[NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

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    • 24.02.2012
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    [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    [NO] Solotour Hallingskarvet NP/Hardangervidda NP
    Land: Norwegen
    Reisezeit: 06. - 28. August 2012
    Region: Hallingskarvet Nationalpark/Hardangervidda

    Bisher bin ich immer auf die sonnige Südhalbkugel gereist, aber die Bilder und Berichte aus dem Norden haben mich dann doch so angespitzt, dass die diesjährige Tour also erstmalig in den Norden gehen sollte. Zunächst musste ich aber meine Ausrüstung an die zu erwartenden Gegebenheiten anpassen; ich bin nämlich eine Frostbeule.

    Eigentlich war die Anreise mit Auto geplant, da der Hund mitkommen sollte. Der Arme begann zwei Wochen vorher jedoch zu humpeln: Gelenkentzündung. Also ab in die Hunde-Reha (gut deutsch: Zuhause mit Männe auf dem Sofa relaxen).
    Ich beschloß, die Route zu ändern (eigentlich war der hundepfotenfreundliche Ostteil der Vidda geplant gewesen) und buchte schnell die nötigen Flug-, Bus- und Bahntickets zusammen. Unterm Strich war es wegen diverser Schnäppchentickets wohl erheblich günstiger als die Autoanreise.

    Der aktuelle Wetterbericht für die Region erfreute mich mit Brrr-Temperaturen, hartnäckigen Schneeverhältnissen oder alternativen Matschepamp-Sumpf-Aussichten. Also wurde die Packliste noch um ein warmes Inlett und etwas wärmende Zusatzkleidung ergänzt. Am Ende wog mein Gepäck 21,2kg, inclusive Proviant für etwa 10-12 Tage, ohne Gaskartuschen und dem anderen Kram, den ich noch vor Ort kaufen würde. Ich selber bin ja nicht die Größte (169cm) und Stärkste (57kg).
    Schluck...
    Ich überlegte hin und her, diversen Luxuskram zuhause zu lassen (Kameraausrüstung, der heißgeliebte iPod und Sizzenbuch nebst Federmäppchen), ließ das Zeugs dann aber doch im Rucksack. Es war schließlich der erste Trip in den Norden, ohne Musik und Hörbücher kann ich nicht leben - und Illustratoren können ohne Skizzenbuch sowieso nicht aus dem Haus gehen.

    So, gezz aber ab zum Bummelbahnhof und weiter zum Flieger.

    06.08.
    Ankunft in Oslo. 17°, anhaltender Regen und ich habe mein Käppi zuhause vergessen.
    Fängt ja gut an.
    Ich tausche erstmal Geld ein und besorge anschließend die Gaskartuschen, ein regenfestes Käppi, Mückenzeugs (mit zweifelndem Blick zum Himmel - brauch ich das wirklich?), einen Schmöker von Jo Nesbø (von wegen Lokalkolorit und so) und eine Karte für den Hallingskarvet Nationalpark (für diese Karte musste ich durch halb Oslo rennen). Ich denke, anschließend wog mein Rucksack so um die 24kg.
    Danach kurz im Anker Hostel eingecheckt, wo man mich Frau zusammen mit drei Italienern auf Partytour in ein Zimmer einquartiert. Ich lasse meinen Kram im Zimmer und gehe erst mal in die Christian Krohg-Ausstellung im Nationalmuseum und anschließend lecker indisch essen, wobei ich ein wenig ins Glas weine angesichts der norwegischen Preisverhältnisse (ach, ich hatte ja keine Ahnung, was noch kommen würde!).
    Meine drei Mitbewohner stellen sich übrigens als sehr nett, höflich und rücksichtsvoll heraus. Von ihrer nächtlichen Rückkehr bekomme ich rein gar nichts mit.

    07.08. Hallingskeid - Østerbø
    Zum Dank dafür wecke ich die Jungs am nächsten Morgen um 5 Uhr mit dem widerlich penetranten Klingelweckton meines Handys.
    Danach ab zum Bahnhof und in die Bergen-Bahn Richtung Hallingskeid.
    Die Fahrt dauert gut 5 Stunden; die Reservierung hätte ich mir sparen können: der Zug ist fast leer.
    Die Zugbegleiterin macht mich darauf aufmerksam, dass ich nach Finse bitte in den ersten (Fahrrad-)Waggon gehen sollte, da die Station Hallingskeid sehr klein sei und nur ein Waggon an den Bahnsteig passe.
    Ok. Ich kämpfe mich also mit der Schrankwand auf meinem Rücken durch den gesamten Zug, bleibe hier und da hängen und reiße diverse fremde Gepäckstücke mit mir.
    Draußen ändert sich das Panorama. Berge steigen auf, teilweise schneebedeckt, dazwischen Nebel und trübfarbene Landschaft. Mein Herz geht auf.
    Hallingskeid ist zur Zeit eine bessere Baustelle. Offenbar finden gerade umwälzende Umbaumaßnahmen statt.
    Zusammen mit mir stieg ein ältlicher Norwegen mit Enkel aus. Die beiden wollten mit dem Rad den Rallarvegen zurückfahren, ein ehemaliger Versorgungsweg für die Eisenbahnbauer der Bergenbahn, der heute eine beliebte Radstrecke ist.
    In der provisorischen Bahnstation sortiere ich meinen Krempel und mache mich wildnisfein. Es regnet.





    Die Karte will mir Norwegen-Anfänger nicht so recht verraten, wo der Einstieg zu meiner geplanten Route Richtung Østerbø sein könnte. Also gehe ich erstmal zur DNT-Hütte, die offenbar ausschließlich von Radlern frequentiert wird. Ich werde nett und markig von den anderen Gäste begrüßt.
    Der Wirt freut sich offenbar, endlich mal einen Fußgänger zu treffen. Er schwärmt mir erstmal ausgiebig von der Gegend vor und anschließend von der Finnmark, bevor er mir eröffnet, dass die Verhältnisse auf meiner geplanten Route „difficult“ seien. Meine erste Etappe soll mich am Skomavatnet und Hednesdalsvatnet grob Richtung Aurlanddalen bringen. Der Wirt sagt sofort dass ich besser das Doppelte bis Dreifache an Zeit einplanen sollte, wegen des Schnees, also statt der norwegischen 10 Stunden etwa 20-30. Vor mir seien dieses Jahr erst zwei andere Hiker diese Route gegangen. Er vergewissert sich, dass ich auch wirklich ein Zelt, Karte und Kompass dabeihabe und zeigt mir auf der Karte noch notwendige Abweichungen von der Route, die nicht eingezeichnet seien, warnt eindringlich vor maroden Schneebrücken, Lawinen und außerdem sei es möglich, dass nicht alle Steinmännchen und Markierungen vorhanden seien, da dieses Jahr noch kein DNT-Wart dort lang gegangen sei...
    Na gut.

    Der Einstieg zur Route beginnt direkt hinter der Hütte und führt über die Bahngleise steil hinauf in die Hügellandschaft.



    Alles schön grün hier, aber das gibt sich bald. Die ersten Schneefelder sind zu queren, die Stille holt mich ein. Unter mir verschwinden die roten Häuschen, bald ist auch die Bahnstrecke nicht mehr zu sehen.
    Ich finde bald mein Tempo.
    Was ich nicht finde, ist der Weg. Nachdem mich anfangs noch diverse Steinmännekes begleitet haben, suche ich nun vergeblich nach weiteren Markierungen. Ich laufe etwa eine Stunde nach Karte und Kompass und stoße endlich wieder auf ein rotes T. Das wars dann auch schon wieder.
    Manchmal stoße ich auf Steinhaufen, die entfernt an zusammengestürzte Pyramiden erinnern, aber genausogut einfach nur Steinhaufen sein können. Mir schwant, dass dieser Weg nicht so einfach wird, wie ich dachte.
    Dem Kompass folgend, geht es nun in den Schnee hinein und stetig weiter bergauf. Es ist kalt, keine Spur vom Sommer in Sicht.
    Bald stoße ich auf drei wirklich riesige Steinmännchen, die dicht zusammen stehen. Da hat es aber jemand wirklich gut gemeint. Danach ist allerdings wieder Sense mit Markierungen.

    Gegen 17:00 Uhr verdunkelt sich der Himmel dramatisch. Wind kommt auf.
    Das Gelände voraus sieht nicht einladend aus, also beschließe ich, an Ort und Stelle mein erstes Lager aufzuschlagen, oberhalb eines Sees, der größtenteils unter Schnee und Eis verborgen liegt.





    Am Hang gegenüber, im Schnee, steht ein Gebilde, das wie ein Tipi-Zelt aussieht. Meine Neugierde treibt mich näher heran, aber es ist nur ein sehr symmetrisch geformter Felsen. Bin also wirklich allein hier.
    Die Sonne verschwindet und es wird verdammt kalt. Die unglaubliche Stille wird mir erst bewusst. Kein Hintergrundgeräusch ist zu hören außer das Rauschen des Wassers, kein Vogelpiepsen. Nur der Gaskocher zischt und bereitet mir ein lecker CousCous mit meiner erprobten Gemüse-Kräuter-Gewürz-Trockenmischung aus dem heimischen Dörrapparat.
    Prophylaktisch gibt es noch einen heißen Instant-Zitronentee, dann geht’s ab in den warmen Schlafsack. Jetzt bin ich verdammt froh, doch das schwere Fleece-Inlett eingepackt zu haben, ich Frostbeule. An der Freude wird sich auch in den kommenden Nächten nichts ändern.

    08.08. (immer noch auf dem Weg nach Østerbø)
    Ich werde früh wach.
    Draußen ist es bitterbitterkalt, der Himmel ist mit tiefhängenden düsteren Wolken dekoriert und geschneeregnet hat es offenbar auch nächtens. Ich denke kurz darüber nach, einfach bis zur Schneeschmelze in meinem kuscheligen Daunenkokon zu bleiben, aber die Heldin in mir siegt dann doch und kocht erstmal Kaffee. Zum Frühstück gibt’s noch warmes Müsli mit Schoko. Warmes Müsli ist toll!





    Beim Essen sehe ich weiter unten am Flußufer etwas, das ein gut getarnter kleiner Steinmann sein könnte. Als ich ein Stück hinabklettere, stellt sich heraus, dass meine Kurzsichtigkeit mich nicht getrogen hat. Eine halb unter Schnee versteckte Markierung scheint mich aufzufordern, den Fluß zu überqueren, denn drüben steht ebenfalls etwas Steinmann-Ähnliches.
    Die Karte sagt allerdings etwas anderes. Der Hüttenwirt wiederum sagte, die Route auf der Karte stimme nicht mehr.
    Okay.
    Krempel zusammengepackt, den Fluß über eine Schneebrücke gequert und ab dafür, straight bergauf über den rutschigen Schnee. Wider Erwarten habe ich keinen Muskelkater in den Beinen, das ist schon mal ein guter Start.
    Weit komme ich nicht. Es ist schlicht zu steil, ich finde keinen Halt mehr und rutsche talabwärts. Vorsichtig steige ich wieder zum Fluß herab und beschließe, lieber dem Kompass zu folgen und mir meinen eigenen Weg zu suchen.
    Zwei Stunden später erklimme ich einen weiteren Berg und sehe unter mir einen erforenen See, um den die Route laut Karte herumführen soll. Sogar einen Steinmann kann ich auf einer Anhöhe erspähen, weit, weit vor mir.



    Die sonstigen Aussichten sind allerdings weniger lustig. Das Tal ist offenbar unter tiefem Schnee bergraben und aus den Bergen dahinter kriecht dichter Nebel herab.
    Ich vermute folgerichtig, dass ich in nächster Zeit nicht viel Landschaft zu sehen bekommen werde und suche mir flott meine Richtung per Karte/Kompass zusammen, solange ich noch Orientierungspunkte sichten kann.
    Und tatsächlich begleiten mich die nächste Zeit nur Weiß und Grau; Schnee, Nebel, Schnee und Felsen, die herauslugen.
    Es ist sehr kalt, sehr still und verdammt einsam. Ich fühle mich wie der letzte Mensch auf Erden. Mehrmals frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Aber irgendwie ist es auch schön, irgendwie...



    Als das Tageslicht schwindet, schlage ich mein Zelt irgendwo an einem Bachlauf auf, koche mir ein Motivationsdinner, bestehend aus Linseneintopf mit Speck, gefolgt von einer Tasse heiße Schokolade und friere ein wenig vor mich hin. Aus verdammt kalt wird schnell unangenehm kalt. Ich krieche mit Thermowäsche und meiner zur Wärmflasche umfunktionierten Nalgene in den Schlafack und schlafe doch ziemlich gut.

