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28. April 2011: Prolog in Ullapool (oder: Kleine Scherze unter Freunden)
Auf der Fahrt zwischen Inverness und Ullapool ergießt sich ein kurzer Schauer. Ansonsten ist der Himmel über dem Loch Broom klar und sonnig. Die letzten Wolken verziehen sich gerade. Die Wettervorhersagen für die nächsten Tage sagen Ähnliches voraus. Sonne, Sonne, Sonne.
Wir sitzen in Ullapool und essen Hamburger & Pommes. Das letzte warme Essen, welches nicht als Trekkingnahrung mit einem Gaskocher zubereitet wird, für einen Zeitraum von 6 bis 7 Tagen. Ab morgen werden wir durch die größtenteils menschenleeren Weiten der Northwest Highlands in North Wester Ross & Sutherland auf dem nördlichen Cape Wrath Trail gehen.
Wie ist es wenn zwei ausgewiesene Besserwisser miteinander auf Trekkingtour gehen? Grundsätzlich sind wir eine gut erprobte Einheit. Beide als Trekker ziemlich ehrgeizig und auch beide in gutem Trainingsstand. Lange befreundet. Eine gut eingespielte Seilschaft. Aber eben notorische Besserwisser. Beide!
Während wir auf das Essen warten, haben wir eine äußerst interessante Diskussion über die Ende April bereits beeindruckende Tageslänge in Nordschottland. Da ich das Reisebuchtagebuch führe, möchte ich euch diesen -unverzüglich im Anschluss notierten- Dialog auf keinen Fall vorenthalten.
(Mein Dank geht an dieser Stelle explizit an meinen Trekkingpartner Jens, der nicht nur schottische Bogholes, gigantische Blasen an den Füßen und nicht zuletzt meine Unarten mit Großmut ausgehalten hat, sondern der auch hervorragend über sich selbst lachen kann.)
Szenerie: Zwei Männer sitzen am Tisch außerhalb eines Pubs in Ullapool, Nordschottland. Die beiden sind gerade angekommen und genießen die umliegende Natur. Versonnen nippen beide an ihren Bier. Es ist 21 Uhr. Der eine, Jens, schaut um diese Ortszeit die noch am Himmel stehende, wenn auch im Untergehen begriffene Aprilsonne an.
Jens: Mann, jetzt noch hell. Da möchte ich mal wissen, wie das hier in den … wie heißt das noch… „Weißen Nächten“ ist.
Ich: „Weiße Nächte“ heißt das in Russland, in St. Petersburg. „Mittsommer“ heißt das in Deutschland.
Jens: „Midsomma“ heißt das in Skandinavien.
Ich (leicht genervt): Nein, auch in Deutschland.
Jens (grinst triumphierend): Aber nur bei Ikea!
Ich (richtig genervt): Nein, „Mitt-som-mer“! Mit Doppel-T und hinten mit E-R geschrieben heißt das in Deutschland. In Skandinavien schreibt man es hinten mit A.
Jens (überlegt kurz, sagt dann provozierend): Aber Mittsommer stimmt ja nicht. Ich mein’, es ist doch mehrere Tage und Wochen so hell.
Ich (gelassen): Vom Sonnenstand aus gesehen stimmt es. Die Sonne steht an einem Tag am höchsten am Himmel. Dann ist eben Mittsommer. Das ist am 21. Juni.
Jens: Aber doch nicht überall. Es kommt doch darauf an, wo du gerade bist …. [überlegt kurz]… ach nee, ist ja egal.
Szenerie: Das Essen kommt. Die beiden Männer essen. Es gibt Pommes (Anm. des Autors: hiervon wird morgen noch die Rede sein). Nach ca. 20 Minuten greift der andere Mann das Thema wieder auf.
Ich: Claudia und ich waren schon mal Mittsommer in Schottland.
Jens: Wann war das?
Ich: 2007.
Jens: Nein, ich meine welcher Monat? Mai oder was?
Ich: Oh, Mann, das haben wir doch eben… (lacht Tränen)
An diesem Abend meine ich leider, das letzte in einer ordentlichen Küche zubereitete Mahl für eine Woche durch Zunahme der maximalen Kalorienzahl abfeiern zu müssen. Also vertilge ich neben meinem Hamburger und meiner eigenen Portion Pommes noch die Hälfte von Jens. Dazu muss man wissen, dass ich seit sechs Jahren mit zwei Ausnahmen im vergangenen Jahr keine (also wirklich: überhaupt keine!) Pommes mehr esse. Gleiches gilt für sämtliche so genannte „Sättigungsbeilagen“ wie Kroketten und Kartoffelecken, welche vorher in Frittierfett um ihre Existenz als Lebensmittel gebracht wurden. Ob Jens dies bewusst ist oder nicht – er überlässt listig die Hälfte seiner Pommes. Die Auswirkungen zeigen sich am nächsten Tag.
Bei glänzendem Wetter geht es zurück in unserer Zelt auf dem Campingplatz in Ullapool. Noch sind Stimmung und Verdauung prächtig.

Sonnenuntergang über dem Loch Broom
29. April 2011: Inverlael bis Duag Bridge Bothy (oder: Pommesgrippe)
Der Tag beginnt für mich mit Magendrücken. Bösem Magendrücken. So als ob alles bis zum Rand gefüllt ist und nichts mehr hinein geht. Während Jens in Ruhe ein ausgiebiges Frühstück zu sich nimmt, muss sich ich bereits einen kleinen Muffin in mich hinein zwängen. Eigentlich geht es dabei für mich nur um das Gefühl, nicht sofort zusammen zu klappen, wenn es direkt hinter Inverlael den ersten starken Anstieg hinauf zur Passhöhe geht.
Wir kommen pünktlich los und stehen um 9:30 Uhr auf dem kleinen Wanderparkplatz bei Inverlael, buckeln die schweren Rucksäcke und: Jaaa! Es! Geht! Wieder! Los! Die mehrmonatige Vorfreude kribbelt noch einmal durch unsere Nackenhaare, als wir die ersten Schritten machen.
Die ersten Meter verlaufen auf einem Forstwirtschaftsweg, immer den hier sehr dichten Nadelwäldern an den steil aufragenden Berghängen entgegen. Wir sehen noch ein paar Forstarbeiter - die letzten Menschen, die uns bis zum späten Nachmittag begegnen.
