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Mitreisende | |
Etappenübersicht
Teil I: West Highland Way
Flug Wien-Edinburgh
Bustransfer Edinburgh-Glasgow
Tag 1: Milngavie - Nähe Drymen
Tag 2: Nähe Drymen - Rowardennan
Tag 3: Rowardennan - Inverarnan
Tag 4: Inverarnan - Tyndrum
Pausentag (Sonnenstich)
Tag 5: Tyndrum - Glen Coe
Tag 6: Glen Coe - Kinlochleven
Tag 7: Kinlochleven – Fort William
Pausentag, Ben Nevis Besteigung
Teil II: Skye Trail
Bustransfer Fort William-Portree
Tag 8: Portree - Nähe Peinchorran
Tag 9: Nähe Peinchorran - Elgol
Tag 10: Elgol - Broadford
(Autostopp nach Portree, Bustransfer nach Duntulm Castle)
Duntulm Castle - Flodigarry
Tag 11: Flodigarry - Nähe Old Man of Storr
Tag 12: Nähe Old Man of Storr - Portree
Bustransfer Portree-Edinburgh
3 Tage Aufenthalt in Edinburgh
Bustransfer Edinburgh-Glasgow
Rückflug Glasgow-Wien
Gesamtdistanz beider Trails: rund 280 Kilometer
Karte:

Meine beiden Trails im südwestlichen Schottland
Einleitung
Im Jahr 2022 ging ich zunächst gemeinsam mit meinem Freund Martin den WHW, anschließend Großteils allein den Skye Trail. Diese Tour war meine erste Weitwandertour und sicherlich auch eine der schönsten, weshalb ich nun diesen Nachtrag schreiben und veröffentlichen will. Größter Motivator ist hier zugegebenermaßen der Gedanke, hier im Forum eine vollständige Darstellung all meiner Touren zu haben, aber vielleicht interessiert sich doch auch jemand für die Kombination WHW-Skye, trotz der großen Flut an Beiträgen, die sich in diesem Forum schon mit Touren in Schottland auseinandersetzen. Da Informationen über Touren in Schottland hier ja fast schon „allgemein bekannt“ sind und zigfach nachgelesen werden können, werde ich an der einen oder anderen Stelle eher weniger auf die örtlichen Begebenheiten eingehen und stattdessen eher persönliche Eindrücke schildern.
Die Motivation, überhaupt mit Weitwanderungen zu beginnen, lag gewiss am Vorbild meines Freundes Fabian, der zu dem Zeitpunkt schon auf eine lange Geschichten an Weitwanderungen vor allem im nördlichen Europa zurückblicken konnte. Er wies mich in alle Einzelheiten der Tourenvorbereitung und -planung ein und war auch bereits Teile des WHW und den gesamten Skye Trail gewandert. Nun wollte ich es ihm gleichtun und konnte meinen Freund Martin motivieren, der wie ich noch keine Weitwandererfahrung hatte.
Fabian sprach eher schlecht über den WHW, diffamierte ihn als „Wanderautobahn“. Natürlich irgendwo zurecht. Gemeinsam mit einem anderen Wanderanfänger wollte ich aber eine einsteigerfreundliche Tour gehen und als solche war der WHW perfekt geeignet. Zwecks Herausforderung sollte es dabei aber nicht bleiben: als Vorgeschmack auf künftige Touren wollten wir noch das erste, südlichste Stück des Cape Wrath Trails bis Shiel Bridge mitnehmen. Dazu kam es nicht (Details später). Stattdessen folgte eine Art Odyssee, in der wir erst auf der Isle of Skye landeten, ehe mein Kamerad die Tour nicht mehr fortsetzen wollte und ich alleine „stückchenweise“ den Skye Trail abmarschierte. Diese chaotische Planung machte die Tour aber auch aufregender und motivierte mich immens, nicht zuletzt weil ich gegen Ende unter Zeitdruck stand und – auf mich allein gestellt – in meinem Tempo das Maximum aus mir rausholen wollte und auch tat.
Anreise
Die Anreise zum Startpunkt des WHW erfolgte per Flug nach Edinburgh, Bustransfer nach Glasgow (eine Übernachtung), Bahnfahrt nach Milngavie. In Glasgow waren wir in einem der typischen Schlafsaal-Hostels einquartiert (Safestay Charing Cross), die nicht nur bei Weitwanderern aufgrund der geringen Kosten beliebt sind. Wir betrieben etwas Sightseeing in dieser insgesamt nicht allzu einladenden Stadt. In Erinnerung geblieben sind vor allem der auf einem Hügel gelegene Friedhof der Stadt mit seinen Keltenkreuzen, die abgeranzte Gegend um den Bahnhof inklusive Imbiss-Einkehr, wo wir die berüchtigten Deep Fried Mars Bars ausprobierten (die leider, wohl wegen der Verwendung desselben Frittieröls, nach Fisch schmeckten) als auch der nächtliche Spaziergang über die Partymeile der Stadt, bei der uns vor allem die auffällig „orange“ geschminkten, etwas fülligeren Frauen, auffielen, die nun wirklich lupenrein dem Stereotyp entsprachen.
Etwas Stress bereitete uns, aber vor allem Martin, die Tatsache, dass während des Flugzeugtransports einer der Trageriemen seines Billigrucksacks gerissen war und er so unmöglich Wandern konnte. Ein Ersatz musste her und wir besuchten ein Sportgeschäft, bei dem ich mir zudem Gas und bessere Wollsocken zulegte. Der alte Rucksack musste leider in den Müll wandern.
Ausblick vom Friedhofshügel
Safestay Charing Cross
West Highland Way
Der WHW startet zunächst unspektakulär und ist technisch keineswegs fordernd. Wir marschierten durchgehend auf gut präparierten Fußwegen, manchmal auch auf asphaltierten Straßen und verließen dabei sukzessive die Zivilisation. Waldabschnitte mit uralten Eichen und Felder üppiger Farne ersetzten langsam die steinernen ländlichen Häuschen kleiner Dörfer, die ihrerseits zuvor die moderneren Glasgower Vorstadtbauten abgelöst hatten. Die Last unserer Rucksäcke begann sich bemerkbar zu machen und unsere Gespräche drehten sich nicht um sie Landschaft, sondern vielmehr um organisatorische Dinge der Tour, unsere Ausrüstung vor allem. Wir schlugen unser erstes Lager schließlich Nähe Drymen in einer Senke neben einem kleinen Flüsschen und einem von Wiese bewachsenen Hügel auf.
