht.

                                              Ich gehe im Navi auf FIND und geben den nächsten Ort ein, Kerava. Langsam kommt Licht ins Dunkel. Jetzt, wo ich die Richtung weiß, sehe ich auch die markierten Routen der Karte. Von der Ideallinie ist das gar nicht weit entfernt. Es geht nun mitten durch den Ort, immer die Hauptstraße entlang. Eine Frau auf dem Beifahrersitz eines Autos fragt an einer Ampel etwas auf Finnisch. Ich antworte „no finnish“. Sie sagt was mit Outdoor, und ich verstehe sie nicht. Erst später fällt mir ein, dass sie wohl einen Outdoorshop sucht. Sorry, keine Ahnung. Ich war hier noch nicht.

                                              Die Straße ist laut. Das kaschieren auch nicht Töpfe mit lila Blumen auf dem Mittelstreifen der Abzweigung. Friedhofsblumen, würde meine Tante sagen. Aber dafür ist das Fahren auf den Radwegen schneller als auf den Sandwegen. Das wissen auch die sportlichen Radler. Sie ballern durch Fußgängergruppen hindurch, als kämen sie aus Hamburg. Ich begreife: Kein lokales Problem, sondern ein Problem der Städte. Ich vermute mal, das hier ist Berufsverkehr. Allerdings stört es mich nicht so, wie zu Hause. Im Gegensatz zu meinem Stadtteil ist es hier fast menschenleer und die Straßen sind breiter.
                                              Ein Tandem kommt mir in einer Kurve mit ungefähr 25 Sachen entgegen, der Vater schaut auf den Weg wie ein Rennfahrer. Der Sohn ist geschätzt 8 Jahre alt und sitzt hinten, er blättert in seinem Smartphone. Urvertrauen nennt man das wohl.
                                              Links ist nun die bessere Strecke, ich hätte einem schnellen Radler in schwarz folgen sollen. An jedem Bordstein bremse ich etwas herunter. Im Winter waren die schon ätzend stufig und im Sommer sind sie es auch.

                                              Die Zahl der Radler wird jetzt immer weniger. Ich entferne mich aus dem Einzugsbereich Helsinki. Ein Wohngebiet, ich verliere den Radweg. Eine Ausschilderung der Via Finlandia suche ich vergebens. Ich hätte eigentlich nur parallel fahren müssen, aber so sah es nicht aus. Noch weiß ich nicht, dass Finnland Radwegland ist. Ich lästere: Schilder braucht man hier wohl nicht. Es gibt ja nur 5,4 Mio Finnen. Da spricht sich das halt rum. Nun, heute wüsste ich das auch. Ich fahre aus Protest ein Stück Straße. Auch mal nett, nicht immer an den Fußgängerüberwegen der Seitenstraßen warten und schauen zu müssen, sondern Vorfahrt zu haben.

                                              In Kerava befindet sich an der Strecke ein McDonalds. Ich habe seit heute morgen nichts gegessen. Ich fahre zum McDrive, aber der Lautsprecher geht nicht. Also fahre ich zum Ausgabeschalter. „Der Lautsprecher geht nicht“. „Ja, das ist hier nur für Autos.“ Mein Hirn schaltet auf Kampfbereitschaft. „Und ich bin mit dem Rad da. Mit Gepäck. Wo soll ich das lassen? Wegwerfen?“. Sie bedient mich sofort. Hamburger und Cheeseburger sind wundervoll warm und schmecken so klebrig mies, wie erwartet. Habe ich das früher mal gemocht? Aber meinem Körper gefällt die Nahrungszufuhr. Die Laune wird wieder besser.
                                              Flott fahre ich Landstraße entlang. Und spüre Muskeln, die ich nicht kenne. Ich komme mir vor, wie ein toter Frosch. Die Muskeln zittern ohne mein Zutun. Selbst Schieben tut nun weh. Es lebe das Flachland.

                                              Wieder gibt es eine nichtausgeschilderte Nebenroute, die ich nicht gleich finde. Erst als ich parallel ein paar Radfahrer sehe, biege ich auf sie ein. Am Anfang der Route steht in Ainola das ehemalige Haus von Jean Sibelius, heute ein Museum. Aber das weiß ich da noch nicht, ich habe den Text nicht gelesen. Schade. Dafür wird es nun idyllisch.





                                              Ein großer Park, ich bin in Järvenpää. Hoffentlich ist der Campingplatz auf der anderen Seite des Sees geöffnet, nachgeschaut habe ich nicht. Wildcampstellen sind hier rar, das sehe ich gleich. Was diese abgeschnittenen Bäume wohl bedeuten?





                                              Ein Supermarkt. Ich fahre vorbei und bin dann so klug, zu bremsen. Banane, Yoghurt und Wasser. Das sollte bis morgen früh reichen. Eine Frau hilft: Kivennäisvesi (Mineralwasser). Das Wort hatte ich wieder vergessen. Eine Abzweigung zum Campingplatz. Ja. Zur Not könnte man hier wohl im Gebüsch wildcampen. Aber will man das? Ein großes Feld, fast britisch. Ein paar Wohnmobile. Der Platz ist anscheinend geöffnet.

                                              Eine Rezeption suche ich vergebens und fahre zurück zum Restaurant. Aha, die scheint wohl hier irgendwo zu sein. Ich frage einen jungen Mann, aber er zuckt die Schultern. Englisch kann er anscheinend auch nicht. Eine ältere Frau winkt mich herbei. Sie ist neugierig. Helsinki – Vaasa. Das ist sehr, sehr weit. Was die nur haben. Finnen fahren wohl kein Fahrrad. Die Anmeldung ist oben im Café.

                                              Ich finde einen jungen Mann vor, und er ist ein wenig aufgeregt. Ist es das Campen? Meine eindrucksvolle Erscheinung mit Sicherheitsweste und Helm? Oder das Englisch?

                                              Und nun spielt sich der denkwürdige Dialog ab, den ich am Anfang zitiert habe. „Ich habe die Bücher von Aarto Paasilinna gelesen“, nicke ich auf seine Antwort „In Finnland ist alles möglich“, aber die kennt er anscheinend nicht.
                                              Ich schnappe mir wieder das Rad und der junge Mann von eben spricht mich fröhlich und ein wenig stolz auf Deutsch an. Er ist anscheinend frisch verliebt und mit seiner finnischen Freundin das erste Mal in Finnland. Seine Augen strahlen. Auch sie spricht deutsch, sie leben in Bremen.

                                              Ich befreie mich von Rucksack und gelber Weste und werde sofort ein Opfer der Fliegen. Ich platziere die Weste ein wenig abseits, gegen die Stechmücken hilft das leider nicht, die gleich meine Beine zerfressen wollen. Sie haben auf mich gewartet. Ein paar hauchen bald ihr Leben aus, als sie es wagen, mein Zelt zu betreten, es wird Herbst, sie sind nicht mehr in Form.





                                              Das Zelt ist schnell aufgebaut und kaum steht es, ist es schon klitschnass von Kondens. Das nasse Gras. Der See.
                                              Schülergruppen stehen auf den weiten Wiesen. Man könnte meinen, sie spielen Kricket.

                                              Ich dusche heiß und lang und meinen neuen Muskeln geht es besser. Ich rufe meine Arbeitskollegin zurück, ein Fehler. Schon rege ich mich wieder auf. Am nächsten Tag löst sich das Problem zum Glück. Zum Abendessen gibt es Joghurt und Banane. Ein Wasserflugzeug startet und entschwindet über den See. Der Nachbar kommt zurück, mein Fahrrad parkt an seinem Stromkasten, ob ihn das wundert, weiß ich nicht. Er redet mit anderen Finnen, aber das stört mich nicht. Schlagartig wird es dunkel. Bald fallen mir die Augen zu.

                                              In der Nacht friere ich in meinem Kufa fürchterlich und packe den Daunenschlafsack aus. Er riecht nach Brühwürfelnahrung. Egal. Frieren ist schlimmer.
                                              Zuletzt geändert von Torres; 21.09.2015, 14:55.
                                              Oha.
                                              (Norddeutsche Panikattacke)

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                                              • Torres
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                                                Liebt das Forum
                                                • 16.08.2008
                                                • 31757
                                                • Privat


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                                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                01.09.2015 Lempivaara (Riihimäki). 50,7 km

                                                Jean Sibelius wird am 8. Dezember 1865 als Johan Julius Christian Sibelius in Hämeenlinna geboren. Sein Vater ist schwedischsprachig, sein familiäres Umfeld besteht aus Beamten und Offizieren. Später nennt er sich Jean, als er die französischen Visitenkarten seines verstorbenen Onkels nutzt. Er studiert in Helsinki und in Deutschland und unterrichtet in wirtschaftlich abgesicherter Stellung am Musikinstitut in Helsinki.
                                                In den 1890er Jahren erwacht sein Interesse für das Finnische im Zuge des aufkeimenden Nationalismus im russisch besetzten Finnland. Als Antwort auf die Russifizierungspolitik des Zaren Alexander des III. in Finnland schreibt er 1899 eine sinfonische Dichtung, deren letzter Satz unter dem Namen „Finlandia“ berühmt wird. Er stirbt 1957 in Järvenpää. Im Jahre 2015 hätte er seinen 150. Geburtstag gefeiert, ein Anlass, der in Finnland das ganze Jahr über mit Veranstaltungen gefeiert wird. Er ist der berühmteste und bedeutendste Komponist Finnlands.

                                                https://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Sibelius



                                                Um 6.30 Uhr bn ich wach. Es herrscht Nebel und alles ist klitschnass.








                                                Bis ich startbereit bin, ist es kurz vor neun. Das Innenzelt packe ich getrennt ein. In der Ferne sehe ich das Wasserflugzeug.





                                                Eine Gruppe finnischer Teenies sitzt vor den Sanis und lacht gekünstelt zwischen Unsicherheit und Smartphoneaktivität. Da wächst eine international gleichgeschaltete Generation auf. Nur die Sprache trennt noch.

                                                Das Restaurant. Hübsch ist es hier, wenn man ausgeschlafen ist.








                                                Im Wäldchen daneben stehen weiße und braune Schafe. Es ist wenig Verkehr, es ist ja noch früh. Am Supermarkt kaufe ich finnische Roggenbrötchen, Avocado und Käse als Wegzehrung. Der gutgelaunte junge Mann verstummt, als ich nicht reagiere. Hört er nicht den Akzent? Mit drei Litern Wasser bin ich jetzt auch gut gerüstet.
                                                Ich überlege, ob ich nach Ainola zum Sibelius-Museum zurückfahre, aber viel wird es um diese Zeit nicht zu sehen geben. So rolle ich über den Marktplatz und erkenne langsam die Logik der Radwege: Man sucht sie auf der Karte. Schilder gibt es nicht. Nun finde ich auch die Abzweigungen, indem ich sie mit dem Navi abgleiche. Man muss erst ein Gefühl für die Kartengröße entwickeln, um die Wege zu finden. Es geht an der Schule rechts.
                                                Ein Schüler mit einem Motorrad, das wie ein Düsentriebwerk klingt, fährt schwungvoll zu den Schulparkplätzen. Meine Ohren heulen vor Schmerz. Dann folgen ruhige Seitenstraßen. Ein unbefestigter Weg. Ein Mann kickt unentwegt Steinchen in die Blumen. Ich hänge meinen Gedanken nach. In Finnland ist alles möglich. Die ganze Zeit denke ich über den Satz nach. Kein Wunder, dass sich keiner gewundert hat, als da so ein Idiot im Januar mit einem gelben Fahrrad auftauchte. In Finnland ist alles möglich. Das ist es. Skiwegweiser.





                                                Ich biege ab. Schön ist es hier und ruhig. Eine wenig befahrene Landstraße. In der Nähe gibt es wohl einen McDonalds. Man sieht es am Straßenrand. Die Sonne scheint. Felder breiten sich aus. Der offizielle Weg führt über eine Stadt, aber ich wende und biege in eine Abkürzung ein, sie erscheint mir ruhiger. An der Gabelung steht ein langhaariger 60+ mit seinem Fahrrad, anscheinend repariert er es. Als ich das zweite Mal vorbeikomme, fragt er, wo ich hin will. „Vaasa“, sage ich und es klingt wie Vase. „Vaasa“, sagt er und es klingt wie Woassa. Aha, so spricht man das also aus. Kurz darauf wieder ein Stückchen Wald.





                                                Auch Fußgänger finden sich an den Straßen.





                                                Ein Mann kommt mir nickend zu Fuß entgegen. Er wirkt unheimlich. Vermutlich krank. Oder Drogen.





                                                Nun folgen wieder Radwege an einer lauten Straße. Ab und zu sieht man die Züge von und nach Rovaniemi.





                                                Der nächste Ort. Es ist schwül, dennoch ist mir auch kalt. Die Sonne ist hinter Wolken verschwunden. Ein elektrischer Rasenmäher in Radwegbreite kommt mir auf dem Radweg entgegen. Der gleiche Killerblick wie bei den Schneepflugfahrern. Schnell weiche ich aus. Die Damen und Herren kenne ich schon. Die Brücke über die Eisenbahn. Ein Pferd starrt mich an. In der Ferne sieht man Rauch.





                                                In einer Seitenstraße mache ich Frühstückspause. Es gibt Avocado auf Brot. Das Fahrrad lehnt an einer Laterne. Ich setze mich auf einen Stein und mir ist lausig kalt. Die Hitze von gestern hat einen verwöhnt. Erstaunlicherweise ist hier ständig etwas los. Leute gehen vorbei, Autos kommen, ein Mofa röhrt. Ich fühle mich dennoch alleine, bis fast direkt hinter mir der Bewohner die Blumen gießt. Ein merkwürdiges Land. Weiter. Mir ist jetzt doppelt so kalt.





                                                Die Radwege führen jetzt an der Landstraße entlang und es geht immer auf und ab. Wenn nur die Autos und LKW nicht wären, wäre es hier richtig schön. Finnland, wie man es von der Bahn aus sieht. Die Bahn fährt immer noch parallel.





                                                Ich bin kurz vor Hyvinkää. Unter einer Brücke geht es rechts. Doch irgendwie finde ich die Abzweigung nicht, und so schiebe ich die Brücke hoch. Ich quere die Hauptstraße und sehe an den Laternenpfählen Schilder hängen. Es geht um Sibelius und seine Frau. Eine Ausstellung, schätze ich. Das interessiert mich jetzt aber weniger. Ich will Ruhe, ich suche den Park.


                                                Den finde ich zu meinem Erstaunen tatsächlich und hier ist sogar der Radweg ausgeschildert.





                                                Die Natur entspannt mich innerhalb von Minuten. Schön ist es hier. Mit tiefen Zügen atme ich den Waldgeruch ein. Ein bisschen bestätigt das meine Theorie: Die schönste Natur gibt es in der Nähe der Städte. Hier setzt man sich ein dafür.











                                                Pyöraillen Suomessa, finnischer Radweg, klebt an den Schildern. Durch die Bäume schimmert ein Luxushotel. Kastenförmig. Hässlich. Ich denke sofort an Korpilampi bei Serena und träume von einem Bett und dem Besuch einer Sauna. Soll ich fragen? Ich habe ein Tief. Tapfer schiebe ich weiter.





                                                Hier darf man zelten. Dann lieber das. Ich radele weiter. Die Wegweiser sind wieder weg, und ich verfahre mich. Es geht gerade so schön bergab und so merke ich das nicht. Und gerade als es kritisch wird, geht mein Navi aus. Ist der Powerakku kaputt? Tot, töter, am tötesten? So ein Mist. Ich krame die Batterien heraus. Mit Hilfe der Batterien orte ich mich und weiß jetzt, wo ich bin. Was tun? Weiter? Zelten? Ich kann mich nicht entscheiden. Ich weiß nur, ich bin plötzlich so müde.
                                                Ich fahre erst einmal weiter, dann wieder zurück und dann finde ich tatsächlich einen guten Platz für das Zelt. Aufbauen will ich es noch nicht, es ist gerade mal Mittag. So lege ich mich auf meinen Poncho.

                                                Kaum mache ich die Augen zu, wimmelt es überall von Spaziergängern. Sie sehen mich nicht und interessieren sich auch nicht für mich, aber ich sehe sie und wundere mich, wie lautlos sie sind. Großstädter im Wald hört man auf Meilen, wie ich finde. Als es ein wenig ruhiger wird, fängt es über mir an zu meckern. Ein Sonstwashörnchen hüpft herum und will mich ärgern. Es hat irgendwelche Pflanzenteile im Maul und wirft sie auf mich herunter. Ich weiß genau, es lacht mich aus. Ich dagegen kann es kaum sehen. Mecker, zeter, mecker. Wie ein kleines Äffchen. Der Kopf tut mir weh. So kann ich nicht schlafen. Der Wald ist außerdem feucht und schnell wird mir wieder kalt. Meine Nieren sind zu spüren. Das ist nicht gesund. Die Sache deprimiert mich. Hier hole ich mir den Tod. Und besonderns abwechslungsreich ist es hier auch nicht. Bäume und Laub. Ich bin wohl nicht so der Typ fürs Wildcampen. Ich merke, ich will fahren. Es ist jetzt um halb zwei.

                                                Ich hole den Reserveakku heraus und stelle die Daten ein. Das Navi zeigt nun wieder meine Position an. Ich fahre noch ein paar nette Pfade und komme an Parkplätzen und Sportanlagen heraus. So beschließe ich, direkt nach Riihimäki zu fahren. Vielleicht finde ich dort ein preiswertes Hotel. Ich möchte gerne einfach nur schlafen, schlafen, schlafen.

                                                Riihimäki ist gar nicht so weit, wie ich dachte und am Ortseingang steht ein großes Schild. Campingplatz Lempivaara 4 km. Ober der wohl offen hat? Ein Zeltplatz. Das wäre es doch.

                                                Ich fahre die Brücke über die Eisenbahn, es riecht betörend nach Holz. Holz? Da war doch was. Harry, geht’s Dir gut?





                                                Die Straße läuft hügelig auf und ab, und ich staune, wie breit hier die Straßen sind. Anscheinend ist hier jede Menge Platz. Ein Waldstück leuchtet im Abendlicht. In der Gegend ist ein Nationalpark. Das weiß ich da aber nicht.

                                                Der Platz sieht gemütlich aus, die Rezeption ist offen. „Wir sind einer der wenigen Plätze, die nach dem 31. August noch offen haben. Alle anderen schließen Ende August“. Gut zu wissen. 17 Euro ohne Scandinavian Key Card, 13 Euro mit. Ich habe keine, am Ende hätte es sich wohl gelohnt.





                                                Ein schöner Platz. Das sehe ich gleich. Ein nettes Restaurant mit fairen Preisen. Schade, dass ich soviel Essen dabei habe. So etwas muss man eigentlich unterstützen.

                                                Ich möchte wegen der Kondensgefahr nicht so nah am Wasser stehen. Der andere Zeltplatz ist an der Straße. Eine korpulente Finnin sitzt auf dem Platz und bewacht die Grillhütte. Diese Hütte, die gehört uns. Ich verstehe ihre Signale. Die Autos sind mir sowieso zu laut. Ich stelle mich an die Fischteiche neben das Trampolin. Doch zuerst muss ich mein Zelt trocknen.





                                                Am Fischteich ist in einer offenen Holzhütte eine Küche, und ich packe den Kocher aus. Ich muss Gewicht umverteilen: Aus der Packtasche auf die Hüfte. Es gibt heute Nudeln mit Avocado. Und als Higlight: Parmesankäse aus dem Aldi. Die 250 gramm Dose aus der Italienwoche. Luxus muss schon sein.





                                                Es ist kühl, aber still, und ich atme tief durch. Wie gut, dass ich am Hotel nicht gefragt habe. Es geht nichts über mein Dragonfly. In diesem Jahr wird es neun Jahre alt. Im Hintergrund raucht der Ofen der Sauna. Dicke alte Männer werden kurz darauf Gäste sein.





                                                Mein Rad schließe ich nun in der Küche an. Ein Mann kommt und fragt auf englisch, ob es mich stört, wenn sie auch kochen. Wo kommt ihr her? Es sind Deutsche aus Bayern. Sie werfen den Grill an, und ich bekomme von ihnen zwei leckere dünne Stückchen Hühnerfleisch. Im Gegenzug erhält er meine Tüte mit finnischer Lakritze. Ich konnte auf der Fähre nicht wiederstehen und musste eine 500 gramm Packung kaufen. Zu meiner Freude isst er die Sorten auf, die ich nicht mochte. Und die ich mochte, kann er nicht leiden. Perfekt. Die beiden sind per Autostopp unterwegs, begonnen haben sie in Oulo. Geschlafen haben sie bei Freunden oder bei den Finnen, die sie mitgenommen haben. Hier haben sie eine Hütte. Sie sind von Finnland begeistert. Nur die Preise für Essen bringen sie ins Grübeln. Mineralwasser 2.65 Euro. Gestern haben sie in dem Teich vor uns eine mehr als ein Kilogramm schwere Forelle gefangen. Das Kilo kostet hier 9 Euro. Ich sehe die Bilder auf dem Smartphone. Für sie war es der erste Fang, so ganz traut sie dem toten Fisch nicht, das sieht man. Er bietet mir an, mir auch eine zu fangen, aber Fisch auf Tour ist gar nicht gut. Es reicht, wenn der Schlafsack nach Brühwürfel riecht. Fischgeruch möchte ich vermeiden.





                                                Als es Abend wird, laufe ich noch ein wenig herum. Auf einer kleinen Insel, die über eine schwankende Holzbrücke zu erreichen ist, steht eine Tafel.





                                                Ein deutsches Auto kommt und mit ihm ein Tatonka und ein Unna.





                                                Die Brücke zur Insel hängt sehr tief und schwankt. Nur mit Mühe komme ich trocken zurück.

                                                Ich ziehe mich in mein Zelt zurück. Monteure – Männer in Lieferwagen, ich nenne sie in Zukunft Monteure, auch wenn es vielleicht Ingenieure oder Waldarbeiter sind – rasen mit ihren Transportern auf den Platz. Drei oder vier Wagen sind es. Drei Minuten später brennt an der jeweiligen Hütte am Grill das Feuer. Feierabend auf Finnisch. Kurz darauf gehen sie schlafen.





                                                Morgen soll das Wetter schlecht sein. Vielleicht den ganzen Tag regnen. Dann würde ich wohl bleiben. Die Deutschen haben morgen Besuch. Sie fragen mich, ob ich bleibe. Ich weiß es noch nicht, aber ich glaube es nicht. Wenn es nicht regnet, dann nicht. Der Abend war schön heute. Das soll man nicht verderben.
                                                Zuletzt geändert von Torres; 15.12.2015, 21:55.
                                                Oha.
                                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                • Werner Hohn
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                                                  Liebt das Forum
                                                  • 05.08.2005
                                                  • 10870
                                                  • Privat


                                                  #25
                                                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                  Ich sehe, du bist mit dem "Unser SL Road Pro ist ein sportliches Speedbike für gehobene Ansprüche." (O-Ton Cube) unterwegs gewesen. Wäre dein Reiserad für solche Touren nicht das bessere Rad?
                                                  .

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                                                    Liebt das Forum
                                                    • 16.08.2008
                                                    • 31757
                                                    • Privat


                                                    #26
                                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                    Zitat von Werner Hohn Beitrag anzeigen
                                                    Ich sehe, du bist mit dem "Unser SL Road Pro ist ein sportliches Speedbike für gehobene Ansprüche." (O-Ton Cube) unterwegs gewesen. Wäre dein Reiserad für solche Touren nicht das bessere Rad?
                                                    Ich habe die Entscheidung bewusst getroffen, und sie war richtig. Ich komme mit diesem Rad besser die Steigungen hoch und der Rollwiderstand der Reifen ist bedeutend geringer, was auf dem groben Asphalt kein Nachteil war. Die Scheibenbremsen waren auch nicht zu verachten. Testweise hatte ich mein Reiserad die Woche vorher noch einmal gefahren und dachte, ich hätte keine Bremsen und käme nicht voran. Ich habe eigentlich nur den Hauptständer vermisst.

                                                    Bedenken hatte ich zuerst wegen des Gewichts, da die Zuladung aufgrund der Tatsache, dass ich kein schmaler Hänfling bin, bei einem derartigen Rad nicht so hoch sein sollte. Aber mit der Gepäckverteilung vorne und hinten hat das gut geklappt. Die Packtaschen wirken durch die gelben Regenabdeckungen kompakter als sie sind. Jede Packtasche wog insgesamt um die 2,5 kg. Das Zelt vorne mit Kameratasche 3 kg. Die Tasche am Sattel ca. 3 kg (mit jeder Mahlzeit wurde das dann auch leichter). Schwer waren nur die Kameras, die Elektronik, das Flickzeug, das Wasser und ich .
                                                    Oha.
                                                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                    • Pielinen
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                                                      • 29.08.2009
                                                      • 1356
                                                      • Privat


                                                      #27
                                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                      Ach wie schön, da war ich als kleiner Bub öfters baden...

                                                      Zuletzt geändert von Pielinen; 22.09.2015, 12:41.
                                                      Wer nichts weiß muss alles glauben...

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                                                        Liebt das Forum
                                                        • 16.08.2008
                                                        • 31757
                                                        • Privat


                                                        #28
                                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                        Du meinst auf der Insel Mustikkamaa? Da hätte ich vielleicht doch auf der Rückreise nicht umkehren sollen. Aber ich will nicht vorgreifen.
                                                        Oha.
                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                          Liebt das Forum
                                                          • 16.08.2008
                                                          • 31757
                                                          • Privat


                                                          #29
                                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                          02.09.2015 Aulanko Nationalpark (Hämeenlinna). 58,7 km

                                                          Um sechs werde ich wach. Der Himmel ist bewölkt, und ich packe umgehend. Es wirkt, als käme die Sonne raus, als ich fertig bin. Mein rechtes Ohr macht leise plopp und schaltet sich kurz aus. Der nächste Hörsturz? Ich zwinge mich, meine Bewegungen zu verlangsamen. Der Tag ist lang. Ich habe viel Zeit. Ich bin in Urlaub. Die Transporter von gestern rasen wieder fast gleichzeitig vom Platz.

                                                          Ich zwinge mich dazu, zu frühstücken. Gegen acht bringe ich die Zeltmarke zurück. Die Straße ist leer.





                                                          Die Bäume von gestern sind nicht mehr so imposant. Aber der Platz strahlt in der Sonne. In den Straßen sieht man den Herbst kommen. Sie sind sehr breit. Es gibt viel Platz hier.

                                                          Riihimäki beschreibt mein Begleitheft als Eisenbahnstadt. Schon seit 1870 war es ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt mit Verbindungen nach St. Petersburg und zwischen Helsinki und Tampere. Auf jeden Fall wirkt es anders als die anderen Städte und gefällt mir. Weitläufig. Freundlich. Blätter tanzen in den Straßen. Wo es nass ist, sind sie rutschig. Selbst die Nebenstraßen sind ungewohnt breit und es gibt kaum parkende Autos. Für den gequälten Großstädter eine Idylle. Hier kann man vierspurig fahren.





                                                          Die Kinder radeln zur Schule. Eine Frau gräbt an einem Grasstück herum. Vielleicht sucht sie Hasenfutter. Am Weg liegen ein Glas- und ein Jagdmuseum. Eine Traktorenausstellung mit Festzelt ist zu sehen. Ein VW Käfer blubbert an mir vorbei. Das waren noch schöne Töne, nicht so technisch wie die heutigen Motoren. Er gehört einer Mutter mit zwei Kindern.





                                                          Ich verirre mich wieder kurz, dann bin ich richtig. Im Navi sieht es aus, als wäre ich auf der Autobahn. Das stimmt, aber sie ist nicht zu sehen ist. An die perfekte Untertunnelung des Auto- und Radverkehrs in einigen Gegenden und die separate Radwegführung muss ich mich noch gewöhnen. In Deutschland gibt es das nicht. Das erinnert fast an Holland. In einem Waldstück riecht es betörend nach frischen Holz. Eine Frau führt nervös ihren Hund spazieren. Vermutlich muss sie gleich arbeiten gehen.


                                                          Es beginnt jetzt eine schöne Strecke auf der Straße.





                                                          Für lina.





                                                          Verstreut stehen kleine Häuser, Höfe oder Scheunen. An den Häusern Holzfällarbeiten. Man bereitet sich auf den Winter vor. Die Gegend ist landwirtschaftlich geprägt. Hell leuchtet das Getreide in einem unbeschreibbaren, gelbockerorange Ton, der sich je nach Sonneneinstrahlung ändert. Ich kann mich nicht satt sehen.











                                                          An einem Häuschen gibt man sein Rad ab. Vielleicht die Zufahrt zu einer Schule. Ich weiß es nicht. Manchmal scheint es, als käme die Sonne heraus. Aber wenn, ist das nur ganz kurz.
                                                          Stärkere Steigungen gibt es nun auch. Noch nehme ich sie ganz gut. Das wird sich noch ändern.





                                                          Ein Teil der Straßen ist rissig und abschüssig, und ich denke noch einmal an meine Wintertour. Was zur Hölle wollte ich im Winter in Finnland? Auf diesen Straßen? Hier passen ja keine zwei Autos vorbei, vor allem nicht, wenn hier noch Schnee liegt. Ein Transporter kommt mir entgegen, die Straße ist so schief, dass er mittig fahren muss, und ich weiche an den Randstreifen aus. Derartige Begegnungen im Winter, wenn sich der geräumte Schnee an den Seiten türmt? Andererseits war es schon eine coole Aktion, das muss ich schon sagen.

                                                          Leider tragen Wind und Hügel den Schall der Autobahn weit in das Land. An manchen Stelle ist es vermutlich lauter, als direkt nebenan. Das stört mich. Es hindert einen, sich völlig in die Landschaft zu versenken. So schön die Verkehrsanbindung für die Einwohner auch ist. Es kommt mir vor, als säßen die Finnen den ganzen Tag im Auto. So viele Leute leben hier doch nicht.

                                                          Einer der vielen Ameisenhaufen am Wegesrand. Ein Waldkindergarten ist nicht weit. Alle tragen Sicherheitswesten, damit sie sich nicht verlieren.





                                                          Ich bin jetzt in Tervakoski. Mal wieder verirre ich mich in einem Geflecht von Rad- und Wanderwegen und eine Schlossanhöhe finde ich auch nicht. Dafür eine Reihe geduckt wirkender, baugleicher Häuser. Sie kommen mir untypisch vor. In der Nähe ist ein Sportplatz mit trainierenden Speerwerferinnen.





                                                          Auf einen Platz ein Denkmal. Die Blumen werden gerade gepflegt.





                                                          Eine Kirche.





                                                          Es sind kaum Menschen zu sehen. Und es ist feucht und kalt. Von trostlos möchte ich nicht sprechen, aber bei Sonne sähe es hier anders aus. Ich überlege, noch etwas zu essen zu kaufen, fahre dann aber weiter. Das hat auch schon bessere Zeiten gesehen.





                                                          Eine Kuh glotzt mich an. Im Hintergrund das Rauschen der Autobahn. In einer kleinen Siedlung finde ich eine Bank und setze mich hin. Eine Tanksäule leuchtet im Gebüsch. In Finnland ist alles möglich.





                                                          Hinter der Bank lehnen zwei weitere Fahrräder. Vermutlich ist das hier der Dorfplatz und der Schulbus lädt die Kinder ein. Die Briefkästen stehen hier auch.





                                                          Ich esse eine Kleinigkeit und radele bald weiter. Besser: Ich radwandere. Ich muss mal wieder schieben.
                                                          Die Straße ist wenig befahren, und ich bewundere die kleinen Häuschen in den Einfahrten. Die meisten verbergen die Mülltonnen. Einige die Briefkästen. Aber eines dieser winzigen Gebäude steht auf einem Podest. Es führt eine Treppe zur Tür hinauf. Ein Rätsel. Wenn dort Mülltonnen stehen, ist das doch unpraktisch. Vielleicht ein Häuschen für die Pakete von Zalando?

                                                          Ein Schmuckstück im Garten. Oldtimer, vor allem deutsche und amerikanische, werde ich in Finnland viele sehen.





                                                          Die Wege sind gesäumt von Heidekraut und Preiselbeeren. Ich vermute zumindest, dass es welche sind.





                                                          Und während ich so fahre, denke ich, dass Finnland eigentlich ziemlich wenig abwechlungsreich ist. Wald, Felder, vereinzelt Häuser, immer hoch und runter. Kilometerweit. Eine Fläche so groß wie Deutschland. Die meisten Menschen leben im Süden. Eigentlich kein Wunder, dass Mikko Mäkipää gerne Scenic Tours auf den Rennen des Transcontinental Race fährt. Wenn er tagtäglich hier radelt, muss Mittel- und Südeuropa ein Feuerwerk visueller Eindrücke sein. An einem Haus wieder Holzfällarbeiten.





                                                          Ich überquere die Autobahn. Tampere-Helsinki. Wie breit sie ist. Vor allem der Mittelstreifen. Vielleicht ist das ja für den Schnee? Ich werde sie an dem Tag noch mehrfach kreuzen.





                                                          Immer häufiger muss ich schieben.





                                                          Ich keuche entnervt einen Hügel hinan. Radwandern. Wie ich das hasse. Als ich keine Lust mehr habe und überlege, ob ich das Fahrrad ins Gebüsch werfe und trampe, finde ich eine kleine Quelle. Die Laurin Quelle. Die Beschreibung ist leider auf finnisch.



                                                          Ich lasse mich nieder. Diese Schieberei raubt mir den letzten Nerv. Ich bin für so einen Quatsch zu alt. Das nächste Mal fahre ich mit dem Auto herum. Wie sagte Werner Hohn sinngemäß so schön: Erst wird das Fahrrad leichter (in der Phase bin ich jetzt), dann das Gepäck (in der Phase bin ich noch nicht) und dann hört man irgendwann auf. Ich sollte das einfach mal abkürzen. Das wird jetzt der letzte Reisebericht. Man muss sich beim Altern nicht zusehen lassen. Sollen anderen doch die Helden spielen. Leute, die 120 km am Tag die Berge hoch- und runterfahren. Und für eine Tour extra trainieren. Für sowas habe ich keine Zeit.

                                                          Ich denke mich richtig in Rage. Und was ist das eigentlich für ein Werkzeug? Kann man aus der Quelle trinken? Ich traue mich das nicht.





                                                          Ein gammliger Pilz gammelt herum und einen Wanderweg gibt es auch. Ich esse erst einmal ein Brötchen. Dann schiebe ich weiter. Das Laurinmäen museoalue. Das Haus sieht geöffnet aus, aber mir ist kalt. Zwei Jugendliche schieben einen altertümlichen Wagen. Ein dem ehemaligen, hellblauen Berlinshuttlemobil baugleiches Gefährt steht im Wald auf einem Parkplatz.


                                                          Ein Kriegsdenkmal und ein Friedhof. Dann folgt die Kapelle. Sie liegt oben auf der Anhöhe. Pyhän Laurin Kikko.





                                                          Geöffnet ist sie leider nicht. Ich frage einen Mann. Möglicherweise eine Beerdigung. Ich höre leise Musik.

                                                          Es geht nun wieder bergab. Das Licht zeigt wieder seine Streifen. Das ist es, was ich in Finnland so liebe. Das besondere Licht.





                                                          Und auch für Individualität ist Raum.





                                                          Gerne pflanzt man hier gelbe Blumen. Sieht auch wirklich wundervoll aus.





                                                          Unter einem Apfelbaum steht ein Korb. Die Äpfel fallen natürlich daneben. Wieso mache ich heute so viele Fotos? Ganz einfach: Ich muss immer mal wieder schieben. Zwar nur das letzte Stück vor der Kuppe. Aber immerhin.





                                                          Finnisch für Anfänger? Man weiß ja nie.





                                                          Endlich geht es wieder den Hügel hinunter. Ein Briefkasten im Löwendesign. Eine geschmacklose Villa mit riesigen Figuren am Tor. Adler und Göttinnen. Ich bin zu schnell. Dafür halte ich nicht an.

                                                          Ein paar lustige Bäume.





                                                          Und wieder dieses unglaubliche gelb auf einem Stoppelfeld.





                                                          Auf dem Radweg hat jemand seinen Expander verloren. Hämeenlinna ist nicht mehr weit. Man sieht es an den Radwegen und den Unterführungen. Es gibt sogar Radwegschilder. Dafür muss man jetzt auf Jugendliche achten, die wohl gerade aus der Schule kommen. Sie fahren, ohne auf andere Radler zu achten, einfach ihren Weg.
                                                          Die Radwegführung geht jetzt um den See herum und man blickt auf Hämeenlinna. Das Panorama am See ist jedoch scheußlich. Hässliche Häuser. Beton. Keine Sonne spendet Milde und Schein. So versuche ich es mit dieser Perspektive.





                                                          Der Promenadenradweg ist ebenfalls betoniert. Hier soll ein Schwimmbad sein, aber alles ist grau in grau. Der Verkehr ist laut und der Ort wirkt heute abweisend. Ich fahre auf eine der Brücken zu. Passend genau in der Unterführung gibt der zweite Akku auch noch den Geist auf. Ich bin konsterniert. Das darf doch nicht wahr sein. Zwei auf einmal. Das gibt es nicht. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich schon, einen Elektroladen zu suchen, um einen neuen Akku zu kaufen. Ich bin begeistert. Jetzt oder später? In der Nähe gibt es einen Campingplatz. Ich entscheide mich für später und stecke die Eneloops ins Navi ein.

                                                          Die Burg liegt vor mir. Nass und kalt. Ich holpere über das Kopfsteinpflaster. Als ich dann diesen Lichtblick sehe, wird mir wieder warm. In Finnland ist alles möglich.





                                                          Ich folge der Karte Richtung Aulanko Nationalpark durch ein Waldstückchen am See entlang. Wegweiser gibt es auch.





                                                          Dennoch traue ich der Sache nicht ganz, denn das Navi kennt keine Brücke über den See. Ich frage einen Finnin und sie erklärt den Weg. Ich begreife sofort, obwohl sie kaum Englisch spricht. Es geht eine Eisenbahnbrücke entlang. Der Weg ist nur für Radfahrer und Fußgänger.





                                                          An der Brücke ist eine Baustelle, aber das ist kein Problem. Auf der anderen Seite liegen Boote.





                                                          Ein Radfahrer will auf die Brücke fahren, hält aber an und fragt mich, was ich vorhabe. Unter der Brücke kommt ein Eichhörnchen hervor, und ich frage ihn, wie das Tier heißt. Lumikko, sagt er. Im Winter werden die weiß. Ich bin mir nicht sicher, ob er sich wirklich auskennt und R. wird später sagen, dass Lumikko ein Wiesel und kein Eichhörnchen ist. So etwas habe ich mir schon gedacht. Egal. Lumikko ist ein guter Begriff für diese Frechdachse. Ich präge ihn mir ins Gedächtnis ein. Jeden Tag ein neues Wort. Eichhörnchen heißt übrigens Orava. Das Wort gefällt mir nicht so gut. Der Mann sagt, der Campinglatz sei auf, er sei eben vorbeigefahren. Das beruhigt mich sehr.

                                                          Ich fahre den Radweg weiter und komme an einen Kongresszentrum raus. Kahl ragt die kalte Architektur aus der Natur heraus. Am Kiosk riecht es nach Essen, und ich merke, dass ich hungrig bin.

                                                          Ich fahre auf dem Radweg der Landstraße entlang, wieder ist lauter Verkehr. Bald sehe ich ein Schild vom Campinglatz, aber mein Navi sagt, ich müsse noch weiterfahren. Müde wie ich bin, fahre ich einfach weiter, aber das Schild stimmte. Hätte man sich eigentlich denken können. Auf der Fahrbahn rase ich zurück und pfeife auf die Radwegpflicht. Kurz darauf bin ich nach einer kleinen Schiebestrecke an der Rezeption. Geöffnet von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr. Es ist 15.00 Uhr. Und keiner da.

                                                          Ich nehme den Rucksack ab und werfe ihn auf einen der Tische. Und setze mich. Ein Mann lädt seinen Lieferwagen aus, es ist wohl der Gastronom des Restaurants dahinter. Die Dame käme in einer halben Stunde. Okay. Eine Gruppe von Finninen strebt dem Restaurant zu. Sieht nach Kaffeeklatsch aus.
                                                          Nach zwanzig Minuten ist mir so eiskalt, dass ich mir vermutlich gleich eine dicke Erkältung hole. Ich rufe die Nummer an, die an der Tür steht. Anscheinend führt sie zur Zentrale. Die Frau am Telefon betreut drei Campingplätze, und ich sage ihr, wo ich bin. Sie meint, ich solle an einer anderen Tür schauen. Geschlossen. Sie ruft die Dame an, sagt sie.

                                                          Zwei Minuten später steht eine freundliche Frau vor der Tür. Sie war beim Lunch. Sehr originelle Erklärung. Ich glaube ihr kein Wort. Um diese Zeit machen Finnen keinen Lunch mehr. Sie checkt mich freundlich und effektiv ein. 20,00 Euro soll der Spaß kosten. Das ist der höchste Preis bisher. Ich zahle für eine Nacht. Eigentlich hatte ich für morgen einen Ruhetag geplant, aber das gucke ich mir mal in Ruhe an. Ich kann mich hier vorne entweder an den Hang stellen oder da hinter direkt an das Wasser. Da vorne sind die Sanis.

                                                          Ich schiebe das Rad den steilen Weg hinunter und stelle es zu den Sanis, fest entschlossen, dort das Zelt aufzubauen. Kurze Wege sind immer gut. Aber die Atmosphäre gefällt mir gar nicht. Die Gebäude zeugen von Lieblosigkeit. Die erste Dusche ist dreckig und die Tür halb abgerissen, die zweite ist auseinandergebaut. Sie funktioniert nicht. Die Toilette sind zwar halbwegs sauber, aber alles wirkt leicht vernachlässigt und kalt. Ein reiner Sommerplatz. So trostlos habe ich einen Platz selten erlebt. Nur die Küche ist gut eingerichtet, aber auch die anderen Räume zeugen nicht gerade von Stil. Verblichener Glanz vergangener Tage. Ich fühle mich einsam. Gestern der Platz war so voller Liebe. Und das hier ist ein Sommer, der gestorben ist.





                                                          Steckmücken umkreisen mich. Eine Finnin, die ich fragen will, ob es mehr Stechmücken hier oben oder am Wasser gibt, versteht weder englisch noch meine Zeichensprache. Auch das noch. „Ssssss“ ist eigentlich nicht schwer. Aber vielleicht heißt das Geräusch in Finnland anders. Im Wald stehen Blockhäuser. Dunkel und finster. Der Platz mag im Sommer wunderschön sein. Ein wenig gruselt er mich. Unter dem Campingplatz eines Nationalparks hätte ich mir etwas anderes vorgestellt. Irgendwie mehr Romantik.

                                                          Ich baue mein Zelt auf der Wiese vor den Sanis auf und überlege es mir dann noch mal anders. Ich glaube, hier oben werde ich nicht froh. Schließlich gehe ich nicht gleich schlafen, es ist doch viel zu früh.

                                                          Ich beschließe, erst einmal die missliche Lage der Duschen zu erörtern. Die Rezeption ist wieder geschlossen, und ich sehe, dass ich meinen Rucksack habe liegen lassen. Das wäre jetzt nicht so gut, wenn er weggekommen wäre. Die große Kamera ist da drin. Glück gehabt.
                                                          Dann laufe ich los, ich weiß ja, wo ich die Frau finde. Tatsächlich balanciert sie die leeren Teller auf dem Tablett durch den Raum. Der Mann von vorhin ist wohl der Chef. Einen Moment ist sie beschämt, aber ich tue so, als würde ich nichts merken. Das kann ich gut. Ja, es gibt noch zweite Sanis. Die sind da und da. Aber die Duschen müssen gehen. Eigentlich ist sie ganz nett. An ihr liegt das ja nicht, höchstens am Chef. Man könnte hier sicherlich gut essen. Ich frage nach. Abendessen gibt es nicht, das Restaurant ist nur mittags geöffnet. In Finnland in dieser Jahreszeit übrigens keine Seltenheit. Ich verlasse das Restaurant über die Terrasse, von hier aus ist der Ausblick grandios.

                                                          Ich suche mir jetzt einen Platz am See aus. Es weht ein frischer Wind. Das Fahrrad in der einen, das zusammengebaute Zelt in der anderen Hand, mache ich mich auf den Weg. Für solche Aktionen hat man Geodäten. Das Wetter ist immer noch trüb. Aber der Anblick von Wasser erfreut mich.





                                                          Das Fahrrad kette ich an einen der Bäume, und als ich mich umdrehe, steht da eine Frau und hat mein Zelt in der Hand. Verdammt, ich habe keine Heringe gesetzt und aufgrund des Windes ist es abgehauen. Noch einmal Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn es ins Wasser gefallen wäre. Ich sage danke.

                                                          In Windeseile packe ich meinen Kocher aus. Ich habe jetzt richtig Hunger. Es wird der Fertigreis mit Cashewnüssen. Basmatireis, wohlgemerkt. Die Nüsse habe ich als Energieration dabei. Ach ja, den Parmesankäse hätte ich fast vergessen. Der gehört natürlich auch dazu.





