Tourentyp | |
Lat | |
Lon | |
Mitreisende | |
Goooooood Morning liebe Mitforenten!
Es ist 7:40 in Wien, Weihnachten steht vor der Tür, es ist kalt und die Müllabfuhr lärmt draußen. Auf Abwegen im www wird wieder mal die große Sehnsucht nach Verausgabung, Mangel an Komfort, Rückenschmerzen und nassen Schuhen in mir geweckt. Und plötzlich ist sie da, die Motivation, heute eeeendlich meinen Reisebericht über meine letztjährige Sarektour zu verfassen. Ich hatte es schon angekündigt, aber immer wieder aufgeschoben, da ich keine Fotos zur Auffrischung dröger Worte beimengen kann, sondern nur ein kleines Filmchen, dass noch seiner Fertigstellung harrte. Doch der war fertig, naja, so fertig wie so selfmade-Filme eben sind, und so konnte ich nun mangels Ausrede starten.
WARUM KEINE FOTOS? mag sich der eine oder andere entsetzt fragen, vielleicht hat er auch sogleich schon die Seite demonstrativ geschlossen und verbrannt… lasst es mich erklären.
Meine große Leidenschaft ist das Filmemachen, und so private Sachen filme ich vorzugsweise analog. Ja genau, analog, auf Film, diese meterlangen schmalen Plastikstreifen mit kleinen Löchern. Die kompakteste und leichteste Analogkamera in meiner Sammlung ist eine Bolex D8L, sie wiegt mit ihren drei Festbrennweiten etwa 2kg. Zusammen mit 110m Filmmaterial (je nach Abspielgeschwindigkeit ergibt das etwa 30min Film, haha, und das im Sarek!) kamen so knapp 3,5kg nur fürs Filmen zusammen. Das erklärt hoffentlich, warum meine Fotokamera beleidigt Zuhause bleiben musste.
Hier ist der Link zum Film:
https://vimeo.com/490695710
Warnung: Ich mache Filmkunst, ich habs nicht so mit ruhigen Aufnahmen und so, es schaut vielleicht etwas ungewohnt aus. Ich hoffe, dass sich trotzdem der ein oder andere daran erfreut, den Sarek im Filmformat Normal8 zu sehen ;)
Genug der langweiligen Einführungsworte… na, nur die noch:
Ich werde meinen Bericht recht kurz fassen und mich auf wesentliche Hintergrundinfos und interessante Erfahrungen beschränken, um den Film für sich sprechen zu lassen. Naja, ein bischen Faulheit ist auch dabei, ich möchte gerne heute Morgen noch damit fertig werden ;)
Uuuund:
Diese Reise hat meine Gefühle zur Natur grundlegend verändert. Nicht nur, weil Erfahrungen im Sarek sowieso umwerfend sind, sondern weil ich von der Wildnis einen ordentlichen Denkzettel verpasst bekommen habe. Ein Hauptbeweggrund für diesen Reisebericht ist daher auch, diese Erfahrung mit euch zu teilen und damit meinen nach 14 Monaten immernoch andauernden Reflexionsprozess für Input von außen zu öffnen. Als Aperitif nur ein paar Stichworte:
Luohttoláhko
Wintereinbruch
Nebel
Kompass vergessen
Viel Spaß!
Ich bin auf dem Weg von Wien gen Norden, als Flugverweigerer ein Abenteuer für sich. Aber darum soll es hier nicht gehen. Jedenfalls spuckt mich der warme Bus am 6.09.2019 in Kvikkjokk aus. Es ist das zweite Mal, dass ich vor der alten Kirche stehe, dass letzte Mal war vor 5 Jahren, wie ich hier meine Kungsleden-Wanderung von Abisko beendet hatte. Dazwischen war ich nochmals in der Region Abisko unterwegs, off track mit einer 3tägigen Zwangspause im Zelt dank einer hartnäckigen Erkältung… eine Erfahrung, aber auch um die soll es hier nicht gehen. Und nachdem ich ansonsten viel Erfahrung mit mehrtägigem Zelttrekking in den Alpen gesammelt hatte, Sommer wie Winter, fühlte ich mich nun bereit für meine erste Sarektour. Naja, eine ordentliche Packung Ehrfurcht gehörte auch zu meinen knapp 30kg Gepäck.
Die Route hatte ich mir relativ vage überlegt, anhand von Karte und Grundsten ein ungefähres Programm, dass noch mindestens 4 Tage Puffer ließ, Zeit für Besinnung, Erholung, Unvorhergesehens und eine rechtzeitige Rückkehr zum Ausgangspunkt. Ich wollte versuchen, über die Parekebene, durch das Gaskasvagge und das Sarvesvagge hinab zum Rapaselet zu gelangen.
Das Rapaselet. Das war mein Ziel, mein Traum, meine Sehnsucht. Warum weiß ich garnicht genau. Es war in meinem Kopf fast eine mystisch-spirituelle Anziehung, die ich verspürte. Entsprechende Reiseberichte hier im Forum taten ihr übriges…
Die Berge waren weiß vom Schnee der vorhergegangen Tage, aber die Sonne schien, es war angenehm warm. Um 17 Uhr startete ich also an der Fjellstation, in wunderbarem Herbstabendlicht, stapfte den Kungsleden hoch und errichtete mein erstes Camp im Dahtajiegge mit Blick aufs Partemassiv.
Highlight des Tages: an meiner alten Lederkameratasche ist 100m hinter der Fjellstation der Riemen gerissen, so dass die Kamera fortan im Rucksack auf ihren Einsatz warten musste. Das veränderte maßgeblich die Art, wie ich filmte, jede Spontanität war dahin, aber meine Schultern haben es mir gedankt, da ihnen so die eine oder andere Filmsession bei aufgesetztem Rucksack erspart geblieben ist.
1. Tag:
Der Weg vom Dahtajiegge bis zum 2. Camp knapp 100m oberhalb der Pareksiedlung am Hang verlief ruhig. Nebel und Nieselregen stimmten mich für die nächsten Tage ein, ich verstand die Botschaft des Sareks: will man hier wandern, darf man nicht aus Zucker sein. Bin ich auch nicht und so genoss ich die Weiten der Parekebene ausgiebig. Erwähnenswert ist, dass ich kurz vor der Pareksiedlung meine letzten menschlichen Begegnungen für die nächsten 9!!! Tage hatte, abgesehen von einer Ausnahme. Fast alle waren auf dem Weg nach Hause, und viele von ihnen hatten ihre Tour abgebrochen oder abgekürzt aufgrund des frühen Schneefalls. Im Nachhinein betrachtet hätte mir dass eine ausreichende Warnung sein sollen, schließlich waren fast all diese Leute erfahren im Sarek und wenn selbst sie schon umgekehrten… ich dachte an mein HB Suolo und den überfüllten Schlafsack, die XTherm und die ganze Merinowolle in meinem Rucksack und setzte meinen Weg frohen Mutes fort.
