[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

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    [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Alku kädessä, loppu Jumalassa

    Den Anfang hat man in der Hand, das Ende liegt bei Gott



    (Quelle: Wurst ist das beliebteste finnische Gemüse. Sprichwörter aus Finnland, Berlin 2014)



    Dieser Reisebericht ist Teil 4 der Trilogie: Torres in Finnland.
    Er handelt von einer Winterwanderung mit Rucksack, Zelt und Hackenporsche, von Schnee in Lappland und sonstigen finnlandtypischen Aktivitäten in der sonnenlichtarmen Jahreszeit.





    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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    #2
    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

    17.10.2015

    Es ist Anfang Oktober, der Reisebericht meines Finnlandurlaubes im September ist fast fertig geschrieben. Der Alltag holt mich ein. Noch lange hin bis zur nächsten Tour.

    Ich beschließe, meinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Weg mit diesen nutzlosen Computerspielen auf dem Smartphone. Etwas Nützlicheres muss es sein. Werde ich jemals noch einmal nach Finnland fahren? Ich weiß es nicht. Jeden Tag ein neues Wort. Das hatte mir auf meiner Radtour gefallen. Ich bestelle bei meinem Buchhändler ein Finnischlehrbuch. Jetzt noch den passenden VHS Kurs dazu. Seit heute ausgebucht. Pech gehabt.
    Ich schlage das Buch auf und lese Seite 1. Aha. Auf Seite 2 angekommen, schlage ich das Buch wieder zu. Das lerne ich nie. Gibt es keine App, die man auch in der U-Bahn nutzen kann? Jeden Tag ein neues Wort. Auf meiner Radtour hatte das doch gut funktioniert. Gibt es.

    Anfang November wird es auf der Arbeit ruhiger. Jeden Morgen lerne ich nun ein paar finnische Vokabeln. Irgendwelche Sätze aus einer intuitiven App dazu. Mein Gehirn verknotet sich. Beginnender Wahnsinn, was ich da tue? Es kommt mir fast so vor. Nur eines beruhigt mich: Finnen können diese Sprache. Und bisher kamen sie mir ziemlich normal vor.
    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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      #3
      AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

      24.10.2015

      Die finnischen Vokabeln schaffen mich. Wieso tue ich mir das an? Andererseits: Wie wäre es, wenn ich nicht auf den Sommer warte, sondern mal wieder im Winter nach Finnland fahre?

      „Klappt doch eh nicht. Kenn´ ich schon. Lass es.“, sagt mein Gehirn. "Du brauchst Urlaub. Fahr in die Sonne." Mein Körper handelt gegenläufig. Ohne Nachzudenken wird der Rucksack vom Regal gezerrt. Schlafsack, Kocher, Mützen, Handschuhe, Daunenhose, Hüttenschuhe. Iceclaws und andere Notwendigkeiten. Eine Box mit Lebensmitteln steht bereit.
      Aber welches Zelt? Das Trollspiret ist mir mittlerweile zu schwer. Ich öffne meinen Kleiderschrank. Die zwei Kilozelte sind zu klein, die leichten Kuppelzelte haben zuviel Mesh und der Innenzelt-zuerst-Aufbau gefällt mir nicht. Querlieger mag ich im Winter sowieso nicht. Der Rest ist zu schwer. Ich brauche ein neues Zelt.


      Meine persönliche Variante des Dramas: „Liebling, ich habe nichts zum Anziehen“.
      Oha.
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        #4
        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

        27.10.2015

        Das Zelt kommt. Die Auswahl war nicht schwer: Kein Tunnel, Längslieger, 130 breit, mindestens 1.00 Meter hoch, gerne mehr. Und lang genug. Unter 300 Euro. Da kommt nicht viel in Frage.

        Aufbau im Wohnzimmer: Die Innenmaße passen, der Rest ist filigran. Naja, für Winterzelten im Wald wird es reichen. Für Lappland mit größeren Schneemengen natürlich nicht, aber das habe ich auch nicht vor. Da gibt es Anfang Januar viel zuwenig Tageslicht.
        Das Gestänge ist dünn, die eingenähten Stängelchen müssten auch nicht sein, egal, der Aufbau ist okay. Im Sitzen anziehen geht auch. Hoffentlich ist der Plastiverbinder kältefest. Nur: Warum bauen die immer noch diese metallenen Dorne, die man ins Gestänge steckt, an ihre Zelte dran? Und das IZ kann man zwar ausclipsen, aber das Außenzelt anschließend nicht separat aufbauen? Was soll das? Dieses Bauprinzip habe ich schon bei meinem good old Space Explorer gehasst, haben die da ein Patent drauf? Später nähe ich ans Außenzelt eine Schlaufe ran (um das Gestänge einzustecken) und modifiziere den Eingang mit Zange (Aufbiegen) und Schnur (Gestängeverbinder am Eingang). Mit der Gefahr, das Metallstück mit dem Dorn zu verlieren. Getrennter Aufbau ist jetzt aber immerhin möglich. Ich solidarisiere mich in Gedanken mit khyal. Hoffentlich merkt er das nicht. Ich rede vom Vaude Taurus mit außenliegendem Gestänge und Clips. 1,7 kg. Die genaue Bezeichnung vergesse ich wieder: SUL XP 2P. Wie einfach. Sowas merkt man sich doch sofort. Aber der Preis war gut, es ist ein Schnäppchen.
        Oha.
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          #5
          AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

          07.11.2015

          Muss man eine Wintertour machen, weil man sich ein Zelt gekauft hat? Ich finde nicht. Wer weiß, ob im Januar das Wetter überhaupt passt. Die letzten Jahre fiel der Winter zu der geplanten Zeit im anvisierten Tourengebiet auch in Finnland aus.

          Ich packe den großen 95 Liter Rucksack wieder aus und stopfe alles in einen Golite Jam hinein. 3 kg weniger. Nicht schlecht. Und oben zieht man dann zu, damit man ja nichts wiederfindet. Praktisch, vor allem, wenn es schneit. Ich trage Probe. Nein. Das Tragesystem ist zu dünn. Nach der Tour bin ich noch eine ganze Zeit mit dem ganzen Zeug unterwegs. Ich packe wieder um. 2,5 kg weniger Zelt immerhin. Es wird schon gehen.

          Den Schlitten würdige ich keines Blickes. Das funktioniert im Januar nicht. Wie hatte ich mir im Schlamm einen Rollwagen gewünscht. Welchen soll ich nehmen? Den finnischen, rosa Rollwagen mit Glamourfaktor oder mein Lastentier von Andersen, das ich mir direkt nach meiner Klapprodeltour für die Stadt angeschafft hatte? Die Rollen sind stabiler, das System klappbar, das Gestell passt auf den Rucksack. Ich entscheide mich für den Andersen. Für Wasser, Futter und alles was schwer ist. Ich taufe ihn auf den Namen „Porsche“.

          Die Schneeschuhe. Ganz schön schwer. Ich finde in der Hülle ein nagelneues Paar Trekkingstöcke. Völlig vergessen, dass ich die damals gekauft habe. Ich glaube, nach dem Urlaub müssen wir reden! Aber schön, meine alten Stöcke lassen sich nicht mehr aufdrehen. Die Neuen kommen an den Rucksack dran.

          Noch sind zwei Monate Zeit. Zufrieden betrachte ich mein Werk. Es hat etwas Erhebendes, jeden Tag an einem gepackten Rucksack vorbeizugehen.
          Zuletzt geändert von Torres; 30.01.2016, 18:51.
          Oha.
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            #6
            AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

            17.11.2015

            Die langfristige Wettervoraussage lässt ahnen, dass der Winter ausfällt. Es bleibt frühlingshaft warm. Vielleicht reicht mir ja sogar ein Übergangsschlafsack. Bei Plustemperaturen kein Problem. Ich bestelle den MSR Windpro und Wintergas. Der Reactor ist zu unflexibel, ein anderer Topf soll mit. Dazu vielleicht ein Hobo. Holz gibt es dort ja genug.