Der Forstweg führt über eine Brücke und sodann steil bergauf in einem Zickzackkurs durch den Wald. Jens eilt in großen Schritten mit hohem Tempo voraus. Wir sind normalerweise beide gut trainiert. In Normalform könnte ich problemlos mit dem hohen Tempo mithalten. Heute nicht. In meinem Magen befindet sich meinem Gefühl nach ein zentnerschwerer Stein. Es ist ein Gefühl, das ich im Verlaufe des Anstiegs meine „Pommergrippe“ nennen werde. Massen von mit altem Fett frittierten Kartoffelbreistäbchen wälzen sich im Bauch. Jens sprintet enthusiastisch voran und muss sein Tempo bremsen, um mit mir auf gleicher Höhe zu bleiben. Ich schwitzte kalten Schweiß und kämpfe mich keuchend und verbissen den Berg hinauf.
Der Forstweg tritt aus dem Wald heraus und wird zu einem schmalen Pfad. Wir haben einen wunderschönen Blick zurück und durch das unter uns liegende Tal zum Beinn Deargh.
Die Aussicht kann ich kaum genießen. Es wird jetzt für einige hundert Meter richtig steil. Jens geht schnell voran. Ich werde langsamer und langsamer. Jeder Schritt tut nun weh. Das Gefühl von Schüttelfrost kommt auf. Nach einigen hundert Metern wartet Jens. Kurze Pause. Ich setze den Rucksack wieder auf. Das Schwindelgefühl kommt wieder. Der Berg ist kaum noch zu bewältigen. Soll der lang gehegte Traum, den CWT zu laufen, bereits nach wenigen Kilometern an einer höllischen Magenverstimmung scheitern? Ich bleibe wieder stehen. Es geht nicht mehr. Jens setzt ratlos den Rucksack ab. Da melden sich die Pommes. Ein kurzes Husten und…
…nach vier Minuten geht es mir wieder einigermaßen gut. Ich bin jetzt innerlich vollkommen rein. Der Höhepunkt der Pommesgrippe ist durchgestanden. Während ich mir noch etwas wackelig in den Beinen den Rucksack wieder auflade fasse ich den Entschluss, dass dies endgültig die letzten Pommes in meinem Leben gewesen sind. (Für alle Interessierten: Bis jetzt habe ich diesen Entschluss durchgehalten.) Jens schaut ebenfalls sehr erleichtert drein, weil sich sein Trekkingpartner nun doch nicht vorzeitig von der Tour verabschieden muss.
Der Pfad windet sich zu einer Hochebene, bis er sich schließlich zwischen Heidekraut verliert. Wir stampfen weiter, bis sich ein Bach ausmachen lässt. Entlang des Nachufers sind die Heidesträucher nicht so hoch gewachsen. Durch die Trockenheit der letzten Wochen sind auch keine unangenehm tiefen Bogholes zu erkennen. Schließlich laufen wir wieder nach unten. Ein weites baumloses Tal öffnet sich vor uns. Am linken Hang des vor uns liegenden Berges zeigt sich der Landrover-Track, den wir (abweichend vom klassischen CWT) unter Umgehung des Loch an Daim begehen wollen.

Blick zurück Richtung Inverlael, im Hintergrund An Teallach.

Glen und River Douchary, im Hintergrund rechts der weitere Landrovertrack.
Bevor wir im Windschutz einer hohen Torfabbruchkante unsere Mittagspause machen, stolpere ich noch über einen Heidestrauch und kugele, getrieben durch das hohe Rucksackgewicht, in einem Purzelbaum den Hang herunter. Es wird Zeit, dass mein Magen wieder etwas Inhalt bekommt. Wir machen Mittag. Mit der Mahlzeit und der Pause kommen meiner Kräfte zurück.
Den River Douchary haben wir schnell über ein paar großen Trittsteinen gequert. Wieder kommt uns die Trockenheit der vergangenen Tage zu pass. Unter normalen Umständen hätten wir bestimmt die Watschuhe anziehen müssen. Wir kommen an den Hang und arbeiten uns langsam durch das Heidestrauchgestrüpp den Hang hoch. Ich vertraue darauf, dass alles so ausgetrocknet ist wie der River Douchary, erwische aber mehrere Bogholes, die meine Hose unterhalb des Knies in ein charmantes Schlammbraun färben. Einmal auf dem Landrovertrack angekommen, machen wir schnell Strecke. Bei Übergang über die kleine Passhöhe ins Strath Mulzie bläst uns trotz des Sonnenscheins ein eisiger Wind entgegen. Eine einsame Schlange kreuzt unseren Weg. Ansonsten dauert es mehrere Stunden, bis wir uns durch das Strath Mulzie gearbeitet haben. Unterwegs treffen wir zwei mal zwei Wanderer, die uns jeweils verkünden, bald ihr Zelt aufschlagen zu wollen. Es ist schon später Nachmittag.
Wir nähern uns endlich auch unserem Ziel, der Duag Bridge Bothy, dem „Old Schoolhouse“ der hier zusammen laufenden Täler. Die Täler sind mittlerweile unbewohnt. Das Schoolhouse besteht aus einem Vorraum, an den eine Abstellkammer und zwei größere Räume angeschlossen sind. Der Schlafraum mit Pritschen für 2-3 Personen ist wunderschön neu renoviert. Wir sind die einzigen und beziehen mit unseren Schlafsäcken die Pritschen.
Wir tragen die Stühle vor die Bothy und genießen die Abendsonne sowie jeweils eine Dose Bier, die wir seit Ullapool für den heutigen Abend mitgeschleppt haben. Das dünne Lagerbier kann so gut schmecken, wenn man genügend Kilometer in den Beinen hat.

Blick in das obere Strath Mulzie.

Ein schales aber wohlschmeckendes Dosenbier vor der Duag Bothy.
30. April 2011 – Duag Bridge Bothy bis Ben More Assynt Ostflanke (Loch Carn nan Conbhairean)
Nach einer tief durchschlafenen Nacht beginnt ein grandioser Wandertag mit einem Frühstück vor der Bothy unter wolkenlosen Himmel in der warmen Morgensonne. Wie sehr die Trockenheit Auswirkung auf die Natur hat, merken wir, als neben uns ein Range Rover hält und der Fahrer uns fragt, ob wir etwas von einem Brand bemerkt hätten. Auf unsere Frage hin erklärt er uns, dass es gestern einen großen Brand am Weg Richtung Ullapool, kurz hinter dem Loch an Daim gegeben hätte. Die trockenen Heidesträucher würden bei der kleinsten Gelegenheit Feuer fangen. Er kontrolliere nun, ob nicht irgendwo anders ein Brand ausgebrochen sei. Wir haben nicht bemerkt und so fährt er weiter.