Satter Eichenwald bald nach Milngavie
Eines von vielen Kleindörfern, die man am Anfang der Tour durchquert
Herausragende Landschaften braucht man am Anfang noch nicht zu erwarten
Erster Schlafplatz Nähe Drymen
Am Folgetag wurde es landschaftlich erstmals etwas spannender: über den Conic Hill schreitend erblickten wir erstmalig das Loch Lomond, an dem wir fortan etwas länger als einen vollen Tag entlangwanderten. Darauf genehmigten wir uns erstmal einen Haferriegel der Marke Energycake und genossen den Ausblick. Dies zusammen mit einer Schar Sommerfrischler, die ebenfalls zum Conic Hill gekommen waren, allerdings ohne danach die Strapazen einer Weitwanderung auf sich zu nehmen. Nach dem Abstieg kamen wir in Balmaha an, wo wir glücklich über den Fund eines Wasserhahns mit Trinkwasser waren und gleich unsere Blasen auffüllten. Der weitere Weg an diesem Tag bestand wieder aus anspruchslosen Karrenwegen, die eigentlich keiner genaueren Beschreibung bedürfen. Bei Rowardennan jedenfalls wollten unsere Beine uns nicht länger tragen und trotz Campingverbotszone ließen wir uns etwas entnervt etwas abseits des Weges mit unseren Zelten nieder. Schmerzen in diversen Gelenken machten sich bemerkbar und wir bemerkten wie sich in den Abendstunden erstmalig lästige kleine Insekten, etwa so groß wie Mücken, an uns zu schaffen machten. Das mussten sie also sein, die Midges, von denen ich von Fabian schon viel gehört hatte und die laut ihm sogar verantwortlich für so manchen Tourenabbruch von Schottlandreisenden seien.
Auf dem Conic Hill
Auch am Morgen von Tag 3 sollten die lästigen Begleiter nicht sofort von uns ablassen: sie vermiesten mir wahrlich mein Frühstück und auch Martin bekam meinen Frust dadurch zu spüren. Nachdem ich mein Essen genervt hineingeschaufelt hatte packten wir uns wieder zusammen und setzten unseren Weg entlang des Loch Lomond fort. Ich begann mein Moskito-Kopfnetz zu tragen. Der Weg wurde nun technisch anspruchsvoller, der Untergrund wurde steinig und es ging in kurzen Abständen immer wieder auf und ab. Das war technisch vielleicht sogar der schwerste Abschnitt des ansonsten leichten WHW überhaupt. Beim Inversnaid Hotel angekommen freuten wir uns über den ansonsten rar gesäten Ausblick auf das Loch, ich umarmte eine gigantische, alte Eiche auf dem Areal des Hotels und wir tauschten uns ein wenig mit gleichaltrigen deutschen Studenten aus, die dort auch gerade Rast machten. Man kann über „Wanderautobahnen“ schimpfen so viel man will, aber gerade für Einsteiger ist es nicht unbedingt eine schlechte Sache, sich manchmal auszutauschen zu können und sich Vergleichswerte holen zu können. Auch an Tag 3 muss es gewesen sein, dass wir bei einer steileren Passage erstmals Patrick, einen österreichischen Lehrer aus Linz zu Gesicht bekamen, als er uns überholte und uns sofort und für uns überraschend in österreichischem Dialekt anquatschte, weil er uns offenbar zuvor aus der Distanz schon belauscht hatte. Nachdem wir das Loch an seinem Nordende hinter uns gelassen hatten und schnellen Schrittes (ich weiß nicht, wieso Martin plötzlich so angaste) bis Inverarnan gewandert waren, nahmen wir den dortigen Campingplatz in Anspruch und sahen schon beim Check-In wieder den Linzer, wie er zwei gleichaltrige Mädels bei sich am Tisch sitzen hatte und sie bequatschte. Auch wir nahmen die warme Küche des Restaurants in Anspruch und tauschten uns ein bisschen mit dem Lehrer aus.
Am Loch Lomond entlang
Pause beim Inversnaid Hotel
Beinglas Campsite
Am nächsten Morgen kam es auf dem Campingplatz wieder zu einer unangenehmen Midge-Attacke und wir mussten wieder unsere Schutznetze anlegen. Nachdem wir losstarteten ließen uns die Blutsauger aber wieder weitgehend in Ruhe und wir marschierten durch ehrlich gesagt mäßig spannendes Terrain bis Tyndrum. Es war ein sehr sonniger Tag und allen Benutzern der „Wanderautobahn“ schien die Hitze ins Gesicht geschrieben. Einmal machten wir eine Rast an einem Fluss und badeten gemeinsam mit anderen Wanderern im kühlen Nass. Wir kamen abermals mit einigen Wanderern ins Gespräch: mit mehreren Deutschen, einer Finnin, einer Halbjapanerin. Wirklich tiefergehend waren diese Gespräche natürlich nicht, außer jenes, dass wir mit unserem lieben Patrick führten, nachdem wir ihn in Tyndrum nun schon wieder trafen, diesmal im „Real Food Cafe“ im Zentrum des Ortes. Anders als zuvor, wo wir immer nur Smalltalk führten, hatten wir nun ein langes und gutes Gespräch beim gemeinsamen Essen. Patrick war ein interessanter Gesprächspartner, weil er ein „Suchender“ zu sein schien und nach kurzer Zeit mit einer guten Frage dem lästigen gegenseitigen Ausfragen ein Ende machte. Er fragte nach unserer Motivation so eine Reise zu unternehmen und sinnierte in weiterer Folge über das Verhältnis von Dopamin und Serotonin und dass doch letzteres jenes Glückshormon sei, das der Wanderer mit der Absolvierung seiner Tour ausschütte. Der Wanderer, der Tourengeher, sehne sich durch Absolvierung einer durch Muskelkraft zurückgelegten Strecke nach einem langfristigen Glücksgefühl (Serotonin), während andere Leute das hoteleigene Frühstücksbuffet in Anspruch nehmen, sich an den Strand setzen, sich entspannen und am Abend vielleicht den ein oder anderen Cocktail schlürfen (Dopamin). Er stellte die These auf, dass sich schon in der Entwicklung der einzelnen Menschen festlegen würde, welchem der beiden Glückshormone der konkrete Mensch später hinterherjagen würde, ohne allerdings eine Wertung zwischen den Serotonin- und den Dopamin“jägern“ vorzunehmen. Ich fand diese Gedanken erfrischend und auch sonst fanden wir viel interessanten Gesprächsstoff. Gegessen hatte ich das sogenannte „Highland Trio“ bestehend aus Haggis und zwei weiteren lokalen Spezialitäten.