            Der Stichtag für den Urlaubsbeginn steht fest: 06.01.2016. Aber bis dahin ist es noch etwas hin. Das Knäuel in meinem Gehirn lichtet sich ein wenig. Die finnische Sprache hat tatsächlich ein System.
            Oha.
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              #7
              AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

              22.11.2015

              Ich entscheide, meinen Januarurlaub im Süden zu verbringen. Drei Wochen Hotel und schlafen am Strand. Unvermittelt fängt es zu schneien an. Glücklich streife ich durch den nassen Schnee, die Schneeflocken brennen auf der Haut. Hamburg sieht plötzlich finnisch aus.





              Was hatte ich heute morgen gesagt? Ach, Schnee von gestern. Ich fahre nach Finnland.

              Ich setze mich an den Rechner und suche die alte Strecke von damals heraus. Von Raisio nach Yläne. Es ist die einzige Tour, die im Winter für mich machbar ist. Hier sind die Tage am längsten, die Temperaturen moderat und Ausstiege in die Zivilisation gibt es auch. Zudem sind die Wege markiert. Verlaufen muss ich mich im finnischen Wald nun wirklich nicht. Und der Weg ist definitiv kein Skigebiet. Die Wanderwege werden im Winter oft zu Loipen umfunktioniert und sind für Wanderer dann gesperrt. Das ist hier nicht. Auch das eine oder andere Haus steht am Weg. Falls alle Stricke reißen und mir das Wasser ausgeht. In Finnland weiß man ja nie.
              Oha.
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                #8
                AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                25.12.2015

                Weihnachten. Die Sonne lacht, es sind 15 Grad. In den Bäumen zwitschern die Vögel. Aus Finnland hört man von T-Shirt Wetter an Weihnachten. Die Wettervorhersage für Turku sagt leichte Minustemperaturen im neuen Jahr voraus. Am 6.1., meinem Abreisetag, um die – 11, am nächsten Tag dann schon wieder + 4 Grad. Ich wollte eigentlich die Fähre buchen, aber das bringt ja dann wohl nichts. Warten. Andere schauen auf die Börsenkurse, ich schaue auf den Wetterbericht.
                Oha.
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                  #9
                  AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                  02.01.2016

                  Wieder sitze ich vor dem Wetterbericht. Es hilft nichts. Kurz kalt, dann wieder eine Wärmeperiode. Wintertour? Das soll nicht sein. Mein Umfeld empfiehlt mir eine Kreuzfahrt und Urlaub auf den Kanarischen Inseln. Es gibt gerade ein gutes Sonderangebot. Der Gedanke daran lässt mich gähnen. Ich reiße mich zusammen und werde schwach. Dann eben Kreuzfahrt. Die Kreuzfahrt ist ausgebucht. Dann sollte das nicht sein. Das Hoffen geht weiter.


                  03.01.2016

                  Ich frage Inarijoen Peter (und R.) per PN, ob es sinnvoll wäre, nach Finnland zu kommen oder ob es klüger ist, die Kanarischen Inseln zu besuchen. Er meint, es wäre für Wintertouren in Finnland noch zu früh, auch wenn es im Süden jetzt kalt sein. Er empfiehlt Spanien. Die Antwort kommt erst am nächsten Tag. Zu spät.


                  04.01.2016

                  Ilmatieteen Laitos meldet für Donnerstag, den 07.01. (Ankunftstag) – 22 Grad und für die folgenden drei Tage Temperaturen um die – 17 Grad. Erst am Montag soll es wärmer werden und schneien. Die Plusgerade sind abgesagt. Das bedeutet, ich habe mit etwas Glück drei volle Tage. Ohne die Antwort von Peter abzuwarten, buche ich die Fähre.
                  Supi schärft mir ein, den Benzinkocher mitzunehmen. Ich weiß, unter Hochdruckeinfluss kann selbst in Turku unvermittelt – 40 Grad sein. Und es liegt wenig Schnee. Der Hobo fliegt raus, ich mag Hobos auf Tour eh nicht. Der Benzinkocher kommt rein. Außerdem kommt eine dritte Thermoskanne mit. Vielleicht muss ich Wasser beim Bauern holen, falls wirklich so wenig Schnee liegt. Die Schneeschuhe bleiben da, die brauche ich nicht. Ein Interrailticket am Bahnhof kaufen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

                  Ich bin aufgeregt. In der Stadt beginnt es zu schneien.
                  Oha.
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                    #10
                    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                    Schön, ein neuer Torres im Winter... Freu!

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                      #11
                      AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                      05.01.2016 – 06.01.2016. Anreise.

                      Es schneit es immer noch bei – 7 Grad. Unter meinen Füßen knirscht der Schnee. Ich werte das als gutes Omen. Der Porsche fährt wie Butter. Aber der Rucksack fühlt sich schwer an. Ich kann ihn schlecht aus- und anziehen. Also lasse ich ihn an, wenn ich mich setze und am nächsten Tag tut mir der Oberkörper weh.
                      Die Anreise zur Fähre verläuft im Gegensatz zu den ersten Malen unspektakulär. Am Bahnhof kaufe ich einem jungen Syrer mit seinem Geld eine Fahrkarte, der immer Buchen statt Büchen im Automaten eingibt und über den Fahrpreis von 139,00 Euro verzweifelt. Wer finnisch lernt, versteht das. Deutsch ist auch nicht leicht. Im Finnischen kommt es auf jeden Buchstaben an.
                      Im Zug sind nur normale Leute, ich sitze allerdings auch nicht im Radabteil. Im Terminal streift mein Blick das Wort „Sisäänkäynti“ (Eingang) und mein Hirn bildet reflexartig den Gegensatz „Uloskäynti“ (Ausgang). Das Vokabellernen scheint sich gelohnt zu haben. Ich bin gespannt.

                      Die Fähre ist pünktlich. Im Shuttlefahrzeug klappe ich Porsche zusammen und nehme ihn auf den Schoß. Das Auto ist zu klein für soviel Gepäck, die anderen haben riesige Koffer. Eine Familie Australien und ein russisches Ehepaar in meinem Alter. Mühsam verständigen wir uns auf Englisch. Die Frau an der Rezeption sagt immer "Selvä", okay. Das einzige Wort, was ich verstehe, aber ein Anfang. Die Kabine habe ich für mich alleine. Es sind nur wenige Fahrgäste auf dem Schiff.

                      Am nächsten Tag tanzt ein Paar auf Deck 11 finnischen Tango. Die Musik verbreitet eine ganz besondere Stimmung.





                      Ich besuche die Sauna und bekomme bald Gesellschaft, der ich auf finnisch zu erklären versuche, dass es zu schneien anfängt. „Wir können deutsch reden“, ist die Antwort, und das tun wir dann auch. Um festzustellen, dass wir uns blendend verstehen und es einige Parallelen gibt. Ein deutsch-finnisches Ehepaar. Sie leben mal in Norddeutschland, mal in Finnland und jetzt wieder seit einigen Jahren in Finnland. Sie sind in beiden Sprachen zu Hause. Outdoorer sind sie auch. Sie wandern gerne mit der Familie mit Kompass und Karte in Lappland. Die Frau, die im September im Nuuksio Nationalpark unter mysteriösen Umständen verschwunden war, wurde tot aufgefunden. Sie hatte sich anscheinend verlaufen. Obwohl man noch am gleichen Abend eine Suchaktion startete, konnte man sie nicht finden. Ihr Handy lag mit leerem Akku im Wald. Drei Wochen später wurde sie entkleidet auf einem Felsen entdeckt. Am Rande von drei Großstädten und nicht weit von einer Landstraße entfernt, war sie verhungert.
                      Wir verabreden, dass ich die beiden am Ende der Reise besuchen komme. Ich verspreche, ich melde mich.
                      Oha.
                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                        07.01.2016. Turku.

