[IS] Island 2010 - Kinderkram

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  • tah

    Erfahren
    • 25.01.2009
    • 305
    • Privat

    • Meine Reisen

    #61
    AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

    @wait:
    "... Wie anders der Eindruck, wenn man fast genau der gleichen Stelle fast identische Bilder macht - nur mit viel weniger Wasser. Dagegen hatte ich einen ganz anderen - fast mystischen Blick - zurück auf den See, von dem ihr losgegangen seit. Aber das kennst Du ja, wenn Du diese Strecke schön öfter gegangen bist. ..."

    Das stimmt genau, jedesmal habe ich von dieser Tour völlig andere Bilder mitgebracht. Das ist mir noch an keiner anderen Stelle in den Bergen so deutlich vor Augen gewesen. Vermutlich braucht es sehr viel mehr Zeit, um dort alle möglichen Eindrücke aufnehmen zu können.
    Am beeindruckensten fand ich auf unserer ersten Tour vor zwanzig Jahren den Wechsel aus den Rhyolithbergen in die von frischer schwarzer Asche überzogene Ebene am Altavatn, in welcher strahlend grün die Berge standen. Bei blankem Himmel standen wir in der beginnenden Dämmerung auf dem Abhang des Jökultungur und waren einfach nur stumm vor Ehrfurcht. Vielleicht war das auch so ein mystischer Augenblick, wie Du ihn erlebt hast.
    Kurz zuvor war damals übrigens die Hekla ausgebrochen und hat Teile der umliegenden Gletscher mit einer flockigen rußartigen Asche überzogen, aus welcher spitze Obsidiandolche ragten. Wir sind so vorsichtig wie in einem Mienenfeld gelaufen, um uns nicht zu verletzen. Werde ich niemals vergessen.


    @TEK:
    "Auch wenn ich mich wiederhole: ..."

    Ach was, höre ich immer wieder gern:-) Ganz so uneitel bin ich nicht:-(

    "... Noch heute erinnern meine damaligen Wandergefährtinnen und ich uns beim Zusammensitzen vor allem an diese zumindest im Nachhinein lustigen Missgeschicke, von denen unsere Tour durchzogen war."

    Ist schon kurios. Alle Touren ohne diese kleinen "liebenswerten" Mißgeschicke empfinde ich inzwischen irgendwie unvollständig. Einfach zu glatt. Da fehlt eindeutig der Glamour.

    Eine Auswahl? ... am Flughafen festgestellt, dass der Ausweis abgelaufen ist ... am ersten Abend im Zelt mit gebrochener Benzinleitung ohne warmes Essen rumgesessen ... mitten im Hochland die Verpflegung nicht mehr vertragen, und und und

    Peinlich, nicht? Irgendwann hat man so viel Erfahrung angehäuft und es reicht (zum Glück) immer noch nicht aus.


    @bjoernsson
    "Bei der Beschreibung eures "Kampfes mit dem Pfannkuchen" musste ich an das "Rührei aus der Tüte" bei meiner Schwedentour denken. An diesem Abend gingen wir hungrig in den Schlafsack... "

    ... inzwischen testen wir vor lauter Paranoia selbst die Müsliriegel - sie könnten ja die Mischung verändert haben:-)

    "Sehr ergriffen hat mich die Stelle, wo du die Angst vor dem Sturm beschreibst."

    Das war so eine Situation, bei der ich mich im Nachhinein auch gefragt habe, wie viel Kontrolle wir noch hatten. Es war bei weitem nicht existentiell, aber es hat uns wieder einmal gezeigt, wie dünn letztlich das Eis sein kann. Das Einzige was uns in diesen Situationen geholfen hat, war übrigens Ruhe auszustrahlen. Einfach so zu tun, als gäbe es nichts Normaleres auf der ganzen Welt.


    @Haggis
    "... Seit einigen Tagen ist er der Grund warum ich voller Ungeduld den Rechner hochfahre."

    ups, was habe ich getan:-)

    "Oh Mann, ich muss gestehen, ich hatte bei der "Szene" mit dem verängstigten Kind im Sturm einen kleinen Kloß im Hals. Vermutlich bin ich ein Weichei... "

    Nein, ging mir dort auch genau so. Und dazu stehe ich, Punkt.


    @en dråpe
    "Hoffentlich ist die Tour noch schöööööööön lang-damit ich noch einige von Euren Erlebnissen lesen darf."

    Ja, da kommen noch ein paar Stellen, über die es sich zu berichten lohnt.


    @all:
    Es freut mich natürlich, dass es Euch weiterhin so gefällt:-)
    Nach ein paar Tagen Zwangspause, wird es hier auch in Kürze auch weitergehen. ... noch ein paar Fotos ... noch ein paar Zeilen ...

    Viele Grüße bis dahin. Tom
    Schnee ist auch nur schick aufgemachtes Wasser.

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    • tah

      Erfahren
      • 25.01.2009
      • 305
      • Privat

      • Meine Reisen

      #62
      AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

      Tag 10: Hrafntinnusker – Landmannalaugar (Teil 1)
      Hrafntinnusker: N63 55.999 W19 10.092 // 6,8 km // 08:20 - 11:10 // 2 h 50 min

      Wie funktioniert eigentlich eine vollkommen überfüllte Hütte am Morgen? Es ist ein Experiment, auf welches wir gespannt sind. Am Abend zuvor war es von allen Beteiligten schon eine Meisterleistung an Geduld und freundlicher Ausdauer, das Zubereiten der Speisen auf den nur sechs Kochstellen zu organisieren. Draußen zu kochen war ausgeschlossen, da der Sturm das Plateau weiter mit Regen überschwemmte. Die wenigen Plätze an den Tischen wurden reihum genutzt. Geschätzt neunzig Personen haben die Nacht in der Hütte zugebracht, fast doppelt so viele wie vorgesehen. Auf den etwas breiteren, unteren Schlafplätzen der Stockbetten haben die Leute zu zweit geschlafen und selbst auf den oberen Plätzen lagen sie oft eng aneinander gedrängt. Die Hüttenwirtin war in diesem Fall, wie man so sagt, freundlich aber sehr bestimmt. Und der Rest der Meute verteilte sich eben überall dort, wo auf dem Boden noch ein Platz zu finden war. Irgendwie hat uns die Enge an unsere besten Interrail-Zeiten erinnert, ganz, ganz weit im Osten. War eine schöne Zeit.