Wir beginnen unseren Weg Richtung Oykel Bridge, das aus einem halben Dutzend Häusern im hier sehr dichten Wald und einem an der Straße gebauten Hotel besteht. Jens will unbedingt einen frischen Tee und ein Wasser. Obwohl das Hotel von außen wie ausgestorben aussieht, lässt sich Jens nicht beirren und tritt ein. Mit Rufen schafft er es sogar, jemand in den Gastraum zu beordern; Preußen können in ihrer direkten Art manchmal wirklich so grausam wie effektiv sein. Wir bekommen Tee und Mineralwasser. Die Besitzerin, die uns bedient, erklärt uns noch, dass sie das Hotel erst vor kurzem übernommen hätten und es diese Woche eigentlich noch wegen Renovierung geschlossen sei.
Nach der Pause im angenehm kühlen Gastraum geht es weiter Richtung Loch Ailsh. Der Pfad verläuft gleichmäßig entlang des Oykel River und eröffnet immer wieder schöne Blicke in das Tal. Irgendwann rücken die Berge wieder näher und der Pfad knickt mit dem Oykel River nach rechts in den Wald ab. Die Nadelbäume der typisch schottischen Baumplantage rücken an den Pfad heran, der ab hier immer schlechter wird. Wir fressen Kilometer um Kilometer und kommen schließlich an den Ruinen von Salachry an. Geradeaus verläuft ein scheinbar neu gerodeter und planiert Pfad weiter am River Oykel. Die Karte zeigt allerdings keinen Pfad an. Aus Beschreibungen des CWT habe ich zudem im Kopf, dass man sich an den Ruinen von Salachry durch den Wald ein paar Höhenmeter nach oben schlag soll, um den Waldweg zum River Oykel zu erwischen. Wir machen unsere Mittagspause an der Lichtung und bahnen uns dann den Weg entlang eines Waldbaches, der durch eine kleine Klamm verläuft, nach oben. Ich muss daran denken, dass Pfad-Finder in seinem CWT-Bericht behauptet hat, die dicht wachsenden Zweige mit der Grünen Schrankwand für alle Nachkommenden gestutzt zu haben. Dies mag vor einiger Zeit zugetroffen haben, aktuell bahnen wir uns aber wieder den Weg durch dichtes Gestrüpp. Mit meinem großen Rucksack breche ich mehrmals eine Bresche für Jens, der sich, an Rucksack und Schultern schmaler ausgestattet, scheinbar leichtfüßig seinen Weg durch den Wald sucht.
Als wir oben ankommen treffen wir auf: Einen niegelnagelneu geteerten Fahrweg, den selbst ein schwäbischer Ortsvorsteher mit Stolz als neuen Premiumradweg einweihen würde. Hier ist im letzten Jahr einiges passiert. Problematisch ist nur, dass der eintönige Weg kilometerweit durch einen eintönigen Baumplantagenwald eintönig und ereignislos auf und ab verläuft. Wir laufen und laufen, ohne dass sich irgendetwas ändert. Mit den Trekkingstiefeln läuft es sich unangenehm auf dem harten Untergrund. Wir machen Witze darüber, dass wir vermutlich die ganze Zeit auf der Stelle laufen und die Teerstraße von einer uns nicht bekannten Kraft langsam wie ein Laufband mit dem Tempo unserer Laufgeschwindigkeit bewegt wird, so dass wir immer die gleichen 100 Meter des Waldes rechts und links neben uns sehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit windet sich der Weg nach unten an den River Oykel, kommt aus dem Wald heraus und eröffnet einen wundervollen Blick auf den Loch Ailsh sowie die dahinter liegenden Südausläufer des Ben More Massivs. Dabei müssen wir erkennen, dass von der planierte Uferpfad, den wir bei Salachry verlassen haben, einmündet.
Am Nordende des Loch Ailsh machen wir eine erneute Rast und beschließen, heute noch einige Kilometer in die Wildnis nach Norden zu laufen. Wir werden nicht die „klassische Route des CWTs nach Nordwesten über den Ben More nach Inchnadamph laufen sondern uns nach Nordenosten wenden und den Ben More auf seiner Ostseite passieren. Der Pfad wird schmaler und schmaler. Hinter ein Flüsschen verschwindet er fast gänzlich und lässt sich nur noch gelegentlich durch ein paar in den Morast gefräste Landrover-Spuren oder die Trampelpfade von Schafen und Hirschen erahnen. Wir bahnen uns eine Weg über trockenes Sumpfgras und Heidebüsche unseren Weg nach Nordenosten.
Als es steil einen Hügel herauf geht, verliert sich der nur noch angedeutete Pfad vollends. Ein Blick über die weite, von Heidesträuchern und kleinen Lochans durchsetzte Landschaft bewegt mich dazu, den Pfad etwas bergab in nördlicher Richtung zu suchen. Jens (zu dessen Ehrenrettung dies hier ausdrücklich erwähnt sein soll) hatte hingegen von vornherein den Riecher, nach Sicht über Karte und Peilung mit Kompass, weiter den Berg hinauf in nordwestlicher Richtung zu gehen. Er hat, wie sich später heraus stellt, Recht. Da ich ihn aber ignoriere, kämpfen wir uns durch meterhohe Torfabbruchkanten, durchwaten Bogholes, umkurven Heidesträucher, bis wir uns nach einer halben Stunde Kampf wieder bergauf auf den über uns auftauchenden Pfad durchkämpfen. Ich hole mir meine wohlverdiente Schelte ab und wir sind nach einer weiteren halben Stunde am Loch Carn nan Conbhairean, an dessen Ufer wir auf der praktisch einzigen unbewachsenen Stelle unser Zelt aufschlagen. Der Tag hat uns viel Kraft gekostet, aber eine wundervolle orangene Abendsonne scheint über den Ben More Assynt in das hufeisenförmige Seitental des Lochs hinein. Es gibt eine große Portion Trekkingnahrung und einen Schluck Whisky aus dem Flachmann. Kann Trekking schöner sein? Wir liegen früh in den Schlafsäcken und schlafen den Schlaf der Gerechten!

Die alte Oykel Bridge.

Mittagspause an den Ruinen von Salachry.

Loch Ailsh vom Süden aus.

Blick zurück nach Süden. Ganz hinten links Richtung Loch Ailsh, rechts die Ausläufer des Ben More Assynt.
Camp am See im Sonnenuntergang.
