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Mitreisende | |
Land: [GB]
Reisezeit: Mai 2010
Region/Kontinent: Mitteleuropa
Nach drei Wochen Wandern und Zelten in Schottland bin ich wieder daheim. Das Zelt trocknet auf dem Wäschegestell vor sich hin (bei diesem schönen Regen ist das besser so), der erste Arbeitstag liegt auch hinter mir, aber irgendwie bin ich noch nicht so richtig angekommen.
Ich werde den Reisebericht häppchenweise einstellen, je nachdem wie ich gerade mit dem Sortieren der Fotos vorankomme. Den Entwurf des Berichts habe ich nach Abschluss der Tour (letzten Mittwoch) in verschiedenen Coffeeshops, im Pub und im Zelt geschrieben. Ich habe nach dem ersten Pint Cider immer aufgehört zu schreiben...
Knoydart, Glen Affric, Thieves’ Road
Knoydart - vor dieser Tour habe ich einen gewissen Respekt. Ich lese einiges darüber; da kommen immer wieder Begriffe wie „weglos“, „boggy“, „last wilderness“ vor. Das wird sicherlich eine Nummer größer als die beiden Touren letztes Jahr. Dennoch: die Planung läuft. Wie selbstverständlich schließt sich eine Route von Shiel Bridge durchs Glen Affric nach Cannich an. Dann kommt der Vorschlag von Nic, mein Zelt, meinen Rucksack und mich in Cannich einzusammeln und gemeinsam die Gegend um die Culra bothy unsicher zu machen. Logisch, dass danach Loch Ossian und Glen Nevis auf das Programm kommen. Damit wäre der Kreis (fast) geschlossen.
Doch die Frage bleibt: Schaffe ich das alles? So rein physisch gesehen? Durch die langwierigen Rückenprobleme im Frühjahr konnte ich nicht trainieren, und der Rucksack wird schwer dieses Mal. Wegen der winterlichen Bedingungen nehme ich entsprechende Kleidung mit, dazu die komplette Verpflegung von Glenfinnan bis nach Shiel Bridge.
Letztlich gehe ich mit „Plan A, B, C und D“ los und sehe mal, wie weit ich komme.
Jetzt sitze ich hier in der Nevis Bar bei einem wohlverdienten Cider, sichte meine Notizen, und lasse die beiden letzten Wochen noch mal an mir vorbeiziehen. Es war einmalig schön. An fast jedem Tag gab es Situationen, in denen ich mir die altbekannten Fragen stellte: „Was mache ich hier eigentlich?“, „Warum tue ich mir das an?“, und „Wird der ganze Urlaub so?“. Aber am Ende eines jeden Tages war ich zufrieden, entspannt, glücklich. Dieses „tiefenentspannte“, „entschleunigte“ Gefühl wird lange anhalten.
Sonntag, 09.05.2010 - Anreise -
Morgens früh geht mein erster Weg an den Computer. Was macht „Die Wolke“? BBC meldet, dass die Airports auf den Western Isles, Orkney und in Inverness geschlossen sind. Die Wolke ziehe nach Südosten. Lufthansa meldet für meinen Flug noch „planmäßig“. Das ungute Gefühl im Bauch bleibt.
Vor dem Urlaub liegt noch eine andere Hürde; diese ist allerdings berechenbarer als die Aschewolke: Die Konfirmation meiner Nichte. Erwähnte ich schon meine Abneigung gegen größere Verwandtschaftsaufläufe? Pünktlich zum Mittagessen treffen wir im gebuchten Lokal ein. Gegen 14.00 Uhr rufe ich die Service-Nummer von Lufthansa an; der Flug ist nach wie vor „planmäßig“. Eine halbe Stunde später setze ich mich ab. Ich ziehe mich um, tausche den feinen Zwirn gegen das Trekkingoutfit. Schon sehe ich Unverständnis auf den Gesichtern einiger Gäste. Ist die verrückt oder was?
