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Wo das Südland ganz im Norden liegt
Episode I:
- Auf dem Sutherland-Trail nach Norden -
„Ye've to 'rry!“ „Sorry?“ Ich zeige ratlos auf meine Ohren. „Ye've to 'rry!“ Wieder nichts verstanden. Ich zeige noch einmal auf meine Ohren. „You - have - to - hurry!“ drang jetzt durch das Sicherheitsglas des Fahrkartenschalters im Bahnhof Glasgow Queen Street. Oh ja. Da wäre ich nie drauf gekommen. Dank des Pantomimespiels war es jetzt statt drei nur noch zwei Minuten vor Abfahrt des Zuges in Richtung Inverness. Schnell die Bahnsteigsperren passiert, ohne sie mit der Schrankwand umzureißen, und dann in den Zug. Doch statt des für mich Sekundenfuchser üblichen „Plopp“ der Türen unmittelbar hinter mir passiert gar nichts. Erst mit drei Minuten „Verspätung“ fährt der Zug ab.
Dass wir ihn überhaupt bekommen haben, grenzt an ein Wunder, denn zwischen dem Empfang des letzten Gepäckstücks am Flughafen Glasgow und der Abfahrt des Zuges lagen nur 32 Minuten. Sicher, wir hätten auch später noch eine Fahrmöglichkeit gehabt... aber lieber früher als später!
Beim Umsteigen in Perth teste ich unfreiwillig die Lernfortschritte von Frau November beim Sekundenfuchsen. Der Anschluss nach Inverness ist nämlich laut Anzeige 17 Minuten verspätet. Macht genug Zeit, um einen Geldautomaten aufzusuchen, denke ich mir. Als ich zum Bahnhof zurückkehre, sehe ich eine hektisch gestikulierende Frau November in der Tür stehen. Wieso, es sind doch noch 12 Minuten übrig? Weit gefehlt! sagt die Anzeige. Die Verspätung ist auf acht Minuten geschrumpft. Wo gibt es denn so etwas! (In Deutschland jedenfalls nicht...) Diesmal klappt es mit dem Last-Minute-Einsteigen schon besser, aber Frau November ist nicht wirklich amüsiert. Ich sehe ein, dass sie nicht aus Sekundenfuchser-Material gebaut ist.
In Inverness wartet das SYHA-Hostel auf uns. Es ist das einzige Hostel der Stadt, dessen Rezeption auch bis 2 Uhr morgens besetzt gewesen wäre - bei „Verzögerungen im Betriebsablauf“ wäre ein Einchecken auch später möglich gewesen. Dass das Einchecken hier nur gefühlte zwei Minuten dauert, wissen wir aber erst nach der Erfahrung auf der Rückreise zu schätzen.

The Earth belongs unto the Lord,
And all that it contains.
Except the Kyles and the Western Isles,
For they belong to MacBrayne's

Wir schlendern um die Ecke zum Busbahnhof. Um 8.50 Uhr fährt wie gehabt der Bikebus von Inverness nach Durness. Kurz nach halb neun schleicht in der Tat ein weißer Mercedes Sprinter von D&E Coaches mit getönten Scheiben und Fahrradanhänger auf den Hof. Der Fahrer macht nicht gerade einen hochmotivierten Eindruck, und seine Laune bessert sich auch nicht, als außer uns beiden noch ein Radfahrer mitgenommen werden möchte. Als noch Tim Dearmans roter Bus fuhr, war die Atmosphäre immer freundlich. Aber seien wir froh, dass es die Linie überhaupt noch gibt. Das war im Frühjahr noch sehr fraglich - Tim Dearman war nämlich in den Ruhestand gegangen, ohne dass ein Nachfolger feststand.
Vor uns liegt jetzt...

Der Sutherland Trail
Der Sutherland-Trail stückelt existierende Wege durch Sutherland zu einer Gesamtstrecke von gut 110 km zusammen; davon verlaufen ca. 25 km über Asphalt und sieben km durch wegloses Gelände. Kalkulierte Laufzeit sind fünf Tage. Sutherland ist die nordwestlichste Region der Highlands und heißt wörtlich übersetzt so viel wie "Süderland". Das klingt erst dann dann logisch, wenn man weiß, dass die Bezeichnung von den Wikingern verliehen wurde, für die dieser Teil der Welt im Süden lag.
Cameron McNeish, ein bekannter schottischer Bergsport-Journalist, hat diese Route von Lochinver nach Tongue als Spin-Off eines Filmauftrages entworfen. Die BBC wollte von ihm einen Dokumentarfilm über Sutherland haben; er hat der BBC dann plausibel machen können, dass er zur Annäherung an das Thema erst mal eine Wanderung durch das zu dokumentierende Gebiet unternehmen muss. Beneidenswert! OT: Ich werde meinem Chef lieber nicht vorschlagen, dass ich zur Annäherung an die Problematik der Neubaustrecke Ulm-Wendlingen auf Firmenkosten eine Wanderung über die schwäbische Alb unternehmen muss. Da er von meinem Hexenstieg-Abenteuer gehört hat, wird er sicherlich entgegnen, dass ich dann trotzdem am nächsten Morgen im Büro sein kann.

