Tourentyp | |
Lat | |
Lon | |
Mitreisende | |
[CL] Die südlichste Trekkingtour der Welt
Mein Telefonjoker keucht angestrengt in den Hörer und lässt sich Frage und die vier Antworten zum nunmehr dritten (!) Mal vorlesen. Dann sind die dreißig Sekunden um. Ich bin so schlau wie vorher, das heißt: ich habe keine Ahnung!
Günther Jauch sagt: „Sie haben keine Ahnung.“ (Lieber Herr Jauch: Das hätte ich auch so gemerkt!) „Wollen Sie nicht lieber aufhören?“ (Will ich nicht!)
„Nein. Ich nehme Antwort A.“
Antwort A wird eingeloggt. Das ist schlicht geraten. Günther Jauch macht eine theatralische Pause, schaut ins Publikum zu meiner Frau, die unter der persönlichen Kamera und der Anspannung ins Schwitzen geraten ist.
„Die richtige Antwort ist C.“
Ich falle von 64.000 Euro auf 16.000 Euro runter. Für einen kurzen Moment habe ich schlechte Laune, zucke mit den Schultern und meine: „Das ist schon o.k.“
Die BILD-Zeitung titelt am Tag nach der Ausstrahlung: „Kandidat verzockt 48.000 Euro!“ So kann man es natürlich auch sehen, aber für mich sind es 16.000 Euro, die ich gewonnen habe. 8.000 Euro spende ich an die S.O.S.-Kinderdörfer sowie eine gemeinnützige Organisation aus meinen Stadtviertel, die anderen 8.000 Euro bewahre ich für meinen Traum auf – eine Reise nach Feuerland.
***
Fünf Jahre später, erster Weihnachtsfeiertag 2016. Es fühlt sich merkwürdig an, die Kinder genau an Weihnachten allein zu lassen, aber Oma und Opa werden sich perfekt um sie kümmern.
Der Wind treibt die Wolken von Osten über den Beagle-Kanal, aber die Wolkengrenze liegt heute ein paar hundert Meter höher. Zumindest die Sicht wird gut sein. Vor uns ragen steil die Dientes (=Zähne) de Navarino in den Himmel. Von der unbefestigten Piste führt ein schmaler Weg ab, der uns direkt zu den Bergen bringt. Als wir einbiegen sage ich: „Das ist nun definitiv das Ende der Zivilisation“.
Hinter uns liegt Puerto Williams, das südlichste Dorf der Welt, und vor uns liegt die südlichste Trekkingtour der Welt, wie der Rother-Wanderführer titelt. Natürlich mag man südlicher, in der Antarktis, noch Trekkingtouren machen – diese hätten aber Expeditions-Charakter –, natürlich mag man einige Kilometer auf den Wollastan-Inseln mit dem Zelt zum Kap Hoorn unterwegs sein – die Größe der einzelnen Inseln dürfte aber kaum mehr als zweitätige Touren erlauben – und insofern ist der Titel berechtigt.
Als der Weg auf die steile Flanke des vorgeschobenen Berges trifft, weist ein kleiner Wegweiser in die dichten, abseits des Pfades undurchdringlichen Wälder aus windschiefen Südbuchen. In Serpentinen schlängelt wir uns den steilen Anstieg nach oben. Schon nach wenigen Metern sind wir außer Atem. Der Besitzer des Outdoorladens in Puerto Williams (welcher außerdem noch als der Fahrer des Hotels arbeitet und vermutlich noch ein bis zwei weitere Jobs hat), hat uns bereits darauf hingewiesen, dass die Tour äußerst strapaziös ist. Abgesehen von dem Hin- und Rückweg über Pisten von ca. 12 Kilometern hat die eigentliche Tour in den Bergen eine Länge von etwa 42 Kilometer; die – von ihm vermutlich selbstgebastelte – Karte gibt für die Wegstrecke vier Tage an. Vier Tage! Das entspricht einem Schnitt von 1,5 bis 2 Kilometern pro Stunde. Als wir uns mit den noch nicht einmal übermäßig schweren Rucksäcken den Steilhang heraufarbeiten, beginnen wir zu ahnen, dass das nicht untertrieben ist.