                        Die Ostsee ist eisfrei, als wir in Helsinki einlaufen. Schnee sieht man kaum. Das Terminal sieht dennoch vertraut aus.





                        Ich helfe der Familie aus Australien, Bus und Metro zu finden. Die Mädchen tragen Jeans und dünne modische Daunenjäckchen. Man sieht, wie sie frieren.

                        Im Bahnhof hole ich mir am Schalter eine Reservierung für den Zug, der Mann warnt, ich solle auf die Nummer des Gleises achten. Angestellte transportieren Weihnachtsschmuck und Weihnachtsbäume aus der Schalterhalle hinaus. Am Bahnsteig sind angenehme – 24 Grad und der Zug nach Turku fährt laut Tafel an Gleis 10. Ein Zug steht bereits da, und ich überlege einzusteigen. Aber die Hinweistafel am Anfang des Bahnsteigs bleibt schwarz, und eine Frau schaut zwar in den Zug hinein, bleibt aber draußen stehen. Der Zug setzt sich in Bewegung. Das war er nicht. Noch sieben Minuten bis zur Abfahrt. Meine Nasenhärchen sind zusammengefroren. Ich mag das Gefühl.

                        Ein älterer Mann betritt den Bahnsteig. Kein Zug in Sicht. Auf der großen Anzeigetafel steht der Zug weiterhin, am Bahngleis dagegen nicht. Ich werde unsicher. Die Frau eilt davon, und ich wende mich an den Mann. Er hat einen Stock und läuft gebückt. Englisch spricht er garantiert nicht. „Turku“?, frage ich, und hoffe auf Nicken oder Kopfschütteln. Er stößt zwischen den Zähnen ein paar unverständliche Worte hervor. Das hilft mir nun gar nicht. Ich frage noch einmal „Turku?“ und er hebt kurz den Kopf und stößt langsam und böse ein Wort hervor: „Myöhässä!“. Das Wort hebt sich in die Höhe, ballt sich zu einer stacheligen Kugel zusammen – einen Moment schimmert eine Erinnerung an DÖF durch: Hässlich, ich bin so hässlich... ich bin der Hass“ - vollzieht eine Schleife und prallt in mein Gehirn. Durchläuft ein paar Windungen. Kling. „Myohemmin= später“, sagt mein Kopf. Der Zug hat Verspätung. Ich starre den alten Mann an, der bereits weitergeschlurft ist. Ich kann es nicht fassen. Ich habe ihn verstanden.

                        Eine russische Familie versammelt sich, sie wartet ebenso auf meinen Zug. Immerhin taucht die Verspätung jetzt auf der Schautafel auf. Die Frist verrinnt. Der Zug kommt nicht. Ich entschließe mich, zurück in die Halle zu gehen, etwas wärmer ist es dort schon. Eine recht große Gruppe Fahrgäste steht hier, ratlos, wie ich. Der Zug ist rot markiert und blinkt. Ich spreche ein paar junge Mädchen an. Sie bekommen ihre Informationen von einem schlacksigen, hochgewachsenen, jungen Mann, ich schätze irgendwas mit Technik. Ja. Verspätet. Sein Akzent lässt mich aufhorchen. Deutscher. Myohässä. Er lacht. In Verspätung, das ist typisch finnisch. Er wurde von Nokia angelockt, ist aber rechtzeitig wieder abgesprungen. Jetzt arbeitet er in Helsinki. Der Zug ist mittlerweile vom Display verschwunden. Es ist die neue Anzeigetafel, erfahre ich, sie funktioniert noch nicht. Auf der alten Tafel ist der Zug noch da. Winterprobleme also nicht nur in Deutschland? Oh ja, sagt er, aber es ist besser geworden, die finnische Bahn hat viel dafür getan. Konsequent die Bäume an den Schienen abgeholzt und breite Schneisen geschlagen. Aber die Pendolinos sind gestrichen, sie kommen mit der Kälte nicht klar. Nein, nicht nur die Deutsche Bahn hat Probleme im Winter. Und dann noch ein Kopfbahnhof. Schnee? Es ist zu kalt, um zu schneien.


                        Mit 30 Minuten Verspätung kommt der Zug. Hoffentlich springt sein Auto zu Hause an. Ich wünsche Glück. Er steigt in Salo aus. Turku kommt, ich stehe im Gang. Ein Mann kommt gebückt auf mich zu, ich verstehe nur das Wort „Laukku“ (Koffer) und gehe ohne Nachzudenken zur Seite. Ich versperre das Schließfach. Klar.
                        In Turku sind nur noch – 22 Grad. Es kommt mir warm vor. „Nainen koiran kanssa“ spult mein Kopf ab (Frau mit Hund), als eine Dame mit Schoßhund an mir vorbeiläuft, während ich prüfe, ob der Schnee gut zu begehen ist.

                        Ohne Nachzudenken beginne ich zum Hostel zu laufen, obwohl ich weiß, dass ein Bus zum Hostel fährt. Es sind ungefähr 2,5 km. Die Luft ist so schön. Das Navi mache ich nicht an, keine Lust. Der Rucksack drückt auf die Knie – bei so einer Kälte ist er zu schwer. Da muss ich heute Abend endlich noch ein wenig umverteilen. Es kommen zu seinem Gewicht ja noch die Gewichte für Kleidung am Körper und die warmzuhaltende Elektronik in meinen Taschen hinzu.





                        Puutarhakatu. Gartenstraße. Wie banal dieser Straßenname plötzlich ist. Bin ich immer noch richtig? Ich stelle nun doch das Navi an. Richtig. Glutrot geht die Sonne unter. So müsste es jetzt die nächsten drei Wochen bleiben. Dann wäre ich glücklich.








                        Angeleuchtet von der Sonne steigt der Rauch in die Luft. Ach, schon dieser Moment hat sich gelohnt.





                        Die alte Jugendherberge, die sich näher an Infrastruktur befand, gibt es nicht mehr. Nur das Schiff ist geblieben, ich habe vorgebucht. Zwei Hostels in Turku lohnen sich anscheinend nicht.





                        Mit dem Bus fahre ich ins Zentrum. Plakate huschen an mir vorbei. Ein Optiker. Aha, Immoblilien. Bank. Baustelle. Ich mag das Wort „Rakennusmies“ (Bauarbeiter). Nein, hier geht es nicht um Asiaten, sondern um Kunden.

                        Der Bus Nr. 6. In der Businfo warte ich geduldig, um die Haltestelle zu erfahren. Viele Finnen sind erkältet. Jetzt noch zu Partioaitta. Vielleicht haben sie eine topographische Karte. Und ein Thermometer.
                        Das Einkaufszentrum. Ich kenne den Weg, aber meine Augen werden groß. Kengät (Schuhe). Das ist gar nicht der Name einer Kette. Jääkelö (Eis). Auch kein Firmenname. Es ist, als würde meine Umgebung plötzlich leben. Ein Kind, das lesen lernt. Beginnt, die Welt um es herum zu verstehen. Alles fühlt sich anders an.
                        Partioaitta verkauft mir eine topographische Karte, und das erste Mal erhält mein Weg einen Namen: Kuhankuonon Retkeilyreitistö. Ein Thermometer dazu, bitte. Wir haben nur eines mit Kompass. Okay.

                        Im Hostel bietet man mir Abendsauna an, weil es so kalt ist. Wieso kalt? Besser als Temperaturen um die 0 Grad.
                        Ich dusche in einer provisorisch wirkenden Dusche, neben mir die unverkleidete, metallene Bordwand. Ein unterdimensionierter Heizlüfter gibt alles, aber das reicht nicht. Nun ist mir doch kalt. Die Sauna schlage ich dennoch aus. Mein Schnellreis ist mikrowellengeeignet. Sachen gibt es. Auf einem Herd kochen kann man hier nicht. Nicht sehr ökologisch. Das Wetter scheint bis Samstag stabil zu bleiben. Dann wird es wärmer und bedeckt sein. Am Montag soll es schneien. Auf weitere Prognosen mag ich mich nicht verlassen.