01. Mai 2011: Ben More Assynt Ostflanke (Loch Carn nan Conbhairean)
bis Loch Dubh am Beinn Leoid
Szenerie: Zwei Männer liegen im Zelt, der eine schläft noch, der andere ist schon wach. Der wache Mann (ein Kind der DDR) weckt den anderen (einen „geborenen“ Westler), mit gespielt panischem Aktionismus.
Jens: „Ulf, wach auf, wir müssen marschieren gehen.“
Ich (schlaftrunken im Schlafsack): „Waaas? Wieso?“
Jens: „Es ist erster Mai! Tag der Arbeiterklasse. Zieh dein Pioniertuch an!“
Ich (immer noch schlaftrunken): „Oh Mann, du bist ein [zensiert]“.
Nach dem Zeltabbau gehen wir schnell los. Der Weg ist noch einige Meter sichtbar, in denen er sich über Moorland zwischen Tümpeln und Heidesträuchern hindurch nach Nordosten windet. Wir kämpfen uns durch das Moor den Hügel hinauf. Der Pfad stößt hier auf einen Landrovertrack, der sanft ins Tal hinunter führt. Die Mächtigkeit der Landschaft mit den hier weit auseinander stehenden Bergen der Highlands ist beeindruckend.
Wir laufen bis zum River Cassley und dem nach deutschen Maßstäben wirklich winzigen Wasserkraftwerk, das völlig einsam am Ufer steht. Danach windet sich der Track in einigen Serpentinen hinauf zur kahlen Kuppe des Maovally. Wir fühlen uns gut. Die Sonne scheint, Luft und Laune sind bestens. Wir und legen ein Eilmarschtempo vor und sind schneller über den Maovally, als wir es selbst gedacht hätten. Auf der anderen Seite blicken wir Kilometer weit über den Loch Shin hinaus auf die Berge Sutherlands im Norden. Wir laufen noch einige Kilometer weit hinunter und machen unsere Mittagspause.
Kurz vor der Farm von Corrykinloch kommt uns ein Range Rover mit drei Insassen entgegen, die uns stoisch grüßen. Es sind die einzigen Menschen, die wir an diesem Tag sehen werden. Wir passieren Corrykinloch und laufen in die steil ansteigenden Hänger des Tales zu. Der Weg wird zum Pfad und dünnt immer mehr aus, bis wir schließlich an die Hänge gelangen, wo er faktisch verschwindet. Es ist Nachmittag, die Sonne brennt. Als wir den Bach in der Talmitte überqueren, verzichten wir angesichts zahlreicher Hinterlassenschaften von Schafen darauf, unsere leeren Wasserbeutel aufzufüllen. Der Plan ist, dies weiter oben am Bachlauf zu tun. Das Problem ist, dass sich der vor uns liegende Berg viel besser weiter oben an den Talhängen besteigen lässt. Der Bach selbst durchläuft die Hänge in gewunden, kaum zugänglichen Kaskaden. Wir kämpfen uns nach oben. Durst. Und kein Wasser. Mitten in Schottland. In Schottland! Jens flucht, er habe ja gleich gesagt, wir sollen die Wasserbeutel unten auffüllen; so dreckig sei das Wasser nun auch nicht gewesen. Ich fluche zurück, er hätte seinen blöden Beutel doch mit dem Dreckswasser auffüllen können, ich hätte ihn nicht daran gehindert. Wir quälen uns nach oben, bis wir schließlich am Ost-West-Scheitel der Berges sind. Der Bach fließt hier nur als kleines Rinnsal, aber es reicht, um die Wasserbeutel aufzufüllen. Frisches Wasser kann so gut schmecken!
Wir sind nun zwar auf dem Ost-West-Scheitel, nach Norden steigt der Berg jedoch noch bis zu einer Passhöhe an. Vor uns liegen einzelne wirklich steile Buckel, Torfabbruchkanten und kleine Lochans, die es unmöglich machen, die genaue Richtung per Blick zu bestimmen. Nach Norden? Oder doch besser nach Nordosten? Oder Nordwesten? Ein Blick auf Karte und Kompass und eine grobe Kreuzpeilung später entscheide ich, dass wir uns direkt über den nördlich vor uns liegenden Buckel nach oben arbeiten, um nicht wieder östlich oder westlich in die Seitentäler abzusteigen. Jens empfindet dies als erneuten Irrweg und kraxelt nur widerwillig unter teilweiser Zuhilfenahme der Hände den steilen Buckel herauf. Nachdem wir die nächste Kante erklommen haben, muss er mir allerdings recht geben. Zumindest heute.
Wir laufen im Zickzack-Kurs zwischen Lochans und Flussmäandern, durch sumpfiges Gelände und Torfabbruchkanten hindurch. Der Weg zur Passhöhe ist wirklich mühsam.
Bei Abstieg ist ein schmaler Pfad zu erkennen, der auch auf der Karte eingezeichnet ist. Der Pfad ist nicht mehr als eine Trittspur von Hirschen und wenigen verirrten Wanderern, aber er geleitet uns relativ sicher den hier sehr steilen Pass hinunter. An mehreren Stellen müssen wir die Hände zu Hilfe nehmen. Loch Dubh sieht von oben wundervoll aus, ist aber im unmittelbaren Uferbereich ein einziger erweiterter Sumpf. Trotz der langen Trockenheit findet sich keine halbwegs von Feuchtigkeit verschonte Stelle zum Zeltaufbau. Etwas weiter oben am Weg findet sich aber dann noch ein etwas abschüssiger aber trockener Platz. Während wir den Kocher anwerfen, beobachten wir, wie die Sonne hinter der beeindruckenden Felswand des Beinn Leoid verwindet.

Auf dem Maovally. Blick nach Norden über Loch Shin und Sutherland.

Blick vom Pass zurück nach Süden. In der Mitte die Todessümpfe, im Süden der Ben More Assynt.

Auf der Passhöhe, im Hintergrund der Beinn Leoid.

Loch Dubh, vom Pass aus gesehen.
Auf der Fahrt zwischen Inverness und Ullapool ergießt sich ein kurzer Schauer. Ansonsten ist der Himmel über dem Loch Broom klar und sonnig. Die letzten Wolken verziehen sich gerade. Die Wettervorhersagen für die nächsten Tage sagen Ähnliches voraus. Sonne, Sonne, Sonne.