Erfrischung
Unser Gespräch verlief so gut, dass wir es ins nebenan liegende „Tyndrum Inn“ verlegten und im Beisein von den zwei Mädels, die sowohl Patrick als auch wir schon früher getroffen hatten, ein paar Bier schlürften. Das Gespräch drehte sich vor allem um BJJ, Politik und Patricks Dasein als Lehrer, das aber erst kürzlich auf dem Prüfstand gestanden hatte, weil Patrick wegen (angeblich) falschen Anschuldigungen, etwas mit einer Schülerin gehabt zu haben, von seiner Schule wegmusste. Diese Geschichte in Kombination mit der Tatsache, dass er vor kurzem von seiner langjährigen Freundin verlassen wurde, war für ihn wohl eine Last, die er auf dem WHW mit sich mitschleppte und zu verdauen suchte. „Passend“ dachte ich mir, weil ich diese Art des gedanklichen „Verdauens“ schwieriger Situationen auch schon öfter bei Wanderungen alleine praktiziert habe. Nach drei unschuldigen Bier machten Martin und ich uns schließlich aus dem Staub und gingen an den Stadtrand zu einer Wiesenfläche, die mir schon Fabian als Ort zum Kampieren in Tyndrum empfohlen hatte. Auf dem mit Kuhscheisse übersäten Platz bauten wir in der Dämmerung unsere Zelte auf, während Patrick, der feine Herr, im Tydrum Inn nächtigte und wahrscheinlich noch die Mädels bequatschte.
Einige Minuten nachdem das Zelt aufgebaut war und ich mich hineinlegte und auszog bemerkte ich ein seltsames Gefühl im Magen. Das Gefühl erhärtete sich rasch zu handfester Übelkeit und ehe ich mich versah stand ich schon draußen vor dem Zelt, kotze drei große Schwalle auf den ohnehin schon widerlichen, weil von Tieren zugeschissen Zeltplatz und wurde dabei von Midges zerbissen, da ich nichts anhatte außer eine Unterhose. Zudem war es kalt und ich begann zu zittern. Ich war völlig dehydriert und konnte einige Stunden nicht einschlafen in der Angst, mich nochmal übergeben zu müssen. Das war ein Tiefpunkt und ich wusste, den Folgetag könnten wir wohl getrost streichen. So kam es dann auch: während des leichten Regens am nächsten Morgen, der endlich frische, gute Luft in mein dampfiges Zelt brachte, konnte ich besseren Schlaf finden und den restlichen Tag brachte ich damit zu, in Tyndrum irgendwo am Boden herumzulümmeln und langsam Wasser aus meiner Flasche zu nippen, in der Hoffnung, mein Magen würde sich erholen. Einmal fiel ich dem Besitzer des Tyndrum Inn auf, weil ich am Boden liegend einige Meter von der Straße entfernt eingeschlafen war. Er kam und fragte mich, ob es mir an irgendwas fehle und nachdem ich meine Situation erklärte versuchten wir gemeinsam zu erörtern, warum ich wohl kotzen hatte müssen. Meinen Hauptverdacht, das Essen von gestern Abend (Haggis), entkräftete er, in dem er meinte, seine Hand für die Qualität des Essens des „Real Food Cafe“ ins Feuer zu legen. Er meinte es werde wohl die viele Sonne, zu wenig Trinken und die Kombination mit dem Bier gewesen sein. Er wird wohl Recht gehabt haben.
Ausgeknockt
Nach diesem „Rehabilitationstag“ ging es meinem Empfinden nach erstmalig in Areale, die dem Begriff „highlands“ gerecht wurden. Und das an Tag fünf von sieben, die wir für den WHW benötigten! Bis dahin hatten wir im Wesentlichen nur gewöhnliche Hügellandschaft und Wälder durchstrichen. Für einen Weitwanderpfad, der sich West HIGHLAND Way nennt, ist das eigentlich etwas dürftig. Wie auch immer: die große weite Ebene mit den kahlen, charakteristischen Munros (schottische Bezeichnung für „Berg“) begann etwa ab der steinernen Bridge of Orchy und endete auch schon wieder etwa eine Tagesetappe entfernt beim „Devil's Staircase“, wo nach dem Abstieg nach Kinlochleven wieder eine wenig ausblicksreiche Passage durch eine Schlucht folgte. Unsere nächste Nächtigung nach Tyndrum hatten wir inmitten dieser schönsten Passage der Tour, direkt am „Lochan Mhic Pheadair Ruaidh“, einem See, oder vielleicht passender: einem Tümpel. Wir schlugen unsere Zelte in einer wohl eigens für Camper angelegten, etwas windgeschützten Mulde auf, pflanzen uns in das sattgrüne schottische Gras und ließen hier, umrahmt von der mächtigen Weite der Landschaft, die Seelen etwas baumeln. Eine Begegnung mit einem anderen Wanderduo erinnerte uns wieder daran, dass wir auf dem WHW waren und auf keinem anderen Weitwanderpfad: der eine fragte uns hier, schon weit fortgeschritten auf dem WHW, allen Ernstes, wieso denn sein Gaskocher nicht mit der mitgebrachten Kartusche kompatibel sei. Dass Drehventile nicht mit Stechkartuschen harmonieren, hatte der Kollege wohl noch nicht herausgefunden und musste deshalb die nächste Zeit mit kläglichen Versuchen verbringen, ein kleines offenes Feuer am Laufen zu halten, für das es mitten in den pflanzenleeren Highlands logischerweise kaum Holz gab. Zeuge solch krasser Anfängerfehler wird man bei Touren in Norwegen oder sonst wo, wo es weniger Zivilisation gibt, wohl eher nicht werden.