2. Tag:
Auf dem Weg zum 3. Camp unterhalb des Gadoktjahkka, an der Einmündung des Jiegnavagge ins Gadokvagge, begannen die Probleme. Und ihr mögt mich Teern und Federn, ich hab es verdient: ich steckte im dichtesten Nebel (und Regen…) und musste mit entsetzen feststellen, dass ich etwas entscheidendes vergessen hatte: den Kompass!
Nichtsdestotrotz setzte ich den Weg fort, ich hatte mir am Vortag Landmarken gemerkt und angepeilt und so wusste ich in etwa, wo es langgehen sollte. Und mein Vertrauen in meinen Orientierungssinn war groß, wohl ein wenig zu groß. Denn ich schaffte es zwar ohne Probleme, trotz nur weniger Meter Sicht den Weg hoch auf den Sattel zwischen Boarektjahkka und Stuor Jiertta zu finden, doch was dort geschah erfüllt mich mit Scharm und Heiterkeit gleichermaßen.
Wer schonmal im Nebel ohne Kompass navigiert hat, weiß, dass mit einer guten Karte und ausgeprägten Landschaftselementen wie Flüßen und deutlichen Hängen einiges an relativ präziser Navigation möglich ist. Doch ein flacher Sattel wie der mir Bevorstehende… dass ist allerdings ein riskantes Unterfangen. Well, so viel zu verlieren gab es nicht, und so versuchte ich einfach die Richtung des versiegenden Didnokjagasj anhand von Landmarken in etwa einzuhalten, um so nach ein paar Kilometer die Abwärtsneigung des Hangs Richtung Gadokvagge zu erwarten. Ich war hochkonzentriert, meine Landmarken im Blick zu behalten.
Doch irgendwas ist passiert. Ich kann nur vermuten, dass ich wohl bei einer kurzen Rast die Landmarke aus dem Blick verlor und mich eine ganz ähnliche Steinformation anschließend in die falsche Richtung lockte. Jedenfalls lief ich weiter, der Hang begann sich wie erwartet zu neigen, ich freute mich über fliegende Wolken, die einen kurzen Blick ins Gadokvagge erwarten ließen und sah schließlich… nicht das Gadokvagge! Das sah doch aus wie… ja kann das denn sein… Parek!!! Ja, ich bin anscheindend im Kreis gelaufen, ist das peinlich!
Nach diesem Missgeschick wurde ich noch vorsichtiger mit meiner Navigationsmethode und erreichte schließlich doch das ersehnte Tal und baute mein Camp auf. Es war furchtbar windig und kalt, ein Genuss für einen Nordmenschen wie mich.
3. Tag:
Es stand die Durchquerung des Gaskasvagge an. Ich bereitete mich auf einen anstrengenden Tag vor, schließlich war mein Rucksack noch sehr schwer, der Weg laut Grundsten schon anspruchsvoller und außerdem war jenseits des Passes bis hinab ins Sarvesvagge für lange Zeit nicht mit geeigneten Zeltplätzen zu rechnen. Der Aufstieg war völlig unproblematisch, nur die Kombination aus Regen, Graupel und starken Winden machten es teils unangenehm. Jenseits des Passes aber wurde es schwieriger, dass Blockfeld schien endlos und der anschließende seeeehr lange zu querende, steile Grashang ist bei Nässe auch nicht gerade ne Sonntagswanderung. Doch schließlich erreichte ich nach einem sehr langen Wandertag meinen wunderschönen Zeltplatz knapp oberhalb des Sarvesvagge. Wer im Sarvesvagge wandert, kann durchaus einen Abstecher einige Höhenmeter hinauf Richtung Gaskasvagge erwägen, die Zeltplätze dort in einem hobbithaften, lichten Birkenhain mit Blick bis zum Rapaselet sind groooooßartig!
Highlight des Tages:
Das Blockfeld nervte mich derart, dass ich mich verführen ließ, mich rechts vom Gaskasjagasj zu halten. Das macht natürlich eine spätere Furt auf die linke Seite nötig. Ich fand weit unten eine seeehr massiv ausschauende Schneebrücke, sie war von außen betrachtet mindestens 2,5m stark und ich konnte sie problemlos überqueren. Doch auf der anderen Seite angelangt durchfuhr mich ein Schock, wie von der vordersten Spitze plötzlich etwa 8 Kubikmeter Eis bestimmt 4m tief grollend ins Bachbett krachten! Im Nachhinein betrachtet schätze ich es so ein, dass ich weit außerhalb der Gefahrenzone war und auf viel dickerem Eis gelaufen bin, und dass Schneebrücken nunmal bröckeln, klar. Aber dieser Eindruck hat sich doch sehr intensiv im Gedächtnis eingebrannt, konzentriert durch die Einsamkeit und meine Erwartung, dass ich die ganze Sarektour über auch alleine bleiben sollte.
4. Tag:
Der Sarek machte mir ein großartiges Geschenk: 2 volle Tage ohne Regen im Spätherbst im Sarvesvagge! Es war paradiesisch!!!
Mit bester Laune, aber gesteigerter Ehrfurcht nach der gestrigen Erfahrung, setzte ich meinen Weg Richtung Rapaselet fort. Bis dort war es sehr gemütlich, alle Furten waren leicht.
Und da war ich, am Ziel meiner Träume, Rapaselet!
Ich habe keine Hoffnung, das Gefühl, auf den riesigen Sandbänken des Sarvesdelta zu spazieren, irgendwie in Worte fassen zu können. Ein großer Teil der Aufnahmen im Film, der ganze mittlere Teil, sind hier entstanden. Es ist riesig, gigantisch, furchteinflößend, lieblich, wild. Es ist das Schönste, was ich je erlebt habe.
Ich baute mein Camp für den heutigen Tag und den morgigen Pausentag auf einer hohen Sandbank mitten im Delta auf. Das ist natürlich nicht ganz ungefährlich, wenn man bedenkt, dass der Fluß schnell steigen könnte. Ich schätzte, dass es ca. 40cm höheren Wasserstand bedurfte, bis ein Seitenarm geflutet würde, der mich einschließen würde. Und dann bräuchte es nochmal 20-40cm mehr, dass eine Furt vielleicht kritisch werden könnte. Soviel Wasseranstieg innerhalb einer Nacht hielt ich für unwahrscheinlich, und so machte ich mir einen Wasserstandszeiger, den ich mehrmals täglich kontrollierte… der Wasserstand veränderte sich in den 1,5 Tagen überhaupt nicht.