                        Ich packe ein paar Sachen um. Ich bin gespannt, wie es wird. Gerne würde ich Kokemäki erreichen, da gibt es das nächste Hostel. Aber Stress machen werde ich nicht. Vielleicht setzte ich mich auch nur ein paar Tage in den Wald. Mehr braucht es in Finnland nicht. Porsche wird natürlich bremsen, aber alles tragen kann ich nicht. Der Rucksack wiegt nun 16 kg, der Wagen gesamt wohl ungefähr 10-12 kg mit Kamera und Wasser. Viel Zeug, aber Hütten gibt es hier nicht. Auf die Daunenhose, die fette Mütze und die fetten Handschuhe für Tiefsttemperaturen wollte ich aus Sicherheitsgründen nicht verzichten. Und alles Wichtige, also Handschuhe, Mützen, Batterien, Akkus habe ich doppelt und dreifach dabei.
                        Meinen Tagesschnitt kann ich nicht einschätzen, doch 70 km bis Yläne könnten in einer Woche zu schaffen sein. Wenn das Wetter passt. Wichtig ist mir aber vor allem eins: Weiter kommen, als beim letzten Mal. Ich will einfach nur wissen, wie der Weg an dieser Stelle weitergeht. Dann bin ich zufrieden.


                        Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2016, 10:42.
                        Oha.
                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                        • Ultraheavy
                          Alter Hase
                          • 06.02.2013
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                          #13
                          AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                          Wirklich schön zu lesen.
                          Harre gespannt, wie es weitergeht.
                          Ich glaub, ich schlaf am Stock

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                          • rockhopper
                            Fuchs
                            • 22.04.2009
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                            AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                            "Am Bahnsteig sind angenehme – 24 Grad"

                            Hallo Torres, Respekt, dass Du diese Temperaturen aushalten kannst.
                            Wieder ein schöner Bericht, Danke!

                            VG rockhopper

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                            • Torres
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                              Liebt das Forum
                              • 16.08.2008
                              • 32315
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                              #15
                              AW: [FI]Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                              08.01.2016 12,2 km

                              Der Wecker klingelt um sechs. Ich ziehe Porsche vorsichtig in Richtung Küche, es gilt die hohen Stahlkanten in den Gängen zu überwinden. Dann folgt der Rucksack. Er ist zu groß für die Gänge, gestern bin ich prompt stecken geblieben, vorsichtig quetsche ich mich hindurch. Dann schleppe ich das Gepäck weiter in den Vorraum. Die Thermoskannen sind mit heißem Wasser aufgefüllt. Um kurz nach sieben bin ich beim Frühstück. Für einen jungen Mann sind die Türen mindestens 10 Zentimeter zu tief, die Decke möglicherweise auch. Er scheint das gewohnt zu sein und kompensiert es mit einem chronisch gebeugten Rücken. Das Frühstück ist köstlich und um acht eile ich davon. Gegen 9.00 Uhr wird es hell sein.





                              Der Bus Richtung Naantali steht bereit, aber es ist die Nr. 7, und ich weiß nicht, dass sie die gleiche Strecke fährt. Ich warte daher 15 Minuten auf die Nr. 6. Die Anzeigetafeln am Marktplatz zeigen – 17 und – 20 Grad. Ich stelle das Navi an und bitte den Busfahrer, mich Raisio Kaupunki rauszulassen. Raisio ist übrigens Partnerstadt von Elmshorn. Wir queren die Autobahn und die Haltestelle Kirkko erscheint. In der Nähe der Autobahn geht der Weg los. Schnell frage ich eine Frau auf englisch, ob man von hier aus auch Richtung Sportzentrum kommt. Sie nickt. Spontan steige ich aus.

                              Die Frau spricht etwas englisch und als ich ihre Zeitangabe auf finnisch übersetze, freut sie sich. Nun erklärt sie mir den Weg auf finnisch. Silta – sie guckt mich prüfend an. Ja, Brücke. Keine Autos. Eine Fußgängerbrücke. Vasemmalla. Sie zeigt nach rechts. Was denn nun. Vasemmalla ja oikealla. Sie lacht und überlegt. Erst rechts, dann links.

                              Trunken vor Glück, wieder jemanden verstanden zu haben, quere ich die Brücke. Ich biege die Rampe rechts ab, korrigiere aber nicht nach links, weil ich dann über den Rasen laufen müsste. Geradeaus ist besser zu fahren. Es ist ein Umweg. Egal. Ich bin sowieso langsam bei der Kälte. Der Schnee dämpft die Geräusche der Autos. Eine Frau starrt mich an, dann schaut sie weg. Ich merke, ich bin heute gut drauf. Die Straßen sind leer.








                              Die Abzweigung, ich kenne den Weg. Eine Bank. Da war ich damals schon müde. In meinem Ohr kreischt die Erinnerung an das Kratzen der Kufen des Schlittens auf dem schneelosen Asphalt. Wie anstrengend das war. Die Autobahnbrücke. Die Sonne geht auf. Ich bin mir sicher: Ich werde es schaffen.





                              Der Beginn des Weges. Erschreckend wenig Schnee. Viel zu wenig, um Wasser zu schmelzen. Da muss ich mit meinem Wasser haushalten. Die Sonne bricht sich durch die Bäume Bahn. Ein Traum. Stille. Es leuchtet.








                              Viel weniger Schnee, als beim ersten Mal.








                              Der Akku fängt zu meckern an. In der Kamera darf ich ihn nicht lassen. Es ist zu kalt. Immerhin weiß ich, dass er sich nicht entladen wird. Er muss nur wieder warm werden.

                              Noch einmal Akku herausholen. Bitte halte durch! Der Anblick ist einfach zu schön.





                              Es ist jetzt 10.10 Uhr.





                              Der erste Anstieg ist geschafft. Versehentlich dreht sich das Rädchen beim ersten Bild auf Motivprogramm.








                              Einfach ist der Weg nicht. Die Tritte im Schlamm sind überfroren. Es schließen sich enge Wurzelwege an. Steine liegen im Weg. Man muss schon sehr geschickt sein, wenn man einen Rollwagen zieht. Beim ersten Mal hatte der Schnee das Schlimmste überdeckt. Aber Porsche hält sich gut, nur selten bleibe ich hängen.





                              Die Baustelle von damals ist einer großen Tankstelle mit ABC Restaurant gewichen. Die Autoeinfahrten sind höllisch glatt. Den Anschlussweg finde ich sofort, ich kenne mich aus. Der Fluss, der beim ersten Mal sprudelte, ist gefroren.





                              Der Schlammweg, damals kaum zu überwinden. Schlangenlinien gehen muss ich dennoch, teilweise sind hohe Wurzeln oder Steine im Weg.





                              Der Hundefriedhof.








                              Für einen kurzen Moment fängt es zu schneien an. Oder sind es nur die Schneekristalle der Bäume?





                              Voller Vorfreude laufe ich weiter und bekomme einen Schreck. Die Grillhütte ist weg.





                              Genau hier hat sie gestanden.





                              Ich wollte in ihr eigentlich einen kleine Pause machen. Immerhin hatte ich in ihr schon übernachtet. Vandalismus oder Brand? Sie war in keiner Karte verzeichnet. Das war sie:





                              Die Kerbe im Baum gab es auch nicht.





                              Porsche ist genauso betrübt.








                              Also auf zum nächsten Schlammweg.





                              Durchgefroren diesmal. Man muss vorsichtig laufen, damit man nicht in einem Trittloch hängen bleibt und sich die Haxen bricht, aber mit Geduld geht es stetig voran. Porsche läuft laufstabil mit. Für die Bohlen ist er zu breit.


                              War ich hier schon einmal? Ich erinnere mich nicht.