Midges-Bissspuren nach meiner Misere in Tyndrum
Bridge of Orchy
Endlich Highlands
Wettertechnisch hatten wir am WHW eigentlich immer Glück - es regnete nie
Lager am Lochan Mhic Pheadair Ruaidh
Am nächsten Morgen brach die Midge-Plage mit voller Wucht über uns herein: schon früh morgens hatten sie uns regelrecht belagert und ihre Masse war derart angewachsen, dass ein deutlich zu hörendes Surren in der Luft lag und zudem ein Geräusch ähnlich einem leichten Nieselregen auf der Zeltmembran zu hören war, das durch die ständigen Kollisionen der Midges mit der Zeltwand entstand. Noch ohne unsere Zelte zu öffnen, hielten Martin und ich eine Lagebesprechung ab. Ihr Ergebnis konnte nichts anderes sein, als der Plan, einfach so rasch als möglich alles mit voller Schutzausrüstung und eingesprüht mit dem Abwehrspray „Smidge“ einzupacken und sofort loszugehen, auch ohne Frühstück. Nach chaotischen Szenen des beim Einpacken Zerbissenwerdens gewannen wir endlich Distanz zu dem Tümpel, der wahrscheinlich Ursache der großen Flut an Midges war. Schon nach ein paar Metern des Gehens wurden die Attacken seltener und ließen schließlich ganz nach. Beweglich sind Midges nun mal nicht. Nur wenn man sich länger an derselben Stelle aufhält, ist man ihnen ausgeliefert.
Midges-Belagerung
Auf dem Weg zum Devil's Staircase begneten uns nicht nur Midges, sondern auch unser alter Bekannter Patrick. Wo die A82 und die Zufahrtsstraße zum Glencoe Mountain Resort zusammentreffen stand er mit gesenktem Blick da, nahm uns im Herannahen gar nicht recht war und grüßte schließlich auch viel weniger freudig, als wir es mittlerweile schon gewohnt waren. Es war nichts als dem Zufall geschuldet, dass wir Patrick noch trafen: wie sich nämlich gleich herausstellte sollte er in wenigen Minuten von dort mit dem Taxi abgeholt und wieder in die Stadt gebracht werden. Auch er hatte sich irgendetwas eingefangen, hatte sich „leergeschissen“ und litt zusätzlich unter Schüttelfrost und anderen Symptomen eines Fiebers. Die Reise war für ihn dahin und ebenfalls sein Ziel, ihm von seinen Schülern geschenkte, bemalte Steine nach Glenfinnan (dort steht eine Filmkulisse aus einem Harry Potter Film) zu bringen. Der „Suchende“ konnte einem in diesem Moment schon ein wenig leidtun.
Nähe Rannoch Moore Bridge

Nähe Glencoe Mountain Resort
Vorbei an einigen Touristen am Fuße des Munros „Buachaille Etive Mòr“ beschritten wir nach dieser Begegnung den „Devil's Staircase“, eine Aufwärtsetappe mit einigen Stufen, die sich über eine starke halbe Stunde zieht. Fürchten braucht sich vor diesem Namen aber keiner, so anstrengend war der Aufstieg nun wirklich nicht. Im Anschluss gab es eine wenig spektakuläre, stetig bergab verlaufende Passage nach Kinlochleven, wo wir wie waschechte Sandler im Park auf einem Mistkübel den Kocher anstarteten und unser Essen zubereiteten. Wir schliefen am Ortsrand vom benachbarten Kinlochmore, in einem Waldabschnitt nahe der Straße. Ein Hoch dem schottischen Jedermannsrecht!
Blick auf den Munro Buachaille Etive Mòr, den Devils Staircase im Rücken

Am oberen Ende des Devils Staircase

Kinlochleven
Haben Sie einen Euro für uns?
Lager in Kinlochmore
Der letzte Tag des WHW startete mit einem langen, eher monotonen Hatsch entlang des Fußes eines der vielen Munros. Die Vorfreude darüber, dass wir den Trail im Laufe des Tages absolvieren würden, wurde nebst der monotonen Strecke aber noch durch etwas anderes gehemmt: es entwickelte sich eine ungute Diskussion zwischen mir und Martin, ausgelöst ausgerechnet durch den ersten Anblick des Ben Nevis, auf den wir uns eigentlich freuen hätten sollen. Ich meinte, trotz Wolken um den Gipfel könne man da sicher hochgehen. Martin war verärgert über meine „Waghalsigkeit“ und meinte, so ein naives Verhalten habe mir in der Vergangenheit bereits meinen Zwischenfall auf einem Klettersteig beschert (wodurch ich eine Höhenangst entwickelt hatte, die ich vorher nicht hatte). Auf einen Berg gehe man bei Schlechtwetter einfach nicht. Dass er mir damit ein naives Verhalten bei der Tourenplanung generell attestierte, dies auf Basis der geplanten – nun wirklich nicht schweren – Ben Nevis Besteigung und einer in die Hose gegangenen Klettertour, die nicht ich selbst geplant hatte, ging mir heftig gegen den Strich. Die Gespräche in Folge waren zäh und drehten sich darum, warum es doch oder eben nicht möglich oder vernünftig sei, de Ben Nevis bei diesem Wetter zu besteigen. Man merkte hier bereits Unterschiede in unseren „Philosophien“, wie weit man bei einer Tour gegen könne und solle, die später noch schlagend werden sollten.
Tigh-na-sleubhaich

Stein des Anstoßes: Ausblick auf den wolkenverhangenen Gipfel des Ben Nevis
Angekommen im Glen Nevis waren wir froh unser Lager nun erstmalig nicht nur für eine Nacht aufzuschlagen: wir checkten am Campingplatz ein, bauten die Zelte auf und konnten all unser Hab und Gut dort lassen. Mit leichtem Gepäck ging es die letzten Kilometer in die Stadt Fort William, wo der Endpunkt des WHW lag. In der Stadt angekommen erkundeten wir einen alten, verfallenen Friedhof und kurz vor dem offiziellen Endpunkt noch die schöne Fußgängerzone der „High street“. Wir setzten uns am Endpunkt angekommen wie einige andere Wandertouristen auf die Bank neben die Bronzefigur des Gründers des WHW und ließen uns dabei ablichten. Im Anschluss wurde standesgemäß bei Meckes eingekehrt und sich ordentlich der nach Fett und Zucker gierende Wanst vollgeschlagen. Diese positiven Emotionen verdrängten dann doch wieder die schlechte Laune von einige Stunden zuvor und müde und satt wankten wir zurück zum Campingplatz am Fuß des Ben Nevis, im Glen Nevis.