      Das Besondere an der Situation scheint allen bewusst zu sein, denn obwohl bereits Tuscheln und Rascheln aus fast jeder Ecke der Hütte zu hören ist, getraut sich scheinbar niemand den Anfang zu machen. Aufgereiht wie Seidenspinnerraupen liegen wir ausgerichtet und eng aneinander geschmiegt nebeneinander. Es wird auf einen Wettlauf hinauslaufen. Der erste, der aufsteht, gibt den Startschuss und der Rest folgt in wilder Hatz. Gespannte Unentschlossenheit liegt in der Luft. Nebel wabert am Fenster im Dachgiebel vorbei und gibt manchmal den Blick auf blau scheinende Flecken frei.

      Zeitgleich erheben sich an drei verschiedenen Stellen auf unserer Ebene die ersten Wanderer, grüßen sich und gehen beton langsam aber synchron zu Treppe. Ohne eine Sekunde zu verlieren, folgen Finn und ich der sich im Nu bildenden Schlange. Mit Iris haben wir ausgemacht, dass sie sich um die Kinder und das Packen der Rucksäcke kümmern wird, währenddessen wir die Organisation unseres Frühstücks versuchen wollen. Auf der Treppe bildet sich ein Stau, da aus den unteren Räumen ebenfalls die ersten Wanderer das Rennen um die Küchenplätze aufgenommen haben. Wir stehen an. Vor uns warten etwa zehn Leute und in der Küche fauchen die Kocher. Hinter uns ein unendliches Meer an hungrigen Mäulern. Nicht dass wir uns in irgendeiner Weise bedrängt fühlen. Aber jetzt mal eben aus der Reihe ausscheren, um sich zu waschen oder … das WC wird bestimmt ein Spaß. Auch die Suche nach den Schuhen, Regenjacken, Hosen, Strümpfen, Handschuhen und Stöcken im Trockenraum wird eine Herausforderung. Ich bin mir mit Finn einig, dass das so nicht funktionieren kann.

      Während die Köche bereits ihre Bewegungen gleich einem Ballett choreografieren – ein gehobener Arm überfliegt einen sich galant im Halbkreis abtauchenden Kopf, ein Rücken schiebt sich im Takt der klappernden Löffel an einem anderen vorbei, wehende Haare, glitzernde Augen, durcheinander stampfende Füße – formt das Bollern des kochenden Wassers in den überdimensionalen, zwanzig Liter fassenden Töpfen einen Beat, welcher die Hütte einnimmt, die Balken schwingen und vibrieren lässt – Köpfe zucken im Takt, Hände trommeln nervös auf dem Geländer, Geruch frischen Frühstücks pulst aus der Öffnung des im Dunst verschwindenden Küchenraums, blau zischend züngelnde Flammen peitschen die Temperatur in ungeahnte Höhen – und eine Symphonie gleicher Gedanken giert dem Moment entgegen, endlich selbst eintreten zu können.


      Bild: Weg zum Hrafntinnusker Gletscherfeld


      Bild ... Trolle?


      Bild: Querung über das Eisfeld

      Hart fällt die Tür hinter uns ins Schloss. Trockener Morgenwind mit dem reinen Duft eines unberührten Gletschers umgibt uns. Der erste tiefe Atemzug jenseits der subtropischen Hitze der hinter uns liegenden Hütte. Kühle. Stiller Wohlklang. Wolkenfetzen treiben. Himmel.

      Wir haben plötzlich Zeit, denn unser Plan wurde durch eine unbeirrbare Eingebung geändert. Wir zäumen das Pferd von hinten auf und machen trotzdem das einzig Richtige. Die hinter uns in der Schlange stehenden werden aus Dank dafür, dass wir sie um zwei Plätze vorrücken ließen, uns kochendes Wasser für Tee und Kaffee bringen, während wir die Gunst der Stunde nutzen, unsere Habseligkeiten aus dem Trockenraum zu klauben. Wir werden ein ausgiebiges Frühstück und unseren Abmarsch verschieben. Wir werden die Hektik und das Gedränge vermeiden und uns so den Tag retten. Wir werden spazieren gehen. Unbeschwert von jeder Last wird uns unser Ausflug zu den beiden vor zwei Jahren eingestürzten Eishöhlen auf der anderen Seite des Hrafntinnusker Gletscherfeldes bringen. Und später, wenn die Hütte entvölkert dem nächsten nachmittäglichen Ansturm entgegendämmert, werden wir allen Platz der Welt für uns beanspruchen können, ohne jemanden behelligen zu müssen. Das ist der neue Plan.

      Eine riesige Auswahl an Kleidung hängt im Trockenraum vor uns. Marken, bessere Marken, verbotene Marken, Nicht-Marken, selbst gestrickte Marken. Noch ist alles da, selbst den Schlamm hat sich noch keiner getraut zu entfernen. Wir graben unter einem riesigen Berg Schuhe die richtigen aus, schlagen die hart gewordenen Krusten ab und schälen Schicht für Schicht die ursprünglichen Formen heraus. Dutzende Stöcke vergleichen wir, bevor wir mit einiger Sicherheit, aber wer will dass schon beschwören, die unsrigen gefunden haben. Auf einem Haufen zusammengelegt und verschnürt werden wir unsere Sachen in wenigen Minuten wiederfinden.

      Das heiße Wasser kommt. Wir bedanken uns gegenseitig voller Freundlichkeit und steigen zum Rest unserer Gruppe auf. Die Rucksäcke sind fast fertig gepackt. Die Idee ist schnell erklärt und stößt auf Gegenliebe. Ein kurzes Katzenfrühstück auf der Treppe, während wir das Chaos aus der Vogelperspektive genießen. Es ist so wenig Platz auf der unteren Ebene, dass alle Bewegungen in Zeitlupe gefrieren. Entschleunigung pur, gebremste Entropie. Akrobatische, denkmalgleiche Verrenkungen. Voller Vorfreude, der Enge entschwinden zu können, winden wir uns durch die erstarrte Menschenmasse dem Ausgang zu, finden unseren Kleiderberg und haben es geschafft. Mit dem Durchschreiten der Schwelle sind wir aus der Hütte ehrwürdiger Nacht alle an das Licht gebracht. Wolfgang, Wolfgang, das werde ich dir nie vergessen.


      Bild: Hrafntinnusker Gletscherfeld


      Bild: Hrafntinnusker Gletscherfeld


      Bild: Heiße Quelllen

      Feucht glänzend liegen die anthrazitfarbenen Obsidian-Steinfelder vor uns, als wir uns in Richtung Norden aufmachen, um den Hrafntinnusker zu umrunden. Der anfangs leicht ansteigende Weg ist nicht weit. Eine dreiviertel Stunde lang geht es durch Nebelschwaden, so dünn, dass das Licht gleißend blendet. Lichtflecken tanzen um uns herum. Bizarre Felsgestalten tauchen unvermutet auf, bleiben zurück. Trolle eben. Die Jungs sind ehrfürchtig gespannt, denn die sagenumwitterten, menschenverschlingenden Eisgrotten sind unser Ziel.