Wir sitzen in Ullapool und essen Hamburger & Pommes. Das letzte warme Essen, welches nicht als Trekkingnahrung mit einem Gaskocher zubereitet wird, für einen Zeitraum von 6 bis 7 Tagen. Ab morgen werden wir durch die größtenteils menschenleeren Weiten der Northwest Highlands in North Wester Ross & Sutherland auf dem nördlichen Cape Wrath Trail gehen.
Wie ist es wenn zwei ausgewiesene Besserwisser miteinander auf Trekkingtour gehen? Grundsätzlich sind wir eine gut erprobte Einheit. Beide als Trekker ziemlich ehrgeizig und auch beide in gutem Trainingsstand. Lange befreundet. Eine gut eingespielte Seilschaft. Aber eben notorische Besserwisser. Beide!
Während wir auf das Essen warten, haben wir eine äußerst interessante Diskussion über die Ende April bereits beeindruckende Tageslänge in Nordschottland. Da ich das Reisebuchtagebuch führe, möchte ich euch diesen -unverzüglich im Anschluss notierten- Dialog auf keinen Fall vorenthalten.
(Mein Dank geht an dieser Stelle explizit an meinen Trekkingpartner Jens, der nicht nur schottische Bogholes, gigantische Blasen an den Füßen und nicht zuletzt meine Unarten mit Großmut ausgehalten hat, sondern der auch hervorragend über sich selbst lachen kann.)
Szenerie: Zwei Männer sitzen am Tisch außerhalb eines Pubs in Ullapool, Nordschottland. Die beiden sind gerade angekommen und genießen die umliegende Natur. Versonnen nippen beide an ihren Bier. Es ist 21 Uhr. Der eine, Jens, schaut um diese Ortszeit die noch am Himmel stehende, wenn auch im Untergehen begriffene Aprilsonne an.
Jens: Mann, jetzt noch hell. Da möchte ich mal wissen, wie das hier in den … wie heißt das noch… „Weißen Nächten“ ist.
Ich: „Weiße Nächte“ heißt das in Russland, in St. Petersburg. „Mittsommer“ heißt das in Deutschland.
Jens: „Midsomma“ heißt das in Skandinavien.
Ich (leicht genervt): Nein, auch in Deutschland.
Jens (grinst triumphierend): Aber nur bei Ikea!
Ich (richtig genervt): Nein, „Mitt-som-mer“! Mit Doppel-T und hinten mit E-R geschrieben heißt das in Deutschland. In Skandinavien schreibt man es hinten mit A.
Jens (überlegt kurz, sagt dann provozierend): Aber Mittsommer stimmt ja nicht. Ich mein’, es ist doch mehrere Tage und Wochen so hell.
Ich (gelassen): Vom Sonnenstand aus gesehen stimmt es. Die Sonne steht an einem Tag am höchsten am Himmel. Dann ist eben Mittsommer. Das ist am 21. Juni.
Jens: Aber doch nicht überall. Es kommt doch darauf an, wo du gerade bist …. [überlegt kurz]… ach nee, ist ja egal.
Szenerie: Das Essen kommt. Die beiden Männer essen. Es gibt Pommes (Anm. des Autors: hiervon wird morgen noch die Rede sein). Nach ca. 20 Minuten greift der andere Mann das Thema wieder auf.
Ich: Claudia und ich waren schon mal Mittsommer in Schottland.
Jens: Wann war das?
Ich: 2007.
Jens: Nein, ich meine welcher Monat? Mai oder was?
Ich: Oh, Mann, das haben wir doch eben… (lacht Tränen)
An diesem Abend meine ich leider, das letzte in einer ordentlichen Küche zubereitete Mahl für eine Woche durch Zunahme der maximalen Kalorienzahl abfeiern zu müssen. Also vertilge ich neben meinem Hamburger und meiner eigenen Portion Pommes noch die Hälfte von Jens. Dazu muss man wissen, dass ich seit sechs Jahren mit zwei Ausnahmen im vergangenen Jahr keine (also wirklich: überhaupt keine!) Pommes mehr esse. Gleiches gilt für sämtliche so genannte „Sättigungsbeilagen“ wie Kroketten und Kartoffelecken, welche vorher in Frittierfett um ihre Existenz als Lebensmittel gebracht wurden. Ob Jens dies bewusst ist oder nicht – er überlässt listig die Hälfte seiner Pommes. Die Auswirkungen zeigen sich am nächsten Tag.
Bei glänzendem Wetter geht es zurück in unserer Zelt auf dem Campingplatz in Ullapool. Noch sind Stimmung und Verdauung prächtig.
Sonnenuntergang über dem Loch Broom
29. April 2011: Inverlael bis Duag Bridge Bothy (oder: Pommesgrippe)
Der Tag beginnt für mich mit Magendrücken. Bösem Magendrücken. So als ob alles bis zum Rand gefüllt ist und nichts mehr hinein geht. Während Jens in Ruhe ein ausgiebiges Frühstück zu sich nimmt, muss sich ich bereits einen kleinen Muffin in mich hinein zwängen. Eigentlich geht es dabei für mich nur um das Gefühl, nicht sofort zusammen zu klappen, wenn es direkt hinter Inverlael den ersten starken Anstieg hinauf zur Passhöhe geht.
Wir kommen pünktlich los und stehen um 9:30 Uhr auf dem kleinen Wanderparkplatz bei Inverlael, buckeln die schweren Rucksäcke und: Jaaa! Es! Geht! Wieder! Los! Die mehrmonatige Vorfreude kribbelt noch einmal durch unsere Nackenhaare, als wir die ersten Schritten machen.
Die ersten Meter verlaufen auf einem Forstwirtschaftsweg, immer den hier sehr dichten Nadelwäldern an den steil aufragenden Berghängen entgegen. Wir sehen noch ein paar Forstarbeiter - die letzten Menschen, die uns bis zum späten Nachmittag begegnen.
Der Forstweg führt über eine Brücke und sodann steil bergauf in einem Zickzackkurs durch den Wald. Jens eilt in großen Schritten mit hohem Tempo voraus. Wir sind normalerweise beide gut trainiert. In Normalform könnte ich problemlos mit dem hohen Tempo mithalten. Heute nicht. In meinem Magen befindet sich meinem Gefühl nach ein zentnerschwerer Stein. Es ist ein Gefühl, das ich im Verlaufe des Anstiegs meine „Pommergrippe“ nennen werde. Massen von mit altem Fett frittierten Kartoffelbreistäbchen wälzen sich im Bauch. Jens sprintet enthusiastisch voran und muss sein Tempo bremsen, um mit mir auf gleicher Höhe zu bleiben. Ich schwitzte kalten Schweiß und kämpfe mich keuchend und verbissen den Berg hinauf.