Glen Nevis Camping
Teil I: West Highland Way
Flug Wien-Edinburgh
Bustransfer Edinburgh-Glasgow
Tag 1: Milngavie - Nähe Drymen
Tag 2: Nähe Drymen - Rowardennan
Tag 3: Rowardennan - Inverarnan
Tag 4: Inverarnan - Tyndrum
Pausentag (Sonnenstich)
Tag 5: Tyndrum - Glen Coe
Tag 6: Glen Coe - Kinlochleven
Tag 7: Kinlochleven – Fort William
Pausentag, Ben Nevis Besteigung
Teil II: Skye Trail
Bustransfer Fort William-Portree
Tag 8: Portree - Nähe Peinchorran
Tag 9: Nähe Peinchorran - Elgol
Tag 10: Elgol - Broadford
(Autostopp nach Portree, Bustransfer nach Duntulm Castle)
Duntulm Castle - Flodigarry
Tag 11: Flodigarry - Nähe Old Man of Storr
Tag 12: Nähe Old Man of Storr - Portree
Bustransfer Portree-Edinburgh
3 Tage Aufenthalt in Edinburgh
Bustransfer Edinburgh-Glasgow
Rückflug Glasgow-Wien
Gesamtdistanz beider Trails: rund 280 Kilometer
Karte:
Meine beiden Trails im südwestlichen Schottland
Einleitung
Im Jahr 2022 ging ich zunächst gemeinsam mit meinem Freund Martin den WHW, anschließend Großteils allein den Skye Trail. Diese Tour war meine erste Weitwandertour und sicherlich auch eine der schönsten, weshalb ich nun diesen Nachtrag schreiben und veröffentlichen will. Größter Motivator ist hier zugegebenermaßen der Gedanke, hier im Forum eine vollständige Darstellung all meiner Touren zu haben, aber vielleicht interessiert sich doch auch jemand für die Kombination WHW-Skye, trotz der großen Flut an Beiträgen, die sich in diesem Forum schon mit Touren in Schottland auseinandersetzen. Da Informationen über Touren in Schottland hier ja fast schon „allgemein bekannt“ sind und zigfach nachgelesen werden können, werde ich an der einen oder anderen Stelle eher weniger auf die örtlichen Begebenheiten eingehen und stattdessen eher persönliche Eindrücke schildern.
Die Motivation, überhaupt mit Weitwanderungen zu beginnen, lag gewiss am Vorbild meines Freundes Fabian, der zu dem Zeitpunkt schon auf eine lange Geschichten an Weitwanderungen vor allem im nördlichen Europa zurückblicken konnte. Er wies mich in alle Einzelheiten der Tourenvorbereitung und -planung ein und war auch bereits Teile des WHW und den gesamten Skye Trail gewandert. Nun wollte ich es ihm gleichtun und konnte meinen Freund Martin motivieren, der wie ich noch keine Weitwandererfahrung hatte.
Fabian sprach eher schlecht über den WHW, diffamierte ihn als „Wanderautobahn“. Natürlich irgendwo zurecht. Gemeinsam mit einem anderen Wanderanfänger wollte ich aber eine einsteigerfreundliche Tour gehen und als solche war der WHW perfekt geeignet. Zwecks Herausforderung sollte es dabei aber nicht bleiben: als Vorgeschmack auf künftige Touren wollten wir noch das erste, südlichste Stück des Cape Wrath Trails bis Shiel Bridge mitnehmen. Dazu kam es nicht (Details später). Stattdessen folgte eine Art Odyssee, in der wir erst auf der Isle of Skye landeten, ehe mein Kamerad die Tour nicht mehr fortsetzen wollte und ich alleine „stückchenweise“ den Skye Trail abmarschierte. Diese chaotische Planung machte die Tour aber auch aufregender und motivierte mich immens, nicht zuletzt weil ich gegen Ende unter Zeitdruck stand und – auf mich allein gestellt – in meinem Tempo das Maximum aus mir rausholen wollte und auch tat.
Anreise
Die Anreise zum Startpunkt des WHW erfolgte per Flug nach Edinburgh, Bustransfer nach Glasgow (eine Übernachtung), Bahnfahrt nach Milngavie. In Glasgow waren wir in einem der typischen Schlafsaal-Hostels einquartiert (Safestay Charing Cross), die nicht nur bei Weitwanderern aufgrund der geringen Kosten beliebt sind. Wir betrieben etwas Sightseeing in dieser insgesamt nicht allzu einladenden Stadt. In Erinnerung geblieben sind vor allem der auf einem Hügel gelegene Friedhof der Stadt mit seinen Keltenkreuzen, die abgeranzte Gegend um den Bahnhof inklusive Imbiss-Einkehr, wo wir die berüchtigten Deep Fried Mars Bars ausprobierten (die leider, wohl wegen der Verwendung desselben Frittieröls, nach Fisch schmeckten) als auch der nächtliche Spaziergang über die Partymeile der Stadt, bei der uns vor allem die auffällig „orange“ geschminkten, etwas fülligeren Frauen, auffielen, die nun wirklich lupenrein dem Stereotyp entsprachen.
Etwas Stress bereitete uns, aber vor allem Martin, die Tatsache, dass während des Flugzeugtransports einer der Trageriemen seines Billigrucksacks gerissen war und er so unmöglich Wandern konnte. Ein Ersatz musste her und wir besuchten ein Sportgeschäft, bei dem ich mir zudem Gas und bessere Wollsocken zulegte. Der alte Rucksack musste leider in den Müll wandern.