                                                          Meine Lust, noch nach Hämeenlinna hineinzufahren, um einen Akku zu kaufen, schwindet. Daher telefoniere ich mit der ods hotline (bei ods angemeldete Person, die auch dann helfen kann, wenn sie nicht helfen kann) und klage verzweifelt mein Leid. Sie nutzt das E-Werk anders, sie lädt damit Batterien, die sie ins Navi steckt, sagt aber einen entscheidenden Satz: „Vielleicht sind sie nicht kaputt, sondern haben sich nur entladen“. Da hätte ich natürlich auch drauf kommen können.





                                                          Das Häuschen am Ende der Halbinsel ist die Sauna. Vermutlich ist sie im Preis inbegriffen. Dann wäre der Zeltplatz günstig. Ich überlege, ob ich fragen soll, aber erst einmal will ich duschen. Kurz mache ich die Augen zu. Der Verkehr der benachbarten Straßen rauscht. Hört das heute gar nicht auf?

                                                          Ich gehe zur Dusche und säubere das Bad. Die zweite Dusche funktioniert. Zudem ist das Wasser heiß, das ist doch was. Den dicken Powerakku hänge ich im Bad ans Ladegerät, und wie es sich gehört, fängt er an zu blinken. Er ist also nicht defekt. Das Aufladen könnte die Lösung sein. Durch die Schieberei bin ich einfach nicht schnell genug und das Navi verbraucht mehr Energie, als ich nachladen kann.

                                                          Beim Rückweg stelle ich fest, dass es direkt am See am Hang unter den Sanitärräumen viel ruhiger ist, und ich plane den dritten Umzug. Das Fahrad schließe ich an einen Holzpflock an und merke zu spät, dass er eine Lampe umhüllt. Dafür ist die Aussicht nun grandios.











                                                          Nach einiger Zeit färbt sich der Himmel leicht rosa. Die ersten Nieseltropfen fallen. Ganz rechts im Bild ahnt man die Sauna.








                                                          Ein paar Männer kommen lachend aus der Sauna heraus und springen an der Rückseite ins Wasser. Ihr Gelächter hallt über den See. Ich ziehe derweil meine Zelttür zu. Die Stechmücken habe starke Gelüste. Das muss jetzt heute nicht mehr sein.
                                                          Die Laterne geht an und ist so hell, dass ich wie ein Ertrinkender nach meiner Schlafmaske greife. Zwischendrin hatte es ja schon genieselt und jetzt fängt es zu regnen an. Autos hört man dagegen nicht, wie schön. Bei Regen kann ich gut schlafen. Ich schließe die Augen.
                                                          Unvermittelt setzen Maschinengewehrfeuer und Granatenbeschuss ein. Ratatatata. Pomm. Ratatata. Pomm. Parola. Armeestützpunkt. Gibt es hier eigentlich Flüchtlinge? Wie würden die sich bei diesen Geräuschen fühlen? Ich stopfe also auch noch die Ohrstöpsel ins Ohr und beschließe jetzt endlich zu schlafen.

                                                          Es regnet durch die ganze Nacht.
                                                          Zuletzt geändert von Torres; 23.09.2015, 11:25.
                                                          Oha.
                                                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                            Fuchs
                                                            • 29.08.2009
                                                            • 1356
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                                                            #30
                                                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                            Wunderbare sehr finnische Bilder...
                                                            Wer nichts weiß muss alles glauben...

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                                                            • lina
                                                              Freak

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                                                              • 12.07.2008
                                                              • 43828
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                                                              #31
                                                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                              Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                              Danke!

                                                              und ja, die Preiselbeeren sind Preiselbeeren :-)

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                                                                Erfahren
                                                                • 01.02.2014
                                                                • 303
                                                                • Privat


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                                                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                Hi Torres, und Danke fürs mitnehmen - auch wenn es nicht Nordkarelien ist
                                                                Du kannst so toll beschreiben!

                                                                Den Campingplatz Aulanko in Hämeenlinna habe ich auch wirklich grauenvoll in Erinnerung... Wir waren mit unseren Kindern vor 12-13 Jahren da und wollten in unserem Campingbus übernachten. Wir hatten uns schon angemeldet, sind den Hang runtergefahren und fanden den Platz so lieblos, hässlich, eklig und richtig verdreckt, dass wir gleich wieder umkehrten und rausfuhren - ohne zu bezahlen, versteht sich. Für mich ist er bis heute der ekligste Campingplatz Skandinaviens. Besser scheint der Platz also nicht geworden sein... Tut mir richtig leid für dich. In Nordkarelien wäre so etwas natürlich nicht möglich...

                                                                So, schreib bitte schnell weiter!

                                                                Liebe Grüße
                                                                Maahinen
                                                                Zuletzt geändert von maahinen; 23.09.2015, 20:18.

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                                                                  Freak

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                                                                  • 16.08.2008
                                                                  • 31757
                                                                  • Privat


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                                                                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                  Ach, maahinen, da bin ich ja erleichtert. Ich dachte schon, ich hätte irgendwelche Wahrnehmungsstörungen. Ja, ja, mach mich nur neugierig auf Nordkarelien (dabei bin ich das schon längst.... )
                                                                  Oha.
                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                  Kommentar


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                                                                    Alter Hase
                                                                    • 30.05.2007
                                                                    • 3996
                                                                    • Privat


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                                                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                    Ach Finnland....
                                                                    So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                                                    A. v. Humboldt.

                                                                    Kommentar


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                                                                      Freak

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                                                                      • 31757
                                                                      • Privat


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                                                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                      03.09.2015 Valkeakoski. 63,8 km

                                                                      Am Morgen wache ich vom Tackern eines Lummiko auf, das eigentlich ein Orava ist. Ich lüpfe meine Ohrstöpsel und stelle fest, dass die Straße jetzt auch hier laut ist. Vermutlich hat der Wind gewechselt. Meine Augen sind völlig verklebt, und ich sehe nichts. Dann sehe ich doch etwas und werde mir bewusst, dass ich die Kontaktlinsen im Auge vergessen habe. Also muss ich mit Brille fahren. Als ich eine Sekunde überlege, angesichts des Seepanoramas doch einen Tag zu verlängern und vielleicht im Nationalpark zu wandern, geht erneut Maschinengewehrfeuer los. Ich packe.





                                                                      Mein Sanyo Akku ist entgegen meiner Befürchtung nicht entwendet worden, sondern voll aufgeladen, und ich bin beglückt.
                                                                      Meine Nase ist zu, und ich habe das Gefühl, eine Erkältung zu bekommen. Das geht später aber wieder weg.

                                                                      Ich versuche, den Weg hinter der Sauna weiterzufahren, aber an einem Haus ist er zu Ende. Also schiebe ich das Fahrrad den Hügel hoch. Schnell bin ich erschöpft, denn ich habe nichts mehr zum Frühstücken da gehabt. So knabbere ich eine Handvoll Studentenfütter. Normalerweise kriege ich das Zeug nicht runter. Aber heute schmeckt es sehr gut.
                                                                      Oben entdecke ich die zweite Dusche und aus Neugier, und weil ich noch Wasser zapfen könnte,'gehe ich hinein. Der Wasserhahn ist zu niedrig für die Flasche, und der Geruch ist unerträglich. Gasalarm. You shit, what you eat. Bloß weg hier. Ein wenig muss ich lachen. Hier ging wohl alles schief.

                                                                      Mit schweren Beinen schiebe ich das Rad die Steigung hoch. Die Autos dröhnen. Der Asphalt ist hier lauter, als zu Hause. Das werde ich später vom Autos aus verifizieren.
                                                                      Dann geht es wieder Landstraße entlang, und die Landschaft sieht aus wie gewohnt. Eine Kirche fällt auf. In Schleswig-Holstein sieht man so ein Panorama öfter. Hier nicht.





                                                                      Und noch eine. Gehört das alles zu Hattula? So ganz durchschaue ich die Ortschaften und Gemeinden immer noch nicht.





                                                                      Wieder hört man die Autobahn, das ist eben die zentrale Route hier. Der Weg führt aber über Nebenstraße und ist angenehm zu fahren. Ein kleiner Hafen, aber ein Foto mache ich nicht. Ich komme an einer Hauptstraße heraus und biege ab, in der Hoffnung, einen Supermarkt zu finden. Kurz darauf wende ich wieder. Das hier sieht nach Wohngebiet aus. Ich werde schon etwas an der Strecke finden. Also biege ich auf die Straße nach Parola ein. Kurz darauf habe ich die volle Auswahl und kaufe Käse, Brötchen und Tomaten ein. Die Brötchen sehen besser aus, als sie sind, es sind Möhrenstückchen drin. Die finnischen Roggenbrötchen gab es hier nur als Großpackung.





                                                                      Der Bahnhof Parola kommt in Sicht. Ich denke an heißen Kakao und an die Begegnung mit Inarijoen Peter. Vor meiner Abfahrt nach Tampere hatten wir dort noch ein Heißgetränk zu uns genommen. Was er wohl gedacht hat, als er mich damals mit Schlitten und dem riesigen Rucksack plus Essenstasche auf dem Bahnsteig sah? Den Hackenporsche hatte ich da ja noch nicht. Leider sind die beiden zur Zeit verreist, und ich gehe davon aus, sie dieses Mal nicht zu treffen.

                                                                      Ich sehe ein finnisches Wort, was ich auf Anhieb zu verstehen glaube und kurz darauf wird meine Theorie bestätigt. Daneben die Autobahn.





                                                                      Und das hier ist das Wort:





                                                                      Ich fahre jetzt einen Radweg in Richtung See (Lehijärvi) und von hinten kommt ein besonders lautes Auto. Ich bin genervt. Was ist das denn für eine Schüssel! Ich drehe mich zur Seite und muss unwillkürlich lachen. In Finnland ist alles möglich.





                                                                      Ich vermute den Weg um den See etwas tiefer und biege nicht in die Straße ein, sondern einen Weg später. Das ist falsch. Ich stehe vor Militärischem Sperrgebiet. Also muss ich wieder zurück. Schüsse ertönen aus dem Wald. Weg hier.

                                                                      Der Seeradweg ist schön. Nette Häuser und unvermittelt sogar ein Radwegweiser. Der wäre an der Straße sinnvoller gewesen.





                                                                      Ein bisschen bedauere ich, dass Inarijoen Peter und R. das Haus nicht mehr haben. Der Weg dorthin wäre von hier aus nicht allzu weit. Ich hätte zu gerne die Vögel im Garten gesehen.

                                                                      Es folgt nun hügelige Landschaft und instinktiv fällt mir das Wort keltisch ein. Es liegt an den Steinen, die in Hügeln formiert sind. So etwas habe ich bisher hier nicht gesehen.





                                                                      Vor einem Hof stehen auf beiden Seiten Kühe und Kälber und musizieren in melodischen Tönen. Unwillkürlich denke ich an den „Sommer der lachenden Kühe“, auch wenn das Buch ganz andere Dinge thematisiert. Hat das jemand gelesen? Die Kälber singen vielstimmig, eines spielt die Tuba und ein gallowayähnliches Kalb singt Falsett. Im Bild sind sie leider nicht, sie stehen auf der anderen Seite.





                                                                      Meine Navi zeigt einen Weg an, den es nicht gibt, der vor dem Hof ist richtig. Es ist eine ruhige Straße. Die Steigungen könnte man natürlich weglassen. Die Freude währt aber nur kurz. Es ist ein Schotterweg.





                                                                      Kleine und große Steine flutschen umter den Rädern weg. Mein MTB wäre in seinem Element. Anfangs finde ich eine fahrbare Spur, meist in der Mitte. Wenn dann ein Auto kommt, eiere ich einfach zur Seite.








                                                                      Ein indianisch aussehender Mann unterhält sich mitten auf der Straße mit einem Autofahrer, und ich schlittere vorbei. Interessiert schaut er mir zu. Meine Reifen sehen gut aus.





                                                                      Gerne würde ich an den See fahren, denn ich bin ungefähr auf der Höhe, wo Inarjoen Peter und R. früher am anderen Ufer gewohnt haben. Aber der Belag in den Seitenwegen ist noch schlimmer. Ich fahre lieber weiter.





                                                                      Ich schiebe nun, denn ich habe die Bilder vom Transcon vor Augen und Angst um meine Reifen. Dann kommt wieder Asphalt. Welch ein Segen. Wie man sich freuen kann! Insgeheim bin ich aber überrascht. Das ging besser mit den schmalen Reifen, als ich dachte.





                                                                      Es wird wieder heller und schon wirken die Farben ganz anders. Ich bin jetzt in Ittala. An der Schnellstraße sehe ich ein Gebäude und das Wort kommt mir bekannt vor. Ich tippe auf Restaurant und den Autos davor zu urteilen, gibt es sogar Lunch. Richtig. Lunch 8.50. Ravintola und Lounas muss ich mir merken. Jeden Tag ein neues Wort.





                                                                      Ich merke, dass ich völlig ausgehungert bin. Das hier kam im richtigen Moment. Selig häufe ich Bratkartoffeln,'Reis, Hackfleisch, Salat, Frischkäse und Stück Pfannkuchen auf den Teller. Die Bedienung erkennt das wohl und weist darauf hin, dass auch Milch, Wasser und Tee inklusive sind. Die warme Nahrung weckt Lebensgeister. Ich nehme noch einen Nachschlag. Im Behinderten- und Damenklo lächelt ein junger Brad Pitt mit freiem Oberkörper von der Wand.

                                                                      Als ich wieder am Fahrrad bin, fängt es an zu nieseln. Das ist doof. Nicht, dass mich der Regen stört. Aber ich habe die Brille an. Ein paar Mal muss ich auch putzen, aber richtig regnen tut es Gott sei Dank nicht. Viel abwechslungsreicher ist die Landschaft nun nicht, und so radele ich so vor mir hin.





                                                                      Wenn ich mich richtig erinnere, komme ich an einer Heimvolkshochschule vorbei. Garniert mit ein paar netten Steigungen. Wandertag.





                                                                      Ich komme nun an Rattunselka und Vanajavesi. Die Straße führt zwischen beiden Seen hindurch. Bei Sonne wird es hier traumhaft sein, aber durch den Regen ist alles furchtbar grau. Dazu weht ein eiskalter, brutaler Wind.








                                                                      Der Regen hat zwar aufgehört, aber ich bin froh, den Poncho angelassen zu haben. Das ist einfach wärmer. Dennoch halte ich es am Aussichtspunkt nur zwei Minuten aus.








                                                                      Die Inseln im See erinnern mich an Joenssu. Nein, die Iceclaws habe ich diesmal nicht dabei.





                                                                      Bei Saarismäki soll die schönste Landschaft Finnlands sein. Sagt die Broschüre. Mir fällt zwar auf, dass sie lieblicher wird, aber hügelig ist es dennoch. Aber immerhin ist die Strecke für mich nun wieder fahrbar. Das erste Elchschild.





                                                                      Ein bisschen britisch hier, wie ich finde.















                                                                      Wieder so ein Treppenstufenhaus. Aber viel niedriger.





                                                                      Zwei Mädchen fahren vor mir Rennen.





                                                                      Schieben muss ich aber in Valkeakowski. Ich bin einfach k.o. Als ich auf den quer über die Straße gespannten Hinweisschildern das Zeltplatzschild sehe, bin ich froh. Die letzten Meter vergehen wie im Flug.
                                                                      Meine Stimmung wird gedämpft, als ich sehe, dass die Rezeption geschlossen ist. Auf einem Hinweisschild steht immerhin, dass Caravans sich anmelden und 25 Euro entrichten sollen. Ich rufe an. Teltta: 20 Euro. Hhm. Billiger wird es wohl nicht. Aber brav fülle ich den Schein aus und werfe das Geld in den Kasten. Schlimmer als gestern wird es hier nicht sein. Teltta. Dieses Wort hätte ich ja schon früher lernen können. Wie zur Hölle bin ich damals auf Tenten gekommen? Das ist holländisch. Vielleicht hat der Mann damals im Schnee die Tür zugeknallt, weil er gar nicht wusste, was ich will? Und meinte, ich will ihn veralbern? Das war gar keine Zustimmung? Ich fühle mich schlecht.

                                                                      Ich scheuche die Gedanken weg und baue erst einmal das nasse Zelt auf. Aber der Wind ist zu schwach, es zu trocknen. Dafür ist er stark genug, dass ich richtig friere. So hänge ich das trockene IZ ins nasse AZ und hoffe, dass das gut geht. Ich bin heilfroh, dass ich nicht die UL Hütte dabei habe, die ich erst mitnehmen wollte. Mein Zelt isoliert und robuster ist es natürlich auch. Ich lege mich einen Moment hinein und mir wird wärmer. Der Schlafsack riecht nach Basmatireis. Dann fotografiere ich einen Vogel.











                                                                      Die Sanis sind ansprechend und modern, und ich dusche erst einmal heiß. Dann sehe ich die Küche. Holzmöbel, gemütlich und GEHEIZT. Ich bin so dankbar! Endlich kann ich mein feuchtes Zeug trocken. Schnell wasche ich noch ein paar Klamotten durch.

                                                                      Steckdosen gibt es auch und im Regal sind Nudeln. Ich koche eine halbe Stunde Wasser auf dem einen Herd, bekomme aber nur handwarmes Wasser geliefert. Dann wechsele ich den Herd und es klappt. Nudeln mit Frischkäse und Parmesan. Dazu ein heißer Kakao. So lässt sich leben.

                                                                      Im Teletext lese ich, dass derzeit 12 Grad sind. Das Wetter bleibt so. Bedeckt. Am Wochenende Regen. Und wenn es keine Campingplätze mehr gibt, werde ich mir was einfallen lassen müssen. Tourabbruch? Alle guten Dinge sind drei, oder? In Tampere werde ich mich entscheiden. Im Baltikum sieht das Wetter anscheinend auch nicht besser aus.

                                                                      Als ich zum Zelt zurückgehe, hat es aufgeklart. Ich mache ein Kitschfoto, ich will auch mal eins mit beleuchtetem Zelt haben. Der Trick, wie ich festelle: Einfach mal die Batterien der Stirnlampe wechseln.





                                                                      Der Rauch der Fabrik schwebt gegen den Himmel. Erinnerungen an Winter kommen auf. Bald wird es schneien. Ob es wohl heute nach Nordlichter gibt? Die Wolken bilden einen Schleier. Später werde ich erfahren, dass Valkeakoski prädestiniert für Nordlichter ist. Ein Monteur steht schweigend auf dem Balkon und raucht.








                                                                      Dann falle ich in den Schlafsack.
                                                                      Zuletzt geändert von Torres; 15.12.2015, 22:00.
                                                                      Oha.
                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                      Kommentar


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                                                                        Dauerbesucher
                                                                        • 22.07.2008
                                                                        • 777
                                                                        • Privat


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                                                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                        Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                        Gehört das alles zu Hattula? So ganz durchschaue ich die Ortschaften und Gemeinden immer noch nicht.

                                                                        Wieder so ein Treppenstufenhaus. Aber viel niedriger.

                                                                        Ja das gehört alles zu Hattula. Es gibt auch eine Autobahnausfahrt Hattula, doch vor allem Touristen haben da öfters Mühe, Hattula zu finden. Die Gemeinde Hattula wird von 31 Orten gebildet und die Ortschaft Parola ist das Gemeindezentrum.


                                                                        Das abgebildete "Treppenstufenhaus" nennt sich fin. Maitolaituri. In diesen Häuschen an den Straßen deponierten früher die Bauern die vollen Milchkannen, damit sie von den Molkereien abgeholt werden konnten. Wegen dem Schnee im Winter wurden sie etwas erhöht gebaut.

                                                                        Kommentar


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                                                                          Freak

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                                                                          • 31757
                                                                          • Privat


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                                                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                          Vielen Dank für die Info. Ein Milchkannenhäuschen. Da wäre ich nicht drauf gekommen.

                                                                          Das Ortsschild "Hattula" stand meiner Erinnerung nach bereits kurz hinter dem Campingplatz. Die erste Kirche hatte ich daher Hattula zugeordnet. Als es dann eine zweite Kirche von Hattula gab, war ich irritiert. Als der Hafen und das dahinterliegende Wohngebiet von meinem Navi auch Hattula zugeordnet wurde, dachte ich, es ist eben eine große Gemeinde. Die Kreuzung mit den Supermärkten und der Tankstelle hätte ich dagegen schon Parola zugeschrieben. Aber das war dann auch wieder Hattula. Von da an fand ich die Sache etwas kompliziert.
                                                                          Oha.
                                                                          (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                          Kommentar


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                                                                            Freak

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                                                                            • 16.08.2008
                                                                            • 31757
                                                                            • Privat


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                                                                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                            04.09.2015. Tampere. 49,7 km

                                                                            Am Morgen ist es zunächst bedeckt, dann kommt Nebel auf. Ich vermisse meine Daunenjacke. Ich hatte sie während des Packens noch gesucht, aber als ich sie an der gewohnten Stelle nicht fand, einfach vergessen. Die Handschuhe, von denen ich dachte, ich hätte sie eingesteckt, sind auch nicht da.





                                                                            Ich fahre eine Nebenstrecke. Es ist kaum Menschen zu sehen. Es ist gegen acht.





                                                                            Einer der typischen Marktplätze. Funktional. Hier ist der Sommer die Ausnahme und der Schnee die Regel, philosophiere ich. Im Süden Italiens ist es andersherum. Entsprechend unterschiedlich kommen mir die Länder vor.




                                                                            .
                                                                            Es ist feuchtkalt, aber der Nebel gefällt mir. Er regt die Gedanken an und lässt Geheimnisse ahnen, die es nicht gibt.





                                                                            Auf ruhiger Nebenstraße geht es weiter.








                                                                            Und ab und zu tatsächlich ein Radwegschild. Nicht zu glauben.





                                                                            An die Straßenschilder gewöhne ich mich auch langsam. Daher verfahre ich mich nicht mehr so oft.





                                                                            Immer wieder imposante Steine an der Seite.








                                                                            Dann zeigt sich ein kleiner Streifen Hoffnung am Horizont.





                                                                            Die Strecke ist schön und das Radeln macht Spaß.











                                                                            Bald erreiche ich Lempäälä. Blick auf den Ahtialanjärvi.





                                                                            An einer Schule steht ein junges Pärchen. Gothic nennt man das wohl. Eine Truppe älterer Nordic Walker machen sich fit. Wieder ein Rasenmäherfahrer auf dem Radweg. Ich weiche aus. Eine Anzeige zeigt als Temperatur 12°. Es ist gerade mal 10.00 Uhr.

                                                                            Und dann kommt unvermittelt die Sonne raus. Schlagartig wird es freundlich und warm. Unglaublich, wie der Körper darauf regiert. Es ist, würde er von dem Licht durchflutet. Glücksgefühle machen sich breit.
                                                                            Im Ort ebenfalls ein Ausblick auf einen See, aber ich fotografiere ihn nicht. Lachende Menschen, ein ungewohnter Anblick. Anfangs hatte ich unterwegs die Menschen noch gegrüßt, aber das schnell aufgegeben. Niemand antwortete mir. Zwei Frauen biegen nebeneinander in meinen Radweg ein, sie wählen die große Kurve und die eine fährt gedankenlos in den Graben. Passieren tut ihr nichts, sie fällt auch nicht hin, aber es ist natürlich komisch. Die andere Frau lacht mich an. Ich lache auch.
                                                                            Ich ziehe den Poncho aus, um ihn zu trocknen. Wie schön es hier plötzlich ist.








                                                                            Endlich mal ein Glockenblumenfoto. Die wachsen hier fast überall. Eines der wenigen wilden bunten Blumen an den Straßenrändern.





                                                                            Kurz darauf wird mir wieder kalt, die Sonne zieht sich zurück. An einer Bushaltestelle mache ich Halt und esse eine Kleinigkeit. Es ist die einzige Möglichkeit, irgendwo zu sitzen. Den Luxus von Bänken gibt es nur in den Parkanlagen der Städte.





                                                                            Die Straße wird nun stärker befahren, es ist nicht mehr weit nach Tampere. Gleichzeitig wird es eklig hügelig, und ich brauche viel Kraft. Ich merke, ich brauche ein Break. Morgen ist Wochenende. Ich werde einfach nur schlafen.





                                                                            Finnische Reihenhaussiedlung. Auf jeder Terasse steht ein Grill.





                                                                            An einer zugigen Stelle steht eine Frau an einer Bushaltestelle. Ich denke noch an sie, als ich hinter einer Brücke routinemäßig nach rechts in die Nebenstraße schaue. Ich ahne das Auto mehr als ich es sehe, das über die Kuppe auf mich zuschießt, schmale Schnauze, rasend schnell. Schrecksekunde: Der Zug. Da biegt er auch schon ab. Glücklicherweise hat er ja Schienen. Lange noch denke ich über den Moment nach. Eine optische Täuschung, die durch und durch geht.

                                                                            Mal wieder ein Radwegschild. Wie nett.





                                                                            Die letzten Kilometer nach Tampere sind eine Qual, da hilft auch ein kleines Flüsschen im Tal oder andere Ausblicke nichts. Ich mag nicht mehr. Es ist hügelig und die vielen Autos sind zu laut.





                                                                            Saaksjärvi. Eine Sportbahn. Einen Moment schaue ich Jungen beim Weitsprung zu. Der eine reckt die Faust zum Sieg. Der andere schaut deprimiert nach unten. Leichtathletik war mein Lieblingsfach in Sport. Warum hört man nach der Schule schlagartig damit auf?





                                                                            Dann kommt ein Schild Tampere. Tampere mit unbehauchtem „T“ und der Betonung auf dem „a“. Es beginnt ein urbanes Radwegnetz, das wie üblich gut zu fahren ist. Außerdem kommt die Sonne raus.





                                                                            Auf guten Radwegen an den Hauptstraßen rolle ich voller Freude auf die Stadt zu. Wie das wohl sein wird? Tampere ohne Schnee? Die Stadt, die ich so mochte? Ob es wohl Karten für die Philharmonie gibt?

                                                                            Im Augenwinkel sehe ich ein Holzschild.





                                                                            Erst fahre ich vorbei, dann sehe ich, dass dort der Radweg entlang geht. Es ist ein Park.





                                                                            Der Park führt zum Pyhajärvi. Dort weht ein frischer Wind.











                                                                            Dass ich von hier aus praktisch auf einen Campingplatz schaue, weiß ich da noch nicht. Auf der Karte hatte ich ihn nicht entdeckt und im Reiseführer gar nicht richtig geschaut. Für mich ist klar, dass ich zum Hostel fahre. Ein warmes Bett. Ich freue mich.





                                                                            Am Ende der Parkanlage komme ich an der geschwungenen Brücke heraus. Ich schiebe sie hoch, und als ich hinunterrolle traue ich meinen Augen kaum. Auf dem Platz am Wasser stehen Tische und Bänke und Buden. Menschen machen Mittagspause und blinzeln in die Sonne. Alles sieht so friedlich und sommerlich aus. Unglaublich. Im Winter war es dort abweisend und zugig. Ich sehe ja immer noch Schnee. Vor lauter Erstaunen mache ich gar kein Foto und radele zielstrebig auf das Einkaufszentrum zu. Hier kenne ich mich aus. Der Blick zurück.








                                                                            Es sind ungewöhnlich viele Menschen auf den Bürgersteigen, so viele waren es im Winter nicht. So ziehe ich vor, zu schieben. Das Hostel finde ich blind. Ich stelle das Rad in den Vorraum. Es ist noch früh, die Zimmer sind noch nicht fertig, es ist erst gegen 13.00 Uhr. Mit Rabatt kostet ein Bett im 4-Bett-Zimmer an die 30,00 Euro. Das ist es mir wert. Dann die Ernüchterung. Morgen ist das Hostel ausgebucht. Eine Veranstaltung. Drachen und Mangas. Oder so. Die kommen jedes Jahr und buchen das ganze Hostel. Hilft nichts. Jedenfalls heute Nacht schlafe ich warm. Die letzte Nacht war schlafsacktechnisch an der Grenze. Warum nur habe ich meine Daunenjacke vergessen!

                                                                            Mein Fahrrad darf im Flur stehen bleiben. Mit großen Augen schaut das Mädel es an. Ein ähnliches ist dem Kollegen im Hof geklaut worden. Nein, das bindet man draußen nicht an. Innerlich muss ich lachen. Dieses Rad ist im Vergleich zu meinem Reiserad ein Schnäppchen und dennoch wird es als erheblich wertvoller eingeschätzt als mein Reiserad. Schein ist eben mehr als Sein.





                                                                            Ich gehe schnell zur Philharmonie. Heute ist ein Videogameskonzert. 30,00 Euro. Die Frau lacht mich an, keine Ahnung, was das ist, sie weiß darüber nichts. Ich murmele, ich bin mehr so der Typ für Klassik, aber dafür bin ich einen Tag zu spät. Sie hat vollstes Verständnis für mich, wir lachen beide, tja, so ist das wenn man alt wird und gibt mir einen Ausdruck mit. Ich kann ja mal schauen, ob ich was darüber finde. Ich sehe schon, ich muss wohl wiederkommen.

                                                                            Nun laufe ich in die Stadt, um die Touristeninfo aufzusuchen. Vielleicht gibt es ja ein preiswertes Hotel. Ich laufe durch den Bahnhof und mache ein sentimentales Foto. Hier habe ich meinen Klapprodel herumgeschleppt. Das Ding war ganz schön schwer.





                                                                            Die Touristeninfo ist umgezogen. Also muss ich in die Innenstadt, Nähe Theater. Hilfe, sind hier viele Menschen. Nach der Einsamkeit der letzten Tage ist das fast ein Kulturschock. Andererseits wirkt es, als würde Tampere pulsieren. Eine interessante Stadt. Straßenmusiker machen Musik.





                                                                            Der Besuch bei der Touristeninfo ist ein Fehlschlag. Sie arbeiten mit booking.com. Das kann ich auch. Die günstigen Hotels sind aufgrund der Veranstaltung alle vergeben, aber der Campingplatz hat auf. Härmala (4 km) oder Nokia (6 km – vermutlich Autobahnkilometer. Fahrradkilometer ca. 30 km). Was tue ich nun? Für Härmala muss ich zurückfahren. So etwas tue ich ja normalerweise nicht. Nokia ist zu weit, da kann ich gleich weiterfahren. Ich wollte doch morgen hier ein wenig bummeln gehen. Und überhaupt: Wie das war mit dem Tourabbruch? Urlaub in Tampere wäre doch nicht schlecht. Ich weiß es nicht. Ich verschiebe die Entscheidung auf morgen und gehe erst einmal zu Partioaitta. Über Fjällräven gehören sie ja mittlerweile ebenfalls zu Globi. Auch sie haben die GT1 Karte nicht mehr und ansonsten nur Zeug, was ich nicht brauche. Nichts wie weg. Wie warm es hier in der Sonne ist.








                                                                            Ein Obst- und Gemüsestand.





                                                                            Ich gehe noch Essen einkaufen und stelle mich dann in die Küche, wo ich zwei Wildschweine, ein Rind, vier Schafe und ein paar Kilo Nudeln vertilge. Nun, so schlimm ist es nicht, aber ich habe richtigen Hunger. Meine Nudelvorräte habe ich mit dem Einkauf aufgefüllt. Dazu gibt es Eier und – wie überraschend – Parmesankäse aus der Dose. Und wie üblich in Finnland, darf Milch nicht fehlen. Ich weiß nicht wieso, aber in Finnland brauche ich Milch.
                                                                            An meinen Tisch kommt ein interessant aussehender, älterer Mann afrikanischer Herkunft. Seine Haare haben einen hellen bräunlichen Ton. Ich frage ihn, wo er herkommt. Er ist aus Amerika. Stimmt. Diese Option gibt es ja auch noch. Schnell kommen wir ins Gespräch. Er schreibt Bücher und ist zwei Monate in Europa unterwegs. Er hat aus Büchern sogar Deutsch gelernt. Wir führen ein langes philosophisches Gespräch über die allgemeine Weltlage im Besonderen und Speziellen. Auch ein Franzose gesellt sich dazu.

                                                                            Dann ziehe ich mich in meine Koje zurück. Meine Packtaschen sind in einem Schrankfach unter dem Bett eingeschlossen. Beim ersten Schrankfach war ein Scharnier herausgebrochen und natürlich hatte ich kurz darauf die Tür in der Hand. Die zweite Tür hält, und ich kann sie mit dem Schloss verriegeln, was ich auf Tour immer dabei habe, falls ich in Jugendherbergen übernachten sollte. Das Mädel über mir, das sich vorhin im Raum mit Haarspray (ich hasse Haarspray) aufgehübscht hatte, ist schon schlafbereit, während ein junger Franzose noch Filme guckt. Als er anfängt, laut zu telefonieren, schocke ich ihn mit Französisch. Augenblicklich flüstert er. Ich nutze das erste WLAN seit meiner Ankunft, surfe ein wenig auf ods und schreibe Pns. Eigentlich ist Internet gar nicht so schlecht. Ein bisschen wie zu Hause.
                                                                            Von Inarijoen Peter erfahre ich, dass seine Frau und er am Sonntag mit dem Autozug in Tampere ankommen. Hhm. Vielleicht bin ich da dann schon weg. Ich muss sehen, wo ich morgen lande, und wie ich mich fühle. Ich habe keinen richtigen Plan. Meiner Broschüre, die ich jetzt das erste Mal richtig lese, entnehme ich, dass es auch auf der weiteren Strecke Campingplätze gibt. Mir war vorher gar nicht aufgefallen, dass da nicht nur Sehenswürdigkeiten, sondern auch Übernachtungsmöglichkeiten drin stehen. Der Platz in Härmala ist ebenfalls aufgeführt. Ein Platz auf einer Insel hört sich gut an. Improvisationen möchte ich schließlich vermeiden, ich muss mich erholen. Vermutlich fahre ich weiter.

                                                                            Vor der Tür ist laute Party und der vierte Typ im Raum leider nicht in der Lage, die Tür vernünftig zu schließen. Voll tiefenentspannt, der Kerl. Hinter den Ohren noch grün. Und Rücksicht nehmen auf Schlafende kann er auch nicht. Mir ist das egal. Ohrstöpsel und Schlafmaske. Gute Nacht.
                                                                            Zuletzt geändert von Torres; 24.09.2015, 09:28.
                                                                            Oha.
                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                            Kommentar


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                                                                              Erfahren
                                                                              • 26.06.2011
                                                                              • 247
                                                                              • Privat


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                                                                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                              Haha, respekt dass du dir die Strecke vorgenommen hast, da gehört schon ordentlich Leidensfähigkeit dazu.

                                                                              Ich bin dieses Jahr die gleiche Strecke von Vaasa kommend geradelt, kann schon ganz schön zäh werden wenn die Landschaft über hunderte Kilometer kaum anders wird.

                                                                              Kommentar


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                                                                                Freak

                                                                                Liebt das Forum
                                                                                • 16.08.2008
                                                                                • 31757
                                                                                • Privat


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                                                                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                Zitat von StevePeacewalker Beitrag anzeigen
                                                                                Haha, respekt dass du dir die Strecke vorgenommen hast, da gehört schon ordentlich Leidensfähigkeit dazu.

                                                                                Ich bin dieses Jahr die gleiche Strecke von Vaasa kommend geradelt, kann schon ganz schön zäh werden wenn die Landschaft über hunderte Kilometer kaum anders wird.
                                                                                Du bist in die falsche Richtung geradelt.... .
                                                                                Oha.
                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                Kommentar


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                                                                                  Alter Hase
                                                                                  • 30.05.2007
                                                                                  • 3996
                                                                                  • Privat


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                                                                                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                  Der o.g. Vogel könnte eine Kolbenente sein.
                                                                                  So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                                                                  A. v. Humboldt.

                                                                                  Kommentar


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                                                                                    • 579
                                                                                    • Privat


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                                                                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                    Du meinst nicht den Gänsesäger?
                                                                                    Dieser Beitrag wurde maschinell erstellt und ist auch ohne Unterschrift gültig.

                                                                                    Kommentar


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                                                                                      Alter Hase
                                                                                      • 30.05.2007
                                                                                      • 3996
                                                                                      • Privat


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                                                                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                      Könnte es auch sein. Torres, was fraß der Vogel?
                                                                                      So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                                                                      A. v. Humboldt.

                                                                                      Kommentar


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                                                                                        Dauerbesucher
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                                                                                        • 579
                                                                                        • Privat


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                                                                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                        Könnte nicht – isses. Und zwar ein Mädel!
                                                                                        Dieser Beitrag wurde maschinell erstellt und ist auch ohne Unterschrift gültig.

                                                                                        Kommentar


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                                                                                          Lebt im Forum
                                                                                          • 24.01.2011
                                                                                          • 5056
                                                                                          • Privat


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                                                                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                          Zitat von Griffon Beitrag anzeigen
                                                                                          Könnte nicht – isses. Und zwar ein Mädel!
                                                                                          Sehen die Jungs im Herbst nicht genauso aus?

                                                                                          Kommentar


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                                                                                            Dauerbesucher
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                                                                                            • 579
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                                                                                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                            Ich meine der Erpel hat im Schlichtkleid mehr weiß an den Flügeln.
                                                                                            Dieser Beitrag wurde maschinell erstellt und ist auch ohne Unterschrift gültig.

                                                                                            Kommentar


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                                                                                              Freak

                                                                                              Liebt das Forum
                                                                                              • 16.08.2008
                                                                                              • 31757
                                                                                              • Privat


                                                                                              #47
                                                                                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                              Danke für Eure Bemühungen, diesen Vogel zu bestimmen. Ich habe leider keine Ahnung von Vögeln, ich fotografiere sie nur gerne, und diesen fand ich besonders hübsch. Was er frisst, konnte ich nicht sehen.
                                                                                              Oha.
                                                                                              (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                              Kommentar


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                                                                                                Freak

                                                                                                Liebt das Forum
                                                                                                • 16.08.2008
                                                                                                • 31757
                                                                                                • Privat


                                                                                                #48
                                                                                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                05.09.2015. Härmälä (Tampere), ca. 5 km.


                                                                                                Der Franzose schläft am Morgen tief und fest, aber der schmale Finne, der nicht in der Lage war, die Tür zu schließen, ist schon bald wach und verlässt laut den Raum. Ich fühle mich, als hätte mir jemand auf den Kopf gehauen. Den ganzen Tag nur schlafen wäre gut.
                                                                                                Vor der Tür ist es laut, und ich schreibe noch im Forum, dann wird es Zeit. Der laute Trupp verlässt die Küche, und ich sichere mir schnell einen Platz. Die ersten kostümierten Frauen tauchen auf, ebenso ein Zauberer und ein Drache. Die meisten Mädels wählen Kindchen- oder Prinzessinnenlook, aber auch Walküre oder Zombi ist dabei. Als ich zwei Leute frage, ob ich sie fotografieren und das Foto ins Internet stellen darf, wird sofort bejaht. Darum geht es ja!








                                                                                                Ich rede noch ein wenig mit dem englischsprechenden Franzosen von gestern, der auch mal Radrennen gefahren ist, dann belade ich das Fahrrad. Inarijoen Peter hatte noch mal geschrieben, dass sie morgen früh 5.45 Uhr mit dem Autozug in Tampere ankommen, und ich tendiere dazu, zu bleiben. Solche Gelegenheiten sollte man nicht verstreichen lassen. Wer weiß, wann man sich wieder sieht. Die Vorstellung, um 5 Uhr morgens nach Tampere hineinzufahren und den Autozug zu suchen, begeistert mich allerdings noch nicht. Ob man um diese Zeit am Bahnhof einen Kaffee kriegt, bezweifele ich auch. Da muss ich mir etwas überlegen.
                                                                                                Ich will noch mal auf die Toilette, aber keine Chance. Auch ein breitschultriger Finne flucht. Überall wird gebügelt, anprobiert, Haare gemacht, Posen ausprobiert. Neuankömmlinge checken ein, und die Unbeteiligten müssen – wie ich – das Hostel räumen. Taubenschlag.

                                                                                                Ich lenke das Rad zur Tampere Hall, um dort rechts abzubiegen. und da erkenne ich erst die Dimension, die diese Gamecon hat.





                                                                                                Mehr Farbe braucht die Welt, das steht fest. Ist das bunt hier. Es ist frisch draußen, vielleicht 5 oder 6 Grad.Tapfer überspielen die Mädels ihr Frieren. Zwischendrin fängt es an zu nieseln. Manchen sieht man die Schüchternheit an, aber sie beißen sich durch. Früher habe ich mich immer gewundert, woran andere gemerkt haben, wie unsicher ich bin. Jetzt weiß ich es.





                                                                                                Ich laufe noch kurz in den Park, weil die Stimmung so toll ist, aber es ist wirklich zu kalt. Und der zauberhafte Schnee fehlt, den ich damals erleben konnte. Die Skulpturen. Und der Schneemann auf der Bank. Dafür gibt es anderes zu sehen.














                                                                                                Ich radele bis zum Marktplatz. Auf den Straßen sind nur wenige Menschen und diejenigen, die ich sehe, sind verkleidet. Immer wieder öffnen sich Haustüren und Prinzessinnen oder Nerds treten heraus. Schnell merke ich, mein Kopf ist schwer. Nein, weiter geht es heute nicht. Ich fahre auf den Campingplatz.





                                                                                                Die Parkanlage finde ich wieder sofort und lasse mir viel Zeit. Es ist erst gegen 10.00 Uhr und die Reception öffnet um zwölf.





                                                                                                Eine Tafel, in der die Länder aufgeführt sind, die sich am 8.8.1995 in Tampere getroffen haben. Deutschland ist auch dabei. Laut Google Übersetzung handelt es sich um eine Gedenktafel des 20. Weltkongresses der Forest Research Organisation. In diesem Zuge wurde auch ein Wäldchen im Arboretum angepflanzt, das auch seltene Arten umfasst. http://www.tampere.fi/ekstrat/taidem...metsakonf.html





                                                                                                Ein Rauhaardackel verbellt ein im Baum sitzendes Lummiko, das ein Orava ist und kann sich kaum beruhigen. Ein Dackel. Bei uns sieht man diese Hunde kaum noch, in Finnland werde ich sie noch öfter sehen.





                                                                                                An einer kleinen Brücke kommt mir in der Kurve ein Radfahrer entgegen. Blick in die Ferne, offener Mund wie ein Fischmaul, hohe Geschwindigkeit, die Kurve schneidend. Ich denke an Fotos von Eddie Merckx oder Josh Ibett, da fahren die beiden aber Straßenrennen. Meine Scheibenbremsen reagieren sofort, und ich spüre den Windhauch, als er milimetergenau an mir vorbeifährt ohne mich wahrzunehmen. Mit dem englischsprachigen Franzosen hatte ich das Thema noch am Frühstückstisch. Kein schöner Anblick, wenn sich ein Radrennfahrer bei diesen Geschwindigkeiten hinlegt. Aber der Kopf fährt da anscheinend nicht mit, zumindest rechnet er um diese Zeit wohl nicht mit anderen Radfahrern.

                                                                                                Die Strecke zum Campingplatz ist Teil eines Radweges rund um den See.





                                                                                                Natürlich hügelig, wie sollte es anders sein. Ein kleiner Angelhafen.








                                                                                                Ein Mann läuft herum und als er an mir vorbeikommt, sehe ich, dass es eine Frau ist. Der Campingplatz müsste nun langsam kommen, und ich schalte nun doch das GPS ein. Ich stehe fast davor, muss aber nach oben zum Wohngebiet schieben, um zur Einfahrt zu kommen. Es ist 11.00 Uhr und die Reception ist geschlossen.

                                                                                                Noch scheint die Sonne, und ich setze mich auf die Bank. Ab und zu laufen Leute an mir vorbei. Aber der Platz ist sehr ruhig.
                                                                                                Ein Geschäftsmann mit schwedischem Kennzeichen stellt sich mit seinem Auto direkt vor mich und lässt den Motor laufen. Ich sage dreimal, er soll ihn bitte ausmachen, dann wird mein Ton schärfer, und er fährt oben auf den Parkplatz. Als er pinkeln muss, macht er ihn aus. Anscheinend holt er eine junge Frau ab.

                                                                                                Ein Vater mit einer ca. 10 jährigen Tochter mit Down-Syndrom kommt, er spricht ein sehr gutes Englisch. Immer wieder mahnt er sie, nicht so laut zu reden. Sie spricht mit mir auf finnisch, aber leider kann ich ja kein finnisch. Er übersetzt für sie. Man sieht, wie er sie liebt. Was für eine Geduld, mein tiefer Respekt. Ein Wohnmobil mit sechs Finnen, schwarz gekleidet, böse Mimik, jung. Sie wollen zur Gamecon, das sieht man. Nachdem ich eingecheckt habe, laufen sie total nett hinter mir her. Ich hatte Rucksack, Wasser und Poncho an der Rezeption liegen gelassen.