Südbuchen-Urwälder:
Starker Wind und dunkle Wolken über dem Beagle-Kanal:
Nach zwei Stunde erreichen wir die Baumgrenze, die hier, in den Ausläufern der Südanden (nichts Anderes sind die Dientes de Navarino), wie mit dem Rasiermesser gezogen auf etwa 600 Metern verläuft. Unterhalb der Gipfel sehen wir noch einige Schneefelder. Über ein Geröllfeld steigen wir auf den breiten Bergrücken. Der Pfad ist schon nicht mehr zu sehen. Ab jetzt geht es fast durchgängig weglos weiter. Orientierung geben nur die hin und wieder aufgestellten Steinmännchen und die Peilung mit dem GPS.
Wir gehen einige Zeit über die Geröllfelder, die den Bergrücken bedecken, dann fällt der Weg an einem Einschnitt im Berg auf die Flanke ab und verläuft von da an immer etwas oberhalb der Baumgrenze. Der Berg fällt zu unserer rechten Seite steil ab. Nicht steil genug, um sich bei einem Sturz ernsthaft zu verletzen, aber doch genug, um bei einer Rutschpartie über den Geröllhang trekking-untauglich zu werden.
Langsam rücken die anderen Berge näher. Die Wolken steigen und geben einen Blick auf das System der Steilwände, Kartäler und der mäandernden Bäche frei, die sich in den Tälern von Karsee zu Karsee ziehen. Weit und breit ist nichts von menschlicher Zivilisation zu sehen und der Blick auf die Karte bestätigt, dass dies keine Illusion ist.
An einer besonders steilen Stelle, an welcher die fast senkrecht von den Gletschern abgeschliffenen Felsen weit in den Geröllhang hineinragen, bekommen wir eine erste Kostprobe der kommenden Tage. Der hier im Geröll erkennbare Pfad windet sich um eine Gruppe verkrüppelter Südbuchen, um nach Überwindung eines Felsvorsprunges – ich ziehe den Rucksack aus, klettere vor und hieve die von Claudia anreichten Rucksäcke zu mir herauf – wieder auf die alte Weghöhe zu kommen.
Oberhalb der Baumgrenze ins Herz der Dientes:
Rast im Geröllhang:
EDIT (12.03.20167): Es geht weiter.
Am Ende des Bergrückens geht es vom Colle Bandera über einen Geröllhang steil nach unten. Nach einigen Metern merkte ich, wie die Belastung auf die Knie geht. Ich versuche die Trekkingstöcke auszufahren, aber die Schraube bekommt keinen Halt. Nur bei einem der beiden Stöcke habe ich Erfolg. Claudia hat sich hingegen die Stöcke ihres Vaters für die Tour mitgenommen. Nach dessen Vornamen heißen die Stöcke Don Uwe und Don Dietmar. Vorsichtig arbeiten wir uns nach unten bis zur Laguna del Salto. Ein französisches Paar überholt uns.
Rund um die Laguna del Salto ist alles grün und vor windstill. Ein ganz anderes Gefühl als nur 200 Höhenmeter weiter oben. Wir nutzen dies für eine ausgedehnte Rast und einen Teller Instantsuppe. Am Ende des Sees erwarten uns Steilhänge. Zum Glück können wir die Franzosen und ein anderes Paar beobachten, wie sie sich parallel zu einem kaskadenartigen Wasserfall den Steilpfad hocharbeiten. Der Weg ist extrem beschwerlich, aber die 100 Höhenmeter auf den Passo Primero sind dafür umso schneller erreicht. Hier haben wir erstmals einen direkten Blick auf die Hauptkette der Dientes de Navarino: steile, von Wetter und Eis zu Eckzähnen geschliffene Felsspitzen. Der nur anhand der Steinmänner zu vermutende Pfad läuft über Geröllfelder durch mehrere stufenartige aufgereihte Kartröge. Wir erreichen den zweiten Pass, den Passo Argentino. Vor uns fällt der Fels steil nach unten zu einem weiteren Karsee ab. Der Pfad, hier anhand der ausgetretenen Geröllbereiche erkennbar, verläuft einige Dutzend Meter oberhalb des Sees zum schon erkennbaren Passo de los Dientes, der nicht viel mehr ist als eine Scharte zwischen zwei Felswänden.