      Und genauso plötzlich, wie wir in den Nebel eingetaucht sind, stehen wir am Anfang des zu querenden Gletscherfeldes. Zu weit links begangen würde es gefährlich werden. Direkt an der vierzig, fünfzig Meter hohen Abbruchkante würden wir enden. Ein etwa vier bis fünf Grad nach Norden weisender Westkurs ist die richtige Richtung. In guten Jahren mit weniger Sturm stehen hier Markierungsstangen oder eingetretene Spuren sind zu finden. Das Gletscherfeld ist nicht wirklich steil aber immer noch steil genug, dass wir uns eine Unachtsamkeit nicht leisten wollen. Uns mit den Stöcken abstützend, trippeln wir Meter für Meter hinab. Die Kinder gehen zwischen uns.

      Als wir uns am Ende des Eisfeldes umdrehen, bricht kurz die Sonne durch den Dunst. Heute ist sie auf unserer Seite, heute zeigt sie uns den Weg. Einige Meter noch und wir ahnen es, bevor wir es sehen. Linkerhand fällt die Landschaft ab, breitet sich der Talkessel aus. Einige Meter noch und der mit rostbraunen Bächen durchzogene schwarze Sander wird sichtbar, das Grün der Moose und Flechten an den heißen Quellen leuchtet. Einige Meter noch und der Nebel lichtet sich gleich einem Vorhang, gibt den Blick frei auf die zertrümmerten Eishöhlen. „Unspektakulär.“, sagen die Jungs. „Wartet es nur ab.“, sage ich.

      Im Angesicht des harmlos und einladend aussehenden Gletscherfeldes möchte ich von den Gefahren erzählen. Aber wie? Es ist so ruhig hier, fast frühlingshaft. Mich würde es nicht wundern, wenn jetzt gleich noch ein Vogel anfangen würde zu tschilpen. Wir steigen ab, um uns den Gletscher aus der Nähe anzusehen. Menschenleer liegt die Ebene vor uns.


      Bild: ... nah dran


      Bild: ... abgestürzte Eishöhle


      Bild: ... neue Baby-Grotten

      Weiter unten wird die Neugierde der Jungs wieder geweckt, gibt es doch sprudelnde und fauchende heiße Quellen zu entdecken, in deren Nähe sich verschiedene Farben bunt mischen. Türkis, Grellweiß, Schwarz, Rostrot, Grau, Grün, Gelb, Rot. Alle möglichen Schattierungen sind vertreten. Etwas näher an den eingestürzten Eishöhlen, aber immer noch in einer mehr als sicheren Entfernung, entdecken wir die alte, zerstörte Sicherheitsmarkierung. Völlig zerschlagen und verbogen liegen die mit gelber Farbe angestrichenen Stahlrohre auf einem Haufen aufgeschichtet. Das zerbeulte Schild weist noch eindringlich darauf hin, sich den Höhlen nicht zu sehr zu nähern. Vor einem Betreten wird gewarnt. Nun, letzteres hat sich seit dem Einsturz der Höhlen im Frühjahr vor zwei Jahren inzwischen erledigt. Aber auch davor hätten unzählige Abenteurer dieses Schild lieber beherzigen sollen. Für einen von ihnen kam diese Erkenntnis zu spät.

      Ehrfurcht? Fehlanzeige. Respekt? Wovor. Wie also erklären wir nur, dass dieser riesige massige Berg aus Eis nicht so harmlos ist, wie er heute aussieht? Keine Ahnung. Abgestürzt liegt der Rest des riesigen Dachs der Höhlen vor uns, eher dem Zubehör eines Abenteuerspielplatzes gleichend als dem des Todes. „Bitte, Bitte, Bitte, wir möchten doch nur bis zum Rand des Eishaufens gehen. Weiter fällt doch bestimmt kein Eis.“, betteln die Jungs uns die Ohren voll. Ein Sack voller Flöhe ist einfacher zu hüten. Näher und näher versuchen sie die unsichtbare Barriere an das Eis zu verschieben, welche wir mit Worten immerfort neu auslegen.

      Der Gletscher hilft uns. Er räuspert sich. Schickt eine schmale Eisgirlande von ganz oben herab. Sie segelt majestätisch, neigt sich, dreht sich im Kreis, um die eigene Achse, zerbirst in tausend fußballgroße Splitter, welche donnernd auf dem Boden einschlagen. Na das hat gesessen. Der Schreck ist wieder einmal groß. Vielen Dank auch. Wenn wir schon keinen Respekt verdienen, dann wenigsten du. Der Abstand der Jungs zum Eis vergrößert sich wieder merklich. Erziehung kann so einfach sein.


      Bild: Eisbruch


      Bild: Sander


      Bild: ... es gibt ein Eis unter dem Sander

      Neben dem riesigen Gletscherbruch ist natürlich noch viel mehr zu entdecken, wenn man sich die Mühe macht, den Hrafntinnusker in Richtung Westen weiter zu umrunden. Aus dem Gletscher fließt das Regenwasser der vergangenen Tage ab. Überall sprudelt Wasser heraus. Die Sanderflächen, mal fest wie Stein, mal weich wie Treibsand, werden von unzähligen Rinnsalen und Bächen zerschnitten. Und doppelte Vorsicht ist angesagt. Unter dem ganzen Dreck verbirgt sich manchmal noch ziemlich viel Eis. Ausgehöhlt vom steten Strom des Wassers liegt es wie ein morscher Schwamm verborgen darnieder, auf unvorsichtige Wanderer wartend, um sie je nach Tageslaune passieren zu lassen oder in die Tiefe zu schicken. Wir wären nicht die ersten, die sich hier die Beine brechen. Oder gar für immer verschwinden? Keine Ahnung, Kinder. Das wird sich noch zeigen, so in ein- bis zweihundert Jahren.

      Auf dem Weg nach Westen schärfen wir unseren Blick, können bald mühelos an der Farbe des Sandes und des Eises erkennen, ob der Boden hält oder bricht. Können am versteckten Gurgeln des Wassers unter unseren Füßen hören, wann besonders große Gefahren lauern. Sehen, dass die Welt aus vielen Schichten gleich einer Zwiebel besteht. Jahresringe aus Sand und Eis. Und tiefer und tiefer fließt das Wasser in Kaskaden hinab in ein verstecktes Reich. Elben? Trolle? Egal. Sicher ist nur, dass da etwas lebt. Die Stimmen sind eindeutig zu hören.