Mr. Borderli bringt mich zum Flughafen Frankfurt. Einchecken, Rucksack abgeben. 18kg - das wird eine üble Schlepperei werden. Ich sitze dann am Gate und warte. Auf dem Bildschirm erscheint die Meldung, dass der Flughafen München geschlossen ist. Mein Flug wird als verspätet gemeldet. Die Frage des Tages: Fliegen wir los, bevor der Luftraum über Frankfurt oder Edinburgh gesperrt wird? Es bleibt spannend. Dann, endlich, Aufruf zum boarding. Abflug, Landung in Edinburgh. Der Urlaub kann beginnen!
Ich nehme den Bus vom Airport zur Waverley Bridge und laufe dann zum SYHA-Hostel. Im Schlafsaal angekommen, räume ich den Rucksack komplett aus und wieder ein, dusche, und trinke noch etwas im Coffee-Shop. Das Konfirmations-Mittagessen liegt mir schwer im Magen, ich habe keinen Hunger. Ich bin früh in der Kiste, bin hundemüde. Der Schlafsaal ist nur mit drei Personen belegt, die Nacht ist ruhig.
Montag, 10.05.2010 - Das Abenteuer beginnt -
Ich stehe früh auf. Ohne Frühstück laufe ich zum Busbahnhof. Mein Rucksack und ich, wir sind noch keine Freunde. Wie soll das erst in den nächsten Tagen werden?
Der Bus nach Glasgow geht um 7.30 Uhr. In der Buchanan Bus Station habe ich Zeit für einen Kaffee. Ich setze vorsichtig die Tasse auf einer Wartebank ab, den Rucksack auf dem Boden, und höre ein dezentes „Pling!“. Was ist denn jetzt kaputt? Ah, die Armbanduhr. Kurz vor der Abreise habe ich ein neues Band anbringen lassen; dieses wurde offensichtlich nicht richtig befestigt. Ich sammele die Einzelteile ein; die Uhr selbst hat zum Glück keinen Schaden genommen. Dieses „Pling“ sollte sich als eine der besten Voraussetzungen für einen entspannten Urlaub herausstellen. Trage ich die Uhr in der Jackentasche, ist die Jacke auf dem Rucksack festgeschnallt. Trage ich sie in der Hosentasche, habe ich regelmäßig die Regenhose darüber. Dieses „zeitlose“ Wandern hat was.
Zurück zum Thema. Um 10.00 Uhr geht der Bus nach Fort William. Rucksack ins Gepäckfach, ich in den Bus. Es ist immer wieder schön, die vertraute Landschaft zu sehen. Die A82 ist mit Baustellen gepflastert, die Fahrt zieht sich. Mit Verspätung erreichen wir Fort William. Noch eine halbe Stunde Zeit, um Gas zu kaufen. Ich eile los zum pedestrian underpass - gesperrt. Baustelle. Also ganz außenrum laufen, am Hospital vorbei, zweimal fast unter die Räder gekommen, dann rein in den Nevisport, zwei Kartuschen kaufen, und wieder zurück. Im Bahnhof hole ich mir noch schnell was zum Futtern; mein Magen grummelt inzwischen lautstark. Um 13.45 weiter mit Busaichean Seile nach Glenfinnan. Mein Rucksack liegt zwischen den Einkaufstüten einiger älterer Damen im Gepäckfach. Der Fahrer fragt mich, wohin ich will und wo ich diese Nacht schlafen werde, zeigt sich einigermaßen beeindruckt von meinen Plänen und wünscht mir viel Glück. Der Bus fährt ohne mich weiter.
Ich stehe mit dem dicken Rucksack gegenüber der Straße zur Corryhully Bothy und frage mich „Was mache ich hier?“ und „Schaffe ich das?“ Das mulmige Gefühl im Bauch bleibt. Diesmal ist es kein Hunger, eher Respekt, ein wenig Angst, und Vorfreude.
Also dann: Auf geht’s, das Abenteuer kann beginnen.
Glenfinnan Viaduct von Borderli auf Flickr
Gleich zu Beginn stelle ich fest: Tarmac walking ist doof. Vor allem mit einem schweren Rucksack. Dieses verflixte Teil scheint einen Zentner zu wiegen, hängt wie ein Bleisack an mir. Aber die Sonne scheint, es ist angenehm kühl, und ich habe Urlaub.