Ich habe meine Höhenangst in den letzten Jahren halbwegs ablegen können. Es geht zwar zur Linken steil abfallend nach unten, aber nicht senkrecht. Nach einigen Metern blicke ich nach hinten. Claudia steht da und kann nicht mehr weiter. Zwei Kinder im Hotel, eine steile Wand rechts und einen Abgrund links neben sich und vor ihr nur ein schmaler Pfad. Angst. Ich gehe zurück, beruhige sie, frage, ob wir umkehren sollen. Sie verneint, also: durch! (Ich erzähle ihr, dass man bei einem Sturz einfach mit den Händen in das Geröllfeld greifen soll. Das ist zwar theoretisch richtig, schließt aber natürlich bei einem Sturz eine schwere Verletzung nicht aus.) Sie beißt die Zähne zusammen und wir stehen überraschend bald auf dem Passo de los Dientes.
Vom Pass eröffnet sich der Blick auf den Südteil der Isla Navarino.
„Schau mal“, rufe ich.
„Ja, ein schöner Blick“, meint Claudia.
„Nein. Dahinter: die Wollastan-Inseln und Kap Hoorn.“
Wir haben tatsächlich außerordentliches Glück, Die Wollastan-Inseln sind nur von wenigen Ecken der Dientes zu sehen (vom Beagle-Kanal aus gar nicht) und liegen meistens in den Wolken. Da stehen wir und blicken fassungslos und glücklich auf das etwa 80 Kilometer entfernte Kap Hoorn, das sich am Ende der Inselgruppe erahnen lässt.
Wir steigen noch einige Höhenmeter zu einem kleinen Karsee ab, der Laguna del Picacho. Die anderen beiden Paare sind schon da und bauen gerade ihre Zelte auf. Wir finden noch einen ebenen Platz auf dem steinigen Untergrund und befestigen die Heringe mit großen Steinen. Das Wetter schlägt gerade um und der Wind pfeift vom Passo Argentino wie durch einen Windkanal herunter. Die Temperatur liegt nur knapp über dem Gefrierpunkt. Wir verspeisen die übel schmeckende Türennahrung, die aus dem Supermarkt in Ushuaia stammt. Seit diesem Mahl weiß ich die (europäische) Trekkingnahrung zu schätzen. Beim Einschlafen rüttelt der Wind heftig am Zelt.
Deshalb heißen die Berge Colle de Dientes (=Zähne):
Blick auf die Scharte „Passe de los Dientes“ – der Pfad verläuft unterhalb des dunklen Felsbandes:
Blick vom Passo de los Dientes, am See links unser Nachtlager, im Hintergrund die Wollastan-Inseln:
Die Wollastan-Inseln, an deren Südseite Kap Hoorn liegt:
Mein Telefonjoker keucht angestrengt in den Hörer und lässt sich Frage und die vier Antworten zum nunmehr dritten (!) Mal vorlesen. Dann sind die dreißig Sekunden um. Ich bin so schlau wie vorher, das heißt: ich habe keine Ahnung!
Günther Jauch sagt: „Sie haben keine Ahnung.“ (Lieber Herr Jauch: Das hätte ich auch so gemerkt!) „Wollen Sie nicht lieber aufhören?“ (Will ich nicht!)
„Nein. Ich nehme Antwort A.“
Antwort A wird eingeloggt. Das ist schlicht geraten. Günther Jauch macht eine theatralische Pause, schaut ins Publikum zu meiner Frau, die unter der persönlichen Kamera und der Anspannung ins Schwitzen geraten ist.