                                                                                                Die Zeltwiese liegt unter schattigen Bäumen. Ich überlege, ob ich Seeblick und Einsamkeit wählen soll, richte mich dann aber auf dem sonnigsten Fleck der Zeltwiese ein. Sonne braucht der Mensch, auch wenn sie bald hinter den Bäumen verschwinden wird. Ich setze die vorderen zwei Heringe, schlage die Tür dann aber zu zwei Dritteln auf und löse sie von dem vorderen linken Hering. Die Sonne ist einfach wunderbar. Sie scheint mir ins Gesicht, und ich schlafe umgehend ein. Ist das schön.
                                                                                                Als ich wieder aufwache, fängt es an zu regnen, und ich ziehe den Reißverschluss der Tür zu. Als ich das nächste Mal aufwache, läuft das Wasser seitlich ins Zelt rein, weil die Apsis nicht abgespannt ist. Mist. Ich kann mich gerade nicht bewegen, ich bin viel zu müde. So greife ich die Wasserflasche und nutze sie als Innenhering. Ich liebe dieses Zelt. Und schon schlafe ich weiter.





                                                                                                Irgendwann wache ich dann tatsächlich wieder auf. Passenderweise hört es gerade auf zu regnen, und ich mache das Zelt fest und gehe duschen. Es ist lausig kalt ohne Sonne, vielleicht 12 Grad, und ich bin froh, dass die Dusche heiß ist. In einer Ecke steht noch ein anderes Zelt, aber die Person ist mit einem Auto da. Sieht aus wie stationäres Camping. Ein paar Dauercamper verlassen den Platz, dafür kommen später andere.

                                                                                                Ich mache einen kleinen Spaziergang auf dem Platz. Nett ist es hier, aber feucht. Die Zeltwiese am Wasser.





                                                                                                Eine Feuerstelle gibt es auch. Ebenso kann man hier baden.











                                                                                                Erst hatte ich überlegt, eine Hütte zu nehmen. Ich sehnte mich nach Wärme. Aber die kleinen Hütten waren alle ausgebucht und eine 4-Personenhütte für 60 Euro war mir dann doch zuviel Geld. Ich zahle für das Zelt 15 Euro.





                                                                                                Eine bunte Truppe junger Menschen aus Bangladesh oder Pakistan kommt fröhlich vom Steg aus über den Platz gelaufen. In Hamburg wäre das gar nicht erwähnenswert, aber in Finnland fallen sie auf. Die Minigolfanlage liegt verwaist in der Mitte. Die Küche ist sauber und funktionell, aber nicht gemütlich. Ich trauere Valkeakoski nach. Der Preisliste entnehme ich, dass eine Zwei-Personen-Hütte mit 2 Betten, kleinem Fenster und kleinem Tisch ohne Kühlschränk, die derzeit 40,00 Euro kostet, an Mittsommer zwischen 110 und 140 Euro kostet. Mittsommer macht man sich in Finnland also besser unsichtbar. Bettwäsche ist nicht dabei, die muss man sich leihen. Eine Küchenausstattung sollte ebenfalls mitgebracht werden. Der Campingplatz schließt Ende September. Ein Hubschrauber donnert über den Platz.








                                                                                                An einer Grillhütte auf dem Gelände sitzen Leute und grillen. Am Feuer ist es bestimmt warm, leider habe ich nichts zu Grillen dabei und einen Supermarkt suche ich jetzt bestimmt nicht.








                                                                                                Ich sehe ein deutsches Wohnmobil, aber es wird eine Ausnahme bleiben. Deutsche findet man in Finnland kaum. Ich koche Nudeln mit Frischkäse und Parmesan und denke über meine Ausrüstung nach. Merkwürdig. Nach so vielen Jahren ods habe ich mittlerweile wieder Dinge dabei, die ich bereits vor der ods Zeit oder ohne Hilfe von ods auf Empfehlung des Händlers gekauft habe: Das Zelt (ME Dragonfly, 2006), den Kocher (Brunton Flex, 2007), die Töpfe (Brunton, 2009), den Overbag-Schlafsack (Nordisk Skram, 2008), die Schuhe (Hanwag Lima GTX, Modell 2014, seit 2003). Wenn ich mich nicht täusche, gibt es das alles mittlerweile nicht mehr zu kaufen.





                                                                                                Ich hatte Inarijoen Peter und R. eine sms geschrieben. Mir war während des Mittagsschlafes die Idee gekommen, sie zu bitten, mich hier morgen früh abzuholen. Das erspart mir eine Stunde Fahrt mit dem Rad und unbefriedigendes Suchen. Sonntag morgen hat bestimmt auch kein Café auf. Ich mache mit Peter und R. fest, dass sie zum Platz kommen. Ich warte dann ab sechs auf sie. Da sie bisher nicht reagiert haben, rufe ich an. Und obwohl ich weiß, dass Peter in der Schweiz geboren ist, bin ich doch wieder völlig überrascht, statt des perlenden Finnisch diesen wunderbar weichen Schweizer Tonfall zu hören, mit dem er mich begrüßt. Wir verabreden uns für 6.15 an der Rezeption. Auf der Rückseite eines kleines Prospektes für den Seeradweg sind Verhaltensregeln für Radfahrer abgedruckt. Anscheinend gibt es Bedarf.





                                                                                                Die Dämmerung beginnt, und ich kann mich an dem See hinter mir nicht satt sehen.





                                                                                                Am Himmel zeigt sich ein rosa Regenbogen. So etwas habe ich noch nie gesehen.





                                                                                                Ein Hase – oder ist es ein Kaninchen - sitzt mümmelnd, aber auch immer wieder die Umgebung beobachtend - im Gras an einem Baum. Später läuft er auf die Zeltwiese, sprungbereit.





                                                                                                Dort werde ich morgen sein. Das weiß ich jetzt aber noch nicht. Und dass ich den Turm schon fotografiert habe, weiß ich morgen wiederum nicht.





                                                                                                Die Wasseroberfläche könnte sich ruhig mal rasieren.





                                                                                                Ein neues Wohnmobil rollt auf den Platz, die Hunde, die sofort ihr Revier abstecken, kläffen mich unverzüglich an. Die Frau und die drei halbwüchsigen Kinder erkunden begeistert das Areal. Der Vater packt unverzüglich das Bier aus.

                                                                                                Wieder fängt es an zu regnen, und ich verziehe mich in mein Zelt und denke so vor mich hin. In einer Regenpause werden die Finnen fröhlich, es ist gerade neun Uhr, und ich bin schon wieder schläfrig.
                                                                                                Dann regnet es wieder, und ich schlafe ein. Mein lautes Sonim-Handy ist an, weil ich den Wecker gestellt habe, und ich denke im Traum, mich überfährt ein Feuerwehrwagen, als gegen 23.30 bimmelnd eine SMS eingeht. Man will wissen, wo ich bin. Nach deutscher Zeit, natürlich, dort ist es noch nicht so spät. Im Halbschlaf antworte ich und schlafe sofort wieder ein.
                                                                                                Zuletzt geändert von Torres; 29.09.2015, 15:26.
                                                                                                Oha.
                                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                Kommentar


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                                                                                                  • 31757
                                                                                                  • Privat


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                                                                                                  06.09.2015. Nokia. 31,5 km

                                                                                                  Der Wecker klingelt um 5.30 Uhr. Schnell ziehe ich mich an und packe etwas vor. Kalt ist es und neblig. Ich stelle mich an den Eingang und bewundere das Schild. „Schlagbaum“. Sagt man das heute im zivilen Bereich noch? Meistens nutzt man das Wort „Schranke“.





                                                                                                  Gehen 6.15 Uhr kommen Inarijoen Peter und R. und berichten, dass man in Tampere vor lauter Nebel die Hand nicht vor Augen sah. Wie gut, dass ich nicht mit dem Fahrrad fahren musste. R. sucht im Handy nach einer offenen Raststätte und findet sie auch. Ich bin fasziniert, wie sie als Finnin zwischen Finnisch, Schwyzerdütsch und Deutsch hin-und herspringt, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Ich glaube kaum, dass mir so etwas mit Finnisch jemals passieren würde.
                                                                                                  In der Raststätte frühstücken wir und unterhalten uns. Ich genieße das Gespräch, und wir lachen viel. Sie sind viel fröhlicher als beim ersten Mal, als ich sie traf. Nun kommen sie gerade aus dem Urlaub und es sieht aus, als hätten sie das unglaublich genossen. Ich lerne ein neues Wort: Polkupyörä. Fahrrad. Noch kann ich mir es nicht merken, obwohl ich mir viel Mühe gebe.

                                                                                                  Hätte es geregnet, wäre ich gerne lange dort sitzengeblieben. Aber bald kommt die Sonne raus, und ich werde unruhig. Einen schönen Tag darf man nicht verpassen, es könnte der letzte schöne Tag sein. Die Wettervorhersage war relativ schlecht, es ist erstaunlich, dass überhaupt die Sonne scheint.

                                                                                                  Gegen halb zehn bin ich startbereit und merke sofort, dass mein Kopf wieder frei ist. Der Ruhetag hat gut getan. Langsam löst sich der Nebel auf.





                                                                                                  Die Route führt durch Tampere, ich könnte auch andersherum um den See fahren, aber ich bin a) neugierig auf die Streckenführung, denn mittlerweile gefällt mir die Route immer besser und möchte b) noch einmal eine Stelle in Tampere sehen. Ich fahre also Hauptstraße, damit es schneller geht. Wieder sehe ich ein paar Jugendliche, die zur Gamecon fahren und biege auf die Haupteinkaufsstraße ein.


                                                                                                  Am Theater höre ich Musik und fahre nach Gehör. Es ist Soundcheck für eine Spendenveranstaltung des finnischen Roten Kreuzes.





                                                                                                  Das Konzert beginnt um zwölf Uhr. Das ist mir zu spät, leider, wie noch zu berichten sein wird.





                                                                                                  Ich fahre weiter und lande an der Promenade, auf der ich damals im Schnee fast den Objektivdeckel verloren hätte. Bei Schnee war es hier netter, konstatiere ich. Der Weg wirkt langweilig und der Belag ist schlecht. Ich müsste eigentlich nach links, wende mich aber nach rechts, denn ich will unbedingt noch einmal die Stelle sehen, an der ich auf dem Wasser gelaufen bin. Den Weg finde ich ohne Navi, hier kenne ich mich aus. Allerdings fahre ich nicht ganz um die Bucht herum, sondern vorne an der Straße in den Kai ein. Der Umweg ist mir nun doch zu groß. Mit Schmunzeln erinnere ich mich, wie ich über den hohen Schnee des Parkplatzes gegenüber gestiegen bin.

                                                                                                  Die Tankstelle








                                                                                                  Die Bucht im Sommer









                                                                                                  Und hier bin ich gelaufen. Was für ein blau.











                                                                                                  Nun wird es knifflig. Ich finde den Weg nicht und improvisiere mit Nebenstraßen. Hinter der Kirche beginnt eine Parkanlage.





                                                                                                  In dem Park befinden sich Gräber.





                                                                                                  Hier bin ich noch richtig.





                                                                                                  Dann geht es rechts den Berg hoch, aber trotz Navi und mehrfacher Ortung verfehle ich die richtige Straße. Steil geht es nach oben. Immerhin ein Trost: Auch Finnen schieben.





                                                                                                  Oben angekommen sehe ich, dass dieser Turm ein Ausflugsziel ist. Es ist ziemlich viel los. Sonntagsausflug.





                                                                                                  Dass ich den Turm gestern schon fotografiert habe, weiß ich nicht. Gerne hätte ich ihn bestiegen, aber es gibt keine Möglichkeit, das Fahrrad und das Gepäck sicher zu deponieren. So fahre ich am Turm vorbei und bin dann auch kurz darauf auf der richtigen Straße. Zielkonflikte zwischen sportlichen Radfahrer und Fußgängern. Aber das hört bald auf.

                                                                                                  Der Waldweg führt nun zu einer Nebenstraße, die sich in einem Stadtviertel befindet, das zwischen den beiden Seen Tamperes liegt.








                                                                                                  Das Viertel wirkt wohlhabend. Eine traumhafte Wohngegend.





                                                                                                  Ein Aussichtspunkt. Dort ist auch ein Spielplatz. Sonst hätte ich ihn nicht entdeckt. Ein Radfahrer stürmt die Treppen hinunter. Ich schließe mein Rad fest und genieße den Ausblick.






                                                                                                  Die Nebelbank in der Ferne.





                                                                                                  Eine Inselspitze im Nichts.





                                                                                                  Plötzlich spricht mich die Familie neben mir an. Man will wissen, ob das ein Kanu ist. Ich fotografiere den Punkt mit dem Touchscreen, da der Sucher ihn nicht erkennt. Ja, ist es.





                                                                                                  In einem Fenster sitzt ein ausgestopfter Raubvogel. Es geht nun wieder bergab. Ein Mann schiebt sein Fahrrad keuchend den Berg hinauf, und ich frage, ob ich richtig bin. In akzentfreiem Englisch bejaht er und erklärt mir den Weg. Und dann sehe ich doch tatsächlich ein Radwegschild. Wie nett!





                                                                                                  Unten angekommen, geht der Radweg am See entlang.








                                                                                                  Was ist das eigentlich? Kann man in dem rotem Turm wohnen?





                                                                                                  Ein Floß.





                                                                                                  Der Radweg endet abrupt. Hier geht es nur noch für Fußgänger weiter. Wie schon der Radfahrer in der gelben Sicherheitsweste vor mir, muss auch ich wenden. Ich hatte mich schon gewundert, als er mir entgegen kam. Ich biege allerdings etwas später in den Endpunkt des Fußgängerweges ein, um eine Pause zu machen. Ich habe bohrenden Hunger und bin froh, als ich eine Bank in der Sonne finde. Im Schatten ist es zu frisch. Und weil es warm ist, ziehe ich meine Wollmütze unter dem Helm aus. Und weil ich müde bin, ziehe den Helm wieder an und klemme die Mütze zwischen die Packtaschen. Es ist 12.04 Uhr. Um diese Zeit beginnt in Tampere das Konzert. Wäre ich jetzt dort, wäre das Folgende nicht passiert.

                                                                                                  Ich esse mein Brot, und als ich den Müll wegwerfe, spricht mich der Flaschensammler an, den ich schon vorher gesehen habe. Er sei auch mal in Deutschland arbeiten gewesen und der Weg wäre nun kompliziert, er würde ihn mir zeigen. Ganz in Gedanken schultere ich den Rucksack und schiebe los und denke natürlich nicht mehr an die wollene Mütze. Der Flaschensammler bringt mich an den richtigen Weg, und ich radele jetzt auf parkähnliche Wegen um einen See herum. Wieder treffe ich den Radler mit der gelben Weste, ingesamt werden es fünf Mal sein, die wir uns begegnen. Beim letzten Mal sind wir beide verblüfft.

                                                                                                  Der Radweg ist gut ausgebaut, an einigen Stelle ist allerdings eine Baustelle, und ich schiebe das Rad über groben Schotter, der einmal ein Radweg werden wird. Die Autobahn verläuft parallel, aber es ist recht wenig Verkehr, denn es ist ja Sonntag. Bald bin ich bereits in Nokia.





                                                                                                  Nokia interessiert mich natürlich auch wegen Nokia, selbst wenn Nokia keine Handys mehr produziert. Im Geiste hatte ich mir eine hässliche Industriegroßstadt vorgestellt. Tatsächlich ist sie aus großstädtischer Sicht eher ländlich.

                                                                                                  Der Campingsplatz soll sehr schön auf einer Insel liegen. Ein Umweg. Weiterfahren oder nicht? Die Etappe ist ein wenig kurz, andererseits kann Sonntagsruhe ja nicht schaden. Ich verschiebe die Entscheidung ein paar Mal und rase kurz vor Ortsbeginn im Mordstempo eine Abfahrt hinab, um die langgezogene Steigung halbwegs zu bewältigen. Der Wind ist kalt und in dem Moment durchschießt es mein Gehirn wie Stahl: Die Mütze. Ich weiß sofort, sie ist weg. Ich bremse und greife nach hinten. Sie ist weg. Verdammt. Wie soll ich sie bloß ersetzen. Der finanzielle Verlust ist zwar gering, aber eine Mütze aus Wolle findet man nicht so leicht. Ich könnte mich grün und blau ärgern.

                                                                                                  Einen Moment überlege ich, zurückzufahren, aber sie kann sich überall befinden. Vielleicht liegt sie noch bei der Bank, aber ich kann sie auch auf dem Schotter verloren haben. Ich hadere mit mir selbst. Warum denn immer ich. Das ist natürlich Blödsinn, denn überall liegen auf den Wegen verlorene Handschuhe herum. Ich bin nun aber völlig aus dem Takt und habe schlagartig keine Lust mehr, weiterzufahren. Ich entscheide mich für Ruhe, um meine Nerven zu sortieren. In einem nicht mehr ganz zeitgemäßen K-Mark an der Kreuzung halte ich an und kaufe Weintrauben, Käse und etwas Brot. Dann lasse ich mich routen. Der Campingplatz liegt ein paar km unterhalb der Stadt. Die Route führt nicht direkt daran vorbei.

                                                                                                  Hier kommen meine Gummistiefel und die Reifen her:





                                                                                                  Es geht nun auf dem Radweg einer vielbefahrenen Straße entlang. Links von mir ein Lidl. Zwei junge Ehepaare mit Kindern auf Fahrrädern versperren egoistisch den Weg. Bald wird es dörflicher und einsamer. Hübsch hier. Als ich an den Platz komme, befürchte ich schon, dass er geschlossen ist. Aber das ist er nicht, die Rezeption ist ab 17.00 besetzt. Ich schaue mir ein wenig den Platz an, und er gefällt mir sofort. Ein Lummiko-Orava begrüßt mich, oder etwa nicht?





                                                                                                  Der Platz ist still und sonnig. Ich rufe die Telefonnummer am Empfang an, um meine Anwesenheit mitzuteilen und man ist überrascht. Ich kann mich gerne schon hinstellen, kein Problem. Es ist kurz nach zwei. Das tue ich dann auch und zwar mitten auf den Platz. Die Zeltwiese ist mir zu nass.





                                                                                                  Ich hatte im Hostel gewaschen und ärgere mich, dass ich nicht auch meine Alltagshose gewaschen habe. Wie der Schlafsack riecht sie penetrant nach Basmatireis. Wie lange ist das her? Erstaunlich, was man sich mit den Farbstoffen antut. Nachdem ich mich eingerichtet habe, gehe ich an den See. Es gibt einen Steg, der zum Campingplatz gehört.





                                                                                                  Und setze mich. Ein Traum.





                                                                                                  Zunächst ist es wunderbar ruhig. Nur die Vögel zwitschern.





                                                                                                  Dann kommt ein weißes Motorboot, eine Yacht. Sie hält am öffentlichen Steg nebenan. Die Männer steigen aus und unterhalten sich. Die Musik wird aufgedreht. Eindeutig naturliebende Finnen, seufze ich. Aber für sie ist der Anblick ja normal, sie wachsen damit auf.





                                                                                                  Irgendwann fahren sie mit dem Auto weg, und ich bin inmitten einer Postkartenidylle. Genau von diesem Anblick habe ich vor Urlaubsbeginn geträumt. Es ist wundervoll hier. Ich glaube, ich werde bis Urlaubsende einfach hier sitzen bleiben. Das würde mir gefallen.





                                                                                                  Große Libellen umschwirren mich. Sie im Flug zu fotografieren gelingt mir nicht. Sie sind zu schnell und verändern ihre Geschwindigkeit. Wenn sie sich niederlassen, dann landen sie wie ein Helikopter, legen die Karosserie tiefer, wie ein alter Citroen und liegen dann da wie eine Flunder.











                                                                                                  In der Ferne erscheint ein Ruderer. Es sieht aus, als säße bei ihm im Boot ein Gespenst. Tatsächlich ist das der Motor.





                                                                                                  Ein Schwanfoto für R.





                                                                                                  Im Wasser spiegelt sich der Wald.





                                                                                                  Es ist kühl geworden, und langsam bummele ich zurück, um mich anzumelden. Meine Platzwahl ist kein Problem. Die Regeln gelten nur für Mittsommernacht. Die Zeltwiese ist in der Tat sehr feucht. Es hat den ganzen Sommer geregnet. Als ich zum Zelt zurückgehe, sitzt wieder eine kleine Ratte im Baum und lacht mich aus. Keck schaut es mich an, da es genau weiß, dass ich die falsche Kamera dabei habe.











                                                                                                  Dann huscht es davon.

                                                                                                  Der Mann vom Platz kontrolliert die öffentlichen Räume. Gestern war Saunatag. Vermutlich war viel los wegen der Gamecon. Er fährt einen dezenten Jaguar. Ich dusche, die Dusche könnte diesmal heißer sein, aber die Sanis sind gepflegt. Ich esse etwas und dann ist es auch schon wieder Zeit für das Zelt, denn die Dämmerung bringt Kälte, Stechmücken- und Regenalarm. Eine Familie, die einen Wohnwagen bewohnt, kommt zurück und grüßt sehr nett, ein Monteur fährt auf den Platz. Mehr Gäste gibt es nicht.





                                                                                                  In der Ferne türmen sich Wolken auf. Unvermittelt geht in einem kleinen Streifen hinter den Wolken links von mir, hinter Wohnwagen versteckt, mit kräftigem gelb die Sonne unter. Umso überraschter bin ich, als rechts von mir ein glühendes Abendrot erscheint, das aussieht, als befände sie sich an beiden Stellen oder ginge rechts unter. Ein derartiges Abendrot entsteht bei uns normalerweise nicht und der Himmel färbt sich erst, wenn die Sonne bereits untergegangen ist.
                                                                                                  Die ersten Tropfen fallen. Ich schließe das Zelt und habe kurz darauf das Gefühl, es steht in Flammen. So reiße ich noch einmal die Tür auf. Eine glühendrosa Wolke steht mitten über dem Zelt. Sie wirkt wie ein Nordlicht bei Tage und es scheint, dass es gar keine Wolke ist, sondern gebündelte Sonnenstrahlen. Ich verdrehe mir fast den Hals und bin fasziniert.








                                                                                                  Genauso schnell, wie die Erscheinung gekommen ist, ist sie auch verschwunden. Als hätte jemand das Licht ausgeknipst. Es setzt Regen ein. Die Autobahn in der Ferne lärmt. Das Wochenende ist vorbei.
                                                                                                  Zuletzt geändert von Torres; 29.09.2015, 11:06.
                                                                                                  Oha.
                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                    • 79
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                                                                                                    #50
                                                                                                    Ein Orava ist wirklich ein Eichhörnchen.
                                                                                                    Ein Lumikko ist ein Mauswiesel. Etwa doppelt so gross wie eine Maus und hat Mäuse zum fressen gern. Hast du ein Mauswiesel brauchst du keine Katze mehr ;)

                                                                                                    Was den Turm betrifft:
                                                                                                    https://www.youtube.com/watch?v=MmKcPskMNJY
                                                                                                    Da war ich mal unfreiwilligerweise.... wenn man zum Freizeitpark möchte und sich vom treuen Eheweib lotsen lässt kommt man ganz schön rum sag ich dir. Das war mal eine Fabrik für Schrotflinten und in dem Turm hat man Schrot gegossen. Man hat flüssiges Blei durch eine Art Sieb geschüttet. Die Bleitropfen sind dann in dem Rohr runtergefallen und haben durch die Oberflächenspannung eine Kugel gebildet die schnell abgekühlt ist. Unten ist die Schrotkugel dann in der Regel in ein Wasserfass gefallen....
                                                                                                    Heute ist das ein Verein der die Räume für Hochzeiten etc. vermietet.
                                                                                                    http://www.pispalanmoreeni.fi/

                                                                                                    Wo ist in Tampere dieser Aussichts-/Ausflugsturm den du erwähnst? (Da wo du nicht hoch bist.... der aus rotem Granit)
                                                                                                    Gruss


                                                                                                    P.s.: Ja, das war ein nasser, kalter Sommer. Ich habe im "Sommer" noch nie so viel Brennholz verbraucht wie dieses Jahr.
                                                                                                    Alter finnischer Witz: In Finnland gibt es jedes Jahr 2 Winter. Der eine ist weiss, der andere grün.
                                                                                                    Den hat mir einer erzählt an dessen Häuschen du zwischen Parola und Valkeakoski vorbeigeradelt bist.
                                                                                                    Zuletzt geändert von supi; 29.09.2015, 17:01.

                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                      Freak

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                                                                                                      • 31757
                                                                                                      • Privat


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                                                                                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                      Hej, danke für die Erklärung. Ich fand den Turm so besonders. Das ist er dann ja auch.

                                                                                                      Das ist der Turm, den Du suchst. http://www.munkkikahvila.net/?page=3&lang=en. Pyynikki Aussichtsturm. Er ist am Ende der Straße Näkötornintie. Eigentlich sollte ich die Pälomäentie entlangradeln, die habe ich aber irgendwie verpasst.
                                                                                                      Oha.
                                                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                        • 5056
                                                                                                        • Privat


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                                                                                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                        Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                                                        Ein Hase – oder ist es ein Kaninchen - sitzt mümmelnd, aber auch immer wieder die Umgebung beobachtend - im Gras an einem Baum. Später läuft er auf die Zeltwiese, sprungbereit.

                                                                                                        Ein Hase.

                                                                                                        Gibt es in Finnland überhaupt Wildkaninchen?

                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                          Erfahren
                                                                                                          • 03.02.2013
                                                                                                          • 146
                                                                                                          • Privat


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                                                                                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                          Wieder mal ein sehr schöner Bericht

                                                                                                          Ein Zwischenstop am Pyynikki-Turm hätte sich aber wirklich gelohnt. Zum einen ist die Aussicht auf Tampere und seine Umgebung von dort grandios, zum anderen sind die Donuts dort auch echt super. Da gehen auch die Einheimischen gern mal auf einen Kaffee und einen Donut vorbei ;)

                                                                                                          Hach, jetzt hab ich Sehnsucht nach Finnland...
                                                                                                          Jos ei viina, terva tai sauna auttaa, tauti on kuolemaksi (Finnisches Sprichwort)

                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                            Freak

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                                                                                                            • 31757
                                                                                                            • Privat


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                                                                                                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                            So wirkte es auch. Sonntagsspaziergang (mit dem Auto) und Kaffee trinken. Ich habe auch einen Moment überlegt, ob ich schwach werde, aber ich scheue mich, das Fahrrad alleine zu lassen. Großstädtergewohnheit. Das ist zu zweit natürlich einfacher. Aber ich habe den Blick über Tampere ja damals schon vom Fernsehturm aus genossen.
                                                                                                            Oha.
                                                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                              Freak

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                                                                                                              • 43828
                                                                                                              • Privat


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                                                                                                              Über die Wollmütze freut sich bestimmt jetzt ein Lummiko oder ein Orava, samt jeweiliger Familie

                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                • 31757
                                                                                                                • Privat


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                                                                                                                07.09.2015. Ikaalinen. 69,9 km

                                                                                                                In der Nacht hat es gegossen, und das ist auch am Morgen nicht vorbei. Ich mache noch einmal die Augen zu und überlege, ob ich noch einen Ruhetag einlegen soll. Aber eine Lösung ist das nicht. Geschlafen habe ich nun genug. Und für einen Abwettertag ist das Zelt zu klein. Das war letztendlich der Grund, warum ich bei ods gelandet war. Außerdem schreckt mich Regen nicht, das bin ich ja gewohnt.
                                                                                                                So rappele ich mich um sieben hoch und schleppe mit Regenhose, Radgamaschen und Poncho bekleidet die gepackten Sachen in die Küche. Das Fahrrad parkt jetzt davor, und ich kann beladen.





                                                                                                                Es ist lausig kalt. Meisen hüpfen herum. Ich ärgere mich erneut, dass ich meine Daunenjacke vergessen habe. Und meine Mütze verloren ist. Es ist diese feuchte Kälte, die durch alle Ritzen zieht. In der Küche ist das besonders spürbar.

                                                                                                                Ich traue dem am E-werk hängenden Akku nicht, der bisher in der Fototasche lag und finde eine wassergeschützte Plastiktütenlösung in der oberen Rahmentasche für ihn. Das E-Werk ist wasserdicht, aber der Akku nicht.
                                                                                                                Die Fototasche muss jetzt in den Rucksack und die Kamera findet in der Ponchobrusttasche Platz. Ich wusste gar nicht, dass ich so etwas habe, und sie entpuppt sich als äußert praktisch. Einen Moment überlege ich, die Mütze zu holen umd zurückzufahren. Dann fällt mir ein, dass viele Radwege im Bau waren, und ich verwerfe den Gedanken. Das ist gut, denn heute wird Schiebetag – ähm - Radwandertag.

                                                                                                                Die gestern noch so ländlich- romantisch wirkenden Straßen liegen grau und hässlich vor mir. Ein Schulbus lässt mich über die Straße rüber, ich danke. Der Junge vor mir fährt auf dem Hinterrad, als er mich sieht, ist er unangenehm berührt, entweder darf er das nicht oder seine Technik gefällt ihm noch nicht. Stolz ist er schon.
                                                                                                                Ich kürze ab und auf Landstraße geht es an der Bahn entlang. Es regnet immer noch, aber nicht mehr so stark. Das macht es leichter.








                                                                                                                Bei „Pia und Katja“, einer Poststelle mit Kaffeeausschank, Getränkeverkauf und Küche, Lotto, Spielautomaten und Bürobedarf, will ich einen heißen Kakao trinken, aber es gibt nur Kaffee oder Tee. Ich kaufe eine Cola und esse eine dicke Wurst, die in lieblos in die Tüte geklatschtem süßen Senf badet. Was anderes haben sie nicht. Aber ich habe Hunger und verschlinge sie dankbar. Hauptsache warm.





                                                                                                                Hinter Surio führt ein neuangelegter Radweg an einer Fabrik vorbei, dann fahre ich Landstraße. Es wird nun immer hügeliger und immer häufiger muss ich schieben.
                                                                                                                Dafür ist die Strecke imposant. So stellt man sich Finnland vor. Wenig Verkehr, lange Straßen, Natur. Ein Traum. Die Straße lässt die Wälder individuell wirken, so dass ich ein paar Mal denke: Wie schön. Und weil ich öfter schieben muss, gibt es auch Fotos. Von den Anstiegen, nicht von der rasanten Fahrt bergab.





                                                                                                                Immer wieder mal tauchen Seen auf.





                                                                                                                Ein wenig Hoffnung auf besseres Wetter gibt es auch.





                                                                                                                Ein LKW auf Straße. Holzarbeiten. Ich schiebe und radele das letzte Stück mit mit viel Ehrgeiz vorbei. Der Fahrer glotzt mich an. Kennt er wohl nicht. Später wird er mich überholen.





                                                                                                                Gut getarnte Radwegschilder.





                                                                                                                The long and winding road.











                                                                                                                Finnland, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Wald. Langgezogene Straßen. Ich erinnere mich an einen „Tatort“. Vielleicht wurde er hier gedreht.

                                                                                                                Das Wetter scheint sich zu bessern. Aber an sich ist es nicht schlecht. Etwas kühl. Aber der Regen hat aufgehört.





                                                                                                                An einer Bushaltestelle mache ich Pause. Es ist still geworden, die Autogeräusche, die bis Nokia meine Tour begleitet haben, sind verschwunden. Mein Herz müsste vor Naturrausch nun eigentlich hüpfen, aber ich frage mich in einem kurzen Anfall von Schwermut, was an „Outdoor“ eigentlich so toll ist. Stände ich hier mit einem Auto, sähe das Land ja auch nicht anders aus. Und wäre ich hier zu Fuß, käme mir die Landschaft wohl wie Kaugummi vor: Sie zieht sich. Mir scheint, es gäbe außerhalb der Nationalparks und Trails kaum zusammenhängende Wege. Sondern ausschließlich Straßen, die zur irgendeinem bestimmten Ziel in der Ferne führen. Und diese radelt, radelt und radelt man, und es fühlt sich an, als bewege man sich kaum. Bäume, Felder, Seen, ein Haus. Eine Landschaft für die Ewigkeit. Frieren tut man hier auch. An dieser Stelle hat man jedenfalls noch eine gewissen Weite. Und was ist mit diesen riesigen Wäldern, in die man gar nicht hineinkommt, weil sie viel zu dicht sind? Lost in Finnland. Wo man auch ist. Ich esse ein Stück Roggenbrot mit Käse.








                                                                                                                Der Verkehr nimmt zu. Autos kommen von links und biegen in die Straße ein, die auch mein Ziel ist. Ich meine, so alle drei Minuten kommt ein Auto, manchmal sogar zwei hintereinander, das ist hier schon viel. Ich friere jetzt richtig und steige wieder auf mein Rad.





                                                                                                                Kinder, die mit Fahrrädern den Hügel hinunterrasen, kommen mir entgegen. Ein Mädchen und ein Junge fahren Rennen. Ihnen folgt ein Mädchen, das vorsichtiger ist. Schule ist aus.


                                                                                                                Eine Badestelle am Mahnalansälkä.








                                                                                                                Dürfe man hier eigentlich wildcampen? Ich weiß es nicht. Aber es ist ja sowieso zu früh.


                                                                                                                Schulbusse fahren ab, Eltern mit Kindern im Auto eilen den Berg hinunter.





                                                                                                                Für mich heißt es dagegen schieben. Eine schöne Strecke, das kann ich nicht abstreiten. Stimmungsaufhellend. Der Wald sieht hier lichter aus.





                                                                                                                Oben erscheinen Felder, und ich habe einen Blick auf den See.





                                                                                                                Ein Haus kommt in Sicht.





                                                                                                                Es ist ein Hofladen.





                                                                                                                Eigentlich wollte ich hier Heidelbeeren kaufen, aber als ich die Erdbeeren sehe, muss ich Erdbeeren kaufen. Sie sind rund und sehr dunkel. So etwas habe ich noch nie gesehen. Dazu kaufe ich ein paar Bohnen und zwei Maiskolben. Mansikkaa. Erdbeere. Jeden Tag ein neues Wort.





                                                                                                                Nur ungern verlasse ich diese Stelle. Es kommt mir vor, als wäre hier ein ganz besonderer Ort. Warm, mild und sonnig. Und geprägt von einer besonderen Leichtigkeit. Vielleicht ist das der Grund, dass hier Menschen wohnen.





                                                                                                                Das Wetter ändert sich allerdings wieder, es wird wieder kalt, regnerisch und windig. Als wäre der hochgelene Punkt am See wirklich eine kleine Insel gewesen. Ein Empfangskommittee.





                                                                                                                Es sind mehr, als ich anfangs dachte.








                                                                                                                In dem dazugehörenden verwahrlosten Garten stehen verrottende Oldtimer. Irgendwo am Wegesrand eine Hofeinfahrt. Den Namen kenne ich doch irgendwoher.





                                                                                                                Es fängt wieder zu nieseln an. Auf diesem Baum thront ein Motorradhelm.





                                                                                                                Hier in der Nähe muss ein Campingplatz sein, aber ich sehe kein Hinweisschild. Vermutlich ist es ein Sommerplatz. Es wäre mir auch viel zu früh. Ein schwarzer Porsche 911 überholt mich, biegt ab und fliegt an den Feldern vorbei. Harmonisch fügt er sich in die Landschaft ein. Eine Augenweide.

                                                                                                                Der nächste Ort kommt. Ist es bereits Hämeenkyrö? Krähen fliegen Zugvögeln gleich über meinem Kopf und lassen sich dann in den Bäumen nieder. Ihr „Krah“ wirkt unheimlich, als würden sie etwas aushecken.
                                                                                                                An einer Unterführung spricht mich ein Mann mit einem Fahrrad mit gelber Packtasche an. Leider kann er kaum englisch. Wir verstehen uns trotzdem. Helsinki – Vaasa - das ist weit. Finnland ist um diese Zeit immer kalt.

                                                                                                                Im Ort Hämeenkyro muss ich wieder auf Radfahrer achten. Ein paar Jugendliche verfolgen ihren Weg, als gäbe es mich nicht. Sie fahren nebeneinander. An einem Kreisel lockt ein Motelschild. Es regnet gerade wieder richtig, und ich überlege, ob ich in den Ort abbiege und hier übernachte. Mir ist kalt. Aber der Ort hat nichts Schönes, und ich hoffe, in Ikaalinen einen geöffneten Campingplatz zu finden. Der Ort soll interessant sein. Die Strecke schaffe ich nun auch noch. Junge Leute lungern auf einem Parkplatz herum. Sie schauen zu mir hinüber und lachen. Ob über mich, kann ich nicht sagen. Ich muss übrigens gerade schieben.

                                                                                                                Die folgende Straße lässt sich gut fahren, und ich bin gerade in Schwung, als ich plötzlich ein Schild sehe: Pirkan Ura.





                                                                                                                Ein Wanderweg? Er scheint laut Navi später wieder zur Straße zu führen, und so radele ich in den Weg hinein.





                                                                                                                Erneut bin ich überrascht, was meine Garmin Straßenkarte für Wege kennt. Irgendwo auf dieser Tour hatte ich mal versucht, mit einer heruntergeladenen OSM Topo-Karte zu navigieren, aber das war sinnlos. Es waren nur Hauptstraßen und Höhenlinien drauf. Sonst war alles weiß.





                                                                                                                Schnell wird der Sandweg zu tief, und ich muss umdrehen.





                                                                                                                Ich biege jetzt in einen festen Naturweg ein.





                                                                                                                Der Wandertrail verläuft parallel.








                                                                                                                So stoße ich kurz darauf auf einen der Shelter, die in der alten GT Karte eingezeichnet sind.








                                                                                                                An sich wäre ein Shelter ein gute Gelegenheit, sich niederzulassen, aber ich weiß nicht so ganz, was ich hier will. Der Wald ist nass und feucht, der Shelter dunkel und abweisend. Auf der anderen Seite der Straße ist ein Gebäude, es sieht aus, als wäre hier eine Landebahn vor der Tür. In regelmäßigen Abständen kommen Autos mit hoher Geschwindigkeit vorbei. Nein, danke, nicht, wenn ich allein bin. Zur Bestätigung heizt ein Auto an mir vorbei.

                                                                                                                Es soll hier in der Nähe auch noch einen Grillplatz geben, aber ich will jetzt nicht mehr suchen. Ja, ich könnte hier im Wald zelten. Aber was soll ich da? Bäume anschauen? Mit eine Erkältung holen? Ich bringe es auf den Punkt: Es sind einfach zu viele Bäume hier.

                                                                                                                Das wird umso deutlicher, als es wieder lichter wird.





                                                                                                                Eine schöne Landschaft schließt sich an.





                                                                                                                Ein wenig Schwarzwald. Oder flache Schweiz.














                                                                                                                Allerdings sehe ich nun auch deutlich: Da, wo es wirklich schön ist, ist es auch in Finnland privat. Man stellt es sich bei uns manchmal viel zu einfach vor.








                                                                                                                Unerwartet ein Radwegschild. Wie niedlich.





                                                                                                                Und dann kann ich nicht mehr. Selbst Studentenfutter als Treibstoff nutzt nichts. Es geht immer nur hoch und kaum runter. Lincolnshire. Die Autos fahren schnell und sind entsprechend laut, sonst kommen sie den Berg nicht hoch. Immer wieder wechsele ich die Seite: Links schieben, rechts fahren. Gegen Ende fahre ich noch nicht einmal bergab. Es geht ja eh gleich wieder hoch. Ein alter Mann überholt mich lässig auf einer Dreiganggurke. Der absolute Tiefpunkt. Ich beschließe, hinter der Kuppe einfach zu streiken.

                                                                                                                Kaum habe ich sie erreicht, sehe ich: Ich bin da.





                                                                                                                Der Platz soll am See liegen. Aber ob er geöffnet hat? Ein Lidl. Ich brauche zur Abwechslung dringend Mineralwasser. Ich parke das Rad vor dem Aschenbecher. Boah, wie das stinkt.
                                                                                                                Saskia, die blaue Flasche wie bei uns, kostet hier 1.19. Inklusive 40 c Pfand. Saskia mag ich nicht. Ich nehme eine andere Flasche, 65 cent inklusive 40 cent Pfand. Das Wasser wird nicht schmecken. Der Laden ist genauso steril wie bei uns, nach den ganzen Feldern und Wäldern empfinde ich das als futuristisch abstoßend. Schnell raus hier.

                                                                                                                Ich eile die flache, breite Straße entlang. Der Radweg ist schlecht. Baumwurzeln. Eine sehr schön angelegte Parkanlage am See lockt und ich beschließe, notfalls zelte ich hier wild. Weiter fahre ich jetzt nicht mehr. Der Zugang zur Insel, hier ist auch ein Schwimmbad. Die Sonne ist herausgekommen und Menschen genießen die Strahlen. Auch eine Option. Ich schiebe einen steilen Hügel hoch und lande bei einem großen Gebäude. Ein Sanatorium? Das Gebäude scheint berühmt zu sein, wie ich später feststelle, hier macht man wohl Wohlfühlurlaub.

                                                                                                                Ich schaue noch einmal ins Navi und fahre wieder herunter. Ein wunderbarer Campingplatz. Das sehe ich sofort. Ein paar Hütten, ein paar Wohnmobile. Die Athmosphäre wirkt freundlich.
                                                                                                                Die Rezeption ist allerdings geschlossen. Ich rufe bei der Nummer an. Ein Ehepaar kommt, spricht aber kein Englisch. Verzweifelt versucht der Mann, jemandem aus dem Büro zu erreichen. Ich vermute, er weiß nicht, wieviel Zelte kosten. Ich fülle schon mal den Anmeldezettel aus, dann sage ich „Sonne“, schiebe flink das Rad in die Sonne und hole den klitschnassen Lappen von Zelt aus seiner Packtasche raus. Der Mann lacht, als er das sieht. Es ist windig hier. Ich ziehe das Gestänge ein und mache das Zelt gut fest.
                                                                                                                Dann klappt es mit seinem Anruf. 10 Euro. 10 Euro für diesen schönen Platz? Ich bin begeistert. Auf der Zeltwiese am Wasser baue ich das Zelt auf. Mein Fahrrad schließe ich am Balkon der Sauna an.








                                                                                                                Ich finde die Dusche und dusche heiß. Wie schön, dass Finnen wissen, was gut tut. Die Hose riecht immer noch nach dem Basmatireis, den ich im Aulanko Nationalpark gekocht hatte.





                                                                                                                Ein Paar winkt mir aus der Küche zu, aber als ich die Küche betrete, sind sie verschwunden. Sie sind mit einem umgebauten Reisebus hier.
                                                                                                                Ich koche auf dem Herd, das ist wärmer als im nassen Zelt. Und lade meine Akkus auf. Auch den, der am E-Werk hängt. Das ist am besten. Die Bohnen haben Fäden. Das gibt es noch?





                                                                                                                Aber die Erdbeeren sind der Hammer. Noch nie habe ich so etwas gegessen. So müssen Erdbeeren schmecken. Fruchtig süß und dennoch ein bisschen säuerlich. Dazu sind die Früchte knackig und fest. Ein echter Genuss. Wo kann man das in Deutschland kaufen?





                                                                                                                Von der Küche aus hat man einen guten Blick über den ganzen Platz, da sie umlaufende Fenster hat. Die Sonne geht bereits unter. Als ich wieder zum Zeltplatz gehe, ist sie bereits verschwunden. Mein Zelt ist auf dem Foto nicht zu sehen, obwohl es direkt im Bild steht.





                                                                                                                Als die Sonne schon verschwunden scheint, leuchtet der Himmel wieder auf.





                                                                                                                Ich mache mich bettfertig, aber das Abendrot bleibt bestehen. Die ersten Sterne funkeln. Mein Zelt steht außerhalb einer Beleuchtung, die Lichter vom Campingplatz sind weit entfernt, dennoch wird es nicht dunkel. Es ist, als schwebe das Licht um den See herum.

                                                                                                                Es ist jetzt neun und Schlafenszeit, aber mein Körper wird nicht ruhig. Der Himmel elektrisiert mich. Immer wieder ziehe ich meine Schlafmaske ab und reiße doch noch einmal die Zelttür auf. Der rote Schimmer am Horizon bleibt bestehen.





                                                                                                                Es wird kalt und obwohl ich zwei Schlafsäcke dabei habe (0 Grad und + 13 Grad), kommen sie an ihre Grenze. Ich ziehe als zusätzliche Schicht ein dünnes Merinohemd am. Wo ist eigentlich meine wollene Mütze?

