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[NO] Solotour Hallingskarvet NP/Hardangervidda NP
Land: Norwegen
Reisezeit: 06. - 28. August 2012
Region: Hallingskarvet Nationalpark/Hardangervidda
Bisher bin ich immer auf die sonnige Südhalbkugel gereist, aber die Bilder und Berichte aus dem Norden haben mich dann doch so angespitzt, dass die diesjährige Tour also erstmalig in den Norden gehen sollte. Zunächst musste ich aber meine Ausrüstung an die zu erwartenden Gegebenheiten anpassen; ich bin nämlich eine Frostbeule.
Eigentlich war die Anreise mit Auto geplant, da der Hund mitkommen sollte. Der Arme begann zwei Wochen vorher jedoch zu humpeln: Gelenkentzündung. Also ab in die Hunde-Reha (gut deutsch: Zuhause mit Männe auf dem Sofa relaxen).
Ich beschloß, die Route zu ändern (eigentlich war der hundepfotenfreundliche Ostteil der Vidda geplant gewesen) und buchte schnell die nötigen Flug-, Bus- und Bahntickets zusammen. Unterm Strich war es wegen diverser Schnäppchentickets wohl erheblich günstiger als die Autoanreise.
Der aktuelle Wetterbericht für die Region erfreute mich mit Brrr-Temperaturen, hartnäckigen Schneeverhältnissen oder alternativen Matschepamp-Sumpf-Aussichten. Also wurde die Packliste noch um ein warmes Inlett und etwas wärmende Zusatzkleidung ergänzt. Am Ende wog mein Gepäck 21,2kg, inclusive Proviant für etwa 10-12 Tage, ohne Gaskartuschen und dem anderen Kram, den ich noch vor Ort kaufen würde. Ich selber bin ja nicht die Größte (169cm) und Stärkste (57kg).
Schluck...
Ich überlegte hin und her, diversen Luxuskram zuhause zu lassen (Kameraausrüstung, der heißgeliebte iPod und Sizzenbuch nebst Federmäppchen), ließ das Zeugs dann aber doch im Rucksack. Es war schließlich der erste Trip in den Norden, ohne Musik und Hörbücher kann ich nicht leben - und Illustratoren können ohne Skizzenbuch sowieso nicht aus dem Haus gehen.
So, gezz aber ab zum Bummelbahnhof und weiter zum Flieger.
06.08.
Ankunft in Oslo. 17°, anhaltender Regen und ich habe mein Käppi zuhause vergessen.
Fängt ja gut an.
Ich tausche erstmal Geld ein und besorge anschließend die Gaskartuschen, ein regenfestes Käppi, Mückenzeugs (mit zweifelndem Blick zum Himmel - brauch ich das wirklich?), einen Schmöker von Jo Nesbø (von wegen Lokalkolorit und so) und eine Karte für den Hallingskarvet Nationalpark (für diese Karte musste ich durch halb Oslo rennen). Ich denke, anschließend wog mein Rucksack so um die 24kg.
Danach kurz im Anker Hostel eingecheckt, wo man mich Frau zusammen mit drei Italienern auf Partytour in ein Zimmer einquartiert. Ich lasse meinen Kram im Zimmer und gehe erst mal in die Christian Krohg-Ausstellung im Nationalmuseum und anschließend lecker indisch essen, wobei ich ein wenig ins Glas weine angesichts der norwegischen Preisverhältnisse (ach, ich hatte ja keine Ahnung, was noch kommen würde!).
Meine drei Mitbewohner stellen sich übrigens als sehr nett, höflich und rücksichtsvoll heraus. Von ihrer nächtlichen Rückkehr bekomme ich rein gar nichts mit.
07.08. Hallingskeid - Østerbø
Zum Dank dafür wecke ich die Jungs am nächsten Morgen um 5 Uhr mit dem widerlich penetranten Klingelweckton meines Handys.
Danach ab zum Bahnhof und in die Bergen-Bahn Richtung Hallingskeid.
Die Fahrt dauert gut 5 Stunden; die Reservierung hätte ich mir sparen können: der Zug ist fast leer.
Die Zugbegleiterin macht mich darauf aufmerksam, dass ich nach Finse bitte in den ersten (Fahrrad-)Waggon gehen sollte, da die Station Hallingskeid sehr klein sei und nur ein Waggon an den Bahnsteig passe.
Ok. Ich kämpfe mich also mit der Schrankwand auf meinem Rücken durch den gesamten Zug, bleibe hier und da hängen und reiße diverse fremde Gepäckstücke mit mir.
Draußen ändert sich das Panorama. Berge steigen auf, teilweise schneebedeckt, dazwischen Nebel und trübfarbene Landschaft. Mein Herz geht auf.
Hallingskeid ist zur Zeit eine bessere Baustelle. Offenbar finden gerade umwälzende Umbaumaßnahmen statt.
Zusammen mit mir stieg ein ältlicher Norwegen mit Enkel aus. Die beiden wollten mit dem Rad den Rallarvegen zurückfahren, ein ehemaliger Versorgungsweg für die Eisenbahnbauer der Bergenbahn, der heute eine beliebte Radstrecke ist.
In der provisorischen Bahnstation sortiere ich meinen Krempel und mache mich wildnisfein. Es regnet.


Die Karte will mir Norwegen-Anfänger nicht so recht verraten, wo der Einstieg zu meiner geplanten Route Richtung Østerbø sein könnte. Also gehe ich erstmal zur DNT-Hütte, die offenbar ausschließlich von Radlern frequentiert wird. Ich werde nett und markig von den anderen Gäste begrüßt.
Der Wirt freut sich offenbar, endlich mal einen Fußgänger zu treffen. Er schwärmt mir erstmal ausgiebig von der Gegend vor und anschließend von der Finnmark, bevor er mir eröffnet, dass die Verhältnisse auf meiner geplanten Route „difficult“ seien. Meine erste Etappe soll mich am Skomavatnet und Hednesdalsvatnet grob Richtung Aurlanddalen bringen. Der Wirt sagt sofort dass ich besser das Doppelte bis Dreifache an Zeit einplanen sollte, wegen des Schnees, also statt der norwegischen 10 Stunden etwa 20-30. Vor mir seien dieses Jahr erst zwei andere Hiker diese Route gegangen. Er vergewissert sich, dass ich auch wirklich ein Zelt, Karte und Kompass dabeihabe und zeigt mir auf der Karte noch notwendige Abweichungen von der Route, die nicht eingezeichnet seien, warnt eindringlich vor maroden Schneebrücken, Lawinen und außerdem sei es möglich, dass nicht alle Steinmännchen und Markierungen vorhanden seien, da dieses Jahr noch kein DNT-Wart dort lang gegangen sei...
Na gut.
Der Einstieg zur Route beginnt direkt hinter der Hütte und führt über die Bahngleise steil hinauf in die Hügellandschaft.

Alles schön grün hier, aber das gibt sich bald. Die ersten Schneefelder sind zu queren, die Stille holt mich ein. Unter mir verschwinden die roten Häuschen, bald ist auch die Bahnstrecke nicht mehr zu sehen.
Ich finde bald mein Tempo.
Was ich nicht finde, ist der Weg. Nachdem mich anfangs noch diverse Steinmännekes begleitet haben, suche ich nun vergeblich nach weiteren Markierungen. Ich laufe etwa eine Stunde nach Karte und Kompass und stoße endlich wieder auf ein rotes T. Das wars dann auch schon wieder.
Manchmal stoße ich auf Steinhaufen, die entfernt an zusammengestürzte Pyramiden erinnern, aber genausogut einfach nur Steinhaufen sein können. Mir schwant, dass dieser Weg nicht so einfach wird, wie ich dachte.
Dem Kompass folgend, geht es nun in den Schnee hinein und stetig weiter bergauf. Es ist kalt, keine Spur vom Sommer in Sicht.
Bald stoße ich auf drei wirklich riesige Steinmännchen, die dicht zusammen stehen. Da hat es aber jemand wirklich gut gemeint. Danach ist allerdings wieder Sense mit Markierungen.
Gegen 17:00 Uhr verdunkelt sich der Himmel dramatisch. Wind kommt auf.
Das Gelände voraus sieht nicht einladend aus, also beschließe ich, an Ort und Stelle mein erstes Lager aufzuschlagen, oberhalb eines Sees, der größtenteils unter Schnee und Eis verborgen liegt.


Am Hang gegenüber, im Schnee, steht ein Gebilde, das wie ein Tipi-Zelt aussieht. Meine Neugierde treibt mich näher heran, aber es ist nur ein sehr symmetrisch geformter Felsen. Bin also wirklich allein hier.
Die Sonne verschwindet und es wird verdammt kalt. Die unglaubliche Stille wird mir erst bewusst. Kein Hintergrundgeräusch ist zu hören außer das Rauschen des Wassers, kein Vogelpiepsen. Nur der Gaskocher zischt und bereitet mir ein lecker CousCous mit meiner erprobten Gemüse-Kräuter-Gewürz-Trockenmischung aus dem heimischen Dörrapparat.
Prophylaktisch gibt es noch einen heißen Instant-Zitronentee, dann geht’s ab in den warmen Schlafsack. Jetzt bin ich verdammt froh, doch das schwere Fleece-Inlett eingepackt zu haben, ich Frostbeule. An der Freude wird sich auch in den kommenden Nächten nichts ändern.
08.08. (immer noch auf dem Weg nach Østerbø)
Ich werde früh wach.
Draußen ist es bitterbitterkalt, der Himmel ist mit tiefhängenden düsteren Wolken dekoriert und geschneeregnet hat es offenbar auch nächtens. Ich denke kurz darüber nach, einfach bis zur Schneeschmelze in meinem kuscheligen Daunenkokon zu bleiben, aber die Heldin in mir siegt dann doch und kocht erstmal Kaffee. Zum Frühstück gibt’s noch warmes Müsli mit Schoko. Warmes Müsli ist toll!


Beim Essen sehe ich weiter unten am Flußufer etwas, das ein gut getarnter kleiner Steinmann sein könnte. Als ich ein Stück hinabklettere, stellt sich heraus, dass meine Kurzsichtigkeit mich nicht getrogen hat. Eine halb unter Schnee versteckte Markierung scheint mich aufzufordern, den Fluß zu überqueren, denn drüben steht ebenfalls etwas Steinmann-Ähnliches.
Die Karte sagt allerdings etwas anderes. Der Hüttenwirt wiederum sagte, die Route auf der Karte stimme nicht mehr.
Okay.
Krempel zusammengepackt, den Fluß über eine Schneebrücke gequert und ab dafür, straight bergauf über den rutschigen Schnee. Wider Erwarten habe ich keinen Muskelkater in den Beinen, das ist schon mal ein guter Start.
Weit komme ich nicht. Es ist schlicht zu steil, ich finde keinen Halt mehr und rutsche talabwärts. Vorsichtig steige ich wieder zum Fluß herab und beschließe, lieber dem Kompass zu folgen und mir meinen eigenen Weg zu suchen.
Zwei Stunden später erklimme ich einen weiteren Berg und sehe unter mir einen erforenen See, um den die Route laut Karte herumführen soll. Sogar einen Steinmann kann ich auf einer Anhöhe erspähen, weit, weit vor mir.

Die sonstigen Aussichten sind allerdings weniger lustig. Das Tal ist offenbar unter tiefem Schnee bergraben und aus den Bergen dahinter kriecht dichter Nebel herab.
Ich vermute folgerichtig, dass ich in nächster Zeit nicht viel Landschaft zu sehen bekommen werde und suche mir flott meine Richtung per Karte/Kompass zusammen, solange ich noch Orientierungspunkte sichten kann.
Und tatsächlich begleiten mich die nächste Zeit nur Weiß und Grau; Schnee, Nebel, Schnee und Felsen, die herauslugen.
Es ist sehr kalt, sehr still und verdammt einsam. Ich fühle mich wie der letzte Mensch auf Erden. Mehrmals frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Aber irgendwie ist es auch schön, irgendwie...