„Die richtige Antwort ist C.“
Ich falle von 64.000 Euro auf 16.000 Euro runter. Für einen kurzen Moment habe ich schlechte Laune, zucke mit den Schultern und meine: „Das ist schon o.k.“
Die BILD-Zeitung titelt am Tag nach der Ausstrahlung: „Kandidat verzockt 48.000 Euro!“ So kann man es natürlich auch sehen, aber für mich sind es 16.000 Euro, die ich gewonnen habe. 8.000 Euro spende ich an die S.O.S.-Kinderdörfer sowie eine gemeinnützige Organisation aus meinen Stadtviertel, die anderen 8.000 Euro bewahre ich für meinen Traum auf – eine Reise nach Feuerland.
***
Fünf Jahre später, erster Weihnachtsfeiertag 2016. Es fühlt sich merkwürdig an, die Kinder genau an Weihnachten allein zu lassen, aber Oma und Opa werden sich perfekt um sie kümmern.
Der Wind treibt die Wolken von Osten über den Beagle-Kanal, aber die Wolkengrenze liegt heute ein paar hundert Meter höher. Zumindest die Sicht wird gut sein. Vor uns ragen steil die Dientes (=Zähne) de Navarino in den Himmel. Von der unbefestigten Piste führt ein schmaler Weg ab, der uns direkt zu den Bergen bringt. Als wir einbiegen sage ich: „Das ist nun definitiv das Ende der Zivilisation“.
Hinter uns liegt Puerto Williams, das südlichste Dorf der Welt, und vor uns liegt die südlichste Trekkingtour der Welt, wie der Rother-Wanderführer titelt. Natürlich mag man südlicher, in der Antarktis, noch Trekkingtouren machen – diese hätten aber Expeditions-Charakter –, natürlich mag man einige Kilometer auf den Wollastan-Inseln mit dem Zelt zum Kap Hoorn unterwegs sein – die Größe der einzelnen Inseln dürfte aber kaum mehr als zweitätige Touren erlauben – und insofern ist der Titel berechtigt.
Als der Weg auf die steile Flanke des vorgeschobenen Berges trifft, weist ein kleiner Wegweiser in die dichten, abseits des Pfades undurchdringlichen Wälder aus windschiefen Südbuchen. In Serpentinen schlängelt wir uns den steilen Anstieg nach oben. Schon nach wenigen Metern sind wir außer Atem. Der Besitzer des Outdoorladens in Puerto Williams (welcher außerdem noch als der Fahrer des Hotels arbeitet und vermutlich noch ein bis zwei weitere Jobs hat), hat uns bereits darauf hingewiesen, dass die Tour äußerst strapaziös ist. Abgesehen von dem Hin- und Rückweg über Pisten von ca. 12 Kilometern hat die eigentliche Tour in den Bergen eine Länge von etwa 42 Kilometer; die – von ihm vermutlich selbstgebastelte – Karte gibt für die Wegstrecke vier Tage an. Vier Tage! Das entspricht einem Schnitt von 1,5 bis 2 Kilometern pro Stunde. Als wir uns mit den noch nicht einmal übermäßig schweren Rucksäcken den Steilhang heraufarbeiten, beginnen wir zu ahnen, dass das nicht untertrieben ist.
Südbuchen-Urwälder:
Starker Wind und dunkle Wolken über dem Beagle-Kanal:
Nach zwei Stunde erreichen wir die Baumgrenze, die hier, in den Ausläufern der Südanden (nichts Anderes sind die Dientes de Navarino), wie mit dem Rasiermesser gezogen auf etwa 600 Metern verläuft. Unterhalb der Gipfel sehen wir noch einige Schneefelder. Über ein Geröllfeld steigen wir auf den breiten Bergrücken. Der Pfad ist schon nicht mehr zu sehen. Ab jetzt geht es fast durchgängig weglos weiter. Orientierung geben nur die hin und wieder aufgestellten Steinmännchen und die Peilung mit dem GPS.