    09.08. (jepp, immer noch Richtung Østerbø)
    Hallingskarvet am Morgen: Nebel, miese Sicht, fiese Kälte.
    Ich quäle mich aus der Wärme, koche flott mein wärmendes Morgenmahl und breche früh auf.
    Da ich schlau war und meine Route schon am Tag vorher zusammengestoppelt habe, komme ich relativ gut voran.
    In einer großen Senke, die laut Karte wirklich nur eine Senke sein soll, breche ich plötzlich ein und hänge mit einem Bein im luftleeren Raum. Darunter gurgelt es verhängnisvoll. Vorsichtig ziehe ich mich raus und schlage ein verdammt großen Bogen um diese Senke, unter deren brüchiger Schneedecke sich offenbar eine Menge Wasser versammelt hat.
    Irgendwo in den Bergen rumpelt es laut. Eine Lawine?
    Dann klart es langsam, ganz langsam auf. Die Wolken steigen hoch und enthüllen noch mehr Fels. Dahinter kann ich einen großen See erkennen - den Hednesdalsvatnet.
    Die Hälfte dieser Etappe wäre somit schon mal geschafft. Ich stapfe am steilen Hang um das Ufer und freue mich, dass ich so uncool war und zum ersten Mal Trekkingstöcke dabeihabe. An den Schneehängen sind die Teil wirklich sinnvoll, wenn man soviel Gewicht auf dem Rücken herumträgt.





    A Propos Gewicht: mit dem Rucksackgewicht komme ich wieder Erwarten problemlos klar, trotz degenerierter Bandscheibe. Und ich hatte schon befürchtet, unterwegs Ballast abweren zu müssen. Hat sich das Rückentraining also doch gelohnt.

    Auf der anderen Seite geht’s wieder bergan, über einige Bachläufe hinweg und um eine Kuppe herum. Bald sehe ich linkerhand ein schmales dunkles Tal, wo der Hunabotnvatnet liegt, ein länglicher See im Schatten der Berge.
    Rechterhand zeigt sich etwas später der Nedre Snøjuvvatnet und dann geht es bergab Richtung Rausmesdalen.
    Ich sehe endlich anderes Leben! Zwei komische Laufvögel nehmen vor mir Reißaus - sind das Schneehühner? Mini-Banshees? Ich habe keine Ahnung.
    Dort, wo sich laut Karte der Weg gabeln sollte, ist nichts von irgendwelchen Wegen zu sehen, auch kein Wegekreuz. Also wieder Karte und Kompass zu Rate gezogen und einen Bogen um den Fossane geschlagen.
    Endlich sehe ich ein paar Hütten, Strommasten und sogar eine Art Straße, allerdings hat sie niemand für mich freigeräumt, na sowas. Naja, ich bin auf dem richtigen Kurs - und, noch wichtiger, nicht länger im Nirgendwo verschollen. Das gibt mir richtig Auftrieb.
    Mein Weg führt mich hinab zu einer Piste, die aus einem Tunnel herauskommt. Ich folge diesem Weg eine Weile und biege später linkerhand wieder steil bergauf ab. Hier -endlich! -gut erkennbare Markierungen. Die Piste selber führt auf die Staumauer des Langavatnet zu.
    Ziemlich beflügelt laufe ich noch bis zum Øykjabattvatnet, bevor mich die anbrechende Dunkelheit zum Lagersuchen animiert. Die Küche kredenzt Nudeln al Dente an einer Tomatensahnesoße, dazu wird Pfefferminztee gereicht.
    Es ist nicht der beste Lagerplatz, den ich da habe; nachts rutsche ich immer wieder von der Matte, weil mein Zelt ziemliche Schräglage hat. Aber ein bisschen Aufpolstern mit Jacke und Zeltsack schaffen Abhilfe.

    10.08. (… äh, Østerbø... dann weiter zur Steinbergdalshytta)
    Der Øykjabattvatnet liegt am Katlahaug und geht außerdem nahtlos in den Katlavatnet über. Ich verliere mich in nostalgische Gedanken an das wunderschöne Buch „die Brüder Löwenherz“ (das böse Viech Katla, gell?). Passend zu den Kindheitserinnerungen wandelt sich die Schnee-und-Nebelhölle langsam, aber beständig in eine schöne grünbewachsene Berggegend: es geht aufs Aurlandsdalen zu, der Winter weicht.
    Mein Weg führt mich durch ein langgezogenes Tal, das irgendwie kein Ende nehmen will. Unten rauscht ein schmelzwasserschwangerer Fluß entlang. Nochmal wird es grüner, die Schneeflecken nehmen weiter ab und dann liegt der Nesbøvatnet vor mir. Toll, jetzt muss ich an den Autor meines Schmökers denken. Das scheint eine Art Litera-Tour zu werden.
    Der Himmel reißt auf, die Sonne erhellt die Landschaft und meine Laune steigt. Irgendwo bimmelt ein Glöckchen; ich sehe die ersten, aber nicht die letzten Schafe auf dieser Tour. Sie wandern im Gänsemarsch, wie auf einer Schnur gezogen am Hang entlang.
    Ich muss eine Weile einer Straße folgen und stehe schließlich vor einem Fluß. Ich will nicht furten! Zu kalt!!!
    Also wandere ich hin und her, suche nach einer geeigneten von-Stein-zu-Stein-Hüpf-Möglichkeit, finde aber keine. Na denn, Schuhe und Socken aus und die Crocs angezogen. Das eisige Wasser beschert mir einen schmerzhaften Krampf in den zarten Füßen und ich hüpfe in Rekordzeit zum anderen Ufer. Nach einem Weilchen barfußlaufen sind die Muskeln wieder warm und funktionsfähig und ich ziehe mir die Stumpen wieder über.
    Ich passiere Østerbø, ohne Rast einzulegen. Bin eh nicht der große Pausenmensch. Wenn ich einmal in die Gänge gekommen bin, fällt es mir schwer, anzuhalten und den Rucksack abzuwerfen. Lieber mampfe ich meinen Müsliriegel im Weitergehen. Als Unterwegs-Zwischenmahlzeit habe ich auf dieser Tour übrigens Schoko-Paranuss-Müsliriegel richtig liebgewonnen; die sind nicht so süß und geben gut Antrieb.
    Jetzt ist der Weg sehr angenehm. Er führt mich oberhalb des breiten Flußtals in Richtung Süd-Osten. Unter mir sehe ich die Straße dicht am Ufer entlanglaufen, begleitet von Strommasten. Aus dem Fluß wird ein See und dann wieder ein Fluß.



    Die Gegend wird langsam wieder karger und steiniger, das Grün bleibt hinter mir zurück.
    Zur Steinbergdalshytta führt eine kleine Piste von der Straße bergan. Bald biegt auch die Straße ab und führt auf die andere Seite des Tals.



    Ich laufe noch eine gute Weile weiter, bevor ich etwas bergan kraxle und mir oberhalb des Driftaskar einen netten Platz an einem Bachlauf suche, der sich kopfüber ins Tal stürzt.
    Für die Zeltplatzsuche nehme ich mir eigentlich immer viel Zeit, zuviel manchmal. Könnte es da drüben nicht besser sein? Oder doch lieber dort oben... ?
    Mein Kocher schmurgelt mir Penne mit Käse-Sahnesauce und spendiert zum Nachtisch einen heißen Chai-Tee, begleitet von einem Erdnussriegel.
    Das Geräusch des Wasserfalls lässt mich immer an die A40 denken - offenbar bin ich noch nicht so ganz in Norwegen angekommen. Dennoch schlafe ich wie ein Murmeltier.

    11.08. Zur Geiterygghytta
    Die Geiterygghytta ist jetzt nicht mehr weit und ich beschließe, einen kleinen Abstecher zu machen, um nicht schon gegen Mittag in die Hütte zu fallen. Heute ist es warm und trocken; am Himmel wechseln sich Sonne und Wolken ab. Alles ist gut.





    Ich verlasse also meine Route, schlage einen Bogen um den Bolhvd und steige mal wieder bergan.
    Die Aussicht ist großartig, auch wenn es immer wieder tiefe Schneefelder zu queren gibt und der Nordhang des Berges komplett in weiß gehüllt ist.
    Meine tolle Idee bringt mich allerdings bald in die Bredouille: vor mir geht es nahezu senkrecht bergab.
    Umkehren? Schnickschnack.
    Ich glaube, eine gute Abstiegsmöglichkeit ausgemacht zu haben, eine Art Treppe für Riesen, und klettere über mannshohe Felsen und viel Geröll dorthin.
    Was von weitem gut aussah, entpuppt sich aus der Nähe als schlechte Idee. Jede der „Stufen“ ist mehrere Meter hoch und dank diverser glitschiger und schräger Flächen prädestiniert für Knochenbrüche. Mit meinem drölfzig-Kilo-Rucksack ist ein Runterklettern an dieser Stelle nicht drin. Was macht die kluge Frau? Richtig, sie schickt den Rucksack voraus. Schön laaangsam - Stufe für Stufe und dann immer hinterherklettern.
    Das geht eine Weile gut, dann rutscht mir der schwere Rucksack aus den Händen und schlägt mit Rommbomms zwei Mannslängen tiefer auf Stein auf - natürlich mit der Kameratasche zuerst.
    Aber die ist ja ordentlich gepolstert...
    Denkste.
    Beim Überprüfen muss ich feststellen, dass die Verriegelung, die das Teleobjektiv am Body verankert, abgebrochen ist. Das Objektiv hält nicht mehr.
    Ich verfluche mich und meine „Umwege“ und kraxle grummelnd weiter bergab. Immer wieder muss ich über mannshohes Geröll klettern oder Bögen schlagen und mir einen anderen Weg suchen.
    Ein Stück weiter unten finde ich einen moosbedeckten Rentierschädel. Noch jemand, der einen kreativen Umweg gehen wollte.
    Es hat schon seinen Grund, dass hier keine Route langführt, liebe Frau.

    Bald darauf treffe ich wieder auf die Route nach Geiterygghytta. Unten im Tal sehe ich den großen Vestredalsvatnet; die begleitende Straße verschwindet im Berg und führt unsichtbar durch den langen Geiteryggtunnelen ins Jenseits.
    Der weitere Weg führt relativ bequem langsam bergab, sieht man mal vom knöcheltiefen Schlamm ab, dann treffe ich auf eine Schotterpiste. Strommasten begleiten meinen weiteren Weg. Bald passiere ich einen Wegweiser und eine Hängebrücke, die den Beginn der direkten Route nach Hallingskeid markiert - warum habe ich eigentlich nicht diesen Weg genommen, statt tagelang durch Schnee und Nebel zu stapfen?
    Zwei Tageswanderer, dem Gepäck nach zu urteilen, kommen mir entgegen und zwei Angler. Es ist früher Nachmittag oder später Mittag, keine Ahnung.
    Die Hütte ist eine ziemlich große Full-Service-Hütte und gut frequentiert. Ich zähle auf Anhieb 15 Besucher. Für ein kuschliges Bett bin ich noch nicht verfroren genug, daher zahle ich nur für den Tagesbesuch und baue draußen mein Zelt nahe am Ufer auf, mißtrauisch beäugt von einer Schar Gänse.
    Danach gönne ich mir erst eine großartige heiße Dusche (heiße Dusche ist toll!) und anschließend eine lecker Waffel mit Johannisbeermarmelade (frische warme Waffeln sind toll!).
    Im Aufenthaltsraum am Kamin flicke ich dann das Teleobjektiv mit Ducktape wieder irgendwie an den Body (Ducktape ist auch toll!), heimlich beobachtet von einem älteren deutschen Pärchen, das sich vielsagende Blicke austauscht. Ich tu so, als wäre Ducktape an einer DSLR-Kamera ein modisches Must-have für jeden Hiker. Naja, schön ist anders, aber jedenfalls funktioniert's.
    Als ich die warme Hütte verlasse, bereue ich kurzzeitig meinen Entschluß, die Nacht im Zelt verbringen zu wollen. Es fieselt fies und es ist eisekalt. Nach der Waffel habe ich keinen Hunger mehr auf Abendbrot.
    Zum Trost gibt es ein bisschen Hörbuch-Hören auf dem iPod.

    12.08. Geiterygghytta - Finse
    Ich wache nach einer unruhigen Nacht viel zu grüh auf. Wahrscheinlich bin ich einfach zu früh schlafen gegangen.
    Außerdem habe ich Hunger wie ein Bär. Es gibt Rührei (aus Volleipulver, tolle Erfindung) mit geschmackvollen Ingredienzen aus dem Dörromaten angereichert.
    Heute ist das Wetter wieder schebbich (wie der Ruhrpöttler sagt): es nieselt, es schauert und kalt ist es sowieso.
    Gegen halb neun breche ich auf. Der Himmel hat ein Einsehen und stellt die Berieselung ein. Es wird schnell wärmer und ich verstaue meine Wetterjacke im Rucksack.
    Der Einstieg zur Route nach Finse ist etwas tricky; es gilt, brüchige, glatte Schneehaufen zu überklettern und angeschwollene Bäche zu queren. Da sind große Sprünge vonnöten.
    Die Hytta verschwindet hinter mir und es geht auf grünem Pfad bergan.
    Rechtsseitig liegt ein stiller See, doch bald biegt der Weg nach oben ab. Das erste steile Altschneefeld ist zu queren, dann kommt Geröll und ich sehe meine ersten Rentiere - genauer gesagt sind es zwei Rentierjunge, die sich offenbar einer kleinen Gruppe Schafe angeschlossen haben. Ich komme bis auf einen Meter an sie heran, bevor sie mit lustigen Bocksprüngen davonhüpfen.





