[SE] Mit dem Packraft am Rogen – die Entdeckung der Langsamkeit

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  • Mortias
    antwortet
    Wow, was für ein toller Bericht. Vom Schreibstil wirklich sehr poetisch und fesselnd. Und die Landschaft. Nun ja, die spricht für sich selbst. Die Rogengegend ist einfach wunderschön und manchmal frag ich mich selbst, warum ich erst vor zig Jahren einmal dort gewesen und anschließend nie wiedergekommen bin. Die Idee diese Gegend mit dem Packraft zu erkunden ist jedenfalls genial. Ist ja quasi gerade prädestiniert dafür. Aber sehe ich das richtig, dass Tom ein MRS Alligator hat? Ich nenne selbst solch ein Boot mein eigen, würde es aber aufgrund des hohen Gewichts nicht auf eine Seentour mitnehmen. Von daher würde ich für solch eine Tour eher ein leichteres Boot bevorzugen. Sehe ich das richtig, dass Du ein Anfibio Alpha XC dabei hast? So wie Freedom33333 würden mich auch weitere Details hinsichtlich der Performance des Bootes etc. interessieren.

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  • Blahake
    antwortet
    Was für eine wunderschöne Kombination aus Wasser und Land, Bernd und Tom, Poesie und flotter Schreibe, Frühaufsteher und Langschläfer, zauberhaften Stimmungen und praktischen Ausrüstungstipps.

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  • Borgman
    antwortet
    ... immer noch 31. August: Rogen

    Yippee, endlich geht es los! Am Parkplatz schultern wir die Rucksäcke und laufen über den Hof, am Bootssteg vorbei, auf den schon von gestern bekannten Pfad zur Rogenstuga. Das muss für einen zufälligen Beobachter recht eindrucksvoll ausgesehen haben, besonders Toms Windrider: Paddel, nur in der Mitte geteilt, links und rechts in den Netztaschen, dazwischen eingeklemmt die schmale, dicke Rolle seines MRS Alligator und obendrauf thront die Rettungsweste. Zelt, Matte und Paddelschuhe stecken ebenfalls in den Netztaschen, damit das Ganze nicht noch höher wird. Ja, es dauerte eine Weile, bis alles seinen Platz gefunden hatte, aber gegen viertel nach drei sind wir tatsächlich auf dem Pfad.



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Größe: 5,30 MB
ID: 3009579
    (Foto: Tom)

    So schön licht wie auf dem Foto ist der Wald allerdings nicht überall. Oft genug bleiben wir mit den Paddeln an Zweigen hängen – anfangs noch lachend, später immer öfter fluchend. Daran müssen wir uns erst noch gewöhnen. Nach anderthalb Stunden erreichen wir die Rogenstuga, wo wir schon von den freundlich lächelnden Stugvards erwartet werden. Na, was habt ihr denn vor? Wo wollt ihr hin? Ääh… also… so genau wissen wir das noch nicht. Erst mal über den Rogen, oder? Wir wirken vermutlich etwas muffelig, aber mehr aus einer gewissen Verlegenheit. So wie das alte Ehepaar, das den Autoschlüssel nicht findet - „du musst doch wissen, wo du ihn hingelegt hast“ - „nee, ich dachte du hättest ihn“.

    Also, meine Idee, na ja, eher vage Vorstellung ist, dass wir uns nach dem Wind richten. Heute noch mit dem stetigen Nordwind den Rogen queren, mehr wird zeitlich sowieso nicht drin sein, und morgen zum Bredåsjön gehen. Da müssten wir mal sehen, wie weit wir auf dem See kommen, denn der Wind soll drehen. Und überhaupt erst mal abwarten wie es läuft. Wir wissen ja beide noch nicht, was man so schaffen kann und haben auch weder eine konkrete Vorstellung noch große Erwartungen. Der Kiesstrand an der Hütte ist jedenfalls ganz nach meinem Geschmack. Wirklich sehr schön hier!


    erster Blick auf den Rogen



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    Rogenstuga
    (Foto: Tom)





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    (Foto: Tom)

    In aller Ruhe blasen wir die Boote auf, verspannen die Rucksäcke und machen die ersten Paddelschläge gegen sechs Uhr. Eine geschlagene Stunde hat das gedauert. Ziemlich genau die Zeit, die der Wind brauchte, um auf West zu drehen und ein bisschen Kraft zu sammeln. Na klasse, dann haben wir ihn statt von hinten jetzt genau von der Seite. Wir versuchen zuerst, den Durchlass neben der westlichsten Insel der Bredåholmarna anzupeilen, merken aber bald, dass es bei dem kräftigen Wind keine gute Idee ist, den Wellen die Breitseite anzubieten. Erstens schaukelt so ein leichtes Packraft wie ein betrunkener Dachs, zweitens spritzt dabei mehr Wasser rein als nötig, und drittens treibt man zu weit ab. Hätte ich nicht letztes Jahr schon Erfahrungen mit dem Blåmannsisvatn bei ähnlichen Bedingungen gemacht, wäre jetzt der geeignete Zeitpunkt, um in Panik zu geraten.