      Bild: ... unheimliche Spalten


      Bild: ... Welt unter der Welt


      Bild: ... unter der Welt

      Das andere Ende des Gletschers wird wieder von heißen Quellen eingerahmt. Und dort endlich kann ich mein Versprechen mit dem versteckten Schatz einlösen. Wurde auch höchste Zeit, fast wäre mir nichts mehr eingefallen. Mitten im schwarzen Sand liegen sie, die riesigen goldfarbenen Steine. Glitzern in den wenigen verschämt ausgesandten Sonnenstrahlen.
      „Ist das alles GOLD?“, fragen die Kurzen.

      „Nur die schweren Brocken.“, antwortet Iris und krümmt sich vor Lachen, denn es ist klar, was jetzt folgt. Unbeirrt von sämtlichen guten Ratschlägen die Natur nicht zu verändern, graben die Jungs die schönsten Steine aus, wiegen sie kennerisch in den Händen und wählen zweifelsfrei die schwersten von ihnen aus.

      „Was noch einmal kostet ein Kilogramm Gold?“, fragen die Schatzsucher unverblümt, „Fünftausend Euro?“.

      „Zu wenig. Dreißigtausend Euro.“, brummt Finn.

      „Oh, noch viel besser.“ und die Suche wird hektischer. „Ist das jetzt alles Gold, oder was?“, versuchen die Jungs die letzten Zweifel auszuräumen.

      „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiß schon so genau, was sich alles in den Bergen versteckt.“, antworte ich ausweichend, denn aus der Nummer komme ich nicht mehr raus. Klar ist nur, wer die Brocken tragen wird, denn diese Idee ist nur einem einzigen kranken Hirn entsprungen.

      Und wie ärgerlich, genau an diesem Tag antwortet auch keiner der Steine. Wir hören alle ganz genau hin und ich werde überstimmt. Zwei Kilo? Nein, eher drei.


      Bild: ... Giftküche


      Bild: ... eindeutig GOLD


      Bild: Streckenplan


      Bild: Höhenprofil
      Schnee ist auch nur schick aufgemachtes Wasser.

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      • Kamille
        Erfahren
        • 26.02.2012
        • 184
        • Privat

        • Meine Reisen

        #63
        AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

        Ganz großes Abenteuer.

        Durch die Augen eurer Kinder sicher mehr als gigantisch.
        Spannung für die Kapitäne ist reichlich vorhanden. Da lacht mein Herz.

        Volle Kraft vorraus !

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        • TEK
          Dauerbesucher
          • 23.02.2011
          • 718
          • Privat

          • Meine Reisen

          #64
          AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

          Wann gibt's denn die Fortsetzung?

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          • Leitwolf
            Fuchs
            • 02.03.2010
            • 2100
            • Privat

            • Meine Reisen

            #65
            AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

            Hoffe es endet nicht wie der Korsika Bericht
            ,
            Du schreibst Echt Gut daher bitte weiter schreiben
            Wir sind blinde Passagiere unter einem Sternenzelt.Wir sind Koenige und Bettler auf der Suche nach uns selbst. Sind die Herrscher des Planeten, bis sie auseinander fällt.
            Und nur zu Gast auf dieser Welt.

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            • MonaXY

              Fuchs
              • 30.08.2009
              • 1094
              • Privat

              • Meine Reisen

              #66
              AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

              Ganz großes Kino... bitte weiterschreiben
              "Gehe nicht, wohin der Weg führen mag, sondern dorthin, wo kein Weg ist, und hinterlasse eine Spur."
              Jean Paul

              Kommentar


              • tah

                Erfahren
                • 25.01.2009
                • 305
                • Privat

                • Meine Reisen

                #67
                AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                Ganz am Anfang von diesem leider noch sehr kurzen Post >>> vielen, vielen Dank für Eurer anhaltendes Feedback. Hier wird es auf jeden Fall in den nächsten Tagen wieder weitergehen. Momentan muss ich leider beruflich eine ganze Menge schreiben, mir fehlt dann am Abend einfach die Lockerheit für die wirklich wichtigen Zeilen. Männer haben ganz offensichtlich nur ein begrenztes Reservoir an Wörtern im Kopf:-)

                ABER: Ihr wollt es - unsere Kinder wollen es - meine Frau will es - und ich will es auch. Also wird es auch.

                @Kamille:
                "Durch die Augen eurer Kinder sicher mehr als gigantisch."
                Hmm...ja, auf jeden Fall...und im wahrsten Sinne des Wortes. Ich kann mich noch an den längsten Flur der Welt erinnern. Den gabs bei MEINER Oma im gleichen Alter:-)

                "Spannung für die Kapitäne ist reichlich vorhanden."
                Hmm...auch ja. Und die wollen wir auch gar nicht mehr missen.

                "Volle Kraft vorraus !"
                Ey Ey Sir-rrrrrrr!!!


                @TEK:
                "Wann gibt's denn die Fortsetzung?"
                Am Wochenende?


                @Leitwolf:
                "Hoffe es endet nicht wie der Korsika Bericht..."
                Ups, einer hats gemerkt. Und ich hatte gehofft, dass der noch eine Weile so einfach vor sich hin schlummern kann:-)
                Aber die Korsika-Geschichte hat so ungleich viel mehr Höhenmeter, die ist sooo viel anstrengender. Ich bin quasi noch am Regenerieren. Wird schon, ich gebe die Hoffnung nicht auf.


                @MonaXY:
                "Ganz großes Kino..."
                Genau, die nächsten Bilder sind schon eingesammelt - ganz groß in HD:-)

                ... und wieder ganz ernsthaft: Danke.

                Tom
                Schnee ist auch nur schick aufgemachtes Wasser.

                Kommentar


                • Leitwolf
                  Fuchs
                  • 02.03.2010
                  • 2100
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #68
                  AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                  Zitat von tah Beitrag anzeigen


                  @Leitwolf:
                  "Hoffe es endet nicht wie der Korsika Bericht..."
                  Ups, einer hats gemerkt. Und ich hatte gehofft, dass der noch eine Weile so einfach vor sich hin schlummern kann:-)
                  Aber die Korsika-Geschichte hat so ungleich viel mehr Höhenmeter, die ist sooo viel anstrengender. Ich bin quasi noch am Regenerieren. Wird schon, ich gebe die Hoffnung nicht auf.