Als das Tageslicht schwindet, schlage ich mein Zelt irgendwo an einem Bachlauf auf, koche mir ein Motivationsdinner, bestehend aus Linseneintopf mit Speck, gefolgt von einer Tasse heiße Schokolade und friere ein wenig vor mich hin. Aus verdammt kalt wird schnell unangenehm kalt. Ich krieche mit Thermowäsche und meiner zur Wärmflasche umfunktionierten Nalgene in den Schlafack und schlafe doch ziemlich gut.
09.08. (jepp, immer noch Richtung Østerbø)
Hallingskarvet am Morgen: Nebel, miese Sicht, fiese Kälte.
Ich quäle mich aus der Wärme, koche flott mein wärmendes Morgenmahl und breche früh auf.
Da ich schlau war und meine Route schon am Tag vorher zusammengestoppelt habe, komme ich relativ gut voran.
In einer großen Senke, die laut Karte wirklich nur eine Senke sein soll, breche ich plötzlich ein und hänge mit einem Bein im luftleeren Raum. Darunter gurgelt es verhängnisvoll. Vorsichtig ziehe ich mich raus und schlage ein verdammt großen Bogen um diese Senke, unter deren brüchiger Schneedecke sich offenbar eine Menge Wasser versammelt hat.
Irgendwo in den Bergen rumpelt es laut. Eine Lawine?
Dann klart es langsam, ganz langsam auf. Die Wolken steigen hoch und enthüllen noch mehr Fels. Dahinter kann ich einen großen See erkennen - den Hednesdalsvatnet.
Die Hälfte dieser Etappe wäre somit schon mal geschafft. Ich stapfe am steilen Hang um das Ufer und freue mich, dass ich so uncool war und zum ersten Mal Trekkingstöcke dabeihabe. An den Schneehängen sind die Teil wirklich sinnvoll, wenn man soviel Gewicht auf dem Rücken herumträgt.


A Propos Gewicht: mit dem Rucksackgewicht komme ich wieder Erwarten problemlos klar, trotz degenerierter Bandscheibe. Und ich hatte schon befürchtet, unterwegs Ballast abweren zu müssen. Hat sich das Rückentraining also doch gelohnt.
Auf der anderen Seite geht’s wieder bergan, über einige Bachläufe hinweg und um eine Kuppe herum. Bald sehe ich linkerhand ein schmales dunkles Tal, wo der Hunabotnvatnet liegt, ein länglicher See im Schatten der Berge.
Rechterhand zeigt sich etwas später der Nedre Snøjuvvatnet und dann geht es bergab Richtung Rausmesdalen.
Ich sehe endlich anderes Leben! Zwei komische Laufvögel nehmen vor mir Reißaus - sind das Schneehühner? Mini-Banshees? Ich habe keine Ahnung.
Dort, wo sich laut Karte der Weg gabeln sollte, ist nichts von irgendwelchen Wegen zu sehen, auch kein Wegekreuz. Also wieder Karte und Kompass zu Rate gezogen und einen Bogen um den Fossane geschlagen.
Endlich sehe ich ein paar Hütten, Strommasten und sogar eine Art Straße, allerdings hat sie niemand für mich freigeräumt, na sowas. Naja, ich bin auf dem richtigen Kurs - und, noch wichtiger, nicht länger im Nirgendwo verschollen. Das gibt mir richtig Auftrieb.
Mein Weg führt mich hinab zu einer Piste, die aus einem Tunnel herauskommt. Ich folge diesem Weg eine Weile und biege später linkerhand wieder steil bergauf ab. Hier -endlich! -gut erkennbare Markierungen. Die Piste selber führt auf die Staumauer des Langavatnet zu.
Ziemlich beflügelt laufe ich noch bis zum Øykjabattvatnet, bevor mich die anbrechende Dunkelheit zum Lagersuchen animiert. Die Küche kredenzt Nudeln al Dente an einer Tomatensahnesoße, dazu wird Pfefferminztee gereicht.
Es ist nicht der beste Lagerplatz, den ich da habe; nachts rutsche ich immer wieder von der Matte, weil mein Zelt ziemliche Schräglage hat. Aber ein bisschen Aufpolstern mit Jacke und Zeltsack schaffen Abhilfe.
10.08. (… äh, Østerbø... dann weiter zur Steinbergdalshytta)
Der Øykjabattvatnet liegt am Katlahaug und geht außerdem nahtlos in den Katlavatnet über. Ich verliere mich in nostalgische Gedanken an das wunderschöne Buch „die Brüder Löwenherz“ (das böse Viech Katla, gell?). Passend zu den Kindheitserinnerungen wandelt sich die Schnee-und-Nebelhölle langsam, aber beständig in eine schöne grünbewachsene Berggegend: es geht aufs Aurlandsdalen zu, der Winter weicht.
Mein Weg führt mich durch ein langgezogenes Tal, das irgendwie kein Ende nehmen will. Unten rauscht ein schmelzwasserschwangerer Fluß entlang. Nochmal wird es grüner, die Schneeflecken nehmen weiter ab und dann liegt der Nesbøvatnet vor mir. Toll, jetzt muss ich an den Autor meines Schmökers denken. Das scheint eine Art Litera-Tour zu werden.
Der Himmel reißt auf, die Sonne erhellt die Landschaft und meine Laune steigt. Irgendwo bimmelt ein Glöckchen; ich sehe die ersten, aber nicht die letzten Schafe auf dieser Tour. Sie wandern im Gänsemarsch, wie auf einer Schnur gezogen am Hang entlang.
Ich muss eine Weile einer Straße folgen und stehe schließlich vor einem Fluß. Ich will nicht furten! Zu kalt!!!
Also wandere ich hin und her, suche nach einer geeigneten von-Stein-zu-Stein-Hüpf-Möglichkeit, finde aber keine. Na denn, Schuhe und Socken aus und die Crocs angezogen. Das eisige Wasser beschert mir einen schmerzhaften Krampf in den zarten Füßen und ich hüpfe in Rekordzeit zum anderen Ufer. Nach einem Weilchen barfußlaufen sind die Muskeln wieder warm und funktionsfähig und ich ziehe mir die Stumpen wieder über.
Ich passiere Østerbø, ohne Rast einzulegen. Bin eh nicht der große Pausenmensch. Wenn ich einmal in die Gänge gekommen bin, fällt es mir schwer, anzuhalten und den Rucksack abzuwerfen. Lieber mampfe ich meinen Müsliriegel im Weitergehen. Als Unterwegs-Zwischenmahlzeit habe ich auf dieser Tour übrigens Schoko-Paranuss-Müsliriegel richtig liebgewonnen; die sind nicht so süß und geben gut Antrieb.
Jetzt ist der Weg sehr angenehm. Er führt mich oberhalb des breiten Flußtals in Richtung Süd-Osten. Unter mir sehe ich die Straße dicht am Ufer entlanglaufen, begleitet von Strommasten. Aus dem Fluß wird ein See und dann wieder ein Fluß.

Die Gegend wird langsam wieder karger und steiniger, das Grün bleibt hinter mir zurück.
Zur Steinbergdalshytta führt eine kleine Piste von der Straße bergan. Bald biegt auch die Straße ab und führt auf die andere Seite des Tals.

Ich laufe noch eine gute Weile weiter, bevor ich etwas bergan kraxle und mir oberhalb des Driftaskar einen netten Platz an einem Bachlauf suche, der sich kopfüber ins Tal stürzt.
Für die Zeltplatzsuche nehme ich mir eigentlich immer viel Zeit, zuviel manchmal. Könnte es da drüben nicht besser sein? Oder doch lieber dort oben... ?
Mein Kocher schmurgelt mir Penne mit Käse-Sahnesauce und spendiert zum Nachtisch einen heißen Chai-Tee, begleitet von einem Erdnussriegel.
Das Geräusch des Wasserfalls lässt mich immer an die A40 denken - offenbar bin ich noch nicht so ganz in Norwegen angekommen. Dennoch schlafe ich wie ein Murmeltier.
11.08. Zur Geiterygghytta
Die Geiterygghytta ist jetzt nicht mehr weit und ich beschließe, einen kleinen Abstecher zu machen, um nicht schon gegen Mittag in die Hütte zu fallen. Heute ist es warm und trocken; am Himmel wechseln sich Sonne und Wolken ab. Alles ist gut.


Ich verlasse also meine Route, schlage einen Bogen um den Bolhvd und steige mal wieder bergan.
Die Aussicht ist großartig, auch wenn es immer wieder tiefe Schneefelder zu queren gibt und der Nordhang des Berges komplett in weiß gehüllt ist.
Meine tolle Idee bringt mich allerdings bald in die Bredouille: vor mir geht es nahezu senkrecht bergab.
Umkehren? Schnickschnack.
Ich glaube, eine gute Abstiegsmöglichkeit ausgemacht zu haben, eine Art Treppe für Riesen, und klettere über mannshohe Felsen und viel Geröll dorthin.
Was von weitem gut aussah, entpuppt sich aus der Nähe als schlechte Idee. Jede der „Stufen“ ist mehrere Meter hoch und dank diverser glitschiger und schräger Flächen prädestiniert für Knochenbrüche. Mit meinem drölfzig-Kilo-Rucksack ist ein Runterklettern an dieser Stelle nicht drin. Was macht die kluge Frau? Richtig, sie schickt den Rucksack voraus. Schön laaangsam - Stufe für Stufe und dann immer hinterherklettern.
Das geht eine Weile gut, dann rutscht mir der schwere Rucksack aus den Händen und schlägt mit Rommbomms zwei Mannslängen tiefer auf Stein auf - natürlich mit der Kameratasche zuerst.
Aber die ist ja ordentlich gepolstert...
Denkste.
Beim Überprüfen muss ich feststellen, dass die Verriegelung, die das Teleobjektiv am Body verankert, abgebrochen ist. Das Objektiv hält nicht mehr.
Ich verfluche mich und meine „Umwege“ und kraxle grummelnd weiter bergab. Immer wieder muss ich über mannshohes Geröll klettern oder Bögen schlagen und mir einen anderen Weg suchen.
Ein Stück weiter unten finde ich einen moosbedeckten Rentierschädel. Noch jemand, der einen kreativen Umweg gehen wollte.
Es hat schon seinen Grund, dass hier keine Route langführt, liebe Frau.
Bald darauf treffe ich wieder auf die Route nach Geiterygghytta. Unten im Tal sehe ich den großen Vestredalsvatnet; die begleitende Straße verschwindet im Berg und führt unsichtbar durch den langen Geiteryggtunnelen ins Jenseits.
Der weitere Weg führt relativ bequem langsam bergab, sieht man mal vom knöcheltiefen Schlamm ab, dann treffe ich auf eine Schotterpiste. Strommasten begleiten meinen weiteren Weg. Bald passiere ich einen Wegweiser und eine Hängebrücke, die den Beginn der direkten Route nach Hallingskeid markiert - warum habe ich eigentlich nicht diesen Weg genommen, statt tagelang durch Schnee und Nebel zu stapfen?
Zwei Tageswanderer, dem Gepäck nach zu urteilen, kommen mir entgegen und zwei Angler. Es ist früher Nachmittag oder später Mittag, keine Ahnung.
Die Hütte ist eine ziemlich große Full-Service-Hütte und gut frequentiert. Ich zähle auf Anhieb 15 Besucher. Für ein kuschliges Bett bin ich noch nicht verfroren genug, daher zahle ich nur für den Tagesbesuch und baue draußen mein Zelt nahe am Ufer auf, mißtrauisch beäugt von einer Schar Gänse.
Danach gönne ich mir erst eine großartige heiße Dusche (heiße Dusche ist toll!) und anschließend eine lecker Waffel mit Johannisbeermarmelade (frische warme Waffeln sind toll!).
Im Aufenthaltsraum am Kamin flicke ich dann das Teleobjektiv mit Ducktape wieder irgendwie an den Body (Ducktape ist auch toll!), heimlich beobachtet von einem älteren deutschen Pärchen, das sich vielsagende Blicke austauscht. Ich tu so, als wäre Ducktape an einer DSLR-Kamera ein modisches Must-have für jeden Hiker. Naja, schön ist anders, aber jedenfalls funktioniert's.
Als ich die warme Hütte verlasse, bereue ich kurzzeitig meinen Entschluß, die Nacht im Zelt verbringen zu wollen. Es fieselt fies und es ist eisekalt. Nach der Waffel habe ich keinen Hunger mehr auf Abendbrot.
Zum Trost gibt es ein bisschen Hörbuch-Hören auf dem iPod.
12.08. Geiterygghytta - Finse
Ich wache nach einer unruhigen Nacht viel zu grüh auf. Wahrscheinlich bin ich einfach zu früh schlafen gegangen.
Außerdem habe ich Hunger wie ein Bär. Es gibt Rührei (aus Volleipulver, tolle Erfindung) mit geschmackvollen Ingredienzen aus dem Dörromaten angereichert.
Heute ist das Wetter wieder schebbich (wie der Ruhrpöttler sagt): es nieselt, es schauert und kalt ist es sowieso.
Gegen halb neun breche ich auf. Der Himmel hat ein Einsehen und stellt die Berieselung ein. Es wird schnell wärmer und ich verstaue meine Wetterjacke im Rucksack.
Der Einstieg zur Route nach Finse ist etwas tricky; es gilt, brüchige, glatte Schneehaufen zu überklettern und angeschwollene Bäche zu queren. Da sind große Sprünge vonnöten.
Die Hytta verschwindet hinter mir und es geht auf grünem Pfad bergan.
Rechtsseitig liegt ein stiller See, doch bald biegt der Weg nach oben ab. Das erste steile Altschneefeld ist zu queren, dann kommt Geröll und ich sehe meine ersten Rentiere - genauer gesagt sind es zwei Rentierjunge, die sich offenbar einer kleinen Gruppe Schafe angeschlossen haben. Ich komme bis auf einen Meter an sie heran, bevor sie mit lustigen Bocksprüngen davonhüpfen.