Der Forstweg tritt aus dem Wald heraus und wird zu einem schmalen Pfad. Wir haben einen wunderschönen Blick zurück und durch das unter uns liegende Tal zum Beinn Deargh.
Die Aussicht kann ich kaum genießen. Es wird jetzt für einige hundert Meter richtig steil. Jens geht schnell voran. Ich werde langsamer und langsamer. Jeder Schritt tut nun weh. Das Gefühl von Schüttelfrost kommt auf. Nach einigen hundert Metern wartet Jens. Kurze Pause. Ich setze den Rucksack wieder auf. Das Schwindelgefühl kommt wieder. Der Berg ist kaum noch zu bewältigen. Soll der lang gehegte Traum, den CWT zu laufen, bereits nach wenigen Kilometern an einer höllischen Magenverstimmung scheitern? Ich bleibe wieder stehen. Es geht nicht mehr. Jens setzt ratlos den Rucksack ab. Da melden sich die Pommes. Ein kurzes Husten und…
…nach vier Minuten geht es mir wieder einigermaßen gut. Ich bin jetzt innerlich vollkommen rein. Der Höhepunkt der Pommesgrippe ist durchgestanden. Während ich mir noch etwas wackelig in den Beinen den Rucksack wieder auflade fasse ich den Entschluss, dass dies endgültig die letzten Pommes in meinem Leben gewesen sind. (Für alle Interessierten: Bis jetzt habe ich diesen Entschluss durchgehalten.) Jens schaut ebenfalls sehr erleichtert drein, weil sich sein Trekkingpartner nun doch nicht vorzeitig von der Tour verabschieden muss.
Der Pfad windet sich zu einer Hochebene, bis er sich schließlich zwischen Heidekraut verliert. Wir stampfen weiter, bis sich ein Bach ausmachen lässt. Entlang des Nachufers sind die Heidesträucher nicht so hoch gewachsen. Durch die Trockenheit der letzten Wochen sind auch keine unangenehm tiefen Bogholes zu erkennen. Schließlich laufen wir wieder nach unten. Ein weites baumloses Tal öffnet sich vor uns. Am linken Hang des vor uns liegenden Berges zeigt sich der Landrover-Track, den wir (abweichend vom klassischen CWT) unter Umgehung des Loch an Daim begehen wollen.
Blick zurück Richtung Inverlael, im Hintergrund An Teallach.
Glen und River Douchary, im Hintergrund rechts der weitere Landrovertrack.
Bevor wir im Windschutz einer hohen Torfabbruchkante unsere Mittagspause machen, stolpere ich noch über einen Heidestrauch und kugele, getrieben durch das hohe Rucksackgewicht, in einem Purzelbaum den Hang herunter. Es wird Zeit, dass mein Magen wieder etwas Inhalt bekommt. Wir machen Mittag. Mit der Mahlzeit und der Pause kommen meiner Kräfte zurück.
Den River Douchary haben wir schnell über ein paar großen Trittsteinen gequert. Wieder kommt uns die Trockenheit der vergangenen Tage zu pass. Unter normalen Umständen hätten wir bestimmt die Watschuhe anziehen müssen. Wir kommen an den Hang und arbeiten uns langsam durch das Heidestrauchgestrüpp den Hang hoch. Ich vertraue darauf, dass alles so ausgetrocknet ist wie der River Douchary, erwische aber mehrere Bogholes, die meine Hose unterhalb des Knies in ein charmantes Schlammbraun färben. Einmal auf dem Landrovertrack angekommen, machen wir schnell Strecke. Bei Übergang über die kleine Passhöhe ins Strath Mulzie bläst uns trotz des Sonnenscheins ein eisiger Wind entgegen. Eine einsame Schlange kreuzt unseren Weg. Ansonsten dauert es mehrere Stunden, bis wir uns durch das Strath Mulzie gearbeitet haben. Unterwegs treffen wir zwei mal zwei Wanderer, die uns jeweils verkünden, bald ihr Zelt aufschlagen zu wollen. Es ist schon später Nachmittag.
Wir nähern uns endlich auch unserem Ziel, der Duag Bridge Bothy, dem „Old Schoolhouse“ der hier zusammen laufenden Täler. Die Täler sind mittlerweile unbewohnt. Das Schoolhouse besteht aus einem Vorraum, an den eine Abstellkammer und zwei größere Räume angeschlossen sind. Der Schlafraum mit Pritschen für 2-3 Personen ist wunderschön neu renoviert. Wir sind die einzigen und beziehen mit unseren Schlafsäcken die Pritschen.
Wir tragen die Stühle vor die Bothy und genießen die Abendsonne sowie jeweils eine Dose Bier, die wir seit Ullapool für den heutigen Abend mitgeschleppt haben. Das dünne Lagerbier kann so gut schmecken, wenn man genügend Kilometer in den Beinen hat.
Blick in das obere Strath Mulzie.
Ein schales aber wohlschmeckendes Dosenbier vor der Duag Bothy.
30. April 2011 – Duag Bridge Bothy bis Ben More Assynt Ostflanke (Loch Carn nan Conbhairean)
Nach einer tief durchschlafenen Nacht beginnt ein grandioser Wandertag mit einem Frühstück vor der Bothy unter wolkenlosen Himmel in der warmen Morgensonne. Wie sehr die Trockenheit Auswirkung auf die Natur hat, merken wir, als neben uns ein Range Rover hält und der Fahrer uns fragt, ob wir etwas von einem Brand bemerkt hätten. Auf unsere Frage hin erklärt er uns, dass es gestern einen großen Brand am Weg Richtung Ullapool, kurz hinter dem Loch an Daim gegeben hätte. Die trockenen Heidesträucher würden bei der kleinsten Gelegenheit Feuer fangen. Er kontrolliere nun, ob nicht irgendwo anders ein Brand ausgebrochen sei. Wir haben nicht bemerkt und so fährt er weiter.
Wir beginnen unseren Weg Richtung Oykel Bridge, das aus einem halben Dutzend Häusern im hier sehr dichten Wald und einem an der Straße gebauten Hotel besteht. Jens will unbedingt einen frischen Tee und ein Wasser. Obwohl das Hotel von außen wie ausgestorben aussieht, lässt sich Jens nicht beirren und tritt ein. Mit Rufen schafft er es sogar, jemand in den Gastraum zu beordern; Preußen können in ihrer direkten Art manchmal wirklich so grausam wie effektiv sein. Wir bekommen Tee und Mineralwasser. Die Besitzerin, die uns bedient, erklärt uns noch, dass sie das Hotel erst vor kurzem übernommen hätten und es diese Woche eigentlich noch wegen Renovierung geschlossen sei.