5. Tag:
Natürlich konnte ich nicht einfach nichts tun. Vermutlich können das die wenigsten Solotrekker. Meiner Erfahrung nach sind Pausentage alleine immer sehr melancholisch geprägt, sicherlich heilsam, aber auch etwas unangenehm. Daher machte ich mich mit Proviant, Kamera und Sicherheitsequipment auf Richtung Biellorieppjavrre. Ich wollte einfach mal schauen, wie sich diese Gegend anfühlt, die Grundsten als so schwierig beschreibt, dass sie ja fast unbegehbar erscheint. Gemütlich ließ ich mich auf das Abenteuer ein und versank auch sogleich knietief im Sumpf, an einem Ablauf mit klarem Wasser sogar fast hüfttief. Regenhose und Gamaschen pressten sich um meine Beine und irgendwie fand ich dieses Gefühl verdammt gut: kalt, tief, wild… Into the Wild, aber richtig! Und wenn man sich erstmal dran gewöhnt hat, dass untenrum alles nass ist und man den Fetisch trockener Schuhe aufgegeben hat, dann ist das eine unglaublich intensive Erfahrung, sich in dieses Terrain vorzuwagen.
Der Biellorieppjavrre soll ja sarekweit DER Ort sein, um Elche zu beobachten, und so machte ich mich an sein Umrundung. Es dauerte letztendlich den ganzen Tag, vorbei an unzähligen Elchtoiletten, bis ich wieder am Camp war. Elche habe ich natürlich keine gesehen, denn bis zu den Knien im Wasser zu waten und sich durch brusthohe Weidengebüsche zu schlagen ist ja bekanntlich kein besonders leises Unterfangen ;) Im übrigen war es hier, inmitten der Pampa, dass ich den 2 einzigen Menschen meiner Sarektour begegnete…
6. Tag:
Das Geräusch von den Zeltwänden kenn ich doch… das ist doch… Schnee!!! Ohhhh!
Es ist sehr kalt geworden, der Wind pfeift und ein kurzer Blick hinaus wäre garnicht nötig gewesen, um sich vom Schnee zu überzeugen, er kommt von sich aus ins Zelt geweht.
Ok, denke ich, was jetzt. Ich beginne meine Wintereinbruchabbruchsplanung, denke an Eventualitäten, wäge ab und entscheide schließlich, dass ich über das Luohttoláhko versuchen möchte, nach Kvikkjokk zurückzukehren. Da diese Entscheidung von mir immernoch kritisch beäugt wird, möchte ich hier meine Überlegungen zusammenfassen.
Ich rechnete damit, dass dies nun der endgültige Wintereinbruch war, dass es von nun an nur noch mehr Schnee werden wird, also Worst-Case-Planung. Welche Optionen gab es? Ich sah 3:
1. Durchs Sarvesvagge zum Padjelantaleden gelangen. Dies wäre wohl die sicherste, anspruchsloseste Variante gewesen, aber ich würde meinen Zug nicht erreichen und auch das Proviant würde recht kanpp werden. Mh…
2. Durch eines der 3 Hochtäler wieder zurück ins Gadokvagge. Das wäre dann der selbe Weg zurück, dadurch schon unattraktiv, aber das ist gerade das geringste Problem. Viel schlimmer sind die Blockfelder in allen 3 Tälern, die bei dieser Schneelage lebensgefährlich wären. Schließlich konnte man die Lücken zwischen den Steinen nicht sehen, aber tragen tat der Schnee auch noch nicht. Und rutschig wäre es auch. NEIN!
3. Durchs Nuajdevagge auf Luohttoláhko gelangen und dann zurück nach Parek. Sehr lange Zeit in großer Höhe, also viel Zeit im Schnee, dafür aber ein Weg, der mir unter diesen Bedingungen noch gehbar erschien und außerdem nicht zu lange dauern würde.
Ich entschied mich also für die letzte Variante, wollte mir aber die erste Option als Notausstieg offenhalten und bei dem ersten Anzeichen von zu viel Unsicherheit auf diesen ausweichen. An diesem Tag gelangte ich durch sehr unangenehmen Schneematsch mit Graupel- und Regenschauern zur Einmündung des Nuajdevagge ins Sarvesvagge. Weiter wollte ich noch nicht, um morgen eine neue Einschätzung über den besten Weg treffen zu können.
7. Tag:
Jetzt ist es richtig kalt, alles ist gefroren, aber mein Equipment lässt mich nicht im Stich. Einzig ein Problem gibt es, und zwar kein Kleines: ich hatte vergessen, dass nasse Schuhe bei dieser Witterung tunlichst vorm Gefrieren geschützt werden sollten. Tja, so grübelte ich erstmal, was ich nun mit diesen Eisklumpen aus Leder anfangen sollte. Ich konnte sie etwas antauen, dass sich zumindest der ‚Zehenknick‘ bewegen ließ, biss die Zähne zusammen und schlüpfte rein. Nein, kein Schlüpfen, eher ein Stampfen, Quetschen, Drücken und Ziehen. Geschafft.
Wenigstens das Wetter passte und überzeugte mich davon, es mit der Hochebene zu probieren, die Sonne schien, kaum Wind, keine Wolken.
Ich kam gut voran, doch da Grundsten für das Luohttoláhko nur den Zeltplatz am See beschreibt und sich im Schnee nichts erahnen ließ, der Schnee aber gerade so wenig war, dass man doch mit Gewissheit wusste, dass alles übersäht war mit Steinen, konnte ich heute nicht weiter sondern baute am Seeufer mein Zelt auf. Die Suche nach diesem Platz erforderte auch schon fast eine Stunde, da man eben nix sah, aber jeden Stein unter den Füßen spürte, ich suchte also mit den Füßen meinen Zeltplatz.
Ich muss dazu sagen, dass das ganze zwar sehr abenteuerlich bis zur Grenze des Unangenehmen war, dass aber der Eindruck, den die verschneite Hochebene auf mich machte, unununendlich eindrucksvoll war. Und es war still dort oben, totenstill, kein Lüftchen!
8. Tag:
Nun wurde es ernst. Ich wusste, dass mir 2 sehr beschwerliche Tage bevorstanden mit vielen Unvorhersehbarkeiten und dass die gesamte Unternehmung nicht unbedingt das ist, was man als Anfänger im Sarek machen sollte. Ich hatte kein Notfunk dabei. Ja, ich hatte Angst. Ich dachte damals manchmal daran, dass ich sterben könnte.