                                                                                                                Wieder versuche ich zu schlafen, aber im Zelt bleibt es hell. Neugierig schaue ich nach draußen. Das Abendrot ist einem hellen weiß gewichen, gleißend und doch transparent. Als wäre es eine millionenfach verdichtete Milchstraße, die den Horizont überspannt. Die Corona, die ich vom Kaunispää her kenne. Wenn ich Glück habe, kommen vielleicht noch Nordlichter hervor.
                                                                                                                Das Glück habe ich nicht, aber eine Sonnenaktivität ist es dennoch. Man hört es am Geräusch. Nordlichternächte haben ihren eigenen Klang. Das kann man nicht beschreiben. Laserstrahlen ragen ohne sichtbare Lichtquelle in den Himmel.
                                                                                                                Ich zittere am ganzen Körper vor Kälte und zwei Buffs auf dem Kopf helfen auch nicht weiter. So tauche ich immer wieder zum Aufwärmen im komplett geschlossenen Schlafsack unter. Immer wieder beschließe ich, endlich schlafen zu gehen, aber es geht nicht. Ich will warten, ob sich die stillen Geister der Nacht zum Tanz versammeln.
                                                                                                                So hole ich doch noch den Fotoapparat und probiere verschiedene Funktionen aus. Mühsam erinnere ich mich, aber die Bilder werden nichts. Ich wollte mich doch darum kümmern. Nun ist es leider zu spät.
                                                                                                                Die ersten Wolken tauchen auf. Über mir ist der Himmel taghell. Das Hotel auf dem Berg? Oder die Reflektion der Corona in den Wolken? Ich vermute letzteres.
                                                                                                                Hunde beginnen wild zu bellen, sie befinden sich auf der anderen Seeseite und sind doch klar und deutlich zu hören, als ständen sie neben mir. Schaurig und doch schön. Wieder ist mir bitterkalt. Die Apsis flattert im Wind. Doch jeder Versuch, jetzt schlafen zu gehen, scheitert.

                                                                                                                Ich greife wieder nach dem Fotoapparat und eine Idee lässt die Bilder besser werden. Das ist von den Farben her noch am realistischsten, obwohl der Himmel sehr viel heller ist.





                                                                                                                Hier färbt die Kamera die Lichteinstrahlung grün.











                                                                                                                Immer mehr Wolken ziehen herüber und verdichten sich. Mit ihnen erscheinen neue Laserstrahlen am Himmel, aber langsam decken sie das Leuchten immer stärker zu. Nun verändern sich auch die Geräusche und es ist, als lege sich ein Schleier auf die Magie. Aus einem Wunder wird ein ganz normaler Abend. Noch ein paar sehnsüchtige Blicke und die Hoffnung auf ein Zurück, dann ziehe ich die Zelttür endgültig zu. Es ist jetzt kurz vor Mitternacht.

                                                                                                                Ich ziehe meine Schlafmaske über die Augen und wickele mich in die Schlafsäcke ein. Ein schöner Platz hier. Man sollte viel länger bleiben. Und ich erinnere mich an den Satz, den ich bereits dachte, als ich in Valkeakoski unter der heißen Dusche stand: Kein Zweifel. Gott muss Finne sein.
                                                                                                                Zuletzt geändert von Torres; 01.10.2015, 12:34.
                                                                                                                Oha.
                                                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                  • 16.08.2008
                                                                                                                  • 31757
                                                                                                                  • Privat


                                                                                                                  #57
                                                                                                                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                  Zitat von lina Beitrag anzeigen
                                                                                                                  Über die Wollmütze freut sich bestimmt jetzt ein Lummiko oder ein Orava, samt jeweiliger Familie



                                                                                                                  @Spartaner
                                                                                                                  Danke für die Info. Ich war mir dann doch nicht so sicher. Bei uns ist es ja eher andersherum.
                                                                                                                  Oha.
                                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                    • 31757
                                                                                                                    • Privat


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                                                                                                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                    08.09.2015. Parkano. 51,1 km.


                                                                                                                    Am Morgen ist es kalt und sehr windig. Der Zauber der Nacht ist verflogen. Der Himmel ist bewölkt. Für einen Moment überlege ich, ob ich bleibe. Aber wieder einmal bekomme ich meinen inneren Motor nicht ausgeschaltet. Der Flow treibt mich weiter. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre ich erkältet, und husten muss ich auch. Trotzdem packe ich routiniert. Ich frühstücke in der Küche die letzten zwei Brötchen und mache das Wasser für Kakao in der Pfanne heiß. Der Wasserkocher ist defekt. Das Fahrrad lehne ich hinter dem Bürogebäude an, damit es nicht vom Wind umgeweht wird.

                                                                                                                    Der Wind bleibt auch nach dem Frühstück eisig, und ich ziehe den Poncho an. Ich brauche etwas gegen den Windchill. Das dicke, langärmliche Radshirt, die dünne Windbreakerjacke, die Baumwolljacke und meine gelbe Windbreakerweste reichen einfach nicht. Die Regenwahrscheinlichkeit soll dagegen gering sein. Die ods-hotline hatte mir gestern die Wetterentwicklung durchgesagt. Es soll in den nächsten Tagen aufwärts gehen. Auch temperaturtechnisch. Das glaube ich zwar noch nicht so ganz, aber wir werden sehen. Das Ehepaar, das mich angemeldet hatte, winkt mir fröhlich zum Abschied zu. Das ist selten, und ich winke erfreut zurück. Ein schöner Platz, das sagte ich doch.

                                                                                                                    Der Wind treibt das Wasser vor sich her.





                                                                                                                    Kaum habe ich die Insel verlassen, sehe ich mich mit einer Steigung konfrontiert, da ich den Ortskern besichtigen will. Schüler steigen gerade aus einem Bus und laufen deutlich unbegeistert in Richtung Schule.

                                                                                                                    Kaum habe ich ein paar Meter geschoben – pardon, bin ich ein paar Meter geradwandert - , merke ich, dass ich nicht gut drauf bin. Am liebsten führe ich wieder zurück, aber das wäre ja auch doof. Das wollen die Beine auch nicht. Mit dem Ortskern kann ich nicht viel anfangen und habe jetzt auch keine Lust, nachzuschauen, was jetzt wichtig ist und was nicht.








                                                                                                                    Was macht das Boot da im Garten?





                                                                                                                    Ein kleiner Supermarkt, aber da ich keinen Radständer oder Laternenmast finde, um mein Fahrrad abzustellen, habe ich schon gleich keine Lust mehr. Es ist 10.00 Uhr. Ein Blick zurück.





                                                                                                                    Ich wende mich Richtung Ortsausgang und sehe wieder den Lidl. Die Pfandflasche kann man nur dort abgeben, so habe ich den Text auf der Flasche verstanden. Aber das ist mir jetzt Moment egal. Ich fahre vorbei.

                                                                                                                    Ich suche den Weg und finde ihn nicht. Der Radweg führt laut Karte an der Hauptstraße entlang. Ist es die Straße am Einkaufscenter? Laut Navi nicht. Ich schaue noch einmal unter der Unterführung nach. Auch nicht. So nehme ich die Auffahrt zur Europastraße und muss schieben. Der Wind lässt jede Hoffnung ersterben, ich käme da aus eigener Kraft hoch. Der Tag fängt wirklich ätzend an.

                                                                                                                    Kurz darauf habe ich das Gefühl, hier nicht hinzugehören. Der Verkehr ist viel zu stark. Ich drücke mich am schmalen Randstreifen entlang. Autos und LkW überholen kreischend, aber gehupt wird nicht. Ein Radweg taucht neben der Straße auf. Er verläuft parallel. Leider kann ich den Straßengraben nicht überwinden. An einer Blitzampel erkenne ich meine Chance, hier ist der Trennungsstreifen flach, und ich wechsele auf die Seite.








                                                                                                                    Noch einmal ein Blick auf den See und die Parkanlage von gestern. Es sind immerhin 12 Grad, aber der Wind macht die Sache viel kälter.





                                                                                                                    Vor mir befindet sich eine Tankstelle, der Radweg führt seitlich vorbei, und ich habe plötzlich Hunger. Die Auswahl ist recht groß, und ich entscheide mich für einen Cheeseburger im finnischen Brötchen. 5 Euro. Der Mann spricht englisch und ist gut drauf. Ich setze mich in die Gaststube, ein LKW Fahrer schaufelt Eier und Bratkartoffeln in sich hinein. Es gibt bereits Lunch. Einen Moment überlege, ob ich das Falsche bestellt habe. Nein. Der Burger ist köstlich. Der Raum ist geheizt und man könnte hier auch bleiben. Als ich wieder im Wind stehe, ist es doppelt kalt.

                                                                                                                    Eine Hotelanlage. Sieht aus, als wäre hier im Winter ein Skigebiet. Alt und modern nahe beieinander.





                                                                                                                    Kinder lernen Golf.





                                                                                                                    Ein Einkaufszentrum wirkt deplaziert in der rauen Umgebung. Zwischendrin erscheint mal wieder eine Radwegmarkierung. Man ahnt sie mehr, als dass man sie sieht.





                                                                                                                    Jeden Tag ein neues Wort. Merken kann ich mir das leider nicht.





                                                                                                                    Im Hintergrund das Windrad, das ich gestern aus dem Zelt heraus erblicken konnte. Rechts von mir muss also der See sein, auf den ich gestern geblickt habe. Erneut ist die Nebenstrecke ausgeschildert. Die Strecke hügelig und gemein. Man sieht nicht mehr als Wald und ab und zu ein Haus.











                                                                                                                    Wie es hier halt so ist. Bei Sonne fände ich das vermutlich nett. Aber vielleicht auch nicht. Für mich ist es hier einfach zu steil. Ein Fahrzeug, das mir gefällt. Volvo. Ich überlege, ob man hier Ytong-Steine fertig.





                                                                                                                    Im Wald leuchten die Preiselbeeren. Der Weg ist festgefahren und teilweise voller Steine.





                                                                                                                    In der Ferne auch mal ein See.








                                                                                                                    Drei Kraniche schauen mich an, und ich fotografiere sie erfreut. Blöderweise hat sich die Kamera verstellt. und ich merke es zu spät. Mir bleibt heute nichts erspart. Majestätisch laufen sie genau in dem Moment aus dem Bild, als ich den Fehler gefunden habe.








                                                                                                                    Kreative Bautechniken gibt es hier auch.





                                                                                                                    Noch ein paar Kraniche, aber das Tele auszupacken, habe ich keine Lust. Mir ist schon kalt genug.





                                                                                                                    Es geht überwiegend Nebenstrecke entlang. Kein Asphalt. Festgefahrener Sand. An die kleinen Steinchen habe ich mich längst gewöhnt. An die größeren Steinchen auch. Es ist fast angenehmer mit den schmalen Reifen zu fahren, als mit den MTB Reifen, weil man immer eine kleine Spur findet, auf der man unbehelligt fahren kann. Bei den breiteren Reifen erschrickt man sich immer so, wenn die Steinchen zur Seite platzen.











                                                                                                                    Teilweise heize ich todesmutig den Hügel hinunter. So leichtsinnig bin ich sonst nie. Das Navi wird eine Höchstbeschwindigkeit von 40,9 km/h anzeigen. Das ist für meinen Fahrstil Rekord. Die Gegend erscheint mir tot, töter, am tötesten. An einem verlotterten Sportplatz ein künstlicher Elch.





                                                                                                                    Schweine auf einer Wiese. Immerhin: Hier fährt ein Bus. Vermutlich der Schulbus.





                                                                                                                    Was hat man hier gemacht, als es noch keine Autos gab? Pferdekutschen? Konnte man sich ernähren? Wie musste man für den Winter vorsorgen, um bis zum Frühling durchhalten zu können? Kam hier überhaupt jemals jemand hin? Kurz darauf ändert sich das Bild. Ein gut gepflegtes, nobel wirkendes Haus mit hübschem Garten. Da verdient anscheinend jemand Geld.





                                                                                                                    Und schon bin ich in Mansoniemi. Den Campingplatz gibt es wirklich. Zugig ist es und immer noch kalt.





                                                                                                                    Ich hatte angedacht, auf diesem Platz Rast zu machen. Es soll hier sehr schön sein.





                                                                                                                    Als ich aus meiner Seitenstraße an die Hauptstraße komme, liegt er direkt vor mir. Geöffnet hat er auch (sogar bis 30.09.). Rechts von mir an der Hauptstraße ist eine Ampel, da aufgrund einer Baustelle nur eine einspurige Verkehrsführung vorhanden ist. Sie ist in meine Fahrtrichtung rot. Dementsprechend halten vor mir zwei Schweinelaster. Ich schaue zum Platz, dann zum Schweinelaster, dann wieder zum Platz. Nein, danke. Keine Schweinelasterverkehrsgeräusche im Zelt. Heute nicht. Spontan reihe ich mich in den Stau ein, lasse den zweiten Schweinelaster vor (boah, stinkt das) und gebe alles, um die Steigung hochzukommen. Vergebens. Alle sehen es: Ich schiebe.





                                                                                                                    Mein Radweg geht nun rechts ab und einen Moment überlege ich, ob ich zurückfahre. Dieser Tag ist wirklich schwer. Aber ich werde mir nicht so richtig schlüssig, ob ich das wirklich will. Es ist gerade mal 13.00 Uhr, bisher war der Tag einfach ätzend. Das kann es für heute nicht gewesen sein. Und so radwandere ich einfach weiter.

                                                                                                                    Und hoffe natürlich, dass nun alles besser wird. Weit gefehlt. Es wird schlimmer.





                                                                                                                    Klappbrücken, definitiv. So nenne ich fiese Steigungen, die erst richtig anfangen, wenn man denkt, dass man sie gerade überstanden hat. Wann hört das bloß jemals auf?








                                                                                                                    Kurz vor Polti mache ich an einer Bushaltestelle Halt. Und wie bereits tausendmal zuvor schaue ich auf eintönige Straße, Wald und Wiese, und weil es Outdoor heißt, ist es toll. Kippen liegen im Sand. Man kann wirklich sagen, ich bin heute unglaublich gut drauf.





                                                                                                                    Ich biege ab und es bleibt zwar hügelig, aber ein paar Mal komme ich tatsächlich die Steigungen hoch. Selbst die Felder sind trostlos. Am heutigen Tag leuchtet da nichts.





                                                                                                                    Immerhin mal ein paar Blumen. Reißt es zwar auch nicht raus, aber man darf ja nicht klagen.





                                                                                                                    Es ist weiterhin hügelig auf festgefahrenen Sandwegen, und wenn ich so den Hügel hinunterknalle, fühle ich mich schon recht mutig. Aber aus irgendeinem Grund habe ich mittlerweile Vertrauen zu meinem Fahrrad. Fast wird mir das vor dem Golfclub Ikaalinen zum Verhängnis. Eine Vertiefung, ich pralle hinein, bremse vor Schreck, und lasse dann aber sofort wieder locker und das Rad fliegt weiter. Glück gehabt. Sich mit 40 Sachen auf die Nase zu legen, gibt unschöne Streifen. Ich denke über meine Bremsen nach. Ich dachte ja früher, meine Magura wären schon gut. Aber Scheibenbremsen sind nicht zu toppen.





                                                                                                                    Der Golfclub ist leer. Wieso ist das eigentlich der Golfclub Ikaalinen? Ist Ikaalinen so groß? Ich dachte, ich hätte den Ort schon hinter mir. Auch das noch, ich komme noch nicht einmal voran. Eine flachere Strecke schließt sich an. Sie lässt sich besser fahren, aber meine Laune bessert das nicht. Ich überlege, was man hier eigentlich sieht:

                                                                                                                    Rechts ein Baum (einer? Tausende. Und alle gleich.),





                                                                                                                    links ein Baum (einer? Tausende. Und alle gleich.),





                                                                                                                    und in der Mitte ein Zwischenraum.





                                                                                                                    Und wenn der Wald abgeholzt ist, sieht es so aus.





                                                                                                                    Ich werde später erklärt bekommen, dass diese Bäume absichtlich stehen bleiben. Aussaat. Der Wind frischt immer wieder auf, aber hier stört er mich weniger. Alles ist besser als diese blöden Steigungen. Vom Schieben – ähh Wandern - tut mir schon der Arm weh.





                                                                                                                    Da ich nun aber wieder fahren kann, denke ich erneut über Wildcampen nach. Bei Schnee fand ich die Platzsuche ja ziemlich einfach, da sieht man alles unter dem Schnee nicht. Aber im Sommer muss ich feststellen: So einfach ist das auch wieder nicht. Man braucht schon eine Einfahrt oder irgendeine vorbereitete Stelle. Zumindest mit dem Fahrrad. An den Wanderwegen sieht das sicherlich anders aus.

                                                                                                                    Der Wald: Dicht und verwildert. Totholz. Gestrüpp. Schwer zu erkennende Unebenheiten.





                                                                                                                    Steinig und bemost.





                                                                                                                    Pflanzenteppiche. Da würde ich es nicht über das Herz bringen, zu zelten.








                                                                                                                    Es beginnt zu regnen, aber das interessiert mich nicht. Solange Wind ist, geht das wieder vorbei, er treibt die Wolken weiter. Die Böen sind weiterhin nicht so angenehm, aber immer häufiger schützt mich jetzt auch der Wald vor unkontrollierten Schlenkern. Ein Holzlaster steht herum, der Fahrer schaut mich mit großen Augen an, bevor er vor dem Regen ins Führerhaus flüchtet. Links von mir ahnt man einen See.





                                                                                                                    Die Steigungen hier machen jetzt wieder Spaß.





                                                                                                                    Heidelbeeren am Wegesrand. Ist das nicht viel zu spät?








                                                                                                                    Wandertag. Ich laufe den Hügel hinauf. Pferde schauen mich interessiert an. Ist ja auch sonst nichts los hier. Als der Rappe - oder ist es eine Stute? - losgeht, zickt der oder die kleine Braune herum.








                                                                                                                    Die meisten Hügel komme ich jetzt aber hoch und meine Laune wird erheblich besser. Aber manchmal klappt es doch nicht ganz. Aber dann ist es nur das letzte Stücken. Erdbeeren am Straßenrand?





                                                                                                                    Hausbau auf Finnisch. Es riecht nach frischem Holz. Mein Tief ist langsam überwunden. Ich bin wieder besser drauf. Vielleicht, weil ich weiß, dass das Ziel nicht mehr weit ist. An der Hauptstraße überholt mich ein Holzlaster. Es scheint, als sei es der Holzlaster von vorhin, aber genau weiß ich das nicht.





                                                                                                                    Rechts sehe ich ein Holzschild, anscheinend gibt es hier auch einen Wanderweg oder sogar einen Trail in einem Nationalpark. Auf einer fernen Wiese rasen Kinder mit kleinen kreischenden Motorscootern um die Wette. Man hört das Geräusch der Motoren meilenweit. Fände ich auch cooler, als Fahrradfahren, stelle ich fest. Idiotisch, hier Fahrrad zu fahren. Aber ich bin ja Wanderer. Das Fahrrad gehört mir nicht. Das habe ich gefunden.

                                                                                                                    Ich bin jetzt in Parkano, dem geplanten Endpunkt dieser Etappe. Den Ort kenne ich aus dem Zugfenster, wenn ich mich nicht täusche. Der Name sagt mir nämlich etwas. Ich glaube, hier war der Schnee bei meiner ersten Reise das erste Mal richtig hoch. Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht.





                                                                                                                    Es ist flach hier. Ich gebe den Campingplatz ins Navi ein. Zwei Jungs, die sich schnell als ein Junge und ein Mädchen entpuppen, rasen auf einer Wiese um die Wette und spielen Verfolgen, der Junge macht sich wichtig. Als ich stehen bleibe, halten sie an. Ich zücke die Kamera. Er will nicht, sie nickt und lächelt.





                                                                                                                    Vor den Häusern stehen geschmackvolle Kunstwerke.








                                                                                                                    Die Nationalstraße kommt in Sicht und am Kreisverkehr gibt es daher zwei oder drei große Supermärkte. Ich kaufe jetzt doch bei Lidl ein, aber nur wegen der Flasche. Preiswert für Finnland, in der Tat. Und schnell finde ich alle Sachen. Das System ist ja schließlich bekannt. Und es gibt auch deutsche Bezeichnungen auf einigen Produkten, das hilft. Mit Erstaunen sehe ich Kilopackungen Hüttenkäse und bewundere eine große Lachstheke. Man sieht hier vielleicht am deutlichsten die Unterschiede in den Essgewohnheiten der Länder. Ich kaufe Erbsen und Champignons und in einem undefinierbaren Spaghettihunger eine Packung Tomatensoße, die ich dann fast eine Woche durch die Gegend fahren werde. Als ich an der Kasse stehe, gefällt mir mein Geruch überhaupt nicht. Der Poncho hat ein Mikroklima geschaffen, das nicht gerade kontaktkompatibel ist. Aber der Platz ist ja nicht weit.

                                                                                                                    Genau genommen ist er direkt um die Ecke. Am Eingang ist ein Haus und ein russisch aussehender Finne steht gerade in der Tür und telefoniert. Ich stürze auf ihn zu und frage ihn, ob er die Rezeption ist. Er spricht ein wenig Englisch und winkt mich in das düstere Haus. Der Fernseher läuft. Hinter dem Tisch steht eine Kasse, und er sucht auf einer Liste nach dem Preis. 10,00 Euro, sehe ich sofort, bei ihm dauert das etwas, er bucht erst 5,00 Euro ein und ruft noch den Besitzer an. Dann bucht er wieder 5,00 Euro ein. Ich bekomme eine Quittung. Er arbeitet hier nicht, erklärt er entschuldigend. Dann zeigt er mir aber den Platz. Er erklärt mir, was wo ist, indem er das englische Wort benutzt, und ich sage das Wort daraufhin auf Finnisch. Wir lachen.





                                                                                                                    Der Platz wirkt im Gegensatz zu gestern eher trostlos und sehr leer. Etwas weiter weg steht ein großes Wohnmobil. Sonst sehe ich niemanden. Ich stelle mich in die Nähe der Küchen- und Sanitärgebäudes, so dass ich halbwegs einen Blick auf den See habe. Direkt am Wasser will ich nicht stehen, es ist durch den Regen einfach zu feucht und Bäume versperren die Sicht.





                                                                                                                    Die Dusche ist in Ordnung, und die Küche riesig und angenehm warm. Ich pule die Erbsen und entdecke, dass die gekauften Champignons aus Deutschland stammen. Auch die Aufschrift ist deutsch.








                                                                                                                    Das Essen schmeckt sehr gut, das liegt natürlich auch an dem wundervollen Parmesankäse, den ich ganz zufällig dabei habe.





                                                                                                                    Ein kleiner Junge reißt die Tür auf, ruft irgendwas und wirft sie wieder zu. Dann inspiziert er die Grillhütte. Hyperaktiv. Er rennt hin und her, mal rein, mal raus, dann wieder zur Hütte der beiden und redet dabei die ganze Zeit. Sein Vater schnauft hinter ihm her. Er ist überhaupt nicht so gelenkig und bekommt den Sohn nicht so richtig in den Griff. Ich überlege, ob der Junge wohl ein Scheidungskind ist? Die beiden erinnern mich an die Zeichengeschichten von Vater und Sohn. Der schnaufende Vater und der aufgeweckte Sohn. O.E. Plauen - Eric Ohser. Ein bitteres Schicksal, geht mir durch den Kopf. Im Nachhinein glaube ich übrigens, dass der Vater eigentlich der Opa ist.





                                                                                                                    Vater und Sohn haben nun die Grillhütte erobert und heizen ein. Als sie die Hütte verlassen, gehe ich hinein. Der müffelnden Baumwolljacke kann der Holzgeruch nur gut tun, das Radshirt soll trocknen und mir wird dann hoffentlich auch gut warm. Ein Transporter stellt sich in etwas Entfernung in die Sichtachse meines Zeltes. Urban Outdoor. Mist. Aber vielleicht stehe ich ja auch auf den Plätzen für die Monteure. Er wohnt wohl in einer der Hütten rechts von mir. Auch der Wohnwagen scheint eine entsprechende Unterkunft zu sein. Vater und Sohn sind neben mir die einzigen touristischen Gäste.

                                                                                                                    Ich lege Holz auf und setze mich auf die Bank am Feuer, aber die Grillhütte ist so riesig, dass die Wärme schnell verfliegt.





                                                                                                                    Der Wind pfeift durch das offene Dach. Mein Radshirt dampft. Richtig trocken wird es nicht werden, der Raum ist einfach zu groß.





                                                                                                                    Vater und Sohn kommen zurück, schauen durch das Fenster und gehen in die Küche. Ich erinnere mich an die Grillhütte im Wald bei Turku, wo die Finnen sehr schnell die Hütte verlassen hatten, nachdem ich kam. Ist es Höflichkeit, den anderen nicht stören zu wollen? Als der Vater erneut durch das Fenster schaut, winke ich ihn hinein. Die beiden kommen tatsächlich. Allerdings sprechen sie kein Englisch. So schweigen wir Erwachsenen, während der Junge ohne Hemmungen auf Finnisch plappert. Der Vater brummt dazu.

                                                                                                                    Der Vater legt ein paar Würstchen aufs Feuer, sie sind ganz dick, dicker als die Würstchen bei uns. Eine 1,5 Literflasche mit rotem Saft steht neben ihm. Er schenkt seinem Sohn und sich ein Glas voll und trinkt seinen Saft dann mit einer Handbewegung, als wäre es Schnaps. Innerlich muss ich grinsen. Dann sind die Würstchen fertig. Sie sind sehr heiß und die Haut sieht wie dunkles, glattes Leder aus. Er wartet nicht, dass sie abkühlen, sondern knabbert saugend und schlürfend die Wurst in sich hinein. Es ist ein sehr lautes Sauggeräusch, und ich bin fasziniert. Diese Saugwürstchen will ich auch.

                                                                                                                    Als ich die Grillhütte verlasse, ist mir wärmer. Das Shirt ist noch nicht trocken, aber so werde ich es morgen anziehen können. Die Sonne geht gerade unter und verbreitet ihren Schein über den See.








                                                                                                                    Ach. Eigentlich war das doch ein schöner Tag.
                                                                                                                    Zuletzt geändert von Torres; 04.10.2015, 07:11. Grund: Die Reiher sind Kraniche
                                                                                                                    Oha.
                                                                                                                    (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                      • 12705
                                                                                                                      • Privat


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                                                                                                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                      Akribisch, aber dank des gekonnten Umganges mit der Sprache immer lebendig. Bilder und Sprache ergänzen sich harmonisch und lassen uns die Fahrt sehr plastisch miterleben. ...und Finnland reizt uns mehr und mehr. Der Plan für das nächste Jahr nimmt Konturen an. Auch wenn es nicht outdoormäßig-stilvoll mit den Rad sein wird, sondern wieder schnöde mit Auto und Zeltanhänger. Aber vielleicht bauen wir eine Kanutour ein.....? Alles noch unausgegoren. Nach den vielen schönen Berichten hier im Forum müssen wir da endlich mal hin!
                                                                                                                      Ditschi

                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                        Gerne im Forum
                                                                                                                        • 13.01.2013
                                                                                                                        • 79
                                                                                                                        • Privat


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                                                                                                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                        Es gibt Hasen:
                                                                                                                        https://fi.wikipedia.org/wiki/Rusakko - Feld-/Waldhase
                                                                                                                        Kanienchen soll es im Süden Finnlands in der Ecke Helsinki-Turku geben. Ich selbst habe da aber noch keine gesehen. In Ahvenanmaa gibt es sie aber sicher. Weiter nördlich kommen sie nicht über den Winter. Das die Hasen das schaffen... ich werde das in meinem Leben nicht verstehen.

                                                                                                                        Du hast richtig verstanden, LIDEL, von Deutschen auch Oase genannt, hat sein eigenes Rücknahmesystem mitgebracht.
                                                                                                                        Wenn du von Frankfurt-Hahn Richtung Mainz fährst siehst du auf der linken Seite ein LIDEL Logistikzentrum. Von diesem Logistikzentrum aus werden die Logistikzentren in Finnland versorgt (zumindest war das vor 4-5 Jahren noch so). Zur Wiessen Zeit gibt es einmal im Jahr sogar Weisswürste und Maultaschen, dieses Jahr soger erstmalig Fleischkäse. Da wird dann gebunkert bis die Gefriertruhe platzt. Ein bischen heimatilche Folklore muss sein. Du als Nordlicht verstehst das aber vermutlich nicht.

                                                                                                                        Wenn du dir mal so Grillwürstchen besorgen möchtest solltest du dich an diese beiden Sorten halten. Die sind ganz ok, in anderen ist oft so viel Mehl das sie nach EU-Recht unter Backwaren eingestuft sind (kein Witz).
                                                                                                                        https://www.atria.fi/tuotteet/makkar...grillimakkara/
                                                                                                                        http://www.hookoo.fi/tuotteet/tuote/...riginal-400-g/
                                                                                                                        Beim Senf empfehle ich
                                                                                                                        http://www.auranmaustaminen.fi/tuoteryhma/sinapit/ (den rotbraunen)
                                                                                                                        (auch so eine typ. finnische Story. Ursprünglich war das Turun Sinapia (Turkuer Senf). Dann wurde Turun Sinapia an einen schwedischen Konzern verkauft. Der hat die Senffabrik in Turku zu gemacht und angefangen Turun Sinapia in Schweden zu produzieren. Da hat die alte Belegschaft das Werk in Turku übernommen und unter dem Namen Auran Sinapia weitergemacht. In der Zwischenzeit wurde die Produktion Turun Sinapia nach Polen verlagert, und wie es aussieht kommt Turun Sinapia bald wieder aus Finnland. Die alten Marktanteile erreichten sie nie wieder.)

                                                                                                                        Du hast dich über das Verhalten von Vater/Opa und Sohn/Enkel gewundert. Das ist ziemlich normal. Man will nicht aufdringlich sein, nicht stören. Die Patemtante meiner Frau hat uns trotz zig-Einladungen in 5 Jahren nicht einmal besucht. Ich muss mal einen Van, ein paar Kumpels und einen Sack für über den Kopf organisieren... So sind "sie" halt.

                                                                                                                        Mal was anderes....
                                                                                                                        Sag mal bist du irre? Mit 40 km/h auf so einer Sandpiste den Hügel runter? Habe ich das wirklich richtig verstanden?
                                                                                                                        Vor 8 Jahren habe ich mich mit meinem Auto an genau so einer Stelle doppelt überschlagen, und das obwohl ich keine 55km/h gefahren bin. Da hat kein ABS und kein ESP mehr geholfen (ausweichen, grosses Schlagloch, frischer Schotter.... und Abflug). Es hat schon seine Gründe warum viele Rennfahrer und Rallyfahrer aus Finnland kommen. Habe noch nicht herausbekommen ob die das in den Genen haben oder ob das mit der Muttermilch kommt. Mir fehlt das "gewisse etwas" definitiv.
                                                                                                                        Und du bretterst da allen ernstes mit dem Fahrrad runter.

                                                                                                                        Gruss


                                                                                                                        P.s.: Du gondelst da übrigens gerade durch das alte landwirtschaftliche Zentrum Finnlands. Danke für die Strassenschilder, ich kann die per googel maps/street view gut folgen.

                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                          • 31757
                                                                                                                          • Privat


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                                                                                                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                          Sag mal bist du irre?
                                                                                                                          Ja. Auch schon gemerkt?


                                                                                                                          Mit 40 km/h auf so einer Sandpiste den Hügel runter? Habe ich das wirklich richtig verstanden?
                                                                                                                          Nein. Die 41 km/h bin ich auf einer Asphaltstraße gefahren, nachdem ich die Pferde passiert hatte. Auf der Sandpiste bin ich nur 38 km/h gefahren. Habe eben die Tracks ausgewertet.

                                                                                                                          Aber im Ernst: Dort, wo ich fast gestrauchelt bin, war ich 25 km/h schnell und habe für einen kurzen Moment nicht auf die Straße geguckt. Das Schild Golfclub Ikaalinen hatte mich abgelenkt, weil ich dachte: Ikaalinen? Bin ich im Kreis gefahren?
                                                                                                                          Normalerweise war das aber nicht so dramatisch. Vom Rad aus sieht man sehr genau jede Bodenunebenheit und jedes Schlagloch und kann entsprechend reagieren. Sonst hätte ich das nicht gemacht. Verkehr war da ja keiner. Mit dem Auto wäre ich wohl langsamer gefahren, da kannst Du praktisch nicht ausweichen, Du bist ja viel zu breit. Aber mit den schmalen Reifen findet man immer eine gute Spur. Das hat mich selbst überrascht. Und hat Spaß gemacht. . Ich habe so etwas auch nicht in den Genen, im Gegenteil. Aber die wilde Fahrt wurde ja immer schnell durch den nächsten Anstieg abgebremst, da brauchte ich mir keine Sorgen zu machen.

                                                                                                                          Danke für die Einkaufstipps. Das, was für Dich die "Oase" zum Oktoberfest ist, ist bei uns der Weihnachtsmarkt der finnischen Kirche, bei dem im Keller ein finnischer Supermarkt aufgebaut wird. Die Schlangen vor der Kasse sind unbeschreiblich, teilweise müssen sie abriegeln, weil niemand mehr hineinpasst. Mal schauen, ob ich dort die Würste und den Senf finde. Dass es Sorten gibt, die zuviel Mehl enthalten, habe ich später bemerkt. Aber ich will nicht vorgreifen.

                                                                                                                          Danke für die Info bzgl. Vater und Sohn. Ich hatte mir soetwas gedacht, daher hatte ich sie reingewinkt, aber wohl fühlten sie sich nicht. Wenn man so etwas weiß, ist es natürlich einfacher.
                                                                                                                          Oha.
                                                                                                                          (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                            • 31757
                                                                                                                            • Privat


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                                                                                                                            09.09.2015. Koskue. 63,9 km.

                                                                                                                            Als ich morgens aufwache, leuchten Monteure mit einer Taschenlampe mein Zelt an. Sie sehen es immerhin. Vor Jahren ist mal jemand im Dunkeln in das Zelt hineingefallen. Der Riss war sehr groß. Die Narbe trägt das Zelt immer noch. Die Männer sagen etwas, aber das verstehe ich natürlich nicht. Ich schlafe weiter.
                                                                                                                            Als ich gegen 7.00 Uhr aufwache, ist der Platz leer. Nebel steigt aus dem Wasser auf. Die Schnellstraße dröhnt, da helfen auch Stöpsel nicht mehr. Hysterisch bellt ein Hund über mehrere Minuten auf der anderen Seite. Er wird von einem Betonmischer abgelöst, dessen Geräusche über das Wasser hallen. Zeit zu gehen. Ich bringe den Müll zum grünen Container. Mittlerweile weiß ich, dass die unförmigen Metallwannen keine Überbleibsel eines Nato Übungseinsatzes sind, sondern Müllcontainer.





                                                                                                                            Das Zelt ist von innen klitschnass, selbst das Innenzelt ist nass. Das Wäschewaschen war wohl nicht so klug. Ich vermute, sie hat die Nässe verursacht. Ich packe meine Sachen zusammen.








                                                                                                                            Die Raupe sitzt immer noch am Baum. Zum Beladen lehne ich das Rad am Küchenbalkon an. Auf dem Wasser gibt es Gezeter. Eine Schwanenfamilie trägt ihre Konflikte aus. Die Sonne geht langsam auf.

                                                                                                                            Anscheinend wird heute ein schöner Tag. Ich bin allerdings ein wenig trottelig. Nur nicht das Handy vergessen, das noch an der Steckdose hängt. Ich wische das Zelt trocken, es gibt doch Küchenlappen! Starfoto. Hatte ich schon erwähnt, dass ich selbststehende Zelte liebe?





                                                                                                                            Ich frühstücke gemütlich. Die Autobahn hört man nicht. Vater und Sohn sind nun auch schon wach. Sieht aus, als würden sie packen.





                                                                                                                            Ich wasche ab und trockne ab. Das Handy! Ich packe es ein. Dann schiebe ich das Rad über den Rasen. Eine Frau mit Putzeimer geht über den Platz. Ich radele den Weg der Einfahrt und bin noch nicht ganz wach. Am Straßenschild baumelt ein Turnschuh, vielleicht ein geheimer finnischer Kult?





                                                                                                                            Klick macht es im Kopf, als rastet ein Rädchen ein. Wo ist eigentlich mein Titanbecher? Keine Ahnung, wieso mir das beim Anblick dieses Turnschuhs einfällt, aber ein schneller Griff zeigt: Im Rucksack ist er nicht. Ich radele zurück, fast kostet das einen Champignon das Leben. Der Becher steht in der Küche. Glück gehabt. Jetzt ist alles komplett.

                                                                                                                            Der Ort sieht nett aus. Liegt es an der Sonne? Mein Tief scheint überwunden.








                                                                                                                            Auf der Fahne steht 1621.





                                                                                                                            Italialainen Ravintola. Jeden Tag ein neues Wort. In einer Seitenstraße hält die Polizei ein Auto an. Ein Mann schiebt sein Fahrrad die steile Straße hinauf. Danke. Man fühlt sich dann nicht so allein. Ein Straßenschild. Tatsächlich. Parkano hat einen Bahnhof. Sollte mich mein Gedächtnis nicht getrogen haben?





                                                                                                                            Eine hübsche Kirche. Parkano ist übrigens der Ausgangspunkt für den Nationalpark Seitseminen.





                                                                                                                            Die Natur zeigt sich heute von ihrer schönsten Seite.











                                                                                                                            Bunt ist es geworden. Der Herbst zeigt seine Spuren.





                                                                                                                            Die Strecke ist angenehm zu fahren. Als ich schiebe, tue ich das, weil ich will, nicht weil ich muss. Das ist ein großer Unterschied! An einer traumschönen Stelle eines Sees steht ein wunderhübsches Haus. Fotografieren kann man es aber nicht.





                                                                                                                            Der Bahnhof.





                                                                                                                            Ich schaue auf die Anzeigetafel. Der Zug Rovaniemi - Helsinki kommt in wenigen Minuten. Ich bin mir sicher. Hier war der Schnee das erste Mal richtig hoch. Ich habe den Bahnhof bei meiner winterlichen Radtour garantiert fotografiert. Stimmt.





                                                                                                                            Der Parkplatz ist heute voller Autos, die in der Sonne glänzen.





                                                                                                                            Ich schaue ein wenig den wartenden Menschen zu. Ein Zug kommt in Sicht, aber er ist sehr langsam, der Schnellzug ist das sicherlich nicht. Nein. Es ist ein Holztransport. „Finnisches Gold“, denke ich.


                                                                                                                            Rote Farben. Die gab es zu Beginn meiner Reise noch nicht.











                                                                                                                            Ich lasse mir Zeit.





                                                                                                                            Kaffeebecher und Plastikverpackungen liegen an der Straße. Finnen sind eben auch nur Menschen. Steine säumen die Straße, als hätte man den Weg ausgeschnitten.











                                                                                                                            Ich halte inne. Es ist wirklich schön hier.





                                                                                                                            Auf jedes Tief folgt wieder ein Hoch. Die schlimmsten Steigungen sind nun vorbei.








                                                                                                                            Immer häufiger finden sich nun Radwegschilder. Ausgeblichen, aber ich erkenne sie dennoch sofort.





                                                                                                                            An einem Parkplatz überfalle ich einen Mann, der in den Preiselbeeren sitzt und kein Englisch spricht. Aber seine Erntehilfe interessiert mich sehr. Er ist nicht besonders begeistert. Aber als waschechter Touri kann ich auf finnische Empfindlichkeiten jetzt einfach mal keine Rücksicht nehmen.








                                                                                                                            Auch Heidelbeeren wachsen hier. Ich probiere ein paar. Sie schmecken säuerlich.





                                                                                                                            Wieder ein Steinchenweg.








                                                                                                                            Für einen Moment halte ich inne. Still ist es hier. Absolut still. Traumhaft. Das erste Mal spüre ich, dass ich ruhiger werde.





                                                                                                                            Eine kleine Siedlung. Koskenkylä.








                                                                                                                            Und wieder ein Holzschild.








                                                                                                                            Ein Bach plätschert, und ich lasse das Fahrrad am Holzschild stehen. Vorsichtig wandere ich den schmalen Pfad über die Brücke.





                                                                                                                            Ein Handybild für die Fotochallenge. Etwas anderes kann ich nicht hochladen.





                                                                                                                            Vielleicht sollte ich in Finnland auch einmal wandern gehen. Das Fahrrad kann ich auf solchen Wegen nicht mitnehmen.








                                                                                                                            In der Nähe kann man Stromschnellenangeln. Ein finnisches Verbotsschild?





                                                                                                                            Nur ungern verlasse ich diese Stelle. An der Kreuzung biege ich in Richtung Myllykylä ab. Und man sieht schon: Es wird flach.








                                                                                                                            Die weißen Pflanzen, die man an den Steinen sieht. Nicht leicht zu fotografieren. Mit Früchten ist das einfacher.





                                                                                                                            Kurz fahre ich in einen Waldweg hinein. Eine alte Scheune steht an der Ecke. Hier ist sogar eine gute Möglichkeit zum wildcampen. Der Wald ist lichter und freundlicher als sonst. Vermutlich ist es hier aber auch privat.





                                                                                                                            Impressionen.








                                                                                                                            Wie so häufig fotografiere ich während der Fahrt. Hier sieht man das auch.





                                                                                                                            So stellt man sich Idylle vor.





                                                                                                                            Ein Schwimmbad.





                                                                                                                            Und dann bin ich begeistert. Ich wusste es: Herbie ist auch ein Finne!





                                                                                                                            Ein Hund finde meine Anwesenheit überflüssig und bellt sich die Seele aus dem Leib. Ein DB Schenker LKW hüllt mich in Nebel ein. Ich hatte ihn vorgelassen. Er wird es eiliger haben als ich. Mit dieser Firma und ihren Fahrern werde ich noch häufiger Freude haben. Es fahren viele davon auf Nebenstraßen herum.





                                                                                                                            Die Landstraße 23. Jyvaskylä 154 km, Pori 116 km. Die Radwegbeschilderung ist jetzt vorbildlich. Ich biege in die Myllyjoentie ein. Wieder eine Sand- und Schotterstrecke. Sie zieht sich.








                                                                                                                            Langsam werde ich müde. Kihniö. Auch hier sollen Sehenswürdigkeiten sein. Ein Ort des Handwerks. Aber der Ort ist nicht mein Tagesziel. Wurde das Schild beschossen? Ich muss nach links.





                                                                                                                            Wieder mal eine fiese Steigung, und ich schiebe. Metertief geht es neben der Leitplanke nach unten.

                                                                                                                            Bei Sonne ist es schön hier.








                                                                                                                            Ein Radfahrer vor mir. Mich packt der Ehrgeiz.





                                                                                                                            Es ist ein älterer Mann auf einem alten Tunturi-Rad.





                                                                                                                            Er winkt mir zu und lacht. Ich freue mich. Schnell hänge ich ihn ab.











                                                                                                                            Das erste Mal realisiere ich so richtig, dass Vaasa ausgeschildert ist. Gar nicht mehr so weit. Zumindest für Autos. Ein komisches Gefühl. Dann wäre die Tour ja bald zu Ende. Daran möchte ich noch nicht denken.








                                                                                                                            Ich bin jetzt mal wieder an der Schnellstraße 3, die mich seit Helsinki verfolgt. Ein Radwegschild sehe ich nicht. Rechts und links der Straße ist ein Sandweg, bedeckt mit groben Steinchen. Ich fahre ein Stück Straße, dann wende ich und suche noch einmal alles nach Radwegschildern ab. Aber ich sehe keine. Soll ich dem Sandweg trauen? Ist es der Fahrradweg? Oder endet er im Nichts? Andererseits: Wie viele Stunden wird es dauern auf diesem Belag, bis ich zur nächsten Abzweigung komme? Ich mag den Untergrund nicht. Er ist anstrengend zu fahren und man kommt nur langsam voran. Keine Lust. Andererseits ist auf der Hauptstraße immer wieder reger, doppelspuriger Verkehr. Was soll ich tun?

                                                                                                                            Da fällt mir ein: Ich habe ja ein Rennrad. Und gebe einfach mal Gas.





                                                                                                                            Die Straße geht leicht bergan, und ich fahre einen lockeren 25er Schnitt. Zweimal halte ich an und lasse die LKW vorbei, aber es gibt immer wieder Phasen, da bin ich auf meiner Spur allein. So erreiche ich in der Spitze sogar 34 km/h. Mit diesem Rad macht Radfahren wirklich Freude. Als ich oben ankomme, bin ich ziemlich glücklich. Hat Spaß gemacht.





                                                                                                                            Es schließt sich ein breiter Radweg neben der Straße an. Dann folgt Nebenstrecke. Gegen 15.30 Uhr bin ich in Koskue. Hier solle ein Campingplatz sein, aber ich kann keinen sehen. Ein paar Häuser, Wiesen, Felder. Mein Navi kennt ihn auch nicht. Ein schlechtes Zeichen. Ein Gebäude, das aussieht, als könne man davor parken, zieht mich an. Hier vielleicht? Ich fahre hinter das Haus. Sitzreihen. Ist das vielleicht ein Theater? Leider ist niemand hier, den man fragen kann.
                                                                                                                            Ich radele weiter und fühle mich nicht gut. Ich dachte jetzt an einen netten kleinen Platz, wo ich mein Zelt aufbauen und kochen kann. Ich habe einen Bärenhunger. Meine Motivation, weiterzufahren oder umständlich suchen zu gehen, hält sich in Grenzen. Genau hier ist der optimale Ort, die Etappe zu beenden.
                                                                                                                            Noch ein Blick in mein Navi. Ein Shelter. Angeblich 3 km entfernt. Aber wenn ich mir die Strecke anschaue, die ich jetzt fahren soll, glaube ich nicht daran. Der liegt bestimmt recht weit an einem Wanderweg, das Navi gibt oft nur die Luftlinie an.