An der Corryhully Bothy mache ich eine kurze Pause. Aha, da ist ja wieder ein Wasserkocher. Die bothy ist mir unsympathisch. Das Dach klappert, es ist dunkel, es riecht unangenehm. Nichts wie raus hier, in den sonnigen Nachmittag. Hätte ich gewusst, dass Nic einen Eintrag im bothy-Buch für mich hinterlassen hat, wäre ich ein paar Minuten länger geblieben.
Corriehully Bothy von Borderli auf Flickr
Ich laufe weiter. Aus der Asphaltstraße ist ein Landrover-Track geworden, und die Berge scheinen näher zu rücken. Ein kalter Wind kommt auf. Ein Stück hinter der Brücke sehe ich unten am Fluss ein Stück Wiese, das zum Zelten geeignet erscheint. Ich baue das Zelt auf, richte mich häuslich ein, und dann setze ich mich, in die Primaloftjacke gekuschelt, mit einer Tasse Kaffee ans Flussufer.
Glenfinnan von Borderli auf Flickr
Glenfinnan von Borderli auf Flickr
Wildcamp von Borderli auf Flickr
Langsam, ganz langsam, beginnen der Stress und die Hektik der vergangenen Monate von mir abzufallen. Noch bin ich mit den Gedanken ständig unterwegs, bei der Arbeit, bei der Familie, bei der Planung der nächsten Tage. Einfach nur dasitzen, dem Rauschen des Flusses zuhören, an nichts denken, loslassen - das kann ich heute noch nicht.
Nach dem Abendessen - ich muss ja schließlich etwas gegen das hohe Rucksackgewicht tun - wird es kalt. Eingemummelt in Socken, Shirt, Fleecepulli und Fleecehose kuschele ich mich in den Schlafsack. Das Kopfkino lässt mich noch eine Weile nicht schlafen, aber irgendwann gehen dann doch die Lichter aus.
Dienstag, 11.05.2010 - Ein Pass, ein Fluss, und ein weicher Fall -
Mitten in der Nacht wache ich auf. Es ist lausig kalt. Trotz Fleece und Schlafsack friere ich. Ein Blick vor das Zelt sagt mir, warum: Es schneit. Hallo? Schnee? Mitte Mai? Dabei bin ich noch ziemlich weit unten im Tal. Ich ziehe die Primaloftjacke darüber und schlafe weiter. Um 7.00 Uhr bin ich dann wieder wach, und um halb neun fertig zum Aufbruch. Diese eineinhalb Stunden von Aufwachen bis Aufbrechen werden sich im Laufe der Tour nicht ändern, diese Zeit brauche ich einfach.
Wildcamp am Morgen von Borderli auf Flickr
Ich laufe weiter Richtung Pass. Da: ein boghole. Ein einziges boghole auf dem ansonsten recht guten Pfad. Ich trete rein, mache noch einen Schritt, und der bog will meinen Schuh nicht mehr hergeben. Ich mache einen beherzten Schritt rückwärts, und der schwere Rucksack tut sein Übriges: Ich falle nach hinten und lande mit dem Hinterteil im Matsch. Zum Glück sind beide (also der Matsch und mein Hinterteil) gut gepolstert. Da ich die Regenhose noch im Rucksack habe, bin ich jetzt nass bis auf die Haut. Erst mal schimpfe ich drauflos. Wie kann ich nur so dämlich sein? Es ist ja schließlich nicht mein erstes boghole. Ich gehe ein paar Schritte weiter. Nein, so wird das nichts. Bei Temperaturen von gefühlten 5°C und kaltem Wind mit nasser Hose rumlaufen, das ist definitiv nicht gesund. Ich setze den Rucksack ab, krame die Ersatzhose (letzte Zweifel, ob die nötig war, sind jetzt beseitigt) und frische Unterwäsche raus, und mache einen netten Strip auf dem Weg zum Pass. Zum Glück ist da sonst niemand unterwegs…
Wieder trocken, und zusätzlich eingepackt in die Regenhose, lache ich mich schlapp. Das fängt ja gut an!