                              So schön war es hier damals keinesfalls.





                              Der Felsen.





                              Wie klein die Treppe plötzlich wirkt. Beim ersten Mal schien sie unüberwindlich. Der Rucksack war schwerer, der Schlitten auch, und ich musste die Sachen getrennt die vereiste Steigung hochziehen. Heute kein Problem.





                              Schnell das Plateau erreicht. Die Sonne blinzelt durch die Bäume.





                              Kleine Wege schließen sich an. Vorsichtig. Die Steine, Büsche und Baumtriebe bringen Porsche gerne zu Fall. Das Kratzen der Kufen vermisse ich nicht.














                              Wieder ein schwieriger Weg. Wurzeln sind zu überwinden, Porsche zerrt an meinem Handgelenk. Man kann ja nicht einfach nur ziehen. Man muss die Höhenunterschiede und Hindernisse mit der Hand ausgleichen. Ich bin dennoch zufrieden.





                              Hier Eis herauszuhacken, um Wasser zu schmelzen ist sicherlich eine interessante Aufgabe. Spaziergänger vor mir haben eine Trittspur hinterlassen. Ich bin froh, sie zu haben. So kann ich derartige Hinternisse einfacher umlaufen. Und muss nicht ständig nach den Markierungen schauen.





                              Auf dem Hügel angekommen, lade ich an der Sitzgruppe ab. Hatte ich hier damals den jungen Mann getroffen?





                              Pause.


                              Die Wegmarkierung, die mich begleitet.





                              Sonne.





                              Abgrund.





                              Der Himmel.





                              Talvi. Winter.





                              Am liebsten würde ich hier bleiben. Es ist jetzt fast halb eins. Damals sah es hier oben übrigens so aus:








                              Auch wenn die Kamera damals schlechter war: Es war eine Mischung aus Schnee, Wolken und Dunst. Heute habe ich dagegen wirklich Glück mit dem Wetter. Und erfreue mich an dem Anblick.


                              Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2016, 14:05.
                              Oha.
                              (Norddeutsche Panikattacke)

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                                Fuchs
                                • 22.08.2010
                                • 1990
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                                #16
                                AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                Sehr schön - gefällt mir gut.
                                Bin gespannt, wie es weitergeht.
                                My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

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                                • Torres
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                                  Liebt das Forum
                                  • 16.08.2008
                                  • 32315
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                                  #17
                                  AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                  Weiter geht es. Ich schultere den Rucksack. Auf mein Navi verlassen kann ich mich jetzt nicht mehr, der heruntergeladene Track weicht vom offiziellen Weg ab. Aber das weiß ich ja schon. Verlaufen kann man sich nicht, der Weg ist gut markiert, und an die kritischen Stellen erinnere ich mich.


                                  Der hohe Stein mit dem Aussichtsturm kommt in Sicht. Ein Foto mache ich nicht. Hier ein Foto von damals:





                                  Frohgemut schreite ich darauf zu. Die Füße haben Halt. Denke ich. Als ich in der Mitte an der steilsten Stelle bin - den rettenden Scheitel schon vor Augen - zieht Porsche an mir mit aller Kraft. Zuviel Kraft. Ich rutsche ab. Langsam, aber stetig. Was für ein dämliches Gefühl. Wie gut, dass ich die Bergsteigerhose aus Event und die Baumwollmischjacke als äußerste Schicht trage. Sie sind abriebfest. Nur meine Handschuhe lassen etwas Gummi am Felsen zurück. Und gut, dass das niemand gefilmt hat.


                                  Nun denn. Dann also wieder außen herum. Der schmale Weg funktioniert nicht, aber damals bin ich auch weitläufig ausgewichen. Kurz darauf sehe ich die Wegmarkierung an einer Treppe. Da kommt der Weg von dem Stein aus also wieder herunter. Habe ich die Treppe damals nicht gesehen? Ich stelle Porsche ab und beginne, die Treppe hinaufzugehen. Als ich oben ankomme, wird es wieder steil, und ich stelle fest, dass ich den Rucksack nicht abgenommen habe. Wie doof ist das denn! Auf den Knien krieche ich weiter. Ein traumhafter Anblick belohnt mich. Den Rucksack abzunehmen, traue ich mich jetzt nicht. Schnell kann er in irgendeine Schlucht abrutschen, und ich finde ihn nicht mehr.

                                  Munter erklimme ich die Treppen des Aussichtsturms und werde für meine Blödheit bestraft: Ich bleibe nämlich stecken. Der Rucksack ist zu breit. So bleibt mir der richtige Weitblick verwehrt, und ich fotografiere durch die Streben:














                                  Mühsam parke ich wieder aus. Ein Jugendlicher in Sportschuhen taucht unvermittelt auf, kaum nimmt er mich zur Kenntnis. Er blickt auf die Uhr, drückt einen Knopf und hüpft in schnellen Schritten die steile Seite des Hügel hinab, als wäre er im Flachland. Ich bin neidisch. Bis zum Abend wird er die einzige menschliche Begegnung an der Strecke bleiben.







                                  Ich dagegen rutsche den Felsen in Richtung Treppe hinab.







                                  Der Aussichtsturm.







                                  Da unten steht Porsche.







                                  Mittlerweile ist es 13.00 Uhr. Der folgende Weg ist steil, sehr eng und der Rollwagen kippt ein paar Mal um, weil er an den Felsen hängen bleibt. Obwohl ich heimlich links und rechts schaue: Meine damals hier verlorene Karte finde ich nicht.
                                  Als es fast geschafft ist, bekomme ich eine sms von R. und Inarijoen Peter. Gut läuft es, schreibe ich. Meinen damaligen Zeltplatz werde ich bald erreichen. Und stehe kurz darauf an dem Feldweg.


                                  Damals.





                                  Heute.





                                  Beschwingt laufe ich die Straße entlang. Zwei kleinere Waldstücke lasse ich aus. Das ist mir jetzt zuviel Gemurkse auf den engen Wegen mit Porsche. Im Geiste höre ich erneut das Kreischen des Schlittens auf dem Asphalt. Was das für Kraft gekostet hatte. Die Sonne strahlt. An einer Einmündung setze ich mich kurz hin. Es sind Bienenkästen. Vielleicht keine gute Idee. Ich laufe weiter.

                                  Die Abzweigung. Irgendwas ist hier verboten, ich kann das Schild zur Hälfte lesen. „Tut mir leid, ich kann leider kein Finnisch, ich konnte es nicht verstehen.“, sage ich zu einem imaginären Gesprächspartner. Aber niemand hält mich auf. Die Kreuzung, an der die Möhren lagen. Es wird kälter, die Sonne zieht sich zurück.
                                  Auf einem Plateau am Feldweg mache ich kurz Pause, ich muss endlich mal etwas essen. Ich trinke ein wenig und esse Brot und tiefgefrorene Amerikan Pastilleja von Fazer. Süchtigmachende Schokolinsen. Als ich die Packung zurückstecke, geht sie kaputt und die Schokolinsen fallen krachend in die Essenstüte. Ich hasse das. Aber es ist zu kalt, um sich zu ärgern. Solange es nicht taut, ist das kein Problem.

                                  Weiter. Das Aufstehen fällt schwer. Die Kälte zieht in Windeseile in die Knochen. Wieder erinnere ich mich. Hier habe ich meinen Handschuh verloren und am nächsten Tag wiedergefunden. Gleich kommt die Kurve und anschließend geht es rechts rein. Und dann erstarre ich. In dieses Waldstück ist ein Sturm hineingekracht. Ich erkenne nichts, aber auch gar nichts, wieder.





                                  Da oben, wo die Sonne hinleuchtet, muss der geschützte Stellplatz gewesen sein. Er war an einem Hang. Auf der linken Seite ahnt man den Wegweiser. So sah der Eingang damals aus:





                                  Der Bauernhof. Den erinnere ich noch.





                                  Alles andere ist nicht.