Wie ich aufwachte war das eingetreten, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte. Die -10° waren nicht das Problem… es war der Nebel. Noch dicker als am 2. Tag blickte ich in reines weiß, weißer Nebel, weißer Schnee…
Ich hatte am Vortag eine Peilung vorgenommen in Richtung des Balgatjakha. Was heißt das? Ich sah eine Landmarke etwa 15m vor mir, eine Richtung. Und diese Richtung MUSSTE ich beibehalten, über 5km, bei einer Wanderung über rutschige schneebedeckte Steine, dazwischen tückische Lücken zum Haxenbrechen und, als sei das nicht schlimm genug, unzählige Seen zwischen mir und dem angepeilten Ziel. Es war immernoch totenstill. Ich fluchte manchmal: ‚Scheiße, ich hab Angst‘ und ging weiter, rutschte weiter.
Ich weiß nicht, ob es unsägliches Glück war oder tatsächlich ganz gute Navigation, jedenfalls gelang es mir doch tatsächlich, auf den Punkt genau die Einmündung ins Balgatjakha zu erreichen. Nun kam das nächste Problem, für dass ich mir schon im Rapaselet eine Lösung überlegt hatte. Der Grundsten beschreibt, dass man im abfließenden Tal einen sehr steilen Hang erklimmen muss, der wohl schon im trockenen Zustand nicht ungefährlich ist. Also im Schnee unmöglich. Ich hatte mir stattdessen eine Hangquerung unterhalb des Loametjahkka überlegt, und, was soll ich sagen, es hat perfekt funktioniert. Abgesehen von den vefluchten Haxenbrecherlöchern gelangte ich so sehr einfach zur Abflachung von Loamebuollda. Ich empfehle daher, diesen Weg als Standard zu etablieren. Bei interesse kann ich genauere Angaben dazu machen.
Bevor ich die heutige Tour beendete, wollte ich unbedingt die Furt des Ruopsokjahka meistern, da Grundsten auch diese als potenziell schwierig beschreibt. Ich gelangte dorthin und durfte feststellen, dass sie keine Probleme bereitete.
Diese Stelle hatte ich mir als Knackpunkt gesetzt, und hierher zu gelangen war für mich, als sei ich dem Tod nochmal entkommen. Ich habe mich am Fluß in den Schnee gesetzt und geweint. Sehr viel. Eine unglaubliche Last viel von meinen Schultern, ich war dankbar zu Leben, sooo dankbar. Ich habe mit Gott gesprochen, obwohl ich nicht religiös bin.
Dann noch den Hang hinauf zum von Grundsten beschriebenen Zeltplatz unterhalb von Tjievrra und ich konnte endlich schlafen, nach über 9h reinem wandern. Natürlich nahm ich auch heute wieder eine Peilung für das morgige Ziel vor, das topografisch ebenfalls schwierig zu finden ist, sollte es wieder Nebel geben.
9. Tag:
Es war die kälteste Nacht, der Wind war extrem, die Temperatur vermutlich unter -10°. Und natürlich Nebel. Aber ich war guter Dinge. Vielleicht ein wenig zu gut, denn womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass der Wind in der sanften Steigung zur Tjievramasske unzählige Mulden fand, in denen er all den Schnee ablagern konnte. Ich konnte aber nicht drumherum gehen, meine Navigation erlaubte kein Abweichen von der angepeilten Richtung, und so musste ich schnurstraks in die Schneewehen reinlaufen, teils brusthoch versank ich im Schnee.
Oben an die Kante und um die Ecke sah ich in kurzen Wolkenlücken endlich wieder Parek, es war sooo wunderbar. Doch der Spaß war noch nicht vorbei, war der Wind auf der anderen Seite schon stark, so war es hier Sturm. Man konnte sich kaum gerade halten, zum Glück kam er gerade von hinten, doch die gefühlte Temperatur war so niedrig, dass ich Probleme mit meinen günstigen Skihandschuhen bekam. Aber es nützte nichts, ich musste weiter.
Die letzte Hürde war die Schneebrücke über den … (ich kann auf meiner Karte den Namen nichtmehr lesen, haha, sie hat auch ziemlich gelitten unter dieser Tour), doch diese zu finden war im Schnee und ohne die Steinmännchen nicht leicht. Aber, Gott sei Dank, da war sie und sie war derart massiv, dass ich locker über sie rüberspazierte. Ich dachte trotzdem manchmal an die Schneebrücke im Gaskasvagge…
Das wars, ich hatte es geschafft. Alles weitere, die Übernachtung diesen Abend oberhalb der Pareksiedlung nach wieder fast 10h wandern, und die Rückkehr nach Kvikkjokk sind kaum mehr erwähnenswert. Es war für mich ein sehr notwendiges zurückgleiten in die Gesellschaft, ein Anfang, doch das Gleiten sollte nach dieser Erfahrung noch sehr lange andauern. Meine leichten Erfrierung an Händen und Füßen (meine Schuhe waren 3 Tage gefroren, sie waren ja Rapaselet-durchtränkt und den ganzen Tag im Schnee bei Minusgraden) sind nach etwa 4 Monaten verheilt gewesen, aber die Erfahrung ist noch immer nicht ganz aufgearbeitet. Auch deshalb schreibe ich diesen Bericht, um für mich selbst nochmal zu reflektieren, aber auch, damit ihr vielleicht eure Einschätzung zu dieser Situation beisteuert.
Für mich ist klar: NIE wieder ohne Kompass und Notsignal alleine in den Sarek!!! Das war ein Fehler, man kann es nicht anders sagen. Ob die weiteren Entscheidungen so gut waren, dass möchte ich gerne hier zur Diskussion stellen.
Noch zum Film:
Aufnahmen von den harten 2 Tagen im Schnee werdet ihr leider nicht zu Gesicht bekommen. Ich hatte am Morgen am See auf dem Luohttoláhko entschieden, nicht zu filmen, bis ich in Sicherheit bin, ich brauchte meine ganze Konzentration.
Die Szene in der Mitte mit den schwarzen Schlieren sind Entwicklungsfehler, die mir leider unterlaufen sind bei der Umkehrentwicklung, aber für mich sind sie ein schöner Teil dieser Erinnerung.