    Weiter geht es kräftezehrend steil bergauf über Schneefelder; der Schnee ist schwer, feucht und instabil und meine Beinmuskeln beginnen zu nörgeln.
    Ein gutes Stück hinter mir stapft ein junger Mann in kompletter Bundeswehrmontur den Weg hinauf. Er tut sich schwer mit den Steigungen. Als ich eine ausgiebige Fotopause mache, überholt er mich mit unglücklichem Gesichtsausdruck.
    Ich gehe weiter und begegne einer Schafmama mit zwei Jungtieren. Das kleinere der Jungen humpelt erbarmungswürdig, sein „Knie“ (das Vorderfußwurzelgelenk) ist dick angeschwollen und es hat Mühe, den Anschluß an seine Familie zu halten.
    Ich habe auch meine Mühe; es geht ununterbrochen bergauf, immer schön durch den pappigen Schnee. Teilweise eine echt sportliche Herausforderung, die ich mit einer ordentlichen Portion Trotz meistere.
    Auf 1646 Metern, vor dem Sankt Pål, ist endlich der höchste Punkt dieser Etappe erreicht. Es eröffnet sich ein beeindruckender Ausblick über endlos weite Schneeflächen bis hin zum Hardangerjøkulen am Horizont.



    Ab jetzt ist der Weg Kindergeburtstag.
    Mir kommen mehr und mehr Wanderer entgegen und mich beschleicht der Gedanke, dass die nicht ohne Grund die andere Laufrichtung gewählt haben. Der gesamte Weg ist sehr gut gekennzeichnet und auch sonst nicht zu übersehen, kein Vergleich zu dem einsamen Niemandsland der ersten Tage. Vor Finse wird der Pfad immer breiter, hin und wieder stoße ich auf Hinterlassenschaften von rücksichtslosen Vollpfosten: Plastikmüll, Zigarettenkippen.

    Der Himmel reißt jetzt vollends auf und präsentiert sich strahlend blau, als ich gegen Mittag Finse erreiche. Das letzte Stück bergab zieht sich.
    Unten noch schnell die Weggatter hinter mir schließen, die Gleise queren und dann stehe ich auch schon an der Station. Im Lädle des 1222 decke ich mich mit überteuertem Kleinkram ein: Tomatenmark, Mückenzeugs (mein in Oslo gekauftes Anti-Mückenzeug liegt offenbar noch immer im Anker Hostel; ich finde es jedenfalls nicht mehr wieder) und Schokokekse fürs Gemüt. Draußen ist es windig.
    Als ich mich vor dem Laden noch mit zwei Norwegern unterhalte, trifft eben der Feldjäger im Bundeswehroutfit ein. Er sieht ziemlich durchgegart aus, hat aber trotzdem noch einen Gruß übrig.

    Finse ist ausschließlich mit der Bahn oder per Pedes zu erreichen. Die Schotterpiste -der Rallarwegen- wird heute nur noch von Radtouristen genutzt und von Bahnarbeitern, die eine Genehmigung der NSB haben. Es gibt hier ein Museum, das die Geschichte des Rallarvegen und des Bahnbauprojektes irgendwann um 1800 erzählt und auch die damaligen Arbeits- und Lebensbedingungen anschaulich erläutert.
    Der Ort ist irgendwie berühmt. In dem recht heruntergekommenen Hotel haben zahlreiche illustre Persönlichkeiten übernachtet, nicht zuletzt die Star Wars-Filmcrew, die auf dem Gletscher alle Schneeszenen aus The Empire Strikes Back gedreht hat. In der Nähe soll es außerdem Spuren früher Besiedlung geben, u.a. eine große Grube, die in frühgeschichtlicher Zeit zur Rentierjagd genutzt wurde.

    Ich kaufe im Store außer den Leckerchen auch Trinkwasser in Flaschen; das Wasser aus dem See ist nur nach Abkochen trinkbar, dazu bin ich aber zu faul, außerdem muss ich mit meinem Gas haushalten.
    Da an der Finsehytta das Zelten nicht gestattet ist, laufe ich Richtung Blåisen um den See herum und suche mir auf der anderen Seite ein lauschiges Plätzchen am Ufer, schön windgeschützt - was sich bald als dumme Idee erweist, denn sofort fallen Horden von Moskitos über mich her. Ich ziehe also flott um und stehe nun auf einer kleinen Anhöhe, wo mir ein frisches Lüftchen um die Ohren weht. Die Moskitos beeindruckt das leider nur periphär, genau wie das Mygg-Stopp. Die Viecher stechen einfach durch die Klamotten durch.
    Im Innern meines Zeltes hocken die Biester auch bald zu Dutzenden (ach, was sag ich: zu Tausenden!) unterm Dach, weil ich wirklich nur ein Zehntelsekündchen das Moskitonetz offen gelassen habe, und ich muss erstmal kammerjägern.
    In der Umgebung verteilt sind weitere Zelte aufgeschlagen und zwei Burschen übernachten unter freiem Himmel auf einer Steinplatte. Angesichts der kleinen rumschwirrenden Plagegeister hier sicher kein Vergnügen.
    Am Seeufer weist ein Schild nochmals darauf hin, dass das Wasser abzukochen sei. Tatsächlich schwimmt ein leichter öliger Film auf dem Wasser.



    Das Wetter ist jetzt großartig, mal abgesehen vom Wind. Ich mache große Wäsche. Die Klamotten trocknen flott und auch die Schuhe werden nach Tagen im Schnee endlich wieder komplett durchgetrocknet sein.
    Da ich noch reichlich Tag zur Verfügung habe, beschließe ich, der Gletscherzunge Blåisen einen Besuch abzustatten.
    Der Weg dorthin ist mit 1,5 Std. angegeben und semi-interessant. Es geht ordentlich bergauf und bergab, über Geröll, Gewässer und eine Hängebrücke, und wenn man denkt, hinterm nächsten Hügel isser aber jetzt, der Gletscher, dann kommt noch ein Hügel.



    Aber dann stehe ich doch endlich davor.
    Was für ein Moped!
    Wie ein gewaltiger Wurm scheint sich der Gletscher über die Berge und talabwärts zu schieben. Ein bisschen schmuddlig sieht er aus, nicht so strahlend blau, wie ich dachte. Dicht unterhalb gleicht die Gegend einer Mondlandschaft, die Steine sind zermahlen und darunter hat das Schmelzwasser den Boden gut durchweicht, so dass ich immer wieder knöcheltief einsinke.
    Oben auf dem Gletscher kraxelt eine Gruppe herum. Man kann hier in Finse einen Guide für solche Gletschertouren anheuern.
    Ich mache Fotos und mich bald wieder auf den Rückweg. Unterwegs kommen mir viele Ausflügler in unterschiedlichster Staffierung entgegen - vom übergewichtigen, rotköpfigen Pärchen in Jeans bis zu energischen Damen mit Walkingstöcken und gelangweilten Jugendlichen in Turnschuhen ist alles vertreten.
    Zurück auf meiner Finca brate ich mir Gemüsebratlinge, dazu gibt es Kartoffelpüree und eine Tomatensoße aus dem Finse-Store. Der Abend ist warm und friedlich und die Moskitos machen Pause.
    Anschließend vermelde ich per Handy an meinen Männe, dass ich noch lebe und bisher keine Zehen verloren habe. Er ermahnt mich, Trollen und Hillbillies mit Kettensäge aus dem Weg zu gehen und ihm einen Lemming mitzubringen (???).
    Ich überschlage meine bisherigen Laufzeiten und stelle fest, dass ich mit den auf der Karte angegebenen Laufzeiten sehr gut hinkomme, trotz des schweren Rucksackes auf dem Buckel. Das bedeutet, dass ich doch mehr Zeit zur Verfügung habe als gedacht. Das bedeutet auch, dass ich wieder lustige Abstecher machen kann.
    Den Rest des Abends verbringe ich mit meinem Skizzenbuch, bevor ich zufrieden in mein Daunennest falle.

    13.08. Finse - Rembesdalseter
    In der Nacht zerrt der Wind ordentlich laut am Zelt herum, doch als ich nach draußen schaue, sehe ich einen wolkenlosen Sternenhimmel und die Luft ist überraschend lau.
    Der nächste Morgen bietet bestes Kurze-Hosen-Wetter – die fliegenden Vampire warten auch schon auf mich. Ich frühstücke flott und packe noch flotter ein, bevor ich lebendigen Leibes ausgesaugt werde. In den nächsten Tagen würde ich allerdings langmütiger werden im Umgang mit den Myggs.
    Erstmal geht’s wieder zurück nach Finse, wo ich meinen Müll entsorge, dann den Rallarwegen entlang nach Norden.
    Das ist langweilig und zieht sich entsprechend. Am Wegrand haben Radler ihr Nachtlager aufgeschlagen.
    Irgendwann überquere ich stillgelegte Gleise und folge dem Pfad, der mich zwischen verloren herumstehenden Hütten zur ersten Hängebrücke führt. Danach geht es langsam, aber stetig bergan.
    Im Vorfeld habe ich gehört, dass diese Etappe nicht problemlos an einem Tag zu schaffen sei. Ich rechne also eine Zwischenübernachtung ein.
    Weiter und weiter hoch geht es, abwechselnd über Schnee, Geröll und wieder Schnee. Dann passiere ich die Radiosendestation über mir und denke fröhlich, damit sei der dickste Drops gelutscht.



    Weit hinten am Horizont kann ich jetzt den Hårteigen sehen.
    Noch ein Stückchen weiter passiere ich ein Grüppchen Norweger, die sich auf den Felsen niedergelassen haben und ihre Schnittchen auspacken.
    Die Sonne scheint wie der Deibel.
    Jetzt geht es bergab zu einem wunderschönen Gletschersee, dessen glitzriges Blau so hypnotisierend ist, dass ich erstmal nur dastehe und staune. Drumherum liegt strahlend weißer Schnee und lässt die Farben umso mehr leuchten. Dazu der blaue Himmel – perfekt!





    Der See begleitet mich noch eine Weile, während ich durch eine angenehm moosgrüne, irgendwie landschaftsparkähnliche Umgebung lustwandle. Wieder öffnet die Sicht auf noch mehr Gletscherblau und Weiß und Silberglitzer und ich mache tausend Fotos,
    Ein Frauenduo kommt mir entgegen. Die junge Frau wird mir später wieder begegnen, wenn sie mich überholt und im Sauseschritt mit Daypack den Weg wieder zurück läuft, um am Horizont zu entschwinden. Die spinnen, die Norweger :-)
    Weiter und weiter bergauf, über Schnee, Schnee und Schnee, während die Sonne ordentlich Sommer macht. Das schreit nach einem Energieriegel.
    Endlich hat das Bergauf ein Ende und der weitere Weg führt durch ein schmales grünes Tal bergab. Ich habe das Gefühl, durch ein geheimnisvolles Portal nach Irland gebeamt worden zu sein. Neben dem Pfad rauscht ein Flüßchen talabwärts. Am Steilhang bimmeln Schafsglöckchen und dann taucht linkerhand auch noch ein verdammt idyllischer See auf. Könnte auch das Auenland sein. Ich hadere mit mir, ob ich nicht hier mein Lager aufschlagen soll, und entscheide mich dagegen.
    Nach einer Weile öffnet sich ein grandioser Ausdblick in Richtung Süden und hinab in ein schroffes Tal, von dem ich noch nicht weiß, dass dort unten mein Ziel liegt.





    Der Weg ins Tal runter ist nicht von schlechten Eltern. Unten geht’s scharf links, garniert mit einem schönen Seeblick. Dann kommt ein weiterer Abstieg, der es wirklich in sich hat, und ich danke den Göttern meiner Wahl fürs trockene Wetter und der Erfindung der Trekkingstöcke. Bei Nässe wäre der Abstieg mit einem dicken Rückengepäck sicher eine fiese Sache. Aber auch so rechne ich jeden Augenblick mit einem langgezogenem „Aaargh!“, gefolgt vom scharfen Knack eines brechenden Knöchels. Ich knicke zwar tatsächlich zweimal um, jedoch ohne Folgen.
    Es geht gefühlte fünf Stunden über Geröll und Wackelgestein, aber endlich ist das Seeufer erreicht und hinterm nächsten Hügel liegt auch die Hütte Rembesdalseter.
    Der See liegt recht eingequetscht zwischen hoch aufragenden Berghängen, man könnte glatt klaustrophobisch werden. Lediglich im Süden öffnet sich ein schmaler Einschnitt zum Simadalen und von dort zum Eidfjord.
    Über mir ist die Gletscherzunge zu sehen.
    Auf der Hütte ist neben der Wartin ein deutsches Studententrio untergebracht, die mir ihr viertes freies Bett in der Stube anbieten.