                                  Ich biege in den Weg ein, das Flüsschen ist noch da. Aber der Weg hat sich völlig verändern. ist nicht mehr zu erkennen. Keine Steine, kein Anstieg an den Seiten. Flach. Immerhin. Ich bin weiter als beim ersten Mal und das in der Hälfte der Zeit. Mein Minimalziel habe ich erreicht. Schwungvoll wandere ich den Waldweg entlang. Schön ist es hier, aber nicht spektakulär. Mit etwas Geschick gut gangbar. Mit Schlitten nicht.

                                  Nach vielleicht einer halben Stunde komme ich an eine kleine Kreuzung mit Sitzbank und wittere meine Chance.
                                  Auf der Bank liegt Schnee. Kostbarer Schnee. Trinkwasser. Am besten ist es, wenn ich ihn gleich schmelze. Also werde ich hier übernachten. Vorsichtig sammele ich den Schnee ein. Es ist kurz nach drei. Um vier Uhr wird es dunkel.





                                  Das Zelt stelle ich neben dem Querweg auf. Die Heringe klemme ich locker unter die Flechten, damit das Zelt nicht ganz zusammenfällt. Belasten lassen sie sich natürlich nicht. Ich denke an die Tunnelfans, die in diesen Situationen so gerne Steine zum Beschweren empfehlen. Steine gibt es hier genug. Nur der Kran, sie zu bewegen, fehlt mir noch. Das Zelt an Bäumen zu befestigen wäre vermutlich die bessere Idee. Ich liege allerdings gerne flach und nicht in verblocktem Gelände. Man kann ja nicht die ganze Lichtung mit meterlangen Abspannleinen sperren.

                                  Mittlerweile habe ich die Isomatte befreit und nutzte die Aufpumphilfe, die ich mir in Ermangelung von Bastelzeit zugelegt hatte. Und kriege sie nicht in Gang. Die Luft pumpt überall hin, nur nicht in die Matte. Entnervt blase ich mit dem Mund auf. Das ist mir zu blöd.





                                  12,2 km habe ich heute geschafft. Eine Adresse mit Hausnummer hat der Platz hier sogar auch. Suchradius vermutlich 3 bis 4 Kilometer im Durchmesser. Ich beschreibe den Platz in meiner Sicherheits-SMS lieber konkreter.

                                  Ich stelle den Kocher an und schmelze den Schnee. Mal wieder justiere ich den Topf nicht richtig (Lamellentopf Eta Pack Lite), der Topf kippt ab und kostbares Wasser landet auf den Felsen. Nicht viel, Gott sei Dank. Mit dem Löffel hebe ich Schnee von Felsen ab, um den Verlust zu ersetzen, aber viel bringt das nicht. Es landen zu viele Pflanzenbestandteile im Korb, das Wasser ist schon bitter genug. Endlich sind die Nudeln gar, und gierig trinke ich das Wasser. Hinter dem Zelt höre ich einen hechelnden Hund. Na klasse, ich stehe wohl mitten am Hauptwanderweg hier. Ein Mann ruft dem Hund irgendetwas zu. Ich warte innerlich angespannt darauf, dass die beiden am Zelt vorbeilaufen, aber nichts passiert, und so habe ich die beiden schon vergessen, als plötzlich unvermittelt ein Mann neben mir steht und ohne Gruß barsch etwas auf Finnisch sagt.

                                  Ich erschrecke mich und überlege schuldbewusst, ob man hier wildzelten darf. Darf man. Es muss etwas anderes sein. Mein Gehirn ist entweder in der Kälte oder bei der Nahrungsaufnahme verglüht, und so reicht es zwar noch für „Ei“ (Nein), was er aufmerksam zur Kenntnis nimmt (weil er denkt, dass es die Antwort auf seine Frage ist und das wäre sie sogar auch, wenn ich sie verstanden hätte), dann folgt aber von meiner Seite aus eine völlige Vergewaltigung der finnischen Grammatik, als ich mit puhua, suomeksi und englatia ihm mitzuteilen versuche, kein Finnisch zu sprechen. Irritiert und etwas mitleidig schaut er mich an, während ich weiter meine Nudeln schlürfe. Die werden sonst kalt. Er lenkt den Blick in die Ferne in Richtung der Sitzbank und quetscht „dog“ zwischen seinen Zähnen hervor. Was heißt Hund auf Finnisch? Es fällt mir nicht mehr ein. Vermutlich gut so. Jetzt eine Übersetzung oder auswendig gelernte Sätze zu plappern, passt wohl nicht zum Anlass. Er sucht den Hund.
                                  Einen Moment lauschen wir gemeinsam und schauen in Richtung der Sitzgruppe hin. Stille. Absolute Stille. Hier ist nichts. Unvermittelt dreht er sich um und verschwindet lautlos. Ich schaufele den Rest der Nudeln und des Wassers in mich hinein. So ist das eben in Finnland.

                                  Als ich in den Schlafsack krieche, ist es dunkel. Wie üblich lasse ich die lange Unterwäsche an und weiß, dass es etwas dauern wird, bis mir warm wird. Um recht schnell zu merken, dass ich noch nie so gefroren habe, wie hier. Die Matte, vielleicht? Ich hatte die Downmat zu Hause gelassen, der Nervenkrieg, ob sie hält, war mir zuviel. Es ist eine Prolite women plus 3,8 (R-Wert 4,2), natürlich short. Man will ja Gewicht sparen (ne, die war im Angebot). Am Fußende des Schlafsackes sind alle möglichen Dinge drin, und ich habe das Gefühl, es sind perfekte Kälteleiter. Mein Puma ist 2.00 Meter lang, das passt zu einer 1.68 langen Matte natürlich gut. Die Evazote darunter spüre ich kaum. Verzweifelt nehme ich Rückenlage ein, aber helfen tut hier einfach nichts. Im Nachhinein fehlte mir wohl der isolierende Schnee, denn ich liege auf blankem Fels. Mein Thermometer zeigte vorhin irgendetwas um – 16 Grad Außentemperatur, im Zelt ist es sicherlich wärmer. Ich fluche. Ich glaube, ich bin zu alt für so einen Mist.

                                  An der Zeltwand sammelt sich das Eis, am Mesh des Eingangs sowieso. Einen Moment sehne ich mich nach meinem robusten, rotgelben Trollspiret zurück, aber es zu holen, ist etwas weit. Vermutlich ist das eh nur Psychologie. Kalt ist eben kalt. Dann fangen auch noch Krämpfe in den Beinen an, und ich weiß, morgen früh bin ich tot. Warum sind Leute eigentlich auf Wintercampen so wild? Etwas Bescheideneres als das hier gibt es wirklich nicht. Ich kann Hüttentourengeher gut verstehen. Das nächste Mal werde ich eine Klappsauna mitnehmen. Wieso gibt es sowas eigentlich noch nicht? Inarijoen Peter wird mir später ein Zeltsaunamodell empfehlen. Nur 33 kg. Das ist so gut wie nichts.

                                  Endlich reicht meine innere Heizung aus, den Puma zu erwärmen. Als ich einschlafe, ist es wohl so gegen neun oder zehn Uhr. In der Nacht ist mir mollig warm, und als ich kurz herausgehen muss, sehe ich die Sterne.
                                  Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2016, 15:45.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  • OttoStover
                                    Fuchs
                                    • 18.10.2008
                                    • 1076
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                                    #18
                                    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                    Thank you for a very amusing story, and also for the nice pictures you have taken. Everything is so typical finnish. Im looking forward for the continuation.
                                    Otto
                                    Ich lese und spreche Deutsch ganz OK, aber schreiben wird immer Misverständnisse.
                                    Man skal ikke i alle gjestebud fare, og ikke til alle skjettord svare.