                                                                                                                            Was tun? Ich radele sicherheitshalber mal weiter, ob sich vielleicht doch noch etwas tut. Und tatsächlich. Ein Campingplatzschild. Ein Sportplatz und am Rande ein paar Hütten. In der größten Hütte ist die Rezeption. Es gibt nur ein Problem: Der Campingplatz hat zu. Auch die Sanis sind geschlossen. Eine Telefonnummer gibt es nicht. An der Seite am Ende des Sportplatzes sind 5 Stellplätze für Wohnmobile vorgesehen. Sie sind leer. Stattdessen stehen dort Pilze.





                                                                                                                            Ratlos stehe ich an dem Platz. Ein Mann fährt mit seinem Auto zu einem der großen Container in der Einfahrt und lädt seine Glassammlung aus. Er senkt den Blick, als er wendend an mir vorbeifährt. Was soll er auch machen. Der Platz hat zu. Ein Sommerplatz. Kinder schauen mich aus der Ferne an. Auch von ihnen ist keine Hilfe zu erwarten und kurz darauf sind sie verschwunden.

                                                                                                                            Lost in Finnland. Ich habe den Eindruck, überall sind Augen. Was soll ich jetzt tun? Andererseits ist es nett hier und ein Notfall ist es auch. Ich schiebe das Rad in Richtung eines Hügels, auf dem links eine Hütte und etwas weiter rechts ein Grillplatz stehen. Menschen sind nicht zu sehen. Ich horche in mich hinein. Nein, ich fahre jetzt nicht mehr weiter. Kein Stück. Koskue war geplant und in Koskue werde ich bleiben. Ich schiebe das Rad auf den Hügel. Das Blockhaus ist die Küche. Und hinter der Küche sieht der Boden ziemlich eben aus. Von der Straße aus kann man mich hier nicht sehen. Ich entscheide mich, zu bleiben. Hinter der Wiese beginnt ein Abhang zu einem See.

                                                                                                                            Ich baue das Zelt auf. Es ist jetzt 16.00 Uhr. Blick zur Straße.





                                                                                                                            Blick zum See.








                                                                                                                            Am Hang stehen Blockhütten und unten am Wasser ist ein Steg.





                                                                                                                            Ich werfe den Kocher an und esse den letzten Reis mit Nüssen und Parmesankäse. Ganz zufällig habe ich nämlich eine große Dose Parmesankäse dabei.





                                                                                                                            Im Schatten ist es kühl, und ich lege mich in mein Zelt. Müde bin ich auch. Ein Auto kommt, und ich höre Schritte. Aber anscheinend sehen die Menschen mich nicht. Kurz darauf sind sie wieder weg. Ich denke an die Nacht im verschneiten Wald bei Helsinki, als ich mit meinem rot-gelben Trollspiret direkt am Wanderweg stand und keiner mich gesehen hat. Was man nicht erwartet, sieht man auch nicht. Glaube ich.
                                                                                                                            Noch ein Auto. Kinder springen heraus. Sie laufen zum Steg. Immer wieder hört man Kindergeschrei und die Rufe der Eltern. Gegen 20.00 Uhr kommt die Familie zurück. Ob sie das Zelt sehen? Ich weiß es nicht. Und selbst wenn: Anscheinend stört es sie nicht. Als sie weg sind, herrscht Ruhe. So schlafe ich dank meiner Schlafmaske noch im Hellen ein.
                                                                                                                            Zuletzt geändert von Torres; 05.10.2015, 22:16.
                                                                                                                            Oha.
                                                                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                              Erfahren
                                                                                                                              • 20.08.2015
                                                                                                                              • 361
                                                                                                                              • Privat


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                                                                                                                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                              Sommer der lachenden Kühe - ein zauberhaftes, irrwitziges, ulkiges Buch! Von heiter-leichtfüßig bis melancholisch, und dabei so schräg - eben echt finnisch!!! Ich habe es sehr genossen.

                                                                                                                              Dieser Bericht ist so ganz anders als Dein Winterbericht. Irgendwie nachdenklicher, ernsthafter - gefällt mir gut! Ich habe sehr mit Dir mitgefroren!

                                                                                                                              Um die Preiselbeeren beneide ich Dich. Die waren im Sommer noch nicht reif. Man kann sie pflücken, dann bisschen Zucker drauf und mit dem Löffeö kräftig umrühren. Sie fangen dann an zu saften und schmecken himmlich bitter-süß-sauer. Ich kenne nichts Lerckererereres.

                                                                                                                              Gruß
                                                                                                                              Sylvie

                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                Freak

                                                                                                                                Liebt das Forum
                                                                                                                                • 16.08.2008
                                                                                                                                • 31757
                                                                                                                                • Privat


                                                                                                                                #64
                                                                                                                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                Nun, im Nachhinein würde ich sagen, dass man im Winter vorrangig mit sich selbst "kämpft", vor allem, wenn man - wie ich - völlig unvorbereitet in ein unbekanntes, fremdes Land reist, in dem es dann (im Gegensatz zu hier) auch noch Schnee gibt. Alles ist auf den Umgang mit den Wetterbedingungen fokussiert - angefangen von der Wärmekonzeption bis hin zur Wegsuche, zur Wegbewältigung und den visuellen Eindrücken. Da hilft dann, wenn man scheitert, nur noch (Galgen)Humor.
                                                                                                                                Im Spätsommer dagegen besucht man ein Land mit seinen Eigenheiten und Besonderheiten. Das Finnland aus dem Büchern von Aarto Paasilinna hat sich mir jetzt erst ein wenig erschlossen. Die Landschaft, die ich entlang geradelt bin, kannte ich in weiten Teilen zwar schon, und sei es nur aus dem Zugfenster. Aber ohne Schnee ist alles völlig anders und entsprechend denkt man auch mehr nach, weil einem viel mehr auffällt.

                                                                                                                                Ich habe übrigens keine Preiselbeeren gegessen. Das mit dem Zucker wusste ich nicht, und ich hätte auch keinen dabei gehabt. Und gegen die wunderbaren Erdbeeren ist das sowieso alles nix.
                                                                                                                                Zuletzt geändert von Torres; 07.10.2015, 13:23.
                                                                                                                                Oha.
                                                                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                  Freak

                                                                                                                                  Liebt das Forum
                                                                                                                                  • 16.08.2008
                                                                                                                                  • 31757
                                                                                                                                  • Privat


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                                                                                                                                  10.09.2015. Seinäjoki. 88,7 km


                                                                                                                                  Um 4.15 Uhr bin ich hellwach. Im Dunkeln packe ich meine Sachen ein. Mein Traum war angenehm. Ich war zu Hause und hatte Daunenjacke, Handschuhe und Mütze eingepackt. Die Temperaturen konfrontieren mich mit der bitteren Realität: Die Temperaturen befinden sich knapp über dem Gefrierpunkt.

                                                                                                                                  Wieder einmal freue ich mich über mein Backpackingsystem. Packen ist seitdem so einfach geworden. Alles hat seinen festen Platz. Das geht dann auch ohne die Stirnlampe nutzen zu müssen.

                                                                                                                                  Als ich das Fahrrad belade, verbreitet die Sonne die ersten Strahlen Licht.





                                                                                                                                  Es ist absolut still.





                                                                                                                                  In der Ferne bellt ein Hund.








                                                                                                                                  Immer stärker erkennt man Konturen.








                                                                                                                                  Dann kommt Nebel auf.





                                                                                                                                  Der Sportplatz. Auf den Bildern wirkt alles heller, als es ist. In Wirklichkeit ist noch Dämmerung.





                                                                                                                                  Kaum fahre ich los, trifft mich der Kälteschock. Es ist lausig kalt. 6 Uhr. Ich schätze die Temperatur auf 4 Grad. Mit Fahrtwind dürfte es noch kälter sein.

                                                                                                                                  Aus dem Dunst kommt ein ungewöhnliches Objekt hervor. Ich staune. Eine De Havilland Vampire. Gebaut gegen Ende des 2. Weltkrieges spielte sie in den Kriegshandlungen keine Rolle mehr. Aber wieso steht diese britische Maschine ausgerechnet hier? Nur eine Antwort ist denkbar: So ist das eben in Finnland.





                                                                                                                                  Meine Knie mucken. Diese feuchte Kälte mögen sie nicht. Ich habe zwar Kniewärmer dabei. Aber sie passen nicht zum Raddress. Meine Hände erstarren zu Eis.

                                                                                                                                  Die Bushäuschen sind nun verziert.





                                                                                                                                  In der Ferne machen sich Menschen in den Höfen für den Tag bereit. Die ersten Autos brausen die Straße entlang. Sie haben es eilig. Berufsverkehr. Ein SUV sieht beleuchtungstechnisch aus wie eine Disco.

                                                                                                                                  Der Nebel zaubert magische Bilder.





                                                                                                                                  Feucht senken sich die Tröpfchen auf den Helm und das Fahrrad.








                                                                                                                                  Fohlen toben übermütig auf einer Wiese herum.





                                                                                                                                  Ich bin ganz ruhig und entspannt und genieße diesen stillen Moment. Aber nur innerlich. Mein Körper zittert vor Kälte. Die flache Strecke ist für die Beine ungewohnt. Die Muskeln sind jetzt auf Steigungen eingestellt und zucken.

                                                                                                                                  Laut meiner Radkarte ist in der Nähe die Käserei Juustoportti und eine Raststätte. Sie liegen an der Schnellstraße. Ihr folge ich wieder auf einer eigenen Spur. Als sie in Sicht kommt, bin ich froh. Lange würde ich diese Kälte nicht mehr aushalten. Vor allem die Hände sind ein Problem. Die elektronische Temperaturzeige am Gebäude zeigt 6 Grad.





                                                                                                                                  Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass die Raststätte Teil zu der Käserei gehört. Sie öffnet um 7.00 Uhr und es ist genau 7.00 Uhr. Was für ein Glück. Ich bin mittlerweile so steif gefroren, dass ich kaum vom Fahrrad komme.

                                                                                                                                  Ich freue ich auf Frühstück, aber die Auswahl ist dürftig. Die Zutaten sind teuer und das blind gekaufte Produkt Mango schmeckt nach Kleister. Keine Ahnung, was das ist. Vom Innenraum der Raststätte hat man einen Blick auf die Käserei. Vor der Tür betrachten zwei Männer mein Fahrrad. Fachmännisch beugen sie sich über das Vorderrad. Hände weg! Ich vermute, sie kommentieren meine Lichtanlage. In Finnland fährt kaum jemand mit Licht. Im Sommer ist es hell hell genug und wenn es früher dunkel wird, ist es vermutlich schon zu kalt.


                                                                                                                                  Als ich halb neun weiterfahre, sind immer noch 6 Grad, aber inzwischen kommt die Sonne heraus.








                                                                                                                                  An der Straße steht ein kleiner Junge. Mütze, Handschuhe, geschlossene Augen. Er schläft im Stehen. Mich bemerkt er nicht. Warten auf den Schulbus.





                                                                                                                                  Kleine Kinder auf Fahrrädern kommen mir entgegen. Eifrig strampeln sie auf dem breiten Radweg. Zwei Jungs kommen aus einem Wohngebiet. Sie sind fröhlich und radeln um die Wette. Der Schulbus fährt vorbei.









                                                                                                                                  Kitsch kann man kaufen. Ein wenig erinnert mich die Gegend Holland. Die Vorwahl dieser Gegend ist übrigens die gleiche wie die Vorwahl von Hamburg.





                                                                                                                                  Einen Hauch von Mallorca gibt es auch.





                                                                                                                                  Die Temperatur ist nun auf 8 Grad angestiegen und damit wieder erträglich. Keskikylä.








                                                                                                                                  Soldatengräber aus dem Jahr 1944/1945. Blutzoll für die Unabhängigkeit Finnlands? Jedes getötete Leben ein getötetes Leben zuviel. Ich denke an die Flüchtlinge. Wer will ihnen verdenken, dass sie fliehen.








                                                                                                                                  Die Radwegschilder, die nun konsequent angebracht wurden, sind sehr hilfreich. Ohne Probleme finde ich den Weg. Ich biege in eine schöne Strecke ein. Über den Fluss führt eine Holzbrücke. Wenn Autos darauf fahren, kann man sich als Radfahrer ganz schön erschrecken.






                                                                                                                                  Die Gegend sieht wohlhabend aus. Viele Leute haben im Vorgarten Bären aus Holz. Ods ruft an. Vorstandsangelegenheiten. Interessiert mich im Moment eigentlich gar nicht. Aber bald ist MV.





                                                                                                                                  Zwischendrin ist der Belag wieder grauenvoll, und ich fluche.





                                                                                                                                  Ein Holzkanu in einem Teich.





                                                                                                                                  Außerdem zwei künstliche Schwäne. Ich verzichte auf Fotos im Gegenlicht. Es folgen wieder Bären vor der Haustür.





                                                                                                                                  Die Landwirte nutzen aus, dass das Wetter so schön. Viele Erntemaschinen sind unterwegs, ich muss öfter mal ausweichen. Das gehört sich so.








                                                                                                                                  In der Ferne lärmt die Straße. Herbstfarben zeigen sich.





                                                                                                                                  Es wird noch flacher. Seen gibt es nun fast keine mehr.





                                                                                                                                  Kurrika. Eine große Hühnerzucht. Ansonsten Felder und Wiesen. Ein Fluss.





                                                                                                                                  Vor Häusern hübsche Blumen.








                                                                                                                                  Im Garten ein Wohnmobil.





                                                                                                                                  Luovatar. Eine Unterkunft. Ob sie geöffnet ist, kann ich nicht sehen. Bushaltestellen ziert nun die Silhouette eines Elches. Das Hinweisschild auf den Campingplatz kommt in Sicht, und ich nehme mir vor, hier zu bleiben. Das Wetter ist schön und alles ist so idyllisch. Ich habe ja Urlaub. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es ja nicht an.





                                                                                                                                  Der Eindruck verfestigt sich, als ich in einen Wald eintauche. Traumhaft ist es hier.





                                                                                                                                  Ein merkwürdiges Gelände, vermutlich geht es um Sport. Ich kann es nicht zuordnen. Ob die Figur etwas damit zu tun hat?





                                                                                                                                  Den nahegelegenen Reitparcour kann ich dagegen problemlos erkennen. Die Landschaft ist wunderhübsch hier. Ein Stück vertrautes Finnland.











                                                                                                                                  An einem Haus als Dekoration ein verrostetes Fahrrad. Auf dem Wetterhahn sitzt ein kleiner Vogel. Es duftet nach Heu.








                                                                                                                                  Ich radele hoffnungsfroh auf den Platz, und er sitzt ansprechend aus. Aber überall stehen Kisten. Ist das hier ein Gemüsegroßhandel? Ich bin ein wenig ratlos. Menschen sind nicht zu sehen. An der Häuserfront hängen Informationen in einer fremden Sprache. Ich tippe auf indisch. Aber es ist wohl thailändisch. Anweisungen für thailändische Beerenpflücker.
                                                                                                                                  Ein Finne kommt in einem Mittelklassewagen auf den Parkplatz, und ich frage ihn, ob der Platz geöffnet sei. Das wüsste er selber nicht, knurrt er und rüttelt an der Tür der Rezeption. Geschlossen. Er fährt weiter.

                                                                                                                                  Ich probiere die Tür der Männertoilette. Die Toiletten sind offen, aber völlig verdreckt. Ein Mensch huscht in die hinteren Räume. Das sieht hier alles nach Zweckentfremdung aus. Schade. Ich fühle Enttäuschung. Auf den Bildern kann ich später sehen, dass auf den Plakaten an der Wand Hinweise für das Verhalten im Wald stehen. Das Wort „Yksityinen“ wird erklärt: Privat. Außerdem gibt es Einkommensberechnungen und Bilder der Teams. Anscheinenden Anweisungen für die Gruppenchefs. Kein Platz mehr, um campen zu gehen.

                                                                                                                                  Das ist umso enttäuschender, weil in der Nähe ein schöner See ist. Man kann hier angeln und schwimmen gehen. Aber zum Wildcampen ist es nun wirklich zu früh. Es ist gerade 12.00 Uhr.





                                                                                                                                  Ein bisschen ärgere ich mich über mich selbst. Das Wetter ist wunderschön. Ich sollte innehalten. Kurz habe ich die Hand an der Bremse. Trotzdem radele ich vorbei. Die Luft ist immer noch sehr kalt, der Sommer ist vorbei. Heute Abend werden mir wieder Handschuhe und Daunenjacke fehlen. Und letztlich hat alles seinen Sinn.
                                                                                                                                  Zuletzt geändert von Torres; 08.10.2015, 17:54.
                                                                                                                                  Oha.
                                                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                                    Alter Hase
                                                                                                                                    • 30.05.2007
                                                                                                                                    • 3996
                                                                                                                                    • Privat


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                                                                                                                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                    Aargh...Fernweh....Einfach tolle Bilder. Will auch mal wieder da hin.
                                                                                                                                    So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                                                                                                                    A. v. Humboldt.

                                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                                      Freak

                                                                                                                                      Liebt das Forum
                                                                                                                                      • 16.08.2008
                                                                                                                                      • 31757
                                                                                                                                      • Privat


                                                                                                                                      #67
                                                                                                                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                      Der nächste Platz ist in Seinäjoki. Das sind noch gut 40 km. Ich gebe Gas. Wieder finde ich Rüttelbelag vor und ein frischer Wind kommt aus nordöstlicher Richtung. Also von vorne. Wie üblich.








                                                                                                                                      Eine moderne Holzbrücke.





                                                                                                                                      Sie überspannt einen Canyon. Eine wunderschöne Gegend. Hier kann man auch länger bleiben.





                                                                                                                                      Ein Schmetterling flattert vor mir her. Als würde er mich begleiten. Als ich schieben muss, kann ich ihn fotografieren.








                                                                                                                                      Im Schatten ist es kalt, und ich fröstele. Ein interessanter Wegweiser. In Finnland geht nichts verloren. Von Abgasskandalen weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nichts.





                                                                                                                                      Es schließt sich nun ein Radweg an der Straße an. Es ist zwar nur wenig Verkehr, aber viel Natur gibt es nun nicht mehr. Man kann nur Strecke machen. Mein Magen meldet sich, ich habe furchtbaren Hunger, aber die Kebab Pizzeria Istanbul ist mir dann doch zuwenig finnisch. Möglicherweise ungerechtfertigt. Aber der Gedanke an Pizza überzeugt nicht.





                                                                                                                                      Die Kirchen sehen hier ganz anders aus. Beeindruckend. Sie muss noch zu Kurikka gehören, wenn ich die Karte richtig verstehe.








                                                                                                                                      Ich suche nach einer Tankstelle mit Restaurant. Ich fahre jetzt schon länger mit einer der alten GT2 Karten. Deren Maßstab ist radlerfreundlich, und sie verzeichnet auch die Tankstellen. Leider muss ich aber feststellen, dass es Tankstellen gibt, an denen man nur tanken kann.

                                                                                                                                      Rettung kommt in Koskenkorva. Diese Tankstelle hat eine Küche. Der langhaarige Mann an der Theke spricht begeistert etwas Englisch. Es gibt Beef mit Potato. Er macht eine Handbewegung. Ich nicke. Er will mir schonend beibringen, dass es Püree gibt. Besser geht´s nicht. Pantomimisch zeige ich, dass ich ihn verstanden habe. Es macht ihn glücklich. Als der dampfende Teller aus der Küche kommt, bin ich unglaublich dankbar. Ich schlürfe an einem Tisch auf der Terrasse die heiße Köstlichkeit in mich hinein. Bis auf das Frühstück in der Raststätte habe ich bisher noch nichts gegessen. Um mich herum sind nur Raucher, den anderen ist es draußen vermutlich zu frisch.





                                                                                                                                      Zwei Frauen in auffälliger Kleidung, die man vor ein paar Jahren noch „Zigeunerlook“ genannt hätte, tauchen auf. Sie stellen sich auf der Terasse auf, scherzen lasziv miteinander und trinken demonstrativ eine kleine Cola. Welche Sprache sie sprechen, kann ich leider nicht mehr hören, ich bin bereits bei meinem Fahrrad. Ich bilde mir ein, die Männer schütteln leicht den Kopf. Auf jeden Fall sind sie über den Auftritt nicht erfreut. Das scheint die Frauen nur anzuspornen. Carmen in Finnland. Ich vermute, es sind Sinti oder Roma. Ein bisschen muss ich grinsen. Die mischen hier ziemlich cool die Ortschaft auf. Kurz darauf radele ich zwei Frauen mit langen, schwarzen Kleidern hinterher und überhole sie. Definitiv keine geborenen Finnen.

                                                                                                                                      Es bleibt flach.





                                                                                                                                      Dann wieder das Finnlandstereotyp. Kitschfoto.





                                                                                                                                      Trotzdem ist die Strecke jetzt langweilig und flach. Der Wind ist zwar nicht kräftig, aber nervig ist er doch. Erntemaschinen rotieren.





                                                                                                                                      Die Kirche von Ilmajoki (1764-65)








                                                                                                                                      Die Brücke über den Kyrönjoki.








                                                                                                                                      Dann ist die Ruhe vorbei. Ich muss eine vielbefahrene Hauptstraße entlang fahren. Als der Radweg endet, finde ich den Anschluss nicht sofort. Hier wäre ein Radwegschild mehr als nützlich. Zunächst will ich der Hauptstraße folgen, doch das entpuppt sich als lebensgefährlich. Im Navi sehe ich eine Parallelstraße. Das ist sicherlich der Radweg. Aber das wird aus der Karte nicht deutlich.





                                                                                                                                      Unvermittelt wird es im Wohngebiet felsig.





                                                                                                                                      Eine Schule oder ein Sportplatz ist hier, es gibt viele Kinder. Drei sitzen auf einem Felsen in der Sonne und lachen über mich. Ich winke ihnen zu. Ich denke an das Felsenschwimmbad ganz am Anfang. Eine Ewigkeit ist das her.

                                                                                                                                      Der letzte Anstieg nach Seinäjoki ist einfach nur fies. Der Radweg folgt der vielbefahrenen, lauten Hauptstraße, und ich bin einfach müde. Die ersten Rennradler zischen an mir vorbei. Radfahren als urbanes Phänomen.





                                                                                                                                      Während des Schiebens immerhin ein Lichtblick.





                                                                                                                                      Die Milchfabrik. Ich erkenne die Marke schon, bevor das Schild Maitosuomi kommt und meine Annahme bestätigt. Die ersten Häuser sind ein Kulturschock. Lange keine Stadt mehr gesehen. Ich fühle mich überfordert. Es dauert ewig, bis die Abzweigung in Nebenstraßen kommt. Radwegschilder finde ich nun keine mehr und fahre durch Unigelände. Wie kleine Torpedos kommen von allen Seiten Radfahrer und Radfahrerinnen und ich muss höllisch aufpassen. Die Erwachsenen fahren hier wie achtjährige Kinder. Eine junge Frau schaut ordnungsgemäß nach rechts, sieht mich und biegt trotzdem ohne zu bremsen nach links ab und fährt mir voll vor den Karton. Vollbremsung. Es interessiert sie nicht. Was man nicht sehen will, ist eben nicht da. Ich kann noch nicht mal schimpfen, ich kann ja kein Finnisch.








                                                                                                                                      Ich bin nun erschöpft und finde Seinajöki nicht gerade attraktiv. Funktionell, wie so viele finnische Städte. Der Campingplatz ist 4 km entfernt, im Süden, weitab meines Weges. In Nokia hatte ich den Versuch noch riskiert. In Seinäjoki weiß ich instinktiv, dass der Campingplatz geschlossen ist. Ich überlege, ob ich trotzdem die 4 km nach Süden fahren und mich notfalls wieder in die Büsche haue. Aber eigentlich habe ich darauf keine Lust mehr. Für heute bin ich genug gefahren. Meine Ausrüstung ist außerdem an der Grenze, das weiß ich genau. So rufe ich die Nummer des Platzes an: Eine Mailbox mit finnischem Gemurmel ohne Rückruffunktion.

                                                                                                                                      Lost in Seinäjoki? Ich sehe an der Straße ein Tourist-Info-Schild. Ist das der Hinweis auf den Infopoint vor dem Bahnhof? Ich fahre wieder zurück, und überprüfe noch einmal die Wegführung des Schildes. Sie führt eindeutig zu dem Infopoint. Kann das wirklich sein? Ich versuche es mit Logik. Einen grünen Infopoint schildert man nicht auf der Straße mit blauen Schildern aus. Hier muss noch eine echte Touristeninformation sein. Tatsächlich, an der Seite des Bahnhofs ist ein Büro. Geöffnet bis 16.00 Uhr. Ein Blick auf die Uhr. Es ist genau 16.02 Uhr, seit genau 2 Minuten ist hier also geschlossen. Schxxe. Hiiilllffee. Wie ein Ertrinkender klopfe ich erst zart, dann wild an die Scheibe. Bitte lasst mich nicht im Stich!

                                                                                                                                      Die Tür öffnet sich, eine junge Frau guckt irritiert um die Ecke. Sorry, sorry, sorry, aber ich brauche Hilfe. Sie streicht von meiner Liste im Radführer erstmal einen Teil der Unterkünfte. Die Hostels gibt es nicht mehr. Geschlossen. Der Campingplatz hat zu, da ist auch nichts zu machen. Es bleiben Hotels mit Preisen ab 65.00 Euro aufwärts. Für Finnland ist das sogar preiswert. Allerdings sind das reine Onlinehotels einer Kette. Das ist mir mit dem Fahrrad zu heikel. Tatsächlich werde ich später von außen sehen, dass die Treppen sehr schmal sind. Wie ich mein Glück kenne, ist das Zimmer dann im sechsten Stock. Aber vielleicht gibt es ja auch einen Aufzug. Trotzdem. Eine Rezeption ist mir lieber.

                                                                                                                                      Das nächstpreiswerte Hotel kostet um die 80,00 Euro und ist fast um die Ecke. Tatsächlich werden es sogar mehr. 107,00 Euro für das Einzelzimmer. Hilft nichts. Ich mag jetzt nicht mehr weiter. Die Frau an der Rezeption ist nett. Sie spricht sogar etwas deutsch. Sie hat vor Jahren mal in Mainz gewohnt. Gebucht. Das Fahrrad kommt unter die Treppe.
                                                                                                                                      Sofort wird das Hotelzimmer ein wenig freundlich gemacht. Man weiß ja, wie das aussieht.





                                                                                                                                      Gegenüber ist ein Kleidergeschäft. Ich brauche dringend eine Mütze. Leider gibt es nur helmunkompatible Wintermützen mit Bommel. Abschneiden kann man den nicht. So wird ein Stirnband. Die Verkäuferin ist wirklich nett. Ein anstrengender Arbeitsplatz. Kunstlicht und das dumpfe Nichtgeräusch von Passagen. Das Licht ist ein Problem, das gibt sie zu.

                                                                                                                                      Ich habe nun wieder Hunger und gehe in Richtung Bahnhof. Bei der Information frage ich nach dem kleinen Heft für die Züge nach Helsinki. Mit dem Fahrrad kommen nur drei Züge pro Tag in Betracht. Die anderen sind für Fahrräder nicht erlaubt. Ja, in Vaasa gibt es auch einen Ticketschalter. Das ist wichtig, denn die Fahrradreservierung ist nicht so einfach. Wie gut, dass ich das alles schon kenne.

                                                                                                                                      Ich suche finnische Spezialitäten und finde leider nur einen Imbiss mit Kebab. Na gut. Warum eigentlich nicht. Ich wähle die Dürüm Variante, und sie schmeckt erstaunlich gut. Die Bestellung war einfach, da die Finnin mit Migrationshintergrund Zeichensprache versteht.
                                                                                                                                      Kurz gehe ich noch in einen Supermarkt und hole mir zum Nachtisch Milch und Blaubeeren. Außerdem füllte ich meine Brot- und Käsevorräte auf. Dann setze ich mich in die Sauna, und das tut dann doch gut. Wärme. Was für ein Genuss. Per W-Lan checke ich die nächsten Campingplätze und stelle fest, auch die nächsten beiden haben eindeutig zu. Einer in der Mitte der Strecke und der Campingplatz in Vaasa. Enttäuschend. Auf Vaasa hatte ich gehofft, der Platz ist auf einer Insel. Es wäre der perfekte Abschluss gewesen. Hotels gibt es auf der Strecke anscheinend nicht. Ich muss morgen nach Vaasa durchradeln und mir dort wieder ein Hotelzimmer suchen. Das Wetter soll perfekt sein.


                                                                                                                                      Oha.
                                                                                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                                        Freak

                                                                                                                                        Liebt das Forum
                                                                                                                                        • 16.08.2008
                                                                                                                                        • 31757
                                                                                                                                        • Privat


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                                                                                                                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                        11.09.2015. Vaasa. 111 km.

                                                                                                                                        Als ich morgens das Frühstück sehe, das im Restaurant nebenan serviert wird, kommen mir fast die Tränen vor Glück. Milch, Müsli, Obst, Gemüse, Eier. Ich habe echten Hunger. Ah, sieht das lecker aus. Als ich die Straße betrete, ist es wieder richtig kalt. Ich bin froh über das Stirnband. Und dass ich über Nacht ein warmes Bett hatte. Man muss ja nicht übertreiben.

                                                                                                                                        Ich schiebe das Rad in die Sonne – reine Psychologie, wärmen tut sie noch nicht – und dann habe ich ausnahmsweise eine gute Idee. Als ich gestern im Supermarkt war, hatte ich auf ein Hotel einer Hotelkette geblickt, die auch in Vaasa vertreten ist. Ich fahre vor und bekomme die Nummer der Filiale. Telefonisch buche ich ein Zimmer in Vaasa. „Wann kommen Sie an?“ „18.00 Uhr, eventuell 19.00 Uhr. Ich fahre mit dem Fahrrad.“

                                                                                                                                        Die Idee ist gut. Sie wird mich von dem Druck der letzten Tage entlasten, abends immer auf Glück setzen zu müssen. Ich werde viel entspannter fahren. Schnell finde ich die richtige Straße.





                                                                                                                                        Der Belag ist aufgeplatzt und wellig.





                                                                                                                                        Ein Regionalzug fährt vorbei, eine leuchtendrote Lok voran, doch als ich auslöse, weil mir der Anblick so gut gefällt, versteckt sich die Lok hinter einem Baum.





                                                                                                                                        Es geht nun in Richtung Aunes,





                                                                                                                                        und das Wort kommt mir wenig finnisch vor. Wieder begrüßen mich Pferde, diesmal mit freundlichen Gewieher. Mein letzter Tag auf dieser Route. Ein wenig werde ich sentimental.





                                                                                                                                        Wieder ist der Radweg ausgeschildert und zwar fast so gut wie in England. An den Einfahrten stehen Schüler. Kurz darauf begegnet mir ein Bus. Ein rotes Auto überholt etwas hektisch und hält an jedem Briefkasten. Anscheinend suchen die Insassen ein ganz bestimmtes Haus. Ob das wohl finnische Räuber sind? Ich glaube eher, es sind Handwerker.





                                                                                                                                        Die Häuser sehen luxuriös aus. Dieses Haus finde ich besonders geschmackvoll. Modern und dennoch finnisch.





                                                                                                                                        Die Landschaft ist schön, und es ist still. Der Untergrund der Straße ist allerdings anstrengend, aber mittlerweile kenne ich mein Fahrrad so gut, dass ich irgendwie durch komme.








                                                                                                                                        Ein dunkler Schmetterling mit hellem Rand. Ich kann mich nicht erinnern, einen derartigen Schmetterling schon einmal gesehen zu haben.











                                                                                                                                        Dunkle Kartoffeln auf einem Acker.





                                                                                                                                        In Gedanken radelnd, übersehe ich den Radweg am Straßenrand. Ein DB Schenker LKW mit Anhänger überholt mich im Millimeterabstand. Ein kleines Schwanken, und es wäre um mich geschehen. Kurz darauf parkt er an der Straße. Der Fahrer liefert an einem Eigenheim einen Teppich ab. Wieder überholt er knapp - einen Radstreifen gibt es nicht mehr - dann sehe ich den Hänger an der Bushaltestelle stehen. Aus dem Zugfahrzeug lädt er an der Straße Tierfutter aus.








                                                                                                                                        Eine Kirche kommt in Sicht. Die Straße heißt Kitinolantie. Die Ortschaft weiß ich nicht. Auf ihrer Uhr ist es halb zwei. Das stimmt aber nicht. Es ist gerade mal zehn.





                                                                                                                                        Ich halte an. Heute ist Werners (Cervantes) Todestag, wenn ich mich richtig erinnere. Gestorben ist er ungefähr um diese Zeit. Ach, Werner. Irgendwann sind wir gleichalt.








                                                                                                                                        Einen Moment lasse ich mich auf der Bank nieder.





                                                                                                                                        Die Glaskugel übersetzt: „Um den Rest der vergrabenen Lieben Memorian“.





                                                                                                                                        Ich glaube, meine Reise nach Finnland hätte Dir gefallen. Du hast Aarto Paasilinna so gemocht.








                                                                                                                                        Wenn ich mich nicht irre, wird am gleichen Tag, also heute, in Hamburg Ben geboren.








                                                                                                                                        Und für diese beiden Symbole des Glückes packe ich jetzt sogar das Tele aus.








                                                                                                                                        So habe ich doch noch mein Kranichbild bekommen.








                                                                                                                                        Ich bin so schön drin, da biegt der offizielle Radweg in einen Nebenweg ab. Soll ich oder soll ich nicht? Es ist eine Sand- und Schotterstrecke. Ich bin unschlüssig. Aber vielleicht verpasse ich ja etwas. Widerwillig verlasse ich die gutausgebaute Straße. Der unbefestigte Weg lässt sich gut fahren, und ich wähne mich im Glück.

                                                                                                                                        Ein verstecktes Fahrradschild.





                                                                                                                                        Eine Brücke.





                                                                                                                                        Auch hier hätte ich noch die Chance gehabt, auf Asphalt einen Umweg zu fahren. Aber ich will es ja unbedingt wissen. Und dann kommt es knüppeldick. Hier wurde neuer Schotter aufgetragem. Jedes Auto eine Staubwolke. Umweg fahren oder schieben. Ich wähle schieben. Das bin ich mir schuldig. Ich gehöre zu den Harten! So kurz vorm Ziel kann ich einfach nicht schlapp machen.





                                                                                                                                        Litauen lässt grüßen. Spektakulär wirken die Bilder nicht. Denn wenn die Autos neben mir sind, kann ich nicht fotografieren. Dann muss ich mich schützen.





                                                                                                                                        Kurzzeitig werde ich mit einem schönen Ausblick belohnt. Stromschnellen an einem Wehr. Hier ist es wirklich idyllisch. Hier hätte ich sogar zelten können. Einen Moment ärgere ich mich. Die Unterkunft ist gebucht. Man weiß es halt nicht vorher.














                                                                                                                                        Und dann ist wieder Wandertag. Es geht jetzt 6 km auf diese Piste am Fluss entlang. Dem Kyrönjoki, den ich bereits gestern und heute morgen auch wieder überquert hatte. Der Fluss wird mich fast den ganzen Tag begleiten. Nur selten kann ich in diesem Abschnitt radeln. Der Schotter ist viel zu tief.





                                                                                                                                        Dabei ist der Fluss neben mir wunderschön und wird später meine Fantasie anregen, als ich mein Buch lese. Ich werde an einigen Stellen genau an diesen Fluss denken.





                                                                                                                                        Kühe sprechen mich an. Sie heben synchron das Kinn hoch und zwar in ganz bestimmter Weise, und als alter Kosmopolit weiß ich genau, was das bedeuten soll: „Was geht ab, Alda?“ fragen sie. „Schieben geht ab, Mann, ey“, antworte ich. Die Antwort befriedigt sie.






                                                                                                                                        Die Strecke kostet mich gut eine Stunde. Das Schieben ist ja gar nicht so schlimm, auch wenn es Kraft kostet. Es fällt schwer, den Fluss wahrzunehmen. Und das ist wirklich schade. Man schaut ständig auf die Straße. Und kann eigentlich nur fluchen.

                                                                                                                                        Endlich ist der Schotterweg zu Ende. Wieder ist die Karte ungenau. Ich biege in eine ausgeschilderte Landstraße ein – extra auf der anderen Seite des Flusses – stelle aber fest, dass dies die vorgesehene Strecke ist. Weiter geht es am Fluss entlang. Schnell wird der Weg wieder zum Sandweg, dieser lässt sich aber wunderbar fahren.








                                                                                                                                        Es ist anscheinend ein Angelgebiet. Was heißt Uhrikoski? Es gab am vorherigen Schild noch einen anderen Begriff, aber den konnte ich mir nicht merken.





                                                                                                                                        Ab und zu zeigen sich noch einmal Steine, aber eigentlich ist es flach hier.














                                                                                                                                        Ich wechsele nun die Seite. Immer noch ist es derselbe Fluss.














                                                                                                                                        Ylistaro. Für einen Moment setze ich mich an eine Bushaltestelle und blinzele in die Sonne. Eine Frau keucht den Hügel hinauf, wir lachen, und sie sagt etwas auf finnisch. Die kleine Tochter radelt abgeklärt auf einem pinkfarbenen Rad mit viel zu hohem Lenker hinterher.








                                                                                                                                        Holland. Nein, natürlich nicht. Aber der Schwerpunkt liegt in dieser Gegend eben auf Landwirtschaft.








                                                                                                                                        Es duftet nach Stroh. Getreideernte.





                                                                                                                                        Unvermittelt wieder Hügel auf dem Feld. Erinnerung an das vertraute Finnland.





                                                                                                                                        Wieder der Fluss. Hier in der Nähe muss auf der anderen Seite des Flusses ein Campingplatz sein, wenn ich mich nicht täusche. Ich werde später erzählt bekommen, dass sowohl der Platz als auch die Gegend wunderschön sein sollen.





                                                                                                                                        Eine Grillhütte. Für alle oder privat?





                                                                                                                                        Eine hübsche Brücke, fast sehe ich den Wegweiser nicht. Schade, die Straße war gerade sehr schön zu fahren.











                                                                                                                                        Auf der anderen Seite bin ich etwas enttäuscht. Man wird auf den Radweg an einer Straße gelotst. Für Paare ist das natürlich besser, aber ich wäre lieber Landstraße gefahren. Vielleicht will man aber auch einfach wieder etwas bieten. Ein Museum. Das gehört schon zu Isokyrö.





                                                                                                                                        Die Kirche soll berühmt für Wandmalereien sein.








                                                                                                                                        Ein Wirsingfeld führt zur Hauptstraße auf den Radweg.





                                                                                                                                        Anscheinend ist Vaasa gar nicht mehr weit weg. Als Radroutenfahrer kann man sich da irren, wie ich weiß und natürlich wird es so sein.





                                                                                                                                        Dann kommt das erste Schild. Es ist nur die Gemeinde, nicht die Stadt (die ist noch ziemlich weit weg), aber als ich es sehe, werden jede Menge Glückshormone frei. Foto. Ich habe es so gut wie geschafft. Beim dritten Anlauf hat die Tour endlich geklappt. Was ohne Schnee ja auch nicht besonders schwer ist, sage ich mal. Egal. Die Autofahrer halten mich bestimmt für bekloppt.





                                                                                                                                        Oha.
                                                                                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                                          Dauerbesucher
                                                                                                                                          • 22.07.2008
                                                                                                                                          • 777
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                                                                                                                                          Der Schmetterling ist ein Trauermantel .

                                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                                            • 31757
                                                                                                                                            • Privat


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                                                                                                                                            Zitat von Inarijoen Peter Beitrag anzeigen
                                                                                                                                            Der Schmetterling ist ein Trauermantel .
                                                                                                                                            Danke schön für den Link. Es war tatsächlich etwas Besonderes, ihm zu begegnen. Es war, als würde es plötzlich ganz still. Er wirkte so zeitlos. Ich habe mich nicht näher herangetraut, um ihn nicht zu stören. Das Bild ist vergrößert. Er saß recht lange dort und als er fortflog, dachte ich an Werner. Vieleicht waren die Schmetterlinge auf der Île de Bréhat die Verbindung.
                                                                                                                                            Oha.
                                                                                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                                              • 31757
                                                                                                                                              • Privat


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                                                                                                                                              Ich hatte schon zweimal widerstanden, kalte Cola zu kaufen, aber nun beherrsche ich mich nicht mehr, als ich an ein kleines Gewerbegebiet komme. Ein Kiosk.





                                                                                                                                              Der Mann spricht englisch und preist sein frisches Gebäck an. Er habe es am Morgen gebacken. Drei Stück sind noch da. Erst will ich nicht zugreifen, aber dann packt mich die Neugier. Essen ist vielleicht nicht schlecht. Auf einer Bank vor dem Kiosk lasse ich mich nieder. Ich habe ja keinen Druck. Ich habe ein Zimmer reserviert. Es wartet auf mich. Ach, wie schön. Die Sonne ist wärmt das Gesicht und einen Moment mache ich einfach die Augen zu. Es sind heute 17 Grad.

                                                                                                                                              Ich esse das Gebäckstück und bin süchtig. Schnell kaufe ich die anderen beiden Exemplare auch. Wie das heißt? Voisilmäpulla.





                                                                                                                                              R. wird später lachen: „Wo bekommen Touristen nur immer diese völlig überflüssigen Worte her?“ Nun, das Wort ist einfach wunderschön. Voisilmäpulla. Jeden Tag ein neues Wort. Der Klang gefällt mir. Voisilmäpulla (Finnish Butter Eye Buns: Klick. Das Bild ist besser: Klack ). Das Wort gefällt mir noch besser als Lummiko-Orava. Der Laden ist eine Glückspielzentrale. Wer anhält – und das sind viele -, spielt Lotto oder am Automaten. Fast niemand kauft etwas zu essen oder zu trinken.





                                                                                                                                              Kurz darauf muss ich feststellen, dass es in Finnland genauso schwer ist, eine gute Stelle zu finden, wo man mal anhalten kann, wie eine Stelle zum wildcampen zu finden. Jedenfalls ohne Hauptständer am Rad. Als ich endlich etwas finde, stürzen sich sämtliche Fliegen und Blattläuse der Gegend auf mich. Vielleicht kennen die Insekten Leute wie mich schon. Die ersten Rennradler sind bereits unterwegs. Die Stelle ist an einer Einfahrt zu einem Haus, sehe ich später, wie peinlich. Ich entschuldige mich nachträglich.

                                                                                                                                              Mittlerweile tut meine linke Schulter richtig weh. Spüren tue ich sie schon seit der Hälfte der Kilometer. Auch der Nacken ist gereizt. Immer noch nicht die richtige Geometrie? Den Beinen geht es dagegen gut, und ich fliege dahin.

                                                                                                                                              Die Zahl der Rennradler und Radfahrer mit forschem Fahrstil erhöht sich. Die Stadt naht. Ein Rennradler fährt am Ende des Radweges auf der Schnellstraße geradeaus, ich beneide ihn, folge aber den Schildern und biege in einem Schotterweg ab. Der Weg lässt sich erstaunlich gut befahren und ist für die Muskeln eine gute Abwechslung. Rabenvögel sitzen auf dem Weg und warten, um dann mit großen Getöse aufzufliegen.





                                                                                                                                              Dann wieder Straße.





                                                                                                                                              Präzise Beschilderung ist alles. Die wird jetzt schlechter.




                                                                                                                                              Mit Navi muss ich in mich Laihia korrigieren, ich bin gerade auf dem Weg nach Helsinki. Ein Ehepaar, das ich frage, versteht nicht, was ich will. Das liegt nicht nur am Englisch. Sie denken in Autostraßen, nicht in Radwegen. Anhand der Kirche, die im Zentrum des Ortes steht, die ich aber nicht fotografiere, klappt die Orientierung dann doch.


                                                                                                                                              Die zweitälteste Steinbrücke Finnlands. Den mit voll aufgedrehter Stereoanlage über die Brücke heizenden Finnen in einem Opel Ascona interessiert das nicht.











                                                                                                                                              Die Sonneneinstrahlung färbt das Getreide braun.





                                                                                                                                              Ich mache Selfies.





                                                                                                                                              Noch einmal Flussfeeling.








                                                                                                                                              Und weil mir das Motiv so gut gefällt, noch eins.





                                                                                                                                              Sagte ich irgendwann, mich erinnern Teile der Landschaft an Schleswig-Holstein? Diese Bezeichnung in der Tat. Die Endung „by“ findet man auch in Angeln, dort ist es der Einfluss der Dänen gewesen.








                                                                                                                                              Vor dem Flughafen verfahre ich mich erst, nur mit Mühe finde ich das Schild dennoch. Man warnt vor Fallschirmfliegern, die vom Himmel fallen. Ich fliege über den Asphalt.





                                                                                                                                              Der wird leider bald wieder Rüttelstraße.





                                                                                                                                              Ich denke an die Stinkeblumen, die mir manchmal in Mittelfinnland am Wegesrand begegnet sind. Ein ganz intensiver, unbeschreiblicher Geruch. War das falsche Kamille gewesen? Ich weiß es nicht. Hier stinkt es nicht, und ich muss dennoch daran denken.