                  Schön das es weitergehen wird. Wollte damit keinen druck aufbauen, man bangt halt etwas um das Ende da es ja doch den einen oder anderen Bericht gibt der nie zu einem Ende fand.
                  Aufgefallen ist es mir weil ich den Bericht damals schon spannend fand, meinte wegen darf der auch noch etwas weiter schlummern so lange es hier weiter geht.
                  Und kein Stress deswegen - ich kenne das auch das man nicht alles schafft was man gerne würde. Lass dir die zeit die Du brauchst- dann wird es auch wieder so gut wie der bisherige Bericht.


                  Lass dich nicht hetzten.
                  Wir sind blinde Passagiere unter einem Sternenzelt.Wir sind Koenige und Bettler auf der Suche nach uns selbst. Sind die Herrscher des Planeten, bis sie auseinander fällt.
                  Und nur zu Gast auf dieser Welt.

                  Kommentar


                  • Echnathon
                    Fuchs
                    • 20.02.2012
                    • 1316
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #69
                    AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                    Zitat von Leitwolf Beitrag anzeigen
                    Lass dich nicht hetzten.
                    Ja, dem möchte ich mich anschließen.
                    Mach einfach weiter, wie es dir in den Kram passt, hauptsache die Kinder spielen weiter mit.

                    Deine Erfahrungen decken sich mit den meinen, auch wenn "meine" Kinder nicht meine eigenen waren.
                    Kinder laufen, Kinder entdecken, Kinder maulen, und vor allen: Kinder regenerieren in der Zeit, in welcher ich gerade mal den Rucksack abstelle. Und doch drehen sich nahzu alle Gedanken auf Tour um Sie, und das ist gut so.
                    Ich hoffe ja auf "Dividende" wenn ich einmal nicht mehr auf Tour kann
                    Vor allem fesselt mich dein ehrlicher und trotzdem verklärter Schreibstil, neben deinen Bildern natürlich.
                    Die Bilder die mir am besten gefallen sind:




                    und, wegen der Situation auch


                    Die ersten beiden zeigen, warum ich auf Tour gehe: Neue, teils mystische, rätselhafte, aber immer schöne Landschaften und Eindrücke.
                    Das dritte zeigt einfach Kinder, die eine Welt kenne lernen, die so fern Ihres Alltags liegt, aber trotzdem so erreichbar und erlebbar ist. Völlig eins mit der Umwelt, den Eindrücken und den Eltern.

                    Das alles lässt einen manche Last vergessen.

                    Ich freue mich auf den nächsten Teil,

                    Frederik

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                    • cassia
                      Anfänger im Forum
                      • 08.06.2010
                      • 36
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                      • Meine Reisen

                      #70
                      AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                      Gerade erst gefunden.Toll, toll, toll!!!! Ich hoffe, Ihr fahrt noch ganz viel wandern---und ich kann hier dann später dabei sein. Freue mich aufs Wochenende .

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                      • tah

                        Erfahren
                        • 25.01.2009
                        • 305
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                        #71
                        AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                        Gleich gehts hier weiter, aber vorher noch schnell die Post, während sie die Bilder upladen.

                        @Leitwolf:
                        "... man bangt halt etwas um das Ende da es ja doch den einen oder anderen Bericht gibt der nie zu einem Ende fand."

                        Ja wie schade. Bei solchen Berichten gehen mir auch immer ganz viele Gedanken durch den Kopf. Wenn es nur die Unlust ist, weiter fleißig Wörter zu drechseln, kann ich damit noch ganz gut leben. Aber was wäre, wenn noch ganz andere Dinge dahinter steckten? Ich vermisse hier inzwischen schon den einen oder anderen "Kopf". ... Sarekmaniac, Järven, Cody ... ... schon klar, finden ließe sich so manche(r) ...

                        ... ja, ja, trällert Rocketman, die Panik hat so viele Gesichter.


                        @Echnathon:
                        "... Kinder laufen, Kinder entdecken, Kinder maulen, und vor allen: Kinder regenerieren in der Zeit, in welcher ich gerade mal den Rucksack abstelle. Und doch drehen sich nahzu alle Gedanken auf Tour um Sie ..."

                        Wie wahr und wie vollständig.

                        "Die ersten beiden (Bilder) zeigen, warum ich auf Tour gehe: Neue, teils mystische, rätselhafte, aber immer schöne Landschaften und Eindrücke."

                        Du wirst es nicht glauben, aber es gibt Nächte, in denen ich in diesen Farben träume und am nächsten Morgen einige Minuten verstört in meine Welt blicke. Wenn ich ein Fluchttier wäre, dann wäre ich vermutlich ganz schnell weg.

                        "Das dritte (Bild) zeigt einfach Kinder, die eine Welt kenne lernen, die so fern Ihres Alltags liegt, aber trotzdem so erreichbar und erlebbar ist."

                        Das, die Nähe auf Tour und die Unbedingtheit sich auf die anderen einlassen zu müssen und zu wollen ist für mich der (An-) Reiz es immer wieder zu probieren.


                        @cassia
                        ... ups, das Wochenende ist schon wieder vorbei. !?!?:-(

                        Viele Grüße. Tom
                        Zuletzt geändert von tah; 13.03.2012, 01:44.
                        Schnee ist auch nur schick aufgemachtes Wasser.

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                        • tah

                          Erfahren
                          • 25.01.2009
                          • 305
                          • Privat

                          • Meine Reisen

                          #72
                          AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                          Tag 10: Hrafntinnusker – Landmannalaugar
                          Hrafntinnusker: N63 55.999 W19 10.092 // 10,4 km // 12:20 - 15:45 // 4 h 25 min



                          In der Hütte wieder angekommen wuchte ich die goldglänzenden Brocken auf den Tisch und grübele verzweifelt nach einer Strategie sie wieder loszuwerden, während die Jungs von ihrem großen Fang ganz begeistert allerlei Anschaffungen anfangen zu planen. An oberster Stelle stehen natürlich die kompletten Serien einer nordischen Klötzchenbaufirma, welche im normalen Leben unerschwinglich, nunmehr in greifbare Nähe rücken. Ihre Stimmen überschlagen sich, Nummern und Namen fliegen durch den Raum, Verzückung liegt in der Luft. Und über dem Tisch schweben in einer bunten Wolke die verschiedensten Formen, Bauten und Figuren. Drachen sitzen auf hohen Zinnen einer stolzen Feste, Flaggen wehen im Wind, urzeitliche Seemonster durchfurchen furchtlos feindliche Gefilde, Schiffe in schwerer See neigen sich auf die Seite und umkreisen immer kurz vor dem Kentern den Tisch, an welchem wir sitzen.