    Stattdessen denke ich nur: das wird ein ordentliches Stück Arbeit. Tom und ich verständigen uns kurz, dass wir am besten genau gegen den Wind paddeln, und legen uns ins Zeug. Gegen den Wind heißt um diese Uhrzeit auch genau gegen die tief stehende Sonne, was zwar die grobe Orientierung vereinfacht, aber Landmarken wie Buchten und seltsamerweise sogar Inseln kaum noch erkennen lässt. Bald wissen wir nicht mehr, wo genau wir uns auf dem See befinden. Anscheinend sind wir nicht weit vom Kurs West-Südwest abgetrieben, denn die Inselgruppe dürfte ja kaum zu verfehlen sein. Als wir dann endlich nass und frierend ruhigeres Fahrwasser in Landnähe erreichen, ändern wir den Kurs auf Ost-Südost und halten mit dem Wind auf die nächste Insel zu, die wir für die westlichste halten. Jetzt ist auch mal Gelegenheit für ein Foto.


    endlich in ruhigerem Wasser



    Nur passt unsere vermeintliche Position überhaupt nicht zur Karte, und außerdem ist die Insel viel zu schmal. In unserem Zustand heiterer Glückseligkeit nach überstandener Rogen-Querung dauert es lange, bis wir das Offensichtliche erkennen: wir sind zwar wie die Irren nach Westen gepaddelt, wurden aber vom Wind immer weiter nach Südosten abgetrieben und haben gerade noch den letzten Durchlass nach Süden erwischt, bevor es wieder auf den offenen See geht. Jetzt müssen wir also die ganze Strecke südlich der Inseln wieder zurück paddeln. Natürlich gegen den Wind... Yeah!

    Zum Glück sind die Wellen in der breiten Bucht zwischen Festland und Inseln nicht mehr so heftig, vielleicht hat der Wind auch etwas nachgelassen. Trotzdem bin ich völlig erschöpft, als wir die westlichste Bucht erreichen und kurz danach die versteckte Fahrrinne zum Bach aus dem Bredåsjön. Mit klappernden Zähnen und gefühllosen Händen lege ich an der erstbesten Stelle an. Mir doch egal, dass sie schlammig ist, ich will nur an Land und mich aufwärmen. Tom sucht sich ein paar Meter weiter eine bessere Stelle, er scheint auch nicht so zu frieren. Die Sonne geht schon unter. Jetzt schnell die Zelte aufbauen, es gibt gleich hier genügend passende Stellen.

    In trockenen Sachen nach der kürzesten Katzenwäsche aller Zeiten und mit einer Blechtasse voll heißem Kaffee sieht die Welt schon wieder anders aus. Nämlich erst mal ziemlich dämmrig. Unsere feuchtfröhliche Überfahrt hat wohl inklusive Inselrunde an die zwei Stunden gedauert, viel länger als gedacht. Das Thermometer nähert sich dem Gefrierpunkt. Was bin ich froh, dass der Schlafsack nicht nass geworden ist. Im Gegensatz zu Toms Rucksack ist mein Osprey Xenith 88 nicht wasserabweisend. Er scheint vielmehr jeden Wassertropfen gierig aufzusaugen. Um dem Wind nicht noch mehr Widerstand zu bieten, beim Anfibio Alpha passt der Rucksack ja nicht längs, sondern nur quer auf den Bug, habe ich auf die Regenhülle verzichtet.

    Tom ist inzwischen auch mit dem Zeltaufbau fertig. Nach zwei Nächten im Unna hat er sich für die eigentliche Tour ein frisches Zelt gegönnt, zu dem er bestimmt noch was sagen möchte... nee, nicht mehr heute, oder? Ich glaube, er ist froh, dass es nach einigem Herumprobieren ganz gut steht.

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  • evernorth
    antwortet
    31.August: Funäsdalen

    Bernd „drängelt“ ein bisschen und möchte etwas „Struktur“ in unseren noch fehlenden Plan bekommen. Deshalb macht er schon auf der Stena Scandinavica, und während unserer Autofahrt ganz viele Vorschläge. Gleich mehrere, tolle Ideen versucht er mir so schmackhaft, wie möglich aufzufächern. Finde ich alle gut.
    Im Gegensatz zu mir hat er wohl schon vorher damit begonnen, sich ein wenig mehr mit den Karten und Begebenheiten zu beschäftigen, während ich noch nahezu „unbeleckt“ vor einem weißen Blatt Papier sitze.
    Bei mir ist es jetzt so, dass ich erst einmal „ankommen“ möchte. Laangsam tauche ich deshalb ein, in diese neue Welt hier in Käringsjön.
    Während unseres abendlichen Spaziergangs kristallisiert sich dann eine Route heraus, die eigentlich alles (oder zumindest vieles) an unterschiedlichen Aspekten der neuen Gegend berücksichtigt. Das hört sich spannend und sehr abwechslungsreich an: Ein überschaubarer Marsch zur Rogenstuga, und eine Querung des großen Rogen - Sees mit 1. Übernachtung am dortigen Windschutz/Lagerplatz, anschließende, längere Umtrage und Einsetzen in den Bredåsjön. Das klingt fast wie ein Plan und ist ein richtig guter Beginn, mit offenem Ausgang.

    Hier muss nach längerer Zeit mal ein Foto kommen...