    Aber ich bevorzuge doch meine Dackelgarage, die ich weiter oben im Wind aufbaue, wegen der Moskitos. Denen ist das aber schnuppe.
    In der Küche schmurgle ich mit Nudeln mit Spinat und Frischkäse und plaudere noch ein Weilchen mit den anderen.
    Entgegen aller Voraussagen fand ich diese Etappe übrigens nicht so heftig wie befürchtet. Ich habe insgesamt etwa 9 Stunden gebraucht.
    Dann die übliche Katzenwäsche am Bach und danach die freudige Entdeckung, dass es im Talkessel Handyempfang gibt. Mein Daheimgebliebener freut sich über mein Lebenszeichen. Während wir telefonieren, steigt dichter Nebel aus dem Wasser und dem Simadalen auf und hüllt die Hütte unter mir vollkommen ein, alldieweil die Sonne glutrot hinter den Bergen verschwindet. Ich muss spontan an „Nebel des Grauens“ denken. Mein Männe auch. „Flieh, solange du noch kannst“, sagt er, „Nein, warte mal: Darf ich dein MacBook erben?“
    Am nächsten Tag erfahre ich, dass sich dieser Nebel auch mal tagelang hält und den Hikern dann gründlich die Laune vermiest.



    14.08. Rembesdalseter – Liseth
    Der Tag beginnt überaus sonnig.
    Ich habe wie ein Stein geschlafen und bin früh wach – eine gute Gelegenheit für ein opulentes Frühstück in Form von Rührei und Früchtemüsli. Die Hüttenwartin leistet mir Gesellschaft. Sie ist seit zwei Tagen hier und wird in 12 Tagen abgelöst. Sie hatte schon befürchtet, zwei Wochen im Nebeldunst festzusitzen.
    Mein Zelt ist außen patschnass und auch der Schlafsack hat Kondens gezogen. Ich nehme alles auseinander und lasse es in der Sonne trocknen.
    Nachdem das Bezahlen erledigt ist, liegen die Studenten und ich noch faul in der Sonne rum, chillen und reden. Die drei haben den Hardangerjøkulen auf der Ostseite umrundet und gehen jetzt nach Finse weiter, wobei sie für jede Etappe zwei Tage eingeplant haben.
    Dann trennen sich unsere Weg. Für mich geht es weiter nach Litlos, zunächst über einen krubbeligen Pfad am Seeufer.
    Der anschließende Aufsteig auf der anderen Seite ist nicht sehr spaßig. Es geht über glatte Felsplatten hoch, am Wasserfall entlang und mit einigen Klettereinlagen, wobei mein Rucksack mich hartnäckig talabwärts zieht. Ich muss höllisch aufpassen, nicht hintüber zu kippen. Bei Regen wäre ich hier wohl nur mit viel Glück und Saugnäpfen statt Händen hochgekommen. Aber irgendwann hat auch diese interessante Kraxelei ein Ende.
    Nach zwei Hängebrücken passiere ich die Abzweigung nach Kjeldebu, die ich links liegen lasse. Ich habe für die Kletterpartie gut anderthalb Stunden benötigt.



    Die Gletscherzunge bleibt unter mir zurück, es geht sanft bergab und ich genieße den warmen, sonnigen Tag. Dann plötzlich öffnet sich der Blick auf den Fjord und das tiefe, tiefe Simadalen. Es geht rechterhand etwa 1000 Meter bergab. Ich staune über die mächtigen Felswände, die das schmale Tal eindrücken. Ganz weit hinten funkelt das Wasser des Fjords blaßblau. Einfach nur schön!





    Zurückblickend sehe ich den Rembesdalsvatnet, der aufgrund der Gletscherbewegungen einst das Simadalen überflutet und eine Katastrophe ausgelöst hat, wenn ich mich recht erinnere.
    Mir kommt ein Norweger mit kurzen Hosen und Gamaschen entgegen. Letztere trägt er nicht ohne Grund, wie ich bald feststellen werde.
    Bald lasse ich das Tal hinter mir und linkerhand taucht ein See auf, bestückt mit kleinen Inseln auf denen Nadelbäume stehen. Aha, Baumgrenze in greifbarer Nähe. Am See kann ich auch die verlassene Farm Loken erkennen. Es geht bergab.
    Jetzt wird es richtig schlammig. Auf dem Pfad sinke ich bis zum Knöchel ein, also suche ich mir Umwege und Hüpfesteine. Die Sonne brutzelt fröhlich und ausdauernd herab und meine Laune ist trotz der Schlammschlacht gut - bis mir schwant dass, wer in ein Tal hinabsteigt, dort irgendwann auch wieder hinausklettern muss. Ich blicke voraus und nach oben und überlege, dass garantiert niemand so blöde, dort eine Route anzulegen.
    Denkste.
    Die nächsten zwei denkwürdigen Stunden rutscht der moddrige Untergrund nebst Geröll immer wieder unter meinen Schuhen davon. Es ist unglaublich anstrengend und langwierig, dort hinauf zu kommen. Ich suche mir ständig Umwege, um nicht als Schlammlawine wieder dort anzukommen, von wo ich gestartet bin. Und die blöden Moskitos kribbeln und sirren überall herum und mobben mich, dass es nur seine Bewandtnis hat.



    Als ich ein Jahrhundert später oben ankomme und die Plackerei schon fast vergessen habe, fällt mir auf, dass ich irgendwo unterwegs meine Sportbrille verloren habe.
    Für heute reichts mir und ich schlage nach einer Weile mein Zelt in einer friedlichen grünen Senke voller kleiner Seen auf.
    Weils so sommerlich ist, gönne ich mir ein Bad im kühlen Wasser, immer schön umschwirrt von einer blutdurstigen Wolke.
    Danach wird der Bärenhunger mit Linseneintopf bekämpft. Während ich esse, rummst es zweimal laut und hallend durch das Simadalen. Klingt wie eine Explosion.
    Abends beginnt es leicht zu regnen.



    15.08 Richtung Liseth und weiter nach Kjeldebu
    Die kleinen Seen liegen frühmorgens mit grauer, gekräuselter Oberfläche unter dem wolkenverhangenen Himmel; es ist windig. Ich spüre heute die Strapazen des gestrigen Aufstieges ziemlich deutlich in den Oberschenkeln.



    Aus den Bergen ist erneut lautes Rummsen zu hören. Lawinen? Niesende Trolle?
    Der weitere Weg ist unspektakulär und angenehm.
    An einem See, an dessem Ufer ein kleine Holzhütte liegt, folge ich blind dem recht deutlichen Pfad. Es dauert eine Weile, bis wieder Steinmännchen auftauchen, allerdings fehlt ihnen das rote „T“. Ein Blick auf die Karte zeigt mir, dass ich irgendeiner alten Route folge, die irgendwo im Nirgendwo enden wird. Der Vetle Ishaug sollte eigentlich links von mir liegen, nicht rechts. Also wieder zurück, marsch-marsch.
    Am Abzweig entdecke ich einen Steinmann, der mich in die richtige Richtung leitet. Wie hatte ich den bloß übersehen können?
    Der Irrweg hat mich viel Zeit gekostet, aber davon habe ich ja genug.
    Im weiten Bogen geht es um den Vetle Ishaug herum und dann kann ich auch schon Fossli sehen.
    Ab jetzt geht es eine Ewigkeit lang bergab und bergab, mal ist es sumpfig, aber das schöne Wetter und einige ausgelegte Planken halten die befürchtete Schlammschlacht in Grenzen.



    Die ersten Birken -kleine krüpplige Bodenkriecher- tauchen auf. Die Luft duftet nach Kräutern und Blumen und überall surren Insekten herum.
    Endlich kommen mir auch wieder Menschen entgegen. Schließlich lande ich in einer Siedlung voller hübscher Holzhäuschen und stehe etwas orientierungslos herum.
    Der Tag ist noch lang, daher geht’s erst mal zu den Vossingfällen. Das Hotel Fossli liegt oberhalb des Wasserfalls und ist deutlich ausgeschildert. Eine echte Touristenfalle! Im Viertelstundentakt werden dort knipsende Horden in Bussen angeliefert oder wieder weggekarrt. Die Touristen machen Fotos von mir und meiner Schrankwand auf dem Rücken.
    Wenn man den Wasserfall hinabschaut, kann man tief unten im Tal eine klitzekleine Hängebrücke sehen und einen strichschmalen Pfad, der bis nahe an den Wasserfall heranführt.
    Auf der sonnigen Hotelterrasse gönne ich mir das teuerste Bier meines Lebens. Umgerechnet fast 10,-€ (in Worten: zehn!!!). Wenigstens ist es gut gekühlt. Ich überschlage die bisher geschaffte Strecke und die Tage, die mir noch bleiben, stelle fest, dass ich ordentlich Zeit habe und beschließe, einen Abstecher in den Osten der Vidda zu machen. Bei der Tourvorbereitung habe ich die angegebenen norwegischen Gehzeiten brav mal 1,5 oder sogar mal 2 genommen, aber tatsächlich komme ich mit den „original“ Gehzeiten sehr gut zurecht, trotz des vollen Rucksackes.
    Anschließend lasse ich mein Gepäck an der Rezeption zurück und unternehme einen Abstecher hinunter zum Wasserfall.
    Von einer gesperrten Straße führt ein Pfad erst durch Gebüsch, dann über ein Geröllfeld bis zum Fluß herab. Man quert die Brücke und spürt schon die neblige Gischt auf der Haut. Der Pfad endet etwa 100 Meter vor dem Wasserfall. Die Sonne kommt nicht bis hierhin und die Steine sind ziemlich glitschig, aber ohne Gepäck ist das Ganze ein Kinderspiel.
    Danach geht’s weiter zum Pensjonat Liseth, das ich umrunde und dem Pfad Richtung Kjeldebu folge. Ein schöner Weg, wenn auch ziemlich moddrig. Es geht nebem dem Fluß durch ein lichtes Wäldchen; rechts und links wachsen Farne, Lichtnelken, Eisenhut, Butterblumen und anderes Blühzeugs. Ich passiere einige hübsche Hüttchen, dann bleiben Birken und Nadelbäume hinter mir zurück und es wird wieder felsig.



    Oben angekommen treffe ich auf zwei Norweger, die sich auf ein kleines Schwätzchen freuen. Die Freude ist ganz meinerseits, also lassen wir uns zu einer kleinen Pause auf warmem Stein nieder. Die beiden sind ziemlich überrascht, als sie erfahren, dass ich 3 Wochen allein durch die Gegend stromere. Die nächsten Kilometer, sagen sie außerdem, sei nicht mit Wasser zu rechnen, daher fülle ich schnell noch meine Buddel.
    Es geht danach durch sommerliches Hochland, und endlich sehe ich auch meinen ersten Lemming. Er ist platt und ziemlich tot, der Arme. Man könnte ihn glatt als Briefmarke verwenden...





    Beim Sysenvatnet suche ich mir wieder ein hübsches Plätzchen an einem Bach. Trotz des stetigen Windzuges muss ich mich an dieser Stelle mit der fiesesten und heftigsten Moskitoinvasion der gesamten Tour herumplagen. Irgendwo habe ich gelesen, man solle die Viecher saugen lassen, da sie dann auch wieder das juckige Anti-Gerinnungsgift wieder einsaugen, das sie einem zuvor injizieren. Aber die Stiche sind schon recht schmerzhaft und ich schlage instinktiv zu, sobald die Biester ihren Rüssel in die Haut pieksen.
    Der Himmel ist wolkenlos und ich vermisse meine Sonnenbrille.
    Zuletzt geändert von wendra; 23.02.2013, 09:20.

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    #2
    AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

    Weiter gehts...

    16.08. Kjeldebu-Dyranut
    Am nächsten Morgen stürmt es ordentlich; ich habe während des Packens meine liebe Not, mein Geraffel vorm Wegfliegen zu hindern. Der Himmel ist duster, aber es bleibt trocken.
    Der Weg nach Kjeledebu ist das übliche Auf und Ab, garniert mit Modder, Geröll und Bächen. Ich passiere einen Wegweiser, den jemand notdürftig mit Band geflickt hat, und sehe rechts den Sysenvatnet in seiner ganzen Pracht, während links der Gletscher zu sehen ist.
    Am Storaberget begegnet mir ein Zombieschaf: ganz schwarz mit unheimlichen weißen Augen. Kurz danach knicke ich beim Bergablaufen fies um, aber beim Weiterlaufen verschwindet der Schmerz bald wieder spurlos. Hinter dem nächsten Wegweiser passiere ich eine angenehm solide Brücke über einen breiten Wasserfall. Und dann ist auch schon die Kjeldebu-Hütte erreicht.