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                                    • Torres
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                                      Liebt das Forum
                                      • 16.08.2008
                                      • 32315
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                                      #19
                                      AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                      09.01.2016 12,2 km

                                      Ich habe die Wecker in Handy und Uhr gestellt, um aufzuwachen. Wenn mich das Tageslicht weckt, wird es zu spät sein. Um 6.00 Uhr klingelt der erste, um 7.00 Uhr stehe ich auf. Obwohl alles seinen Platz hat, ich nicht frühstücke und jeder Handgriff routiniert sitzt, dauert es zwei Stunden, bis ich abmarschbereit bin. Ich weiß nicht, wo die Zeit immer bleibt. Durch die Bäume dringt Tageslicht.
                                      Ich laufe los, ein finnisches Brötchen mit La vache kiri in der Hand. Es schmeckt wie Pappe. Der Käse friert. Aber Müsli bekäme ich jetzt überhaupt nicht runter. Und Kahvi trinke ich nicht.

                                      In einer Senke blicke ich auf den Bauernhof, den ich am zerstörten Wald das erste Mal fotografiert hatte. Mein Weg hatte ihn in einer großen Schleife umkreist.








                                      So sieht der Weg aus, den ich gerade gekommen bin.





                                      Die Brücke ist morsch. Eine einsame Fußspur, die mich fast den ganzen Tag begleiten wird, zeigt mir den Umweg. Ich bin dem Verursacher sehr dankbar. Nicht immer ist der Weg eindeutig.





                                      Eine Straße. Glutrot geht die Sonne auf.





                                      Ich habe allerdings kurz zuvor eine Markierung übersehen, der Abgleich mit dem Navi ist hilfreich. Ich wende. Der Weg führt an dem Haus hinter den Feldern vorbei. Still und scheinbar unbewohnt. Nach Wasser fragen lohnt sich nicht. Ich habe noch genug. Und man will an einem Samstagmorgen auch nicht stören.





                                      Ein hübscher Wald und ein Bohlenweg.








                                      Ausweichen auf überfrorenen Schlamm kann ich hier nicht. Die Bäume stehen zu eng. So muss ich Porsche tragen. Sein Radstand ist zu breit. Ich überlege, ob es besser gewesen wäre, den finnischen Wagen mitzunehmen. Er ist schmaler (Ich habe nachgemessen: 13,5 cm schmaler). In dieser Situation hilft der Gedanke natürlich wenig.
                                      Einige Bohlen sind morsch, andere zerbrochen. An einigen Stellen hilft nur eine Balletteinlage. Ich möchte hier kein Risiko eingehen. Mitsamt Rucksack, Kleidung und Porsche bin ich ziemlich schwer. Ich bin mir nicht sicher, ob die Konstruktion auf solch ein Übergewicht ausgelegt ist. Nach geschätzt zehn Minuten ist der Weg dann aber schon zu Ende. Schneller als gedacht. Und es ging erstaunlich gut.

                                      Pferdespuren auf dem Weg. Hevonen (Pferd), meldet mein Gehirn. Hevonenkengät (Pferdschuhe) heißt das, werde ich später lernen. Der Weg ist völlig vereist, als wäre hier ein Wasserrohr gebrochen, und der Bereich am Rand ist durch Bauschutt versperrt. Bevor ich mich durch die Büsche schlage, um auch dort spiegelglattes Eis elegant zu überwinden, mache ich Fotos von der Wiese vor mir. Im Sommer ist es hier bestimmt sehr schön.








                                      Der Akku meckert wieder. Diese Ecke ist ein Kälteloch. Dennoch krame ich ihn erneut heraus, als ich die Pferde sehe.





                                      Erwartungsvoll schauen sie mich an.





                                      Kurz darauf kommt der alte, zerknitterte Bauer auf einem kleinen Trecker mit dem Futter angefahren. Ihre Aufmerksamkeit galt also nicht mir. Sie wollten das Futter. Mein Ego ist angeknackst. 11.37 Uhr. Die Sonne scheint so schön.





                                      Ein Bushäuschen. Schlagartig fühle ich mich in die Zivilisation zurückversetzt. Ich kam mir gerade so einsam vor. Ist es wirklich kameraüberwacht? Rechts von mir steht dunkel und abweisend ein Haus.





                                      Blick zurück zu den Wegweisern hinter mir. Noch ungefähr 3 km bis zum nächsten Laavu (Kerva), stand darauf, wenn ich mich richtig erinnere.





                                      Vor mir liegen schneebestäubte Felder. Ich mag dieses Gefühl der Weite.





                                      Die Sonne hinter mir fühlt sich an, als würde sie wärmen. Einen Moment stelle ich mir vor, ich käme gerade aus der Sauna und säße nach dem abkühlenden Spaziergang im Schnee im Bademantel auf der Veranda, die Sonne wärmend im Gesicht. Vor mir ein Gläschen Champagner. Das hätte doch Stil. Vielleicht mache ich ja bald mal Urlaub. Der Gedanke gefällt mir gut.

                                      Als ich wieder den Wald betrete, ist es, als hätte jemand Licht und Heizung ausgeschaltet. Dunkel. Feucht. Wärmer. Anderer Schnee. Eng. Kein Glitzer mehr.





                                      Der Weg wurde durch Pferde und Menschen tief durchpflügt und ist dann gefroren. Ich stöhne. Ein Premiumwanderweg wäre jetzt schön.








                                      Das Saunabild rückt in unendliche Ferne. Himmel und die Sonne scheinen weit weg zu sein.








                                      Wieder eine kaputte, morsche Brücke. Hier einzubrechen, würde weh tun.





                                      Mit viel Kraft kämpfe ich mich stattdessen – wie die anderen vor mir – über den gefrorenen Schlamm an der vereisten Wasserstelle.





                                      Bin ich noch richtig? Die Fußspur hilft. Einmal biege ich zwischen den Bäumen falsch ab, merke es aber bald, weil die Tritte verschwunden sind. Glück gehabt. Ist man erst einmal zu weit, ist der Weg schwer wiederzufinden. Das Navi ist hier nutzlos, weil mein Track und die Markierung voneinander abweichen, und die Osm Karte den Weg nicht verzeichnet hat. Die topographische Karte ist auch nur hilfreich, wenn man weiß, wo man gerade ist. Hilfe rufen ist im finnischen Wald übrigens schwierig. Die Bäume schlucken den Schall.

                                      Der Shelter Kerva kommt in Sicht. Dunkel, feucht. Eine schmutzige Bettdecke in der hinteren linken Ecke, ich mag sie nicht fotografieren. Ein Müllbeutel. Papier. Ein paar wenige Scheite Holz. Romantisch ist es hier schon einmal nicht. Im Sommer ist der Platz sicherlich auch noch von Millionen von Stechmücken übersät, die in den derzeit überfrorenen Flüssen brüten. Mich schaudert.
                                      Aber auf der nur halbherzig freigeräumten Bank liegt noch etwas Schnee. Den muss ich nutzen. Vorsichtig sammele ich ihn ein. Und beginne zu kochen.





                                      Erst jetzt fällt mir auf, dass ich die falschen Nudeln mitgenommen habe. Die Nr. 5. Statt Nr. 1. Die Dickeren dauern doch viel zu lange. Zu spät. Natürlich gibt es zu den Nudeln Parmesankäse.





                                      Ich versuche, an den herumliegenden Baumstämmen in der Umgebung noch etwas Schnee zu sammeln. Mehr Aufwand als Ertrag. Immerhin gewinne ich mehr als einen Liter. Das reicht für heute Nachmittag. Ich fülle meine Wasservorräte auf.

                                      Unvermittelt steht eine junge Frau mit einem großen Norwegerpferd am Weg, während ich die Nudeln umrühre. Ich habe die beiden nicht gehört. Das Pferd ist größer als sie. Hei hei, ruft sie. Heißt das nicht tschüß? Im Reflex rufe ich auch Hei hei. Das Pferd glotzt mich fluchtbereit an. Die Augen voller Panik. Anscheinend ist es noch jung. Ich verhalte mich ruhig. Mit Pferden kenne ich mich aus. Als es merkt, dass keine Gefahr droht, gehen beide lautlos weiter. Gerne hätte ich ein Foto gemacht, aber das Einlegen des Akku dauert zu lange, und das Pferd hätte dann auch gescheut. Im Sommer ist vieles einfacher.