    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 4EC89045-FF76-4B58-8F3F-29DC9F0039BC_1_201_a.jpeg Ansichten: 0 Größe: 5,62 MB ID: 3009435 Käringsjön


    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: D2FDA503-A88B-460D-8F4A-75E79A3B36B3_1_201_a.jpeg Ansichten: 0 Größe: 5,68 MB ID: 3009436


    Heute soll es endlich losgehen, doch erstens kommt es anders....
    .... und zweitens, als man denkt.

    Funäsdalen? Was zum Henker hat dieser Ort denn hier verloren?
    Schon gestern Abend habe ich bei der Verwendung meines Gaskochers, Soto Windmaster, eine
    Nachgiebigkeit beim Anbringen der Triflex Topfauflage bemerkt, ihr aber keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt. Heute morgen ist mir das Teil an der Verbindungsstelle einfach gebrochen. So ohne Topfauflage lässt sich der Brenner nicht mehr benutzen und das entsprechende Ersatzteil liegt bei mir zu Hause.
    Bei der vorbildlichen Verarbeitungs- Qualität der Firma Soto habe ich mir so einen Ausfall nach gerade einmal 4 Jahren intensiver Nutzung nicht vorstellen können.
    Nicht allein, dass dieses Versagen zu diesem Zeitpunkt nicht schon ärgerlich genug ist, nein, nun muss auch noch eine zeitaufwändige Lösung her: Ich brauche einen neuen Kocher!
    Am vielversprechendsten scheint der Ski - Ort Funäsdalen zu sein, wenngleich bis dahin eine etwa neunzigminütige Autofahrt unumgänglich sein dürfte und der erste (und letzte!) Teil erneut über die abenteuerliche Maut - Straße geht.
    Beim Googeln haben wir entdeckt, dass noch ein weiteres Sportgeschäft (oder war es ein Laden für Angler - Bedarf?) direkt auf dem Weg liegt. Als wir dort vorbeikommen ist der Laden zu. Ohnehin sah es nicht so aus, als hätte es dort einen Camping - Kocher gegeben.
    Also weiter nach Funäsdalen.
    Als wir den Ort endlich erreichen, staunen wir nicht schlecht: Hier ist alles auf den Wintersport ausgerichtet. In den Winter - Monaten dürfte hier einiges an Trubel herrschen. Jetzt geht es hier vergleichsweise ruhig zu, geschäftig, aber ruhig. Diese Beobachtung besänftigt meinen unruhigen Geist ein wenig, insbesondere, als wir vor dem Bergsport - Geschäft stehen, welches wir erst im zweiten Anlauf entdecken.
    Wir betreten den Laden und ich steuere zielsicher auf ein Regal zu. Große Erleichterung, da stehen genau zwei Primus Gasbrenner! Einer ist viel zu schwer, aber der andere, ein Primus Micron Trail, (leider nur mit Piezo - Zündung), passt perfekt. Das dieser, umgerechnet gut 55 € kostet, spielt jetzt einfach mal keine Rolle. Den kaufe ich und dazu noch einen schwedischen Berghaferl aus Kunststoff. Den habe ich zuhause vergessen.
    Im Anschluss daran ergänzen wir noch unsere Verpflegung durch den Einkauf im gegenüberliegenden Coop Supermarkt.

    Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, haben wir in Funäsdalen keinen Kaffee getrunken, was schon irgendwie erstaunlich wäre, denn schließlich ist dieses Getränk der Kraftstoff unserer folgenden Tour (und auch der Zeit zwischen den Touren) gewesen. Kaffee fast zu allen Tageszeiten, von schwarz und stark, bis dünn, mit und ohne Milch.
    Nicht unterschlagen möchte ich allerdings unseren ebenso ausgeprägten Hang zum Genuss eines gewissen Gerstensaftes, allerdings mit Kohlensäure.

    Über den weiteren Ausgang unserer Funäsdalen - Exkursion gibt es nichts weiteres zu berichten, außer, dass wir am Nachmittag wohlbehalten (und mit neuem Kocher) „zum Kaffee“ wieder zurück in Käringsjön sind.
    Zuletzt geändert von evernorth; 10.01.2021, 21:20.

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  • evernorth
    antwortet
    Zitat von wilbert Beitrag anzeigen
    Vielen Dank für den Tip!

    Schöner Bericht von Euch beiden.
    Ich bin gespannt wie sich das Ganze entwickelt.

    VG. -Wilbert-
    Moin Wilbert,

    gern geschehen. Ja, ein tolles Album. Für mich das (Jazz) Album des Jahres 2020. Ein musikalischer Lichtblick....Seufz.

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  • wilbert
    antwortet
    „Taste of Honey“ vom Trio Ulf Wakenius, Lars Danielsson und Magnus Öström liefert den perfekten Soundtrack ...
    Vielen Dank für den Tip!

    Schöner Bericht von Euch beiden.
    Ich bin gespannt wie sich das Ganze entwickelt.

    VG. -Wilbert-

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  • Borgman
    antwortet
    @Mika Hautamaeki: Danke – damit lieferst Du mir das perfekte Stichwort für den nächsten Teil. Jaa, man könnte wohl auch an einem Tag ankommen...