    Der ältliche Hüttenwart ist allein und langweilt sich furchtbar. Er sagt, in diesem Jahr sei es extrem ruhig.
    Ich decke mich mit Proviant ein, fülle das Kreditkartenformular aus und schwatze noch eine Weile. Der Hüttenwart prophezeit schlechtes Wetter für morgen und sagt mir, dass es bis Dyranut noch knapp 2,5 Stunden seien.
    Der weitere Weg nach Dyranut ist dann ziemlich öde. Es geht über ebenes Grasland mit einer Menge Gegend drumherum. Kurz vor Dyranut begegnet mir ein Pärchen mit 3 kleinen, quengelnden Kindern, die wissen wollen, wo es hier in der Nähe etwas Interessantes zu sehen gäbe. Tja, mehr als den Fernblick auf den Hardangerjøkulen kann ich jetzt auch nicht bieten...
    Dyranut liegt wenig malerisch an einer Landstraße und erinnert irgendwie an einen Truckertreff. Ich orientiere mich kurz und beschließe, nach Hedlo weiterzu laufen.
    Im Bjoreidalen suche ich mir schließlich ein lauschiges Plätzchen für die Nacht und lade alle Moskitos der Gegend zum Nachtmahl ein.
    Zum Abendessen gibt es kreative Kjeldebu-Küche: Büchsenfleisch mit Kartoffelpü und Trockengemüse. Gar nicht so schlecht, wird aber wohl kein Verkaufsschlager werden. Danach ein schöner heißer Kakao und ein bisschen Kartenstudium. Ich freue mich, dass ich nicht unter Zeitdruck stehe.
    In der Nacht beginnt es zu regnen.

    17.08. eigentlich nach Hedlo, aber...
    Morgens ist der Himmel wieder sonnig blau und mein Zelt kann trocknen, bevor ich es wieder verstaue.
    Hinter der breiten Brücke, die über den Bjoreidalen führt steht ein etwas schiefer Wegweiser. Ich schlage die Richtung nach Hedlo ein und finde mich nach einigen leichten Steigungen in einer moddrig-torfigen Weite mit nichts, was einem den Blick versperrt. Ab und zu versinke ich im Schlamm. Nach jedem Hügel geht es weiter und weiter und allmählich langweilt mich die Eintönigkeit. Ein Pärchen mit Packhund kommt mir entgegen und zwei junge Männer, von denen einer ein großes Rentiergeweih über den Schultern trägt.
    Ich passiere die Grenze zum Nationalpark. Der Untergrund ist der reinste Schwamm, aber noch komme ich recht gut voran. Ich quere mehrere Flüsse von Stein zu Stein. Und beim breitesten passiert es: Erst rutscht mein Stock weg, dann der Schuh und ich lande bis zu den Knien im Wasser. Sofort der Griff zur Kameratasche. Alles trocken geblieben.
    Auf der anderen Seite mache ich Frustpause, ziehe die nassen Schuhe und Socken aus, kremple die patschnasse Hose hoch und laufe eine Weile barfuß weiter. Auf dem weichen Untergrund ist das sehr angenehm. Aber der Weg will und will kein Ende nehmen.

    ]

    Nach gefühlten tausend Jahren passiere ich einen See und langsam schwant mir etwas. Ich werfe einen Blick auf die Karte und die Umgebung und muss feststellen, dass ich auf dem Pfad in Richtung Hadlaskard bin. Tatsächlich kommt kurze Zeit später ein entsprechender Wegweiser. Da es seit dem Bjoreidalen keine Wegkreuzung mehr gegeben hat, muss der Fehler also dort geschehen sein. Wahrscheinlich war der Wegweiser hinter der Brücke verdreht gewesen. Nächstes Mal vertraue ich den Dingern lieber nicht mehr blind.
    Egal, die Karte zeigt mir eine Möglichkeit, doch noch nach Hedlo zu kommen und bald finde ich die entsprechende Abzweigung. Es wird wieder abwechslungsreicher und gegen Abend finde ich einen hübsche Stelle an einem Bach mit schönem Blick über das Rjotedalen. Hinter dem Bergbuckel zu meiner Linken kann ich den Hårteigen sehen. Hedlo ist nicht mehr allzu weit. Was will ich da eigentlich?





    Am Bach gibt es erst mal Klamottenwäsche, anschließend bereitet die Küche Hackfeisch-Carbonara und Chai-Tee gegen den Frust.
    Der Hüttenwart von Kjeldebu hatte Unrecht mit seiner Wetterprophezeiung: Den ganzen Tag ist es trocken geblieben.
    Naschts werde ich wach. Es hat zu regnen begonnen, dazu rüttelt ein kräftiger Wind am Zelt. Ich will mich aus meiner Daunentüte schälen, um die Abspannung zu überprüfen, doch der Reißverschluß vom Inlett klemmt (wieso hat das Teil eigentlich einen Reißverschluß?). Ich reiße beherzt am Zipper, es macht Ratsch! und ich fühle eine seltsam weiche Masse unter den Fingern. Der f...ing-Reißverschluß hat sich im Innenstoff des Schlafsacks verfangen und ein rechtwinkliges Loch reingerissen! Im Licht meiner Stirnlampe sehe ich einen kleinen Daunen-Schneesturm im Zelt um mich herumtanzen. Die nächste Stunde verbringe ich mit Daunen-Zurückstopfen, bis keine mehr rumfliegt, danach flicke ich das Loch mehr oder weniger fachmännisch mit Tape.
    Währenddessen hat sich der Wind draußen in einen Sturm verwandelt. Mein Zelt schwankt hin und her und ich krabble raus, um nachzuspannen (nicht das letzte Mal in dieser Nacht).
    Der Sturm wird immer heftiger; an Schlaf ist nicht zu denken. Außenzelt drückt gegen Innenzelt und Regen dringt ein. Ich ziehe den Rucksackliner über den Schlafsack, damit der trocken bleibt und stopfe alles andere zurück in den Rucksack. Der Wind veranstaltet einen Höllenlärm zwischen den Bergen. Bald stürmt es so heftig, dass mein Zelt auf den Boden gepresst wird; ich komme mir vor wie in einer Schrottpresse und fürchte, dass jeden Moment das Gestänge knackt. Ein fieses Gefühl, wenn die Zeltplane einem aufs Gesicht gedrückt wird.
    Mir schwant, dass ich mir nicht den besten Platz für die Nacht ausgesucht habe. Als ich noch mal rausgehe, raubt mir der harte Wind den Atem. Fast schmeisst es mich bergab. Die Abspanner halten, aber mein Taurus UL wird längs immer wieder heruntergedrückt.
    Gegen Morgen lässt der Sturm nach und ich kann endlich ein bisschen schlafen. Es regnet und windet zwar immer noch, aber es ist erträglich.
    Wider Erwarten hat das Gestänge keinen Schaden genommen, aber das Zelt ist völlig durchweicht und der Schlafsack könnte auch eine Trocknungsphase gebrauchen.
    Ich ändere meine Pläne und beschließe, nach Hadlaskard zu laufen, das etwa 1 Stunde entfernt liegt. Ich packe alles zusammen, schlüpfe in meine immer noch nassen Schuhe und quäle mich gegen den Wind zur Hütte. Die Bäche sind in der Nacht ordentlich angeschwollen und meine Füße werden hier und da noch nasser.
    An der Hütte werde ich von der Wartin, die mich spontan an eine liebe Großmutter erinnert, mit Handschlag begrüßt. Sie spricht kaum Englisch, zeigt mir aber gestenreich, dass ich mein Zelt im großen Holzschuppen aufspannen und trocknen lassen kann und feuert den Ofen an, damit mein Schlafsack und meine nassen Klamotten bald wieder trocken sind. Außer mir ist noch niemand da. Ich quartiere mich in ein 2er-Zimmer ein und mach erst Ausrüstungspflege, dann eine ausgiebige Körperwäsche mit waaaarmen Wasser, hach.
    Gegen Abend kommen weitere Wanderer, ein deutsches und ein norwegisches Pärchen, zwei andere Hüttenwarte auf Wandertour und drei Angler, die ihre glitzernden Forellen mit allen teilen. Ich stifte mein Kartoffelpüree. Der Abend ist sehr unterhaltsam.
    Die Norweger finden es „impressive“, dass ich so eine lange Solotour mache (3 Wochen finde ich jetzt aber nicht so lang, ehrlich gesagt). Die meisten sind nur ein paar Tage von Hütte zu Hütte unterwegs, mit wenig Gepäck. Jemand erzählt mir von drei Israelis, die dieses Jahr zu Fuß von Oslo losgelaufen sind, in der Absicht ganz Norwegen zu durchqueren. In der ersten Woche hätten sie direkt eine fiebrige Erkältung bekommen, sind aber tapfer weitermarschiert.

    19.08. Hadlaskard-Stavali
    Am nächsten Morgen duftet es in der ganzen Hütte nach Brot. Die Wartin hat ein ganzes Blech mit
    frisch gebackenen Brotlaiben und Brötchen in die Küche gestellt.
    Heute geht es mir richtig gut, meine Sachen sind auch wieder alle trocken. Ich mache ein Proviantpäckchen und gönne mir ein opulentes Frühstück zusammen mit dem Norwegerpärchen, die zurück nach Hedlo wollen. Na, auf dieser Tour werde ich dort wohl nicht mehr vorbeikommen.
    Macht aber nix, denn der ungeplante Besuch in der gemütlichen Hadlaskard-Hütte war für mich ein kleines Highlight.
    Nach der allgemeinen Verabschiedung geht’s über die Hängebrücke hinter der Hütte und ab ins Hügelland, also wie immer erstmal bergan. Ich passiere eine verfallene Steinhütte, den See Langavatnet und drei junge Deutsche, die offenbar ihre gesamte Wohnungseinrichtung auf dem Rücken tragen.





    Der Lonavatnet leuchtet so klar und blau und idyllisch in all dem Grün, dass ich versucht bin, direkt mein Lager aufzuschlagen. Aber Stavali ist nicht mehr weit und ich will mir dort ein paar Ingredienzen fürs Dinner holen. Mein ursprünglich mitgebrachter Proviant ist mittlerweile aufgebraucht, sieht man mal von Kaffee, Trockenmilch, Tee und zwei Fertiggerichten ab.





    Bald sehe ich die Hütten unten im Tal liegen. Es geht über das übliche Geröll und Gefels und zwei Sommerbrücken, dann werde ich an der Hütte von einem jungen deutschen Wart freundlich begrüßt. Sein älterer Kollege ist erheblich mürrischer. An der Hütte gibt es ein paar Kühe und man offeriert mir ein Glas frischer Milch.
    Es geht wieder ein Stück zurück zu dem schönen See, an dem es sogar kaum Moskitos gibt. Schade allerdings, dass andere, die die Stelle ebenso idyllisch fanden, gleich ihren Müll dagelassen haben: hinter einem Stein entdecke ich ein Häufchen aus verrosteten Dosen, Plastikverpackungen, Klopapier und die Reste eines Feuerchens. Ich sammle den Dreck in eine Tüte.





    Auf dem Speiseplan steht heute Pasta di Parma mit Extraschinken á la Stavali und dazu dieses interessante heiße Kirsch-Pulvergetränk, dessen Verpackungsbildchen allerdings eher dunkle Trinkschokolade vermuten ließ. Nach dem ersten Überraschungsschluck ist es dann doch erstaunlich lecker. Aber möglicherweise trügen mich erste Frischvitamin-Entzugserscheinungen und es schmeckt doch eher künstlich.
    Die Strecke heute war recht kurz; statt der angegebenen 6 Std. war ich nur 5 unterwegs und fühle mich irgendwie nicht ausgelastet. Also hüpfe ich nochmal die paar Kilometer zur Stavali-Hütte und entsorge dort den ganzen gesammelten Müll.

    20.08. Stavali-Torehytten
    Leichtes Regengetröpfel weckt mich am nächsten Morgen. Der schöne klare See liegt grau und trübe vor mir. Zum Frühstück gibt es aufmunternde Pfannkuchen aus meinem Deckelpfännchen, klein, aber fein.
    Ich habe mir heute vorgenommen, auf halbem Weg nach Torehytten Halt zu machen. Unterwegs passiere ich einen Wegweiser, der mir sagt, dass ich gerade nach Lofthus laufe. Ich bin verwirrt, aber Karte und Kompass bestätigen mir, dass ich nicht fehlgelaufen bin. Bald gabelt sich auch der Weg und nach Lofthus geht es linkerhand bergab weiter.
    Wieder geht es hinauf, teilweise recht ausgesetzt an einem steilen Hang. Heute fühlen sich meine Beine schwer wie Blei an, außerdem hat sich im Schuhleder spontan eine fiese Falte gebildet, die äußerst schmerzhaft auf die Zehengelenke drückt. Der trübe Tag wirkt auch nicht gerade motivierend. Es schmeckt nach Regen.