Etwas später setzt leichter Schneefall ein. Zum Glück kommt der Wind von hinten, da können die Flocken und Graupel nicht im Gesicht wehtun. Auf der Passhöhe kommt die Sonne raus. Pause!
Bealach a' Chaorainn von Borderli auf Flickr
Danach folgt ein steiler Abstieg auf Trampelspuren, ohne „richtigen“ Weg.
Abstieg vom Bealach a' Chaorainn ins Gleann Cuìrnean von Borderli auf Flickr
Ich bin extra vorsichtig: Kurz vor meiner Abreise las ich in einem anderen Forum von Einem der auszog, den Cape Wrath Trail zu bezwingen. Sein Unterfangen endete genau an diesem Abstieg. Er rutschte aus, fiel hin, und brach sich den Knöchel. Damit mir das nicht passiert, setze ich ganz behutsam einen kleinen Schritt vor den anderen. Nasser Untergrund und immer wieder Graupelschauer machen das Gehen nicht einfacher. Aber dann: geschafft. Der steilste Abschnitt liegt hinter mir.
Bealach a' Chaorainn von Borderli auf Flickr
Auf Trampelspuren geht es weiter bergab. Entgegen mancher Aussagen gibt es wirklich so eindeutige Trampelspuren, dass man sie schon als „Pfad“ bezeichnen könnte.
Wolken, kurze Schauer, und Sonnenschein wechseln sich ab.
Gleann Cuìrnean Panorama von Borderli auf Flickr
Dann, plötzlich und unerwartet: Der Weg ist weg. Der Hang, und mit ihm meine bevorzugte Trampelspur, ist abgerutscht. Irgendwo in luftiger Höhe scheint zwar eine weitere Spur zu gehen, aber ich ziehe es vor, am Rand des Flussbettes über die Steine zu gehen. Ist fast so wie ein Mini-Boulderfield mit Pfützen drin. Über einen großen Brocken, der ungünstigerweise mitten im Weg liegt (links steiles Ufer, rechts tiefes Wasser) krabbele ich wenig elegant auf Knien hinweg. Hinter dieser Abbruchstelle geht die Spur weiter, mal am Fluss, mal oberhalb. Ich bin so damit beschäftigt, auf den Weg zu achten, dass ich das Gewicht des Rucksacks gar nicht mehr wahrnehme. Es läuft gerade alles so richtig gut, da kommt die nächste Stelle, an der der Weg in den Fluss gestürzt ist.
Wo ist der Weg? von Borderli auf Flickr
Ein Blick auf das gegenüber liegende Flussufer sagt mir: Dort drüben ist alles flach und grün! Ich mache nicht lange rum. Schuhe, Gamaschen und Socken aus, Crocs an, und ab durch den Fluss. Der hat so wenig Wasser, dass sich das Schuhewechseln eigentlich gar nicht gelohnt hat. Am sonnigen Ufer mache ich eine Pause. Jetzt ist das Gehen einfach. Deutliche Spuren, kaum bogholes, keine Abbrüche, keine Schlucht ….
Gleann Cuìrnean von Borderli auf Flickr
Eher als erwartet komme ich an der Brücke über den Pean an. Für heute reicht es; ich will es nicht gleich am ersten Wandertag übertreiben.
Ziemlich boggy geht ein Trampelpfad Richtung Strathan. Gegenüber einer Insel finde ich am Ufer ein Plätzchen für mein mobiles Einzimmerapartment.
Wildcamp am River Pean von Borderli auf Flickr
Die Sonne scheint, ein leichter Wind weht, und die am Morgen außerplanmäßig durchnässten Sachen trocknen schnell. Als ich nach dem Wasserholen vom Fluss zum Zelt zurückgehe, sehe ich von weitem den einzigen anderen Menschen für heute.
Ich bin froh, diesen Abschnitt heile hinter mich gebracht zu haben; zu viele Meldungen über gebrochene Knöchel, dramatische Wege durch die Schlucht, wegloses Laufen, steile Abstiege haben mich doch verunsichert.
