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„Bisschen krank“ – 13 Tage Schwedentrekking
Vorweg: Wer hier einen –nur- locker-flockigen Reisebericht erwartet, wird enttäuscht werden. Auch wird er ein paar Fragen aufwerfen und ja, das möchte ich damit unter anderem bezwecken.
Reisezeitraum: 2-19 August
„Bisschen krank, oder?“ Peter, ein Familienfreund bringt es wie immer auf den Punkt und alle zum Lachen. Auch ich lache und meine schnippisch-belustigt: „Ihr habt doch alle keine Ahnung!“
„Nein, vermutlich haben wir das nicht“ meint mein Dad mit einem milden Lächeln auf dem Gesicht und ich weiß genau dass er sich seinen Teil denkt.
Diese Szene, passiert vor einer Woche geht mir nicht mehr aus dem Kopf als ich im Zelt sitze und mit einer Mischung aus Unglauben, tiefer Enttäuschung und Erleichterung meine Karte betrachte. Das. Und: „Warum?“
Warum denkt ein Außenstehender das über eine Trekkingreise, warum hat er vielleicht Recht und warum befinde ich mich 20 km nördlicher als gewollt mitten in einem riesigen Blockfeld und durch das Sarekmassiv von meiner Route getrennt?
Nach und nach rekapituliere ich:
2.08
Meine Eltern sind nach Frankreich abgehauen, wie jedes Jahr. Ich folge ihnen in 17 Tagen, vorher steht noch meine diesjährige und 5. Trekkingtour an. Wie jedes Jahr gehe ich solo und wie jedes Jahr freue ich mich seit Wochen darauf. Seit neuestem arbeite ich aber vorher noch 6 Tage die Woche. Dennoch: die Route steht, neues Equipment liegt im Elternhaus, Essen und Sachen packen sind die letzten Dinge auf meiner To-Do-Liste. Und alles Mögliche an Kleinzeug organisieren, unter anderem Musik auf den Mp3 Player, Bücher auf den E-Reader spielen und den Findmespot aktivieren.
Kurzes Zögern: Tut dat not?
Die Vernunft siegt eine Sekunde später, eine halbe Stunde später ist das auch erledigt. Bis ich am nächsten Tag erfahre, dass mein erster Notfallkontakt und bester Freund sich einen wohlverdienten Urlaub genommen hat und daher eher nicht zu erreichen ist. Mein Zug fährt in wenigen Stunden, ich muss mir eine Alternative überlegen. Eine Freundin die ich eigentlich zu wenig kenne für eine solche Verantwortung fällt mir spontan ein: sie ist meistens ziemlich flott beim Antworten auf dem Handy, der englischen Sprache mächtig und sich der Schwere eines eventuellen Notfalles klar, da sie eine solche Reise wie Peter sieht. Sie wird die Nummer 2, mein Bruder kommt auf Platz 1.
Hat alles nicht so geklappt, aber dazu später mehr.
Die Zeit wird knapp, eine halbe Stunde bleibt mir noch. Wie immer schaffe ich es nicht, den kleinsten Kleinkram unterzubringen. In letzter Minute füge ich noch unwichtiges wie ein Taschenmesser oder den Kocher hinzu.
Ich liebe meine Checkliste.
Aber ich habe nichts Wichtiges vergessen, auch den Kompass nicht, bereitliegend auf dem Kaminsims.
Vollgepackt mit circa 30kg, davon 11,7kg Essen, geht es zum Zug. Morgens wird es da obligatorische Knusperschokomüsli geben. Tagsüber habe ich ein paar Erdnüsse, Studentenfutter und unglaubliche viele Schokoriegel. Natürlich auch Schokolade pur. Und ein Kilogramm M+Ms. Salami, etwas Traubenzucker und Gummischlangen zur Stimmunsgaufhellung kommen auch noch mit.
Abends gab es dann das altbewährte Spaghetteria in verschiedenen Sorten. Abgewechselt mit Schnellnudeln + extra Käsesauce. Kein Festmahl, aber sollte schon gehen.
3200kcal sind das pro Tag, ausreichend für meine 70kg auch bei einem 17km querfeldein Tag. Multivitamintabletten dürfen nicht fehlen und die eine oder andere Beere zum Ausgleich wird sich schon finden lassen.
Die Zugfahrt, 42 Stunden mit Wartezeiten, lässt mich meine Reiseplanung nochmal überdenken. Warum genau setze ich mich von den 5 Wochen Urlaub alleine 2 volle Tage in den Zug? Es lässt sich darüber streiten, ob es notwendig ist in Fulda von 0.00 bis 3.00 zu warten, um dann in einen völlig überfüllten ICE nach Hamburg einzusteigen. Spaß bereitet es zweifelfrei keinen. Verklemmte Zugbegleiter in einem früher fahrenden ICE sind da keine Hilfe. Ja, ich weiß dass mein Ticket Zugbindung hat. Das hatte ich bereits beim ersten Mal kapiert. Danke auch für das Angebot ein neues Ticket zu kaufen. Idiot.

Meine Laune in Hamburg ist meinem Schlafpensum angepasst: Lass mich auf jeden Fall in Ruhe! Dementsprechend verscheuche ich die beiden jungen Damen auf meinem Sitz und schlafe erstmal ne Runde. Später riskiere ich dann doch einen freundlicheren Blick und erfahre interessante Dinge von den beiden Italienerinnen auf Interrail-Tour. Sie machen Stop in Kopenhagen, nachdem sie es fast geschafft hatten den Zug nach der Fährübersetzung zu verpassen. Für mich geht’s weiter nach Stockholm.