    Jetzt führt der Weg entgegen zur Richtung, in die ich eigentlich gehen muss. Ich fürchte, die Weggabelung Hanastein verpasst zu haben, also gehe ich zuürck zu einer kleinen Ansammlung von Steinhütten, wo ich Leute gesehen habe. Eine Norwegerin, die dort mit ihrer Tochter gerade eine Hütte ausfegt, bestätigt mir aber, dass ich richtig laufe, danach schwatzen wir noch ein bisschen. Die beiden sind zusammen mit ihren Männern hier für ein paar Erholungstage und ihre Hütte wurde vom Ur-Ur-Ur-Großvater (oder so) gebaut. Die beiden Männer treffe ich später an einem See, wo sie ziemlich dynamisch angeln. Sie rennen die ganze Zeit an den Ufern entlang und schmeißen ihre Angel mal hier, mal da aus. Vielleicht ist das eine spezielle Art Treibjagd-Sportangeln.
    Irgendwie will es heut nicht so recht vorangehen, wahrscheinlich ist dies der „Durchhänger-Tag“, der ja irgendwann mal kommen muss. Der Himmel wird immer dunkler, die Wolken verhüllen die Berge um mich herum.



    Am Nachmittag passiere ich ein hübsches kleines Tal unterhalb des Pfades; grün, mit einem Bächlein, das in einen klaren See mündet, schroffen moosbewachsenen Felsen und windgeschützt obendrein. Trotzdem keine Mücken. Ich beschließe, hier Schicht für heute zu machen. Gute Idee, denn kurz nachdem ich das Zelt aufgebaut habe, fängt es auch schon an zu regnen. Ich überprüfe zum x-ten Mal meine Flickstelle im Schlafsack (Tape ist eine wunderbare Erfindung!) und versuche anschließend, die fiese Schuhfalte irgendwie rauszudrücken.
    Obwohl die Strecke heute eher durchschnittlich war, hänge ich ziemlich durch. Ich schmurgle mir einen Tasse Schokopudding fürs Gemüt und schlafe bald darauf ein.

    21.08. Nach Torehytten und weiter
    Ziemlich ausgeruht und voller frischer Energie geht’s am nächsten Tag weiter. Obwohl ich am Abend vorher nichts gegessen habe, fehlt mir der Appetit, daher gibt’s nur Kaffee. Die Druckstelle am Zehengelenk wird erfolgreich mit Polsterpflaster verarztet.
    Das Wetter ist immer noch so lala, und natürlich geht es erstmal fröhlich bergauf, so wie jeden Morgen. Macht nix, bald darauf werde ich durch ein wunderbares Panorama belohnt. Es geht an tief daligenden Seen und klüftige Felshängen vorbei, immer weiter hoch. Der Hårteigen ragt immer wieder weit vorne auf und markiert meine Richtung. Gegen Mittag mache ich eine kurze Rast, habe aber imme rnoch keinen Hunger. Trotzdem zwinge ich mir einen Müsliriegel rein. Einige ordentliche Anstiege später begegne ich einem älteren Herrn in Shorts und ohne Gepäck, der sich als der Hüttenwart von Torehytta entpuppt. Er hat Langeweile, will daher mal seine Kollegen in Stavali besuchen und sagt, die Hütte stehe zu meiner Verfügung, falls ich mich dort niederlassen wolle.
    Torehytten liegt sehr idyllisch an einem See mit tollem Blick auf den Hårteigen. Die Sonne kommt raus und bringt das Wasser zum Glitzern. Die Hütte ist leer.



    Ich genieße die Stille und das Panorama, bevor ich meine arg zur Neige gegangenen Vorräte checke und danach das Proviantlager der Hütte. Es ist ordentlich geplündert worden; nur noch Wasa-Sandwiches mit MHD bis 2009, Hafergrütze und Rosinen sind noch zu erwerben. Ich verzichte und ziehe meine Karte zu Rate.
    Da ich noch viel Zeit übrig habe, beschließe ich ich, den Hårteigen auf einem Umweg zu umrunden und erst mal wieder grob in Richtung Hadlaskard zu gehen.
    Gegen Abend finde ich eine spektakulär schöne Stelle mit privatem Sandstrand an klarem Wasser. Ein Flüßchen verschwindet rauschend in einer Felsspalte, die Sonne scheint auf Teufel komm raus und der See funkelt vor sich hin.



    Andere Hiker haben die Stelle auch schon toll gefunden: unter Steinen schlecht versteckt liegt etwas Plastikmüll herum, den ich in meinem Dirtbag verstaue. Dann gibt’s große Wäsche, erst die Klamotten, dann die Wandersfrau.
    Ich habe die Gehzeiten bisher stark überschätzt und kann die nächsten Tage eigentlich eine ruhige Kugel schieben, was das Vorankommen betrifft, weiß aber genau, dass das für mich eher unbefriedigend sein wird. Heute war ich auch nicht allzu lange unterwegs und fühle mich wieder unausgelastet. Daher schnappe ich mir die Kamera und gehe auf ausgedehnte Umgebungstour.
    Aus den Bergen bimmeln die Schafsglöckchen; hin und wieder kommt eine kleine Gruppe der Wolleträger vorbei, bleibt stehen und guckt mich an, als sei ich der Leibhaftige persönlich.

    22.08. Weiter zum Hårteigen
    Nachts hat es ordentlich geregnet, aber pünktlich zum Morgen hört es auch wieder auf. Es ist warm, wenn auch bedeckt. Ich experimentiere mit Hafergrütze, Rosinen und Schokopudding zum Frühstück herum. Sieht ziemlich speziell aus, schmeckt aber.
    Mein Zelt ist endlich trocken. Ich kann meinen Hausrat verstauen und mich wieder auf den Weg machen. Dieser Zeltplatz wird mir als einer schönsten in Erinnerung bleiben.
    Wie in den Tagen zuvor ist auch jetzt der weitere Weg nicht zu verfehlen. Es geht durch ein lichtes Tal hinab. Ein Wegweiser weist darauf hin, dass die Routenführung geändert wurde und nicht mehr der Route in der Karte entspricht. Auch gut. Bald darauf furte ich ein Fluß, der durch Regen und Schmelzwasser guten Tiefgang bekommen hat, und erreiche bald darauf die Kreuzung Virsdalen.
    Ab jetzt geht’s zum Hårteigen, natürlich bergauf. Eine Gruppe Schafe folgt mir eine Weile, bis sie etwas Interessanteres entdecken und eine andere Richtung einschlagen.
    Der Himmel hängt heute tief und verspricht Regenwetter.
    Weiter bergauf geht es, steil über ein Altschneefeld, dann durch eine breite Rinne, die gut geflutet ist, aber am Rande noch halbwegs begehbar.
    Noch ein paar Felsstufen erklimmen, dann habe ich den Fuß des Hårteigen erreicht. Auch von hier ist die Rundumsicht beeindruckend.



    Zwei in einer Felsnische verstaute Rucksäcke zeugen davon, dass gerade der zylinderförmige Berg erklommen wird. Ich betrachte die Felswand eine Weile, entdecke die Route nach oben, die doch nicht so erschreckend exponiert über den Abgrund führt, sondern durch eine vertikale Felsspalte und entschließe, dass ich den Aufstieg meiner Höhenangst durchaus zumuten kann.
    Mittlerweile hat sich das Wetter verändert. Die Temperatur ist abgesunken und ich habe längst zwei weitere Schichten übergezogen. Es beginnt zu nieseln und zu winden und aus Richtung Süden ziehen dramatisch dunkle Wolken heran. Mein Rucksack bekommt seine Regenhülle übergestülpt, dann schubse ich ihn in ein Versteck, bevor ich mich über das Geröll auf den Weg nach oben mache.
    Ich komme nicht weit. Der Wind wird immer heftiger über meinem Kopf senken sich Wolken auf den Berg herab. Dicke Regentropfen pladdern runter und die Steine werden glitschig. Da mag der Berg noch so laut rufen, bei dem Wetter macht das keinen Sinn. Ich breche ab und kraxle seeehr vorsichtig wieder runter.
    Für den Weiterweg muß ich Handschuhe und Mütze rauskramen und die Regenjacke überziehen. Nach Litlos geht es anschließend durch eine trübsinnige Mondlandschaft voll brüchiger Altschneefelder. Das Auge hat nicht viel, an dem es sich festhalten kann und ich gehe flotter, als ich mir eigentlich vorgenommen hatte. Umgebung und Wetter drücken auf meine Stimmung.
    Ab Grøndalen macht die Landschaft ihrem Namen alle Ehren: es wird grüner.
    Nach weiteren Aufs und Abs kann ich bald die DNT-Hütte am Litlosvatnet sehen. Irgendwie hatte ich gedacht, dass dort mehr los sei, zumal dort auch Wasserflugzeuge landen und die Jagdsaison jetzt beginnt. Die Hütte soll ein beliebter Ausgangspunkt für Jäger sein. Aber als ich dort eintreffe, ist es dort ebenso einsam wie an den anderen Hütten, die ich bisher passiert habe.
    Ich mache ein Päuschen und quatsche ein bisschen mit zwei Norgwegern, die kurz nach mir eintreffen. Die beiden sind auf dem Hårteigen gewesen, ihnen gehörten die dort verstauten Rucksäcke und sie haben mich von oben gesehen. Der Abstieg, sagen sie, sei wegen des Wetters „not funny“ gewesen und gesehen haben sie von dort oben leider auch nix.
    Die Litlos-Hütte erscheint mir stark überheizt nach dem nasskalten Wetter draußen, aber ich habe einen furchtbaren Heißhunger auf Vitamine und kaufe mir zwei Äpfel, die für den Preis eigentlich vergoldet hätten sein müssen. Nun ja, hier sind die Lieferwege eben länger und aufwändiger als beim Ruhrpott-Discounter.



    Für mich geht’s dann weiter in Richtung Hellevassbu. Auf dem Weg um den See kommen mir die ersten Rentierjäger entgegen. Während die einen brav im Flecktarn und mit Flinte unterwegs sind, sehen andere aus wie ein Killerkommando, das morgen die Weltherrschaft an sich reißen will. Nett sind sie trotzdem.
    Ich halte nach der Räuberhöhle Ausschau, die sich hier irgendwo befinden soll, obwohl mir die Rentierjäger gesagt haben, dass sie sich viel weiter südlich befinden soll und nicht zu sehen ist. Recht haben sie, nix zu sehen.
    Kurz vor dem ersten steileren Anstieg treffe ich eine Gruppe älterer Norweger, die seit vier Tagen unterwegs sind und sich allesamt sichtlich schwertun. Alle vier sind ziemlich baff, dass jemand freiwillig drei Wochen hier herumrennt und lieber im Zelt schläft als in den gemütlichen Hütten, die stehen doch extra deswegen hier herum. Ich erkläre ihnen, dass für Deutsche das Jedermannsrecht eine richtig tolle Sache ist, die wir gerne weidlich ausnutzen wollen.
    Kalt ist es, aber trocken.
    Ich lasse die Wanderer hinter mir und erklimme den Anstieg. Oben treffe ich auf einen weiteren Rentierjäger, der mit zwei weiteren Kollegen unterwegs ist. Sie stehen über Funk in Verbindung. Der Jäger begleitet mich ein gutes Stück und erzählt mir viel über seine Beute und über das Jagen in Norwegen allgemein. 3 seiner genehmigten 9 Rene hat er bereits geschossen. Dort, wo wir uns gerade befinden, kommen die Tiere um diese Zeit zu Tausenden durch; er zeigt mir die breite Spurschneise im Schnee. Ausgerechnet heute kommt natürlich kein einziges Rentier vorbei.
    Die Schneefelder sind mittlerweile extrem brüchig und aus breiten Rissen hört man das Wasser darunter gurgeln. Ich mache große Umwege um diese unsichere Angelegenheit.





    Der weitere Weg bietet immer wieder schönen Weitblick und ist im Großen und Ganzen entspannende. Nur das letzte Stück nach Hellevassbu ist nervig, da man von Stein zu Stein hüpfen und immer wieder nach einem Weiterkommen schauen muss. Das letzte Stück zieht sich, ein paar harmlose Flüsschen sind zu queren, aber dann habe ich die Hütte auch schon erreicht.
    Ich treffe dort die beiden Norweger vom Hårteigen, die hoffen, dass ich auch in Hellevassbu übernachten will. Einer der beiden spricht etwas Deutsch und freut sich, seine Kenntnisse ausprobieren zu können. Ich will allerdings nur etwas Proviant laden. Trotzdem bleibe ich länger dort. Der Hüttenwart und sein Sohn sind Dänen, beide sprechen deutsch und langweilen sich zu Tode. Auch sie sagen, dass es dieses Jahr extrem ruhig hier sei und dass sie deswegen bereits morgen nach Hause aufbrechen wollen. Zudem seien die wenigen Wanderer, die vorbeikämen, größtenteils Zeltwanderer, Fast habe ich ein schlechtes Gewissen, aber der Hüttenwirt sagt, dass er selber auch lieber mit Zelt unterwegs ist als auf die Hütten angewiesen zu sein. Von ihm erfahre ich auch, dass er vor 4 Wochen ebenfalls in Hallingskarvet gewesen sei, aber wegen der Lawinengefahr, der maroden Schneebrücken und dem miesen Wetter abgebrochen habe.
    Das Proviantlager in Hellevassbu ist gut bestückt und ich kann meinen Vorräte füllen. Danach helfe ich noch beim Geschirrspülen mit, bevor es zurück zur Weggabelung geht. Ich schlage die Richtung Middalsbu ein.
    Das Wetter ist jetzt richtig fies geworden, der Wind beißt und ein typischer Landregen fällt vom Himmel.