Reisezeit: Mai 2010
Region/Kontinent: Mitteleuropa
Nach drei Wochen Wandern und Zelten in Schottland bin ich wieder daheim. Das Zelt trocknet auf dem Wäschegestell vor sich hin (bei diesem schönen Regen ist das besser so), der erste Arbeitstag liegt auch hinter mir, aber irgendwie bin ich noch nicht so richtig angekommen.
Ich werde den Reisebericht häppchenweise einstellen, je nachdem wie ich gerade mit dem Sortieren der Fotos vorankomme. Den Entwurf des Berichts habe ich nach Abschluss der Tour (letzten Mittwoch) in verschiedenen Coffeeshops, im Pub und im Zelt geschrieben. Ich habe nach dem ersten Pint Cider immer aufgehört zu schreiben...
Knoydart, Glen Affric, Thieves’ Road
Knoydart - vor dieser Tour habe ich einen gewissen Respekt. Ich lese einiges darüber; da kommen immer wieder Begriffe wie „weglos“, „boggy“, „last wilderness“ vor. Das wird sicherlich eine Nummer größer als die beiden Touren letztes Jahr. Dennoch: die Planung läuft. Wie selbstverständlich schließt sich eine Route von Shiel Bridge durchs Glen Affric nach Cannich an. Dann kommt der Vorschlag von Nic, mein Zelt, meinen Rucksack und mich in Cannich einzusammeln und gemeinsam die Gegend um die Culra bothy unsicher zu machen. Logisch, dass danach Loch Ossian und Glen Nevis auf das Programm kommen. Damit wäre der Kreis (fast) geschlossen.
Doch die Frage bleibt: Schaffe ich das alles? So rein physisch gesehen? Durch die langwierigen Rückenprobleme im Frühjahr konnte ich nicht trainieren, und der Rucksack wird schwer dieses Mal. Wegen der winterlichen Bedingungen nehme ich entsprechende Kleidung mit, dazu die komplette Verpflegung von Glenfinnan bis nach Shiel Bridge.
Letztlich gehe ich mit „Plan A, B, C und D“ los und sehe mal, wie weit ich komme.
Jetzt sitze ich hier in der Nevis Bar bei einem wohlverdienten Cider, sichte meine Notizen, und lasse die beiden letzten Wochen noch mal an mir vorbeiziehen. Es war einmalig schön. An fast jedem Tag gab es Situationen, in denen ich mir die altbekannten Fragen stellte: „Was mache ich hier eigentlich?“, „Warum tue ich mir das an?“, und „Wird der ganze Urlaub so?“. Aber am Ende eines jeden Tages war ich zufrieden, entspannt, glücklich. Dieses „tiefenentspannte“, „entschleunigte“ Gefühl wird lange anhalten.
Sonntag, 09.05.2010 - Anreise -
Morgens früh geht mein erster Weg an den Computer. Was macht „Die Wolke“? BBC meldet, dass die Airports auf den Western Isles, Orkney und in Inverness geschlossen sind. Die Wolke ziehe nach Südosten. Lufthansa meldet für meinen Flug noch „planmäßig“. Das ungute Gefühl im Bauch bleibt.
Vor dem Urlaub liegt noch eine andere Hürde; diese ist allerdings berechenbarer als die Aschewolke: Die Konfirmation meiner Nichte. Erwähnte ich schon meine Abneigung gegen größere Verwandtschaftsaufläufe? Pünktlich zum Mittagessen treffen wir im gebuchten Lokal ein. Gegen 14.00 Uhr rufe ich die Service-Nummer von Lufthansa an; der Flug ist nach wie vor „planmäßig“. Eine halbe Stunde später setze ich mich ab. Ich ziehe mich um, tausche den feinen Zwirn gegen das Trekkingoutfit. Schon sehe ich Unverständnis auf den Gesichtern einiger Gäste. Ist die verrückt oder was?