Und zu guter letzt noch ein Gruß an Andrea und ihren Mann, denen ich ja am Weg zurück nach Kvikkjokk begegnet bin und deren Bericht mich sehr erfreut hat ;)
Es ist 7:40 in Wien, Weihnachten steht vor der Tür, es ist kalt und die Müllabfuhr lärmt draußen. Auf Abwegen im www wird wieder mal die große Sehnsucht nach Verausgabung, Mangel an Komfort, Rückenschmerzen und nassen Schuhen in mir geweckt. Und plötzlich ist sie da, die Motivation, heute eeeendlich meinen Reisebericht über meine letztjährige Sarektour zu verfassen. Ich hatte es schon angekündigt, aber immer wieder aufgeschoben, da ich keine Fotos zur Auffrischung dröger Worte beimengen kann, sondern nur ein kleines Filmchen, dass noch seiner Fertigstellung harrte. Doch der war fertig, naja, so fertig wie so selfmade-Filme eben sind, und so konnte ich nun mangels Ausrede starten.
WARUM KEINE FOTOS? mag sich der eine oder andere entsetzt fragen, vielleicht hat er auch sogleich schon die Seite demonstrativ geschlossen und verbrannt… lasst es mich erklären.
Meine große Leidenschaft ist das Filmemachen, und so private Sachen filme ich vorzugsweise analog. Ja genau, analog, auf Film, diese meterlangen schmalen Plastikstreifen mit kleinen Löchern. Die kompakteste und leichteste Analogkamera in meiner Sammlung ist eine Bolex D8L, sie wiegt mit ihren drei Festbrennweiten etwa 2kg. Zusammen mit 110m Filmmaterial (je nach Abspielgeschwindigkeit ergibt das etwa 30min Film, haha, und das im Sarek!) kamen so knapp 3,5kg nur fürs Filmen zusammen. Das erklärt hoffentlich, warum meine Fotokamera beleidigt Zuhause bleiben musste.
Hier ist der Link zum Film:
https://vimeo.com/490695710
Warnung: Ich mache Filmkunst, ich habs nicht so mit ruhigen Aufnahmen und so, es schaut vielleicht etwas ungewohnt aus. Ich hoffe, dass sich trotzdem der ein oder andere daran erfreut, den Sarek im Filmformat Normal8 zu sehen ;)
Genug der langweiligen Einführungsworte… na, nur die noch:
Ich werde meinen Bericht recht kurz fassen und mich auf wesentliche Hintergrundinfos und interessante Erfahrungen beschränken, um den Film für sich sprechen zu lassen. Naja, ein bischen Faulheit ist auch dabei, ich möchte gerne heute Morgen noch damit fertig werden ;)
Uuuund:
Diese Reise hat meine Gefühle zur Natur grundlegend verändert. Nicht nur, weil Erfahrungen im Sarek sowieso umwerfend sind, sondern weil ich von der Wildnis einen ordentlichen Denkzettel verpasst bekommen habe. Ein Hauptbeweggrund für diesen Reisebericht ist daher auch, diese Erfahrung mit euch zu teilen und damit meinen nach 14 Monaten immernoch andauernden Reflexionsprozess für Input von außen zu öffnen. Als Aperitif nur ein paar Stichworte:
Luohttoláhko
Wintereinbruch
Nebel
Kompass vergessen
Viel Spaß!
Ich bin auf dem Weg von Wien gen Norden, als Flugverweigerer ein Abenteuer für sich. Aber darum soll es hier nicht gehen. Jedenfalls spuckt mich der warme Bus am 6.09.2019 in Kvikkjokk aus. Es ist das zweite Mal, dass ich vor der alten Kirche stehe, dass letzte Mal war vor 5 Jahren, wie ich hier meine Kungsleden-Wanderung von Abisko beendet hatte. Dazwischen war ich nochmals in der Region Abisko unterwegs, off track mit einer 3tägigen Zwangspause im Zelt dank einer hartnäckigen Erkältung… eine Erfahrung, aber auch um die soll es hier nicht gehen. Und nachdem ich ansonsten viel Erfahrung mit mehrtägigem Zelttrekking in den Alpen gesammelt hatte, Sommer wie Winter, fühlte ich mich nun bereit für meine erste Sarektour. Naja, eine ordentliche Packung Ehrfurcht gehörte auch zu meinen knapp 30kg Gepäck.
Die Route hatte ich mir relativ vage überlegt, anhand von Karte und Grundsten ein ungefähres Programm, dass noch mindestens 4 Tage Puffer ließ, Zeit für Besinnung, Erholung, Unvorhergesehens und eine rechtzeitige Rückkehr zum Ausgangspunkt. Ich wollte versuchen, über die Parekebene, durch das Gaskasvagge und das Sarvesvagge hinab zum Rapaselet zu gelangen.
Das Rapaselet. Das war mein Ziel, mein Traum, meine Sehnsucht. Warum weiß ich garnicht genau. Es war in meinem Kopf fast eine mystisch-spirituelle Anziehung, die ich verspürte. Entsprechende Reiseberichte hier im Forum taten ihr übriges…
Die Berge waren weiß vom Schnee der vorhergegangen Tage, aber die Sonne schien, es war angenehm warm. Um 17 Uhr startete ich also an der Fjellstation, in wunderbarem Herbstabendlicht, stapfte den Kungsleden hoch und errichtete mein erstes Camp im Dahtajiegge mit Blick aufs Partemassiv.
Highlight des Tages: an meiner alten Lederkameratasche ist 100m hinter der Fjellstation der Riemen gerissen, so dass die Kamera fortan im Rucksack auf ihren Einsatz warten musste. Das veränderte maßgeblich die Art, wie ich filmte, jede Spontanität war dahin, aber meine Schultern haben es mir gedankt, da ihnen so die eine oder andere Filmsession bei aufgesetztem Rucksack erspart geblieben ist.
1. Tag:
Der Weg vom Dahtajiegge bis zum 2. Camp knapp 100m oberhalb der Pareksiedlung am Hang verlief ruhig. Nebel und Nieselregen stimmten mich für die nächsten Tage ein, ich verstand die Botschaft des Sareks: will man hier wandern, darf man nicht aus Zucker sein. Bin ich auch nicht und so genoss ich die Weiten der Parekebene ausgiebig. Erwähnenswert ist, dass ich kurz vor der Pareksiedlung meine letzten menschlichen Begegnungen für die nächsten 9!!! Tage hatte, abgesehen von einer Ausnahme. Fast alle waren auf dem Weg nach Hause, und viele von ihnen hatten ihre Tour abgebrochen oder abgekürzt aufgrund des frühen Schneefalls. Im Nachhinein betrachtet hätte mir dass eine ausreichende Warnung sein sollen, schließlich waren fast all diese Leute erfahren im Sarek und wenn selbst sie schon umgekehrten… ich dachte an mein HB Suolo und den überfüllten Schlafsack, die XTherm und die ganze Merinowolle in meinem Rucksack und setzte meinen Weg frohen Mutes fort.