Nach der Pause im angenehm kühlen Gastraum geht es weiter Richtung Loch Ailsh. Der Pfad verläuft gleichmäßig entlang des Oykel River und eröffnet immer wieder schöne Blicke in das Tal. Irgendwann rücken die Berge wieder näher und der Pfad knickt mit dem Oykel River nach rechts in den Wald ab. Die Nadelbäume der typisch schottischen Baumplantage rücken an den Pfad heran, der ab hier immer schlechter wird. Wir fressen Kilometer um Kilometer und kommen schließlich an den Ruinen von Salachry an. Geradeaus verläuft ein scheinbar neu gerodeter und planiert Pfad weiter am River Oykel. Die Karte zeigt allerdings keinen Pfad an. Aus Beschreibungen des CWT habe ich zudem im Kopf, dass man sich an den Ruinen von Salachry durch den Wald ein paar Höhenmeter nach oben schlag soll, um den Waldweg zum River Oykel zu erwischen. Wir machen unsere Mittagspause an der Lichtung und bahnen uns dann den Weg entlang eines Waldbaches, der durch eine kleine Klamm verläuft, nach oben. Ich muss daran denken, dass Pfad-Finder in seinem CWT-Bericht behauptet hat, die dicht wachsenden Zweige mit der Grünen Schrankwand für alle Nachkommenden gestutzt zu haben. Dies mag vor einiger Zeit zugetroffen haben, aktuell bahnen wir uns aber wieder den Weg durch dichtes Gestrüpp. Mit meinem großen Rucksack breche ich mehrmals eine Bresche für Jens, der sich, an Rucksack und Schultern schmaler ausgestattet, scheinbar leichtfüßig seinen Weg durch den Wald sucht.
Als wir oben ankommen treffen wir auf: Einen niegelnagelneu geteerten Fahrweg, den selbst ein schwäbischer Ortsvorsteher mit Stolz als neuen Premiumradweg einweihen würde. Hier ist im letzten Jahr einiges passiert. Problematisch ist nur, dass der eintönige Weg kilometerweit durch einen eintönigen Baumplantagenwald eintönig und ereignislos auf und ab verläuft. Wir laufen und laufen, ohne dass sich irgendetwas ändert. Mit den Trekkingstiefeln läuft es sich unangenehm auf dem harten Untergrund. Wir machen Witze darüber, dass wir vermutlich die ganze Zeit auf der Stelle laufen und die Teerstraße von einer uns nicht bekannten Kraft langsam wie ein Laufband mit dem Tempo unserer Laufgeschwindigkeit bewegt wird, so dass wir immer die gleichen 100 Meter des Waldes rechts und links neben uns sehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit windet sich der Weg nach unten an den River Oykel, kommt aus dem Wald heraus und eröffnet einen wundervollen Blick auf den Loch Ailsh sowie die dahinter liegenden Südausläufer des Ben More Massivs. Dabei müssen wir erkennen, dass von der planierte Uferpfad, den wir bei Salachry verlassen haben, einmündet.
Für alle künftigen CWT-Wanderer: Probiert den Uferpfad aus und versucht euch nicht durch den Wald auf das geteerte Laufband im Wald durchzuschlagen!
Am Nordende des Loch Ailsh machen wir eine erneute Rast und beschließen, heute noch einige Kilometer in die Wildnis nach Norden zu laufen. Wir werden nicht die „klassische Route des CWTs nach Nordwesten über den Ben More nach Inchnadamph laufen sondern uns nach Nordenosten wenden und den Ben More auf seiner Ostseite passieren. Der Pfad wird schmaler und schmaler. Hinter ein Flüsschen verschwindet er fast gänzlich und lässt sich nur noch gelegentlich durch ein paar in den Morast gefräste Landrover-Spuren oder die Trampelpfade von Schafen und Hirschen erahnen. Wir bahnen uns eine Weg über trockenes Sumpfgras und Heidebüsche unseren Weg nach Nordenosten.
Als es steil einen Hügel herauf geht, verliert sich der nur noch angedeutete Pfad vollends. Ein Blick über die weite, von Heidesträuchern und kleinen Lochans durchsetzte Landschaft bewegt mich dazu, den Pfad etwas bergab in nördlicher Richtung zu suchen. Jens (zu dessen Ehrenrettung dies hier ausdrücklich erwähnt sein soll) hatte hingegen von vornherein den Riecher, nach Sicht über Karte und Peilung mit Kompass, weiter den Berg hinauf in nordwestlicher Richtung zu gehen. Er hat, wie sich später heraus stellt, Recht. Da ich ihn aber ignoriere, kämpfen wir uns durch meterhohe Torfabbruchkanten, durchwaten Bogholes, umkurven Heidesträucher, bis wir uns nach einer halben Stunde Kampf wieder bergauf auf den über uns auftauchenden Pfad durchkämpfen. Ich hole mir meine wohlverdiente Schelte ab und wir sind nach einer weiteren halben Stunde am Loch Carn nan Conbhairean, an dessen Ufer wir auf der praktisch einzigen unbewachsenen Stelle unser Zelt aufschlagen. Der Tag hat uns viel Kraft gekostet, aber eine wundervolle orangene Abendsonne scheint über den Ben More Assynt in das hufeisenförmige Seitental des Lochs hinein. Es gibt eine große Portion Trekkingnahrung und einen Schluck Whisky aus dem Flachmann. Kann Trekking schöner sein? Wir liegen früh in den Schlafsäcken und schlafen den Schlaf der Gerechten!
Die alte Oykel Bridge.
Mittagspause an den Ruinen von Salachry.
Loch Ailsh vom Süden aus.
Blick zurück nach Süden. Ganz hinten links Richtung Loch Ailsh, rechts die Ausläufer des Ben More Assynt.
Camp am See im Sonnenuntergang.
01. Mai 2011: Ben More Assynt Ostflanke (Loch Carn nan Conbhairean)
bis Loch Dubh am Beinn Leoid
Szenerie: Zwei Männer liegen im Zelt, der eine schläft noch, der andere ist schon wach. Der wache Mann (ein Kind der DDR) weckt den anderen (einen „geborenen“ Westler), mit gespielt panischem Aktionismus.