                          Die Hüttenwirtin runzelt ihre Stirn und ich schüttele leise den Kopf. Als Iris und Finn beginnen unser Mittagessen zu kochen, nutze ich die Gunst der Stunde und geselle mich zu ihr. Die Geschichte ist schnell erzählt, sie lacht und bietet mir ihre Hilfe an. Von einem Bücherregal nimmt sie ein Buch, schlägt eine bestimmte Seite auf und begleitet mich zu unseren Kindern. Erwartungsvolle und zugleich skeptische Blicke empfangen uns.

                          „Müssen wir das Gold jetzt wieder abgeben?“

                          „Nein, warum? Ich habe aber auch keine Ahnung, um was es jetzt geht.“

                          Die Wirtin bittet mich, für die Kindern zu übersetzen. Sie lässt sich die Steine zeigen, zieht ein Klappmesser aus ihrer Hosentasche und schabt etwas Glimmer ab. Mit einem Finger nimmt sie etwas von dem Brösel vom Tisch, leckt ihn auf und kaut kennerisch darauf herum.

                          „Da habt ihr ja einen ganz fabelhaften Fund gemacht.“, fängt sie an zu sprechen. „Es ist eindeutig Gold. Es gehört euch und ihr dürft es mitnehmen, aber es gibt in diesem Land auch einige der alten Regeln zu befolgen.“

                          Sie schiebt das aufgeschlagene Buch in die Mitte, welches eine stark zerfledderte Ausgabe des Hengilssvæðið von Kristinsson ist. Ein auf Isländisch geschriebener Wanderführer, welcher auch Geologie und Naturgeschichte beinhaltet und sich auf ungeklärten Wegen in diese Hütte verirrt hat. Im hinteren Teil des Buchs befinden sich einige der ursprünglichen Regeln des isländischen Wandervereins Feršafelag Íslands, welche sie uns in einer Art Singsang vorliest.

                          „Þér, sem ferðist til þess að njóta fegurðar, hreinleika og göfgi íslenskrar náttúru, lítilsvirðið aldrei fegurstu blettina með því að skilja þar eftir úrgang og matarleifar.

                          Njótið fegurðarinnar,ilmsins og gróðursins en skiljið við hvern stað svo að hann beri ekki brennimerki eftir komu ykkar.

                          Þegar þér veljið fegursta blettinn og hvílið yður um stund, þá skiljið ekki við hann í sárum eftir jarðrask.

                          Virðing fyrir fegurð náttúrunnar er fyrsta skilyrði þess að þér getið notið hennar og hinna göfgandi áhrifa, sem hún veitir.

                          Munið að hvar sem þér leitið hvíldar í náttúrinni, þar er helg jörð.“


                          Erwartungsgemäß verstehen wir rein gar nichts, aber es schindet mächtig viel Eindruck, uralte Gesetze der Wikinger vorgelesen zu bekommen. Und wenn uns bei der anschließenden Übersetzung aus dem Isländischen in das Englische und von dort in das Deutsche nicht allzu gravierende Fehler unterlaufen sind, bedeuten diese Regeln nichts anderes, als den Respekt vor der Natur zu wahren, sie zu schützen und mit allen anderen zu teilen. Vor allem aber der letzte Satz hat es uns angetan, ist er doch sehr, sehr poetisch.

                          Der Hinweis mit dem Teilen bringt uns schließlich zum Kern der Sache. Von dem Gletschergold, so sagt es die Wirtin, steht jedem der es findet nur ein einzelnes Nugget zu. Jetzt ist ein Nugget in seiner Größe zwar nicht definiert, aber wen scheren schon solche Kleinigkeiten und wir einigen uns darauf, dass ein heutiger Nugget genau die Größe eines Hühnereis haben darf.
                          Panik macht sich breit.

                          „Jungs, ich glaube, wir müssen die Regeln befolgen, sonst kommen wir hier nicht mehr weg. Ein Nugget für jeden von euch. Den Rest lassen wir hier.“

                          „Sie will sich doch nur das ganze Gold selbst einstecken!“, flehen mich die Jungs verzweifelt an. „Schau nur, wie sie sich freut! Wir hatten die Arbeit und sie macht den Gewinn! Du kannst doch nicht zulassen, dass sie uns beraubt!“

                          „Na ja, streng genommen habe ich euch einen großen Teil der Arbeit abgenommen. Also steht mir auch ein ziemlicher großer Teil des Gewinns zu.“

                          „Ok, ok.“, kurzes Nachdenken. „Siehst Du, dann beraubt sie dich ja auch! Du musst DRINGEND etwas unternehmen!“, antworten sie in ihrer unnachahmlichen Logik.

                          Ich komme mit dem Übersetzen kaum noch hinterher.

                          „Warum sollte ich ausgerechnet euch süße Jungs bestehlen wollen? Ich könnte mir doch jeden Tag ein paar von den Nuggets holen. Nein, ich darf das genauso wenig wie ihr. Die Regeln sind dazu da, dass der Gletscherschatz gerecht an viele verteilt werden kann.“, kontert die Wirtin. „Ihr müsst leider einen Teil davon wieder zurücklegen.“

                          Über dem Tisch entschweben die Drachen, die Mauern brechen in sich zusammen, die Seemonster lösen sich auf und die Schiffe sinken auf den Grund der Meere – unerreichbar jetzt. Die Enttäuschung ist förmlich mit Händen zu greifen und ich schwöre insgeheim, mir nie wieder eine derart blöde Idee auszudenken.

                          „Was haltet ihr davon, dass ich auf meinen Anteil verzichte und ihr etwas mehr behalten könnt?“, versuche ich die gedrückte Stimmung aufzuhellen. Starre Blicke und Stille. So knapp vor dem absoluten Hauptgewinn und alles zerrinnt. Ich brauche nichts mehr zu übersetzen, alles ist eindeutig und klar.

                          Und wieder einmal kommt Hilfe ganz unverhofft. Die Wirtin bietet uns an, das Gold an einer geheimen Stelle in der Nähe der heißen Quellen unterhalb der Hütte zu vergraben, so dass wir es in den nächsten Jahren Stück für Stück abholen können. Begeistert stimmen die Jungs dem Vorschlag zu. Mit einer Schaufel bewaffnet machen wir uns an den Abstieg und graben unweit der Quellen, welche die Hütte mit Wärme versorgen, eine tiefe Grube. Gold glänzend liegen die Steine in dem Loch, ein letzter wehmütiger Blick, bevor die erste Schippe nassen schwarzen Sandes auf sie fällt. Geschafft.