2. Tag:
Auf dem Weg zum 3. Camp unterhalb des Gadoktjahkka, an der Einmündung des Jiegnavagge ins Gadokvagge, begannen die Probleme. Und ihr mögt mich Teern und Federn, ich hab es verdient: ich steckte im dichtesten Nebel (und Regen…) und musste mit entsetzen feststellen, dass ich etwas entscheidendes vergessen hatte: den Kompass!
Nichtsdestotrotz setzte ich den Weg fort, ich hatte mir am Vortag Landmarken gemerkt und angepeilt und so wusste ich in etwa, wo es langgehen sollte. Und mein Vertrauen in meinen Orientierungssinn war groß, wohl ein wenig zu groß. Denn ich schaffte es zwar ohne Probleme, trotz nur weniger Meter Sicht den Weg hoch auf den Sattel zwischen Boarektjahkka und Stuor Jiertta zu finden, doch was dort geschah erfüllt mich mit Scharm und Heiterkeit gleichermaßen.
Wer schonmal im Nebel ohne Kompass navigiert hat, weiß, dass mit einer guten Karte und ausgeprägten Landschaftselementen wie Flüßen und deutlichen Hängen einiges an relativ präziser Navigation möglich ist. Doch ein flacher Sattel wie der mir Bevorstehende… dass ist allerdings ein riskantes Unterfangen. Well, so viel zu verlieren gab es nicht, und so versuchte ich einfach die Richtung des versiegenden Didnokjagasj anhand von Landmarken in etwa einzuhalten, um so nach ein paar Kilometer die Abwärtsneigung des Hangs Richtung Gadokvagge zu erwarten. Ich war hochkonzentriert, meine Landmarken im Blick zu behalten.
Doch irgendwas ist passiert. Ich kann nur vermuten, dass ich wohl bei einer kurzen Rast die Landmarke aus dem Blick verlor und mich eine ganz ähnliche Steinformation anschließend in die falsche Richtung lockte. Jedenfalls lief ich weiter, der Hang begann sich wie erwartet zu neigen, ich freute mich über fliegende Wolken, die einen kurzen Blick ins Gadokvagge erwarten ließen und sah schließlich… nicht das Gadokvagge! Das sah doch aus wie… ja kann das denn sein… Parek!!! Ja, ich bin anscheindend im Kreis gelaufen, ist das peinlich!
Nach diesem Missgeschick wurde ich noch vorsichtiger mit meiner Navigationsmethode und erreichte schließlich doch das ersehnte Tal und baute mein Camp auf. Es war furchtbar windig und kalt, ein Genuss für einen Nordmenschen wie mich.
3. Tag:
Es stand die Durchquerung des Gaskasvagge an. Ich bereitete mich auf einen anstrengenden Tag vor, schließlich war mein Rucksack noch sehr schwer, der Weg laut Grundsten schon anspruchsvoller und außerdem war jenseits des Passes bis hinab ins Sarvesvagge für lange Zeit nicht mit geeigneten Zeltplätzen zu rechnen. Der Aufstieg war völlig unproblematisch, nur die Kombination aus Regen, Graupel und starken Winden machten es teils unangenehm. Jenseits des Passes aber wurde es schwieriger, dass Blockfeld schien endlos und der anschließende seeeehr lange zu querende, steile Grashang ist bei Nässe auch nicht gerade ne Sonntagswanderung. Doch schließlich erreichte ich nach einem sehr langen Wandertag meinen wunderschönen Zeltplatz knapp oberhalb des Sarvesvagge. Wer im Sarvesvagge wandert, kann durchaus einen Abstecher einige Höhenmeter hinauf Richtung Gaskasvagge erwägen, die Zeltplätze dort in einem hobbithaften, lichten Birkenhain mit Blick bis zum Rapaselet sind groooooßartig!
Highlight des Tages:
Das Blockfeld nervte mich derart, dass ich mich verführen ließ, mich rechts vom Gaskasjagasj zu halten. Das macht natürlich eine spätere Furt auf die linke Seite nötig. Ich fand weit unten eine seeehr massiv ausschauende Schneebrücke, sie war von außen betrachtet mindestens 2,5m stark und ich konnte sie problemlos überqueren. Doch auf der anderen Seite angelangt durchfuhr mich ein Schock, wie von der vordersten Spitze plötzlich etwa 8 Kubikmeter Eis bestimmt 4m tief grollend ins Bachbett krachten! Im Nachhinein betrachtet schätze ich es so ein, dass ich weit außerhalb der Gefahrenzone war und auf viel dickerem Eis gelaufen bin, und dass Schneebrücken nunmal bröckeln, klar. Aber dieser Eindruck hat sich doch sehr intensiv im Gedächtnis eingebrannt, konzentriert durch die Einsamkeit und meine Erwartung, dass ich die ganze Sarektour über auch alleine bleiben sollte.
4. Tag:
Der Sarek machte mir ein großartiges Geschenk: 2 volle Tage ohne Regen im Spätherbst im Sarvesvagge! Es war paradiesisch!!!
Mit bester Laune, aber gesteigerter Ehrfurcht nach der gestrigen Erfahrung, setzte ich meinen Weg Richtung Rapaselet fort. Bis dort war es sehr gemütlich, alle Furten waren leicht.
Und da war ich, am Ziel meiner Träume, Rapaselet!
Ich habe keine Hoffnung, das Gefühl, auf den riesigen Sandbänken des Sarvesdelta zu spazieren, irgendwie in Worte fassen zu können. Ein großer Teil der Aufnahmen im Film, der ganze mittlere Teil, sind hier entstanden. Es ist riesig, gigantisch, furchteinflößend, lieblich, wild. Es ist das Schönste, was ich je erlebt habe.
Ich baute mein Camp für den heutigen Tag und den morgigen Pausentag auf einer hohen Sandbank mitten im Delta auf. Das ist natürlich nicht ganz ungefährlich, wenn man bedenkt, dass der Fluß schnell steigen könnte. Ich schätzte, dass es ca. 40cm höheren Wasserstand bedurfte, bis ein Seitenarm geflutet würde, der mich einschließen würde. Und dann bräuchte es nochmal 20-40cm mehr, dass eine Furt vielleicht kritisch werden könnte. Soviel Wasseranstieg innerhalb einer Nacht hielt ich für unwahrscheinlich, und so machte ich mir einen Wasserstandszeiger, den ich mehrmals täglich kontrollierte… der Wasserstand veränderte sich in den 1,5 Tagen überhaupt nicht.