Hinter der Glencanisp Lodge wird aus der Straße schlagartig ein rumpeliger Track, der nur von Geländefahrzeuges des Schlages Argocat & Co („Es ist lauter als es schnell ist“) uneingeschränkt befahren werden kann. Die Zeiten, da ein Track mindestens Landrover-tauglich war, sind wohl vorbei. Andererseits: Für Argocats werden auch heute dort Tracks angelegt, wo es früher nur einen Pfad gab.

*) Nach bekannter Manier werde ich die Namen von Bothys verballhornen. Wer unseren Weg auf den OS-Karten verfolgt, wird die Bothys sicher identifizieren können. Wer das nicht schafft, sollte sich einen Wanderurlaub in Schottland sowieso sehr genau überlegen.
Heldenhaft widerstanden wir der Versuchung, in der Sonne hocken zu bleiben und uns abends in der Bothy einzuquartieren. Wir ließen den Suilven hinter uns,


Am Abend stellen wir fest, dass Frau November besondere Anziehungskraft auf die örtliche Fauna ausübt: Mit rund 20 Zecken liegt sie gegenüber meinen vielleicht fünf Zecken deutlich in Führung. Besonders beliebt sind die ganz kleinen braunen „Babyzecken“ von vielleicht 1,5 mm Körperlänge. Sie beißen sich zwar nicht so gut fest wie ihre größeren schwarzen Artgenossen, aber sind dafür viel schlechter zu erkennen. Das gegenseitige Entzecken sollte in den kommenden Tagen zum allabendlichen Ritual werden. Die letzte „Babyzecke“ habe ich übrigen am Tag nach der Rückkehr auf meinem Fuß gefunden. Wahrscheinlich hatte sie sich in der Schmutzwäsche versteckt, die mir beim Beladen der Waschmaschine heruntergefallen war.
Technische Daten: 14,6 km in 5h 45'
5. Juni
Der neue Tag sieht uns geruhsam aufstehen, schließlich ist Sonntag. Für Frühstückseier und Brötchen reicht es aber nicht, dafür herrscht wieder Kaiserwetter. Heute wird es richtig „hart“: Schon nach einem Kilometer verlassen wir den Pfad nördlich von Lochan Fada - der sich dort sowieso bald verliert - und krabbeln über die Südostflanke des Canisp Richtung A 837. Erstaunlicherweise bleiben uns Torfabbruchkanten („peat hags“) und Matschlöcher („bogholes“ erspart, stattdessen geht es über eine steinige Hochebene mit spärlichem Gras- und Heidebewuchs.

Unterdessen lässt der Himmel unsere Erwartungen an das Wetter Achterbahn fahren. Immer wieder tauchen sichere Anzeichen für eine herannahende Regenfront auf, wie Cirren oder sogar „Riffelwölkchen“, nur um kurz darauf wieder zu verschwinden. Was sagen dazu die Poeten vom Mountain Weather Information System? „An unusually contorted cold front with pockets of warm air...“ Warme Luft haben wir nicht, aber ich bin sicher der letzte, der sich darüber beschwert.

Der Masterplan sieht vor, den Loanan River auf einer Brücke bei Stronchrubie zu queren. Diese Brücke - vermutlich bestenfalls ein Steg - ist in einigen Ausgaben der OS-Landranger-Karten eingetragen, in anderen nicht. Im Internet wurde die Existenz der Brücke in Frage gestellt. Auch wir konnten bei der Vorbeifahrt mit dem Bus in dem verhügelten Gelände keine Brücke ausmachen. Wohl aber sahen wir eine deutlich zunehmende Wasserführung des Loanan ab der Einmündung des Allt nan Uamh. Wir beschließen daher, auf Nummer Sicher - und vor allem auf Nummer Einfach - zu gehen und den Loanan oberhalb der Einmündung zu queren und lieber eineinhalb Kilometer Straße mehr zu laufen.
Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Beim letzten Sprung ans Ufer erwische ich mit dem rechten Bein „böses Gras“ und versinke bis zu den Waden im Matsch. Die Gamaschen machen sich wieder einmal bezahlt: Es ist nur „Wasser“, das sich durchquetscht, nicht brauner Flüssigtorf. Frau November ist beeindruckt, und ein wenig Schadenfreude sei ihr an dieser Stelle gegönnt. Zum Glück ist die Gerechtigkeit eine auf Ausgleich bedachte Gottheit...