Weiter geht es kräftezehrend steil bergauf über Schneefelder; der Schnee ist schwer, feucht und instabil und meine Beinmuskeln beginnen zu nörgeln.
Ein gutes Stück hinter mir stapft ein junger Mann in kompletter Bundeswehrmontur den Weg hinauf. Er tut sich schwer mit den Steigungen. Als ich eine ausgiebige Fotopause mache, überholt er mich mit unglücklichem Gesichtsausdruck.
Ich gehe weiter und begegne einer Schafmama mit zwei Jungtieren. Das kleinere der Jungen humpelt erbarmungswürdig, sein „Knie“ (das Vorderfußwurzelgelenk) ist dick angeschwollen und es hat Mühe, den Anschluß an seine Familie zu halten.
Ich habe auch meine Mühe; es geht ununterbrochen bergauf, immer schön durch den pappigen Schnee. Teilweise eine echt sportliche Herausforderung, die ich mit einer ordentlichen Portion Trotz meistere.
Auf 1646 Metern, vor dem Sankt Pål, ist endlich der höchste Punkt dieser Etappe erreicht. Es eröffnet sich ein beeindruckender Ausblick über endlos weite Schneeflächen bis hin zum Hardangerjøkulen am Horizont.

Ab jetzt ist der Weg Kindergeburtstag.
Mir kommen mehr und mehr Wanderer entgegen und mich beschleicht der Gedanke, dass die nicht ohne Grund die andere Laufrichtung gewählt haben. Der gesamte Weg ist sehr gut gekennzeichnet und auch sonst nicht zu übersehen, kein Vergleich zu dem einsamen Niemandsland der ersten Tage. Vor Finse wird der Pfad immer breiter, hin und wieder stoße ich auf Hinterlassenschaften von rücksichtslosen Vollpfosten: Plastikmüll, Zigarettenkippen.
Der Himmel reißt jetzt vollends auf und präsentiert sich strahlend blau, als ich gegen Mittag Finse erreiche. Das letzte Stück bergab zieht sich.
Unten noch schnell die Weggatter hinter mir schließen, die Gleise queren und dann stehe ich auch schon an der Station. Im Lädle des 1222 decke ich mich mit überteuertem Kleinkram ein: Tomatenmark, Mückenzeugs (mein in Oslo gekauftes Anti-Mückenzeug liegt offenbar noch immer im Anker Hostel; ich finde es jedenfalls nicht mehr wieder) und Schokokekse fürs Gemüt. Draußen ist es windig.
Als ich mich vor dem Laden noch mit zwei Norwegern unterhalte, trifft eben der Feldjäger im Bundeswehroutfit ein. Er sieht ziemlich durchgegart aus, hat aber trotzdem noch einen Gruß übrig.
Finse ist ausschließlich mit der Bahn oder per Pedes zu erreichen. Die Schotterpiste -der Rallarwegen- wird heute nur noch von Radtouristen genutzt und von Bahnarbeitern, die eine Genehmigung der NSB haben. Es gibt hier ein Museum, das die Geschichte des Rallarvegen und des Bahnbauprojektes irgendwann um 1800 erzählt und auch die damaligen Arbeits- und Lebensbedingungen anschaulich erläutert.
Der Ort ist irgendwie berühmt. In dem recht heruntergekommenen Hotel haben zahlreiche illustre Persönlichkeiten übernachtet, nicht zuletzt die Star Wars-Filmcrew, die auf dem Gletscher alle Schneeszenen aus The Empire Strikes Back gedreht hat. In der Nähe soll es außerdem Spuren früher Besiedlung geben, u.a. eine große Grube, die in frühgeschichtlicher Zeit zur Rentierjagd genutzt wurde.
Ich kaufe im Store außer den Leckerchen auch Trinkwasser in Flaschen; das Wasser aus dem See ist nur nach Abkochen trinkbar, dazu bin ich aber zu faul, außerdem muss ich mit meinem Gas haushalten.
Da an der Finsehytta das Zelten nicht gestattet ist, laufe ich Richtung Blåisen um den See herum und suche mir auf der anderen Seite ein lauschiges Plätzchen am Ufer, schön windgeschützt - was sich bald als dumme Idee erweist, denn sofort fallen Horden von Moskitos über mich her. Ich ziehe also flott um und stehe nun auf einer kleinen Anhöhe, wo mir ein frisches Lüftchen um die Ohren weht. Die Moskitos beeindruckt das leider nur periphär, genau wie das Mygg-Stopp. Die Viecher stechen einfach durch die Klamotten durch.
Im Innern meines Zeltes hocken die Biester auch bald zu Dutzenden (ach, was sag ich: zu Tausenden!) unterm Dach, weil ich wirklich nur ein Zehntelsekündchen das Moskitonetz offen gelassen habe, und ich muss erstmal kammerjägern.
In der Umgebung verteilt sind weitere Zelte aufgeschlagen und zwei Burschen übernachten unter freiem Himmel auf einer Steinplatte. Angesichts der kleinen rumschwirrenden Plagegeister hier sicher kein Vergnügen.
Am Seeufer weist ein Schild nochmals darauf hin, dass das Wasser abzukochen sei. Tatsächlich schwimmt ein leichter öliger Film auf dem Wasser.

Das Wetter ist jetzt großartig, mal abgesehen vom Wind. Ich mache große Wäsche. Die Klamotten trocknen flott und auch die Schuhe werden nach Tagen im Schnee endlich wieder komplett durchgetrocknet sein.
Da ich noch reichlich Tag zur Verfügung habe, beschließe ich, der Gletscherzunge Blåisen einen Besuch abzustatten.
Der Weg dorthin ist mit 1,5 Std. angegeben und semi-interessant. Es geht ordentlich bergauf und bergab, über Geröll, Gewässer und eine Hängebrücke, und wenn man denkt, hinterm nächsten Hügel isser aber jetzt, der Gletscher, dann kommt noch ein Hügel.

Aber dann stehe ich doch endlich davor.
Was für ein Moped!
Wie ein gewaltiger Wurm scheint sich der Gletscher über die Berge und talabwärts zu schieben. Ein bisschen schmuddlig sieht er aus, nicht so strahlend blau, wie ich dachte. Dicht unterhalb gleicht die Gegend einer Mondlandschaft, die Steine sind zermahlen und darunter hat das Schmelzwasser den Boden gut durchweicht, so dass ich immer wieder knöcheltief einsinke.
Oben auf dem Gletscher kraxelt eine Gruppe herum. Man kann hier in Finse einen Guide für solche Gletschertouren anheuern.
Ich mache Fotos und mich bald wieder auf den Rückweg. Unterwegs kommen mir viele Ausflügler in unterschiedlichster Staffierung entgegen - vom übergewichtigen, rotköpfigen Pärchen in Jeans bis zu energischen Damen mit Walkingstöcken und gelangweilten Jugendlichen in Turnschuhen ist alles vertreten.
Zurück auf meiner Finca brate ich mir Gemüsebratlinge, dazu gibt es Kartoffelpüree und eine Tomatensoße aus dem Finse-Store. Der Abend ist warm und friedlich und die Moskitos machen Pause.
Anschließend vermelde ich per Handy an meinen Männe, dass ich noch lebe und bisher keine Zehen verloren habe. Er ermahnt mich, Trollen und Hillbillies mit Kettensäge aus dem Weg zu gehen und ihm einen Lemming mitzubringen (???).
Ich überschlage meine bisherigen Laufzeiten und stelle fest, dass ich mit den auf der Karte angegebenen Laufzeiten sehr gut hinkomme, trotz des schweren Rucksackes auf dem Buckel. Das bedeutet, dass ich doch mehr Zeit zur Verfügung habe als gedacht. Das bedeutet auch, dass ich wieder lustige Abstecher machen kann.
Den Rest des Abends verbringe ich mit meinem Skizzenbuch, bevor ich zufrieden in mein Daunennest falle.
13.08. Finse - Rembesdalseter
In der Nacht zerrt der Wind ordentlich laut am Zelt herum, doch als ich nach draußen schaue, sehe ich einen wolkenlosen Sternenhimmel und die Luft ist überraschend lau.
Der nächste Morgen bietet bestes Kurze-Hosen-Wetter – die fliegenden Vampire warten auch schon auf mich. Ich frühstücke flott und packe noch flotter ein, bevor ich lebendigen Leibes ausgesaugt werde. In den nächsten Tagen würde ich allerdings langmütiger werden im Umgang mit den Myggs.
Erstmal geht’s wieder zurück nach Finse, wo ich meinen Müll entsorge, dann den Rallarwegen entlang nach Norden.
Das ist langweilig und zieht sich entsprechend. Am Wegrand haben Radler ihr Nachtlager aufgeschlagen.
Irgendwann überquere ich stillgelegte Gleise und folge dem Pfad, der mich zwischen verloren herumstehenden Hütten zur ersten Hängebrücke führt. Danach geht es langsam, aber stetig bergan.
Im Vorfeld habe ich gehört, dass diese Etappe nicht problemlos an einem Tag zu schaffen sei. Ich rechne also eine Zwischenübernachtung ein.
Weiter und weiter hoch geht es, abwechselnd über Schnee, Geröll und wieder Schnee. Dann passiere ich die Radiosendestation über mir und denke fröhlich, damit sei der dickste Drops gelutscht.

Weit hinten am Horizont kann ich jetzt den Hårteigen sehen.
Noch ein Stückchen weiter passiere ich ein Grüppchen Norweger, die sich auf den Felsen niedergelassen haben und ihre Schnittchen auspacken.
Die Sonne scheint wie der Deibel.
Jetzt geht es bergab zu einem wunderschönen Gletschersee, dessen glitzriges Blau so hypnotisierend ist, dass ich erstmal nur dastehe und staune. Drumherum liegt strahlend weißer Schnee und lässt die Farben umso mehr leuchten. Dazu der blaue Himmel – perfekt!


Der See begleitet mich noch eine Weile, während ich durch eine angenehm moosgrüne, irgendwie landschaftsparkähnliche Umgebung lustwandle. Wieder öffnet die Sicht auf noch mehr Gletscherblau und Weiß und Silberglitzer und ich mache tausend Fotos,
Ein Frauenduo kommt mir entgegen. Die junge Frau wird mir später wieder begegnen, wenn sie mich überholt und im Sauseschritt mit Daypack den Weg wieder zurück läuft, um am Horizont zu entschwinden. Die spinnen, die Norweger :-)
Weiter und weiter bergauf, über Schnee, Schnee und Schnee, während die Sonne ordentlich Sommer macht. Das schreit nach einem Energieriegel.
Endlich hat das Bergauf ein Ende und der weitere Weg führt durch ein schmales grünes Tal bergab. Ich habe das Gefühl, durch ein geheimnisvolles Portal nach Irland gebeamt worden zu sein. Neben dem Pfad rauscht ein Flüßchen talabwärts. Am Steilhang bimmeln Schafsglöckchen und dann taucht linkerhand auch noch ein verdammt idyllischer See auf. Könnte auch das Auenland sein. Ich hadere mit mir, ob ich nicht hier mein Lager aufschlagen soll, und entscheide mich dagegen.
Nach einer Weile öffnet sich ein grandioser Ausdblick in Richtung Süden und hinab in ein schroffes Tal, von dem ich noch nicht weiß, dass dort unten mein Ziel liegt.