Ein leckeres Abendessen ( ich liebe polarbröd! ) und schon ging es im Nachtzug nach oben. Im Liegeabteil habe ich kein Glück: eine rein schwedisch-sprechende Familie ohne weitergehenden Gesprächsbedarf auf beiden Seiten. Ich schlafe wie ein Baby.
Beim Umstieg in Boden sind die Rucksäcke schon recht massiv geworden, mein Platz im Zug war bei drei Jungs die eine stramme Tour durch den Sarek geplant haben. Ein Gespräch will nicht aufkommen, aber ich konnte einen Blick in den Grundsten werfen und schauen was der so zu meiner Planung sagte. Nunja, offenbar eine Menge. Verstanden habe ich aber kein Wort.
Vermutlich weil ich kein Schwedisch kann.
Was wohl auch der Grund für meine Hektik ist, als ich erfuhr, dass die Ansage vor 3 Minuten nicht ein x-beliebiges Dorf sondern meine Endstation darstellt. Die Betonung der Wörter ist für einen in Bayern aufgewachsenen Wahl-Wiener mit Berliner Wurzeln dann doch gewöhnungsbedürftig.
In Gällivare treffe ich 2 Jungs, deren zweite Tour direkt durch den Sarek geht. Unsere ersten Tage ab Suorva werden wir gemeinsam laufen, bis sie sich dann in Richtung Kvikkjokk begeben und ich durch das Rouhtesvagge zum Nordufer des Vastenjaure aufbreche. Das ist die einzige machbare Verbindung zum Rago Nationalpark in Norwegen. Dort wollte ich dann die restlichen Pausentage (2) beziehungsweise erlaufenen Frei-Tage nutzen um diese sehr attraktive Gegend ausführlich zu genießen und zu fotografieren.
Ach Kameraausrüstung: Alpha 7 II ; 24-70 F4 ; 90mm F2,5 Bokina ; Velbon Stativ ; 7 Ersatzakkus ; diverser Kleinkram. Das wiegt natürlich ein bisschen was.
Und natürlich hatte ich bei der Abfahrt vor 40 Stunden noch keine Ahnung wie ich die Kameratasche mit den beiden Objektiven und Body tragen wollen würde. Die Wartezeit in Fulda erwies sich da als sehr hilfreich. Die Tasche wurde an der linken Seite an die kompressionsgurte befestigt und zur weiteren Stabilisierung der Tragegurt der Tasche einmal um den Rucksack gewickelt. Daher musste ich jeden Abend/Morgen die Konstruktion von neuem ab/ aufbauen. Das war doch sehr hilfreich. Ich bin jetzt sehr viel geduldiger was Fummelarbeiten angeht. Auch bei Regen und Mücken und Mückenregen.
Die Fahrt nach Suorva war recht unspektakulär, der Schwede neben mir war redselig und stieg mit mir aus. Er plante eine Reise auf diverse Gipfel in der Nähe und wir schnackten ein wenig.
Und er half mir mein Bier zu vernichten. Was notwendig war, nachdem es anfing rumzusprühen wie ein 2 Tage geschütteltes Bier. Versuche, das -ich bin im Urlaub - Bier zumindest für den Abend zu retten scheiterten und so gab es für die drei Deutschen und den Schweden eben ein Start-der Tour-warmes-Schüttelbier. Auch okay.


Er stürmte los und ward nicht mehr gesehen, wir drei ließen uns etwas Zeit. Mein Rücken war geistig noch nicht da und so zwickte es nach 30 Minuten das erste Mal. Ein bisschen Rumgeziehe an diversen Schnürchen und schon lief alles wie am selbigen.
Tritrotraschend liefen wir den Damm entlang, das Wetter war einfach perfekt. Bei der "Kreuzung" zwischen den beiden Varianten in den Sarek zu kommen (gerade aus und hoch oder hoch und dann geradeaus) teilten wir uns. Wir würden uns ja bald wiedersehen.
Oder auch nicht.
Ich fand den Weg nicht und lief 3 mal an der Stelle vorbei bis es mir reichte und ich einfach mal in den Wald ging. 10 Minuten später stand dann auch schon die erste Furtung eines Baches an. Schuhe aus, nagelneue Crocs an, Mücken ignorieren.

Es wurde immer steiler und dichter und ich war trotz 30kg+ Rucksack hochmotiviert noch den zweiten Fluss zu kreuzen. Aber Blockfeld im Wald ist echt anstrengend und ich machte gefühlt keine 500m in der Stunde. Ich wollte auf keinen Fall schon am ersten Tag mein Tagespensum nicht erreichen, wollte es aber auch nicht an Tag 1 derart übertreiben. Also lief ich gemütlich durch Moorgrasfelder und dichtem Wald immer höher.
Irgendwann kam ich auf einen kleinen Pfad der zu einem großen wurde der über einen Fluss ging. Eine - leicht perverse- Enttäuschung über diese machte sich breit. War ich nicht in der "Wildnis" und wollte " echtes Abenteuer" erleben und meine "Grenzen" austesten um das "Adrenalin" zu erleben?
Wie auch immer, es gab zumindest dort kein Adrenalin für mich. Menno! Also lief ich weiter vor mich hin, immer noch planlos wie weit ich denn jetzt bin.
Nach und nach wurde es lichter und ich durchschritt die Baumgrenze und dort beging ich wohl meinen ersten Fehler.
Ich wollte mehr und einen besseren Zeltplatz und wollte diesen verfluchten Bach haben. Also stapfte ich weiter. Gegen 22.00 wurde es mir zu kalt und zu spät und meh und ich baute mein Zelt auf. 5 Stunden gelaufen und kaum einen Schimmer wo ich mich genau befinde.