Am Parkplatz bei Inchnadamph machen wir erst einmal Pause. Unsere Hoffnung, im Hotel ein Eis (Frau November), eine fettige Hauptmahlzeit (ich) und bequem Leitungswasser (wir beide) zu bekommen, wird von den restriktiven Öffnungszeiten für Non-Residents zunichte gemacht.







Technische Daten: 18,9 km in 9h glatt
6. Juni
In der Nacht knattert der Hühnerstall laut vor sich hin. Verursacher ist nicht eine Oma, die drin Motorrad fährt, sondern der Wind draußen. Wahrscheinlich vertragen sich die „Unusually contorted cold front“ und die „Pockets of warm air“ nicht so gut. Erst nachdem mein MP3-Player Amy Macdonald laut dagegen ansingen lässt, finde ich Schlaf, der aber schon gegen fünf Uhr vom jetzt einsetzenden Regen unterbrochen wird.


2009 war die Sicht besser, aber die Temperatur unerfreulicher:


Inzwischen macht der Regen auch schon gelegentlich Pause, aber zum Auspellen reicht es nicht. Kurz nach letzten Bachquerung verliere ich den Pfad, aber das macht auch nichts, denn die vor uns liegende Kreuzung mit der Straße besuche ich jetzt schon zum dritten Mal.
Vor uns liegen acht Kilometer Landstraße. Zum Glück nicht an einem Stück, denn bei Kilometer 4,5 ist ein Boxenstopp im „Tea Room“ in Unapool fällig. Kuchen und Torte, Kaffee und Tee - und nebenan das Weh-Zee bzw. der "Erholungsraum", wie es im prüden Großbritannien heißt. Hier füllen wir unbürokratisch unsere Wasservorräte auf, denn auf dem kommenden Abschnitt überwiegen moorige Fließgewässer.

Als wir den Tea Room verlassen, wird es draußen langsam freundlich. Damit ist das Hauptargument zugunsten eines ausgiebigen Besuches im Restaurant des Kylesku Hotels einen Kilometer weiter entfallen. Dafür überrede ich Frau November, zur Übernachtung die Kleinod-Bothy anzusteuern. Stabil sieht das Wetter nämlich nicht aus, und auch der Mountain Weather Information Service, den ich in einem seltenen Moment mit Mobilfunknetz-Kontakt konsultiert hatte, machte keine Hoffnung auf eine solide Schönwetterlage. Der Haken an der Kleinod-Bothy ist, dass sie unter dem Strich in einer Sackgasse liegt und für uns zwei Mal je vier "überflüssige" Kilometer bedeutet. Kein Akt für einen bekennenden Kilometerfresser wie mich, aber bei Frau November bedarf etwas mehr Überzeugungsarbeit.


Technische Daten: 22,1 km in 8 h 10'
7. Juni


Durch Nieselregen schleichen wir zurück bis zu dem Abzweig, der uns über den Bealach nam Fiann (400 m) nach Achfary bringen soll. 400 Meter hört sich nicht so schlimm an. Aber wir starten bei etwa 2,50 m über dem Meeresspiegel. Zum Glück hört genau jetzt der Regen auf, so dass ich unser wertvolles Wasser nicht ins Innere meiner Goretex-Jacke vergeuden muss.


Festhalten an alten Werten oder Armut? frage ich mich angesichts eines gar nicht oldtimermäßig gepflegten Austin Minor.


Unter einem Stalldach bei Lone machen wir Pause und warten einen durchreisenden Regen ab. Frau November entdeckt in einer Ecke ein wildes Hühnernest mit fünf Eiern, aber ohne Henne. Tja, wenn man nur wüsste, wie lange die Eier dort schon liegen? Wir entscheiden uns gegen eine Bereicherung des Speiseplans. Keiner von uns beiden will das Risiko eingehen, beim Frühstück in einen sauren Schnabel zu beißen.

Als der Regen vorbei ist, treten wir den Aufstieg an. Moment: Ist das nicht total bescheuert, was wir hier machen? Erst runter und dann auf der anderen Seite des Tales wieder rauf? Ganz schön blödes Hobby. Zum Glück finden wir uns bald in einem U-förmigen Tal mit mäßiger Steigung wieder. Gegen halb fünf entdecke ich zufällig den idealen Stellplatz - eine trockene und recht hohe Sandbank am Abhainn an Loin. Halb fünf ist eigentlich ein bisschen früh, aber unser Mindestpensum von 20 km ist erledigt.
Technische Daten: 20,9 km in 7h glatt.
Wir bauen also den Hühnerstall auf und kriechen hinein - keine Sekunde zu früh, denn jetzt setzt Dauerregen ein, der bis in den frühen Morgen anhält. Es regnet so stark und ausdauernd, dass ich einmal nachts hinausgehe, um den Wasserstand im Fluss und auf der Wiese zu kontrollieren. Es soll ja - so wird in Forumskreisen erzählt - schon einmal Zelte mit fließend kaltem Wasser in der Apsis gegeben haben.
8. Juni