Der Weg ins Tal runter ist nicht von schlechten Eltern. Unten geht’s scharf links, garniert mit einem schönen Seeblick. Dann kommt ein weiterer Abstieg, der es wirklich in sich hat, und ich danke den Göttern meiner Wahl fürs trockene Wetter und der Erfindung der Trekkingstöcke. Bei Nässe wäre der Abstieg mit einem dicken Rückengepäck sicher eine fiese Sache. Aber auch so rechne ich jeden Augenblick mit einem langgezogenem „Aaargh!“, gefolgt vom scharfen Knack eines brechenden Knöchels. Ich knicke zwar tatsächlich zweimal um, jedoch ohne Folgen.
Es geht gefühlte fünf Stunden über Geröll und Wackelgestein, aber endlich ist das Seeufer erreicht und hinterm nächsten Hügel liegt auch die Hütte Rembesdalseter.
Der See liegt recht eingequetscht zwischen hoch aufragenden Berghängen, man könnte glatt klaustrophobisch werden. Lediglich im Süden öffnet sich ein schmaler Einschnitt zum Simadalen und von dort zum Eidfjord.
Über mir ist die Gletscherzunge zu sehen.
Auf der Hütte ist neben der Wartin ein deutsches Studententrio untergebracht, die mir ihr viertes freies Bett in der Stube anbieten.

Aber ich bevorzuge doch meine Dackelgarage, die ich weiter oben im Wind aufbaue, wegen der Moskitos. Denen ist das aber schnuppe.
In der Küche schmurgle ich mit Nudeln mit Spinat und Frischkäse und plaudere noch ein Weilchen mit den anderen.
Entgegen aller Voraussagen fand ich diese Etappe übrigens nicht so heftig wie befürchtet. Ich habe insgesamt etwa 9 Stunden gebraucht.
Dann die übliche Katzenwäsche am Bach und danach die freudige Entdeckung, dass es im Talkessel Handyempfang gibt. Mein Daheimgebliebener freut sich über mein Lebenszeichen. Während wir telefonieren, steigt dichter Nebel aus dem Wasser und dem Simadalen auf und hüllt die Hütte unter mir vollkommen ein, alldieweil die Sonne glutrot hinter den Bergen verschwindet. Ich muss spontan an „Nebel des Grauens“ denken. Mein Männe auch. „Flieh, solange du noch kannst“, sagt er, „Nein, warte mal: Darf ich dein MacBook erben?“
Am nächsten Tag erfahre ich, dass sich dieser Nebel auch mal tagelang hält und den Hikern dann gründlich die Laune vermiest.

14.08. Rembesdalseter – Liseth
Der Tag beginnt überaus sonnig.
Ich habe wie ein Stein geschlafen und bin früh wach – eine gute Gelegenheit für ein opulentes Frühstück in Form von Rührei und Früchtemüsli. Die Hüttenwartin leistet mir Gesellschaft. Sie ist seit zwei Tagen hier und wird in 12 Tagen abgelöst. Sie hatte schon befürchtet, zwei Wochen im Nebeldunst festzusitzen.
Mein Zelt ist außen patschnass und auch der Schlafsack hat Kondens gezogen. Ich nehme alles auseinander und lasse es in der Sonne trocknen.
Nachdem das Bezahlen erledigt ist, liegen die Studenten und ich noch faul in der Sonne rum, chillen und reden. Die drei haben den Hardangerjøkulen auf der Ostseite umrundet und gehen jetzt nach Finse weiter, wobei sie für jede Etappe zwei Tage eingeplant haben.
Dann trennen sich unsere Weg. Für mich geht es weiter nach Litlos, zunächst über einen krubbeligen Pfad am Seeufer.
Der anschließende Aufsteig auf der anderen Seite ist nicht sehr spaßig. Es geht über glatte Felsplatten hoch, am Wasserfall entlang und mit einigen Klettereinlagen, wobei mein Rucksack mich hartnäckig talabwärts zieht. Ich muss höllisch aufpassen, nicht hintüber zu kippen. Bei Regen wäre ich hier wohl nur mit viel Glück und Saugnäpfen statt Händen hochgekommen. Aber irgendwann hat auch diese interessante Kraxelei ein Ende.
Nach zwei Hängebrücken passiere ich die Abzweigung nach Kjeldebu, die ich links liegen lasse. Ich habe für die Kletterpartie gut anderthalb Stunden benötigt.

Die Gletscherzunge bleibt unter mir zurück, es geht sanft bergab und ich genieße den warmen, sonnigen Tag. Dann plötzlich öffnet sich der Blick auf den Fjord und das tiefe, tiefe Simadalen. Es geht rechterhand etwa 1000 Meter bergab. Ich staune über die mächtigen Felswände, die das schmale Tal eindrücken. Ganz weit hinten funkelt das Wasser des Fjords blaßblau. Einfach nur schön!


Zurückblickend sehe ich den Rembesdalsvatnet, der aufgrund der Gletscherbewegungen einst das Simadalen überflutet und eine Katastrophe ausgelöst hat, wenn ich mich recht erinnere.
Mir kommt ein Norweger mit kurzen Hosen und Gamaschen entgegen. Letztere trägt er nicht ohne Grund, wie ich bald feststellen werde.
Bald lasse ich das Tal hinter mir und linkerhand taucht ein See auf, bestückt mit kleinen Inseln auf denen Nadelbäume stehen. Aha, Baumgrenze in greifbarer Nähe. Am See kann ich auch die verlassene Farm Loken erkennen. Es geht bergab.
Jetzt wird es richtig schlammig. Auf dem Pfad sinke ich bis zum Knöchel ein, also suche ich mir Umwege und Hüpfesteine. Die Sonne brutzelt fröhlich und ausdauernd herab und meine Laune ist trotz der Schlammschlacht gut - bis mir schwant dass, wer in ein Tal hinabsteigt, dort irgendwann auch wieder hinausklettern muss. Ich blicke voraus und nach oben und überlege, dass garantiert niemand so blöde, dort eine Route anzulegen.
Denkste.
Die nächsten zwei denkwürdigen Stunden rutscht der moddrige Untergrund nebst Geröll immer wieder unter meinen Schuhen davon. Es ist unglaublich anstrengend und langwierig, dort hinauf zu kommen. Ich suche mir ständig Umwege, um nicht als Schlammlawine wieder dort anzukommen, von wo ich gestartet bin. Und die blöden Moskitos kribbeln und sirren überall herum und mobben mich, dass es nur seine Bewandtnis hat.

Als ich ein Jahrhundert später oben ankomme und die Plackerei schon fast vergessen habe, fällt mir auf, dass ich irgendwo unterwegs meine Sportbrille verloren habe.
Für heute reichts mir und ich schlage nach einer Weile mein Zelt in einer friedlichen grünen Senke voller kleiner Seen auf.
Weils so sommerlich ist, gönne ich mir ein Bad im kühlen Wasser, immer schön umschwirrt von einer blutdurstigen Wolke.
Danach wird der Bärenhunger mit Linseneintopf bekämpft. Während ich esse, rummst es zweimal laut und hallend durch das Simadalen. Klingt wie eine Explosion.
Abends beginnt es leicht zu regnen.

15.08 Richtung Liseth und weiter nach Kjeldebu
Die kleinen Seen liegen frühmorgens mit grauer, gekräuselter Oberfläche unter dem wolkenverhangenen Himmel; es ist windig. Ich spüre heute die Strapazen des gestrigen Aufstieges ziemlich deutlich in den Oberschenkeln.

Aus den Bergen ist erneut lautes Rummsen zu hören. Lawinen? Niesende Trolle?
Der weitere Weg ist unspektakulär und angenehm.
An einem See, an dessem Ufer ein kleine Holzhütte liegt, folge ich blind dem recht deutlichen Pfad. Es dauert eine Weile, bis wieder Steinmännchen auftauchen, allerdings fehlt ihnen das rote „T“. Ein Blick auf die Karte zeigt mir, dass ich irgendeiner alten Route folge, die irgendwo im Nirgendwo enden wird. Der Vetle Ishaug sollte eigentlich links von mir liegen, nicht rechts. Also wieder zurück, marsch-marsch.
Am Abzweig entdecke ich einen Steinmann, der mich in die richtige Richtung leitet. Wie hatte ich den bloß übersehen können?
Der Irrweg hat mich viel Zeit gekostet, aber davon habe ich ja genug.
Im weiten Bogen geht es um den Vetle Ishaug herum und dann kann ich auch schon Fossli sehen.
Ab jetzt geht es eine Ewigkeit lang bergab und bergab, mal ist es sumpfig, aber das schöne Wetter und einige ausgelegte Planken halten die befürchtete Schlammschlacht in Grenzen.

Die ersten Birken -kleine krüpplige Bodenkriecher- tauchen auf. Die Luft duftet nach Kräutern und Blumen und überall surren Insekten herum.
Endlich kommen mir auch wieder Menschen entgegen. Schließlich lande ich in einer Siedlung voller hübscher Holzhäuschen und stehe etwas orientierungslos herum.
Der Tag ist noch lang, daher geht’s erst mal zu den Vossingfällen. Das Hotel Fossli liegt oberhalb des Wasserfalls und ist deutlich ausgeschildert. Eine echte Touristenfalle! Im Viertelstundentakt werden dort knipsende Horden in Bussen angeliefert oder wieder weggekarrt. Die Touristen machen Fotos von mir und meiner Schrankwand auf dem Rücken.
Wenn man den Wasserfall hinabschaut, kann man tief unten im Tal eine klitzekleine Hängebrücke sehen und einen strichschmalen Pfad, der bis nahe an den Wasserfall heranführt.
Auf der sonnigen Hotelterrasse gönne ich mir das teuerste Bier meines Lebens. Umgerechnet fast 10,-€ (in Worten: zehn!!!). Wenigstens ist es gut gekühlt. Ich überschlage die bisher geschaffte Strecke und die Tage, die mir noch bleiben, stelle fest, dass ich ordentlich Zeit habe und beschließe, einen Abstecher in den Osten der Vidda zu machen. Bei der Tourvorbereitung habe ich die angegebenen norwegischen Gehzeiten brav mal 1,5 oder sogar mal 2 genommen, aber tatsächlich komme ich mit den „original“ Gehzeiten sehr gut zurecht, trotz des vollen Rucksackes.
Anschließend lasse ich mein Gepäck an der Rezeption zurück und unternehme einen Abstecher hinunter zum Wasserfall.
Von einer gesperrten Straße führt ein Pfad erst durch Gebüsch, dann über ein Geröllfeld bis zum Fluß herab. Man quert die Brücke und spürt schon die neblige Gischt auf der Haut. Der Pfad endet etwa 100 Meter vor dem Wasserfall. Die Sonne kommt nicht bis hierhin und die Steine sind ziemlich glitschig, aber ohne Gepäck ist das Ganze ein Kinderspiel.
Danach geht’s weiter zum Pensjonat Liseth, das ich umrunde und dem Pfad Richtung Kjeldebu folge. Ein schöner Weg, wenn auch ziemlich moddrig. Es geht nebem dem Fluß durch ein lichtes Wäldchen; rechts und links wachsen Farne, Lichtnelken, Eisenhut, Butterblumen und anderes Blühzeugs. Ich passiere einige hübsche Hüttchen, dann bleiben Birken und Nadelbäume hinter mir zurück und es wird wieder felsig.

Oben angekommen treffe ich auf zwei Norweger, die sich auf ein kleines Schwätzchen freuen. Die Freude ist ganz meinerseits, also lassen wir uns zu einer kleinen Pause auf warmem Stein nieder. Die beiden sind ziemlich überrascht, als sie erfahren, dass ich 3 Wochen allein durch die Gegend stromere. Die nächsten Kilometer, sagen sie außerdem, sei nicht mit Wasser zu rechnen, daher fülle ich schnell noch meine Buddel.
Es geht danach durch sommerliches Hochland, und endlich sehe ich auch meinen ersten Lemming. Er ist platt und ziemlich tot, der Arme. Man könnte ihn glatt als Briefmarke verwenden...