Jens: „Ulf, wach auf, wir müssen marschieren gehen.“
Ich (schlaftrunken im Schlafsack): „Waaas? Wieso?“
Jens: „Es ist erster Mai! Tag der Arbeiterklasse. Zieh dein Pioniertuch an!“
Ich (immer noch schlaftrunken): „Oh Mann, du bist ein [zensiert]“.
Nach dem Zeltabbau gehen wir schnell los. Der Weg ist noch einige Meter sichtbar, in denen er sich über Moorland zwischen Tümpeln und Heidesträuchern hindurch nach Nordosten windet. Wir kämpfen uns durch das Moor den Hügel hinauf. Der Pfad stößt hier auf einen Landrovertrack, der sanft ins Tal hinunter führt. Die Mächtigkeit der Landschaft mit den hier weit auseinander stehenden Bergen der Highlands ist beeindruckend.
Wir laufen bis zum River Cassley und dem nach deutschen Maßstäben wirklich winzigen Wasserkraftwerk, das völlig einsam am Ufer steht. Danach windet sich der Track in einigen Serpentinen hinauf zur kahlen Kuppe des Maovally. Wir fühlen uns gut. Die Sonne scheint, Luft und Laune sind bestens. Wir und legen ein Eilmarschtempo vor und sind schneller über den Maovally, als wir es selbst gedacht hätten. Auf der anderen Seite blicken wir Kilometer weit über den Loch Shin hinaus auf die Berge Sutherlands im Norden. Wir laufen noch einige Kilometer weit hinunter und machen unsere Mittagspause.
Kurz vor der Farm von Corrykinloch kommt uns ein Range Rover mit drei Insassen entgegen, die uns stoisch grüßen. Es sind die einzigen Menschen, die wir an diesem Tag sehen werden. Wir passieren Corrykinloch und laufen in die steil ansteigenden Hänger des Tales zu. Der Weg wird zum Pfad und dünnt immer mehr aus, bis wir schließlich an die Hänge gelangen, wo er faktisch verschwindet. Es ist Nachmittag, die Sonne brennt. Als wir den Bach in der Talmitte überqueren, verzichten wir angesichts zahlreicher Hinterlassenschaften von Schafen darauf, unsere leeren Wasserbeutel aufzufüllen. Der Plan ist, dies weiter oben am Bachlauf zu tun. Das Problem ist, dass sich der vor uns liegende Berg viel besser weiter oben an den Talhängen besteigen lässt. Der Bach selbst durchläuft die Hänge in gewunden, kaum zugänglichen Kaskaden. Wir kämpfen uns nach oben. Durst. Und kein Wasser. Mitten in Schottland. In Schottland! Jens flucht, er habe ja gleich gesagt, wir sollen die Wasserbeutel unten auffüllen; so dreckig sei das Wasser nun auch nicht gewesen. Ich fluche zurück, er hätte seinen blöden Beutel doch mit dem Dreckswasser auffüllen können, ich hätte ihn nicht daran gehindert. Wir quälen uns nach oben, bis wir schließlich am Ost-West-Scheitel der Berges sind. Der Bach fließt hier nur als kleines Rinnsal, aber es reicht, um die Wasserbeutel aufzufüllen. Frisches Wasser kann so gut schmecken!
Wir sind nun zwar auf dem Ost-West-Scheitel, nach Norden steigt der Berg jedoch noch bis zu einer Passhöhe an. Vor uns liegen einzelne wirklich steile Buckel, Torfabbruchkanten und kleine Lochans, die es unmöglich machen, die genaue Richtung per Blick zu bestimmen. Nach Norden? Oder doch besser nach Nordosten? Oder Nordwesten? Ein Blick auf Karte und Kompass und eine grobe Kreuzpeilung später entscheide ich, dass wir uns direkt über den nördlich vor uns liegenden Buckel nach oben arbeiten, um nicht wieder östlich oder westlich in die Seitentäler abzusteigen. Jens empfindet dies als erneuten Irrweg und kraxelt nur widerwillig unter teilweiser Zuhilfenahme der Hände den steilen Buckel herauf. Nachdem wir die nächste Kante erklommen haben, muss er mir allerdings recht geben. Zumindest heute.
Wir laufen im Zickzack-Kurs zwischen Lochans und Flussmäandern, durch sumpfiges Gelände und Torfabbruchkanten hindurch. Der Weg zur Passhöhe ist wirklich mühsam.
Für alle CWT-Wanderer: Die Route ist wirklich nur bei trockenem Untergrund zu empfehlen. Bei vorherigem Regen hätte uns das Moor mehrere Male verschlungen bzw. zu einem weiten Umweg gezwungen. Bei trockenem Wetter ist die Landschaft aber die Strapazen allemal wert.
Im letzten, flachen Stück bis zur Passhöhe sind die zahlreichen Tümpel und Lochans noch nicht ausgetrocknet. Es quietscht und quillt bei jedem Schritt. Wir laufen durch eine einsame Hochmoorlandschaft, die uns vorkommt wie die Todessümpfe aus „Der Herr der Ringe“. Endlich, nach einem qualvoll langen wie anstrengenden Aufstieg sind wir oben auf dem Pass zwischen Beinn Leoid und Meallan a Chuail. Auf der nördlichen Seite sehen wir weit unten den Loch Dubh liegen. Dort wollen wir unser heutiges Lager aufbauen.Bei Abstieg ist ein schmaler Pfad zu erkennen, der auch auf der Karte eingezeichnet ist. Der Pfad ist nicht mehr als eine Trittspur von Hirschen und wenigen verirrten Wanderern, aber er geleitet uns relativ sicher den hier sehr steilen Pass hinunter. An mehreren Stellen müssen wir die Hände zu Hilfe nehmen. Loch Dubh sieht von oben wundervoll aus, ist aber im unmittelbaren Uferbereich ein einziger erweiterter Sumpf. Trotz der langen Trockenheit findet sich keine halbwegs von Feuchtigkeit verschonte Stelle zum Zeltaufbau. Etwas weiter oben am Weg findet sich aber dann noch ein etwas abschüssiger aber trockener Platz. Während wir den Kocher anwerfen, beobachten wir, wie die Sonne hinter der beeindruckenden Felswand des Beinn Leoid verwindet.
Auf dem Maovally. Blick nach Norden über Loch Shin und Sutherland.
Blick vom Pass zurück nach Süden. In der Mitte die Todessümpfe, im Süden der Ben More Assynt.
Auf der Passhöhe, im Hintergrund der Beinn Leoid.
Loch Dubh, vom Pass aus gesehen.
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