Heute steht als erstes der Pass Bealach na Feithe (450 m) auf dem Programm. Anders als die OS-Karte suggeriert, handelt es sich nicht um einen Pfad, sondern einen mittelprächtigen Landrover-Track. Die Steigung ist allerdings authentisch und wird durch kleine Serpentinen nur leicht gemindert. Warum muss eigentlich genau jetzt die Sonne derart heiß herunterbrennen? Und warum schiebt sich genau in dem Moment, als wir die Passhöhe erreichen, eine Wolke vor die Sonne?

Trotzdem genießen wir Stille und Aussicht. Und finden Zeit uns zu wundern, warum der Track genau auf der Passhöhe mit einem Schlag aufhört und in einen Pfad übergeht. Na klar, anderer Landbesitzer, sagt die schottische Wegelogik. Die deutsche Wegelogik fragt hingegen, wo der Sinn einer Verbindung zwischen Punkt A und Punkt B ist, wenn die Verbindung ab einem Punkt C nicht durchgehend nutzbar ist und am Punkt C weder Ursprung noch Ziel für irgendwelche Verkehre erkennbar ist.


Als wir ein Wäldchen erreichen, geht der Pfad allmählich wieder in einen Track über. Rechtzeitig zum Magenknurren erreichen wir den Eingang zur Gobernuisgeach Lodge und machen es uns auf der letzten Böschung vor dem Tor bequem.



Für uns folgen jetzt fast 12 km „Fußreise“, also Wandern auf Asphalt. Zum Glück hält sich der Autoverkehr sehr in Grenzen. Bis zur Einmündung in die „Hauptstraße“ werden wir gar nicht belästigt. Und auch die „Hauptstraße“ - immerhin die einzige direkte Verbindung zwischen Loch Hope und dem Binnenland - entpuppt sich als asphaltierter Wirtschaftsweg, jedenfalls nach deutschen Maßstäben. Vielleicht alle 30 Minuten kommt ein Auto vorbei.


Unser Ziel ist der Beginn des „Moine Path“, der den Fuß von Ben Hope nördlich umrundet. Kurz vor dem Abzweig tanken wir noch Wasser. Frau November wird hier zum ersten Mal ernsthaft mit dem blutrünstigsten Raubtier der schottischen Highlands konfrontiert - Culicoides punctatus. Zum ersten Mal kommen unsere Midgenetze zum Einsatz.



Ich gucke ratlos in die Umgebung, Frau November guckt müde nach unten. „Und wenn wir uns jetzt auf den Weg stellen?“, fragt sie. „Hier kommt heute keiner mehr vorbei.“ Ich ergänze: „Und so wie es aussieht, morgen und übermorgen auch nicht.“


Aber letztendlich sind die einzigen bisswütigen Tiere, die in der Nacht vorbeikommen, die Midges. Wir haben das erste Mal richtigen "Midgealarm", in der Apsis lauern die Blutsauger auf Frischfleisch. Dank unserer überdimensionierten Kathedrale können wir aber auch im Innenzelt kochen.
Technische Daten: 26,7 km in 8h 40'
9. Juni
Wie in der Nacht zuvor regnet es kräftig; am Morgen ist aber wieder alles gut. Wir starten zu unserer letzten Etappe. Die Landschaft nördlich von uns ist sehr eintönig; Moor und Heide nur ringsum. Südlich erhebt sich das Ben-Hope-Massiv, über das sich beständig drohende Wolken zu uns hinüberwälzen, um kurz darauf zu zerfallen.




Das Abendessen verpassen wir uns im Ben Loyal Hotel. Das haben wir uns verdient.

Technische Daten: 21,4 km in 7h 30'
Sutherland Trail gesamt: Ca. 115 km (ohne Abstecher, aber mit „Umweg“ bei Stronchrubie) in sechs Tagen.
10. Juni
Am nächsten Morgen lassen wir es ganz ruhig angehen. Heute müssen wir nur nach Talmine auf der anderen Seite der Bucht. Dort fährt am frühen Nachmittag unser Bus nach Durness.





Gegen drei Uhr nachmittags erreichen wir Durness und quartieren uns im "Lazy Crofter" ein. Damit ist die Reise nach Norden beendet, und wir stellen den Kalender für den Weg nach Süden wieder auf Null.
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