    29. August: Road Trip

    Wer sich bei einer Überfahrt mit der Stena Scandinavica eine aufregende Schiffsreise erhofft hatte, ist heute wohl einigermaßen ernüchtert. Außer, er hat sich an der einzigen geöffneten Bar bis zum Anschlag die Kante gegeben. In diesem Fall ist er eher verkatert, freut sich auf einen schönen starken Kaffee, mit dem er seine handvoll Aspirin herunterspülen kann und wird wieder enttäuscht. Anscheinend hat man auf der Stena Scandinavica ein Verfahren entwickelt, mit dem restlos jegliches Aroma aus dem Kaffee entfernt werden kann. Danke, Stena, kannst du stolz drauf sein, dafür bezahlen wir natürlich gerne 35 Kronen pro Nase. Oh, da ist ein Påfyllning drin? Das lassen wir uns doch nicht zweimal sagen. So einen ... äh ... Kaffee werden wir so bald nicht wieder bekommen ... hoffentlich.

    Was für ein Glück, dass ich im Gegensatz zu Tom nicht auf das kulinarische Angebot an Bord gesetzt habe. Das warme Essen gestern Abend sah nicht lecker aus. Unförmige Fleischklumpen von ungewisser Herkunft, zerkochtes Gemüse und eine blassbeige Soße, die vermutlich wahlweise als Suppe gereicht wurde, weckten keinerlei Verlangen. Die Kartoffeln hätte man wahrscheinlich essen können, aber ich hatte ja mein Käsebrot dabei. Tom stand eine Weile ratlos und leicht angewidert vor der Theke und hat sich dann in der Not einen Fischburger bestellt. Der sah dann doch ganz appetitlich aus, jedenfalls besser, als die Auslage erwarten ließ.

    Man muss allerdings sagen, dass das eingeschränkte Angebot vermutlich auch der sehr geringen Anzahl von Passagieren geschuldet ist. Es dürften ungefähr zur Hälfte Fernfahrer und zur Hälfte Urlauber sein, wobei sich bestimmt noch ein paar Urlauber aus Angst vor Ansteckung in ihren Kabinen verschanzt haben. Die sieht man natürlich nicht. Alle anderen halten sich weitgehend an die Abstandsregeln, Platz ist genug. Weiterer Vorteil der geringen Auslastung: Check-In und Ausfahrt gehen sehr flott. Keine Viertelstunde nach Ankunft in Göteborg fahren wir schon auf der E45 nach Norden.

    An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an Tom! Hätte ich nicht spätestens seit unserem Leipzig-Trip gewusst, dass es ihm wenig ausmacht, längere Strecken mit dem Auto zu fahren, dann wäre mir die Idee mit Schweden wahrscheinlich gar nicht erst gekommen. Die gut 600 Kilometer bis Grövelsjön (wo wir letzten Endes ja doch nicht hinfahren sollten) auf der Straße hätten mich abgeschreckt. Dass wir sein Auto nehmen, wo wir schon mal bei Vorteilen sind, begünstigt auch die Tatsache, dass wir überhaupt unterwegs sind. Meins steht nämlich seit vorgestern mit einem Getriebeschaden in der Werkstatt.

    So fahren wir also jetzt tatsächlich durch Schweden, allen Widrigkeiten zum Trotz. Die ersten zweieinhalb Stunden bis zum kleinen Ort Säffle vergehen, wenn nicht unbedingt wie im Flug, dann doch sehr entspannt. Zuerst steuern wir den Coop Extra an, damit ich meine üblichen Lebensmittel für die Tour besorgen kann, Tom braucht eigentlich nichts, kauft aber aus reiner Neugier oder Geselligkeit auch ein paar schwedische Delikatessen, und setzten uns dann mit einem Kaffee an eine Picknickbank. Zeit für erste Naturbeobachtungen. Das Balzverhalten männlicher Jugendlicher in Säffle unterscheidet sich nämlich in amüsanter Weise von vergleichbaren Ritualen in heimischen Habitaten.

    Man hat sich alte Autos so zurechtgemacht, dass sie die Form, wenn auch nicht die Funktion, verbeulter Pick-Ups erhalten und versucht damit, maximale Aufmerksamkeit zu erregen. Das heißt in diesem Fall, man demonstriert einen möglichst schlechten Musikgeschmack, es klingt ein bisschen wie die Musik zu einem japanischen Werbespot für rosa Plüschtiere oder einer Zeichentrickserie für Dreijährige, und schleicht alleine oder zu zweit so langsam wie möglich im Karree. Wir vermuten die Ursache für das verlangsamte Tempo in dem Umstand, dass sie zwar schon einen gewissen Hormonüberschuss haben, aber noch keinen Führerschein. Für diese Theorie spräche auch das Warndreieck am Heck eines jeden Gefährts. Säffle ist wie gesagt nicht sehr groß, so dass wir bald alle Individuen wiedererkennen. Nach der dritten oder vierten Runde haben wir genug gesehen und setzen gut gelaunt die Fahrt nach Norden fort. Im Stillen wünschen wir ihnen alles Glück bei der Partnersuche. Viel Hoffnung haben wir nicht.

    Das Albun „Taste of Honey“ vom Trio Ulf Wakenius, Lars Danielsson und Magnus Öström liefert den perfekten Soundtrack für die endlosen Wälder zwischen Torsby und Malung. Was für ein Glück, dass wir uns bei der Musik weitgehend einig sind. Im Zweifel entscheidet natürlich der Fahrer. Zwar könnte man theoretisch die ganze Strecke an einem Tag schaffen, aber dann wird es sehr spät. Wenn wir irgendwas haben, wenn schon keinen Plan, dann ist es Zeit. Und mit der Zeit entwickelt sich vielleicht auch ein Plan. Also halten wir am Campingplatz Malung und schauen uns um. Es regnet. Kein Mensch zu sehen. Tom gefällt der Platz nicht. Warum? Nur so ein Gefühl.