                                                                                                                                              Die Schilder fehlen jetzt teils, und ich irre herum. Irgendein Gemäuer. Keine Ahnung, was das ist.





                                                                                                                                              Ich finde kein Schild mehr und lande an einer Hauptstraße. Das ist gut zu fahren, aber falsch. Ich wende und schlage mich dank des Navis auf kleinen Trampelpfaden querfeldein. Radspuren zementieren eine aus Bequemlichkeit gewachsene Verbindung. Kurz darauf bin ich wieder richtig.

                                                                                                                                              Der kombinierte Fuß- und Radweg ist nun plötzlich voller Spaziergängern und das ist nach den Tagen der Einsamkeit eine echte Gewöhnung. Immer mehr Menschen tauchen auf. Eine Arena. Anscheinend ist heute ein Eishockeyspiel. Kein Problem. Nur keiner sieht mich.





                                                                                                                                              Fast kicken mich die Leute vom Radweg runter. Sie kommen direkt auf mich zu, und ich betätige die Klingel. Und dennoch bin ich einfach nicht da. Eine Frau mit Rad kommt genau auf mich zu und lächelt blöde, als ich nicht ausweiche. Wohin auch? Ich kann ja nicht auf die Autos springen. Sie weicht im letzten Moment unwillig auf ihren Streifen des Radweges aus.
                                                                                                                                              Der Radweg endet und nun kämpfen Autos, Motorrad, Fahrrad und Fußgänger um den Platz auf einer zweispurigen Straße, die dazu noch durch eine Unterführung beengt wird. Jeder will der Schnellste sein und man behindert sich gegenseitig. Ein globales Phänomen, nicht finnisch. Bei uns ständen da längst schon Ordner, seit Duisburg hat sich da einiges verändert..

                                                                                                                                              Ich bin froh, als ich weg bin, und der Mann mit Handy am Ohr, der aus einer Seitenstraße schießt, kann mich nicht mehr schocken. Ich fahre sowieso Schrittgeschwindigkeit.

                                                                                                                                              Wieder einmal habe ich den Weg verloren, kombiniere mir dank des Navis aber den Zugang zu einer Parkanlage zusammen und habe endlich einen Blick auf den Bottnischen Meerbusen und die Schären.





                                                                                                                                              Die Parkanlage ist recht leer.











                                                                                                                                              Und dann bin ich am Ziel.





                                                                                                                                              Ich stelle mein Navi auf Routing ein und finde das Hotel dennoch nicht. Es muss genau hier sein, am zentralen Platz. Ein Schild sehe ich nicht. Also fahre ich um den Block. Ich bin fast einmal herum, aber nichts. Ich rufe die Nummer an, es meldet sich eine finnische Hotline: Service in Englisch 4. Seufz. Also noch ein Anlauf. Ich schaue mir die Front genau an. Nichts. Wieder ein Stück zurück. Das muss hier sein!
                                                                                                                                              Da sehe ich einen Geschäftsmann mit Rollkoffer und befrage ihn. Er spricht Englisch mit englischem Akzent. Er sucht es auch und findet es nicht. Ich schlage vor, wir suchen gemeinsam. Also wieder zurück zum Platz.
                                                                                                                                              Zwei Teenies kommen aus einer Einkaufspassage, und ich frage. Als Antwort wird erst einmal gekichert. Englisch, Gott wie peinlich. Die eine zeigt immerhin auf die Passage, ich schüttele den Kopf. Da hatte ich doch schon geguckt. Doch, sie zeigt auf das Gebäude. Und der Eingang? Sie zeigt auf die Passage. Bei mir fällt ein Groschen.

                                                                                                                                              Inside, sage ich zu dem Mann und gehe durch die Tür. Ein Übersichtsplan. Der Mann ist mir gefolgt, überzeugt ist er nicht. Ich scanne in Sekundenbruchteilen die Infos ein. Die Kunst, zu lesen, ohne zu lesen. Tatsächlich. Da ist das Hotel. Das sage ich ihm, aber er versteht nicht so ganz, er hat die Nummer auf dem Übersichtsplan noch nicht gefunden. Sind Fahrräder hier im Center erlaubt? Ich laufe sicherheitshalber schon einmal los.

                                                                                                                                              Ich erinnere mich nun nämlich an die Szene in England, als der Sicherheitsdienst mich der Touristeninformation eines Centers verwiesen hatte. Mein Instinkt trügt nicht, denn zwei Sekunden später höre ich Rufen. Sie halten aber erst einmal den Engländer an, vermutlich denken sie, wir gehören zusammen. Locker und unaufällig lege ich einen Zahn zu, wozu trainiert man auf Tour denn Radwandern. Wieder ein Rufen. Ach, wie blöd, ich spreche leider kein Finnisch, ich kann das leider nicht verstehen. Ich erhöhe das Tempo. Jemand läuft hinter mir her, ich höre die Schritte. Noch eine Kurve, und ich kann mein Glück kaum fassen: Das Hotel verleiht Räder. Ein Platz im Fahrradständer ist noch frei. Lässig schiebe ich das Rad hinein und nehme mit größter Selbstverständlichkeit die Packtaschen ab.
                                                                                                                                              Der Mann, der hinter mir hergelaufen ist, bremst und sagt außer Atem irgendetwas auf finnisch. „I´m sorry, I don´t understand“, sage ich und entlade weiter. Der Mann spricht ein gutes Englisch. „Das Einkaufszentrum darf mit Fahrrädern nicht betreten werden.“ „Oh, das tut mir leid,“ sage ich, „aber ich habe hier im Hotel ein Zimmer gebucht. Ich konnte leider den Eingang nicht finden. Ich bin hier zweimal (okay, geflunkert) um das Gebäude gekreist, aber ich habe nicht gesehen, wo das Hotel ist. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Und dann hat man mir den Eingang gezeigt, und auf dem Plan stand das Hotel. Und da war ich soo glücklich. Und ich musste ja irgendwie hier hinkommen. Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen.“ Während ich rede, entlade ich weiter und stelle die erste Packtasche in den Eingang des Hotels. Wenn ich will, habe ich einen leicht ausgeprägten Hang zur Dramatik. Vor allem, wenn ich am Ziel bin. Er weiß nicht so ganz genau, was er jetzt machen soll, er guckt offiziell, findet das ganze aber auch eindeutig lustig: „Bitte nehmen sie dann das nächste Mal den Eingang direkt hier vorne, dann fällt das nicht so auf.“ Aber klar, kein Problem und danke schön. Den anderen Eingang hatte ich wirklich nicht gesehen, tatsächlich steht dort von außen in klein über der Tür der Hotelschriftzug drauf. Da muss man erst einmal drauf kommen.
                                                                                                                                              Der vermeintliche Engländer kommt nun auch und da er finnisch spricht, vermute ich mal, er ist ein Finne. Ich stelle mich bei der Rezeption an. Es ist jetzt nicht ganz 19.00 Uhr. Heute morgen war das ziemlich gut geschätzt von mir.

                                                                                                                                              Das Fahrrad wird von dem Mann der Rezeption im Keller verstaut. Überall stehen Kisten, Kasten und Kartons. Heute ist Technoparty im Einkaufszentrum. Sie nutzen die Räume des Hotels mit. Bis morgens um drei. Es wird laut. Egal. Ein Bett.

                                                                                                                                              Ich schreibe Inarijoen Peter, dass ich gut in Vaasa angekommen bin und jetzt nach Helsinki zurückfahren werde. Ursprünglich war der Plan, noch an der Westküste entlang nach Pori zu radeln, aber da die Campingplätze alle geschlossen sind, habe ich mich dagegen entschieden. Die Möglichkeit, wildcampen zu können, lockt mich nicht. Ich hatte mir ja vorgenommen, diesmal einen entspannteren Urlaub zu verbringen, als im letzten Jahr in England. Helsinki hat auch viel Natur. Da wird mir schon etwas einfallen.
                                                                                                                                              Peter u. R. laden mich nach Hämeenlinna ein, wenn ich will, schon morgen. Ich freue mich unglaublich, schön, die beiden noch einmal wiederzusehen. Das wird mit der Zugbuchung allerdings knapp, und ich hätte auch gerne morgen einen Tag für mich. Samstag ist Ruhetag. Ich muss erst einmal herunterkommen. Wir einigen uns auf Sonntag.

                                                                                                                                              Ich laufe noch ein wenig durch die Stadt. Es riecht nach Sommer und die Stadt fühlt sich jung an.








                                                                                                                                              Sehnsüchtig schaue ich auf die beleuchtete Brücke und das Wasser vor mir. Da hinten liegt irgendwo der Campingplatz. Warum zum Teufel hat der schon geschlossen?

                                                                                                                                              In einer Seitenstraße parkt ein schwarzer Plymouth Fury Kombi, Modell Harald and Maude. In Finnland ist alles möglich.





                                                                                                                                              Es ist immer noch relativ warm, und als ich noch schnell in einen Supermarkt husche, denke ich an die lauen Sommernächte voller Hoffnung auf vertrauten Straßen und Plätzen, als würde etwas geschehen, in der Kleinstadt, in der nie etwas geschah, als man selbst jung war.





                                                                                                                                              Dicke amerikanische Autos aus den fünziger Jahren blubbern vorbei. Jugendliche Gruppen, teils endzeitmäßig schwarz gekleidet, und doch irgendwie schüchtern.





                                                                                                                                              Der zentrale Platz. Pommesduft steigt mir in die Nase, und ich bekomme Hunger. Im Imbisswagen steht eine junge Asiatin. Ohne Nachzudenken trete ich näher. Neben mir ein von einem Hauch von Tragik umgebener, dicklicher, bebrillter, rundgesichtiger finnischer Junge. Er erklärt mir in holprigem Englisch, wie wichtig Englisch sei, und dass er es eigentlich nicht kann. Er lernt schwedisch. Niemand braucht Schwedisch. Wir reden ein bisschen. Das freut ihn.
                                                                                                                                              Die Asiatin kann zwar ein wenig englisch, aber kaum finnisch. Er merkt zaghaft an, dass sein Bus gleich fährt und die Asiatin nickt jaja. Wenn der Bus weg ist, muss er nach Hause laufen, erzählt er mir. Er guckt traurig und bleibt dennoch ohne Regung stehen. Sein Essen könne ruhig kalt sein, er mache es zu Hause warm, sagt er zu der Asiatin und findet sich gleichzeitig mit der Vergeblichkeit seiner Worte ab. Sein Bus sei jetzt da. Nun habe er noch vier Minuten, tut er seufzend kund und steht weiter da und wartet. Er tut mir leid, und ich mache der Asiatin Druck: Sein Bus führe in 4 Minuten, und sie hätte jetzt noch zwei Minuten Zeit, sein Essen in die Tüte zu packen, sonst bekäme er sein Geld zurück. Sie schreckt auf und tatsächlich kommt sie nun in Wallungen. Ich sage an: Noch drei Minuten. Noch zwei Minuten. Okay, okay, fertig. Er ist so verblüfft, dass er mit der Tüte in der Hand einfach stehen bleibt und weiter wartet. Er hat sich wohl schon mit seinem unabänderlichen Schicksal abgefunden. „Nun lauf schon, Dein Bus fährt gleich,“ muntere ich ihn auf. „Oh ja.“ Glücklich setzt er sich in Bewegung. Eifrig trabt er auf den Bus zu, die Tüte wackelt in seiner Hand hin und her. Er stolpert die Stufen hinauf, und ich kann förmlich hören, wie er den Busfahrer anlächelt und sagt: „Heute muss ich nicht laufen.“ Ich denke an den Marktplatz von Turku und den Bus nach Raisio. Lang, lang ist es her.

                                                                                                                                              Die Pommes sind besser, als ich dachte. Ich schlendere den Platz entlang. Ein finnischer Kebabwagen. Anscheinend gibt es keinen Grund, den Schriftzug zu ändern.





                                                                                                                                              Der Platz ist belebt und die Menschen sind fröhlich.








                                                                                                                                              Bald gehe ich zurück. Der Türsteher am Eingang der Bar lässt mich durch, die Bar ist heute abend der Eingang zum Hotel. Die Nacht ist klar. Es könnte Nordlichter geben. Das Zimmer ist hell und ich ziehe die Schlafmaske auf. Die Ohrstöpsel funktionieren heute nicht. Zwar dämpfen sie die Töne. Aber aufgrund der Bässe wackelt das ganze Haus. Das nächste Mal mache ich Camping.


                                                                                                                                              Zuletzt geändert von Torres; 11.10.2015, 18:36.
                                                                                                                                              Oha.
                                                                                                                                              (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                                • 31757
                                                                                                                                                • Privat


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                                                                                                                                                12.09.2015. Vaasa. 2 km.

                                                                                                                                                Wie immer wache ich früh auf. Ich habe schlecht geschlafen. Ein paar Mal bin ich nachts aufgewacht, weil das Bett wackelte. Erst kurz nach drei hörten die Bässe auf. Nordlichter konnte ich keine sehen.

                                                                                                                                                Ich habe Hunger, laufe aber zuerst zum Bahnhof, um zu schauen, wann das Büro der Eisenbahngesellschaft aufmacht. Gar nicht. Am Wochenende ist geschlossen. Ein Mann mit orangener Weste verlässt den Raum. Ich nehme mir den Automaten vor. Das Ticket zu lösen ist kein Problem. Aber eine Funktion, eine Reservierung für das Fahrrad zu bekommen, gibt es nicht. Ich frage noch eine Frau vom Café, aber auch diese findet nichts. Die Automaten sind nicht mit einem Netzwerk verbunden und können daher nicht nachprüfen, welche Stellplätze bereits besetzt sind. Hätte ich mir eigentlich denken können.

                                                                                                                                                Also laufe ich zurück zur Rezeption. Der Mann von gestern hat wieder Dienst. Ob er vielleicht? Leider hat er viel zu tun. Ständig checken Gäste aus. Es gäbe aber einen Computer für die Gäste. Er zeigt ihn mir.
                                                                                                                                                Ich recherchiere im Netz auf deutsch und auf englisch. Man kann sich im Internet ein Ticket als sms, als E-mail oder als Codenummer zum Ausdrucken am Ticketautomat im Bahnhof bestellen. Die letzte Funktion hatte ich vorhin gesehen, die ist mir aber zu unsicher. Ich entscheide mich für eine Mail. Sms funktioniert laut meiner Quelle nicht. Ich zücke mein in Seinäjoki erworbenes Heftchen und geben den Wunschzug ein. 12.20 Uhr. Keine Radmitnahme möglich. Aber die hatten doch gesagt, man kann in diesen Zügen Radplätze reservieren.....???? Mein Nervenkostüm bekommt den ersten kleinen Riss.
                                                                                                                                                Der Zug um 9.20 Uhr. Keine Fahrradmitnahme möglich. Und nun? Ich will den Mann an der Rezeption fragen, aber der bedient gerade Kunden. Der Zug um 15.20 Uhr. Fahrradmitnahme möglich. Ah. Verstanden. Die anderen Züge sind ausgebucht. Gut, dann also 15.20 Uhr.
                                                                                                                                                Ich wähle E-Mail. Ich tippe den Anfang meiner E-Mail Adresse ein. Wo ist das „@“? Hier nicht. Da auch nicht. Verflixt. Was ist denn das für eine Schxxxtastatur!!? Ich probiere alle Variationen durch. Nichts. In meinem Nervenkostüm der zweite Riss.
                                                                                                                                                Ich suche wieder nach dem Mann an der Rezeption. Eine riesige Schlange. Er ist beschäftigt. Verdammt, ich muss das sofort buchen, sonst ist der letzte Platz auch noch weg. Also dann die Mobilfunknummer. Vielleicht geht das ja gut (nein, ginge es nicht. Das Fahrradticket wird definitiv nicht mitgeschickt, es ist, als hätte man es nicht gekauft. Abgebucht wird es natürlich schon.). Jetzt die Kreditkarte. Sicherheitscode. Zertifizierung bei der Bank. Ihr Passwort. Ich HASSE DIESE Zertifizierung. Wo ist das Passwort? Hatte ich doch mal irgendwo notiert. Sicherheitshalber verschlüsselt. Ist es das? Nein. Passwort falsch. Der dritte Riss im Nervenkostüm.
                                                                                                                                                Passwort neu anfordern. Ach ja, ich habe ja Zeit. Identität bestätigen. Ja. Ich bin es. Hallo. Freut mich. Schön, dass ihr mich erkennt. Neues Passwort eingeben. Meiner Meinung ist das jetzt das gleiche wie das alte. Geklappt. Danke für Ihre Bestellung. Hier ist Ihre Zusammenfassung. Ich mache ein Foto. Da steht nämlich das Fahrradticket drauf. Ob das wohl reicht?
                                                                                                                                                Wollen Sie ausdrucken? AUSDRUCKEN? Natürlich will ich ausdrucken. Aber wie? Ich brauche einen Drucker. Wo ist ein Drucker? An der Rezeption? Hhm, wenn sie gut sind, ist sogar hier ein Drucker. Ja. Glück gehabt. Er ist unter dem PC. Funktioniert aber nicht. Okay. Vielleicht einfach mal anstellen? Ja. Funktioniert jetzt doch. Printmodus.
                                                                                                                                                Ein Fenster geht auf: Irgendwas mit open google kommt. Auf finnisch. HÄ? Hilfe! Was soll das? Der vierte Riss.

                                                                                                                                                Der Mann von der Rezeption hat gerade Zeit. Ich bitte ihn herbei. Er drückt eine Taste. Anscheinend ist das richtig. Speichern oder drucken, steht da. Auf deutsch. Er bewegt fragend den Zeiger in die richtige Richtung. Ich nicke. Er hat früher einmal etwas deutsch gelernt und in Deutschland gearbeitet. Welch ein Glück. Der Drucker druckt.
                                                                                                                                                Und so halte ich zwei Sekunden später ein Printticket in der Hand. Puh. Ich bin am Ende meiner Kraft. Zwei Wochen Urlaub für die Katz. Der Mann kriegt Trinkgeld.

                                                                                                                                                Es ist 9.30 Uhr und das Frühstück endet um 10.00 Uhr. Mir ist in der Magengegend ganz flau, und ich springe in den Aufzug. Im Gegensatz zu gestern ist das Frühstück enttäuschend. Ein kleiner Raum am Ende einer düsteren Bar, völlig überfüllt. Ich muss an einem der Bartische Platz nehmen. Der Boden klebt von verschüttetem Bier. Die Auswahl ist okay, aber alles ist eng, überfüllt und die Qualität war gestern auch besser.

                                                                                                                                                Als ich fertig bin, verlängere ich mein Zimmer um einen Tag, denn mein Zug fährt ja erst morgen und die anderen Hotels sind genauso teuer. Ich hatte bereits eine Reservierung und der Mann an der Rezeption freut sich. Ich bin jetzt auch sehr froh, einfach mal nichts tun zu dürfen. Der heute Morgen hat mir gereicht.

                                                                                                                                                Ich packe mein Buch ein und mache mich auf dem Weg zum Wasser.








                                                                                                                                                Die Sonne lacht, aber wirklich warm ist es nicht.








                                                                                                                                                Ich schätze die Temperaturen auf um höchstens 14 Grad.





                                                                                                                                                Das Kunstmuseum. Ein Ehepaar sucht den Eingang. Aber für ein Museum habe ich heute keine Kraft.





                                                                                                                                                Ich setze mich ans Wasser. Eigentlich ist das zu kühl, denn ich habe keine Evazote dabei. Aber ich mag das jetzt so. Irgendwo da gegenüber liegt der Campingplatz.





                                                                                                                                                Schon gestern, als ich am Flughafen vorbeifuhr, hatte ich über die Via Finlandia nachgedacht. Ja, die Route hat mir gefallen.

                                                                                                                                                Der erste Teil war in der Zivilisation verhaftet. Es war ein Radeln im Gewohnten, manchmal mit dem Wunsch nach mehr Natur, aber in der sicheren Begleitung durch Infrastruktur und Sehenswürdigkeiten (bis Nokia).
                                                                                                                                                Der zweite Teil war die Auseinandersetzung mit der Natur. Diese Phase war durch die Eintönigkeit der Landschaft und die technischen Herausforderungen gekennzeichnet, die mich an körperliche und geistige Grenzen brachten, andererseits aber das Schöne umso stärker leuchten ließen (bis Koskue).
                                                                                                                                                Der dritte Teil war die Erholung. Das Dahinfliegen auf flacher Strecke mit der neuerworbenen Offenheit, sich in die Schönheit der Landschaft zu versenken.


                                                                                                                                                Es scheint, als wäre die Via Finlandia als eine Form der Initiation, als Übergang aus der gewohnten Welt in eine neue Stufe des Daseins geplant worden. Oder lag das an mir? Weil ich mich auf den Weg einlassen konnte?
                                                                                                                                                Einen Moment überlege ich, wie ich diesen Weg wohl empfunden hätte, wenn ich anders herum gefahren wäre? In Vaasa im Flachland gestartet, um dann den Weg durch das tiefe Tal zu gehen und die nächsten Tage an der Schnellstraße 3 und der Bahnlinie in Richtung Metropole entlangzuradeln? Nicht vorstellbar. Nein, das hätte mir nicht gefallen.

                                                                                                                                                Was mich aber wirklich erstaunt hatte, waren die unglaublich vielen guten, mal weniger guten, aber immer durchdachten Radwege. Die ganzen Unterführungen, die extra für Radfahrer (und Fußgänger) angelegt waren. Die guten Möglichkeiten, an Landstraßen entlang zu fahren. Die Radinfrastruktur in den Städten. Finnland ein Radfahrerland. Das hätte ich nie gedacht und kann es auch jetzt noch gar nicht richtig fassen. Hat mir der Radweg besser gefallen, als der Nordseeküstenradweg im letzten Jahr? Ja. Das hat er. Es war überraschender hier. Ich kann das gar nicht klar benennen. Und die Eindrücke gingen tiefer. Die tiefen Wälder. Die Seen. Die Natur. Und das Licht.





                                                                                                                                                Ich schlage das Buch auf, das mir die ganze Zeit als Gewichtsausgleich zwischen der leichteren linken und der schwereren rechten Packtasche gedient hatte. Es sind Kurzkrimis, von Laien geschrieben. Einige paar gute Ideen, aber die Ausführung ist doch ziemlich vorhersehbar. Ich lasse es da. In Helsinki kaufe ich mir ein neues Buch.

                                                                                                                                                Es ist kühl geworden, und ich friere. So laufe ich zum Hotel zurück. In einem kleinen Laden, indem man aus großen Behältern Nüsse, Schokolade, Reis, Nudeln, Lakritz, Müsli und Gewürze abfüllen kann, erwerbe ich ein Gastgeschenk. Alle anderen Geschäfte interessieren mich nicht.





                                                                                                                                                Das Nachdenken über die Via Finlandia hat mich inspiriert, und ich schreibe im Smartphone die ersten Zeilen des Reiseberichts. Dabei ist die Reise doch noch gar nicht zu Ende. Aber irgendwie müssen die Worte jetzt raus. Am liebsten würde ich schreiben: „Ich habe es geschafft - wohooo“, aber das wäre ja langweilig. Überraschung muss sein. Also veröffentliche ich vor lauter Vorfreude schon einmal die erste Folge im Netz. Die Formatierung und die Korrektur der Tippfehler entpuppen sich aber als so umständlich, - zumal das W-Lan nicht besonders schnell ist, - dass ich auf das Veröffentlichen der zweiten Folge verzichten muss. Sie ist zwar schon geschrieben, aber das ist mir zuviel Stress.

                                                                                                                                                Supi schickt eine PN. Wenn ich Lust hätte, könnte ich ihn gerne besuchen. Ich wähnte seinen Wohnort ganz woanders, schade, mit dem Zug hätte ich das sogar hingekriegt. Aber nun ist alles schon geplant. Das Ticket tausche ich jetzt nicht mehr aus! Ich muss ihm leider absagen. Dann gehe ich früh zu Bett.


                                                                                                                                                Oha.
                                                                                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                                  Freak

                                                                                                                                                  Liebt das Forum
                                                                                                                                                  • 16.08.2008
                                                                                                                                                  • 31757
                                                                                                                                                  • Privat


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                                                                                                                                                  13.09.2015. Vaasa / Hämeenlinna. 10 km.

                                                                                                                                                  Der Frühstücksraum ist genau so unbequem und voll, wie am Tag zuvor. Immerhin klebt der Boden nicht mehr. Eine junge Familie mit Kleinkind befindet sich hinter mir, und schnell besetze ich den letzten Tisch an der Tür mit einem Becher Milch. Ein wenig verzweifelt suchen sie im Raum nach einem freien Tisch, aber sie finden nichts. Sie sehen nett aus, und ich frage sie, ob sie mit an meinen Tisch wollen. Erleichtert sagen sie ja. Der andere Raum ist so kalt und dunkel. Das weiß ich auch, da saß ich ja gestern.
                                                                                                                                                  Wir kommen ins Gespräch. Ich erfahre, dass es am Freitag einen Generalstreik gibt. Ob die Fähre betroffen ist? Glaubt er nicht. Man hört von Öffentlichem Nahverkehr, Polizei und Krankenhaus. Der Wirtschaft in Finnland geht es schlecht. Wir haben ja Nokia, war immer der Tenor. Jetzt ist Nokia nicht mehr da, und nun merkt man, dass Finnland seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Er zuckt die Schultern. Er ist aus Vaasa, sie aus Turku. Das Kind wird von klein auf zweisprachig aufwachsen: Finnisch und Schwedisch. Englisch lernt es später sowieso.

                                                                                                                                                  An der Rezeption steht diesmal eine junge Frau. Sie begleitet mich in den Keller, damit ich mein Fahrrad holen kann. Sie hat eine Freundin in Bremen. Sie erzählt, dass es viele Verbindungen zwischen Deutschland und Finnland gibt. Viele Finnen lieben deutsche Autos. Und Deutsche lieben finnische Musik. Sie konnte gar nicht glauben, dass eine Band, die in Finnland keiner kennt in Deutschland Stadien füllt. Den Namen weiß sie aber nicht. (Leningrad Cowboys? Apocalyptica? HIM? Nightwish?) Klick. Klack.

                                                                                                                                                  Es ist jetzt gegen 10.00 Uhr, und ich habe noch ewig Zeit, bis der Zug fährt. So beschließe ich, den Campingplatz anzuschauen. Den Weg zum Bottnischen Meerbusen kenne ich ja schon.





                                                                                                                                                  Das Wetter ist schön, aber es ist sehr kühl und sehr windig.





                                                                                                                                                  An der ersten Insel finde ich ein Schwimmbad vor. Es ist Samstag, und es sind einige Menschen unterwegs. Sie gehen spazieren oder genießen das schöne Wetter.








                                                                                                                                                  Über eine lange Brücke geht es auf eine größere Insel. Durch ein Waldstück kommt man zum Campingplatz. Schön, mal wieder Bäume zu sehen.





                                                                                                                                                  Schnell stelle ich fest, dass der Campingplatz zwar nicht abgesperrt, aber definitiv und ausdrücklich geschlossen ist. Das Schild, das an der Tür und den Fenstern hängt, ist eindeutig. Geschrieben auf Finnisch und auf Englisch. Eine Telefonnummer, die Verhandlungsspielraum gäbe, gibt es nicht. Der Platz ist videoüberwacht.





                                                                                                                                                  Eine Gruppe Wanderer läuft an der Schranke vorbei in Richtung Wasser. Halti Rucksäcke. Es sind also Finnen.





                                                                                                                                                  Die Gruppe vor Augen, nehme ich mir heraus, das Gelände zu betreten und radele zum Badestrand. Ein Wohnwagen mit Fahrrädern davor steht auf dem Gelände. Anscheinend sind das die letzten Gäste hier. Sonst ist der Platz leer. Ein kleiner, netter Badestrand. Vor dem Anblick von Industriegebäuden ist auch dieser Platz allerdings nicht gefeit.





                                                                                                                                                  Dann schaut eben in die andere Richtung. Der Platz ist sehr schön und gepflegt. Schade. Hier wäre ich gerne gewesen. Zum Abschluss hätte das sehr gut gepasst.








                                                                                                                                                  Ein Mann auf dem Fahrrad kontrolliert die Sanitärräume. Anscheinend sind die Türen noch offen. Ich frage „offen“ (auf finnisch) und meine die Sanis, aber er schüttelt den Kopf. Er meint sicherlich den Platz. Der Platz ist einfach geschlossen, das muss man akzeptieren.

                                                                                                                                                  In der Nähe ist ein Wanderweg. Und eine Loipe?





                                                                                                                                                  Ein Werbeplakat vom Sportboothafen harmoniert mit den Yachten des Hafens, aber das Bild wird leider unscharf. Den Sportboothafen hatte ich gestern von meinem Platz aus gesehen. Dafür sehe ich ein neues Schild:





                                                                                                                                                  Und das hier. Hundeausführen ist anscheinend nur vom 1.4. bis 15.11. erlaubt.





                                                                                                                                                  Ein Waldstück. Mitten im Bild ist eine tiefe Spalte. Würde man mit dem Rad querfeldein wandern, könnte das schief gehen. Bei ähnlicher Gelegenheit hatte ich mir schon ohne Fahrrad die Haxen verknackst.











                                                                                                                                                  Ich biege nun in eine asphaltierte Straße ein. Menschen und Autos sind nicht zu sehen. Kurz darauf komme ich hier heraus.





                                                                                                                                                  Dieser Hafen verbindet Vaasa und Umea. Die kürzeste Verbindung zwischen Finnland und Schweden. Die Fahrt mit der Autofähre dauert 3,5 Stunden. Sonntags fährt das Schiff um 8.00 Uhr und um 20.00 Uhr. Ursprünglich hatte ich überlegt, im Falle meiner Ankunft in Vaasa nach Schweden zu fahren und dort an der Küste gegen Süden zu radeln. Da diese Strecke aber nicht gerade kurz ist und es dann recht umständlich ist, wieder nach Hause zu kommen, hatte ich diese Option verworfen.

                                                                                                                                                  Ein Schenker LKW steht im Hafen. Ein Schiff kommt in den Hafen hinein und legt gerade an.





                                                                                                                                                  War ich nun eben schon in Schweden? Oder im Niemandsland? Jetzt bin ich auf jeden Fall wieder in Finnland.





                                                                                                                                                  Ich radele die Straße zurück. Der Mann vom Campingplatz begegnet mir wieder und schaut interessiert. An der Gabelung biege ich rechts in eine Hauptstraße ein und lande erneut an einer Brücke.





                                                                                                                                                  Und fotografiere endlich mal jemanden auf dieser Mischung zwischen Rollschuhen und Skiern. Mir waren schon einige davon auf den Radwegen in Mittelfinnland entgegengekommen, aber zu einem Foto hatte es nie gereicht.





                                                                                                                                                  Ein Motorboot steuert den Hafen an.





                                                                                                                                                  Routiniert wirft die Frau des Kapitäns das Tau aus. Angler sitzen trotz des Wellenganges in ihrem Boot.





                                                                                                                                                  Einen Moment überlege ich, trotz des Windes weiterzufahren. Die Straße führt nach Süden zum Festland in Richtung Sundom. Hielte ich mich dann in Richtung Osten käme ich irgendwann auf der Höhe des Flughafen Vaasa heraus. Die Wegsuche und der Zeitaufwand lassen sich jedoch schwer kalkulieren und das ist mir dann doch zu heikel. Das Zugticket war hart erkämpft. So fahre ich zurück und lasse mich am Schwimmbad nieder. Menschen stehen an großen Wannen (für Angler?) und waschen Teppiche. Ich setze mich unter ein paar Bäumen hin.











                                                                                                                                                  Der Wind ist frisch und wirbelt die Blätter auf. Es ist Herbst geworden. Als ich losfuhr, dufteten in Helsinki noch die Rosen. Ein Angler packt seine Angel ein.





                                                                                                                                                  Die Möwen gleiten im Wind. Auch ein paar Rabenvögel sind dabei, die ich auf dem Weg oft gesehen habe.











                                                                                                                                                  Segeln macht heute sicherlich Spaß.





                                                                                                                                                  Und dann fällt mir ein, dass ich mich ja noch gar nicht bei meinem Fahrrad bedankt habe. Und das hole ich jetzt nach.





                                                                                                                                                  Es bekommt von mir einen Bären. Ich fand das besser als einen Elch.





                                                                                                                                                  Und dann wird mir einfach zu kalt. In der Ferne kommen die ersten Wolken auf.





                                                                                                                                                  Zwei Klappräder werden die Steigung hochgeschoben.





                                                                                                                                                  Ich schiebe ebenfalls. Weil ich will. Nicht, weil ich muss. Ich habe ja noch über drei Stunden Zeit. Ich suche noch einmal die Skulptur, die mich am ersten Abend so fasziniert hat. Sie wirkt so lebendig.











                                                                                                                                                  An einem Brunnen ist noch eine weitere.





                                                                                                                                                  Und noch eine dritte Figur.





                                                                                                                                                  Auch hier setze ich mich noch einmal auf eine Bank. Ein Mann spricht mich an. Er würde gerne mit einem Fahrrad nach Gran Canaria fahren. Er hätte dort ein Haus. Ich erkläre ein wenig. Schnell sehe ich, dass es ihm nicht ernst ist. Die typischen Fragen von Leuten, die so tun wollen, als würden sie dazu gehören. Eigentlich will er nur von sich erzählen. Er sei Geschäftsmann und ein Schwede aus Finnland.

                                                                                                                                                  Ohne Sonne wirkt der Marktplatz trostlos. So entscheide ich mich, die paar Meter zum Bahnhof zu radeln.





                                                                                                                                                  Immer noch habe ich zweieinhalb Stunden Zeit. So trinke ich erst einmal einen heißen Kakao und hänge meinen Gedanken nach. Eine rote Lok. Ich denke an das abgeschnittene Foto. Mit einem derartigen Zug werde ich nachher nach Seinäjoki fahren.





                                                                                                                                                  Züge laufen ein, und ich schaue mich schon einmal nach den Radabteilen um. Naja, wird schon klappen. Ich mache mir da immer zu viele Gedanken drum.

                                                                                                                                                  Dann wird es ernst. Der Regionalzug nach Seinäjoki kommt. Der Schaffner öffnet das Transportabteil. Ich hebe das Fahrrad hoch, es ist ganz schön schwer. Der Schaffner zieht es ins Abteil. Ich muss ein paar Meter weiter durch die normale Tür einsteigen, da das Gepäckabteil keine Treppen hat.





                                                                                                                                                  Vor einem Hamster/Hundekäfig parkt nun das Fahrrad. Er fragt, ob er die Tür abschließen soll, damit ich mich ins Abteil setzen kann, aber ich verneine. Ich bleibe lieber beim Fahrrad. Ich stecke das Vorderrad zwischen die Speichen des Käfigs. Befestigen kann man das Rad hier nicht.





                                                                                                                                                  Ein Kinderwagen wird noch hochgezogen. Die Mutter setzt sich mit Kind ins Abteil. Anscheinend kennt man sich.
                                                                                                                                                  Der Schaffner fragt, wohin ich wolle? Seinäjoki, Hämeenlinna. Ob ich ein Fahrradticket habe? Er schaut mich besorgt und etwas nachdenklich an. Ja, habe ich. Er verriegelt die Außentür, der Zug fährt an. Ich zeige ihm mein Ticket. Die Fahrradreservierung sieht er nun. Die Landschaft fliegt vorbei. Hier bin ich vorgestern geradelt.








                                                                                                                                                  Laihia. Hier hatte ich mich verfahren. Wie lange ist das her? Und vor allem: Wie viele Stunden habe ich gebraucht? Unfassbar, hier zu stehen. Die Strecke wirkt so kurz.





                                                                                                                                                  Der Schaffner fragt mich nach meiner Reise. Helsinki – Vaasa. Via Finlandia. Es gibt bestimmt auch einen finnischen Begriff für diese Route, aber den weiß ich nicht. Ich zähle die Stationen auf (Ikaalinen vergesse ich). Wie lange ich gebraucht habe? Ungefähr 10 Tage (in Wirklichkeit waren es 11 Tage, aber 10 wären auch machbar gewesen). Er nickt nachdenklich. Ob es mir gefallen hätte. Ja, das hat es. Finnland ist toll, um Rad zu fahren. Das hat mich selbst überrascht. Ich war mit dem Zelt unterwegs. Ich erkläre ihm, was in welcher Packtasche ist. Und ungefähr das Gewicht, das sie tragen. Er wirkt, als hätte ich ihn auf eine Idee gebracht. Er sieht sportlich aus. Vielleicht ein Urlaub für die Familie.

                                                                                                                                                  Ich starre aus dem Fenster. Erkenne ich etwas wieder? Die Ortschaften, auf jeden Fall. Jede einzelne bin ich durchfahren. 3 Stunden 50 Minuten dauert eine Zugfahrt von Helsinki nach Vaasa. Mit dem Fahrrad fuhr ich 11 Tage. Angelegt ist der Radweg laut des Begleitheftes sogar auf 21 Etappen. Will man zwischendrin in Ruhe etwas besichtigen oder schwimmen gehen, braucht man solange. Schon verrückt.

                                                                                                                                                  Ein kleiner Junge rennt ein paar Mal seiner Mutter davon und läuft im Gepäckabteil herum. Er sieht aus, als trüge er noch Windeln. Reden kann er noch nicht. Sie läuft ihm flink hinterher, aber sie hat Schwierigkeiten, ihn zu fangen. So schnell, wie er ist, wird er bestimmt einmal ein Sportler. An einer Station steigt die Frau aus und trifft sich mit einem Mann. Sie übergibt ihm Geld. Der Schaffner steht bei der Transaktion dabei, als würde er die korrekte Abwicklung begleiten. Er muss wechseln, sie bekommt noch Wechselgeld zurück. Anscheinend macht man vom Zug aus Geschäfte.

                                                                                                                                                  Seinajöki. Der Schaffner öffnet die Tür und springt heraus. Ich warne ihn: Das Fahrrad ist schwer. Er hebt den Arm, um es anzunehmen und greift es. „Achtung, das ist schwer! Warten Sie, ich komme rum.“ Er hört nicht auf mich und lässt das Hinterrad nicht im Waggon, sondern hebt es hoch. Er fällt fast um, als ich loslasse. Ich renne mit Vollgas aus dem Abteil und aus der Zugtür hinaus, da hat er es aber schon mit einer artistischen Einlage gefangen und stellt es sanft auf dem Boden auf. Puh. Er sieht etwas erschöpft aus. Ich weiß genau, wie sich das anfühlt, das Problem hatte ich auch schon. Ich bedanke mich sehr herzlich. Das ist Ihr Zug, sagt er fürsorglich. Der IC nach Helsinki fährt gerade auf dem gegenüberliegenden Gleis ein. „Okay, ja. Danke schön!" Ich setze noch "Kiitos“ hinzu. Er schaut mir kurz nach. Ich laufe los.

                                                                                                                                                  Wagen 7 die 444. Ich trabe zügig zum richtigen Waggon. Ein Kinderwagen steht in der Radbucht, den räume ich erst einmal raus. Und bin heilfroh, dass ich weiß, wie das System funktioniert. Das hatte ich damals auf dem Weg nach Rovaniemi gelernt und nicht vergessen. Zelt und Taschen ab. Greifarm runter. Fahrrad mit dem Lenker einhängen. Hochziehen. 50 cent einwerfen. Abschließen. Dann den reservierten Platz suchen. Erst will ich am Rad bleiben und lasse mich auf einem Platz in der Nähe nieder, aber schnell wird klar, dass der Zug richtig voll wird. Also gehe ich zu meinem Platz auf dem Oberdeck im Wagen 8. Ganz weit weg. Ein paar junge Finnen in Uniform schlafen.

                                                                                                                                                  Der Schaffner kommt, und ich habe ein Deja vu. Er sieht genauso aus wie der Schaffner in dem Regionalzug. Der Zug fuhr weiter nach Jyväskylä, das kann er also nicht sein. Ich starre ihn an. Als er an meine Sitzreihe kommt, lächelt er kaum merklich. „Hello again,“ sagt er und scannt den Barcode ein. „Hello again“, sage ich auch, dann ist er schon vorbei.





                                                                                                                                                  Tampere kommt. Ach Tampere.








                                                                                                                                                  Ein Mann will meinen Platz, ich war falsch. Mein Sitzplatz ist eine Reihe davor. Da saß vorher ein Paar ohne Reservierung. Auch die Soldaten der finnischen Armee müssen Platz machen und weichen auf den Gang aus. Der Zug ist voll.
                                                                                                                                                  Tojala. Ich gehe los, um mein Rad zu bepacken.





                                                                                                                                                  Aulanko.





                                                                                                                                                  Die Brücke, an der mir weiss gemacht wurde, ein Orava wäre ein Lummiko. Ich vergesse, das Foto der Burg zu machen. Als sie auftaucht, ist es zu spät. Aussteigen.

                                                                                                                                                  Sicherheitshalber schaue ich noch, ob Peter irgendwo steht. Ich hatte gesagt, er soll mich nicht abholen, aber man weiß ja nie. Zuzutrauen wäre es ihm, dass er sich nicht daran hält.
                                                                                                                                                  Ich schiebe das Rad die eiserne Treppenführungen hinunter und bin dann auf dem Vorplatz. Ich schwinge mich aufs Rad und schaue in einem Anfall von Kontrollzwang noch einmal auf der Karte nach. Das Navi ist nämlich aus. Eigentlich weiß ich, wo es lang geht, aber man weiß ja nie. Könnte ja sein, dass sich der Bahnhof gedreht hat oder die Straße im Nichts verschwunden ist.
                                                                                                                                                  Von links kommt ein Fahrradfahrer mit hoher Geschwindigkeit auf mich zu, ich sehe ihn im Augenwinkel, während ich meine Karte anstarre (auf der ich eigentlich nur sehe, was ich sowieso schon weiß). Der Radfahrer macht aus voller Fahrt einen Schlenker, um sich neben mich zu setzen, und ich muss gar nicht hinsehen. Das ist ist kein Finne, das können die nicht. Ohne hinzuschauen sage ich in einer schlechten Schwyzerdütsch-Kopie "Ein Schwyzer auf dem Fahrrad (richtig wäre Velo), ich habe es bemerkt," da gibt Peter auch schon Gas, und ich muss schauen, dass ich hinterherkomme.





                                                                                                                                                  Kurz darauf sitze ich in einer Wohnung mit Blick auf Wasser und werde mit köstlich gekochtem Essen umsorgt. Es folgen heiße Diskussionen und tiefgründige Gespräche, und Peter zeigt mir, wie man Nordlichter fotografiert. So spät wie beim ersten Mal wird es allerdings nicht. Ich bin einfach zu müde. Und schlafe wunderbar.
                                                                                                                                                  Oha.
                                                                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                                                    Gelöscht
                                                                                                                                                    Fuchs
                                                                                                                                                    • 03.07.2012
                                                                                                                                                    • 1920
                                                                                                                                                    • Privat


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                                                                                                                                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                    Toller Bericht, vielen Dank!

                                                                                                                                                    Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                    Menschen stehen an großen Wannen (für Angler?) und waschen Teppiche.
                                                                                                                                                    Das waren vermutlich Teppichwaschanlagen (bisschen scrollen), eine finnische Spezialität, auf die die Helsinkier (?) so stolz sind, dass man sie immer gezeigt bekommt.

                                                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                                                      Erfahren
                                                                                                                                                      • 07.03.2007
                                                                                                                                                      • 387
                                                                                                                                                      • Privat


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                                                                                                                                                      Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                      11.09.2015. Vaasa. 111 km.


                                                                                                                                                      Es ist anscheinend ein Angelgebiet. Was heißt Uhrikoski? Es gab am vorherigen Schild noch einen anderen Begriff, aber den konnte ich mir nicht merken.




                                                                                                                                                      Koski bedeutet Stromschnelle (Järvi bedeutet See). Auch wenn ich kein Finnisch-Übersetzter-Diplom besitze würde ich sagen das hier Uhri-Stromschnelle ist, und du dir also eine Angellizenz und Angel besorgen solltest um dort einen leckeren Fisch zu fangen.
                                                                                                                                                      ------------------------------------------------
                                                                                                                                                      http://www.canoeguide.net
                                                                                                                                                      Only the early worm catches the fish
                                                                                                                                                      ------------------------------------------------

                                                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                                                        Freak

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                                                                                                                                                        • 31757
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                                                                                                                                                        @Pedder
                                                                                                                                                        Du hast Recht. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass die Anlage für Teppiche ist. Beim ersten Mal dachte ich, das wäre Zufall, da hätte halt jemand gerade einen Teppich vom Boot geholt. Als ich das zweite Mal vorbeigeradelt bin, waren die Leute dort so eifrig mit Schrubben und Abspülen beschäftigt, dass ich den Eindruck hatte, das wäre hier normal (es erinnerte mich daran, wie früher Sonntags vor der Tür die Autos gewaschen wurden). Glauben konnte ich es dennoch nicht. Danke für die Aufklärung.