Mr. Borderli bringt mich zum Flughafen Frankfurt. Einchecken, Rucksack abgeben. 18kg - das wird eine üble Schlepperei werden. Ich sitze dann am Gate und warte. Auf dem Bildschirm erscheint die Meldung, dass der Flughafen München geschlossen ist. Mein Flug wird als verspätet gemeldet. Die Frage des Tages: Fliegen wir los, bevor der Luftraum über Frankfurt oder Edinburgh gesperrt wird? Es bleibt spannend. Dann, endlich, Aufruf zum boarding. Abflug, Landung in Edinburgh. Der Urlaub kann beginnen!
Ich nehme den Bus vom Airport zur Waverley Bridge und laufe dann zum SYHA-Hostel. Im Schlafsaal angekommen, räume ich den Rucksack komplett aus und wieder ein, dusche, und trinke noch etwas im Coffee-Shop. Das Konfirmations-Mittagessen liegt mir schwer im Magen, ich habe keinen Hunger. Ich bin früh in der Kiste, bin hundemüde. Der Schlafsaal ist nur mit drei Personen belegt, die Nacht ist ruhig.
Montag, 10.05.2010 - Das Abenteuer beginnt -
Ich stehe früh auf. Ohne Frühstück laufe ich zum Busbahnhof. Mein Rucksack und ich, wir sind noch keine Freunde. Wie soll das erst in den nächsten Tagen werden?
Der Bus nach Glasgow geht um 7.30 Uhr. In der Buchanan Bus Station habe ich Zeit für einen Kaffee. Ich setze vorsichtig die Tasse auf einer Wartebank ab, den Rucksack auf dem Boden, und höre ein dezentes „Pling!“. Was ist denn jetzt kaputt? Ah, die Armbanduhr. Kurz vor der Abreise habe ich ein neues Band anbringen lassen; dieses wurde offensichtlich nicht richtig befestigt. Ich sammele die Einzelteile ein; die Uhr selbst hat zum Glück keinen Schaden genommen. Dieses „Pling“ sollte sich als eine der besten Voraussetzungen für einen entspannten Urlaub herausstellen. Trage ich die Uhr in der Jackentasche, ist die Jacke auf dem Rucksack festgeschnallt. Trage ich sie in der Hosentasche, habe ich regelmäßig die Regenhose darüber. Dieses „zeitlose“ Wandern hat was.
Zurück zum Thema. Um 10.00 Uhr geht der Bus nach Fort William. Rucksack ins Gepäckfach, ich in den Bus. Es ist immer wieder schön, die vertraute Landschaft zu sehen. Die A82 ist mit Baustellen gepflastert, die Fahrt zieht sich. Mit Verspätung erreichen wir Fort William. Noch eine halbe Stunde Zeit, um Gas zu kaufen. Ich eile los zum pedestrian underpass - gesperrt. Baustelle. Also ganz außenrum laufen, am Hospital vorbei, zweimal fast unter die Räder gekommen, dann rein in den Nevisport, zwei Kartuschen kaufen, und wieder zurück. Im Bahnhof hole ich mir noch schnell was zum Futtern; mein Magen grummelt inzwischen lautstark. Um 13.45 weiter mit Busaichean Seile nach Glenfinnan. Mein Rucksack liegt zwischen den Einkaufstüten einiger älterer Damen im Gepäckfach. Der Fahrer fragt mich, wohin ich will und wo ich diese Nacht schlafen werde, zeigt sich einigermaßen beeindruckt von meinen Plänen und wünscht mir viel Glück. Der Bus fährt ohne mich weiter.
Ich stehe mit dem dicken Rucksack gegenüber der Straße zur Corryhully Bothy und frage mich „Was mache ich hier?“ und „Schaffe ich das?“ Das mulmige Gefühl im Bauch bleibt. Diesmal ist es kein Hunger, eher Respekt, ein wenig Angst, und Vorfreude.
Also dann: Auf geht’s, das Abenteuer kann beginnen.
Glenfinnan Viaduct von Borderli auf Flickr
Gleich zu Beginn stelle ich fest: Tarmac walking ist doof. Vor allem mit einem schweren Rucksack. Dieses verflixte Teil scheint einen Zentner zu wiegen, hängt wie ein Bleisack an mir. Aber die Sonne scheint, es ist angenehm kühl, und ich habe Urlaub.