    Dann fahren wir eben weiter, wird schon noch was kommen. Was sich als Fehleinschätzung erweist. Die nächsten zwei Stunden verbringen wir damit, die eine oder andere Stelle zu besichtigen, die vielleicht zum Wildzelten einlädt, fahren Umwege, hin und zurück, kreuz und quer, aber wirklich überzeugen kann uns nichts. Nur halb im Scherz erwägen wir eine einladende Rasenfläche am Friedhof von Lima. Nee, zu dicht an der Hauptstraße. Dann fahren wir wohl doch noch die halbe Nacht durch ... oder, was ist das? Eine Angelstelle am Fluss? Kurz vor Kläppen werden wir, sogar noch bei Helligkeit, für unsere Geduld mit dem besten kleinen Notzeltplatz aller Zeiten belohnt.


    Aah, wie herrlich, die erste Urlaubsnacht im Zelt! Wenn die freie Zeit noch vor einem liegt wie ein unbeschriebenes Tagebuch, das begierig darauf wartet, mit Erlebnissen gefüllt zu werden. Wenn alle Ausrüstung und Lebensmittel noch ungeordnet herumliegen und man bis zum nächsten Morgen nichts, aber auch gar nichts findet, ohne das ganze Zeug zweimal zu durchwühlen, wodurch ein noch größeres Chaos entsteht. Wenn dann endlich alles für ein einfaches Abendbrot bereitliegt und das Bier beim Öffnen zischt, wenn die feuchte Kühle das Tal herunter kriecht, die ein Heißgetränk vor dem Schlafengehen unwiderstehlich verlockend macht, dann ... ja, dann fühlt man sich erst so richtig bis in die Knochen sauwohl. Gute Nacht!



    30. August: Käringsjön

    Sind wir gestern noch quasi sorglos ins Blaue gefahren, so schleicht heute nach dem Frühstück eine Frage durch unsere Hirnwindungen wie eine Katze durch das hohe Gras. Was wollen wir eigentlich machen? Ein bisschen paddeln, ein bisschen wandern in schöner Landschaft. Paar Berge wären nett. Vom Rogengebiet hatten wir natürlich schon Reiseberichte gelesen, an die wir uns aber bestenfalls vage erinnern. Grövelsjön als Ausgangspunkt ist mir nur deshalb in den Sinn gekommen, weil man bis dahin die kürzeste Strecke fahren muss, nicht weil ich irgendeinen blassen Schimmer hätte, was man da macht.

    Und überhaupt: gehen wir zusammen los oder macht jeder seine eigene Tour? Die Frage ist mir jetzt neu, weil ich immer davon ausgegangen bin, dass wir den größten Teil der zwei Wochen getrennt wandern. Unser Biorhythmus tickt doch zu unterschiedlich, dachte ich. Tom geht manchmal erst schlafen, wenn ich schon wieder aufstehe. Jetzt stellt sich heraus, dass ich anscheinend der Einzige bin, der sich diese Frage stellt, denn Tom ist auf dem Ohr taub. Nach gut norddeutscher Sitte ignoriert er das Thema einfach. Warum über etwas reden, das doch sowieso schon längst feststeht?

    Schön, kann ich auch mit leben. Wir werden ja nach ein paar Tagen sehen, wie es läuft. Dann könnte immer noch jeder seiner eigenen Wege gehen. Also, mal auf die Karte gucken. Was macht man in Grövelsjön? Man paddelt längs über den See und landet in Norwegen. Sieht so auf der Karte sehr nett aus, können wir aber knicken. Ein illegaler Grenzübertritt käme höchstens in Betracht, wenn es keine elegante andere Möglichkeit gibt. Und von Grövelsjön am Anfang und Ende einen kilometerlangen Fußmarsch über das Långfjäll, um in Schweden zu bleiben, will Tom mit seinem schwereren Packraft nicht in Kauf nehmen. Kann man nachvollziehen. Was also tun? Die Antwort liegt auf der Hand: wir fahren nach Käringsjön, wo sowieso fast alle Paddler starten. Da ist man mitten drin im Gebiet und aller Sorgen ledig.

    Nachdem das also beschlossen und besiegelt ist, biegen wir hinter Särna nicht nach Idre sondern nach Tännäs ab. Das Wetter ist so mittelgut. Regenschauer wechseln mit Sonnenstrahlen ab, es weht ein eiskalter Wind. Wir haben es nicht eilig ins Boot zu steigen, zumal für morgen Besserung in Sicht ist. Lieber heute noch den Tag verbimpeln, in Käringsjön übernachten und morgen mit dem ersten Hahnenschrei aufbrechen. Hoffentlich haben sie einen Hahn in Käringsjön.

    Spätestens als wir von Dalarna nach Jämtland kommen, ändert sich allmählich die Landschaft. Rentiere weiden auf offenen Heideflächen entlang der Straße, Birken gesellen sich zu den Kiefern und bilden aufgelockerte Wäldchen. Fast schon echte Wildnis. Hier hätte man natürlich prima wild zelten können, denken wir beide gleichzeitig und halten auf einem kleinen Parkplatz am Bach. Tom braucht eigentlich einen Kaffee, aber das Wetter ist uns dann doch zu ungemütlich. So lange man ein trockenes, warmes Auto zur Verfügung hat, kann man sich kaum vorstellen, bei Wind und Regen tatsächlich draußen zu sein.