    Am Vassdalsvatnet will ich mein Lager aufschlagen, was sich als nicht leicht erweist. Der Untergrund ist steinig und es windet heftig. Es dauert, bis ich eine ebene Fläche gefunden und meinen Mondpalast errichtet habe. Da der Untergrund zu felsig für Heringe ist, muss ich meine Zeltschnüre mit Wackersteinen abspannen.
    Die ganze Zeit knistert und knattert der Wind um mich herum, so dass ich mich bald ins Innere verkrieche. Die Zeltwände beben verheißungsvoll. Mehrmals gehe ich raus und spanne nach, auch wenn da nix nachzuspannen ist.

    Auf dem Speiseplan stehen heute frisch erworbene Rentierklöpschen, dazu heißer Tee. Es wird immer kälter und für die Nacht muss ich meine Thermowäsche anziehen.
    Um das Lärmen der Böen draußen zu übertönen, höre ich ein bisschen „das Lied von Eis und Feuer“ auf dem iPod; der Akkustand geht zur Neige. Ich fühle mich etwas verloren, allein hier draußen in der Kälte und dem Wind. Weit, weit entfernt kann ich die Lichter in der Hütte von Hellevassbu sehen, kleine warme Punkte im Dunkeln.

    24.08 von Hellevassbu weiter nach Middalsbu
    Entgegen meinen Befürchtungen lässt der Wind bald nach und es nieselt nur noch sachte auf das Zelt herab. Erst am Morgen kommen wieder Böen auf, aber längst nicht mehr so heftig wie am Vortag.
    Der Schlafsack hat über Nacht ordentlich Kondens gezogen, aber nach Innen ist nichts gedrungen. Und der Flicken aus Tape hält bombenfest. Aus dem restlichen Eipulver mache ich Rührei zum Frühstück, während mein Krempel im lauen Lüftchen trocknet. Da ich noch 4 Tage Zeit habe, will ich jeweils auf halber Strecke nach Middalsbu und Haukeliseter lagern. Es geht also gemächlich weiter.
    Während ich noch meinen Kram verstaue, höre ich einen grellen Pfiff. Der Hüttenwart von Hellevassbu und sein Sohn stehen oben am Pfad und winken. Für sie geht es heute schon heim. Ich winke zum Abschied.
    Heute sind Handschuhe und dicke Jacke angesagt; es ist kalt. Doch sobald ich den See und den Taleinschnitt hinter mir gelassen habe und weiter bergan steige, bessert sich das Wetter und mir wird warm. Klar, es geht ja auch bergauf.
    Unterwegs treffe ich die beiden Norweger vom Hårteigen wieder. Sie haben hinter Middalsbu im Valldalen ihr Auto stehen und werden den Hüttenwart und seinen Sohn bis nach Røldal mitnehmen. Wir laufen ein gutes Stück gemeinsam. Die beiden sind ziemlich beeindruckt, dass ich 3 Wochen allein unterwegs bin und fragen mich, ob ich das vielleicht professionell mache, für ein Magazin oder so...
    Nach einer Weile verabschieden wir uns, die beiden haben es eilig. Ich hingegen will noch Fotos machen.
    Bald wird mir auch klar, warum für die recht kurze Wegstrecke 3 Stunden laut Karte angesetzt sind: es geht entweder über brüchige Schneefelder oder über mannshohes Geröll bergauf. Dazwischen ist nix, die Landschaft wirkt nur karg. Ich sehe Unmengen an Rentierspuren und weit, weit hinten einen einsamen Jäger.





    Endlich ist die höchste Stelle der Etappe erreicht. Um eine Bergkuppe herum geht es langsam bergab, langsam deshalb, weil mal wieder von-Fels-zu-Fels-hoppen angesagt ist. Nicht zum ersten Mal denke ich daran, was zu tun wäre, wenn ich mir den Knöchel bräche. Die Gegend um mich herum ähnelt einem riesigen Trümmerfeld. Zwischen all dem Geröll muss ich immer wieder nach der nächsten Markierung suchen, manche sind nur schwer zu entdecken, bei anderen frage ich mich, wie ich die zunächst übersehen konnte. Irgendwann wird man stein-blind.
    Bald wird die Landschaft grüner, das Vorwärtskommen wieder leichter. Am Himmel wechseln sich Sonne und Wolken ab. Hier irgendwo habe ich eine Zwischenstation eingeplant.
    Es ist wirklich schön hier, sanft und grün zwischen den hohen schroffen Bergen zu beiden Seiten. Tausend Bächlein plätschern zwischen den Grasbuckeln hindurch.
    Das Valldalen liegt irgendwo vor mir.
    Auf der anderen Seite eines kleinen Flusses lasse ich mich häuslich nieder. Es ist erst Mittag und ich gehe nach dem Zeltaufbau wieder auf Erkundungstour, bevor ich mich über die Wäsche hermache und danach den Sonnenschein genieße. Es wird immer wärmer, die Wolken verziehen sich.
    Zum Abend gibt es Pasta Napoli mit Schinken.
    So langsam steigt Wehmut auf, dass meine Tour sich dem Ende nähert. Andererseits bin ich froh, dass ich die letzten Tage sehr gemütlich angehen und noch einmal die Landschaft um mich herum genießen kann. Unter Zeitdruck würden mir wahrscheinlich sämtliche Eindrücke von unterwegs verloren gehen.
    Bis Middalsbu sind es laut Karte grade noch 3 Stunden.
    Im Laufe des Abends ziehen mehrere Jägergrüppchen vorbei. Die meisten tragen grüne Kraxenrucksäcke, die mich an Luis Trenker erinnern.
    Der übiche Abendnieselregen setzt bald ein, das schöne Wetter weicht einer Wolkenfront.

    25.08. Nach Middalsbu und weiter
    Als ich am nächsten Morgen erwache, ist mein Innenzelt stellenweise nass. Offenbar hat es nachts ordentlich gegossen. Jetzt scheint wieder die Sonne, aber es windet.
    Ich nehme das Zelt zum Trocknen auseinander und frühstücke danach meine fast schon obligatorische Hafergrütze. Wahrscheinlich wird mir zuhause zukünftig morgens was fehlen. Ein paar neugierige Schafe kommen zu Besuch.
    Erst um die Mittagszeit ist mein Zelt trockengefönt genug, um es zu verstauen und es geht weiter.
    Wie sich herausstellt, erreiche ich Middalsbu bereits nach einer guten Stunde.





    Der Weg führt an einem schäumenden Fluß entlang hinab, gesäumt von krüppligen Kiefern und immer üppiger werdender Vegetation. Es duftet nach Grünzeugs.
    Die Hütte liegt direkt am Fluß, am Ende eines Zufahrtsweges. Sie ist verlassen, aber es liegt eine Menge Krempel herum. Ich kaufe etwas Proviant für die letzten paar Tage und gehe wieder meiner Wege.
    Es geht erst über eine Gatterbrücke, dann einen Schotterweg entlang zu einem kleinen Hof. Kurz davor biegt der Weg nach links ab. Rechts sehe ich eine tiefe Klamm, in der türkisblaues Wasser gurgelt und schäumt, ein Stück weiter die Schafspferche, in die die Tiere im Herbst hineingetrieben und von ihren Besitzern abgeholt werden.
    Zunächst ist der Pfad unangenehm schlammig und steinig, aber geht’s leichter voran. Die ganze Zeit begleitet mich der große Valldalsvatnet. Angeblich soll dies mal eines der schönsten Täler in Norwegen gewesen sein, bevor sich die Energiegewinnungsindustrie in Form eines Staudamms am See niederließ. Es ist immer noch sehr schön hier, idyllisch geradezu. Auf der anderen Seeseite sehe ich eine Straße, die nach Middalsbu führt.



    Da ich heute am See zelten will, entere die nächste schöne Stelle oberhalb des Ufers. Das Wasser unter mir ist klar und blaugrün und unter dem Zeltboden habe ich endlich wieder weiches Gras.
    Die heutige Strecke war unbefriedigend kurz, also stapfe ich wieder los und kraxle noch ein paar Stunden durch die Gegend, sammle ein paar schön geformte Steinchen mache tausend Fotos.
    Der Abend klingt mit Bolognese-Nudeln und etwas Hörbuch-Hören aus.

    26.08. Weiter nach Haukeli
    Der Morgen ist trübgrau, das Innenzelt seltsamerweise wieder nass. Dafür war die Nacht sehr warm, zu warm für meinen Schlafsack, aber vielleicht hatte ich auch nur zuviel Energie übrig und habe Heizung gespielt.
    Nach dem Trocknen, Lüften und Hafergrütze-Fassen geht es weiter. Der Weg am Valldalsvatnet ist gemütlich und stellenweise richtig idyllisch. Birken wachsen hier, weiches hohes Gras ist mit Blümchen gesprenkelt. Hier und da liegen Kühe herum, die sich von mir nicht aus der Ruhe bringen lassen. Bald ist die Einmündung zum Slettedalen erreicht. Hier ist es jetzt wirklich wunderschön, zudem kommt auch die Sonne wieder heraus. Es duftet, grünt und blüht um mich herum, und eine hübsche rote Hütte steht hier auch noch malerisch in der Gegend. Der Pfad schlängelt sich erst durch die Bäume, kreuzt tausende Schafspfade, so dass ich immer wieder nach dem gut versteckten roten T suchen muss. Nach einer Weile wird es mir zu bunt und ich gehe nach Gusto weiter bergan.
    Die ganze Zeit begleitet der wild schäumende Fluß.





    Ich lasse die Baumgrenze hinter mir, der Blick zurück ist grandios. Dann geht es weiter durch das karge, steinige Slettedalen, Die Strecke zieht sich, der Weg schlägt seltsame Bögen, lässt allerdings offenbar keinen Hügel und keine Felsstufe aus, über die sich kraxeln lässt. Die Markierungen sind nicht immer sofort zu finden, aber da es eh nur eine Richtung gibt, ist das auch kein Drama. Die Umgebung erinnert an eine Mondlandschaft, das lichtgrüne Valldalen ist Vergangenheit.
    Nach einem weiteren Bergauf liegt schon der Nupstjorn vor mir. Eigentlich wollte ich mir doch Zeit lassen …



    Weit oberhalb führt der Pfad am Hang entlang zum anderen Ende des Sees, der in irgendeiner Form zur Regulierung genutzt wird. Hier oben fühlt man sich wirklich, als hätte man das Ende der Welt erreicht. Die Farbpalette reicht von Schiefergrau über Felsbraun bis zu Altschneeweißgrau. Die schrägen Schneebretter am steilen Hang, die man queren muss, sind verdammt tückisch und übelst glatt. Ich rutsche mehrmals aus und sehe mich schon unten im Wasser landen. Die Trekkingstöcker sind eine große Hilfe und bald habe ich das Schlimmste hinter mir. Es folgt etwas Kletterei, dann kann ich den kleinen See in voller Pracht von oben bewundern.
    Runter und wieder rauf geht es. Nach dem letzten Aufstieg öffent sich rechterhand ein toller Ausblick auf das Nupsdalen, seine zwei kleinen Seen und weiter hinten der Ulevåvatnet, wo sich auch die Straße befindet, die an Haukeliseter vorbeiführt.
    Das Tal ist sanft geschwungen und sattgrün, perfekt für ein letztes Zeltlager, bevor es nach Hause geht.





    Ich laufe bis zum Ende des zweiten Sees, bevor ich eine schöne Stelle mit Aussicht finde.
    Natürlich setzt pünktlich nach Zeltaufbau der Regen wieder ein. Ich koche mir einen Kakao und lasse die Tour wehmütig Revue passieren. Sobald die Sonne hinter den Bergen verschwindet, wird es kalt und windig, der Regen nimmt zu. Hoffentlich bleibt das Innenzelt in dieser Nacht trocken.
    Die Küche serviert Pasta di Parma mit Erbsen und Möhren. Was freue ich mich auf einen knackigen Salat! Vor meinem inneren Auge hüpfen Mangos, Äpfel und Trauben herum.