An der Corryhully Bothy mache ich eine kurze Pause. Aha, da ist ja wieder ein Wasserkocher. Die bothy ist mir unsympathisch. Das Dach klappert, es ist dunkel, es riecht unangenehm. Nichts wie raus hier, in den sonnigen Nachmittag. Hätte ich gewusst, dass Nic einen Eintrag im bothy-Buch für mich hinterlassen hat, wäre ich ein paar Minuten länger geblieben.
Corriehully Bothy von Borderli auf Flickr
Ich laufe weiter. Aus der Asphaltstraße ist ein Landrover-Track geworden, und die Berge scheinen näher zu rücken. Ein kalter Wind kommt auf. Ein Stück hinter der Brücke sehe ich unten am Fluss ein Stück Wiese, das zum Zelten geeignet erscheint. Ich baue das Zelt auf, richte mich häuslich ein, und dann setze ich mich, in die Primaloftjacke gekuschelt, mit einer Tasse Kaffee ans Flussufer.
Glenfinnan von Borderli auf Flickr
Glenfinnan von Borderli auf Flickr
Wildcamp von Borderli auf Flickr
Langsam, ganz langsam, beginnen der Stress und die Hektik der vergangenen Monate von mir abzufallen. Noch bin ich mit den Gedanken ständig unterwegs, bei der Arbeit, bei der Familie, bei der Planung der nächsten Tage. Einfach nur dasitzen, dem Rauschen des Flusses zuhören, an nichts denken, loslassen - das kann ich heute noch nicht.
Nach dem Abendessen - ich muss ja schließlich etwas gegen das hohe Rucksackgewicht tun - wird es kalt. Eingemummelt in Socken, Shirt, Fleecepulli und Fleecehose kuschele ich mich in den Schlafsack. Das Kopfkino lässt mich noch eine Weile nicht schlafen, aber irgendwann gehen dann doch die Lichter aus.
Dienstag, 11.05.2010 - Ein Pass, ein Fluss, und ein weicher Fall -
Mitten in der Nacht wache ich auf. Es ist lausig kalt. Trotz Fleece und Schlafsack friere ich. Ein Blick vor das Zelt sagt mir, warum: Es schneit. Hallo? Schnee? Mitte Mai? Dabei bin ich noch ziemlich weit unten im Tal. Ich ziehe die Primaloftjacke darüber und schlafe weiter. Um 7.00 Uhr bin ich dann wieder wach, und um halb neun fertig zum Aufbruch. Diese eineinhalb Stunden von Aufwachen bis Aufbrechen werden sich im Laufe der Tour nicht ändern, diese Zeit brauche ich einfach.
Wildcamp am Morgen von Borderli auf Flickr
Ich laufe weiter Richtung Pass. Da: ein boghole. Ein einziges boghole auf dem ansonsten recht guten Pfad. Ich trete rein, mache noch einen Schritt, und der bog will meinen Schuh nicht mehr hergeben. Ich mache einen beherzten Schritt rückwärts, und der schwere Rucksack tut sein Übriges: Ich falle nach hinten und lande mit dem Hinterteil im Matsch. Zum Glück sind beide (also der Matsch und mein Hinterteil) gut gepolstert. Da ich die Regenhose noch im Rucksack habe, bin ich jetzt nass bis auf die Haut. Erst mal schimpfe ich drauflos. Wie kann ich nur so dämlich sein? Es ist ja schließlich nicht mein erstes boghole. Ich gehe ein paar Schritte weiter. Nein, so wird das nichts. Bei Temperaturen von gefühlten 5°C und kaltem Wind mit nasser Hose rumlaufen, das ist definitiv nicht gesund. Ich setze den Rucksack ab, krame die Ersatzhose (letzte Zweifel, ob die nötig war, sind jetzt beseitigt) und frische Unterwäsche raus, und mache einen netten Strip auf dem Weg zum Pass. Zum Glück ist da sonst niemand unterwegs…
Wieder trocken, und zusätzlich eingepackt in die Regenhose, lache ich mich schlapp. Das fängt ja gut an!