Neuer Tag, neues Glück. Ein wenig fotografieren, ein wenig frieren, ein wenig einkuscheln in meinen neuen Schlafsack. Synthetik, weil Dauenallergie, 1 Kilo schwer weil eh alles zu schwer. Hat gute Dinge geleistet das Ding. Da fällt mir ein: Jemand Interesse an einem neuwertigen 1 Kilo schweren Synthetik Schlafsack? Steht zum Verkauf. Hab mir bei meiner letzten Tour den Arsch abgefroren. Und bin mal fast verglüht darin. Könnte aber auch am Fieber liegen, bin mir da nicht so sicher.
Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Was heißen mag: Auch diese erste Nacht ging vorbei, sie war irgendwie wenig erholsam. Trotz 10,5 h "Schlaf".
Also machte ich mir erstmal einen Kaffee. Beziehungsweise einen halben, denn meine Tasse hatte einen Sprung in der -Tasse-. (Jep, ich bin eine echte Spaßbremse auf Partys). Panzertape hatte ich keines dabei, ich wollte ja auch keine Panzer reparieren. ( Okay okay, ich hör ja schon auf ). Also wurde es notdürftig mit irgendeinem Tape was ich dabei hatte geflickt. Wenn ich schnell war, konnte ich in Zukunft 3/4 Kaffee trinken.
Die Sachen gepackt, aufgebrochen gegen 12.30. Da ich noch immer keinen Plan hatte wo ich bin ( hatte zwar eine Karte dabei, aber das machte alles irgendwie keinen Sinn) ging ich erstmal auf einen Berg rauf. Immer rauf, kann ja nicht schaden. Oben angekommen sehe ich das Tageziel für den heutigen Tag, ein Felsvorsprung namens Nienndo. Um da hinzukommen muss ich an 2 Seen vorbei.
Beide sind nicht eingezeichnet.



Offenbar kann ich Entfernungen und Größen noch nicht so gut einschätzen. Nachdem ich den einen Fluss gefurtet habe der aus dem See fließt, ist der Untergrund recht einfach und ich beschließe mal gedanklich produktiv zu sein und die letzte "Affäre" zu "verarbeiten".
Liebe Grüße an dieser Stelle an diese Person.
Einmal in dieser Stimmung, merke ich dass es vielleicht nicht so die beste Idee war. Meine Stimmung verschlechtert sich. OH WUNDER! Großartige Leistung mal wieder von mir gewesen. Aber "zum Glück" besteht der Mensch auch aus einem Körper und der beschloss eben, dass alles etwas spannender zu gestalten.


Ich laufe also unfröhlich vor mich hin als ich plötzlich merke, dass meine linke Hüfte abwärts ziemlich weh tut. Rucksack abgesetzt und 2 Schritt gegangen. Verfluchter Mistdreck. Das tut auch ohne Rucksack weh. Und zwar nicht unerheblich. Hatte ich meine Hand beim Gehen an der Hüfte, merkte ich dass der Oberschenkelknochen wohl ständig gegen die Enge der Pfanne protestierte. Und das nicht mit wenig Erfolg.
Ich suchte jetzt, richtig schlecht gelaunt, einen Zeltplatz. Alleine dass ich mein Tagespensum nach 3 Stunden erreichte hatte, stimmte mich eeetwas zufrieden, auch wenn ich eigentlich noch 5 Stunden weiter laufen wollte. Es war halb 4 und ich mache noch ein paar Fotos bevor ich mich in den Schlafsack verkrieche und lese.
Ach nee, ich bin ja im Abenteuerurlaub und da darf Entspannung nicht sein. Also schnappe ich mir meine Kamera, meine Stöcke und meine demolierte Hüfte und kraxel auf diesen Berg, von dem ich dachte es sei Nienndo. Oben angekommen sehe ich, dass ich bald nichts mehr sehe, weil es doch reichlich spät ist und langsam die Sonne untergeht. Das was ich sehe macht keinen Sinn laut Karte UND Kompass. Letzteren vertraue ich aber irgendwie nicht. Aber meinem Verstand vertraue ich noch weniger, hat er mich in den letzten Wochen doch das eine oder andere Mal im Regen stehen gelassen.


Auch hier schieße ich eine Menge Fotos und mache mich im Anschluss auf den Rückweg. Die Hüftschmerzen halten sich in Grenzen, ich merke, dass ich das angedeutete Luxieren des Knochens verhindern kann. Dennoch tut die Hüfte auch im Ruhezustand weh und ich überlege schon mal, welche Bereiche Laponias Rollstuhltauglich ist. Das Ergebnis ist unzufriedenstellend und ich beschließe, diesen Gedankengang dann morgen weiterzuführen.
Ich mache mir mein Essen und schlafe meinen unruhigen Schlaf. In der Nacht besucht mich eine sehr fette Maus, oder auch Lemming. Ich räume meine Essenssachen in das Zelt und lege Köder für das Viech aus. Fotos machen und so.
Das Geklicke meiner Cam als auch der Lichtstrahl aus meinem Mund ( Taschenlampen schmecken nicht gut!) interessieren sie recht wenig und sie futtert dankend meine M&M’s.
Da ich so lieb zu meiner Umwelt bin, sollte diese doch auch zu mir lieb sein.
Nope. Ich wache auf, die Hüfte schmerzt, die Blase drückt, das Wetter wettert. Der Nebel schluckt nicht nur die Sicht, sondern auch meine Motivation mich heute von der Stelle zu bewegen. Immerhin vermute ich nun, dass es ein Muskel ist und nicht der Knochen der da weh tut. Vielleicht hoffe ich es auch nur.
Ich mache mir was zu essen und lese mein Buch weiter. Manche Dinge müssen erledigt werden und auf den Weg nach draußen lassen mich die Schmerzen laut fluchen und humpeln.
Abbruch?
Ne, erstmal lesen. Draußen ist es kalt, ich friere und penne eine Runde. 2 Stunden später wache ich auf, es ist ne Affenhitze im Zelt, die Sonne erbarmte sich doch noch. Die Hüfte freut es, auf dem Weg zum Wasser aufgrund einer Ottervermutung meckert sie wenig. Der Otter ist doch nur ein Vogel und so baue ich mein Zelt ab und mache mich um halb 4 weiter auf meinen Weg.

Ne, doch nicht. Offenbar brauche ich doch sehr viel mehr Zeit und das ich den kleinen Knirps von gestern vor seiner Haustüre finde, ist jetzt auch nicht gerade die Antriebsspritze.