5. Tag:
Natürlich konnte ich nicht einfach nichts tun. Vermutlich können das die wenigsten Solotrekker. Meiner Erfahrung nach sind Pausentage alleine immer sehr melancholisch geprägt, sicherlich heilsam, aber auch etwas unangenehm. Daher machte ich mich mit Proviant, Kamera und Sicherheitsequipment auf Richtung Biellorieppjavrre. Ich wollte einfach mal schauen, wie sich diese Gegend anfühlt, die Grundsten als so schwierig beschreibt, dass sie ja fast unbegehbar erscheint. Gemütlich ließ ich mich auf das Abenteuer ein und versank auch sogleich knietief im Sumpf, an einem Ablauf mit klarem Wasser sogar fast hüfttief. Regenhose und Gamaschen pressten sich um meine Beine und irgendwie fand ich dieses Gefühl verdammt gut: kalt, tief, wild… Into the Wild, aber richtig! Und wenn man sich erstmal dran gewöhnt hat, dass untenrum alles nass ist und man den Fetisch trockener Schuhe aufgegeben hat, dann ist das eine unglaublich intensive Erfahrung, sich in dieses Terrain vorzuwagen.
Der Biellorieppjavrre soll ja sarekweit DER Ort sein, um Elche zu beobachten, und so machte ich mich an sein Umrundung. Es dauerte letztendlich den ganzen Tag, vorbei an unzähligen Elchtoiletten, bis ich wieder am Camp war. Elche habe ich natürlich keine gesehen, denn bis zu den Knien im Wasser zu waten und sich durch brusthohe Weidengebüsche zu schlagen ist ja bekanntlich kein besonders leises Unterfangen ;) Im übrigen war es hier, inmitten der Pampa, dass ich den 2 einzigen Menschen meiner Sarektour begegnete…
6. Tag:
Das Geräusch von den Zeltwänden kenn ich doch… das ist doch… Schnee!!! Ohhhh!
Es ist sehr kalt geworden, der Wind pfeift und ein kurzer Blick hinaus wäre garnicht nötig gewesen, um sich vom Schnee zu überzeugen, er kommt von sich aus ins Zelt geweht.
Ok, denke ich, was jetzt. Ich beginne meine Wintereinbruchabbruchsplanung, denke an Eventualitäten, wäge ab und entscheide schließlich, dass ich über das Luohttoláhko versuchen möchte, nach Kvikkjokk zurückzukehren. Da diese Entscheidung von mir immernoch kritisch beäugt wird, möchte ich hier meine Überlegungen zusammenfassen.
Ich rechnete damit, dass dies nun der endgültige Wintereinbruch war, dass es von nun an nur noch mehr Schnee werden wird, also Worst-Case-Planung. Welche Optionen gab es? Ich sah 3:
1. Durchs Sarvesvagge zum Padjelantaleden gelangen. Dies wäre wohl die sicherste, anspruchsloseste Variante gewesen, aber ich würde meinen Zug nicht erreichen und auch das Proviant würde recht kanpp werden. Mh…
2. Durch eines der 3 Hochtäler wieder zurück ins Gadokvagge. Das wäre dann der selbe Weg zurück, dadurch schon unattraktiv, aber das ist gerade das geringste Problem. Viel schlimmer sind die Blockfelder in allen 3 Tälern, die bei dieser Schneelage lebensgefährlich wären. Schließlich konnte man die Lücken zwischen den Steinen nicht sehen, aber tragen tat der Schnee auch noch nicht. Und rutschig wäre es auch. NEIN!
3. Durchs Nuajdevagge auf Luohttoláhko gelangen und dann zurück nach Parek. Sehr lange Zeit in großer Höhe, also viel Zeit im Schnee, dafür aber ein Weg, der mir unter diesen Bedingungen noch gehbar erschien und außerdem nicht zu lange dauern würde.
Ich entschied mich also für die letzte Variante, wollte mir aber die erste Option als Notausstieg offenhalten und bei dem ersten Anzeichen von zu viel Unsicherheit auf diesen ausweichen. An diesem Tag gelangte ich durch sehr unangenehmen Schneematsch mit Graupel- und Regenschauern zur Einmündung des Nuajdevagge ins Sarvesvagge. Weiter wollte ich noch nicht, um morgen eine neue Einschätzung über den besten Weg treffen zu können.
7. Tag:
Jetzt ist es richtig kalt, alles ist gefroren, aber mein Equipment lässt mich nicht im Stich. Einzig ein Problem gibt es, und zwar kein Kleines: ich hatte vergessen, dass nasse Schuhe bei dieser Witterung tunlichst vorm Gefrieren geschützt werden sollten. Tja, so grübelte ich erstmal, was ich nun mit diesen Eisklumpen aus Leder anfangen sollte. Ich konnte sie etwas antauen, dass sich zumindest der ‚Zehenknick‘ bewegen ließ, biss die Zähne zusammen und schlüpfte rein. Nein, kein Schlüpfen, eher ein Stampfen, Quetschen, Drücken und Ziehen. Geschafft.
Wenigstens das Wetter passte und überzeugte mich davon, es mit der Hochebene zu probieren, die Sonne schien, kaum Wind, keine Wolken.
Ich kam gut voran, doch da Grundsten für das Luohttoláhko nur den Zeltplatz am See beschreibt und sich im Schnee nichts erahnen ließ, der Schnee aber gerade so wenig war, dass man doch mit Gewissheit wusste, dass alles übersäht war mit Steinen, konnte ich heute nicht weiter sondern baute am Seeufer mein Zelt auf. Die Suche nach diesem Platz erforderte auch schon fast eine Stunde, da man eben nix sah, aber jeden Stein unter den Füßen spürte, ich suchte also mit den Füßen meinen Zeltplatz.
Ich muss dazu sagen, dass das ganze zwar sehr abenteuerlich bis zur Grenze des Unangenehmen war, dass aber der Eindruck, den die verschneite Hochebene auf mich machte, unununendlich eindrucksvoll war. Und es war still dort oben, totenstill, kein Lüftchen!
8. Tag:
Nun wurde es ernst. Ich wusste, dass mir 2 sehr beschwerliche Tage bevorstanden mit vielen Unvorhersehbarkeiten und dass die gesamte Unternehmung nicht unbedingt das ist, was man als Anfänger im Sarek machen sollte. Ich hatte kein Notfunk dabei. Ja, ich hatte Angst. Ich dachte damals manchmal daran, dass ich sterben könnte.