Beim Sysenvatnet suche ich mir wieder ein hübsches Plätzchen an einem Bach. Trotz des stetigen Windzuges muss ich mich an dieser Stelle mit der fiesesten und heftigsten Moskitoinvasion der gesamten Tour herumplagen. Irgendwo habe ich gelesen, man solle die Viecher saugen lassen, da sie dann auch wieder das juckige Anti-Gerinnungsgift wieder einsaugen, das sie einem zuvor injizieren. Aber die Stiche sind schon recht schmerzhaft und ich schlage instinktiv zu, sobald die Biester ihren Rüssel in die Haut pieksen.
Der Himmel ist wolkenlos und ich vermisse meine Sonnenbrille.
Land: Norwegen
Reisezeit: 06. - 28. August 2012
Region: Hallingskarvet Nationalpark/Hardangervidda
Bisher bin ich immer auf die sonnige Südhalbkugel gereist, aber die Bilder und Berichte aus dem Norden haben mich dann doch so angespitzt, dass die diesjährige Tour also erstmalig in den Norden gehen sollte. Zunächst musste ich aber meine Ausrüstung an die zu erwartenden Gegebenheiten anpassen; ich bin nämlich eine Frostbeule.
Eigentlich war die Anreise mit Auto geplant, da der Hund mitkommen sollte. Der Arme begann zwei Wochen vorher jedoch zu humpeln: Gelenkentzündung. Also ab in die Hunde-Reha (gut deutsch: Zuhause mit Männe auf dem Sofa relaxen).
Ich beschloß, die Route zu ändern (eigentlich war der hundepfotenfreundliche Ostteil der Vidda geplant gewesen) und buchte schnell die nötigen Flug-, Bus- und Bahntickets zusammen. Unterm Strich war es wegen diverser Schnäppchentickets wohl erheblich günstiger als die Autoanreise.
Der aktuelle Wetterbericht für die Region erfreute mich mit Brrr-Temperaturen, hartnäckigen Schneeverhältnissen oder alternativen Matschepamp-Sumpf-Aussichten. Also wurde die Packliste noch um ein warmes Inlett und etwas wärmende Zusatzkleidung ergänzt. Am Ende wog mein Gepäck 21,2kg, inclusive Proviant für etwa 10-12 Tage, ohne Gaskartuschen und dem anderen Kram, den ich noch vor Ort kaufen würde. Ich selber bin ja nicht die Größte (169cm) und Stärkste (57kg).
Schluck...
Ich überlegte hin und her, diversen Luxuskram zuhause zu lassen (Kameraausrüstung, der heißgeliebte iPod und Sizzenbuch nebst Federmäppchen), ließ das Zeugs dann aber doch im Rucksack. Es war schließlich der erste Trip in den Norden, ohne Musik und Hörbücher kann ich nicht leben - und Illustratoren können ohne Skizzenbuch sowieso nicht aus dem Haus gehen.
So, gezz aber ab zum Bummelbahnhof und weiter zum Flieger.
06.08.
Ankunft in Oslo. 17°, anhaltender Regen und ich habe mein Käppi zuhause vergessen.
Fängt ja gut an.
Ich tausche erstmal Geld ein und besorge anschließend die Gaskartuschen, ein regenfestes Käppi, Mückenzeugs (mit zweifelndem Blick zum Himmel - brauch ich das wirklich?), einen Schmöker von Jo Nesbø (von wegen Lokalkolorit und so) und eine Karte für den Hallingskarvet Nationalpark (für diese Karte musste ich durch halb Oslo rennen). Ich denke, anschließend wog mein Rucksack so um die 24kg.
Danach kurz im Anker Hostel eingecheckt, wo man mich Frau zusammen mit drei Italienern auf Partytour in ein Zimmer einquartiert. Ich lasse meinen Kram im Zimmer und gehe erst mal in die Christian Krohg-Ausstellung im Nationalmuseum und anschließend lecker indisch essen, wobei ich ein wenig ins Glas weine angesichts der norwegischen Preisverhältnisse (ach, ich hatte ja keine Ahnung, was noch kommen würde!).
Meine drei Mitbewohner stellen sich übrigens als sehr nett, höflich und rücksichtsvoll heraus. Von ihrer nächtlichen Rückkehr bekomme ich rein gar nichts mit.
07.08. Hallingskeid - Østerbø
Zum Dank dafür wecke ich die Jungs am nächsten Morgen um 5 Uhr mit dem widerlich penetranten Klingelweckton meines Handys.
Danach ab zum Bahnhof und in die Bergen-Bahn Richtung Hallingskeid.
Die Fahrt dauert gut 5 Stunden; die Reservierung hätte ich mir sparen können: der Zug ist fast leer.
Die Zugbegleiterin macht mich darauf aufmerksam, dass ich nach Finse bitte in den ersten (Fahrrad-)Waggon gehen sollte, da die Station Hallingskeid sehr klein sei und nur ein Waggon an den Bahnsteig passe.
Ok. Ich kämpfe mich also mit der Schrankwand auf meinem Rücken durch den gesamten Zug, bleibe hier und da hängen und reiße diverse fremde Gepäckstücke mit mir.
Draußen ändert sich das Panorama. Berge steigen auf, teilweise schneebedeckt, dazwischen Nebel und trübfarbene Landschaft. Mein Herz geht auf.
Hallingskeid ist zur Zeit eine bessere Baustelle. Offenbar finden gerade umwälzende Umbaumaßnahmen statt.
Zusammen mit mir stieg ein ältlicher Norwegen mit Enkel aus. Die beiden wollten mit dem Rad den Rallarvegen zurückfahren, ein ehemaliger Versorgungsweg für die Eisenbahnbauer der Bergenbahn, der heute eine beliebte Radstrecke ist.
In der provisorischen Bahnstation sortiere ich meinen Krempel und mache mich wildnisfein. Es regnet.


Die Karte will mir Norwegen-Anfänger nicht so recht verraten, wo der Einstieg zu meiner geplanten Route Richtung Østerbø sein könnte. Also gehe ich erstmal zur DNT-Hütte, die offenbar ausschließlich von Radlern frequentiert wird. Ich werde nett und markig von den anderen Gäste begrüßt.
Der Wirt freut sich offenbar, endlich mal einen Fußgänger zu treffen. Er schwärmt mir erstmal ausgiebig von der Gegend vor und anschließend von der Finnmark, bevor er mir eröffnet, dass die Verhältnisse auf meiner geplanten Route „difficult“ seien. Meine erste Etappe soll mich am Skomavatnet und Hednesdalsvatnet grob Richtung Aurlanddalen bringen. Der Wirt sagt sofort dass ich besser das Doppelte bis Dreifache an Zeit einplanen sollte, wegen des Schnees, also statt der norwegischen 10 Stunden etwa 20-30. Vor mir seien dieses Jahr erst zwei andere Hiker diese Route gegangen. Er vergewissert sich, dass ich auch wirklich ein Zelt, Karte und Kompass dabeihabe und zeigt mir auf der Karte noch notwendige Abweichungen von der Route, die nicht eingezeichnet seien, warnt eindringlich vor maroden Schneebrücken, Lawinen und außerdem sei es möglich, dass nicht alle Steinmännchen und Markierungen vorhanden seien, da dieses Jahr noch kein DNT-Wart dort lang gegangen sei...
Na gut.
Der Einstieg zur Route beginnt direkt hinter der Hütte und führt über die Bahngleise steil hinauf in die Hügellandschaft.

Alles schön grün hier, aber das gibt sich bald. Die ersten Schneefelder sind zu queren, die Stille holt mich ein. Unter mir verschwinden die roten Häuschen, bald ist auch die Bahnstrecke nicht mehr zu sehen.
Ich finde bald mein Tempo.
Was ich nicht finde, ist der Weg. Nachdem mich anfangs noch diverse Steinmännekes begleitet haben, suche ich nun vergeblich nach weiteren Markierungen. Ich laufe etwa eine Stunde nach Karte und Kompass und stoße endlich wieder auf ein rotes T. Das wars dann auch schon wieder.
Manchmal stoße ich auf Steinhaufen, die entfernt an zusammengestürzte Pyramiden erinnern, aber genausogut einfach nur Steinhaufen sein können. Mir schwant, dass dieser Weg nicht so einfach wird, wie ich dachte.
Dem Kompass folgend, geht es nun in den Schnee hinein und stetig weiter bergauf. Es ist kalt, keine Spur vom Sommer in Sicht.
Bald stoße ich auf drei wirklich riesige Steinmännchen, die dicht zusammen stehen. Da hat es aber jemand wirklich gut gemeint. Danach ist allerdings wieder Sense mit Markierungen.
Gegen 17:00 Uhr verdunkelt sich der Himmel dramatisch. Wind kommt auf.
Das Gelände voraus sieht nicht einladend aus, also beschließe ich, an Ort und Stelle mein erstes Lager aufzuschlagen, oberhalb eines Sees, der größtenteils unter Schnee und Eis verborgen liegt.


Am Hang gegenüber, im Schnee, steht ein Gebilde, das wie ein Tipi-Zelt aussieht. Meine Neugierde treibt mich näher heran, aber es ist nur ein sehr symmetrisch geformter Felsen. Bin also wirklich allein hier.
Die Sonne verschwindet und es wird verdammt kalt. Die unglaubliche Stille wird mir erst bewusst. Kein Hintergrundgeräusch ist zu hören außer das Rauschen des Wassers, kein Vogelpiepsen. Nur der Gaskocher zischt und bereitet mir ein lecker CousCous mit meiner erprobten Gemüse-Kräuter-Gewürz-Trockenmischung aus dem heimischen Dörrapparat.
Prophylaktisch gibt es noch einen heißen Instant-Zitronentee, dann geht’s ab in den warmen Schlafsack. Jetzt bin ich verdammt froh, doch das schwere Fleece-Inlett eingepackt zu haben, ich Frostbeule. An der Freude wird sich auch in den kommenden Nächten nichts ändern.
08.08. (immer noch auf dem Weg nach Østerbø)
Ich werde früh wach.
Draußen ist es bitterbitterkalt, der Himmel ist mit tiefhängenden düsteren Wolken dekoriert und geschneeregnet hat es offenbar auch nächtens. Ich denke kurz darüber nach, einfach bis zur Schneeschmelze in meinem kuscheligen Daunenkokon zu bleiben, aber die Heldin in mir siegt dann doch und kocht erstmal Kaffee. Zum Frühstück gibt’s noch warmes Müsli mit Schoko. Warmes Müsli ist toll!


Beim Essen sehe ich weiter unten am Flußufer etwas, das ein gut getarnter kleiner Steinmann sein könnte. Als ich ein Stück hinabklettere, stellt sich heraus, dass meine Kurzsichtigkeit mich nicht getrogen hat. Eine halb unter Schnee versteckte Markierung scheint mich aufzufordern, den Fluß zu überqueren, denn drüben steht ebenfalls etwas Steinmann-Ähnliches.
Die Karte sagt allerdings etwas anderes. Der Hüttenwirt wiederum sagte, die Route auf der Karte stimme nicht mehr.
Okay.
Krempel zusammengepackt, den Fluß über eine Schneebrücke gequert und ab dafür, straight bergauf über den rutschigen Schnee. Wider Erwarten habe ich keinen Muskelkater in den Beinen, das ist schon mal ein guter Start.
Weit komme ich nicht. Es ist schlicht zu steil, ich finde keinen Halt mehr und rutsche talabwärts. Vorsichtig steige ich wieder zum Fluß herab und beschließe, lieber dem Kompass zu folgen und mir meinen eigenen Weg zu suchen.
Zwei Stunden später erklimme ich einen weiteren Berg und sehe unter mir einen erforenen See, um den die Route laut Karte herumführen soll. Sogar einen Steinmann kann ich auf einer Anhöhe erspähen, weit, weit vor mir.

Die sonstigen Aussichten sind allerdings weniger lustig. Das Tal ist offenbar unter tiefem Schnee bergraben und aus den Bergen dahinter kriecht dichter Nebel herab.
Ich vermute folgerichtig, dass ich in nächster Zeit nicht viel Landschaft zu sehen bekommen werde und suche mir flott meine Richtung per Karte/Kompass zusammen, solange ich noch Orientierungspunkte sichten kann.
Und tatsächlich begleiten mich die nächste Zeit nur Weiß und Grau; Schnee, Nebel, Schnee und Felsen, die herauslugen.
Es ist sehr kalt, sehr still und verdammt einsam. Ich fühle mich wie der letzte Mensch auf Erden. Mehrmals frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Aber irgendwie ist es auch schön, irgendwie...