    Das ersehnte Heißgetränk bekommen wir erst kurz vor Tännäs im Restaurang Árran, das überraschenderweise auch eine kleine Abteilung für Outdoor-Ausrüstung hat. Aber wir brauchen ja nichts. Nettes Lokal jedenfalls, direkt am Skilift gelegen. Nach der Kaffee- und in meinem Fall auch Raucherpause ist es nicht mehr weit, bis wir auf eine Schotterstraße abbiegen, die fünf Kilometer vor Käringsjön zu einer rechten Rumpelpiste wird. Egal, hier müssen wir ja so bald nicht zurück.


    Bei dem vielen Text brauchen wir hier dringend mal ein Foto zur Auflockerung, auch wenn es vom übernächsten Tag ist:


    Käringsjön


    Wir bezahlen die Maut für die Rumpelpiste und Parkgebühren für 8 Tage, dann dürfen wir unsere Zelte auf der freien Fläche neben einem Windschutz aufstellen. Tom hat, wie so oft, eine kleine Auswahl an Zelten dabei, zu denen er bestimmt bei passender Gelegenheit was schreiben möchte. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Heute entscheidet er sich für das Unna, während ich mangels Alternative (oder eher mangels Verständnis für die Notwendigkeit mehrerer Solozelte) mein geliebtes Akto daneben stelle. Der Boden ist uneben und nass, der Blick auf den Parkplatz nicht unbedingt idyllisch, aber trotzdem gefällt es uns hier ausgesprochen gut.

    Am Nachmittag entwickelt sich das Wetter erfreulich zum Besseren. Wir machen einen langen Spaziergang zum Ankommen und besprechen verschiedene Tourmöglichkeiten. Tom scheint irgendwie mit allem einverstanden zu sein, was ich vorschlage, sofern wir mehr paddeln als wandern. Ich würde gern den günstigen Nordwind nutzen um zuerst über den Rogen zu paddeln und so weit wie möglich nach Süden zu kommen. Wenn der Wind am Dienstag dreht, drehen wir uns halt mit und schauen mal, wohin er uns treibt...

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  • Mika Hautamaeki
    antwortet
    Herrlich, endlich mal wieder ein Bericht aus der region. Für mich immer noch eine der schönsten Wanderregionen Schwedens mit dem enormen Vorteil, dass man aus Hamburg in einem Tag ankommen kann.

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  • evernorth
    antwortet
    [SE] Mit dem Packraft am Rogen - die Entdeckung der Langsamkeit -


    Rogen? Ist das nicht dieser glibberige Fischlaich?
    ( Ja / Nein / Vielleicht? Bitte ankreuzen, aber….. Was hat das mit diesem Reisebericht zu tun? )

    Nun, Spaß beiseite, natürlich hatte ich schon recht oft von dem Seengebiet in der norwegisch - schwedischen Grenzregion im schwedischen Jämtland gehört, hatte zahlreiche Beiträge gelesen und beeindruckende Fotos gesehen.
    Ich war aber selbst dort noch nie zuvor unterwegs gewesen.
    Das sollte sich nun ändern, doch wie war es dazu gekommen?

    Das Jahr 2020 stand und steht ( bis heute...und für die nächsten 13 Jahre...steht auf Facebook ) unter teils dramatischen Vorzeichen.
    In diesem Jahr waren bei mir gleich mehrere Touren den Bach runter gegangen.
    Schon im Februar / März, also noch vor dem ersten Lock - down, machte ich eine kurze Foto -
    Exkursion nach Island, wo ich in einer Eishöhle fotografieren wollte. Wollte.....
    Nur, dass ich diese wegen eines verheerenden Sturms - bis zu 180 km/h Windgeschwindigkeit in Böen - und extremen, winterlichen Verhältnissen, gar nicht erreichen konnte.
    Straßen - Sperrung für 3 ganze Tage!
    Die gebuchte Veranstaltung bei einer kleinen, lokalen Firma wurde dann auch vom Veranstalter abgesagt. Da hing ich dann 3 Tage im Hotel, Nähe Skaftafell, fest, und kam noch nicht einmal vor die Tür. Ein Versuch, ein wenig die Beine zu vertreten, endete schon nach 20 Metern. Auf diesem Stück wurde ich etwa fünf Mal! einfach umgeblasen und beendete umgehend mein Ansinnen.
    Am Ende meines Island - Aufenthaltes hatte ich weniger als 10 Fotos gemacht und verließ nach 5 Tagen, völlig frustriert, die Insel wieder.
    Ich brauchte lange, um mich davon zu erholen.