Also geht es um 5 Uhr weiter, die Hüfte kommt auch mit. Anstrengend ist es dennoch und hinter Nienndo sehe ich, dass Nienndo nicht Nienndo ist sondern..ehm, keine Ahnung. Auch das Gekraxel auf einen kleinen Berg hilft mir nicht weiter. Also gehe ich auf meinen nicht vorhandenen Weg bis ich defakto nichts mehr sehe. Der Nebel ist dicht und ich marschiere an einem Ozean entlang. Vielleicht auch nur der See von vorhin. Ist aber eher unwahrscheinlich.
Gegen halb 9 habe ich keine Lust mehr auf Klettereien im fast nichts und baue mein Zelt auf. Das allabendliche Fotografieren ist auch nicht sehr ergiebig also verkrieche ich mich bald in mein Zelt und warte auf besseres Wetter. Geschlafen wird gegen halb 12, der kurze Tag war erstaunlich anstrengend.



07.08

Original aus dem Tagebuch: „Richtig mies geträumt.“ Von schlechten Erfahrungen in der Jugendzeit und schiefgelaufenen Frauengeschichten. Rückenschmerzen habe ich auch und das Wetter draußen ist immer noch mies und viel zu früh mit 9.30 ist es auch noch. Bah!
Dennoch komme ich gegen 11 Uhr los. Eine der wenigen Male, wo ich vor 12 loskomme. Vermutlich waren die beiden Menschen, die ich im Nebel gestern etwas weiter oberhalb ihr Zelt aufbauen gesehen habe, auch ein Ansporn, wollte ich sie doch fragen, ob sie wissen, wo diese Brücke ist, die ich jetzt bald überqueren muss.
Hab sie nie wieder gesehen. Andere Menschen die nächsten 4 Tage auch nicht.
Nach einem echt nervigen und auch etwas gefährlichen Block-Schneefeld-Gemisch stehe ich vor einem Fluss, den ich überqueren muss. Trotz einer langen Suche nach einer Brücke finde ich dergleichen nichts und überhaupt sieht alles noch total anders aus als es auf der Karte verzeichnet ist. Irgendwas stimmt nicht.
Ich komme nicht drauf was es ist und mache mich sicherheitshalber erstmal wieder auf die andere Seite der Fluss-See-Kombination. Nicht so einfach und kalt und Strömung.
Kurz vor Ende bleibt mein Croc stecken und ich verliere das Gleichgewicht. Mit allerletzter Kraft schaffe ich es, mich auf meine Stöcke abzustützen, den Croc mit den nackten Füßen zu befreien und mich auf das rettende Land zu hieven. Uff, das war echt knapp!

Nein, nicht wirklich. Ich übe mich nur in Dramaturgie und wollte etwas Spannung in den Reisebericht bringen.
Auf der anderen Seite des Berges gönne ich mir das erste Mal auf der Reise eine wirkliche Pause mit nichts tun außer im Gras zu liegen. Diese Un-Unruhe dauert irgendwas um eine halbe Stunde, dann geht es auch bald weiter.

Es ist circa 2 und ich laufe lange. Ohne große Pausen, bis auf kleinere Fotoshootings. Eine Anhöhe in einem Tal gefällt mir gut und ich bin guter Laune bei gutem Wetter. Lange hält das nicht an, ein schlechtes Gefühl stellt sich ein als ich einen See entdecke, der nicht sein sollte. Außerdem geht es sich wieder extrem anstrengend auf, unter und zwischen Granitblöcken den Berg runter.


Gegen 7 reicht es mir, ich sehe einen zweiten See und peile nichts mehr. Das Wetter ist noch ganz gut, also beschließe ich einfach zig Panoramas zu schießen und mich dann in meinem Zelt solange auf eine Ortsbestimmung zu konzentrieren, bis ich weiß WO ICH ZUM TEUFEL BIN. Also marschiere ich mit meiner Kamera eine Stunde von einem Hügel zum nächsten und mache Panoramafotos.

Es ist gar nicht mal so hässlich hier, aber ich kann es nicht genießen. Es ist keine Angst; ich weiß, dass ich in 4 Tagen wieder in der „Zivilisation“ sein kann. Aber ich bin dennoch extrem genervt von der Gesamtsituation.
Ich komme gerade rechtzeitig zurück zum Zelt um es vor dem Regen aufzubauen. Ach, was habe ich dich vermisst! Bis auf etwas Nieselregen gestern war ja noch nicht viel von dir zu spüren. Mücken sind noch nicht wirklich Thema gewesen, aber es war auch noch nicht ihre bevorzugte Landschaft dabei.