                                                                                                                                                        @earlyworm
                                                                                                                                                        Auch an Dich einen Dank für die Info. Das Wort "Koski" kannte ich, aber dass es sich um ein zusammengesetztes Wort handeln könnte, auf die Idee bin ich nicht gekommen.
                                                                                                                                                        Zuletzt geändert von Torres; 18.10.2015, 16:47.
                                                                                                                                                        Oha.
                                                                                                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                                                          Freak

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                                                                                                                                                          • 31757
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                                                                                                                                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                          14.09.2015. Nationalpark Torronsuo, Tammela.

                                                                                                                                                          Am Morgen ist R. schon wach und beobachtet Vögel. Zum Frühstück gibt es geräucherte Lachsforelle (@R.: Tämä kala on herkullista) und hier noch einmal einen herzlichen Dank an R. (Kiitos). Ich biete noch nicht einmal meine Hilfe an, sondern genieße es, so verwöhnt zu werden. Wieder geht uns der Gesprächsstoff nicht aus, und so dauert es, bis wir uns auf den Weg zum Nationalpark Torronsuo in der Nähe von Forssa machen.





                                                                                                                                                          Zunächst wirkt der Nationalpark – wie die Natur so oft in Finnland – ziemlich unspektakulär. Ein paar Pflanzen. Ein paar Bäume. Matte Herbstfarben. Ohne Sonne alles ein bisschen trostlos.





                                                                                                                                                          Ein Steg, damit man das Moor auch dann betreten kann, wenn es feuchter ist als derzeit.





                                                                                                                                                          Ich erfahre, dass hier das größte noch in ursprünglichem Zustand erhaltene Moor Finnlands ist. Mein Fotoakku ist fast leer. So greife ich zur Olympus. Ich habe nur das Teleobjektiv dabei. Konzentration auf die Details.


                                                                                                                                                          Rotfärbung.





                                                                                                                                                          Gelbfärbung.





                                                                                                                                                          Irgendwie afrikanisch.





                                                                                                                                                          Je mehr ich fotografiere um zu vielfältiger erscheint mir die Natur.











                                                                                                                                                          Kenne ich den? Vielleicht ein finnisches Fabelwesen?





                                                                                                                                                          Ich trödele.








                                                                                                                                                          Landschaften, wie gemalt.








                                                                                                                                                          Wenn man hinten läuft, gibt es leider nur Rückenansichten.








                                                                                                                                                          Tiere sind keine zu sehen. Es soll eine große Population von Schmetterlingen und Vögeln geben. Heute halten sie sich versteckt.

















                                                                                                                                                          Ein kleines Feuerwerk für die Sinne.











                                                                                                                                                          Wir laufen nur eine kleine Runde, da der Rundweg gegen Ende leider sehr lange an einer Landstraße entlangführt.











                                                                                                                                                          Die Farbe ist einfach wunderschön.





                                                                                                                                                          Moi.





                                                                                                                                                          Wie das heißt, habe ich wieder vergessen.





                                                                                                                                                          An einer Grillhütte sitzen Kinder mit ihren Großeltern. R. erklärt, dass das ein in Finnland häufig verbreitetes Phänomen ist, damit die Töchter und Schwiegertöchter arbeiten können. Ob sie wohl Saugwürstchen essen? Ich freue mich auf das im Anschluss geplante Grillen.





                                                                                                                                                          Wir suchen einen Grillplatz auf der anderen Seite des Moores auf, der im Wald versteckt ist. Auch ein großer Shelter ist hier vorhanden, der mehreren Menschen Platz bietet. Ein Foto mache ich davon allerdings nicht. Von der Landstraße aus braucht man auf Schotterwegen durchaus ein paar Minuten, bin man in Laufnähe ist und Ortskenntnis schadet auch nicht, um den richtigen Weg zu finden. Das bestätigt wieder meine Theorie, dass man die Shelter auf einer Radtour nur dann in die Tourenplanung aufnehmen kann, wenn man sich ein wenig auskennt. Das ist ungünstig, wenn wenig Zeit für Irrtümer bleibt.
                                                                                                                                                          Einen Aussichtsturm gibt es auch. Von dort aus kann man das Moor überblicken. Es beginnt zu nieseln.





                                                                                                                                                          Zwei Schwäne sind zu erkennen.





                                                                                                                                                          So eintönig ist der finnische Wald gar nicht.





                                                                                                                                                          Und hier wieder die verschiedenen Moorfarben. An einigen Stellen sieht man Moorlöcher.














                                                                                                                                                          Am Grillplatz sitzt bereits ein Ehepaar und grillt Würstchen. R. macht ebenfalls welche zurecht, und sie sind von hervorragender Qualität und schmecken köstlich. Man kann sie übrigens auch verzehren, ohne zu saugen. Peter kocht auf seinem Gaskocher stilgerecht Wasser für Kaffee.








                                                                                                                                                          Am Abend reden wir wieder viel. Dass das Lummiko - wie vermutet - kein Eichhörnchen ist, sondern ein Wiesel, erfahre ich nun auch. Außerdem, dass man in Finnland nicht auf die Dächer von Sheltern steigt und auch seine Kinder davon abhält, es zu tun. Das gibt die Konstruktion nicht her, die meist nur durch dünne Dachpappe abgedichtet und geschützt wird. Schnell bekommt sie Risse, so dass das Dach undicht wird und den Nächsten keinen Schutz mehr bietet.
                                                                                                                                                          Wir reden über meine Eindrücke auf Tour, und Peter erklärt, dass man hier in der Natur zu zweit unterwegs sein sollte. Es gibt selbst Ortskundige, die fanden alleine nicht mehr aus dem Gelände heraus. Da reicht es schon, gerade mal 10 km von der Straße entfernt zu sein. Es sieht eben alles gleich aus und Orientierungspunkte gibt es kaum. Peter denkt da vor allem an seine Zeit in Lappland, bei Inari, aber für andere menschenleere Gebiete gilt das auch. Ich fühle mich bestätigt, keine Abenteuer in unbekanntem Gelände fernab von Straßen versucht zu haben. Peter muss immer wieder den Kopf über die anklingende Naivität von Wanderern aus Deutschland schütteln, die sich mit Begeisterung auf die Wildnis stürzen. Mag man in Deutschland die Gefahr im Wald überschätzen, so ist es in Finnland anders herum. Mit der Natur ist hier nicht zu spaßen. Nur einmal kurz den Weg verfehlt oder beim Pinkeln zu weit vom Shelter entfernt. Und in welche Richtung ging es nun? Meine Phantasie reicht aus, um das nicht erleben zu wollen.


                                                                                                                                                          Zuletzt geändert von Torres; 18.10.2015, 19:08.
                                                                                                                                                          Oha.
                                                                                                                                                          (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                                                            Freak

                                                                                                                                                            Liebt das Forum
                                                                                                                                                            • 16.08.2008
                                                                                                                                                            • 31757
                                                                                                                                                            • Privat


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                                                                                                                                                            15.09.2015. Helsinki. 23,2 km.

                                                                                                                                                            Am Morgen frühstücken wir gemeinsam, und dann heißt es Abschied nehmen. Das Wetter sieht nach einem Wetterumschwung aus. R. füllt mir noch ein wenig Salz ab. Noch einmal einen riesigen Dank für die Gastfreundschaft!

                                                                                                                                                            Den Weg zum Bahnhof finde ich sofort. Eine Frau schimpft über eine Baustelle. Der Wind weht die Blätter über den Radweg.








                                                                                                                                                            Ich klinke mein Fahrrad in das Haltesystem ein und sehe, dass die Schaffnerin hinter mir ist. Ich zeige ihr mein Ticket. Mein Platz ist weit entfernt. Sie zeigt auf den Sitz, auf den ich meine Packtaschen gestellt habe. Ich soll mich setzen. Der Zug ist so gut wie leer. Aus dem Fenster sieht man bunte Bäume. Die waren auf dem Hinweg noch nicht da. Die Straße verlief ja oft zur Bahn parallel.

                                                                                                                                                            Helsinki. Ich suche wieder automatisch den Schnee. Doch es ist keiner da. Windig ist es dafür. Aber noch sonnig. Doch ich fühle erneut: Das Wetter wird wechseln. Ich überlege, ob ich mit der Metro fahren soll, aber die Sonne verlockt zum Radeln. Und ich habe ja noch etwas offen, was ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln gar nicht erreichen kann. Also los. Die Richtung ist mir vertraut. Einfach geradeaus nach Westen. Mit Erstaunen entdecke ich Radwege. Stimmt. Als ich die ersten Male da war, lagen die unter dem Schnee. Und sogar Fahrradspuren mitten auf der Straße. Wenn nur der blöde Wind nicht wäre. Er weht einen fast vom Fahrrad. Und durch den Wind ist es kühl.

                                                                                                                                                            Kurz darauf erkenne ich eine Straße wieder. Richtig. Ich bin kurz vor der Kirche. Der Weg am Wasser. Hier lief ein Mann mit Kinderwagen. Wieder sehe ich vor mir den Schnee und fühle die Kälte. Wie ein Film läuft meine erste Radtour vor mir ab. Hier ist ein Badestrand. Unglaublich. Das konnte man im Winter nicht sehen. Der Wind reißt die Äste ab.





                                                                                                                                                            Die Brücken erinnern mich an die Museumsinsel. Aber sie muss weiter weg sein. So ist es.





                                                                                                                                                            Ein Auto parkt die Einfahrt zu. Naja. Ich quetsche mich demonstrativ vorbei. Die Abzweigung nach links. Die hatte ich damals verzweifelt gesucht. Der Bus fährt hier geradeaus. Wo war eigentlich der Parkplatz mit dem Asiaten? Das muss weiter hinten sein. Da unten bin ich jedoch entlanggefahren. Eigentlich ist das ein Fußweg. Das hat mich damals, glaube ich, weniger interessiert. Heute fahre ich aber lieber richtig.
                                                                                                                                                            Ich stelle nun doch das Navi auf Routing. Soll ich nachher noch schauen, wo die Brücke ist, auf der ich die Sportbrille verloren habe? Die Sportbrille. Anscheinend verliere ich auf jeder Tour in Finnland etwas. Das muss wohl so sein.

                                                                                                                                                            Mein Navi zeigt mir mein Ziel an, und es ist wie erwartet gar nicht mehr weit. Einmal über die Straße und dann in den Park. Und da ist es:





                                                                                                                                                            Und davor alberne, laute, anstrengende Touristen. Einen Moment fühle ich mich völlig überfordert und würde am liebsten unverzüglich zurückfahren und in die Weite und Ruhe der Wälder und Seen entfliehen. Aber jeder Urlaub ist einmal zu Ende, und ich muss mich tapfer den Realitäten stellen. Nächste Woche arbeite ich wieder in einer Großstadt und dann sind es nicht nur diese paar Menschen, die mir begegnen, sondern Tausende.

                                                                                                                                                            Ich zwinge mich dennoch, zu dem eigentlichen Platz zu gehen. Die Touristinnen, es sind ausschließlich Frauen, albern herum. Wie lustig. Posier´hier, posier´da. Sind wir hier auf einer Spaßveranstaltung? Ich versuche, das Monument ohne sie zu fotografieren, aber das ist gar nicht leicht. Als ein Mann mit Rucksack sie energisch anspricht, bin ich froh. Plappernd entschwinden sie in Richtung Park.


                                                                                                                                                            Andächtig fotografiert der Mann das Monument.















                                                                                                                                                            Dann bittet er mich, ein Foto von ihm und dem Monument zu machen. Aber gerne. Und noch eines mit dem Kopf von Sibelius. Er bietet mir an, auch mich zu fotografieren und vertrauensvoll gebe ich ihm die Kamera in die Hand, nicht ohne kurz nachzudenken, wann ich die Speicherkarte gewechselt habe. In Vaasa. Die wichtigsten Bilder habe ich also am Mann. Aber alles geht gut. Er ist Chilene, und die Damen haben ihn genervt. Ich tippe auf Spanien, aber er schüttelt den Kopf. Venezuela oder Ecuador. Südamerikaner. So laut. Immer so laut. Letztens ist er wütend geworden und meinte zu den Frauen: Schließt doch einfach mal die Tür! Die Unterhaltung war nicht auszuhalten. Er macht eine Reise ins Baltikum und anschließend nach Russland. Dort wird er drei Monate bleiben. Schon wieder. Auch diese Touristen besuchen gar nicht Finnland. Sie besuchen Helsinki als Durchgangsort zu Russland oder Lettland. Das werde ich später noch öfter merken.

                                                                                                                                                            Ich radele in Richtung Innenstadt.





                                                                                                                                                            Erst irre ich ein wenig an zwei Hauptstraßen herum. Es dauert, bis ich den Radweg finde. Der Verkehr dröhnt in meinen Ohren. So viele Autos bin ich nicht mehr gewöhnt.





                                                                                                                                                            Der Wind ist nicht mehr frisch, sondern lästig. Radwege in Helsinki. Da träumt der Hamburger von.





                                                                                                                                                            An einem Zaun sehe ich lauter Urban Outdoorer.








                                                                                                                                                            Anscheinend fühlen sie sich zwischen Baustellen und Hauptverkehrsstraßen pudelwohl.





                                                                                                                                                            Eine Joggerin in einer hellblauen Outdoorjacke macht Fotos. Wir werden uns für längere Zeit immer wieder gegenseitig überholen. Es geht nun steil bergauf. Ich bin in der Nähe der Eisenbahn und suche eine Brücke, um auf die andere Seite zu kommen.





                                                                                                                                                            Für einen Moment wirkt es hier ländlich. Das Haus bietet einen traumhaften Blick auf das Wasser und über Teile der Stadt.





                                                                                                                                                            Ich frage die Frau in hellblau, wo die Brücke ist. Ich wolle zum nächsten „lake“. Sie versteht mich nicht. Ach so, sagt sie, ich wolle „to the sea“. Sie erklärt mir mit Händen und Füßen den Weg.








                                                                                                                                                            Als ich erneut an ihr vorbeifahre, frage ich sie, ob sie Finnin ist. Ja, aus Helsinki. Das erstaunt mich. Sea für See sagen eigentlich nur Deutsche. Ich weiß da noch nicht, dass das Gewässer gar kein See ist, sondern zu einer Bucht gehört. Dennoch. Lathi bedeutet Bucht, das wäre Bay und nicht Sea. Oder sieht sie die Bucht als Teil der Ostsee (Baltic Sea) an?








                                                                                                                                                            An einer Ampel muss ich warten. Es ist genau 13.13 Uhr. Die Frau in hellblau holt mich wieder ein. Es sind angenehme 17 Grad. Wenn der Wind nicht weht.





                                                                                                                                                            Hochhäuserburgen befinden sich am Wasser. Was diese Wohnungen hier wohl kosten?





                                                                                                                                                            Als ich über die nächste Brücke fahre, weht mich der Wind fast um. Ich muss schieben. Das ist mir zu gefährlich. Die Frau in hellblau joggt nun weiter in Richtung Innenstadt.








                                                                                                                                                            Am Rande der Bucht sehe ich, bestätigt sich meine Vermutung, dass ich hier in der Nähe schon einmal war. Helsinki ist ziemlich klein. Die Innenstadt wäre jetzt nicht weit. Aber ohne Schnee gefällt sie mir nicht.





                                                                                                                                                            Auf einer Halde fährt ein Bagger und zieht eine lange Staubspur hinter sich her. Leider fährt er langsamer, als ich die Kamera endlich gezückt habe. Leider ist die Kamera noch nicht startbereit, daher wird das Bild zu hell.





                                                                                                                                                            An der lauten Straße 4 geht es weiter. Urban Outdoor im Industriegebiet. Blick auf den Finnischen Meerbusen.





                                                                                                                                                            Am Rande einer Baustelle ein Radwegschild. Kulosaari. Das liegt auf meinem Weg. Ich bin erleichtert. Ein altes Industriegebiet. Ob man das erhalten wird? Oder reißt man es Schritt für Schritt ab und baut Hochhaustürme hier hin? Ich hoffe nicht.











                                                                                                                                                            Zwei Anfang zwanzigjährige Graffittimaler sind gerade am Werk. Ich frage, ob ich fotografieren darf. Ja. Aber ohne uns. In zwei Stunden sieht das Werk besser aus. Da bin ich leider nicht mehr da. Morgen fahre ich hier zwar mit der Bahn vorbei, das Bild ist aber verdeckt.








                                                                                                                                                            Ein Junge zieht einsam seine Kreise.








                                                                                                                                                            Ich befinde mich jetzt wieder an der Schnellstraße 4.





                                                                                                                                                            Erstaunlich, dass bei allen Brückenbauten an Radfahrer gedacht wird. Baulärm drängt an mein Ohr, hier werden riesige Flächen neu bebaut. Die Zufahrt zur Brücke ist mir zu steil, ich muss schieben.











                                                                                                                                                            Neue Radwegschilder. Ich bin richtig.





                                                                                                                                                            Meine Karte zeigt einen Radweg, der um die Insel herumführt, und ich suche ihn. Und finde ihn nicht. Die Brücke nach Mustikkamaa. Einen Moment überlege ich, ob ich einfach weiterfahre. Aber der Wind ist sehr stark und das Wetter gefällt mir immer noch nicht. Da braut sich etwas zusammen. Ohne, dass ich sagen kann, woran dieser Eindruck liegt. Der Wind schlägt mir fast die Kamera aus der Hand.








                                                                                                                                                            Ich suche erneut den in der Karte eingezeichneten Radweg, finde ihn aber nicht und komme wieder in der Nähe der Schnellstraße heraus. Da ich keine Lust habe, jetzt noch umständlich zu suchen, entscheide ich mich, den ausgeschilderten Weg zu nehmen. Morgen ist auch noch ein Tag, vielleicht fahre ich dann noch einmal hierhin, um ihn zu suchen. So geht es wieder in der Nähe der Hauptstraße weiter. Ein Radweg wird neu gebaut. Ich muss ausweichen. Mehr ahne ich, dass hinter mir ein Radfahrer ist, als dass ich ihn sehe. Ich weiche zur Seite, damit er überholen kann. Es ist ein Mitglied der Polizei.

                                                                                                                                                            Die ersten dunkeln Wolken ziehen auf. Ich bin nun an der Kreuzung, die zum Nationalpark führte. Sehnsüchtig blicke ich auf die Einfahrt. Lang ist es her. Ich muss jetzt in die Gegenrichtung. Aber auf halber Strecke schwächele ich. Ich biege falsch ab und muss umkehren. Eine dicke Wolke zieht über das Stadtviertel, und ich verspüre den Impuls, so schnell wie es geht, zum Campingplatz zu fahren. Dabei weiß ich genau, dass ich nun in Richtung Wasser abbiegen muss. Aber irgendetwas hält mich zurück. So lasse ich mich auf Radwegen an Straßen entlang routen. Langgezogene Steigungen sind der Lohn. Der Radweg war dagegen flach, dort hatte ich auf dem Hinweg das britisch wirkende Ehepaar in der Sonne sitzen sehen. Die Parkanlage, dann bin ich wieder auf der Route der Hinfahrt. Ein Radfahrer transportiert auf dem Fahrrad seine Surfbretter.





                                                                                                                                                            Die Skulptur, die ich auf dem Hinweg fotografiert habe. Dann bin ich auch schon an der Brücke, die den Finnischen Meerbusen bei Rastila überquert. Die Sonne strahlt durch die dichten Wolken und es entsteht ein faszinierendes Licht.








                                                                                                                                                            Ein Lummiko, das ein Orava ist, starrt mich an. Als ich anhalte, rennt es davon.





                                                                                                                                                            Dann bin ich auch schon am Campingplatz. Meterhoch stand damals der Schnee, als ich aus Lappland zurück kam. Heute ist alles ganz leicht. Das erste Mal kommen mir Frauen mit Kopftuch entgegen, und obwohl mir ein derartiger Anblick mehr als vertraut ist, kommt mir das in Finnland seltsam merkwürdig vor.





                                                                                                                                                            Ich stelle fest, dass sich der Erwerb der Camping Key Card in Lempivaara (bzw. zu Hause beim Automobilclub) wohl doch gelohnt hätte. Mein Fahrrad wird in einem separaten Raum eingeschlossen. Im Sommer gab es hier einen Beinahe-Fahrraddiebstahl. Mein Rad sieht zu wertvoll aus, die junge Frau an der Rezeption will auf Nummer sicher gehen.

                                                                                                                                                            Der Platz ist weitgehend leer. Ich brauche dennoch ziemlich lange, um einen guten Platz zu finden. Die Hochhäuser neben dem Platz stören mich sehr. Das bin ich nicht mehr gewohnt. Der Platz, an dem ich damals im Winter mit dem Trollspiret stand, ist besetzt. Ich entscheide mich für einen Platz ganz am Anfang. Mit Blick auf die Hütte, sie sieht finnisch aus. Neben mir ein Busch. Damit man mich nicht gleich sieht. Und ich die Hochhäuser nicht sehe. Dass ich wieder einmal vor einer Laterne stehe, merke ich nicht. Tretrollerfahrer rollern über den Platz.





                                                                                                                                                            Ich wandere am Restaurant vorbei in Richtung Wasser. Der Badestrand.





                                                                                                                                                            Das Bild habe ich, glaube ich, auch bei Schnee fotografiert.





                                                                                                                                                            Das Restaurant ist nur mittags geöffnet. Die Hütte ist leer und der Grillplatz weist kein Holz auf. Vielleicht hätte ich doch noch zwei Tage in Lempivaara verbringen sollen und mir Rihimäki anschauen sollen. Ich hatte kurz daran gedacht.
                                                                                                                                                            Ich dusche. Die Dusche ist im gleichen Gebäude wie die Toilette. Das mag praktisch sein, für den Geruchssinn ist es grausam. Die Dusche stellt sich alle zwei Sekunden wieder aus. So drücke ich im Takt auf den Knopf, aber richtig warm wird mir nicht. Da war die Dusche von Aulanko ja besser, seufze ich. Ich frage an der Rezeption nach einer Sauna. 20,00 Euro kostet das Saunieren für eine Stunde. Das ist es mir dann doch nicht wert.

                                                                                                                                                            Ich kaufe im nahegelegenen Supermarkt ein wenig Hackfleisch für die Tomatensoße, die ich seit geraumer Zeit – war es Parkano? - mit mir herumfahre. Um es anzubraten kaufe ich Öl. Da ich nichts wegwerfen kann, werde ich das Öl natürlich mit nach Hause nehmen, nachdem das Zermartern meines Hirns keine Lösung gebracht hat, wem ich es geben könnte. Das wird einfach nichts mit mir und UL.





                                                                                                                                                            Als das Essen gerade fertig ist, fängt es zu gießen an. Mein Sitzplatz hat einen Rauchabzug, und bald fängt es zu tropfen an. Ich rücke etwas nach rechts, aber auch tropft es hinein. Ich halte dennoch aus. Als der Regen anfängt, waagerecht über den Platz zu fegen, ziehe ich auf die andere Seite zu den Bänken der Küchenzeile um. Sie wirken finster und trostlos. Es ist kalt geworden, und schnell kühle ich aus. Menschen hetzen zu ihrem Wohnmobil oder zu den Sanis. Gegrüßt wird hier nicht. Ein warmer Raum wäre jetzt nicht schlecht. Am nächsten Tag sehe ich, dass im zweiten Gebäude eine geheizte Küche ist. Ich werde sie dennoch nicht benutzen. Kochen könnte ich da nicht.

                                                                                                                                                            In einer Regenpause, in der es nur leicht nieselt, gehe ich zum Zelt. Die Zeltwiese steht voll Wasser, aber mein Platz ist trocken. Außerdem war ich so schlau und hatte mein footprint als Tarp an einer Sitzgelegenheit befestigt. So komme ich trocken ins Zelt.





                                                                                                                                                            Aber nach all der Natur und den Erlebnissen der letzten Tage fühle ich mich hier ziemlich schlecht. Ein Durchgangsplatz. Mehr nicht.
                                                                                                                                                            Oha.
                                                                                                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                                                              Freak
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                                                                                                                                                              • 11888
                                                                                                                                                              • Privat


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                                                                                                                                                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                              Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                              Mein Magen meldet sich, ich habe furchtbaren Hunger, aber die Kebab Pizzeria Istanbul ist mir dann doch zuwenig finnisch. Möglicherweise ungerechtfertigt. Aber der Gedanke an Pizza überzeugt nicht.
                                                                                                                                                              Du hättest die Pizza nehmen sollen. Die Finnen können erstaunlich gut Pizza machen, ich hab das auch nicht gedacht, aber ich hab da noch keine Niete gehabt.

                                                                                                                                                              Mac

                                                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                                                Freak

                                                                                                                                                                Liebt das Forum
                                                                                                                                                                • 16.08.2008
                                                                                                                                                                • 31757
                                                                                                                                                                • Privat


                                                                                                                                                                #80
                                                                                                                                                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                Zitat von derMac Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                                Du hättest die Pizza nehmen sollen. Die Finnen können erstaunlich gut Pizza machen, ich hab das auch nicht gedacht, aber ich hab da noch keine Niete gehabt.

                                                                                                                                                                Mac
                                                                                                                                                                Danke für den Tipp. Vielleicht habe ich wirklich etwas verpasst.
                                                                                                                                                                Oha.
                                                                                                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                                                  Freak

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                                                                                                                                                                  • 16.08.2008
                                                                                                                                                                  • 31757
                                                                                                                                                                  • Privat


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                                                                                                                                                                  16.09.2015. Helsinki. Ruhetag.


                                                                                                                                                                  Am Morgen ist es trüb und grau. Und kalt. Ich habe zehn Stunden geschlafen, aber so richtig wach bin ich nicht. Hatte ich gestern noch vorgehabt, mit dem Fahrrad die Inseln zu erkunden, so schleppe ich mich nun zur Metro nach Helsinki. Fassunglos sehe ich die riesigen Baustellen in der Nähe der gestrigen Radstrecke. Ich rolle eine Rolltreppe hoch und sehe, wie sich das Licht in den Blenden spiegelt. Also fahre ich noch einmal runter und wieder hinauf, um ein Foto für die Fotochallenge machen zu können. Die Aufgabe lautet: Spiegelungen.





                                                                                                                                                                  Im Bahnhof finde ich noch ein besseres Motiv, aber dann fällt mir auf, dass ja dann jeder weiß, wo ich bin. So veröffentliche ich es nicht.





                                                                                                                                                                  Das Pflaster ist nass, uneben, glitschig. Fast wie im Winter. Ich schleiche durch die Outdoorläden. Aber das habe ich ja alles schon. So kaufe ich nur ein Geschenk und zwei günstige Sitzunterlagen aus gepresstem Schaumstoff. Sie sind leicht und bei diesem Regen kann ich sie verdammt gut brauchen.
                                                                                                                                                                  Ich irre durch irgendwelche Passagen auf der Suche nach facilities. An einem Werbestand wird Joghurt ausgeschenkt.





                                                                                                                                                                  Ich habe das Handy angelassen und sehe eine finnische Nummer auf dem Display. Ich rufe zurück. Irgend etwas Finnisches und dann in Englisch: Für einen Service in Englisch drücken sie die X. Diese Ansage kenne ich von dem Hotel in Vaasa, das ich nicht gefunden hatte. Da hatte ich während meiner Suche noch einmal angerufen. Ist das vielleicht der Rückruf? Kurz darauf summt mein Handy wieder, aber ich merke es zu spät. Egal. Ich habe frei. Wenn es wichtig ist, rufen die bestimmt noch einmal zurück. Vielleicht ist es aber auch Spam. Und auf Spam habe ich keine Lust.

                                                                                                                                                                  Ein Laden für Schrumpfköpfe und anderen Bedarf. Schnapskettchen. Und natürlich Deko in Bayrisch-blau für den Bierzeltbedarf. Ein Besuch bei Stockmanns. Die Lebensmittelabteilung. Hunger habe ich keinen. So kaufe ich nicht viel. Nur dem Lachs kann ich nicht widerstehen.

                                                                                                                                                                  Mein eigentliches Ziel für heute ist die Akademische Buchhandlung von Stockmanns. Die Auswahl ist in Ordnung, aber ein Buch, das mich vom Hocker reissen würde, sehe ich nicht. Es kommt mir auch so vor, als würden Autoren fehlen. Letholainen, Raitilla, Paasilinna. Dafür gibt es mindestens acht Ausgaben von der Kalevala. Das ist mir zuviel intellektueller Anspruch. Nach langem Grübeln entscheide ich mich für „Die Lachsfischerin/Der Sommer vor meinem Fenster“. Eeva-Kaarina Aaronen. Die erste Geschichte spielt in Weißmeer-Karelien. Ich hoffe, maahinen ist zufrieden. Einen Moment überlege ich, zwei Bücher zu kaufen, aber das ist mir doch zu teuer.
                                                                                                                                                                  Ich gehe an die Kasse, und die Dame sagt: 2.00 Euro. Ich erschrecke mich und schaue sie entsetzt an. Aber es ist kein Irrtum. Die Frau schaut ernst und nickt. Sowenig Geld für ein gutes Buch? Das geht doch nicht. Lösen sie die deutsche Abteilung auf? Hat Amazon und Co. gesiegt? Hier auch? Ich bin so erschüttert, dass ich kein zweites Buch mehr kaufe. Nachdenklich verlasse ich das Haus.

                                                                                                                                                                  Lokale werben mit Lunch, doch ich suche nur eine Kleinigkeit. So lande ich in einer Systemgastro. Das Sandwich schmeckt künstlich und farblos. In die Mensacafeteria traute ich mich leider nicht. Ich hätte fragen sollen. Jetzt ist es zu spät. Ich bin nun völlig erschöpft und fahre zurück.





                                                                                                                                                                  Es nieselt und das Zelt erscheint mir plötzlich zu klein. Ich finde einen TV Raum, hier ist es halbwegs warm, und ich lese mein Buch. Einen Moment überlege ich, bei Finnlines anzurufen und früher zurückzufahren. Aber auch dazu bin ich zu müde. Und vielleicht wird der Tag morgen ja noch ganz gut.





                                                                                                                                                                  Das Pärchen mit dem Quechua Wurfzelt und dem französischen Auto mit rotem Kennzeichen, das bei mir in der Nähe stand, war heute morgen abgereist. Statt ihrer sind neue Leute mit französischem Kennzeichen angekommen, auch ihr Kennzeichen ist rot. Neben mir bauen sie zwei Wurfzelte auf. Sie sprechen allerdings kein französisch. Merkwürdig. Und rote Kennzeichen kenne ich von Frankreich auch nicht. Aber eigentlich kann mir das auch egal sein. Ich nehme meine Sachen und koche unter dem Küchendach. Der vorgebratene Lachs ist köstlich.





                                                                                                                                                                  Als ich zurückkomme, sind aus den zwei Zelten vier Zelte geworden. Sie rücken bedrohlich in meine Nähe vor, und ich mache meiner Nationalität alle Ehre und motze auf Englisch herum. 4 Meter Abstand sind die Grundregel in Finnland, und sie sollen sich bitte daran halten. Prompt misst einer der Jungs nach und kommt auf 6 Meter. Ich messe selbst, und es sind wohl wirklich ziemlich genau 4 Meter. Nur: Der ganze Platz ist leer, und an ihrer Ecke ist auch noch Platz. Es sei nun wirklich nicht nötig, sich auf die Pelle zu rücken, wenn der ganze Platz leer sei, und neben mir Party zu machen!
                                                                                                                                                                  Anscheinend haben die Jungs dann doch keine Lust auf Stress, und so rückt der andere sein Zelt ein Stückchen zum Auto hin. Okay?, fragt er. Okay, sage ich – es ist wirklich okay. Ein guter Kompromiss. Feiern werden sie an der Küche, sagt er mir.

                                                                                                                                                                  Am anderen Ende des Platzes bauen zwei Wanderer ein Nammatj auf, und gleich fühle ich mich etwas besser. Oulanka und Lemmijoki. Sie sind aus der Schweiz.





                                                                                                                                                                  Ein Auto rauscht an meinem Zelt vorbei und stellt sich dann vor mein Zelt. Mein Hirn meldet Alarm: Mein Zelt ist in Gefahr. Aber sie fahren dann doch weiter und bauen etwas weiter rechts auf. Wieder ein Auto mit rotem französischen Nummerschild. Diesmal frage ich nach. Die Autos sind Leihwagen. Sie wurden in Frankreich gemietet. Die Ausrüstung von Decathlon ist inklusive. Die Insassen sind Studenten aus Uruguay, die meisten davon Architekturstudenten. Sie reisen um die Welt, um sich überall die Architektur anzuschauen und verkaufen Lose für eine Lotterie, um sich zu finanzieren. Der Mann von der Rezeption wird am nächsten Tag im Gespräch die Augen rollen, als ich von ihnen erzähle. Letztes Jahr kamen auf einen Schlag 150 Mann. Sie machten Party, und niemand konnte schlafen. Das war überhaupt nicht schön. Sie kommen jedes Jahr. Anscheinend habe ich Glück gehabt. Diesmal ist es ruhig, die Gruppe neben mir bleibt an der Küche. Für eine ausgedehnte Party ist es einfach zu regnerisch und zu kalt und Internet gibt es an den Zelten nicht.

                                                                                                                                                                  In der Ferne bauen weitere Uruguayer ihre Zelte auf. Eine große Gruppe mit drei Quechua Familienzelten. Ein deutsches Auto fährt auf den Platz. Die Familie hat zwei Seekajaks dabei. Als sie auch ein VE 25 aufbauen, bin ich begeistert, und spreche sie an. Vermutlich denken sie, ich hätte einen formidablen Tick. Nun, ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Die glühende Farbe erleuchtet den Platz. Mist. Dieses Zelt habe ich nicht.
                                                                                                                                                                  Ich wasche ein paar Sachen durch und hänge sie im Trockenraum auf die Leine. Die Studenten aus Uruguay nutzen ebenfalls die Gelegenheit und haben die Waschmaschinen und Trockner in Beschlag genommen. Ein paar deutsche Wohnmobilisten fortgeschrittenen Alters inspizieren den Platz und den Entsorgungsraum für die Chemieklos. Ein verkniffener Blick und ein nörgeliger Zug um dem Mund. Ob "die da wohl....". "Immerhin haben die...". Ich kriege Nerven. "Wir" und "die da". Es ist nicht zu übersehen, dass "die da" niemals genügen können, weil sie ja nicht "wir" sind. Warum fahren solche Leute denn nur weg? Ein schrecklicher Vorgeschmack kommender Diskussionen weht an mir vorbei. Ich tarne mich als Engländer.

                                                                                                                                                                  Bald beginnt es wieder zu regnen. Mit meinem Buch ziehe ich mich ins Zelt zurück.
                                                                                                                                                                  Oha.
                                                                                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                                                                    • 16.02.2005
                                                                                                                                                                    • 2155
                                                                                                                                                                    • Privat


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                                                                                                                                                                    Zitat von supi Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                                    [...]
                                                                                                                                                                    P.s.: Ja, das war ein nasser, kalter Sommer. Ich habe im "Sommer" noch nie so viel Brennholz verbraucht wie dieses Jahr.
                                                                                                                                                                    Alter finnischer Witz: In Finnland gibt es jedes Jahr 2 Winter. Der eine ist weiss, der andere grün.
                                                                                                                                                                    Den hat mir einer erzählt an dessen Häuschen du zwischen Parola und Valkeakoski vorbeigeradelt bist.
                                                                                                                                                                    Uns erzählte dieses Jahr ein Junge in einem kleinen Museumscafé im schwedischsprachigen Teil der Westküste, die biblische Plage der sieben Wochen Regen sei finnischer Sommer. Er meinte auch, dieses Jahr sei ungewöhnlich nass. So richtig fies durchnässt hats uns aber nur 2 mal auf unserer Radtour die Küste runter.

                                                                                                                                                                    @Torres: Wirklich toll, dass du immer so gute Tourenberichte schreibst. In den vergangenen Jahren waren wir oft an ähnlichen Orten wie du unterwegs: Polen, England und jetzt Finnland - aber wir kriegen beide keinen Bericht gebacken... Diesmal war unsere Route aber eine andere: Wir sind in Oulu gestartet, die Küste runtergefahren und im Süden in Richtung Helsinki abgebogen. Als wir unterwegs waren, fand in den etwas größeren Küstenorten jeweils entweder ein Kinder-Fußbballturnier oder ein Festival statt.

                                                                                                                                                                    Die finnischen Erdbeeren finde ich übrigens auch klasse, und auch die Erbsen sind lecker. Gewöhnungsbedürftig war für mich aber, dass beides literweise verkauft (und großzügig aufgerundet) wurde :-)

                                                                                                                                                                    Überraschend fand ich, dass trotz der Helmvorschrift die meisten (nach dem ersten Tag auch wir) ohne Helm unterwegs waren - und dass in den Städten die Radfahrer ganz selbsterständlich die Fußwege benutzen.

                                                                                                                                                                    Lieber Gruß vom Wesen

                                                                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                                                                      Freak

                                                                                                                                                                      Liebt das Forum
                                                                                                                                                                      • 16.08.2008
                                                                                                                                                                      • 31757
                                                                                                                                                                      • Privat


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                                                                                                                                                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                      Hallo wesen,

                                                                                                                                                                      schade, dass Du keine Berichte schreibst. Hätte mich schon interessiert, wie es an der Küste aussieht. Warst Du im "Hochsommer" unterwegs? Im September sah es so aus, als hätte das Meiste schon geschlossen. Ja, wirklich spannend, dass wir uns gerne die gleichen Länder aussuchen.

                                                                                                                                                                      Dass es Helmpflicht gibt, wusste ich nicht, aber ich fahre ja sowieso immer mit Helm. In den Städten hatte kaum jemand einen Helm auf, auch die Kinder nicht. Die schnellen Fahrer dagegen hatten alle einen Helm auf.

                                                                                                                                                                      Edit: Und ebenfalls Gratulation
                                                                                                                                                                      Oha.
                                                                                                                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                                                                        Freak

                                                                                                                                                                        Liebt das Forum
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                                                                                                                                                                        • 31757
                                                                                                                                                                        • Privat


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                                                                                                                                                                        17.09.2015. Helsinki/Kallahdenniemi. Ca. 10 km.


                                                                                                                                                                        Am Morgen stehe ich kurz auf. Dann fängt es wieder an zu regnen, und ich lege mich noch mal hin. Als es etwas besser wird, setze ich mich an die Küchenzeile und frühstücke. Die Truppe aus Uruguay liegt anscheinend noch im Koma. Das W-Lan funktioniert gerade, und ich beschließe, mich durch das Lesen der vier großen deutschen Tageszeitungen wieder an die Realitäten in meiner Heimat heranzutasten. Verlassen hatte ich ein friedliches, sonnenverwöhntes Land, die Griechenlandfrage schien langsam gelöst. So schlage ich zunächst die erste und dann die anderen deutschen Tageszeitungen auf. Und bekomme einen Schock.

                                                                                                                                                                        Dass die Kanzlerin sich mit einem „Wir schaffen das“ gegen den Bau von Grenzzäunen ausgesprochen hatte und Flüchtlinge eingeladen hatte, nach Deutschland zu kommen, wusste ich schon. Und es hatte mich Stolz gemacht, dass dieses, unseres reiches Land nun den Opfern des Arabischen Frühlings und anderen Menschen, die in Not sind, helfen will. Die Schlangen an den Grenzen zu Ungarn waren mir auch bereits bekannt.
                                                                                                                                                                        Aber das, was ich nun in der Presse lese, macht mich sprachlos. Flüchtlingskrise. Was für ein Wort! Bisher kannte ich die Wirtschaftskrise, da war die Wirtschaft in der Krise. Sind also die Flüchtlinge in der Krise? In der Tat. Sie kämpfen um ihr Leben. Ist das gemeint? Anscheinend nicht.
                                                                                                                                                                        Ich lese weiter. Fette Überschriften: Macht die Grenzen dicht. Es sind zu viele, die Bürger wollen das nicht. Ich bin perplex. Dachten wirklich alle, Lampedusa oder Lesbos beträfe uns nicht? Als wenn man Grenzen schließen könnte, in Zeiten des Internets. Ich lese, Deutschland und Europa wären dem Untergang geweiht, genau das gleiche geschah dem Römischen Reich. Nur sind es nicht die Germanen, sondern Syrer, Afghanen und der gesamte Islam. Ich bin verblüfft, das wusste ich nicht, in Rom gab es damals also schon Internet?

                                                                                                                                                                        Schreckensszenarien, Mythen und Steoreotype. Einiges kommt mir so erschreckend bekannt vor. „Meinung“ steht den Rubriken vor, es sind Journalisten – stellvertretend für Volkes Stimme? - , und sie ängstigen sich wovor? Gestern waren sie noch Kosmopoliten, free Tibet, rettet die Wale, aufgeklärt und international. Und jetzt: Überfremdung, Parallelgesellschaft, Untergang. Oder geht es ihnen einfach nur um Frau Merkel? Natürlich wird es schwer. Leicht war Veränderung noch nie. Aber gibt es eine Wahl?

                                                                                                                                                                        Einen Moment schaue ich auf mein Zelt und spüre den kalten Regen auf meiner Haut. Stelle mir vor, dass das, was ich bei mir habe, alles sei, was ich besitze. Für den Winter nicht genug. Stelle mir vor, meine Zukunft bestände aus einem ungewissen Ziel, getrieben von der Angst, keinen Platz zu finden, wo ich sicher bin. Einen Moment denke ich an Berichte über deutsche Juden, im letzten Moment schickte man sie zurück, oder an Joseph Schmidt, der aufgrund unterlassener Hilfeleistung in einem Schweizer Flüchtlingslager starb. Damals war ich ein Kind und dachte: Wenn ich das wäre? Meine Eltern, meine Familie? Was wäre, wäre es mir passiert?
                                                                                                                                                                        Aber ich habe ja nur Urlaub. Morgen geht es zurück auf einem schönen, seetüchtigen Schiff, kaltes Buffet und warme Speisen, essen, soviel man will. Und Sonntag werde ich zu Hause die Tür aufschließen und alles wird sein, wie vorher. Und in Survivalforen werden junge Männer ihre Heldentaten schildern, wie sie drei Tage lang mit klammen Händen am Feuer unter dem Tarp in Militärklamotten ihre Konservendosen öffneten, und zur gleichen Zeit kämpfen Männer, kaum älter als sie, in Wäldern, Transportern oder Lagern um ihr Leben und das ist dann allerdings keinen Jubelpost oder ein paar Likes wert, denn sie sprechen ja kein Deutsch.

                                                                                                                                                                        Meine W-Lan Verbindung bricht zusammen, und ich bin froh. Ich kann das nicht ertragen. Ich brauche frische Luft.
                                                                                                                                                                        Der Regen hat aufgehört. Ich hole mein Fahrrad und rede mit dem jungen Mann von der Rezeption. Ich erzähle ihm, dass ich zu der Grillhütte am Ufer will. Er schaut mich groß an und taut plötzlich richtig auf. Ob ich denn Holz hätte. Nein, ich dachte, das gibt es vielleicht dort. Er schüttelt den Kopf. Es gibt hier keins, das wird alles geklaut. Und das Schlimme ist, dass sie dann das Holz der Bäume drumrum verfeuern. Es ist egal, dass das jemandem gehört. Und die Hütte selbst. Hamburg lässt grüßen, irgendwie kommt mir das sehr bekannt vor.
                                                                                                                                                                        Er drückt mir ein paar Scheite in die Hand und zeigt mir den Weg. Ich nicke, ich habe ja eine Karte, den finde ich sofort. Ob ich denn das Feuer anbekommen würde, ja, ich habe ein Messer dabei. Ja, Würstchen habe ich auch. Die restlichen Scheite kann ich dort lassen, die müssen nicht zurück. Ich bedanke mich, das war sehr nett.

                                                                                                                                                                        Mein Fahrrad zeigt jetzt endgültig seine Outdooreignung, wobei die vordere Packtasche maßgeblich dazu beiträgt. Stilgerecht kommt das Holz in die vordere Halterung rein, und ich radele los. Ein größerer Trupp Damen kommt mir entgegen, anscheinend ist hier wieder Frauenturnen oder sonst eine Veranstaltung auf der Wiese und daher ist sicherlich auch das Restaurant mittags auf.








                                                                                                                                                                        Kaum sitze ich auf dem Rad, sind die trüben Gedanken verschwunden. Dabei ist es kalt und feucht und zwischendrin nieselt es.








                                                                                                                                                                        Teilweise ist der Weg recht schmal, aber in der Karte ist es auch ein Radweg.





                                                                                                                                                                        Unvermittelt steht ein Auto im Wald, das Nummernschild an einer Seite heruntergeklappt, und ich denke sofort an Räuber, Diebe und Mörder. Die Großstadt ist eben nicht weit. Ich hoffe, der Grund ist harmlos. Ein Citroen. Ich habe das Bedürfnis, jeden einzelnen Baum zu fotografieren. Feucht und moderig riecht der Wald.











                                                                                                                                                                        Blümchenfotos.





                                                                                                                                                                        An einer Stelle kommt man nahe an den See, und da man ja hier im Forum immer so gerne sein Fahrrad in Pose setzt, denke ich, das kann ich auch.





                                                                                                                                                                        Dann bin ich auch schon da.