                          Nach getaner Arbeit betreten wir, wieder einmal schmutzstarrend und vom steilen Aufstieg schwer keuchend, die Hütte. Stolz steht in den Gesichtern der Jungs geschrieben. Stolz breiten sie die Skizze, ihre erste eigene echte Schatzkarte, vor der Wirtin aus. Das Gold ist gerettet und das Essen steht auf dem Tisch. Die Helden lassen es sich schmecken und über ihren Köpfen kreisen wieder die bereits verloren geglaubten Figuren.

                          Als wir nach über einer Stunde endgültig aufbrechen, bedanken wir uns ausnahmslos alle und überschwänglich bei der Hüttenwirtin. Natürlich hat jeder so seine eigenen kleinen Gründe dafür. Die Jungs, weil sie wissen, dass ihr Schatz in guten Händen ist und ich, weil ich weiß, dass er dort viel, viel besser aufgehoben ist als in meinem Rucksack. Wie immer ist Glück für jeden von uns etwas völlig anderes.


                          Bild: Orientierung?


                          Bild: Querung des Hrafntinnusker Gletscherfeldes


                          Bild: Hochebene Austurdalir

                          Das passable Wetter des Vormittags ist in der Zwischenzeit wieder einem diffusen Zustand zwischen dichter Wolkensuppe und eisig scharfen Windböen gewichen, welche uns unverhofft und hinterrücks aus dem Nichts angreifen. Tief vermummt beginnen wir mit dem Abstieg nach Landmannalaugar. Ein fahles Licht hüllt uns ein und der nieselnde Nebel schluckt jedes Geräusch. Die Sicht ist so schlecht, dass wir scheinbar ziellos in den Lavafeldern umherirren. Auch die Markierungen sind nicht mehr auszumachen. Wir müssen auf das GPS zurückgreifen, um den Weg nicht zu verlieren.

                          Nach einigen hundert Metern queren wir noch einmal einen Ausläufer des Hrafntinnusker Gletscherfeldes. Irgendwo hier in der Nähe ist vor sechs Jahren im Sommer in einem Blizzard ein junger Israeli umgekommen. Es ist inzwischen der dritte Platz auf unserer Reise, welcher in der jüngeren Vergangenheit ein solches Opfer gefordert hat. Nicht nur der kalte, vom Gletscher abfließende Wind, lässt uns hier frösteln. Wir rücken enger zusammen. Es gibt heute hier nichts zu sehen und zu reden gibt es auch nichts. Meter um Meter steigen wir ab.

                          Etwa einhundertfünfzig Höhenmeter unterhalb der Hütte erreichen wir endlich die Wolkenuntergrenze, welche binnen weniger Meter scharf geschichtet die Sicht wieder völlig frei gibt. Das ungute, beklemmende Gefühl und die uns begleitenden, dunklen Schatten bleiben in den Wolken zurück. Die Geister des Hochlandes ziehen von dannen. Ein tiefes Durchatmen, ein kurzes Abschütteln. Vorbei.


                          Bild: heiße Quellen am Storihver

                          Direkt vor uns liegen jetzt die heißen Quellen, welche sich durch ihr unentwegtes Fauchen und rhythmisches Spucken schon seit einiger Zeit angekündigt haben. Wie aus den Nüstern eines schlafenden Drachen dringen weiße Schwaden in steten Atemzügen aus einer Erdhöhle. Und als hätte er den Rotz, schickt er heißen, wässrigen Glibber hinterher, flachsen die Jungs.

                          „Aber natürlich.“, sagt Iris. „Wir stehen hier an einer wichtigen Grenze. Ab jetzt betretet ihr das Land des schwarzen Drachen aus der Geschichte, welche ich euch vorgelesen habe. Er schläft. Aber hütet euch davor, ihn aufzuwecken, denn er ist immer noch gefährlich.“

                          „Ach das sind doch nur alte Kamellen und Drachen gibt es eh nicht.“, krakeelt Lukas.

                          „Wollen wir wetten, dass wir heute noch über seinen Schuppenpanzer klettern müssen? Ganz dicht an ihm vorbei führt der Weg und ich sage euch, sein Atem, der stinkt so was von gewaltig.“, lässt Iris nicht locker.

                          „Nie und nimmer gibt es hier einen Drachen und wenn, dann ist das nur so ein Spielzeugding.“, haut Anton vorlaut in die gleiche Bresche. „Wenn da ein Drache ist, werde ich ihn aufspießen.“, brüllt Paul wild mit den Stöcken um sich fuchtelnd.

                          „Kommt ihr Helden, wir werden ja noch sehen, ob ihr euch traut, dem Biest einen Drachenzahn aus seinem verrotteten Maul zu ziehen.“

                          Fast haben die Jungs den kleinen Disput im steten Auf und Ab des folgenden Weges vergessen, als wir nach einer weiteren Stunde den Rand des Plateaus oberhalb der Brandsgil erreichen. Schockschwerenot, da ist er. Majestätisch ausgebreitet liegt er vor uns, der schwarze Drache. Und vertrackterweise führt auch der Weg direkt an seiner linken Flanke vorbei. Haben die Alten wieder einmal recht behalten? Zusammengerottet schleichen die Jungs in unserem Wind- oder gar Sichtschatten und beraten sich. So richtig klar gestaltet sich die Situation für sie nicht, da wir unbeirrt den Weg abspulen und keinerlei Zeichen von Unruhe oder Angst zeigen.


                          Bild: Der schwarze Drache

                          „Der Drache ist inzwischen tot, oder? Ihr werdet niemals eure eigenen Kinder in Gefahr bringen, oder? Das macht ihr nicht, oder?“

                          „Wir haben doch euch dabei, die wilden Drachentöter mit den spitzen Aufspießstöcken. Uns kann also gar nichts passieren. Am besten ihr geht ab jetzt voran.“

                          „Ihr macht doch nur Spaß, oder?“

                          „Findet es einfach mal heraus. Habt Vertrauen, aber geht bitte vor uns. Und eins noch, da wir keine anderen Wanderer sehen, hat der Drache vermutlich schon gespeist und hält jetzt sein wohlverdientes Nickerchen. Euch kann also gar nichts passieren. Und wenn er wider Erwarten doch aufwachen sollte, dann müsst ihr eben ganz schnell rennen.“