Zurück im Zelt packe ich meine Karte aus und
HEUREKA, weiß wo ich bin. Ich weiß nicht wie ich es geschafft habe, aber die Zeit, die ich auf diese Karte geglotzt habe summiert sich sicherlich auf 2 Stunden. Und dennoch.
Ich sehe auch gleich, wie ich an diesen miserablen Ort gelangt bin…und wie ich hier wieder rauskomme, was die schlimmste Nachricht von allen ist.
Ich hatte es tatsächlich geschafft, an Tag 2!! In das falsche Tal abzubiegen und am Sarek vorbei im Sjöfallet herumzuirren. Nun fällt mir die Orientierung auch einfacher, ich weiß sofort in welche Richtung ich mich begeben muss. Ich sehe aber auch, dass ich sicherlich 2 Tage brauche um auf meinen alten Weg anzuschließen. Und diese 2 Tage wird es über Blockschutt gehen. Yiha!
Es ist 22.00, ich bin viel zu erschöpft um mich großartig aufzuregen. Hunger habe ich auch keinen, aber essen sollte ich noch.
Nach dem Essen kommt der ganze aufgestaute Unmut in Form von handfester Verzweiflung ob meines auf allen Ebenen miserablen Lebens zum Ausdruck. Gut ging es mir da wirklich nicht. Typisch für mich bezieht es sich dann auch hauptsächlich auf Beziehungen aller Arten. Für solche Fälle habe ich auch meinen Depri-Ordner auf meinem Mp3-Player.
Nach anstrengenden und waschtechnisch dürftigen Tagen tut so ein ausgiebiges Bad in Selbstmitleid schon mal gut.
Vorweg: Wer hier einen –nur- locker-flockigen Reisebericht erwartet, wird enttäuscht werden. Auch wird er ein paar Fragen aufwerfen und ja, das möchte ich damit unter anderem bezwecken.
Reisezeitraum: 2-19 August
„Bisschen krank, oder?“ Peter, ein Familienfreund bringt es wie immer auf den Punkt und alle zum Lachen. Auch ich lache und meine schnippisch-belustigt: „Ihr habt doch alle keine Ahnung!“
„Nein, vermutlich haben wir das nicht“ meint mein Dad mit einem milden Lächeln auf dem Gesicht und ich weiß genau dass er sich seinen Teil denkt.
Diese Szene, passiert vor einer Woche geht mir nicht mehr aus dem Kopf als ich im Zelt sitze und mit einer Mischung aus Unglauben, tiefer Enttäuschung und Erleichterung meine Karte betrachte. Das. Und: „Warum?“
Warum denkt ein Außenstehender das über eine Trekkingreise, warum hat er vielleicht Recht und warum befinde ich mich 20 km nördlicher als gewollt mitten in einem riesigen Blockfeld und durch das Sarekmassiv von meiner Route getrennt?
Nach und nach rekapituliere ich:
2.08
Meine Eltern sind nach Frankreich abgehauen, wie jedes Jahr. Ich folge ihnen in 17 Tagen, vorher steht noch meine diesjährige und 5. Trekkingtour an. Wie jedes Jahr gehe ich solo und wie jedes Jahr freue ich mich seit Wochen darauf. Seit neuestem arbeite ich aber vorher noch 6 Tage die Woche. Dennoch: die Route steht, neues Equipment liegt im Elternhaus, Essen und Sachen packen sind die letzten Dinge auf meiner To-Do-Liste. Und alles Mögliche an Kleinzeug organisieren, unter anderem Musik auf den Mp3 Player, Bücher auf den E-Reader spielen und den Findmespot aktivieren.
Kurzes Zögern: Tut dat not?
Die Vernunft siegt eine Sekunde später, eine halbe Stunde später ist das auch erledigt. Bis ich am nächsten Tag erfahre, dass mein erster Notfallkontakt und bester Freund sich einen wohlverdienten Urlaub genommen hat und daher eher nicht zu erreichen ist. Mein Zug fährt in wenigen Stunden, ich muss mir eine Alternative überlegen. Eine Freundin die ich eigentlich zu wenig kenne für eine solche Verantwortung fällt mir spontan ein: sie ist meistens ziemlich flott beim Antworten auf dem Handy, der englischen Sprache mächtig und sich der Schwere eines eventuellen Notfalles klar, da sie eine solche Reise wie Peter sieht. Sie wird die Nummer 2, mein Bruder kommt auf Platz 1.
Hat alles nicht so geklappt, aber dazu später mehr.
Die Zeit wird knapp, eine halbe Stunde bleibt mir noch. Wie immer schaffe ich es nicht, den kleinsten Kleinkram unterzubringen. In letzter Minute füge ich noch unwichtiges wie ein Taschenmesser oder den Kocher hinzu.
Ich liebe meine Checkliste.
Aber ich habe nichts Wichtiges vergessen, auch den Kompass nicht, bereitliegend auf dem Kaminsims.
Vollgepackt mit circa 30kg, davon 11,7kg Essen, geht es zum Zug. Morgens wird es da obligatorische Knusperschokomüsli geben. Tagsüber habe ich ein paar Erdnüsse, Studentenfutter und unglaubliche viele Schokoriegel. Natürlich auch Schokolade pur. Und ein Kilogramm M+Ms. Salami, etwas Traubenzucker und Gummischlangen zur Stimmunsgaufhellung kommen auch noch mit.
Abends gab es dann das altbewährte Spaghetteria in verschiedenen Sorten. Abgewechselt mit Schnellnudeln + extra Käsesauce. Kein Festmahl, aber sollte schon gehen.
3200kcal sind das pro Tag, ausreichend für meine 70kg auch bei einem 17km querfeldein Tag. Multivitamintabletten dürfen nicht fehlen und die eine oder andere Beere zum Ausgleich wird sich schon finden lassen.
Die Zugfahrt, 42 Stunden mit Wartezeiten, lässt mich meine Reiseplanung nochmal überdenken. Warum genau setze ich mich von den 5 Wochen Urlaub alleine 2 volle Tage in den Zug? Es lässt sich darüber streiten, ob es notwendig ist in Fulda von 0.00 bis 3.00 zu warten, um dann in einen völlig überfüllten ICE nach Hamburg einzusteigen. Spaß bereitet es zweifelfrei keinen. Verklemmte Zugbegleiter in einem früher fahrenden ICE sind da keine Hilfe. Ja, ich weiß dass mein Ticket Zugbindung hat. Das hatte ich bereits beim ersten Mal kapiert. Danke auch für das Angebot ein neues Ticket zu kaufen. Idiot.

Meine Laune in Hamburg ist meinem Schlafpensum angepasst: Lass mich auf jeden Fall in Ruhe! Dementsprechend verscheuche ich die beiden jungen Damen auf meinem Sitz und schlafe erstmal ne Runde. Später riskiere ich dann doch einen freundlicheren Blick und erfahre interessante Dinge von den beiden Italienerinnen auf Interrail-Tour. Sie machen Stop in Kopenhagen, nachdem sie es fast geschafft hatten den Zug nach der Fährübersetzung zu verpassen. Für mich geht’s weiter nach Stockholm.