Wie ich aufwachte war das eingetreten, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte. Die -10° waren nicht das Problem… es war der Nebel. Noch dicker als am 2. Tag blickte ich in reines weiß, weißer Nebel, weißer Schnee…
Ich hatte am Vortag eine Peilung vorgenommen in Richtung des Balgatjakha. Was heißt das? Ich sah eine Landmarke etwa 15m vor mir, eine Richtung. Und diese Richtung MUSSTE ich beibehalten, über 5km, bei einer Wanderung über rutschige schneebedeckte Steine, dazwischen tückische Lücken zum Haxenbrechen und, als sei das nicht schlimm genug, unzählige Seen zwischen mir und dem angepeilten Ziel. Es war immernoch totenstill. Ich fluchte manchmal: ‚Scheiße, ich hab Angst‘ und ging weiter, rutschte weiter.
Ich weiß nicht, ob es unsägliches Glück war oder tatsächlich ganz gute Navigation, jedenfalls gelang es mir doch tatsächlich, auf den Punkt genau die Einmündung ins Balgatjakha zu erreichen. Nun kam das nächste Problem, für dass ich mir schon im Rapaselet eine Lösung überlegt hatte. Der Grundsten beschreibt, dass man im abfließenden Tal einen sehr steilen Hang erklimmen muss, der wohl schon im trockenen Zustand nicht ungefährlich ist. Also im Schnee unmöglich. Ich hatte mir stattdessen eine Hangquerung unterhalb des Loametjahkka überlegt, und, was soll ich sagen, es hat perfekt funktioniert. Abgesehen von den vefluchten Haxenbrecherlöchern gelangte ich so sehr einfach zur Abflachung von Loamebuollda. Ich empfehle daher, diesen Weg als Standard zu etablieren. Bei interesse kann ich genauere Angaben dazu machen.
Bevor ich die heutige Tour beendete, wollte ich unbedingt die Furt des Ruopsokjahka meistern, da Grundsten auch diese als potenziell schwierig beschreibt. Ich gelangte dorthin und durfte feststellen, dass sie keine Probleme bereitete.
Diese Stelle hatte ich mir als Knackpunkt gesetzt, und hierher zu gelangen war für mich, als sei ich dem Tod nochmal entkommen. Ich habe mich am Fluß in den Schnee gesetzt und geweint. Sehr viel. Eine unglaubliche Last viel von meinen Schultern, ich war dankbar zu Leben, sooo dankbar. Ich habe mit Gott gesprochen, obwohl ich nicht religiös bin.
Dann noch den Hang hinauf zum von Grundsten beschriebenen Zeltplatz unterhalb von Tjievrra und ich konnte endlich schlafen, nach über 9h reinem wandern. Natürlich nahm ich auch heute wieder eine Peilung für das morgige Ziel vor, das topografisch ebenfalls schwierig zu finden ist, sollte es wieder Nebel geben.
9. Tag:
Es war die kälteste Nacht, der Wind war extrem, die Temperatur vermutlich unter -10°. Und natürlich Nebel. Aber ich war guter Dinge. Vielleicht ein wenig zu gut, denn womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass der Wind in der sanften Steigung zur Tjievramasske unzählige Mulden fand, in denen er all den Schnee ablagern konnte. Ich konnte aber nicht drumherum gehen, meine Navigation erlaubte kein Abweichen von der angepeilten Richtung, und so musste ich schnurstraks in die Schneewehen reinlaufen, teils brusthoch versank ich im Schnee.
Oben an die Kante und um die Ecke sah ich in kurzen Wolkenlücken endlich wieder Parek, es war sooo wunderbar. Doch der Spaß war noch nicht vorbei, war der Wind auf der anderen Seite schon stark, so war es hier Sturm. Man konnte sich kaum gerade halten, zum Glück kam er gerade von hinten, doch die gefühlte Temperatur war so niedrig, dass ich Probleme mit meinen günstigen Skihandschuhen bekam. Aber es nützte nichts, ich musste weiter.
Die letzte Hürde war die Schneebrücke über den … (ich kann auf meiner Karte den Namen nichtmehr lesen, haha, sie hat auch ziemlich gelitten unter dieser Tour), doch diese zu finden war im Schnee und ohne die Steinmännchen nicht leicht. Aber, Gott sei Dank, da war sie und sie war derart massiv, dass ich locker über sie rüberspazierte. Ich dachte trotzdem manchmal an die Schneebrücke im Gaskasvagge…
Das wars, ich hatte es geschafft. Alles weitere, die Übernachtung diesen Abend oberhalb der Pareksiedlung nach wieder fast 10h wandern, und die Rückkehr nach Kvikkjokk sind kaum mehr erwähnenswert. Es war für mich ein sehr notwendiges zurückgleiten in die Gesellschaft, ein Anfang, doch das Gleiten sollte nach dieser Erfahrung noch sehr lange andauern. Meine leichten Erfrierung an Händen und Füßen (meine Schuhe waren 3 Tage gefroren, sie waren ja Rapaselet-durchtränkt und den ganzen Tag im Schnee bei Minusgraden) sind nach etwa 4 Monaten verheilt gewesen, aber die Erfahrung ist noch immer nicht ganz aufgearbeitet. Auch deshalb schreibe ich diesen Bericht, um für mich selbst nochmal zu reflektieren, aber auch, damit ihr vielleicht eure Einschätzung zu dieser Situation beisteuert.
Für mich ist klar: NIE wieder ohne Kompass und Notsignal alleine in den Sarek!!! Das war ein Fehler, man kann es nicht anders sagen. Ob die weiteren Entscheidungen so gut waren, dass möchte ich gerne hier zur Diskussion stellen.
Noch zum Film:
Aufnahmen von den harten 2 Tagen im Schnee werdet ihr leider nicht zu Gesicht bekommen. Ich hatte am Morgen am See auf dem Luohttoláhko entschieden, nicht zu filmen, bis ich in Sicherheit bin, ich brauchte meine ganze Konzentration.
Die Szene in der Mitte mit den schwarzen Schlieren sind Entwicklungsfehler, die mir leider unterlaufen sind bei der Umkehrentwicklung, aber für mich sind sie ein schöner Teil dieser Erinnerung.
Und zu guter letzt noch ein Gruß an Andrea und ihren Mann, denen ich ja am Weg zurück nach Kvikkjokk begegnet bin und deren Bericht mich sehr erfreut hat ;)
Kommentar