West Highland Way
Der WHW startet zunächst unspektakulär und ist technisch keineswegs fordernd. Wir marschierten durchgehend auf gut präparierten Fußwegen, manchmal auch auf asphaltierten Straßen und verließen dabei sukzessive die Zivilisation. Waldabschnitte mit uralten Eichen und Felder üppiger Farne ersetzten langsam die steinernen ländlichen Häuschen kleiner Dörfer, die ihrerseits zuvor die moderneren Glasgower Vorstadtbauten abgelöst hatten. Die Last unserer Rucksäcke begann sich bemerkbar zu machen und unsere Gespräche drehten sich nicht um sie Landschaft, sondern vielmehr um organisatorische Dinge der Tour, unsere Ausrüstung vor allem. Wir schlugen unser erstes Lager schließlich Nähe Drymen in einer Senke neben einem kleinen Flüsschen und einem von Wiese bewachsenen Hügel auf.
Am Folgetag wurde es landschaftlich erstmals etwas spannender: über den Conic Hill schreitend erblickten wir erstmalig das Loch Lomond, an dem wir fortan etwas länger als einen vollen Tag entlangwanderten. Darauf genehmigten wir uns erstmal einen Haferriegel der Marke Energycake und genossen den Ausblick. Dies zusammen mit einer Schar Sommerfrischler, die ebenfalls zum Conic Hill gekommen waren, allerdings ohne danach die Strapazen einer Weitwanderung auf sich zu nehmen. Nach dem Abstieg kamen wir in Balmaha an, wo wir glücklich über den Fund eines Wasserhahns mit Trinkwasser waren und gleich unsere Blasen auffüllten. Der weitere Weg an diesem Tag bestand wieder aus anspruchslosen Karrenwegen, die eigentlich keiner genaueren Beschreibung bedürfen. Bei Rowardennan jedenfalls wollten unsere Beine uns nicht länger tragen und trotz Campingverbotszone ließen wir uns etwas entnervt etwas abseits des Weges mit unseren Zelten nieder. Schmerzen in diversen Gelenken machten sich bemerkbar und wir bemerkten wie sich in den Abendstunden erstmalig lästige kleine Insekten, etwa so groß wie Mücken, an uns zu schaffen machten. Das mussten sie also sein, die Midges, von denen ich von Fabian schon viel gehört hatte und die laut ihm sogar verantwortlich für so manchen Tourenabbruch von Schottlandreisenden seien.
Auch am Morgen von Tag 3 sollten die lästigen Begleiter nicht sofort von uns ablassen: sie vermiesten mir wahrlich mein Frühstück und auch Martin bekam meinen Frust dadurch zu spüren. Nachdem ich mein Essen genervt hineingeschaufelt hatte packten wir uns wieder zusammen und setzten unseren Weg entlang des Loch Lomond fort. Ich begann mein Moskito-Kopfnetz zu tragen. Der Weg wurde nun technisch anspruchsvoller, der Untergrund wurde steinig und es ging in kurzen Abständen immer wieder auf und ab. Das war technisch vielleicht sogar der schwerste Abschnitt des ansonsten leichten WHW überhaupt. Beim Inversnaid Hotel angekommen freuten wir uns über den ansonsten rar gesäten Ausblick auf das Loch, ich umarmte eine gigantische, alte Eiche auf dem Areal des Hotels und wir tauschten uns ein wenig mit gleichaltrigen deutschen Studenten aus, die dort auch gerade Rast machten. Man kann über „Wanderautobahnen“ schimpfen so viel man will, aber gerade für Einsteiger ist es nicht unbedingt eine schlechte Sache, sich manchmal auszutauschen zu können und sich Vergleichswerte holen zu können. Auch an Tag 3 muss es gewesen sein, dass wir bei einer steileren Passage erstmals Patrick, einen österreichischen Lehrer aus Linz zu Gesicht bekamen, als er uns überholte und uns sofort und für uns überraschend in österreichischem Dialekt anquatschte, weil er uns offenbar zuvor aus der Distanz schon belauscht hatte. Nachdem wir das Loch an seinem Nordende hinter uns gelassen hatten und schnellen Schrittes (ich weiß nicht, wieso Martin plötzlich so angaste) bis Inverarnan gewandert waren, nahmen wir den dortigen Campingplatz in Anspruch und sahen schon beim Check-In wieder den Linzer, wie er zwei gleichaltrige Mädels bei sich am Tisch sitzen hatte und sie bequatschte. Auch wir nahmen die warme Küche des Restaurants in Anspruch und tauschten uns ein bisschen mit dem Lehrer aus.
Am nächsten Morgen kam es auf dem Campingplatz wieder zu einer unangenehmen Midge-Attacke und wir mussten wieder unsere Schutznetze anlegen. Nachdem wir losstarteten ließen uns die Blutsauger aber wieder weitgehend in Ruhe und wir marschierten durch ehrlich gesagt mäßig spannendes Terrain bis Tyndrum. Es war ein sehr sonniger Tag und allen Benutzern der „Wanderautobahn“ schien die Hitze ins Gesicht geschrieben. Einmal machten wir eine Rast an einem Fluss und badeten gemeinsam mit anderen Wanderern im kühlen Nass. Wir kamen abermals mit einigen Wanderern ins Gespräch: mit mehreren Deutschen, einer Finnin, einer Halbjapanerin. Wirklich tiefergehend waren diese Gespräche natürlich nicht, außer jenes, dass wir mit unserem lieben Patrick führten, nachdem wir ihn in Tyndrum nun schon wieder trafen, diesmal im „Real Food Cafe“ im Zentrum des Ortes. Anders als zuvor, wo wir immer nur Smalltalk führten, hatten wir nun ein langes und gutes Gespräch beim gemeinsamen Essen. Patrick war ein interessanter Gesprächspartner, weil er ein „Suchender“ zu sein schien und nach kurzer Zeit mit einer guten Frage dem lästigen gegenseitigen Ausfragen ein Ende machte. Er fragte nach unserer Motivation so eine Reise zu unternehmen und sinnierte in weiterer Folge über das Verhältnis von Dopamin und Serotonin und dass doch letzteres jenes Glückshormon sei, das der Wanderer mit der Absolvierung seiner Tour ausschütte. Der Wanderer, der Tourengeher, sehne sich durch Absolvierung einer durch Muskelkraft zurückgelegten Strecke nach einem langfristigen Glücksgefühl (Serotonin), während andere Leute das hoteleigene Frühstücksbuffet in Anspruch nehmen, sich an den Strand setzen, sich entspannen und am Abend vielleicht den ein oder anderen Cocktail schlürfen (Dopamin). Er stellte die These auf, dass sich schon in der Entwicklung der einzelnen Menschen festlegen würde, welchem der beiden Glückshormone der konkrete Mensch später hinterherjagen würde, ohne allerdings eine Wertung zwischen den Serotonin- und den Dopamin“jägern“ vorzunehmen. Ich fand diese Gedanken erfrischend und auch sonst fanden wir viel interessanten Gesprächsstoff. Gegessen hatte ich das sogenannte „Highland Trio“ bestehend aus Haggis und zwei weiteren lokalen Spezialitäten.