Als das Tageslicht schwindet, schlage ich mein Zelt irgendwo an einem Bachlauf auf, koche mir ein Motivationsdinner, bestehend aus Linseneintopf mit Speck, gefolgt von einer Tasse heiße Schokolade und friere ein wenig vor mich hin. Aus verdammt kalt wird schnell unangenehm kalt. Ich krieche mit Thermowäsche und meiner zur Wärmflasche umfunktionierten Nalgene in den Schlafack und schlafe doch ziemlich gut.
09.08. (jepp, immer noch Richtung Østerbø)
Hallingskarvet am Morgen: Nebel, miese Sicht, fiese Kälte.
Ich quäle mich aus der Wärme, koche flott mein wärmendes Morgenmahl und breche früh auf.
Da ich schlau war und meine Route schon am Tag vorher zusammengestoppelt habe, komme ich relativ gut voran.
In einer großen Senke, die laut Karte wirklich nur eine Senke sein soll, breche ich plötzlich ein und hänge mit einem Bein im luftleeren Raum. Darunter gurgelt es verhängnisvoll. Vorsichtig ziehe ich mich raus und schlage ein verdammt großen Bogen um diese Senke, unter deren brüchiger Schneedecke sich offenbar eine Menge Wasser versammelt hat.
Irgendwo in den Bergen rumpelt es laut. Eine Lawine?
Dann klart es langsam, ganz langsam auf. Die Wolken steigen hoch und enthüllen noch mehr Fels. Dahinter kann ich einen großen See erkennen - den Hednesdalsvatnet.
Die Hälfte dieser Etappe wäre somit schon mal geschafft. Ich stapfe am steilen Hang um das Ufer und freue mich, dass ich so uncool war und zum ersten Mal Trekkingstöcke dabeihabe. An den Schneehängen sind die Teil wirklich sinnvoll, wenn man soviel Gewicht auf dem Rücken herumträgt.


A Propos Gewicht: mit dem Rucksackgewicht komme ich wieder Erwarten problemlos klar, trotz degenerierter Bandscheibe. Und ich hatte schon befürchtet, unterwegs Ballast abweren zu müssen. Hat sich das Rückentraining also doch gelohnt.
Auf der anderen Seite geht’s wieder bergan, über einige Bachläufe hinweg und um eine Kuppe herum. Bald sehe ich linkerhand ein schmales dunkles Tal, wo der Hunabotnvatnet liegt, ein länglicher See im Schatten der Berge.
Rechterhand zeigt sich etwas später der Nedre Snøjuvvatnet und dann geht es bergab Richtung Rausmesdalen.
Ich sehe endlich anderes Leben! Zwei komische Laufvögel nehmen vor mir Reißaus - sind das Schneehühner? Mini-Banshees? Ich habe keine Ahnung.
Dort, wo sich laut Karte der Weg gabeln sollte, ist nichts von irgendwelchen Wegen zu sehen, auch kein Wegekreuz. Also wieder Karte und Kompass zu Rate gezogen und einen Bogen um den Fossane geschlagen.
Endlich sehe ich ein paar Hütten, Strommasten und sogar eine Art Straße, allerdings hat sie niemand für mich freigeräumt, na sowas. Naja, ich bin auf dem richtigen Kurs - und, noch wichtiger, nicht länger im Nirgendwo verschollen. Das gibt mir richtig Auftrieb.
Mein Weg führt mich hinab zu einer Piste, die aus einem Tunnel herauskommt. Ich folge diesem Weg eine Weile und biege später linkerhand wieder steil bergauf ab. Hier -endlich! -gut erkennbare Markierungen. Die Piste selber führt auf die Staumauer des Langavatnet zu.
Ziemlich beflügelt laufe ich noch bis zum Øykjabattvatnet, bevor mich die anbrechende Dunkelheit zum Lagersuchen animiert. Die Küche kredenzt Nudeln al Dente an einer Tomatensahnesoße, dazu wird Pfefferminztee gereicht.
Es ist nicht der beste Lagerplatz, den ich da habe; nachts rutsche ich immer wieder von der Matte, weil mein Zelt ziemliche Schräglage hat. Aber ein bisschen Aufpolstern mit Jacke und Zeltsack schaffen Abhilfe.
10.08. (… äh, Østerbø... dann weiter zur Steinbergdalshytta)
Der Øykjabattvatnet liegt am Katlahaug und geht außerdem nahtlos in den Katlavatnet über. Ich verliere mich in nostalgische Gedanken an das wunderschöne Buch „die Brüder Löwenherz“ (das böse Viech Katla, gell?). Passend zu den Kindheitserinnerungen wandelt sich die Schnee-und-Nebelhölle langsam, aber beständig in eine schöne grünbewachsene Berggegend: es geht aufs Aurlandsdalen zu, der Winter weicht.
Mein Weg führt mich durch ein langgezogenes Tal, das irgendwie kein Ende nehmen will. Unten rauscht ein schmelzwasserschwangerer Fluß entlang. Nochmal wird es grüner, die Schneeflecken nehmen weiter ab und dann liegt der Nesbøvatnet vor mir. Toll, jetzt muss ich an den Autor meines Schmökers denken. Das scheint eine Art Litera-Tour zu werden.
Der Himmel reißt auf, die Sonne erhellt die Landschaft und meine Laune steigt. Irgendwo bimmelt ein Glöckchen; ich sehe die ersten, aber nicht die letzten Schafe auf dieser Tour. Sie wandern im Gänsemarsch, wie auf einer Schnur gezogen am Hang entlang.
Ich muss eine Weile einer Straße folgen und stehe schließlich vor einem Fluß. Ich will nicht furten! Zu kalt!!!
Also wandere ich hin und her, suche nach einer geeigneten von-Stein-zu-Stein-Hüpf-Möglichkeit, finde aber keine. Na denn, Schuhe und Socken aus und die Crocs angezogen. Das eisige Wasser beschert mir einen schmerzhaften Krampf in den zarten Füßen und ich hüpfe in Rekordzeit zum anderen Ufer. Nach einem Weilchen barfußlaufen sind die Muskeln wieder warm und funktionsfähig und ich ziehe mir die Stumpen wieder über.
Ich passiere Østerbø, ohne Rast einzulegen. Bin eh nicht der große Pausenmensch. Wenn ich einmal in die Gänge gekommen bin, fällt es mir schwer, anzuhalten und den Rucksack abzuwerfen. Lieber mampfe ich meinen Müsliriegel im Weitergehen. Als Unterwegs-Zwischenmahlzeit habe ich auf dieser Tour übrigens Schoko-Paranuss-Müsliriegel richtig liebgewonnen; die sind nicht so süß und geben gut Antrieb.
Jetzt ist der Weg sehr angenehm. Er führt mich oberhalb des breiten Flußtals in Richtung Süd-Osten. Unter mir sehe ich die Straße dicht am Ufer entlanglaufen, begleitet von Strommasten. Aus dem Fluß wird ein See und dann wieder ein Fluß.

Die Gegend wird langsam wieder karger und steiniger, das Grün bleibt hinter mir zurück.
Zur Steinbergdalshytta führt eine kleine Piste von der Straße bergan. Bald biegt auch die Straße ab und führt auf die andere Seite des Tals.

Ich laufe noch eine gute Weile weiter, bevor ich etwas bergan kraxle und mir oberhalb des Driftaskar einen netten Platz an einem Bachlauf suche, der sich kopfüber ins Tal stürzt.
Für die Zeltplatzsuche nehme ich mir eigentlich immer viel Zeit, zuviel manchmal. Könnte es da drüben nicht besser sein? Oder doch lieber dort oben... ?
Mein Kocher schmurgelt mir Penne mit Käse-Sahnesauce und spendiert zum Nachtisch einen heißen Chai-Tee, begleitet von einem Erdnussriegel.
Das Geräusch des Wasserfalls lässt mich immer an die A40 denken - offenbar bin ich noch nicht so ganz in Norwegen angekommen. Dennoch schlafe ich wie ein Murmeltier.
11.08. Zur Geiterygghytta
Die Geiterygghytta ist jetzt nicht mehr weit und ich beschließe, einen kleinen Abstecher zu machen, um nicht schon gegen Mittag in die Hütte zu fallen. Heute ist es warm und trocken; am Himmel wechseln sich Sonne und Wolken ab. Alles ist gut.


Ich verlasse also meine Route, schlage einen Bogen um den Bolhvd und steige mal wieder bergan.
Die Aussicht ist großartig, auch wenn es immer wieder tiefe Schneefelder zu queren gibt und der Nordhang des Berges komplett in weiß gehüllt ist.
Meine tolle Idee bringt mich allerdings bald in die Bredouille: vor mir geht es nahezu senkrecht bergab.
Umkehren? Schnickschnack.
Ich glaube, eine gute Abstiegsmöglichkeit ausgemacht zu haben, eine Art Treppe für Riesen, und klettere über mannshohe Felsen und viel Geröll dorthin.
Was von weitem gut aussah, entpuppt sich aus der Nähe als schlechte Idee. Jede der „Stufen“ ist mehrere Meter hoch und dank diverser glitschiger und schräger Flächen prädestiniert für Knochenbrüche. Mit meinem drölfzig-Kilo-Rucksack ist ein Runterklettern an dieser Stelle nicht drin. Was macht die kluge Frau? Richtig, sie schickt den Rucksack voraus. Schön laaangsam - Stufe für Stufe und dann immer hinterherklettern.
Das geht eine Weile gut, dann rutscht mir der schwere Rucksack aus den Händen und schlägt mit Rommbomms zwei Mannslängen tiefer auf Stein auf - natürlich mit der Kameratasche zuerst.
Aber die ist ja ordentlich gepolstert...
Denkste.
Beim Überprüfen muss ich feststellen, dass die Verriegelung, die das Teleobjektiv am Body verankert, abgebrochen ist. Das Objektiv hält nicht mehr.
Ich verfluche mich und meine „Umwege“ und kraxle grummelnd weiter bergab. Immer wieder muss ich über mannshohes Geröll klettern oder Bögen schlagen und mir einen anderen Weg suchen.
Ein Stück weiter unten finde ich einen moosbedeckten Rentierschädel. Noch jemand, der einen kreativen Umweg gehen wollte.
Es hat schon seinen Grund, dass hier keine Route langführt, liebe Frau.
Bald darauf treffe ich wieder auf die Route nach Geiterygghytta. Unten im Tal sehe ich den großen Vestredalsvatnet; die begleitende Straße verschwindet im Berg und führt unsichtbar durch den langen Geiteryggtunnelen ins Jenseits.
Der weitere Weg führt relativ bequem langsam bergab, sieht man mal vom knöcheltiefen Schlamm ab, dann treffe ich auf eine Schotterpiste. Strommasten begleiten meinen weiteren Weg. Bald passiere ich einen Wegweiser und eine Hängebrücke, die den Beginn der direkten Route nach Hallingskeid markiert - warum habe ich eigentlich nicht diesen Weg genommen, statt tagelang durch Schnee und Nebel zu stapfen?
Zwei Tageswanderer, dem Gepäck nach zu urteilen, kommen mir entgegen und zwei Angler. Es ist früher Nachmittag oder später Mittag, keine Ahnung.
Die Hütte ist eine ziemlich große Full-Service-Hütte und gut frequentiert. Ich zähle auf Anhieb 15 Besucher. Für ein kuschliges Bett bin ich noch nicht verfroren genug, daher zahle ich nur für den Tagesbesuch und baue draußen mein Zelt nahe am Ufer auf, mißtrauisch beäugt von einer Schar Gänse.
Danach gönne ich mir erst eine großartige heiße Dusche (heiße Dusche ist toll!) und anschließend eine lecker Waffel mit Johannisbeermarmelade (frische warme Waffeln sind toll!).
Im Aufenthaltsraum am Kamin flicke ich dann das Teleobjektiv mit Ducktape wieder irgendwie an den Body (Ducktape ist auch toll!), heimlich beobachtet von einem älteren deutschen Pärchen, das sich vielsagende Blicke austauscht. Ich tu so, als wäre Ducktape an einer DSLR-Kamera ein modisches Must-have für jeden Hiker. Naja, schön ist anders, aber jedenfalls funktioniert's.
Als ich die warme Hütte verlasse, bereue ich kurzzeitig meinen Entschluß, die Nacht im Zelt verbringen zu wollen. Es fieselt fies und es ist eisekalt. Nach der Waffel habe ich keinen Hunger mehr auf Abendbrot.
Zum Trost gibt es ein bisschen Hörbuch-Hören auf dem iPod.
12.08. Geiterygghytta - Finse
Ich wache nach einer unruhigen Nacht viel zu grüh auf. Wahrscheinlich bin ich einfach zu früh schlafen gegangen.
Außerdem habe ich Hunger wie ein Bär. Es gibt Rührei (aus Volleipulver, tolle Erfindung) mit geschmackvollen Ingredienzen aus dem Dörromaten angereichert.
Heute ist das Wetter wieder schebbich (wie der Ruhrpöttler sagt): es nieselt, es schauert und kalt ist es sowieso.
Gegen halb neun breche ich auf. Der Himmel hat ein Einsehen und stellt die Berieselung ein. Es wird schnell wärmer und ich verstaue meine Wetterjacke im Rucksack.
Der Einstieg zur Route nach Finse ist etwas tricky; es gilt, brüchige, glatte Schneehaufen zu überklettern und angeschwollene Bäche zu queren. Da sind große Sprünge vonnöten.
Die Hytta verschwindet hinter mir und es geht auf grünem Pfad bergan.
Rechtsseitig liegt ein stiller See, doch bald biegt der Weg nach oben ab. Das erste steile Altschneefeld ist zu queren, dann kommt Geröll und ich sehe meine ersten Rentiere - genauer gesagt sind es zwei Rentierjunge, die sich offenbar einer kleinen Gruppe Schafe angeschlossen haben. Ich komme bis auf einen Meter an sie heran, bevor sie mit lustigen Bocksprüngen davonhüpfen.