Ein leckeres Abendessen ( ich liebe polarbröd! ) und schon ging es im Nachtzug nach oben. Im Liegeabteil habe ich kein Glück: eine rein schwedisch-sprechende Familie ohne weitergehenden Gesprächsbedarf auf beiden Seiten. Ich schlafe wie ein Baby.
Beim Umstieg in Boden sind die Rucksäcke schon recht massiv geworden, mein Platz im Zug war bei drei Jungs die eine stramme Tour durch den Sarek geplant haben. Ein Gespräch will nicht aufkommen, aber ich konnte einen Blick in den Grundsten werfen und schauen was der so zu meiner Planung sagte. Nunja, offenbar eine Menge. Verstanden habe ich aber kein Wort.
Vermutlich weil ich kein Schwedisch kann.
Was wohl auch der Grund für meine Hektik ist, als ich erfuhr, dass die Ansage vor 3 Minuten nicht ein x-beliebiges Dorf sondern meine Endstation darstellt. Die Betonung der Wörter ist für einen in Bayern aufgewachsenen Wahl-Wiener mit Berliner Wurzeln dann doch gewöhnungsbedürftig.
In Gällivare treffe ich 2 Jungs, deren zweite Tour direkt durch den Sarek geht. Unsere ersten Tage ab Suorva werden wir gemeinsam laufen, bis sie sich dann in Richtung Kvikkjokk begeben und ich durch das Rouhtesvagge zum Nordufer des Vastenjaure aufbreche. Das ist die einzige machbare Verbindung zum Rago Nationalpark in Norwegen. Dort wollte ich dann die restlichen Pausentage (2) beziehungsweise erlaufenen Frei-Tage nutzen um diese sehr attraktive Gegend ausführlich zu genießen und zu fotografieren.
Ach Kameraausrüstung: Alpha 7 II ; 24-70 F4 ; 90mm F2,5 Bokina ; Velbon Stativ ; 7 Ersatzakkus ; diverser Kleinkram. Das wiegt natürlich ein bisschen was.
Und natürlich hatte ich bei der Abfahrt vor 40 Stunden noch keine Ahnung wie ich die Kameratasche mit den beiden Objektiven und Body tragen wollen würde. Die Wartezeit in Fulda erwies sich da als sehr hilfreich. Die Tasche wurde an der linken Seite an die kompressionsgurte befestigt und zur weiteren Stabilisierung der Tragegurt der Tasche einmal um den Rucksack gewickelt. Daher musste ich jeden Abend/Morgen die Konstruktion von neuem ab/ aufbauen. Das war doch sehr hilfreich. Ich bin jetzt sehr viel geduldiger was Fummelarbeiten angeht. Auch bei Regen und Mücken und Mückenregen.
Die Fahrt nach Suorva war recht unspektakulär, der Schwede neben mir war redselig und stieg mit mir aus. Er plante eine Reise auf diverse Gipfel in der Nähe und wir schnackten ein wenig.
Und er half mir mein Bier zu vernichten. Was notwendig war, nachdem es anfing rumzusprühen wie ein 2 Tage geschütteltes Bier. Versuche, das -ich bin im Urlaub - Bier zumindest für den Abend zu retten scheiterten und so gab es für die drei Deutschen und den Schweden eben ein Start-der Tour-warmes-Schüttelbier. Auch okay.


Er stürmte los und ward nicht mehr gesehen, wir drei ließen uns etwas Zeit. Mein Rücken war geistig noch nicht da und so zwickte es nach 30 Minuten das erste Mal. Ein bisschen Rumgeziehe an diversen Schnürchen und schon lief alles wie am selbigen.
Tritrotraschend liefen wir den Damm entlang, das Wetter war einfach perfekt. Bei der "Kreuzung" zwischen den beiden Varianten in den Sarek zu kommen (gerade aus und hoch oder hoch und dann geradeaus) teilten wir uns. Wir würden uns ja bald wiedersehen.
Oder auch nicht.
Ich fand den Weg nicht und lief 3 mal an der Stelle vorbei bis es mir reichte und ich einfach mal in den Wald ging. 10 Minuten später stand dann auch schon die erste Furtung eines Baches an. Schuhe aus, nagelneue Crocs an, Mücken ignorieren.

Es wurde immer steiler und dichter und ich war trotz 30kg+ Rucksack hochmotiviert noch den zweiten Fluss zu kreuzen. Aber Blockfeld im Wald ist echt anstrengend und ich machte gefühlt keine 500m in der Stunde. Ich wollte auf keinen Fall schon am ersten Tag mein Tagespensum nicht erreichen, wollte es aber auch nicht an Tag 1 derart übertreiben. Also lief ich gemütlich durch Moorgrasfelder und dichtem Wald immer höher.
Irgendwann kam ich auf einen kleinen Pfad der zu einem großen wurde der über einen Fluss ging. Eine - leicht perverse- Enttäuschung über diese machte sich breit. War ich nicht in der "Wildnis" und wollte " echtes Abenteuer" erleben und meine "Grenzen" austesten um das "Adrenalin" zu erleben?
Wie auch immer, es gab zumindest dort kein Adrenalin für mich. Menno! Also lief ich weiter vor mich hin, immer noch planlos wie weit ich denn jetzt bin.
Nach und nach wurde es lichter und ich durchschritt die Baumgrenze und dort beging ich wohl meinen ersten Fehler.
Ich wollte mehr und einen besseren Zeltplatz und wollte diesen verfluchten Bach haben. Also stapfte ich weiter. Gegen 22.00 wurde es mir zu kalt und zu spät und meh und ich baute mein Zelt auf. 5 Stunden gelaufen und kaum einen Schimmer wo ich mich genau befinde.