                                      In der Ferne steht ein Klohäuschen. Ich gehe nicht hin. So weiß ich nicht, ob hier eine oder zwei Türen sind. Dennoch, zur Info: N ist Frau und M ist Mann.


                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      • Torres
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                                        Liebt das Forum
                                        • 16.08.2008
                                        • 32315
                                        • Privat

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                                        #20
                                        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                        Der Himmel leuchtet immer noch. Ein paar weniger Bäume in Bodennähe wären schön. Es ist jetzt 13.00 Uhr. Die Zeit verrinnt.








                                        Zehn Minuten später befinde ich mich in einem Märchenwald.





                                        Kalt hier, der Weg völlig zerstört. Aber es ist still und traumschön.








                                        Die Kristalle an den Pflanzen leuchten. Fotografieren kann ich das nicht.





                                        Eine Kreuzung. Wo ist die Markierung hin? Begangen ist der Weg in alle Richtungen. Geradeaus der Weg ist extrem schmal. Die Karte hilft nicht weiter. Ich weiß nur, dass ich mich rechts halten muss. Auf gut Glück biege ich rechts ab. Fröhlich summe ich vor mich hin. Schön hier. Ein kleiner, zugefrorener Teich. Bis ich merke, dass ich nur rechts abbiegen kann. Ein paar Meter wage ich mich noch hoffnungsvoll weiter, aber ich laufe im Kreis. Verdammt. Jetzt Querfeldein über Felder zu laufen, muss nicht sein. 20 Minuten kostet der Umweg, das ist bei meinem Zeitfenster viel.

                                        Ich biege in den schmalen Weg ein und stöhne. Extrem schmal. Diese kleinen, dünnen, fiesen, drahtigen Baumsprösslinge, die man kaum sieht, und die unvermittelt hochschnellen, werfen zweimal Porsche um. Baumstämme liegen quer, die ich mühsam überklettern muss, und am Ende stoße ich nicht nur auf eine laute Zweige-an-Straßen-Abschschnippel-Maschine, die ich erst abwarten muss, damit ich mich nicht vor den Augen des Fahrers blamiere, sondern auch ein steiler Abhang, den ich nur sehr vorsichtig hinuntersteigen kann. Für diese – nachgemessenen - 424 Meter brauche ich noch einmal fast 20 Minuten.

                                        Zügig laufe ich nun einen Feldweg entlang. Ein Auto voller junger Männer wartet mit laufendem Motor am Straßenrand, ein zweites Auto voller junger Männer kommt hinzu. Samstagnachmittagsklönschnack auf Finnisch. Was sie sagen, kann ich leider nicht verstehen. Mich würdigen sie keines Blickes.
                                        Ich biege rechts in die Landstraße ein. Der Ort heißt Inkinen. Schnell habe ich das Gefühl, ich laufe mir die Füße platt. Eine Bushaltestelle gibt es hier auch. Es ist viel los hier, mir begegnen drei Autos und eine Fußgängerin, die mir grußlos entgegenkommt. An den Häusern sieht man niemand.

                                        Bald biege ich unter den Augen eines weiteren Fußgängers in einen steilen Forstweg ein. Und keuche. Grober Schotter. Das hat mir noch gefehlt. Hier müsste ich auch das Fahrrad schieben. Ich kann diesen Belag nicht leiden. Porsche macht der Weg nicht viel aus, aber handgelenkschonend ist das Gerüttel nicht und meine Motivation sinkt etwas. Ratter, ratter, ratter. Schnee auf dem Weg wäre zur Abwechslung mal gut. In kurzen Abständen stehen Hochsitze herum. Hinter mir geht die Sonne unter.





                                        Ich muss die Kamera austricksen, damit sie endlich die Sonne fotografiert.





                                        Es ist jetzt bereits 15.20 Uhr. Wäre es zwei Stunden länger hell, würde ich einfach weiterlaufen (was sich gelohnt hätte). Der Weg muss ja irgendwann enden. Aber ich weiß, mir bleibt nicht sehr viel Zeit. Der Wald neben mir ist zum Zelten nicht geeignet. Uneben, verblockt, dazu die Hochsitze. Ich bräuchte wieder ein Plateau. Wie gestern.

                                        Mein Navi zeigt an, dass hier der höchste Punkt eines Hügels ist. Den nächsten Scheitelpunkt würde ich wahrscheinlich nicht mehr im Hellen erreichen. Ich schaue nach oben. Da ist ein Plateau. Und mit dem Wegweiser an dieser Stelle kann ich meine Position gut beschreiben. Schon bin ich an der einzigen begehbaren Stelle über den Graben gesprungen und arbeite mich den Abhang hoch.

                                        Eine ebene Stelle zu finden, ist dennoch nicht einfach. Ich muss schon recht weit nach oben gehen. Ein kleiner, flechtenbedeckter Fleck. Bin ich froh, diesen Zelttyp dabei zu haben. Der Eingang geht nach vorne raus. Keine Lust, bei einem Querlieger im Halbschlaf aus dem Zelt zu steigen und den Abhang herunterzufallen. Höhenunterschiede bin ich nicht gewohnt.





                                        Auf den Bildern sieht der Hang so flach aus. Dabei ist er glitschig, steinig und abschüssig.








                                        Die Heringe werden wieder provisorisch von den Flechten gehalten. Schnell wird es dunkel, die Kamera verstärkt den Schein der untergehenden Sonne. In Wirklichkeit ist es schon recht finster. Mein Thermometer zeigt – 12 Grad.











                                        Und dann taucht auf einmal der Fisch auf. Ein Zeichen?





                                        Ich schlüpfe in den Schlafsack. Der Rucksack liegt diesmal auf der anderen Seite des Zeltes (Hanglage), und das kommt mir wesentlich wärmer vor. Die Temperatur ist aber auch gestiegen, aber ob die drei Grad soviel ausmachen, weiß ich nicht. Zwar friere ich anfangs im kalten Schlafsack erneut, aber das geht recht schnell vorbei. Den Fußraum polstere ich diesmal mit meiner Softshellhose ab, und schnell werden die Füße, die wie gestern in dicken Woolpowersocken stecken, warm. Rucksack und Zelt vereisen sofort, aber das stört nicht. Die Aufpumphilfe der TAR hat diesmal auch funktioniert. Mein Hals kratzt von den Flechtenresten im Wasser, und ich huste. Ein bitterer Geschmack. Alle lassen sich nicht immer entfernen. Sind die Flechten giftig? Nein, werde ich später lesen. Man machte früher sogar Brotmehl daraus.

                                        In der Nacht blinken wieder die Sterne, als ich mich neben das Zelt stelle. Als ich nach oben schaue, passe ich eine Sekunde nicht auf, und mir rutscht der linke Fuß weg. Nichts passiert. Dennoch bin ich geschockt. Was wäre, wenn ich ausgeglitten wäre und den Abhang heruntergefallen wäre? Gegen einen Baum geprallt wäre und mit gebrochenem Bein hilflos im Gebüsch läge? Zwar wissen immer zwei Leute, wo ich bin, aber bis sie merken würden, dass etwas passiert ist, wäre ich erfroren. Mein Handy ist im Zelt. Wie lange dauert es, bis man bei um die – 12 Grad erfriert? Ich werde im Winter nicht mehr ohne Handy vor die Tür gehen. Und in Zukunft eine warme Jacke mitnehmen, selbst wenn ich nicht friere. Und Handschuhe.
                                        Zuletzt geändert von Torres; 01.02.2016, 20:17.
                                        Oha.
                                        (Norddeutsche Panikattacke)

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