    Ende April wurde das European Packrafting meet - up an der Soca / Slovenien auf Mitte September verlegt, um dann Mitte August erneut verlegt zu werden, nach Österreich.
    Da wollte ich aber nicht hin, denn Österreich reizte mich überhaupt nicht.
    Meine Skandinavien - Tour von Norwegen nach Schweden hatte ich schon früh aufgegeben.
    Im Nachhinein eine völlig richtige Entscheidung, denn die Quarantäne - Bestimmungen in Norwegen hätten das auch nicht zugelassen.
    So kam Bernd, akka Borgman, ins Spiel.
    Seine Erfahrungen in Island, im Juli 2020, machten mir wieder soviel Mut, dass ich für Ende August einen Lufthansa - Flug nach Keflavik buchte. Etwa 10 Tage vor dem Abflug verschärfte Island wieder seine Einreise - Bestimmungen und so musste ich auch diesen Flug wieder stornieren / umbuchen.
    Ich war am verzweifeln, doch ich war nicht allein. Bernd musste seinen Flug nach Norwegen ebenfalls stornieren. Was sollten wir nur machen?
    Dann erreichten mich folgende Zeilen von Bernd:

    „Aber ganz verzichten möchte ich auch nicht. Schweden und Deutschland haben gerade keine Probleme miteinander. Verrückte Idee: was hältst du von einem Road Trip, zum Beispiel nach Grövelsjön? Ganz flexibel, mit oder ohne Fähre... könnte man auch das Packraft mitnehmen... zusammen fahren und mehr oder weniger getrennt wandern? Ich denke nur laut, momentan. Hast du eine andere Idee?“

    Hatte ich nicht. Ich fand die Idee großartig und so haben wir es dann gemacht: Ich fuhr mit dem Auto nach Kiel und traf dort auf Bernd, der mit dem Zug angereist war. Wir nahmen die Fähre nach Göteborg.

    Am Ende wurde es aber doch nicht Grövelsjön, sondern der Rogen.

    Und das war auch gut so.

    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 762F9834-B29D-460B-80EF-90970AB7C77B.png Ansichten: 0 Größe: 1,64 MB ID: 3009053 Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: B48B5BEC-C1A7-41B0-A974-CBA3B63E2CA4.jpeg Ansichten: 0 Größe: 612,3 KB ID: 3009054 https://www.lantmateriet.se/

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  • Borgman
    antwortet
    Dann übernehme ich mal die erste Antwort-Runde. Tom hat es ja schon beschrieben – ein gemeinsamer Bericht ist für uns beide Neuland. Da stellt sich natürlich zuerst die Frage nach der Form. Dass wir gemeinsam an einem einheitlichen Text arbeiten, ist für uns unpraktikabel. Also teilen wir auf, jeder abwechselnd einen Tag? Oder jeder jeden Tag aus seiner Sicht? Ach, lasst Euch einfach überraschen, wir wissen ja selber noch nicht, was am Ende herauskommt.

    @Freedom33333: Jaa, Tom hat mir erzählt, dass Du Dich für Packrafting interessierst. Wir gehen bestimmt noch auf diese Themen ein. Aber hab Geduld, lass uns erst mal in Gang kommen.
    Der Titel ist
    eben nicht ganz zufällig gewählt

    @Bergahorn: Danke! Die Stimmung an jenem Morgen musste ich einfach so gut wie möglich beschreiben. Das war so ein Moment auf dem Wasser, wo man ganz bei sich ist und alles andere unwichtig.

    @vobo: Das mit dem von vorne und von hinten und dem Höhepunkt habe ich zwar nicht ganz verstanden, musste aber grinsen . Ob Deine Erwartungen tatsächlich erfüllt werden, kann ich nicht versprechen...

    @Fjellfex: Haha, Du übertreibst mit Deinen schmeichelhaften Vergleichen – das wird irgendwann noch jemandem zu Kopfe steigen. Nee, wir bleiben hier mal auf dem Teppich und sind, siehe oben, genauso gespannt wie Du, was draus wird.

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  • Fjellfex
    antwortet
    Ich reihe mich gerne ein in die Schar der Entzückten!
    Da habt ihr beiden ein interessantes Erzählformat kreiert - das wird extra spannend.
    Johann Wolfgang von Borgman hat sich in der That literarisch selbst übertroffen.
    Und gerne ausführlich über die Erfahrungen rund ums Packraften berichten; die Sache mit den Neoprenschuhen bei Kälte ist schon mal registriert...

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  • vobo
    antwortet
    Hurra, es geht endlich los. Und der eine von vorne und der andere von hinten - wenn das nicht auf einen Höhepunkt hinausläuft. Dramaturgisch perfekt, ich freu mich!

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  • Bergahorn
    antwortet
    Boah, was für ein Anfang! Ist ja geradezu Poesie und fängt sprachlich die Stimmung auf den Bildern ein. Bitte bald weiterschreiben, bin schon jetzt Fan dieses Berichts!

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  • Freedom33333
    antwortet
    Bei Packraft-Touren bin ich immer am Start, freue mich schon sehr auf euren Bericht (und hoffentlich auch ein paar Boot-Fotos).

    Gerne auch bei Gelegenheit ein Überblick über die Ausrüstung die man zusätzlich dabei haben muss gegenüber einer normalen Tour, inzwischen ist so eine Tour auch für mich vorstellbar geworden. (Irgendwie erschreckend wie schnell man sich an neue Dinge gewöhnen kann, die man davor noch total speziell und krass fand).

    Und: Beeindruckend literarisch geschrieben Bernd.