Weiter geht es kräftezehrend steil bergauf über Schneefelder; der Schnee ist schwer, feucht und instabil und meine Beinmuskeln beginnen zu nörgeln.
Ein gutes Stück hinter mir stapft ein junger Mann in kompletter Bundeswehrmontur den Weg hinauf. Er tut sich schwer mit den Steigungen. Als ich eine ausgiebige Fotopause mache, überholt er mich mit unglücklichem Gesichtsausdruck.
Ich gehe weiter und begegne einer Schafmama mit zwei Jungtieren. Das kleinere der Jungen humpelt erbarmungswürdig, sein „Knie“ (das Vorderfußwurzelgelenk) ist dick angeschwollen und es hat Mühe, den Anschluß an seine Familie zu halten.
Ich habe auch meine Mühe; es geht ununterbrochen bergauf, immer schön durch den pappigen Schnee. Teilweise eine echt sportliche Herausforderung, die ich mit einer ordentlichen Portion Trotz meistere.
Auf 1646 Metern, vor dem Sankt Pål, ist endlich der höchste Punkt dieser Etappe erreicht. Es eröffnet sich ein beeindruckender Ausblick über endlos weite Schneeflächen bis hin zum Hardangerjøkulen am Horizont.

Ab jetzt ist der Weg Kindergeburtstag.
Mir kommen mehr und mehr Wanderer entgegen und mich beschleicht der Gedanke, dass die nicht ohne Grund die andere Laufrichtung gewählt haben. Der gesamte Weg ist sehr gut gekennzeichnet und auch sonst nicht zu übersehen, kein Vergleich zu dem einsamen Niemandsland der ersten Tage. Vor Finse wird der Pfad immer breiter, hin und wieder stoße ich auf Hinterlassenschaften von rücksichtslosen Vollpfosten: Plastikmüll, Zigarettenkippen.
Der Himmel reißt jetzt vollends auf und präsentiert sich strahlend blau, als ich gegen Mittag Finse erreiche. Das letzte Stück bergab zieht sich.
Unten noch schnell die Weggatter hinter mir schließen, die Gleise queren und dann stehe ich auch schon an der Station. Im Lädle des 1222 decke ich mich mit überteuertem Kleinkram ein: Tomatenmark, Mückenzeugs (mein in Oslo gekauftes Anti-Mückenzeug liegt offenbar noch immer im Anker Hostel; ich finde es jedenfalls nicht mehr wieder) und Schokokekse fürs Gemüt. Draußen ist es windig.
Als ich mich vor dem Laden noch mit zwei Norwegern unterhalte, trifft eben der Feldjäger im Bundeswehroutfit ein. Er sieht ziemlich durchgegart aus, hat aber trotzdem noch einen Gruß übrig.
Finse ist ausschließlich mit der Bahn oder per Pedes zu erreichen. Die Schotterpiste -der Rallarwegen- wird heute nur noch von Radtouristen genutzt und von Bahnarbeitern, die eine Genehmigung der NSB haben. Es gibt hier ein Museum, das die Geschichte des Rallarvegen und des Bahnbauprojektes irgendwann um 1800 erzählt und auch die damaligen Arbeits- und Lebensbedingungen anschaulich erläutert.
Der Ort ist irgendwie berühmt. In dem recht heruntergekommenen Hotel haben zahlreiche illustre Persönlichkeiten übernachtet, nicht zuletzt die Star Wars-Filmcrew, die auf dem Gletscher alle Schneeszenen aus The Empire Strikes Back gedreht hat. In der Nähe soll es außerdem Spuren früher Besiedlung geben, u.a. eine große Grube, die in frühgeschichtlicher Zeit zur Rentierjagd genutzt wurde.
Ich kaufe im Store außer den Leckerchen auch Trinkwasser in Flaschen; das Wasser aus dem See ist nur nach Abkochen trinkbar, dazu bin ich aber zu faul, außerdem muss ich mit meinem Gas haushalten.
Da an der Finsehytta das Zelten nicht gestattet ist, laufe ich Richtung Blåisen um den See herum und suche mir auf der anderen Seite ein lauschiges Plätzchen am Ufer, schön windgeschützt - was sich bald als dumme Idee erweist, denn sofort fallen Horden von Moskitos über mich her. Ich ziehe also flott um und stehe nun auf einer kleinen Anhöhe, wo mir ein frisches Lüftchen um die Ohren weht. Die Moskitos beeindruckt das leider nur periphär, genau wie das Mygg-Stopp. Die Viecher stechen einfach durch die Klamotten durch.
Im Innern meines Zeltes hocken die Biester auch bald zu Dutzenden (ach, was sag ich: zu Tausenden!) unterm Dach, weil ich wirklich nur ein Zehntelsekündchen das Moskitonetz offen gelassen habe, und ich muss erstmal kammerjägern.
In der Umgebung verteilt sind weitere Zelte aufgeschlagen und zwei Burschen übernachten unter freiem Himmel auf einer Steinplatte. Angesichts der kleinen rumschwirrenden Plagegeister hier sicher kein Vergnügen.
Am Seeufer weist ein Schild nochmals darauf hin, dass das Wasser abzukochen sei. Tatsächlich schwimmt ein leichter öliger Film auf dem Wasser.

Das Wetter ist jetzt großartig, mal abgesehen vom Wind. Ich mache große Wäsche. Die Klamotten trocknen flott und auch die Schuhe werden nach Tagen im Schnee endlich wieder komplett durchgetrocknet sein.
Da ich noch reichlich Tag zur Verfügung habe, beschließe ich, der Gletscherzunge Blåisen einen Besuch abzustatten.
Der Weg dorthin ist mit 1,5 Std. angegeben und semi-interessant. Es geht ordentlich bergauf und bergab, über Geröll, Gewässer und eine Hängebrücke, und wenn man denkt, hinterm nächsten Hügel isser aber jetzt, der Gletscher, dann kommt noch ein Hügel.

Aber dann stehe ich doch endlich davor.
Was für ein Moped!
Wie ein gewaltiger Wurm scheint sich der Gletscher über die Berge und talabwärts zu schieben. Ein bisschen schmuddlig sieht er aus, nicht so strahlend blau, wie ich dachte. Dicht unterhalb gleicht die Gegend einer Mondlandschaft, die Steine sind zermahlen und darunter hat das Schmelzwasser den Boden gut durchweicht, so dass ich immer wieder knöcheltief einsinke.
Oben auf dem Gletscher kraxelt eine Gruppe herum. Man kann hier in Finse einen Guide für solche Gletschertouren anheuern.
Ich mache Fotos und mich bald wieder auf den Rückweg. Unterwegs kommen mir viele Ausflügler in unterschiedlichster Staffierung entgegen - vom übergewichtigen, rotköpfigen Pärchen in Jeans bis zu energischen Damen mit Walkingstöcken und gelangweilten Jugendlichen in Turnschuhen ist alles vertreten.
Zurück auf meiner Finca brate ich mir Gemüsebratlinge, dazu gibt es Kartoffelpüree und eine Tomatensoße aus dem Finse-Store. Der Abend ist warm und friedlich und die Moskitos machen Pause.
Anschließend vermelde ich per Handy an meinen Männe, dass ich noch lebe und bisher keine Zehen verloren habe. Er ermahnt mich, Trollen und Hillbillies mit Kettensäge aus dem Weg zu gehen und ihm einen Lemming mitzubringen (???).
Ich überschlage meine bisherigen Laufzeiten und stelle fest, dass ich mit den auf der Karte angegebenen Laufzeiten sehr gut hinkomme, trotz des schweren Rucksackes auf dem Buckel. Das bedeutet, dass ich doch mehr Zeit zur Verfügung habe als gedacht. Das bedeutet auch, dass ich wieder lustige Abstecher machen kann.
Den Rest des Abends verbringe ich mit meinem Skizzenbuch, bevor ich zufrieden in mein Daunennest falle.
13.08. Finse - Rembesdalseter
In der Nacht zerrt der Wind ordentlich laut am Zelt herum, doch als ich nach draußen schaue, sehe ich einen wolkenlosen Sternenhimmel und die Luft ist überraschend lau.
Der nächste Morgen bietet bestes Kurze-Hosen-Wetter – die fliegenden Vampire warten auch schon auf mich. Ich frühstücke flott und packe noch flotter ein, bevor ich lebendigen Leibes ausgesaugt werde. In den nächsten Tagen würde ich allerdings langmütiger werden im Umgang mit den Myggs.
Erstmal geht’s wieder zurück nach Finse, wo ich meinen Müll entsorge, dann den Rallarwegen entlang nach Norden.
Das ist langweilig und zieht sich entsprechend. Am Wegrand haben Radler ihr Nachtlager aufgeschlagen.
Irgendwann überquere ich stillgelegte Gleise und folge dem Pfad, der mich zwischen verloren herumstehenden Hütten zur ersten Hängebrücke führt. Danach geht es langsam, aber stetig bergan.
Im Vorfeld habe ich gehört, dass diese Etappe nicht problemlos an einem Tag zu schaffen sei. Ich rechne also eine Zwischenübernachtung ein.
Weiter und weiter hoch geht es, abwechselnd über Schnee, Geröll und wieder Schnee. Dann passiere ich die Radiosendestation über mir und denke fröhlich, damit sei der dickste Drops gelutscht.

Weit hinten am Horizont kann ich jetzt den Hårteigen sehen.
Noch ein Stückchen weiter passiere ich ein Grüppchen Norweger, die sich auf den Felsen niedergelassen haben und ihre Schnittchen auspacken.
Die Sonne scheint wie der Deibel.
Jetzt geht es bergab zu einem wunderschönen Gletschersee, dessen glitzriges Blau so hypnotisierend ist, dass ich erstmal nur dastehe und staune. Drumherum liegt strahlend weißer Schnee und lässt die Farben umso mehr leuchten. Dazu der blaue Himmel – perfekt!


Der See begleitet mich noch eine Weile, während ich durch eine angenehm moosgrüne, irgendwie landschaftsparkähnliche Umgebung lustwandle. Wieder öffnet die Sicht auf noch mehr Gletscherblau und Weiß und Silberglitzer und ich mache tausend Fotos,
Ein Frauenduo kommt mir entgegen. Die junge Frau wird mir später wieder begegnen, wenn sie mich überholt und im Sauseschritt mit Daypack den Weg wieder zurück läuft, um am Horizont zu entschwinden. Die spinnen, die Norweger :-)
Weiter und weiter bergauf, über Schnee, Schnee und Schnee, während die Sonne ordentlich Sommer macht. Das schreit nach einem Energieriegel.
Endlich hat das Bergauf ein Ende und der weitere Weg führt durch ein schmales grünes Tal bergab. Ich habe das Gefühl, durch ein geheimnisvolles Portal nach Irland gebeamt worden zu sein. Neben dem Pfad rauscht ein Flüßchen talabwärts. Am Steilhang bimmeln Schafsglöckchen und dann taucht linkerhand auch noch ein verdammt idyllischer See auf. Könnte auch das Auenland sein. Ich hadere mit mir, ob ich nicht hier mein Lager aufschlagen soll, und entscheide mich dagegen.
Nach einer Weile öffnet sich ein grandioser Ausdblick in Richtung Süden und hinab in ein schroffes Tal, von dem ich noch nicht weiß, dass dort unten mein Ziel liegt.