Neuer Tag, neues Glück. Ein wenig fotografieren, ein wenig frieren, ein wenig einkuscheln in meinen neuen Schlafsack. Synthetik, weil Dauenallergie, 1 Kilo schwer weil eh alles zu schwer. Hat gute Dinge geleistet das Ding. Da fällt mir ein: Jemand Interesse an einem neuwertigen 1 Kilo schweren Synthetik Schlafsack? Steht zum Verkauf. Hab mir bei meiner letzten Tour den Arsch abgefroren. Und bin mal fast verglüht darin. Könnte aber auch am Fieber liegen, bin mir da nicht so sicher.
Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Was heißen mag: Auch diese erste Nacht ging vorbei, sie war irgendwie wenig erholsam. Trotz 10,5 h "Schlaf".
Also machte ich mir erstmal einen Kaffee. Beziehungsweise einen halben, denn meine Tasse hatte einen Sprung in der -Tasse-. (Jep, ich bin eine echte Spaßbremse auf Partys). Panzertape hatte ich keines dabei, ich wollte ja auch keine Panzer reparieren. ( Okay okay, ich hör ja schon auf ). Also wurde es notdürftig mit irgendeinem Tape was ich dabei hatte geflickt. Wenn ich schnell war, konnte ich in Zukunft 3/4 Kaffee trinken.
Die Sachen gepackt, aufgebrochen gegen 12.30. Da ich noch immer keinen Plan hatte wo ich bin ( hatte zwar eine Karte dabei, aber das machte alles irgendwie keinen Sinn) ging ich erstmal auf einen Berg rauf. Immer rauf, kann ja nicht schaden. Oben angekommen sehe ich das Tageziel für den heutigen Tag, ein Felsvorsprung namens Nienndo. Um da hinzukommen muss ich an 2 Seen vorbei.
Beide sind nicht eingezeichnet.



Offenbar kann ich Entfernungen und Größen noch nicht so gut einschätzen. Nachdem ich den einen Fluss gefurtet habe der aus dem See fließt, ist der Untergrund recht einfach und ich beschließe mal gedanklich produktiv zu sein und die letzte "Affäre" zu "verarbeiten".
Liebe Grüße an dieser Stelle an diese Person.
Einmal in dieser Stimmung, merke ich dass es vielleicht nicht so die beste Idee war. Meine Stimmung verschlechtert sich. OH WUNDER! Großartige Leistung mal wieder von mir gewesen. Aber "zum Glück" besteht der Mensch auch aus einem Körper und der beschloss eben, dass alles etwas spannender zu gestalten.


Ich laufe also unfröhlich vor mich hin als ich plötzlich merke, dass meine linke Hüfte abwärts ziemlich weh tut. Rucksack abgesetzt und 2 Schritt gegangen. Verfluchter Mistdreck. Das tut auch ohne Rucksack weh. Und zwar nicht unerheblich. Hatte ich meine Hand beim Gehen an der Hüfte, merkte ich dass der Oberschenkelknochen wohl ständig gegen die Enge der Pfanne protestierte. Und das nicht mit wenig Erfolg.
Ich suchte jetzt, richtig schlecht gelaunt, einen Zeltplatz. Alleine dass ich mein Tagespensum nach 3 Stunden erreichte hatte, stimmte mich eeetwas zufrieden, auch wenn ich eigentlich noch 5 Stunden weiter laufen wollte. Es war halb 4 und ich mache noch ein paar Fotos bevor ich mich in den Schlafsack verkrieche und lese.
Ach nee, ich bin ja im Abenteuerurlaub und da darf Entspannung nicht sein. Also schnappe ich mir meine Kamera, meine Stöcke und meine demolierte Hüfte und kraxel auf diesen Berg, von dem ich dachte es sei Nienndo. Oben angekommen sehe ich, dass ich bald nichts mehr sehe, weil es doch reichlich spät ist und langsam die Sonne untergeht. Das was ich sehe macht keinen Sinn laut Karte UND Kompass. Letzteren vertraue ich aber irgendwie nicht. Aber meinem Verstand vertraue ich noch weniger, hat er mich in den letzten Wochen doch das eine oder andere Mal im Regen stehen gelassen.


Auch hier schieße ich eine Menge Fotos und mache mich im Anschluss auf den Rückweg. Die Hüftschmerzen halten sich in Grenzen, ich merke, dass ich das angedeutete Luxieren des Knochens verhindern kann. Dennoch tut die Hüfte auch im Ruhezustand weh und ich überlege schon mal, welche Bereiche Laponias Rollstuhltauglich ist. Das Ergebnis ist unzufriedenstellend und ich beschließe, diesen Gedankengang dann morgen weiterzuführen.
Ich mache mir mein Essen und schlafe meinen unruhigen Schlaf. In der Nacht besucht mich eine sehr fette Maus, oder auch Lemming. Ich räume meine Essenssachen in das Zelt und lege Köder für das Viech aus. Fotos machen und so.
Das Geklicke meiner Cam als auch der Lichtstrahl aus meinem Mund ( Taschenlampen schmecken nicht gut!) interessieren sie recht wenig und sie futtert dankend meine M&M’s.
Da ich so lieb zu meiner Umwelt bin, sollte diese doch auch zu mir lieb sein.
Nope. Ich wache auf, die Hüfte schmerzt, die Blase drückt, das Wetter wettert. Der Nebel schluckt nicht nur die Sicht, sondern auch meine Motivation mich heute von der Stelle zu bewegen. Immerhin vermute ich nun, dass es ein Muskel ist und nicht der Knochen der da weh tut. Vielleicht hoffe ich es auch nur.
Ich mache mir was zu essen und lese mein Buch weiter. Manche Dinge müssen erledigt werden und auf den Weg nach draußen lassen mich die Schmerzen laut fluchen und humpeln.
Abbruch?
Ne, erstmal lesen. Draußen ist es kalt, ich friere und penne eine Runde. 2 Stunden später wache ich auf, es ist ne Affenhitze im Zelt, die Sonne erbarmte sich doch noch. Die Hüfte freut es, auf dem Weg zum Wasser aufgrund einer Ottervermutung meckert sie wenig. Der Otter ist doch nur ein Vogel und so baue ich mein Zelt ab und mache mich um halb 4 weiter auf meinen Weg.

Ne, doch nicht. Offenbar brauche ich doch sehr viel mehr Zeit und das ich den kleinen Knirps von gestern vor seiner Haustüre finde, ist jetzt auch nicht gerade die Antriebsspritze.