    27.08. Haukeliseter
    Wolkenloser Himmel am nächsten Morgen. Wehmütig lasse ich Schlafsack und Zelt trocknen und lüften und bereite mir ein Reste-Frühstück. Ein letztes Mal wird alles verpackt, diesmal rückreisetauglich; die Transporthülle für den Rucksack kommt griffbereit ganz nach oben.
    Ein letztes Mal umschauen, dann geht es nach Haukeliseter.
    Bald sehe ich schon die Straße auf der anderen Seite des Wassers, doch zunächst erreiche ich einen Schotterweg, der an einer Ziegenfarm vorbeiführt. Laut meiner Karte hätte ich ein gutes Stück an der Bundesstraße langlaufen müssen, um Haukeliseter zu erreichen, doch zu meiner Erleichterung bleibt mir der Pfad diesseits erhalten. An einer Einmündung von der Schnellstraße stehen ein paar Autos herum. Motorenlärm rauscht vorbei. Die Zivilisation hat mich wieder...
    Der Weg wendet sich von der Straße weg und führt wieder ins Hügelland hinauf. Die Stille kehrt zurück. Von oben kann man den Verlauf der Straße schön sehen, ein graues Band in der Landschaft. Dann sind bald nur noch Grün und kleine blaue Tümpel um mich herum. Ich genieße ein letztes Mal die Ruhe und den Frieden und erreiche viel zu schnell den Punkt, von dem aus man auf den See hinabblickt, am dem die Hütte Haukeliseter sieht. Wirkt auf mich wie eine rustikale Autobahn-Raststätte. Neben der Fjellstue steht ein Helikopter.



    In der Hütte erkundige ich mich erst einmal nach den Duschen. Die Duschkabine ist luxuriös, aber leider gibt es nur eiskaltes Wasser. Ich mache mich zivilsationsfein, so gut es geht und miete mir ein Bett im Dormitory. Das Dorm ist ziemlich schmuddelig, überall liegen leere Tüten und Packungen rum und durchgefegt wurde hier wohl auch schon lange nicht mehr. Wollmäuse kullern durch die Stube. Das Bett würde ich ohne Inlett im Leben nicht benutzen. Aber für die paar Stunden bis zur Busabfahrt wird es wohl gehen.
    Meine letzte Gaskartusche hat noch drei Viertel Inhalt. Ich verschenke sie an zwei Studenten, die gerade zu ihrem Hike aufbrechen wollen. Anschließend entsorge ich meine Müllsammlung und gönne mir zum Ausklang ein leckeres Lachsfilet mit Kräuterkartoffeln und Salat. Salat!!! Und Orangensaft!!!!
    Und pünktlich zur Abreise wird das Wetter wieder richtig mies, nass und kalt und usselig. Ich lustwandle nur kurz am Seeufer herum, bevor ich zurück ins Trockene flüchte.
    Das große Dorm mit seinen über zwanzig Betten habe ich für mich allein. Mein Handywecker schmeißt mich kurz nach Mitternacht aus den Federn. Noch einmal den Rucksack packen, diesmal werden die Trekkingstöcke sicher im Innern verpackt, dann ab in die kalte Nacht. Mit mir wartet ein älterer Herr mit vielen Plastiktüten auf den Nachtbus, der uns zurück nach Oslo bringen soll. Der Bus ist pünktlich und nur spärlich besetzt, ich kann mich also auf einem Doppelsitz breitmachen und weiterschlafen.

    28.08. Heimreise
    Gegen 07:20 komme ich in Oslo an, ziemlich verschlafen. Das Wetter hat sich seit meiner Abreise offenbar nicht verändert. Die Stadt erwacht gerade, Zeit für ein gediegenes Frühstück mit Kaffee und frischen Brötchen, dann geht’s weiter zum Flughafen.
    Wieder gibt es Probleme mit meinem Rucksack. Ich muss quer durch den Airport zum Sperrgutschalter dackeln, trotz Trageriemen um die Schutzhülle und obwohl ich diesmal die Trekkingstöcke piekssicher im Innern des Rucksacks versenkt habe.
    In Düsseldorf wird das gute Stück dann aber nicht über das Sperrgutband ausgeliefert, an dem ich brav ausharre, sondern zieht einsam seine Runden auf dem normalen Gepäckband, das natürlich auch wieder eine halbe Meile entfernt ist... grmbl.


    Hmm, persönliches Fazit: Das war meine erste Tour in den Norden und sie hat mir sehr gefallen. So gut, dass bereits die nächste Solotour "nach da oben" feststeht.

    Die baumlose Weite kam meinem Laufdrang sehr entgegen und es war weitaus einsamer, als ich zuvor dachte (vermutlich lag dies am langen Winter in diesem Jahr). Die zweite Hälfte meiner Tour war mehr gemütliches Wandern, während die erste Hälfte abenteuerlicher schien, nicht zuletzt, weil auf dem arktischen Plateau die Routenmarkierungen kaum bis gar nicht vorhanden waren.
    Leider habe ich die Gehzeiten stark überschätzt, andererseits hatte ich dadurch mehr Muße und konnte unökonomische Abstecher in alle möglichen Ecken und Winkel der Vidda machen. Für mich als Südhalbkugel-Wanderin war diese Tour eine völlig neue Erfahrung und ich habe mich dort überraschend wohl gefühlt.
    Zuletzt geändert von wendra; 22.02.2013, 17:35.

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      #3
      AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

      Du kannst gut schreiben. Vielen Dank für den schönen und ausführlichen Bericht.

      Kann man in den norwegischen Hütten eigentlich mit Kreditkarte bezahlen? Ich mache Ende März eine Wintertour um oder über das Hallingskarvet-Massiv und frage mich, ob ich viel Geld wechseln muss.

      EDIT: Im Internet habe ich folgende Aussage gefunden ... "Most staffed lodges have Point-Of-Sale (POS) terminals for payment by debit or credit card. At self-service and no-service cabins you can pay with credit card by filling out an authorisation form ("Betalingsfullmakt") available at the cabin. On the form you must state your credit card number and date of expiration. Drop the form into the payment box/safe at check out. Keep part 2, this is your copy."

      http://english.turistforeningen.no/a...ide&fo_id=3610

      Ich hoffe, dass das noch aktuell ist und nicht wegen Missbräuchen abgeschafft wurde.

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      • ronaldo
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        • 24.01.2011
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        #4
        AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

        Hi,

        danke für den Bericht, ich war beim Lesen direkt dabei... :-)
        War das ganze nicht etwas riskant? An einigen Stellen hätte ja nicht viel gefehlt und du hättest was verstaucht oder gebrochen... und dann?

        Gruß, Ronald

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        • wendra
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          • 24.02.2012
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          #5
          AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

          Zitat von Bergtroll Beitrag anzeigen
          Du kannst gut schreiben. Vielen Dank für den schönen und ausführlichen Bericht.

          Kann man in den norwegischen Hütten eigentlich mit Kreditkarte bezahlen? Ich mache Ende März eine Wintertour um oder über das Hallingskarvet-Massiv und frage mich, ob ich viel Geld wechseln muss.

          EDIT: Im Internet habe ich folgende Aussage gefunden ... "Most staffed lodges have Point-Of-Sale (POS) terminals for payment by debit or credit card. At self-service and no-service cabins you can pay with credit card by filling out an authorisation form ("Betalingsfullmakt") available at the cabin. On the form you must state your credit card number and date of expiration. Drop the form into the payment box/safe at check out. Keep part 2, this is your copy."

          http://english.turistforeningen.no/a...ide&fo_id=3610

          Ich hoffe, dass das noch aktuell ist und nicht wegen Missbräuchen abgeschafft wurde.
          Du kannst mit Kreditkarte oder bar auf den Hütten bezahlen. Bei ersterem füllst du das KK-Formular aus, das dort ausliegt, packst es in das Bezahltütchen und wirfst es in den "Tresor", bei zweiterem kommt das Geld ins Tütchen und dito. Das Ganze basiert auf Vertrauen und man sollte es nicht missbrauchen, wenn man möchte, dass die Hütten auch in den nächsten Jahren noch zur Verfügung stehen.
          Als DNT-Mitglied kommst du billiger weg, die Mitgliedschaft lohnt sich schon ab 3 Übernachtungen, wenn ich richtig gerechnet habe.

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          • wendra
            Erfahren
            • 24.02.2012
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            #6
            AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

            Zitat von ronaldo Beitrag anzeigen
            Hi,

            danke für den Bericht, ich war beim Lesen direkt dabei... :-)
            War das ganze nicht etwas riskant? An einigen Stellen hätte ja nicht viel gefehlt und du hättest was verstaucht oder gebrochen... und dann?

            Gruß, Ronald
            Hmm, ich bin direkt vor meiner Haustür mal vom Linienbus angefahren worden, der die rote Ampel übersehen hatte... beim Lauftraining in der Haard habe ich mir mal einen Muskel gerissen und musste 14km zurück zum Auto "kriechen" ... es gab da noch diverse Attacken von bissigen Hunden, deren Andenken ich heut noch mit mir rumtrage... Gefahren lauern überall. Möglicherweise fällt mir eines Tages sogar ein Satellit auf'm Kopp, wenn ich nur das Haus verlasse...

            Und wenn ich tatsächlich mal auf Tour umknicken sollte o.ä., schaff ichs sicher noch bis zur nächsten Hütte oder bis zum nächsten "Handyempfang".
            Zuhause habe ich meine geplante Route hinterlassen und entsprechend meinen Standort durchgegeben, wenn ich anrufen konnte. Ich habe aber im Laufe der Jahre festgestellt, dass ich unterwegs durchaus "bedächtiger" und bewußter laufe als in heimischen Gefilden. In 26 Jahren bin ich auf Tour noch nie wegen einer Verletzung liegengeblieben (muss natürlich nix heißen, Shit happens jederzeit).

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            • mercator
              Gerne im Forum
              • 13.02.2013
              • 55
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              #7
              AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

              Tolle Tour und super Bericht

              Konnte gar nicht aufhoeren zu lesen.

              Ich hoere meinen Kompass von innen vor die Schranktuer boellern. Er will raus

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              • sarek2007
                Erfahren
                • 22.08.2007
                • 449
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

                Toller Bericht aus einer größtenteils sehr vertrauten Gegend!

                Endlich auch mal eine Tour durch das sehr selten begangene Sletedalen. Die meisten folgen der in Büchern beschriebenen Hauptroute von Hellevassbu direkt nach Haukeliseter. Dabei ist der Weg Middalsbu wirklich schön. Habe dort etliche Kindheitssommer verbracht.

                Klitzekleine Korrektur: Am 14.8. bist Du auf dem Weg nach Liseth. Dort taucht 2mal schon Litlos auf, in der Überschrift und im Text.

                Jetzt ist das Fernweh wieder da und die Planung für den diesjährigen Sommer kann beginnen.

                Herzlichen Dank!

                Tilman

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                • wendra
                  Erfahren
                  • 24.02.2012
                  • 149
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

                  Zitat von sarek2007 Beitrag anzeigen

                  Klitzekleine Korrektur: Am 14.8. bist Du auf dem Weg nach Liseth. Dort taucht 2mal schon Litlos auf, in der Überschrift und im Text.
                  Hast recht. Schreibfehler meinerseits, den ich gleich mal korrigiere.

                  Kommentar


                  • blauloke

                    Lebt im Forum
                    • 22.08.2008
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                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

                    Schön zu lesender, ausführlicher Bericht, den ich jetzt auf einen Rutsch gelesen habe.
                    Schade nur, dass du deine Fotos so klein eingestellt hast. Etwas größer kämen sie besser zur Geltung.

                    Freue mich schon auf deinen nächsten Reisebericht.
                    Zuletzt geändert von blauloke; 23.02.2013, 14:29.
                    Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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                    • Anti
                      Gerne im Forum
                      • 22.02.2013
                      • 57
                      • Privat

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

                      Toller Bericht, am Valldalsvatnet war ich vor 2 jahren auch, allerdings nur als tagesausflug, super zu lesen und das Nordweh wurde beim lesen immer stärker.Ich freu mich schon auf meine lappland tour im Sommer
                      ......So hat er abends seinen Rucksack gepackt, den Hut genommen und zu seiner Frau gesagt:
                      Das Wetter ist schlecht, warte auf die Sonne
                      das ist der Tag, an dem ich wiederkomme..........
                      ..

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                      • peter97
                        Erfahren
                        • 30.01.2013
                        • 326
                        • Privat

                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

                        Schöner Bericht, ich hoofe das dein Tele nicht vollkommen hin ist.

                        Peter
                        The solution to pollution is dilution. = Alles eine Frage der Konzentration.

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                        • wendra
                          Erfahren
                          • 24.02.2012
                          • 149
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                          #13
                          AW: [NO] Hallingskarvet und Hardangervidda kreuz und quer und solo

                          Ich hab das Tele eingeschickt und warte noch auf Antwort. Könnte mich jetzt immer noch für die dumme Aktion....

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