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  • Borgman
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    08. September: Vingarna


    Beinahe lautlos gleitet das Packraft über den spiegelglatten Öster Vingarna. Mühelos. Schwerelos. Nur meine eigene Bewegung versetzt das Wasser in sanfte Schwingung, lässt die Reflexion der Wolken auf der Oberfläche pulsieren. Zärtlich wie Schmetterlingsflügel, stelle ich mir vor, sollen die Paddelblätter links und rechts eintauchen. Lautlos, mühelos, gleichförmig verschmelzen sie mit der erwartungsvollen Stille des frühen Morgens. Hier und da dümpeln Enten in Ufernähe, zu weit weg, um sich von mir gestört zu fühlen. Schlafen sie, oder genießen sie wie ich die Morgenflaute? Die Zeit des Tages, in der man sich einfach treiben lassen kann, die keine Entscheidung, keine Anstrengung fordert.






    Öster Vingarna


    Ein Windhauch wellt ganz leicht das Wasser, dann steigt die Sonne über die Wolken im Osten, und wieder ändert sich die Stimmung. Goldenes Spätsommerlicht kleidet gewöhnliche Kiefern und Birken in kostbare Gewänder, wärmt Paddler und Enten gleichermaßen. Zwei Rentiere, ein junges weißes und ein braunes erwachsenes, betrachten von einer Landzunge neugierig das gelbe Gummiboot. Am Himmel zieht ein großer Greifvogel seine Kreise. Den breiten dunklen Schwingen nach könnte es ein Steinadler sein. Gibt es die hier? Erst jetzt fällt mir auf, dass ich während der ganzen Zeit im Rogengebiet keinen einzigen Greifvogel bewusst wahrgenommen habe, was sich wohl daraus erklärt, dass es auch keine Spuren von Nagern gab.








    Eigentlich schade, dass Tom diese besondere Stunde des Tages nicht hier auf dem See erlebt. Er braucht morgens seine Zeit, wogegen ich glücklich bin, wenn ich früh aufbrechen kann. Zumal heute der Wind am Vormittag ungemütlich auffrischen soll. Wir haben verabredet, dass ich an der nördlichsten Bucht des Väster Vingarna auf ihn warte, dann gehen wir gemeinsam zurück zum Käringsjön, wo das Auto steht. Selbst in meinem gemächlichen Tempo erreiche ich bald die Landenge, die den Öster vom Väster Vingarna trennt. Hier muss ich kurz umtragen, aber einen trockenen Platz zum Anlegen gibt es in der nordwestlichen Bucht nicht. Das Ufer ist ein einziges Feuchtgebiet. Na ja, auch egal, dann ziehe ich die wärmenden Neoprensocken aus, trockne auf der anderen Seite die Füße und streife sie wieder über. Man denkt ja, Neopren wärmt auch in nassem Zustand, doch das stimmt nur bedingt. Jedenfalls ist das Material für die herbstliche Temperatur etwas zu dünn.



    Nasse Anlegestelle



    Väster Vingarna


    Mittlerweile bläst der Wind stetig aus Westen, genau wie vorhergesagt. So langsam sollte sich Tom auf die Socken machen, denke ich. Wobei er bislang selbst bei stärkerem Wind keine wirklichen Probleme hatte, er macht immer einen erstaunlich gelassenen Eindruck. Da bin ich schon eher besorgt. Auf dem Väster Vingarna bauen sich natürlich nicht so schnell große Wellen auf wie auf den großen Seen. Wenn ich da an unsere zweite Rogen-Querung denke, die war schon grenzwertig. Die erste eigentlich auch. Ich war sehr erleichtert, dass wir uns danach an die kleineren Seen gehalten haben. Wie viele Tage ist das her? Was ist überhaupt für ein Wochentag? Wie schnell man hier das Zeitgefühl verliert! Haben wir viel oder wenig gemacht? Und wen kümmert das? Wir hatten einfach eine gute Zeit hier am Rogen.


    An der nördlichen Bucht lege ich an, schnalle den Rucksack vom Boot und binde es vorsichtshalber zum Trocknen an eine junge Birke. Man weiß ja nie. Wäre nicht das erste Mal, dass mir das Packraft wegfliegt. So geschmeidig wie beim Paddeln sind auch meine Bewegungen an Land geworden, alles fühlt sich weich und fließend an. Da haben wir zufällig einen perfekte Platz zum Anlanden als Treffpunkt gewählt. In aller Ruhe suche ich eine ebene Stelle, wo ich das Zelt zum Trocknen aufstelle, beginne mit den Vorbereitungen fürs Frühstück und warte auf Tom.

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  • [SE] Mit dem Packraft am Rogen – die Entdeckung der Langsamkeit



    Reisezeit: 28.08.20 - 11.09.20


    Hier beginnt nun endlich „mein“ Reisebericht, doch das ist nur die „halbe“ Wahrheit:
    Es ist der gemeinsame Reisebericht von Tom und Bernd (evernorth und Borgman), denn schließlich waren wir ja zusammen unterwegs.

    So ein gemeinsamer Reisebericht ist „Neuland“ für uns, was uns mitnichten davon abhalten wird, dieses „neue“ Terrain mit Verve und Leidenschaft zu betreten, denn schließlich entspricht es ganz und gar unserer Trekking - Passion, „neues Land“ zu betreten.

    Wir wünschen beachtliches Vergnügen!




    (Foto: Bernd)
    Zuletzt geändert von evernorth; 30.12.2020, 21:23.
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