Unser Gespräch verlief so gut, dass wir es ins nebenan liegende „Tyndrum Inn“ verlegten und im Beisein von den zwei Mädels, die sowohl Patrick als auch wir schon früher getroffen hatten, ein paar Bier schlürften. Das Gespräch drehte sich vor allem um BJJ, Politik und Patricks Dasein als Lehrer, das aber erst kürzlich auf dem Prüfstand gestanden hatte, weil Patrick wegen (angeblich) falschen Anschuldigungen, etwas mit einer Schülerin gehabt zu haben, von seiner Schule wegmusste. Diese Geschichte in Kombination mit der Tatsache, dass er vor kurzem von seiner langjährigen Freundin verlassen wurde, war für ihn wohl eine Last, die er auf dem WHW mit sich mitschleppte und zu verdauen suchte. „Passend“ dachte ich mir, weil ich diese Art des gedanklichen „Verdauens“ schwieriger Situationen auch schon öfter bei Wanderungen alleine praktiziert habe. Nach drei unschuldigen Bier machten Martin und ich uns schließlich aus dem Staub und gingen an den Stadtrand zu einer Wiesenfläche, die mir schon Fabian als Ort zum Kampieren in Tyndrum empfohlen hatte. Auf dem mit Kuhscheisse übersäten Platz bauten wir in der Dämmerung unsere Zelte auf, während Patrick, der feine Herr, im Tydrum Inn nächtigte und wahrscheinlich noch die Mädels bequatschte.
Einige Minuten nachdem das Zelt aufgebaut war und ich mich hineinlegte und auszog bemerkte ich ein seltsames Gefühl im Magen. Das Gefühl erhärtete sich rasch zu handfester Übelkeit und ehe ich mich versah stand ich schon draußen vor dem Zelt, kotze drei große Schwalle auf den ohnehin schon widerlichen, weil von Tieren zugeschissen Zeltplatz und wurde dabei von Midges zerbissen, da ich nichts anhatte außer eine Unterhose. Zudem war es kalt und ich begann zu zittern. Ich war völlig dehydriert und konnte einige Stunden nicht einschlafen in der Angst, mich nochmal übergeben zu müssen. Das war ein Tiefpunkt und ich wusste, den Folgetag könnten wir wohl getrost streichen. So kam es dann auch: während des leichten Regens am nächsten Morgen, der endlich frische, gute Luft in mein dampfiges Zelt brachte, konnte ich besseren Schlaf finden und den restlichen Tag brachte ich damit zu, in Tyndrum irgendwo am Boden herumzulümmeln und langsam Wasser aus meiner Flasche zu nippen, in der Hoffnung, mein Magen würde sich erholen. Einmal fiel ich dem Besitzer des Tyndrum Inn auf, weil ich am Boden liegend einige Meter von der Straße entfernt eingeschlafen war. Er kam und fragte mich, ob es mir an irgendwas fehle und nachdem ich meine Situation erklärte versuchten wir gemeinsam zu erörtern, warum ich wohl kotzen hatte müssen. Meinen Hauptverdacht, das Essen von gestern Abend (Haggis), entkräftete er, in dem er meinte, seine Hand für die Qualität des Essens des „Real Food Cafe“ ins Feuer zu legen. Er meinte es werde wohl die viele Sonne, zu wenig Trinken und die Kombination mit dem Bier gewesen sein. Er wird wohl Recht gehabt haben.
Nach diesem „Rehabilitationstag“ ging es meinem Empfinden nach erstmalig in Areale, die dem Begriff „highlands“ gerecht wurden. Und das an Tag fünf von sieben, die wir für den WHW benötigten! Bis dahin hatten wir im Wesentlichen nur gewöhnliche Hügellandschaft und Wälder durchstrichen. Für einen Weitwanderpfad, der sich West HIGHLAND Way nennt, ist das eigentlich etwas dürftig. Wie auch immer: die große weite Ebene mit den kahlen, charakteristischen Munros (schottische Bezeichnung für „Berg“) begann etwa ab der steinernen Bridge of Orchy und endete auch schon wieder etwa eine Tagesetappe entfernt beim „Devil's Staircase“, wo nach dem Abstieg nach Kinlochleven wieder eine wenig ausblicksreiche Passage durch eine Schlucht folgte. Unsere nächste Nächtigung nach Tyndrum hatten wir inmitten dieser schönsten Passage der Tour, direkt am „Lochan Mhic Pheadair Ruaidh“, einem See, oder vielleicht passender: einem Tümpel. Wir schlugen unsere Zelte in einer wohl eigens für Camper angelegten, etwas windgeschützten Mulde auf, pflanzen uns in das sattgrüne schottische Gras und ließen hier, umrahmt von der mächtigen Weite der Landschaft, die Seelen etwas baumeln. Eine Begegnung mit einem anderen Wanderduo erinnerte uns wieder daran, dass wir auf dem WHW waren und auf keinem anderen Weitwanderpfad: der eine fragte uns hier, schon weit fortgeschritten auf dem WHW, allen Ernstes, wieso denn sein Gaskocher nicht mit der mitgebrachten Kartusche kompatibel sei. Dass Drehventile nicht mit Stechkartuschen harmonieren, hatte der Kollege wohl noch nicht herausgefunden und musste deshalb die nächste Zeit mit kläglichen Versuchen verbringen, ein kleines offenes Feuer am Laufen zu halten, für das es mitten in den pflanzenleeren Highlands logischerweise kaum Holz gab. Zeuge solch krasser Anfängerfehler wird man bei Touren in Norwegen oder sonst wo, wo es weniger Zivilisation gibt, wohl eher nicht werden.