Also geht es um 5 Uhr weiter, die Hüfte kommt auch mit. Anstrengend ist es dennoch und hinter Nienndo sehe ich, dass Nienndo nicht Nienndo ist sondern..ehm, keine Ahnung. Auch das Gekraxel auf einen kleinen Berg hilft mir nicht weiter. Also gehe ich auf meinen nicht vorhandenen Weg bis ich defakto nichts mehr sehe. Der Nebel ist dicht und ich marschiere an einem Ozean entlang. Vielleicht auch nur der See von vorhin. Ist aber eher unwahrscheinlich.
Gegen halb 9 habe ich keine Lust mehr auf Klettereien im fast nichts und baue mein Zelt auf. Das allabendliche Fotografieren ist auch nicht sehr ergiebig also verkrieche ich mich bald in mein Zelt und warte auf besseres Wetter. Geschlafen wird gegen halb 12, der kurze Tag war erstaunlich anstrengend.



07.08

Original aus dem Tagebuch: „Richtig mies geträumt.“ Von schlechten Erfahrungen in der Jugendzeit und schiefgelaufenen Frauengeschichten. Rückenschmerzen habe ich auch und das Wetter draußen ist immer noch mies und viel zu früh mit 9.30 ist es auch noch. Bah!
Dennoch komme ich gegen 11 Uhr los. Eine der wenigen Male, wo ich vor 12 loskomme. Vermutlich waren die beiden Menschen, die ich im Nebel gestern etwas weiter oberhalb ihr Zelt aufbauen gesehen habe, auch ein Ansporn, wollte ich sie doch fragen, ob sie wissen, wo diese Brücke ist, die ich jetzt bald überqueren muss.
Hab sie nie wieder gesehen. Andere Menschen die nächsten 4 Tage auch nicht.
Nach einem echt nervigen und auch etwas gefährlichen Block-Schneefeld-Gemisch stehe ich vor einem Fluss, den ich überqueren muss. Trotz einer langen Suche nach einer Brücke finde ich dergleichen nichts und überhaupt sieht alles noch total anders aus als es auf der Karte verzeichnet ist. Irgendwas stimmt nicht.
Ich komme nicht drauf was es ist und mache mich sicherheitshalber erstmal wieder auf die andere Seite der Fluss-See-Kombination. Nicht so einfach und kalt und Strömung.
Kurz vor Ende bleibt mein Croc stecken und ich verliere das Gleichgewicht. Mit allerletzter Kraft schaffe ich es, mich auf meine Stöcke abzustützen, den Croc mit den nackten Füßen zu befreien und mich auf das rettende Land zu hieven. Uff, das war echt knapp!

Nein, nicht wirklich. Ich übe mich nur in Dramaturgie und wollte etwas Spannung in den Reisebericht bringen.
Auf der anderen Seite des Berges gönne ich mir das erste Mal auf der Reise eine wirkliche Pause mit nichts tun außer im Gras zu liegen. Diese Un-Unruhe dauert irgendwas um eine halbe Stunde, dann geht es auch bald weiter.

Es ist circa 2 und ich laufe lange. Ohne große Pausen, bis auf kleinere Fotoshootings. Eine Anhöhe in einem Tal gefällt mir gut und ich bin guter Laune bei gutem Wetter. Lange hält das nicht an, ein schlechtes Gefühl stellt sich ein als ich einen See entdecke, der nicht sein sollte. Außerdem geht es sich wieder extrem anstrengend auf, unter und zwischen Granitblöcken den Berg runter.


Gegen 7 reicht es mir, ich sehe einen zweiten See und peile nichts mehr. Das Wetter ist noch ganz gut, also beschließe ich einfach zig Panoramas zu schießen und mich dann in meinem Zelt solange auf eine Ortsbestimmung zu konzentrieren, bis ich weiß WO ICH ZUM TEUFEL BIN. Also marschiere ich mit meiner Kamera eine Stunde von einem Hügel zum nächsten und mache Panoramafotos.

Es ist gar nicht mal so hässlich hier, aber ich kann es nicht genießen. Es ist keine Angst; ich weiß, dass ich in 4 Tagen wieder in der „Zivilisation“ sein kann. Aber ich bin dennoch extrem genervt von der Gesamtsituation.
Ich komme gerade rechtzeitig zurück zum Zelt um es vor dem Regen aufzubauen. Ach, was habe ich dich vermisst! Bis auf etwas Nieselregen gestern war ja noch nicht viel von dir zu spüren. Mücken sind noch nicht wirklich Thema gewesen, aber es war auch noch nicht ihre bevorzugte Landschaft dabei.


Zurück im Zelt packe ich meine Karte aus und
HEUREKA, weiß wo ich bin. Ich weiß nicht wie ich es geschafft habe, aber die Zeit, die ich auf diese Karte geglotzt habe summiert sich sicherlich auf 2 Stunden. Und dennoch.
Ich sehe auch gleich, wie ich an diesen miserablen Ort gelangt bin…und wie ich hier wieder rauskomme, was die schlimmste Nachricht von allen ist.
Ich hatte es tatsächlich geschafft, an Tag 2!! In das falsche Tal abzubiegen und am Sarek vorbei im Sjöfallet herumzuirren. Nun fällt mir die Orientierung auch einfacher, ich weiß sofort in welche Richtung ich mich begeben muss. Ich sehe aber auch, dass ich sicherlich 2 Tage brauche um auf meinen alten Weg anzuschließen. Und diese 2 Tage wird es über Blockschutt gehen. Yiha!
Es ist 22.00, ich bin viel zu erschöpft um mich großartig aufzuregen. Hunger habe ich auch keinen, aber essen sollte ich noch.
Nach dem Essen kommt der ganze aufgestaute Unmut in Form von handfester Verzweiflung ob meines auf allen Ebenen miserablen Lebens zum Ausdruck. Gut ging es mir da wirklich nicht. Typisch für mich bezieht es sich dann auch hauptsächlich auf Beziehungen aller Arten. Für solche Fälle habe ich auch meinen Depri-Ordner auf meinem Mp3-Player.
Nach anstrengenden und waschtechnisch dürftigen Tagen tut so ein ausgiebiges Bad in Selbstmitleid schon mal gut.
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