Etwas später setzt leichter Schneefall ein. Zum Glück kommt der Wind von hinten, da können die Flocken und Graupel nicht im Gesicht wehtun. Auf der Passhöhe kommt die Sonne raus. Pause!
Bealach a' Chaorainn von Borderli auf Flickr
Danach folgt ein steiler Abstieg auf Trampelspuren, ohne „richtigen“ Weg.
Abstieg vom Bealach a' Chaorainn ins Gleann Cuìrnean von Borderli auf Flickr
Ich bin extra vorsichtig: Kurz vor meiner Abreise las ich in einem anderen Forum von Einem der auszog, den Cape Wrath Trail zu bezwingen. Sein Unterfangen endete genau an diesem Abstieg. Er rutschte aus, fiel hin, und brach sich den Knöchel. Damit mir das nicht passiert, setze ich ganz behutsam einen kleinen Schritt vor den anderen. Nasser Untergrund und immer wieder Graupelschauer machen das Gehen nicht einfacher. Aber dann: geschafft. Der steilste Abschnitt liegt hinter mir.
Bealach a' Chaorainn von Borderli auf Flickr
Auf Trampelspuren geht es weiter bergab. Entgegen mancher Aussagen gibt es wirklich so eindeutige Trampelspuren, dass man sie schon als „Pfad“ bezeichnen könnte.
Wolken, kurze Schauer, und Sonnenschein wechseln sich ab.
Gleann Cuìrnean Panorama von Borderli auf Flickr
Dann, plötzlich und unerwartet: Der Weg ist weg. Der Hang, und mit ihm meine bevorzugte Trampelspur, ist abgerutscht. Irgendwo in luftiger Höhe scheint zwar eine weitere Spur zu gehen, aber ich ziehe es vor, am Rand des Flussbettes über die Steine zu gehen. Ist fast so wie ein Mini-Boulderfield mit Pfützen drin. Über einen großen Brocken, der ungünstigerweise mitten im Weg liegt (links steiles Ufer, rechts tiefes Wasser) krabbele ich wenig elegant auf Knien hinweg. Hinter dieser Abbruchstelle geht die Spur weiter, mal am Fluss, mal oberhalb. Ich bin so damit beschäftigt, auf den Weg zu achten, dass ich das Gewicht des Rucksacks gar nicht mehr wahrnehme. Es läuft gerade alles so richtig gut, da kommt die nächste Stelle, an der der Weg in den Fluss gestürzt ist.
Wo ist der Weg? von Borderli auf Flickr
Ein Blick auf das gegenüber liegende Flussufer sagt mir: Dort drüben ist alles flach und grün! Ich mache nicht lange rum. Schuhe, Gamaschen und Socken aus, Crocs an, und ab durch den Fluss. Der hat so wenig Wasser, dass sich das Schuhewechseln eigentlich gar nicht gelohnt hat. Am sonnigen Ufer mache ich eine Pause. Jetzt ist das Gehen einfach. Deutliche Spuren, kaum bogholes, keine Abbrüche, keine Schlucht ….
Gleann Cuìrnean von Borderli auf Flickr
Eher als erwartet komme ich an der Brücke über den Pean an. Für heute reicht es; ich will es nicht gleich am ersten Wandertag übertreiben.
Ziemlich boggy geht ein Trampelpfad Richtung Strathan. Gegenüber einer Insel finde ich am Ufer ein Plätzchen für mein mobiles Einzimmerapartment.
Wildcamp am River Pean von Borderli auf Flickr
Die Sonne scheint, ein leichter Wind weht, und die am Morgen außerplanmäßig durchnässten Sachen trocknen schnell. Als ich nach dem Wasserholen vom Fluss zum Zelt zurückgehe, sehe ich von weitem den einzigen anderen Menschen für heute.
Ich bin froh, diesen Abschnitt heile hinter mich gebracht zu haben; zu viele Meldungen über gebrochene Knöchel, dramatische Wege durch die Schlucht, wegloses Laufen, steile Abstiege haben mich doch verunsichert.
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