Am nächsten Morgen brach die Midge-Plage mit voller Wucht über uns herein: schon früh morgens hatten sie uns regelrecht belagert und ihre Masse war derart angewachsen, dass ein deutlich zu hörendes Surren in der Luft lag und zudem ein Geräusch ähnlich einem leichten Nieselregen auf der Zeltmembran zu hören war, das durch die ständigen Kollisionen der Midges mit der Zeltwand entstand. Noch ohne unsere Zelte zu öffnen, hielten Martin und ich eine Lagebesprechung ab. Ihr Ergebnis konnte nichts anderes sein, als der Plan, einfach so rasch als möglich alles mit voller Schutzausrüstung und eingesprüht mit dem Abwehrspray „Smidge“ einzupacken und sofort loszugehen, auch ohne Frühstück. Nach chaotischen Szenen des beim Einpacken Zerbissenwerdens gewannen wir endlich Distanz zu dem Tümpel, der wahrscheinlich Ursache der großen Flut an Midges war. Schon nach ein paar Metern des Gehens wurden die Attacken seltener und ließen schließlich ganz nach. Beweglich sind Midges nun mal nicht. Nur wenn man sich länger an derselben Stelle aufhält, ist man ihnen ausgeliefert.
Auf dem Weg zum Devil's Staircase begneten uns nicht nur Midges, sondern auch unser alter Bekannter Patrick. Wo die A82 und die Zufahrtsstraße zum Glencoe Mountain Resort zusammentreffen stand er mit gesenktem Blick da, nahm uns im Herannahen gar nicht recht war und grüßte schließlich auch viel weniger freudig, als wir es mittlerweile schon gewohnt waren. Es war nichts als dem Zufall geschuldet, dass wir Patrick noch trafen: wie sich nämlich gleich herausstellte sollte er in wenigen Minuten von dort mit dem Taxi abgeholt und wieder in die Stadt gebracht werden. Auch er hatte sich irgendetwas eingefangen, hatte sich „leergeschissen“ und litt zusätzlich unter Schüttelfrost und anderen Symptomen eines Fiebers. Die Reise war für ihn dahin und ebenfalls sein Ziel, ihm von seinen Schülern geschenkte, bemalte Steine nach Glenfinnan (dort steht eine Filmkulisse aus einem Harry Potter Film) zu bringen. Der „Suchende“ konnte einem in diesem Moment schon ein wenig leidtun.
Nähe Glencoe Mountain Resort
Vorbei an einigen Touristen am Fuße des Munros „Buachaille Etive Mòr“ beschritten wir nach dieser Begegnung den „Devil's Staircase“, eine Aufwärtsetappe mit einigen Stufen, die sich über eine starke halbe Stunde zieht. Fürchten braucht sich vor diesem Namen aber keiner, so anstrengend war der Aufstieg nun wirklich nicht. Im Anschluss gab es eine wenig spektakuläre, stetig bergab verlaufende Passage nach Kinlochleven, wo wir wie waschechte Sandler im Park auf einem Mistkübel den Kocher anstarteten und unser Essen zubereiteten. Wir schliefen am Ortsrand vom benachbarten Kinlochmore, in einem Waldabschnitt nahe der Straße. Ein Hoch dem schottischen Jedermannsrecht!
Am oberen Ende des Devils Staircase
Kinlochleven
Der letzte Tag des WHW startete mit einem langen, eher monotonen Hatsch entlang des Fußes eines der vielen Munros. Die Vorfreude darüber, dass wir den Trail im Laufe des Tages absolvieren würden, wurde nebst der monotonen Strecke aber noch durch etwas anderes gehemmt: es entwickelte sich eine ungute Diskussion zwischen mir und Martin, ausgelöst ausgerechnet durch den ersten Anblick des Ben Nevis, auf den wir uns eigentlich freuen hätten sollen. Ich meinte, trotz Wolken um den Gipfel könne man da sicher hochgehen. Martin war verärgert über meine „Waghalsigkeit“ und meinte, so ein naives Verhalten habe mir in der Vergangenheit bereits meinen Zwischenfall auf einem Klettersteig beschert (wodurch ich eine Höhenangst entwickelt hatte, die ich vorher nicht hatte). Auf einen Berg gehe man bei Schlechtwetter einfach nicht. Dass er mir damit ein naives Verhalten bei der Tourenplanung generell attestierte, dies auf Basis der geplanten – nun wirklich nicht schweren – Ben Nevis Besteigung und einer in die Hose gegangenen Klettertour, die nicht ich selbst geplant hatte, ging mir heftig gegen den Strich. Die Gespräche in Folge waren zäh und drehten sich darum, warum es doch oder eben nicht möglich oder vernünftig sei, de Ben Nevis bei diesem Wetter zu besteigen. Man merkte hier bereits Unterschiede in unseren „Philosophien“, wie weit man bei einer Tour gegen könne und solle, die später noch schlagend werden sollten.
Stein des Anstoßes: Ausblick auf den wolkenverhangenen Gipfel des Ben Nevis
Angekommen im Glen Nevis waren wir froh unser Lager nun erstmalig nicht nur für eine Nacht aufzuschlagen: wir checkten am Campingplatz ein, bauten die Zelte auf und konnten all unser Hab und Gut dort lassen. Mit leichtem Gepäck ging es die letzten Kilometer in die Stadt Fort William, wo der Endpunkt des WHW lag. In der Stadt angekommen erkundeten wir einen alten, verfallenen Friedhof und kurz vor dem offiziellen Endpunkt noch die schöne Fußgängerzone der „High street“. Wir setzten uns am Endpunkt angekommen wie einige andere Wandertouristen auf die Bank neben die Bronzefigur des Gründers des WHW und ließen uns dabei ablichten. Im Anschluss wurde standesgemäß bei Meckes eingekehrt und sich ordentlich der nach Fett und Zucker gierende Wanst vollgeschlagen. Diese positiven Emotionen verdrängten dann doch wieder die schlechte Laune von einige Stunden zuvor und müde und satt wankten wir zurück zum Campingplatz am Fuß des Ben Nevis, im Glen Nevis.
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