                          Bild: Brennisteinsalda


                          Bild: Brennisteinsalda


                          Bild: Brennisteinsalda


                          Bild: Brennisteinsalda


                          Bild: Brennisteinsalda

                          Die Jungs sind weiterhin skeptisch und gehen erst einmal ihre Waffen durch. Die da wären, drei Schweizer Taschenmesser, eines davon mit ultrascharfer Säge, eins mit einem äußerst gefährlichen Korkenzieher, eins mit einer noch unerklärlich unscharfen Nagefeile, drei klapprige Wanderstöcke dafür aber mit Titaniumspitze, drei Elbenlichter zum Knicken in den Farben rot, rot und nochmals rot. In der Summe alles mächtig gefährlich, wie wir einhellig feststellen. Zur Stärkung legen wir vor dem gefährlichsten aller unserer Wegstücke noch ein Picknick ein. Und als ultimativen Höhepunkt der Vorbereitungen gibt es aus den Geheimfächern des Medipacks noch für jeden eine weiß glänzende Unverwundbarplatte aus dem heiligen Material Dextroenergen, welche unter die Zunge gelegt jede Verletzung in Sekundenschnelle wieder verheilen soll. Abenteuer, wir kommen.

                          Vorsichtig tasten sich die Jungs Schritt für Schritt weiter. Damit es gerecht zugeht, wechseln sie sich aller zehn Schritte mit der Führung wie bei einem Vierer-Bahnradrennen ab. Nur bei der Geschwindigkeit hapert dieser Vergleich etwas, denn diese scheint sich eher reziprok proportional zu entwickeln. Je schneller die Radrennfahrer dem Ziel zustreben, umso bedächtiger geht es bei uns voran. Alles Taktik, wie man uns versichert.

                          Uns macht das Tempo, sofern man unsere Zeitlupenbewegungen mit einem derartigen Begriff adeln möchte, nichts aus. Das Wetter ist stabil, die Landschaft traumhaft und das Ziel in Sichtweite. Wozu also hetzen. Endlich haben wir einmal ausreichend Zeit für Fotos.


                          Bild: ... die Drachenjäger


                          Bild: Zufluss zum Brandsgil


                          Bild: Reste des Brennisteinsalda


                          Bild: Abstieg vom Brennisteinsalda

                          Irgendwann erreichen wir dann auch die Reste des Vulkans Brennisteinsalda, welcher die farbenfrohe Landschaft geschaffen hat, und können aus direkter Nähe den Drachen, einen Teil des Lavafeldes Laugahraun, betrachten. Wir sind uns einig, dass der sich schon seit mindestens einigen Tagen nicht mehr bewegt haben kann, da er über und über mit Moosen, Flechten und dottergelben Blumen bewachsen ist. Und stinken tut er, Iris hat ja so recht. Richtig am verwesen ist der, sagen die Jungs.

                          Zum Schluss des Abenteuers ist natürlich noch die Sache mit den Drachenzähnen zu regeln. Da aber vor dem toten Steinhaufen jetzt doch keiner mehr richtig Angst hat, ist auch das keine Hürde und schnell erledigt. In einem seitlichen Abzweig des Lavafeldes Laugahraun lassen sich linkerhand des Pfades ausgezeichnete Brocken zersplitterten Obsidians finden, welche als spitze, messerscharfe und glasartige Dolche den Boden zu einem gefährlichen Weg werden lassen. Schon wieder Steine? Ach was, so kurz vor dem Ziel, macht es uns wirklich nichts mehr aus, die Steinsammlung um weitere bedeutende Exemplare zu vergrößern.


                          Bild: Landmannlaugar, Zugang zum Camp


                          Bild: Landmannlaugar, Ausgang vom Camp


                          Bild: Streckenplan


                          Bild: Höhenprofil
                          Zuletzt geändert von tah; 13.03.2012, 02:02.
                          Schnee ist auch nur schick aufgemachtes Wasser.

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                          • en dråpe
                            Gerne im Forum
                            • 31.05.2009
                            • 61
                            • Privat

                            • Meine Reisen

                            #73
                            AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                            Hach ist das schön mal wieder ein paar Etappen zu lesen.
                            Ich hoffe da kommt noch der finale Abschluss!?
                            Danke für den tollen Reisebericht!
                            en dråpe

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                            • Gast-Avatar

                              #74
                              AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                              Auch mich zieht dieser Bericht immer wieder magisch an. Sind es die faszinierenden Bilder? Die unterhaltenden Erzählungen über die Kinder? Einfach toll und weiter so.

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                              • Nicki
                                Fuchs
                                • 04.04.2004
                                • 1310
                                • Privat

                                • Meine Reisen

                                #75
                                AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                                Wirklich toll erzählt.
                                Sehr schöön

                                Gruß Folko
                                www.mitrucksack.de
                                Ganz viel Pyrenäen ( HRP- Haute Randonnée Pyrénéenne - komplett) und ein bisschen La Gomera

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                                • Rattus
                                  Lebt im Forum
                                  • 15.09.2011
                                  • 5177
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                                  #76
                                  AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                                  Wunderbar geschrieben und die Bilder... die Farben sind einfach nur berauschend!
                                  Das Leben ist schön. Von einfach war nie die Rede.

                                  Kommentar


                                  • anja13

                                    Alter Hase
                                    • 28.07.2010
                                    • 4889
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                                    #77
                                    AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                                    Geht es dieses Wochenende weiter? Bitte, bitte, bitte ...

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                                    • tah

                                      Erfahren
                                      • 25.01.2009
                                      • 305
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                                      #78
                                      AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                                      @anja13:

                                      "Geht es dieses Wochenende weiter? Bitte, bitte, bitte ..."

                                      ... leider nein, plage mich noch mit einer Grippe rum - mein Kopf ist voll Watte:-(


                                      @Rattus, Nicki:

                                      ... vielen Dank für Euer Lob.


                                      @en dråpe:

                                      "Ich hoffe da kommt noch der finale Abschluss!?"

                                      ... ja natürlich.


                                      Bis dahin viele Grüße. Tom
                                      Schnee ist auch nur schick aufgemachtes Wasser.

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                                      • blauloke

                                        Lebt im Forum
                                        • 22.08.2008
                                        • 9112
                                        • Privat

                                        • Meine Reisen

                                        #79
                                        AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                                        Ich beneide euch einfach wegen dieser Tour mit den Kindern.
                                        Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

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                                        • Voland
                                          Anfänger im Forum
                                          • 28.11.2010
                                          • 36
                                          • Privat

                                          • Meine Reisen

                                          #80
                                          AW: [IS] Island 2010 - Kinderkram

                                          Mit Verlaub lieber tah:
                                          Es wird Zeit. Der Winter naht.

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