                                                                                                                                                                        Es dauert lange, bis das Feuer brennt. Mit dem Opinel schneide ich Späne und nutze erst Prospektpapier und anschließend Klopapier. Aber alles ist feucht, die Witterung kriecht unmittelbar in alles Brennbare hinein. Immerhin habe ich die Streichhölzer der Wintertouren dabei, sonst ginge es gar nicht an. Zweimal geht es trotzdem fast aus, sobald ich ein dickeres Stück hinauflege, und so muss ich höllisch viel pusten. Dann brennt es endlich, und ich lege Saugwürstchen auf. Sie schmecken enttäuschend, die von R. waren erheblich besser. Es ist, als wäre kaum Fleischanteil dabei.





                                                                                                                                                                        Eine ältere Frau kommt auf mich zu und spricht mich an. Ich erkläre ihr, dass ich kein Finnisch spreche. So fängt sie an zu tanzen, atmet den Rauch des Feuers ein und tanzt herum. Das ist mein Leben, will sie sagen, der Duft von Rauch und Feuer. Wir lachen uns an.








                                                                                                                                                                        Eine Frau auf dem Fahrrad hält an. Sie spricht ein gutes Englisch. Vor über dreißig Jahren hat sie mal Englisch gelernt. Ich frage sie, ob es hier Menschen gibt, die Wildcampen und meine natürlich Outdoorer, wie mich. Sie nickt ernst: Sinti und Roma. Sie lagern hier im Wald. Sie schaut mich vorsichtig an. Flüchtlinge ist hier auch ein großes Thema. Es überwiegt die Angst. Bei mir um die Ecke wohnen 52 Nationen. Vielleicht bin ich das einfach gewohnt.





                                                                                                                                                                        Auch sie spricht mich auf das Feuer an und auf den Geruch. Sie wollte nie hier herkommen, erzählt sie, aber nun wohnt sie schon sechs Jahre hier und ist begeistert. Es ist so schön hier. Im Norden Finnlands sind die schönen Stellen privat. Hier ist die Natur für alle da. Das bestätigt meine Theorie, dass Outdoor vor allem stadtnah ist. Nur weil man keine Zäune sieht, heißt es nicht, die Natur sei für alle zur Benutzung frei. Eine Pilzsammlerin verschwindet im Wald.





                                                                                                                                                                        Ich frage sie, warum die Finnen nicht grüßen. Ich hätte oft gegrüßt, aber es kam nie etwas zurück. Ja, sagt sie, Finnen sind langsam. Bis sie merken, dass jemand gegrüßt hat, ist man mit dem Fahrrad schon längst vorbei. Wir lachen. Sie erzählt dann noch, derzeit würde eine Wanderin vermisst, möglicherweise hätte sie sich im Wald verirrt.





                                                                                                                                                                        Ich wandere an den glatten Steinen in Richtung Wasser.











                                                                                                                                                                        Anscheinend sind das Champignons?





                                                                                                                                                                        Und so sieht die Grillhütte von hinten aus.





                                                                                                                                                                        Ich schiebe den Hügel hinauf, dann nehme ich Abschied.





                                                                                                                                                                        Auf einem Platz sehe ich folgendes:





                                                                                                                                                                        Keine Ahnung, was das ist.





                                                                                                                                                                        Ich betrachte den Wald. Die Bäume. Im herbstlichen Regen der letzten Tage habe sie ihre Gestalt und ihre Farbe verändert. Ich versenke mich geistig in eine besonders schöne Stelle, da überholt mich ein MTB im Renntempo ganz knapp und schert im Millimeterabstand vor mir ein. Die Kieselsteinchen spritzen zur Seite. Ich erschrecke mich zu Tode. Versperr´ nicht den Weg, Du Schleicher, heißt das in Großstadtsprache. Die Stimmung ist dahin. Der Outdoorer oder besser: Der Naturgenießer als Störfaktor. Es lebe der Sport.

                                                                                                                                                                        Frustriert radele ich weiter und biege erst einmal falsch ab, weil ich denke, ich sei ganz woanders. Das Navi habe ich mit, aber keine Lust, es anzustellen. Mir ist nach Improvisation. Die Straße ist eine Sackgasse, die Halbinsel ist in privater Hand. In der Ferne zeigt sich kurz am Horizont ein zartrosa Band, doch ein Foto gelingt nicht.








                                                                                                                                                                        Ich fahre zurück. Ein kleiner Wanderweg taucht in den Wald ein. Für Fahrräder viel zu schmal.








                                                                                                                                                                        Ich komme an einem Sportplatz vorbei und lande an einem Schild.





                                                                                                                                                                        Ein nadelbedeckter Radweg führt an einer Straße entlang. Nur ein paar Spaziergänger sind zu sehen.











                                                                                                                                                                        Eine Karte steht am Wegesrand, es sieht aus, als sei die Halbinsel in Parzellen unterteilt. Ich radele einfach geradeaus.








                                                                                                                                                                        Bald darauf bin ich an einem Grillplatz und schiebe das Rad durch groben Sand.





                                                                                                                                                                        Und bin überrascht. Das Gras sieht aus wie Strandhafer und der Sand sind kleine Dünen.





                                                                                                                                                                        Es ist still und menschenleer und plötzlich werde ich ganz ruhig.








                                                                                                                                                                        Gräser leuchten.





                                                                                                                                                                        Vor den Füßen getrockneter Seetang.











                                                                                                                                                                        Unter meinen Füßen zeigt sich die Färbung von Schlickwatt und Muscheln gibt es auch.











                                                                                                                                                                        Einen langen Moment stehe ich hier, und es ist, als hätte jemand die Zeit angehalten. Der Wind weht mir um die Ohren, und ich bin ein Teil des Nichts. Als würde ich verschwinden. In der endlosen Weite von Inseln und See.

                                                                                                                                                                        Leute kommen, und ich ziehe mich zurück. Ein bulliger Mann läuft bis an die Wasserkante heran und breitet die Arme aus, als wolle er fliegen. Es scheint, als geht es ihm wie mir.











                                                                                                                                                                        In einem Gebäude ist ein Kiosk, und ich setze mich auf einen Stuhl und trinke einen heißen Kakao. Im Wald steht ein nackter Mann, und ich muss unwillkürlich lachen. In Finnland ist alles möglich, da war doch neulich so ein Spruch. Aber es ist ein harmloser Grund. Er zieht sich seinen Neoprenanzug an.





                                                                                                                                                                        Und ich versenke mich wieder in den Anblick von Wasser, Gräsern und Wald und das ist der Moment – nicht früher und nicht später – nein, genau das ist der Moment, wo mir plötzlich klar wird: Ich bin in Finnland angekommen.


                                                                                                                                                                        Als ich mich erhebe, überlege ich, ob ich noch ein Stück weiter laufe, aber ich weiß, das ist jetzt nicht mehr nötig. Ich bin am Ziel. Langsam radele ich zurück.





                                                                                                                                                                        Ein feines Geräusch und dann ein Plätschern. Meine Reserveflasche ist ans Zahnrad gekommen. Es ist bereits halb sechs.





                                                                                                                                                                        So radele ich an der Straße zurück. Vielleicht finde ich noch einen Supermarkt. In der Tat. Der Supermarkt liegt an einem windigen, abweisenden Gebäudekomplex. Warum lernen Stadtplaner nie dazu. Nach einem aufstrebenden Stadtteil sieht das hier nicht aus. Ich schließe das Fahrrad an, die Packtaschen lasse ich am Rad. Eine graue Passage. In einem kleinen Geschäft für muslimische Gewänder stehen Frauen, lachen und albern herum. Was für ein Kontrast zu dem schweigsamen Beton. An der Kasse steht ein Finne afrikanischer Herkunft. Wach und stolz wirkt er, und ich würde ihn gerne fragen, ob er studiert hat. Englisch spricht er auch.

                                                                                                                                                                        Der Zeltplatz ist wieder fast leer, nur die Schweizer mit dem Nammatj bleiben noch. Ich wasche noch die Radklamotten aus und hänge sie im Trockenraum auf. Damit ist nun alles frisch gewaschen. Und meine Baumwolljacke, die in den letzten Tagen eine Wäsche nötig gehabt hätte, riecht seit heute Mittag nach Grillfeuer und Holz. Ich checke mein Ticket und stelle fest, dass 17.00 Uhr nicht Boarding Time, sondern Abfahrt ist. Ich sollte also besser gegen 14.00 Uhr da sein. Gut, dass ich noch einmal geschaut habe.

                                                                                                                                                                        Bevor es dunkel ist, liege ich bereits im Schlafsack. Motorradgeräusche ertönen, und ich lüfte meine Schlafmaske. Zwei dicke Maschinen fahren auf den Rasen und leuchten mich direkt an. Dann sehen sie mich und und ich fühle, wie sie stutzen. Manchmal ist es doch praktisch, am Zelt ein paar Leuchtpunkte zu haben. So fahren sie weitrt nach hinten. Ihr Familienzelt hat unter den Bäumen neben mir keinen Platz. Ich gehe noch einmal zur Toilette und nehme das Smartphone mit, denn nur dort habe ich guten Empfang. Ich gebe Finnland, Streik und das morgige Datum ein. Die deutschsprachigen Infos sprechen von Eisenbahn und Flugzeug. Beruhigt schlafe ich ein.
                                                                                                                                                                        Oha.
                                                                                                                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                                                                          Erfahren
                                                                                                                                                                          • 01.02.2014
                                                                                                                                                                          • 303
                                                                                                                                                                          • Privat


                                                                                                                                                                          #85
                                                                                                                                                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                          Hei Torres,
                                                                                                                                                                          ja kiitos!!!
                                                                                                                                                                          Also danke für das Mitnehmen mal wieder. Du schreibst so schön und lebendig, und auch deine Bilder sind so toll. Ich kann beim Lesen den feuchten Wald und das Lagerfeuer richtig riechen.
                                                                                                                                                                          Mit deiner Literarturauswahl bin ich auch zufrieden.

                                                                                                                                                                          Eine Sache trotzdem.... Die Aussage von der Dame, dass im Norden alle schönen Plätze privat seien, irritiert mich. Meine Erfahrung ist genau das Gegenteil. Je weiter Richtung Norden/Nordosten man in Finnland reist, desto mehr wunderschöne ruhige, einsame Plätze findet man. Eigentlich auch logisch: 2/3 von Finnen leben in der nahen Einzugsgebiet von Helsinki, Tampere und Turku. Entsprechend ist da auch mehr im Privatbesitz. Würde ich so spontan behaupten...
                                                                                                                                                                          Also, die nächste Tour Richtung Nordosten?
                                                                                                                                                                          Wiederhole ich mich, wenn ich eins sage? Fängt mit K an...

                                                                                                                                                                          Liebe Grüße
                                                                                                                                                                          Maahinen
                                                                                                                                                                          Zuletzt geändert von maahinen; 24.10.2015, 12:27.

                                                                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                                                                            Freak

                                                                                                                                                                            Liebt das Forum
                                                                                                                                                                            • 16.08.2008
                                                                                                                                                                            • 31757
                                                                                                                                                                            • Privat


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                                                                                                                                                                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                            Zitat von maahinen Beitrag anzeigen
                                                                                                                                                                            Wiederhole ich mich, wenn ich eins sage? Fängt mit K an...
                                                                                                                                                                            Hei maahinen,

                                                                                                                                                                            eins fängt aber mit y an . Meinst Du vielleicht kaksi oder kolme? Oder kiitos, kyllä, karhu, kala, katu, kaveri, keltainen? Ich komme einfach nicht drauf, was Du mit K meinst....

                                                                                                                                                                            Was die Dame angeht: Ich denke mal, ihr habt beide Recht. Im Norden ist es natürlich viel einsamer und man hat schöne Plätze für sich alleine. Schaut man sich aber mal die Karten an - ich habe eben mal die GT5 angeschaut, also die Gegend auf der Höhe von Oulo / Suomussalmi/Kuhmo -, so sehe ich, dass an vielen Seen die Wege von der Hauptstraße aus zu Häusern führen. Das hat sie vermutlich gemeint. Radwege gibt es kaum, schon gar nicht direkt am Ufer (wie z.B. in Tampere). Zwar sehe ich auch Nationalparks, Wanderwege, Shelter und Grillplätze, aber ich vermute, man muss da, wenn man nicht direkt daneben wohnt, mit dem Auto hinfahren. Außerdem dürfte es eines Aufwandes bedürfen, dort zu wandern. Ein Großteil der Infrastruktur scheint mir auch für Kanuten gedacht.

                                                                                                                                                                            Die Outdoorkarte von Helsinki/Espoo/Kauniainen/Sibbo zeigt dagegen unglaublich viele Gebiete am Wasser und im Wald zwischen den Zentren, die für die öffentliche Nutzung gedacht sind: Radwege, Wanderwege, Schwimmbäder, Vogelbeobachtungstürme, Schutzgebiete. Allein im Winter die Loipen: Das müssen ja zweistellige Kilometerzahlen sein. Man kommt von Leppävaara aus in den Nuuksion Nationalpark und oberhalb Espoos zurück nach Helsinki durchgehend auf Skiern. Trotz der teilweise extrem dichten Bebauung ist die Zahl der Freizeitmöglichkeiten in der Natur, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad zu erreichen sind, unglaublich groß. Die Inseln, die man mit dem Boot erreichen kann, sind da noch gar nicht dabei.
                                                                                                                                                                            Oha.
                                                                                                                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                                                                              Erfahren
                                                                                                                                                                              • 01.02.2014
                                                                                                                                                                              • 303
                                                                                                                                                                              • Privat


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                                                                                                                                                                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                              Hei Torres, dein Finnisch ist ja richtig super!

                                                                                                                                                                              Ich denke auch, es hat beides was... Im Norden sind schöne einsame Plätze in Hülle und Fülle, aber es stimmt auch, dass die Wege dafür lang sein können.
                                                                                                                                                                              Helsinki hat wirklich erstaunliche Outdoormöglichkeiten. Meine Schwester arbeitete ein paar Jahre dort an der Uni - im Winter machte sie ihren Arbeitsweg oft mit den Skiern. In welcher Hauptstadt gibt es sonst sowas - ok, in Oslo, vielleicht auch Stockholm.

                                                                                                                                                                              Aber trotzdem, ich erwähne nochmals das K-Wort...

                                                                                                                                                                              Terveisin, Maahinen

                                                                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                                                                Freak

                                                                                                                                                                                Liebt das Forum
                                                                                                                                                                                • 16.08.2008
                                                                                                                                                                                • 31757
                                                                                                                                                                                • Privat


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                                                                                                                                                                                AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                                18.09.2015. Vuossari. 12,6 km.

                                                                                                                                                                                Es ist 4 Uhr, und ich bin hellwach. Mit der Fähre stimmt was nicht. Ich setze mich unvermittelt auf und reiße fast das Zelt um. Dafür ist es nicht hoch genug. Ich drehe mich samt Schlafsack zum Eingang. Die Fähre fährt nicht oder zu einer anderen Zeit. Ich weiß das genau. Im Nachhinein glaube ich, dass mein Unterbewusstsein gemerkt hat, dass die Metro nicht fährt. Der Boden wackelt nicht mehr, und es ist unglaublich still.

                                                                                                                                                                                Der Streik. Was ist, wenn die Fähre viel früher fährt? Ich krame das Ticket heraus. Der Anruf aus Finnland. Verdammt. Die Nummer kenne ich doch. Das war nicht das Hotel, das war Finnlines. Mir ist lausig kalt im Schlafshirt, aber das Gehirn arbeitet wie ein Präzisionsuhrwerk. Ich mache das zweite Handy an. Wie war noch mal die Nummer der Auslandsmailbox? Gefunden. Eine Stimme auf deutsch: „Guten Tag, hier ist X von Finnlines. Es geht um Ihre Fahrt am 18.9. Ich habe wichtige Informationen für Sie. Bitte rufen Sie mich zurück“. Ich rufe die Nummer zurück. Service in Englisch. Öffnungszeiten von 9.00 bis irgendwas. 9.00 Uhr? Das sind noch fast 5 Stunden. Wieso war ich am Mittwoch nur so blöd. Ich hätte es doch noch einmal versuchen können. Auch Inarjoen Peter hatte gestern abend noch gesimst, das Schiff fährt nicht. Da hatte ich aber schon geschlafen und das Telefon war aus. Mein Verdacht bestätigt sich.

                                                                                                                                                                                Ich lese unruhig ein paar Seiten meines Buches, so richtig konzentrieren kann ich mich aber nicht. Dann kommt mir eine Idee. Ich gehe auf die Toilette, da habe ich verlässlich Empfang. Website Finnlines. Die Fährfahrt von heute ist verschoben auf morgen früh um elf. Puh. Bin ich froh. Nach hinten verschoben ist zwar doof (ich hatte extra einen Puffertag eingeplant), aber leicht. Ich sah mich schon das Zelt zusammenwerfen und nach Vuossari rasen, so nach dem Motto: Sie haben noch eine Stunde Zeit, wir fahren um acht. Solche Aktionen sind meinem Leben nicht ganz fremd.

                                                                                                                                                                                Plötzlich bin ich ganz entspannt. Ein Blick auf ods zeigt, dass sich auch ods des Themas angenommen hat, und ich schreibe gut gelaunt zurück. Immer noch auf dem Klo sitzend, natürlich. Bisschen unbequem, aber was tut man nicht alles für W-Lan. Passenderweise geht in diesem Moment zum xten Mal eine sms meines Telefonanbieters ein, ich hätte immer noch kein (kostenpflichtiges) Datenvolumen für Finnland gebucht, und ich könne doch.... Schnauze!

                                                                                                                                                                                Ich verkrieche mich wieder in den warmen Schlafsack und lese weiter. Bald kommt die dramatischste Stelle des Buches. Es ist Winter, die Liebesgeschichte hatte sich nicht so entwickelt, wie die Heldin dachte, und eine der Hauptfiguren ist nun tot. Sie beschließt, zurück zu fahren. Eine Verfolgungsjagd durchgehender Rentiere auf Schnee und Eis beginnt, und ich kenne die Landschaft hier jetzt genug, um zu wissen, was das heißt, wenn man einen Schlitten nicht anhalten kann. Ich bin vor Spannung starr, als die Passage in dem Moment gipfelt, bei dem die Heldin Liebe, Hoffnung, Vertrauen und fast ihr Leben verliert. Ich gehe völlig in dem Buch auf, rieche den Schnee und höre das Stampfen der Tiere, meine Augen jagen wie im Rausch über die Zeilen.

                                                                                                                                                                                Dann ist es endlich neun und ich rufe die deutschsprachige Stimme an. Ihr Ton ist etwas vorwurfsvoll (eine e-mail geschrieben hatte sie auch, wie ich zu Hause sehe), ja ich weiß, ich hätte zurückrufen können, aber ich bin im Urlaub. Das sage ich allerdings nicht, sondern entschuldige mich. Sie macht ja nur ihren Job und mich nervt das on the job natürlich auch, wenn die Leute nicht rangehen. Dass das Schiff erst morgen fährt, weiß ich schon. „Kein Problem“, sage ich, „ich bin in Helsinki-Rastila, dann stehe ich eben morgen sehr früh auf“. „Wenn sie morgen nicht anreisen müssen, sondern schon in Helsinki sind, können Sie auch heute abend einchecken, wenn sie wollen.“ sagt sie. Um 19.00 Uhr. Wie? Was? Heute abend? Ich stehe auf dem Schlauch. „Ja, wenn sie schon in Helsinki sind, können Sie auch heute abend einchecken und an Bord in Ihrer Kabine schlafen.“
                                                                                                                                                                                Hätte sie vor mir gestanden, wäre ich ihr um den Hals gefallen. Kreuzfahrt, denke ich: Toll! „Das ist ja super“, sage ich, „dann muss ich morgen nicht das nasse Zelt einpacken. Danke schön. Wie ich mich freue!“ Wahrscheinlich hält sie mich für bescheuert. Vielleicht kennt sie aber auch den Begriff „nasses Zelt“ nicht. Wie gut sie deutsch spricht, weiß ich natürlich nicht. Es gibt heute eine Abendsuppe und morgen ein kleines Frühstück als Entschädigung. Ich bedanke mich noch mal überschwänglich mit überglücklicher Stimme.

                                                                                                                                                                                Und bin völlig elektrisiert. Sofort baue ich das Zelt ab. Noch regnet es nicht. Maahinen hatte auf ods allerdings Weltuntergangswetter angekündigt. Unterschätzen will ich das nicht. Auch die Familienzeltgruppe aus Uruguay und die Motorradfahrer packen.





                                                                                                                                                                                Das Fahrrad wird geholt und schnell bestückt. Jeder Handgriff sitzt. Wieder einmal bin ich froh über das flexible Backpackingsystem. Das Zelt kommt in den Wäschetrockenraum. Ich muss es unbedingt nähen, ich habe es schlecht behandelt, aber Ersatz gibt es auf dem Markt nicht mehr.





                                                                                                                                                                                Das Fahrrad stelle ich in der offenen Küche unter. Ich stellte einen Topf mit Bulgur auf den Kocher und dann fängt es zu stürmen und zu gießen an. Instinkt ist alles. Hier der Blick übrigens auf die Tischgruppe mit Abzug, aus der ich am ersten Tag flüchten musste.








                                                                                                                                                                                Gegen 12 Uhr ist der Starkregen vorbei, und das Zelt trocken verpackt. Ich starte. Ursprünglich wollte ich noch einmal unten herum fahren, an der Küste entlang, aber ich möchte die Magie des gestrigen Tages nicht zerstören. So lockt mich der obere Radweg, eine braun gestrichelte Linie eines nationalen Radwegs. Weit ist das alles nicht, Vuossari ist gerade mal 3 oder 4 km entfernt, ich könnte also auch größere Runden fahren, aber auf Experimente habe ich keine Lust mehr. Diesmal mache ich auch das Navi an, eine gute Idee, sonst hätte ich mich mehrfach verfahren.
                                                                                                                                                                                Ich gebe die Schlüsselkarte an der Rezeption ab. Ein finnisches Ehepaar hat gerade ein großes 120.000 Euro Wohnmobil verlassen und checkt ein. Sie in fluffigen rosa Puschen, er in eleganteren grauen Puschen. Anscheinend kann man so Auto fahren.

                                                                                                                                                                                Ich wende mich in Richtung Strand und das erste Mal fällt mir ganz bewusst auf, dass heute nicht der Boden gezittert hat. Die Metro fährt nicht. Ach das gewohnt klappernde Geräusch auf der Brücke ist verstummt. Das Wasser ist still und ruhig. Herbstfarben haben sich durchgesetzt.








                                                                                                                                                                                Es riecht nach Feuchtigkeit und die Tropfen rieseln von den Bäumen. Dicke Hagebutten trennen Gärten ab. Die Bucht. In der Ferne ein schmaler Streifen hellen Lichts. Das Schilf am anderen Ufer leuchtet im herbstlichen Glanz. Ein paar Jogger sind unterwegs und Spaziergänger mit Hunden. Die Siedlung ist nicht weit. Wie gestern sind es fast nur Frauen. Zwei davon auch mit Rad.











                                                                                                                                                                                Am Ort sehe ich, dass der Radweg nicht weiter geht. Schilder weisen auf eine Baustelle hin. Fällarbeiten. Der Radweg ist gesperrt. So fahre ich erst einmal weiter. Eine Frau kommt aus einer Seitenstraße und ruft mir etwas zu. Ich verstehe sie nicht, frage aber auch nicht nach. Noch einmal weiter, das Navi immer im Blick. Wieder kommt eine Seitenstraße, wieder Flatterband in der Ferne.





                                                                                                                                                                                Ich zögere und will auf der Landstraße weiterfahren, da biegt hinter mir ein Kreischmofa mit hoher Geschwindigkeit in die Straße ein und verschwindet auf einem der Waldwege. Soviel Glück darf man nicht verschwenden, und ich folge ihm, um mir die Sache von Nahem anzuschauen. Tatsächlich spannt das Flatterband nur einen hinteren Bereich am Wald ab. Der Radweg rechts in meine Richtung ist frei. Und wieder dieses Rot, ein Blick zurück.








                                                                                                                                                                                Gärten säumen den Radweg, aber die bunte Pracht an den ersten Tagen der Reise entfalten sie nicht mehr. Hell leuchtet gelb.





                                                                                                                                                                                Ich lasse mir Zeit, ein Jogger überholt mich. Er läuft merkwürdig krumm. Vielleicht ein Unfall. Neben mir ein kleiner Fluss und es ist, als sähe ich das alles hier zum ersten Mal. Die Strecke ist mir natürlich unbekannt, aber ich meine die Bäume, die Vegetation. Sie scheint wie ein Geschenk, das zu bewahren lohnt.








                                                                                                                                                                                Wieder beginnt es zu regnen, und ich ziehe den müffelnden Poncho an, das einzige Kleidungsstück außer der Jacke, das nicht gewaschen wurde. Schweiß und nasses, verrottendes Pflanzenmaterial aus der Apsis haben ein gewöhnungsbedürftiges Mikroklima erzeugt, das für einige Momente das Naturerleben stört. Ich stelle mich unter einem Baum unter und betrachte das stille Wasser, aber der Wind fegt die Tropfen unter den Bäumen zu mir hin. Ein junger Mann radelt gemächlich an mir vorbei, und ich fahre weiter. Nass werde ich sowieso. Bäume rechts vom Weg.











                                                                                                                                                                                Ich muss die Straße kreuzen, und das Auto hält an und lässst mich hinüber. Es ist wenig Verkehr heute, im Gegensatz zu sonst. Der Streik hat Finnland im Griff. Die Brille gehört mir nicht.








                                                                                                                                                                                Es regnet wieder stärker, und ich bin jetzt in einem Nadelwald. Hier stehen die Bäume dichter. Ich lehne mein Fahrrad an und verschwinde regengeschützt in den Wald. Die ersten Pilze sind schon da.











                                                                                                                                                                                Die Strecke ist schön und alles Typische ist da: Bäume. Steine. Moose. Eine Sitzgelegenheit lockt, aber die erste steht im Kanal der Strommasten und schaut auf Häuser, und die zweite ist verdeckt um Wald, da komme ich nicht hin mit dem Fahrrad.

                                                                                                                                                                                Ein Schild. Ich werde insgesamt drei Mal an der Stelle vorbei fahren. Das weiß ich aber da noch nicht.





                                                                                                                                                                                Die Strecke bleibt so schön. Es scheint, als würde der Wald zum Abschied extra leuchten. Für einen kurzen Moment reißt sogar der Himmel auf.

















                                                                                                                                                                                Der Wald wird wieder bunter. Überall schimmern rostrote Töne durch. Der Ahorn. Der Farn. Wieviele Farben von grün gibt es? Ich kann sie nicht zählen. Birkenblätter leuchten im Wind, als wären es kleine Fische, die herumspielen und zittern.








                                                                                                                                                                                Bald ist der Weg zu Ende und Enttäuschung macht sich breit. Auf der Karte sehe ich eine weitere Möglichkeit. So fahre ich zurück und biege an besagtem Schild in eine andere Richtung ab. Wieder ein kleiner Tümpel, schlecht zu fotografieren. Ein verfallenes Haus.





                                                                                                                                                                                Und jäh ein Aufwachen aus dem Traum. Man darf sich nicht blenden lassen. Hinter allem Schönen kann auch das Grauen verborgen sein. Ich denke an mein Buch.








                                                                                                                                                                                Die Landschaft öffnet sich und nun kommt tatsächlich die Sonne heraus. Eine Eisenbahnbrücke und hier geht es rechts ab. Kurz darauf stehe ich vor dem verschlossenen Gittertor eines Stellwerks. Ein Mann sieht mich, aber beachtet mich nicht. Ich fahre zurück das Stück wieder zurück und nehme die Fußgängerbrücke.








                                                                                                                                                                                Ein Hochsitz - oder ist es ein Aussichtsturm? Ein Auto parkt davor und in der Nähe des Sees sehe ich einen Lieferwagen parken. Da lasse ich das Rad dann lieber nicht alleine stehen, was völlig irrational ist. An einer Kreuzung halte ich. Die Sonne lächelt, und mir präsentiert sich noch einmal die Natur meiner Reise: Bäume, Felder, Steine und versteckt im Schilf ein See. Ich halte inne. Das nächste Mal sollte ich mir mehr Zeit lassen.








                                                                                                                                                                                Ich verspüre den Impuls, weiterzufahren, aber auf diesem Weg käme ich in den Norden und müsste den gleichen Weg wieder zurück. So wende ich und versuche, den eingezeichneten Pfad doch noch zu finden, so alt ist die Karte doch nicht. Anscheinend geht er unter der Eisenbahnbrücke durch. Ich tauche in einen steilen Fußpfad ein und wage nun doch Experimente.








                                                                                                                                                                                Doch nachdem ich unter der Brücke durchgewandert bin, verliert sich der Pfad. Ich sehe umgestürzte Bäume. Das ist mit Fahrrad nun doch nicht so prall und ich wende. Ich denke an den Typen, der in Kanada seine Packbeutel bei so einer Aktion verloren haben will und sechs Tage in der „Wildnis“ ohne Fertignahrung leben musste. Nicht auszudenken, ich verlöre die Packtaschen und würde nun hier in der finnischen Wildnis mich von Beeren ernähren müssen. Schlimm, schlimm.





                                                                                                                                                                                Als ich das Rad wieder die kleine Erhebung zum Weg zurückschiebe, muss ich aufpassen, dass ich mir nicht die Haxen breche. Der Weg ist rutschig, Tritte gibt es nicht und das Rad ist schwer. Ich denke an den Balanceakt des Schaffners in Seinäjoki. Das hier ist so ähnlich. Aber ich will, und so geht es.
                                                                                                                                                                                Ich radele nun den Weg zurück und bin bald an der Straße. Ein Nebenradweg, dann ein Wohngebiet und der Golfclub. Ich brauche keine Karte, ich weiß, wo ich bin. Einen Moment überlege ich, noch einmal ans Wasser zu fahren. Nein, es war schön hier. Es ist genug.

                                                                                                                                                                                Im Hansaterminal gibt es Mittagstisch. Aber nur bis halb drei. Der junge Mann am Tresen mustert mich abweisend. Das sind 20 Minuten, das kriege ich hin. Ich verschlinge Kartoffelauflauf mit Gemüse und Salat. Und zum Schluss noch den perfekten Vanillequark. Danke, das war sehr lecker. Um 14.30 Uhr bin ich wieder draußen. Der Wind hat in der Zeit unangenehm aufgefrischt. Über die Straße peitschen die Böen. Maahinen hatte mit der Prognose Recht. Schön, dass ich vernünftig war. Besser ist bei diesem Wetter ein geschütztes Plätzchen. Zwei Reiseräder standen schon beim Essen an den Pfeilern vor der Eingangstür. Nun treffen wir uns im Warteraum. Wir kommen ins Gespräch. Es sind Hamburger. Sie waren im Baltikum und wussten nichts vom Streik. Sie standen heute Mittag vor verschlossener Tür. Der Mann ist ziemlich wütend. Um 3 Uhr kommen wir am Sonntag erst in Hamburg an. Und am Montag muss man schon wieder arbeiten. Ob er wohl in einer Gewerkschaft ist? Er wäre der Typ dafür. Den Grund, warum die Fähre nicht fährt, erfahre ich nun auch. Die Hafenarbeiter. Sie streiken.


                                                                                                                                                                                Gemeinsam warten wir fünf Stunden lang. Mein Helm flattert am Fahrrad im Wind. Manchmal denke ich, das Fahrrad fällt bald um, aber der Pfeiler schützt es, er ist sehr dick. Ein etwas verpeilt aussehender Reiseleiter taucht auf. In seinem Bus sitzen 35 Leute. Ältere Leute, wie sich zeigen wird. Belgier. Tapfer, so lange an der Schranke zu stehen. Seine Hoffnung, er könne eher einchecken erfüllt sich nicht. Immerhin kann er den Papierkram erledigen. Für uns gilt das nicht. Unsere Abfertigung ist an der Schranke.

                                                                                                                                                                                Um 19.00 Uhr macht der Schalter an den Fahrspuren auf, und der Busfahrer ist nett und lässt uns vor. Es nieselt etwas und es weht ein rauer Wind. Das Reiseradlerpaar gibt seine Pässe ab und fährt weiter, danach bin ich dran. Ich frage, ob die Kabine heute mit zwei Personen belegt ist und es dauert, bis der Computer reagiert. „Der Bus wartet“, sage ich beschämt, weil es so lange dauert und erhalte von dem jungen Finnen auf Deutsch ein trockenes: „Heute müssen alle warten.“ Da der Bus ja bereits abgefertigt ist, schiebe ich das Rad schnell hinter das Häuschen und lasse ihn vorbei. Der Busfahrer bedankt sich sehr. Das Auto hinter ihm will aufschließen, sieht mich dann aber doch und lacht. Nein, ich habe die Kabine heute für mich allein.

                                                                                                                                                                                Ich fahre vor zu Gate 2. Hinter uns sind gerade mal 9 Autos. Die Fähre scheint fast leer zu sein. Morgen kommen allerdings noch viele LKW hinzu, das weiß ich jetzt natürlich noch nicht.
                                                                                                                                                                                Das Führfahrzeug mit dem jungen Mann fährt los und ein paar Mal reißt mich der Wind fast vom Rad. Ich halte. Das sind mehr als 30 km/h Wind. Was ja nicht schlimm wäre, gabe es nicht unvermittelt diese blöden Böen. Der Asphalt leuchtet vom Regen, und ich sehe wieder überall Glatteis. Was ein Gehirn doch so zu speichern vermag. Eine unheimliche Stille an dem sonst so geschäftigen Port. Keine Arbeiter zu sehen. Leere überall. Kein Blinken. Keine LKW. Ein Geisterhafen. Gespenstisch.

                                                                                                                                                                                Die Rampe. Bergauf. Der Wind drückt, aber ich habe Ehrgeiz. Neun Autos sind hinter mir. Locker und mühelos kurbele ich die Rampe hinauf. Die zweite Rampe mit den dicken Querrillen werde ich wieder hochschieben. Mit meinen Reifen gefällt mir das nicht.
                                                                                                                                                                                Ein Rentner fuchtelt mit dem Fotoapparat herum. Darf er ein Foto machen? Soll er machen. Ich kann mich um ihn nicht kümmern. Ich muss jetzt erstmal entladen. Aber er traut sich nicht. Auf dem Gang werde ich mehrfach angesprochen: Sie gehören doch zu den Radlern. Das war so toll, wie Sie da hochgefahren sind. Wir wollten schon einen Film drehen. Ach, das geht doch runter wie Öl, manchmal bin ich dann doch ein klitzekleinesbisschen eitel.





                                                                                                                                                                                Die belgischen Rentner (Wallonen) verbreiten gute Laune mit französischem Charme. Was für ein Kontrast zu den sauertöpfischen Deutschen auf dem Campingplatz. Jeder, wie er es kann. Es gibt Kartoffelsuppe mit Wurst und Brot und Käse, dann gehe ich zu Bett. Allerdings fällt mir das Einschlafen schwer. Das Schiff bewegt sich nicht. Ein Schiff, das nicht schwankt, bedeutet, es stimmt etwas nicht. Einen Moment vermisse ich mein Zelt. Aber die Ruhe ist nett.
                                                                                                                                                                                Zuletzt geändert von Torres; 26.10.2015, 20:39.
                                                                                                                                                                                Oha.
                                                                                                                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                                                Kommentar


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                                                                                                                                                                                  Liebt das Forum
                                                                                                                                                                                  • 16.08.2008
                                                                                                                                                                                  • 31757
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                                                                                                                                                                                  AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                                  19.09.2015. Abreise.

                                                                                                                                                                                  Am Morgen kommen weitere Gäste und viele LKW treffen ein. Die Fähre aus Travemünde läuft ein, sie fährt nach Plan und verlässt Helsinki heute nachmittag um 17.00 Uhr.

                                                                                                                                                                                  Das Schiff legt ab und immer noch drückt der starke böige Wind. Aber ich möchte Abschied nehmen. Bei Tageslicht habe ich die Abfahrt ja nie gesehen.











                                                                                                                                                                                  Wie kleine verstreute Perlen liegen die Schären in der weißgekronten Gischt. In der Ferne eine Regatta.

















                                                                                                                                                                                  Drei Schwäne, das Foto ist für alle, die kenne, ich hoffe, sie bringen Euch Glück.





                                                                                                                                                                                  Mit Wehmut sucht mein Blick die Wälder an der Bucht. Dahinten bin ich schon geradelt, aber vom Wasser aus erkennt man es nicht.


























                                                                                                                                                                                  Auf dem Deck wird es zunehmend gefährlich. Immer wieder verlasse ich den Windschutz und laufe vorsichtig von einem Deck zum anderen. Einmal falle ich fast um. Und rette mich an die Wand. Die Kamera fällt mir dabei aus der Hand. Wie gut, dass sie mit einem Karabiner gesichert ist. Im Bordfernsehen erfahre ich später, dass vorne auf dem Deck 30 m/s Wind sind (ca. 110km/h). Und ohne Fahrtwind bläst der Wind hier draußen immerhin zwischen 17 und 19 m/s (ca. 60 km/h).












                                                                                                                                                                                  Noch einmal taucht Helsinki am Horizont auf, und es erscheint unglaublich weit weg.





                                                                                                                                                                                  So verlasse ich dieses Land, das mir so nah ist und doch so fremd. Ich denke an Jean Sibelius und seine bekannteste Komposition. Schwermütige Streicher und Bläser. Die Erfahrung der Unterdrückung findet heute ihre Entsprechung in der Undurchdringlichkeit des Waldes, und der Abhängigkeit des Menschen angesichts eines unbeherrschbaren, erdrückenden Schicksals. Es folgen die leichten Klänge des Aufbruchs, die sich im Frühjahr und Sommer in der Kraft und Verspieltheit des Wassers und dem Rauschen der Blätter im Wald zeigen. Und über allem steht das Licht der Freiheit, strahlend, wie ein schützendes Dach. Dieses Bild ist ein Symbol dafür.





                                                                                                                                                                                  Es dauerte mehr als vierzig Jahre, erst dann kam Koskienniemis Text hinzu.



                                                                                                                                                                                  (INFO: Bitte kein Bildmaterial einfügen, das die Rechte Dritter verletzt. d.h. i.d.R. keine Musikvideos, TV-Serien etc. )


                                                                                                                                                                                  Ob ich wiederkommen werde? In Finnland ist alles möglich!
                                                                                                                                                                                  Zuletzt geändert von Torres; 19.12.2015, 12:03.
                                                                                                                                                                                  Oha.
                                                                                                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                                                                                                    Alter Hase
                                                                                                                                                                                    • 30.05.2007
                                                                                                                                                                                    • 3996
                                                                                                                                                                                    • Privat


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                                                                                                                                                                                    AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                                    Vielen Dank nochmal für den Bericht. Hat einige erinnerungen geweckt.
                                                                                                                                                                                    So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                                                                                                                                                                    A. v. Humboldt.

                                                                                                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                                                                                                      Lebt im Forum
                                                                                                                                                                                      • 22.08.2008
                                                                                                                                                                                      • 8843
                                                                                                                                                                                      • Privat


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                                                                                                                                                                                      AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                                      Hallo Torres, nun habe ich deinen Reisebericht fertig gelesen.

                                                                                                                                                                                      Wie immer sehr lebendig geschrieben und ich beneide dich um deinen Blick für die kleinen Details unterwegs. Ich sehe immer nur die gesamte Landschaft.
                                                                                                                                                                                      In #65 sind deine Bilder und die kurzen Texte dazu schon Poesie. Schöner kann man einen Tagesanbruch nicht beschreiben.

                                                                                                                                                                                      Nur in der Wahl deines Transportmittels hast du stark nach gelassen. Eigentlich hatte ich eine Steigerung an ungewöhnlichen Fahrzeugen erwartet.
                                                                                                                                                                                      Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

                                                                                                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                                                                                                        Freak

                                                                                                                                                                                        Liebt das Forum
                                                                                                                                                                                        • 16.08.2008
                                                                                                                                                                                        • 31757
                                                                                                                                                                                        • Privat


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                                                                                                                                                                                        AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                                        Herzlichen Dank, blauloke. Dein Lob freut mich sehr.

                                                                                                                                                                                        Nur in der Wahl deines Transportmittels hast du stark nach gelassen. Eigentlich hatte ich eine Steigerung an ungewöhnlichen Fahrzeugen erwartet.
                                                                                                                                                                                        Ich bin mir dessen bewusst und schäme mich dafür. Aber mir fällt im Moment einfach nichts mehr ein. Ich sehe es schon kommen: Wenn das so weitergeht, fange ich noch an zu wandern.






                                                                                                                                                                                        Sehr beeindruckend war übrigens auch das Einlaufen in Travemünde. Normalerweise kommt das Schiff spätabends gegen 21.00 Uhr an. Im Winter ist es da längst dunkel. Diesmal lief es gegen 15.00 Uhr ein, und es war unglaublich. Es war ja warm, und viele Einheimische und Touristen waren unterwegs. Sie standen am Ufer oder saßen auf Ausflugsbooten und viele von ihnen winkten uns zu. Ein paar Schiffe hupten. Dazu das Spiel der Wolken und der Sonne. Als das Schiff wendete, hatte man zudem einen Blick über die gesamte Bucht. Normalerweise steht man ja unten als Zuschauer am Rande, aber diesmal war ich mitten im Geschehen, auf dem Oberdeck. So etwas vergisst man nie.



                                                                                                                                                                                        Der Strand.





                                                                                                                                                                                        Die Travemündung.





                                                                                                                                                                                        Die Passat.





                                                                                                                                                                                        Segler in der Lübecker Bucht. Das Hotel Maritim ist immer noch nicht schön, aber mit zunehmendem Alter mag man es sich auch nicht mehr wegdenken. Man beachte den alten Leuchtturm.





                                                                                                                                                                                        Das Spiel der Sonne und der Wolken.





                                                                                                                                                                                        Bye, bye Helsinki. Bye, bye Finnland.


                                                                                                                                                                                        Zuletzt geändert von Torres; 19.12.2015, 12:04.
                                                                                                                                                                                        Oha.
                                                                                                                                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                                                                                                          Fuchs
                                                                                                                                                                                          • 31.12.2005
                                                                                                                                                                                          • 1642
                                                                                                                                                                                          • Privat


                                                                                                                                                                                          #93
                                                                                                                                                                                          AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                                          Danke.
                                                                                                                                                                                          radioRAW - Der gesellige Fotopodcast

                                                                                                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                                                                                                            Freak

                                                                                                                                                                                            Liebt das Forum
                                                                                                                                                                                            • 20.07.2009
                                                                                                                                                                                            • 12705
                                                                                                                                                                                            • Privat


                                                                                                                                                                                            #94
                                                                                                                                                                                            AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                                            Ja, danke. Nicht nur dieser schöne Finnland- Bericht hat uns bewogen, daß wir uns diesem Land einmal zuwenden. Aber er hat wesentlich dazu beigetragen. Im Herbst planen wir Zelten mit dem ScoutDog und Angeln auf den Åland-Inseln. Zurück vielleicht um den Bottnischen Meerbusen ? Jetzt im Februar fliegen wir für einen Kurzurlaub nach Helsinki. Städteurlaub im Hotel mit Besichtigung der Sehenswürdigkeiten und hoffentlich etwas Schnee.
                                                                                                                                                                                            Ditschi
                                                                                                                                                                                            Zuletzt geändert von Ditschi; 20.12.2015, 12:26. Grund: Man entdeckt immer wieder Schreibfehler

                                                                                                                                                                                            Kommentar


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                                                                                                                                                                                              Fuchs
                                                                                                                                                                                              • 29.08.2009
                                                                                                                                                                                              • 1356
                                                                                                                                                                                              • Privat


                                                                                                                                                                                              #95
                                                                                                                                                                                              AW: [FI] In Finnland ist alles möglich - Radwandern auf der Via Finlandia

                                                                                                                                                                                              Ich habe als Kind immer meine Sommerferien bei meinen Großeltern in Helsinki-Pakila verbracht.
                                                                                                                                                                                              Viele Bilder und gerade die Hafeneinfahrt in Travemünde sind mir noch total präsent.
                                                                                                                                                                                              Vielen Dank

                                                                                                                                                                                              Und nächsten Sommer gehts wieder dorthin, allerdings eher Familienurlaub - Ferienhaus am See....

                                                                                                                                                                                              (Und nach Kanada, so mein Chef mitspielt: Bonnet Plume River)
                                                                                                                                                                                              Wer nichts weiß muss alles glauben...

                                                                                                                                                                                              Kommentar


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                                                                                                                                                                                                Fuchs
                                                                                                                                                                                                • 30.05.2009
                                                                                                                                                                                                • 1197
                                                                                                                                                                                                • Privat


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                                                                                                                                                                                                Viele lesenswerte Geschichtchen statt der üblichen Weg-, Wetter- und Materialbeschreibungen. Ich wusste, dass du Weihnachten fertig wirst.

                                                                                                                                                                                                Grüße und schöne Weihnachten "dahemm".

                                                                                                                                                                                                bbb

                                                                                                                                                                                                Kommentar