Der Weg ins Tal runter ist nicht von schlechten Eltern. Unten geht’s scharf links, garniert mit einem schönen Seeblick. Dann kommt ein weiterer Abstieg, der es wirklich in sich hat, und ich danke den Göttern meiner Wahl fürs trockene Wetter und der Erfindung der Trekkingstöcke. Bei Nässe wäre der Abstieg mit einem dicken Rückengepäck sicher eine fiese Sache. Aber auch so rechne ich jeden Augenblick mit einem langgezogenem „Aaargh!“, gefolgt vom scharfen Knack eines brechenden Knöchels. Ich knicke zwar tatsächlich zweimal um, jedoch ohne Folgen.
Es geht gefühlte fünf Stunden über Geröll und Wackelgestein, aber endlich ist das Seeufer erreicht und hinterm nächsten Hügel liegt auch die Hütte Rembesdalseter.
Der See liegt recht eingequetscht zwischen hoch aufragenden Berghängen, man könnte glatt klaustrophobisch werden. Lediglich im Süden öffnet sich ein schmaler Einschnitt zum Simadalen und von dort zum Eidfjord.
Über mir ist die Gletscherzunge zu sehen.
Auf der Hütte ist neben der Wartin ein deutsches Studententrio untergebracht, die mir ihr viertes freies Bett in der Stube anbieten.

Aber ich bevorzuge doch meine Dackelgarage, die ich weiter oben im Wind aufbaue, wegen der Moskitos. Denen ist das aber schnuppe.
In der Küche schmurgle ich mit Nudeln mit Spinat und Frischkäse und plaudere noch ein Weilchen mit den anderen.
Entgegen aller Voraussagen fand ich diese Etappe übrigens nicht so heftig wie befürchtet. Ich habe insgesamt etwa 9 Stunden gebraucht.
Dann die übliche Katzenwäsche am Bach und danach die freudige Entdeckung, dass es im Talkessel Handyempfang gibt. Mein Daheimgebliebener freut sich über mein Lebenszeichen. Während wir telefonieren, steigt dichter Nebel aus dem Wasser und dem Simadalen auf und hüllt die Hütte unter mir vollkommen ein, alldieweil die Sonne glutrot hinter den Bergen verschwindet. Ich muss spontan an „Nebel des Grauens“ denken. Mein Männe auch. „Flieh, solange du noch kannst“, sagt er, „Nein, warte mal: Darf ich dein MacBook erben?“
Am nächsten Tag erfahre ich, dass sich dieser Nebel auch mal tagelang hält und den Hikern dann gründlich die Laune vermiest.

14.08. Rembesdalseter – Liseth
Der Tag beginnt überaus sonnig.
Ich habe wie ein Stein geschlafen und bin früh wach – eine gute Gelegenheit für ein opulentes Frühstück in Form von Rührei und Früchtemüsli. Die Hüttenwartin leistet mir Gesellschaft. Sie ist seit zwei Tagen hier und wird in 12 Tagen abgelöst. Sie hatte schon befürchtet, zwei Wochen im Nebeldunst festzusitzen.
Mein Zelt ist außen patschnass und auch der Schlafsack hat Kondens gezogen. Ich nehme alles auseinander und lasse es in der Sonne trocknen.
Nachdem das Bezahlen erledigt ist, liegen die Studenten und ich noch faul in der Sonne rum, chillen und reden. Die drei haben den Hardangerjøkulen auf der Ostseite umrundet und gehen jetzt nach Finse weiter, wobei sie für jede Etappe zwei Tage eingeplant haben.
Dann trennen sich unsere Weg. Für mich geht es weiter nach Litlos, zunächst über einen krubbeligen Pfad am Seeufer.
Der anschließende Aufsteig auf der anderen Seite ist nicht sehr spaßig. Es geht über glatte Felsplatten hoch, am Wasserfall entlang und mit einigen Klettereinlagen, wobei mein Rucksack mich hartnäckig talabwärts zieht. Ich muss höllisch aufpassen, nicht hintüber zu kippen. Bei Regen wäre ich hier wohl nur mit viel Glück und Saugnäpfen statt Händen hochgekommen. Aber irgendwann hat auch diese interessante Kraxelei ein Ende.
Nach zwei Hängebrücken passiere ich die Abzweigung nach Kjeldebu, die ich links liegen lasse. Ich habe für die Kletterpartie gut anderthalb Stunden benötigt.

Die Gletscherzunge bleibt unter mir zurück, es geht sanft bergab und ich genieße den warmen, sonnigen Tag. Dann plötzlich öffnet sich der Blick auf den Fjord und das tiefe, tiefe Simadalen. Es geht rechterhand etwa 1000 Meter bergab. Ich staune über die mächtigen Felswände, die das schmale Tal eindrücken. Ganz weit hinten funkelt das Wasser des Fjords blaßblau. Einfach nur schön!


Zurückblickend sehe ich den Rembesdalsvatnet, der aufgrund der Gletscherbewegungen einst das Simadalen überflutet und eine Katastrophe ausgelöst hat, wenn ich mich recht erinnere.
Mir kommt ein Norweger mit kurzen Hosen und Gamaschen entgegen. Letztere trägt er nicht ohne Grund, wie ich bald feststellen werde.
Bald lasse ich das Tal hinter mir und linkerhand taucht ein See auf, bestückt mit kleinen Inseln auf denen Nadelbäume stehen. Aha, Baumgrenze in greifbarer Nähe. Am See kann ich auch die verlassene Farm Loken erkennen. Es geht bergab.
Jetzt wird es richtig schlammig. Auf dem Pfad sinke ich bis zum Knöchel ein, also suche ich mir Umwege und Hüpfesteine. Die Sonne brutzelt fröhlich und ausdauernd herab und meine Laune ist trotz der Schlammschlacht gut - bis mir schwant dass, wer in ein Tal hinabsteigt, dort irgendwann auch wieder hinausklettern muss. Ich blicke voraus und nach oben und überlege, dass garantiert niemand so blöde, dort eine Route anzulegen.
Denkste.
Die nächsten zwei denkwürdigen Stunden rutscht der moddrige Untergrund nebst Geröll immer wieder unter meinen Schuhen davon. Es ist unglaublich anstrengend und langwierig, dort hinauf zu kommen. Ich suche mir ständig Umwege, um nicht als Schlammlawine wieder dort anzukommen, von wo ich gestartet bin. Und die blöden Moskitos kribbeln und sirren überall herum und mobben mich, dass es nur seine Bewandtnis hat.

Als ich ein Jahrhundert später oben ankomme und die Plackerei schon fast vergessen habe, fällt mir auf, dass ich irgendwo unterwegs meine Sportbrille verloren habe.
Für heute reichts mir und ich schlage nach einer Weile mein Zelt in einer friedlichen grünen Senke voller kleiner Seen auf.
Weils so sommerlich ist, gönne ich mir ein Bad im kühlen Wasser, immer schön umschwirrt von einer blutdurstigen Wolke.
Danach wird der Bärenhunger mit Linseneintopf bekämpft. Während ich esse, rummst es zweimal laut und hallend durch das Simadalen. Klingt wie eine Explosion.
Abends beginnt es leicht zu regnen.

15.08 Richtung Liseth und weiter nach Kjeldebu
Die kleinen Seen liegen frühmorgens mit grauer, gekräuselter Oberfläche unter dem wolkenverhangenen Himmel; es ist windig. Ich spüre heute die Strapazen des gestrigen Aufstieges ziemlich deutlich in den Oberschenkeln.

Aus den Bergen ist erneut lautes Rummsen zu hören. Lawinen? Niesende Trolle?
Der weitere Weg ist unspektakulär und angenehm.
An einem See, an dessem Ufer ein kleine Holzhütte liegt, folge ich blind dem recht deutlichen Pfad. Es dauert eine Weile, bis wieder Steinmännchen auftauchen, allerdings fehlt ihnen das rote „T“. Ein Blick auf die Karte zeigt mir, dass ich irgendeiner alten Route folge, die irgendwo im Nirgendwo enden wird. Der Vetle Ishaug sollte eigentlich links von mir liegen, nicht rechts. Also wieder zurück, marsch-marsch.
Am Abzweig entdecke ich einen Steinmann, der mich in die richtige Richtung leitet. Wie hatte ich den bloß übersehen können?
Der Irrweg hat mich viel Zeit gekostet, aber davon habe ich ja genug.
Im weiten Bogen geht es um den Vetle Ishaug herum und dann kann ich auch schon Fossli sehen.
Ab jetzt geht es eine Ewigkeit lang bergab und bergab, mal ist es sumpfig, aber das schöne Wetter und einige ausgelegte Planken halten die befürchtete Schlammschlacht in Grenzen.

Die ersten Birken -kleine krüpplige Bodenkriecher- tauchen auf. Die Luft duftet nach Kräutern und Blumen und überall surren Insekten herum.
Endlich kommen mir auch wieder Menschen entgegen. Schließlich lande ich in einer Siedlung voller hübscher Holzhäuschen und stehe etwas orientierungslos herum.
Der Tag ist noch lang, daher geht’s erst mal zu den Vossingfällen. Das Hotel Fossli liegt oberhalb des Wasserfalls und ist deutlich ausgeschildert. Eine echte Touristenfalle! Im Viertelstundentakt werden dort knipsende Horden in Bussen angeliefert oder wieder weggekarrt. Die Touristen machen Fotos von mir und meiner Schrankwand auf dem Rücken.
Wenn man den Wasserfall hinabschaut, kann man tief unten im Tal eine klitzekleine Hängebrücke sehen und einen strichschmalen Pfad, der bis nahe an den Wasserfall heranführt.
Auf der sonnigen Hotelterrasse gönne ich mir das teuerste Bier meines Lebens. Umgerechnet fast 10,-€ (in Worten: zehn!!!). Wenigstens ist es gut gekühlt. Ich überschlage die bisher geschaffte Strecke und die Tage, die mir noch bleiben, stelle fest, dass ich ordentlich Zeit habe und beschließe, einen Abstecher in den Osten der Vidda zu machen. Bei der Tourvorbereitung habe ich die angegebenen norwegischen Gehzeiten brav mal 1,5 oder sogar mal 2 genommen, aber tatsächlich komme ich mit den „original“ Gehzeiten sehr gut zurecht, trotz des vollen Rucksackes.
Anschließend lasse ich mein Gepäck an der Rezeption zurück und unternehme einen Abstecher hinunter zum Wasserfall.
Von einer gesperrten Straße führt ein Pfad erst durch Gebüsch, dann über ein Geröllfeld bis zum Fluß herab. Man quert die Brücke und spürt schon die neblige Gischt auf der Haut. Der Pfad endet etwa 100 Meter vor dem Wasserfall. Die Sonne kommt nicht bis hierhin und die Steine sind ziemlich glitschig, aber ohne Gepäck ist das Ganze ein Kinderspiel.
Danach geht’s weiter zum Pensjonat Liseth, das ich umrunde und dem Pfad Richtung Kjeldebu folge. Ein schöner Weg, wenn auch ziemlich moddrig. Es geht nebem dem Fluß durch ein lichtes Wäldchen; rechts und links wachsen Farne, Lichtnelken, Eisenhut, Butterblumen und anderes Blühzeugs. Ich passiere einige hübsche Hüttchen, dann bleiben Birken und Nadelbäume hinter mir zurück und es wird wieder felsig.

Oben angekommen treffe ich auf zwei Norweger, die sich auf ein kleines Schwätzchen freuen. Die Freude ist ganz meinerseits, also lassen wir uns zu einer kleinen Pause auf warmem Stein nieder. Die beiden sind ziemlich überrascht, als sie erfahren, dass ich 3 Wochen allein durch die Gegend stromere. Die nächsten Kilometer, sagen sie außerdem, sei nicht mit Wasser zu rechnen, daher fülle ich schnell noch meine Buddel.
Es geht danach durch sommerliches Hochland, und endlich sehe ich auch meinen ersten Lemming. Er ist platt und ziemlich tot, der Arme. Man könnte ihn glatt als Briefmarke verwenden...


Beim Sysenvatnet suche ich mir wieder ein hübsches Plätzchen an einem Bach. Trotz des stetigen Windzuges muss ich mich an dieser Stelle mit der fiesesten und heftigsten Moskitoinvasion der gesamten Tour herumplagen. Irgendwo habe ich gelesen, man solle die Viecher saugen lassen, da sie dann auch wieder das juckige Anti-Gerinnungsgift wieder einsaugen, das sie einem zuvor injizieren. Aber die Stiche sind schon recht schmerzhaft und ich schlage instinktiv zu, sobald die Biester ihren Rüssel in die Haut pieksen.
Der Himmel ist wolkenlos und ich vermisse meine Sonnenbrille.
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