Wir gehen einige Zeit über die Geröllfelder, die den Bergrücken bedecken, dann fällt der Weg an einem Einschnitt im Berg auf die Flanke ab und verläuft von da an immer etwas oberhalb der Baumgrenze. Der Berg fällt zu unserer rechten Seite steil ab. Nicht steil genug, um sich bei einem Sturz ernsthaft zu verletzen, aber doch genug, um bei einer Rutschpartie über den Geröllhang trekking-untauglich zu werden.
Langsam rücken die anderen Berge näher. Die Wolken steigen und geben einen Blick auf das System der Steilwände, Kartäler und der mäandernden Bäche frei, die sich in den Tälern von Karsee zu Karsee ziehen. Weit und breit ist nichts von menschlicher Zivilisation zu sehen und der Blick auf die Karte bestätigt, dass dies keine Illusion ist.
An einer besonders steilen Stelle, an welcher die fast senkrecht von den Gletschern abgeschliffenen Felsen weit in den Geröllhang hineinragen, bekommen wir eine erste Kostprobe der kommenden Tage. Der hier im Geröll erkennbare Pfad windet sich um eine Gruppe verkrüppelter Südbuchen, um nach Überwindung eines Felsvorsprunges – ich ziehe den Rucksack aus, klettere vor und hieve die von Claudia anreichten Rucksäcke zu mir herauf – wieder auf die alte Weghöhe zu kommen.
Oberhalb der Baumgrenze ins Herz der Dientes:
Rast im Geröllhang:
EDIT (12.03.20167): Es geht weiter.
Am Ende des Bergrückens geht es vom Colle Bandera über einen Geröllhang steil nach unten. Nach einigen Metern merkte ich, wie die Belastung auf die Knie geht. Ich versuche die Trekkingstöcke auszufahren, aber die Schraube bekommt keinen Halt. Nur bei einem der beiden Stöcke habe ich Erfolg. Claudia hat sich hingegen die Stöcke ihres Vaters für die Tour mitgenommen. Nach dessen Vornamen heißen die Stöcke Don Uwe und Don Dietmar. Vorsichtig arbeiten wir uns nach unten bis zur Laguna del Salto. Ein französisches Paar überholt uns.
Rund um die Laguna del Salto ist alles grün und vor windstill. Ein ganz anderes Gefühl als nur 200 Höhenmeter weiter oben. Wir nutzen dies für eine ausgedehnte Rast und einen Teller Instantsuppe. Am Ende des Sees erwarten uns Steilhänge. Zum Glück können wir die Franzosen und ein anderes Paar beobachten, wie sie sich parallel zu einem kaskadenartigen Wasserfall den Steilpfad hocharbeiten. Der Weg ist extrem beschwerlich, aber die 100 Höhenmeter auf den Passo Primero sind dafür umso schneller erreicht. Hier haben wir erstmals einen direkten Blick auf die Hauptkette der Dientes de Navarino: steile, von Wetter und Eis zu Eckzähnen geschliffene Felsspitzen. Der nur anhand der Steinmänner zu vermutende Pfad läuft über Geröllfelder durch mehrere stufenartige aufgereihte Kartröge. Wir erreichen den zweiten Pass, den Passo Argentino. Vor uns fällt der Fels steil nach unten zu einem weiteren Karsee ab. Der Pfad, hier anhand der ausgetretenen Geröllbereiche erkennbar, verläuft einige Dutzend Meter oberhalb des Sees zum schon erkennbaren Passo de los Dientes, der nicht viel mehr ist als eine Scharte zwischen zwei Felswänden.
Ich habe meine Höhenangst in den letzten Jahren halbwegs ablegen können. Es geht zwar zur Linken steil abfallend nach unten, aber nicht senkrecht. Nach einigen Metern blicke ich nach hinten. Claudia steht da und kann nicht mehr weiter. Zwei Kinder im Hotel, eine steile Wand rechts und einen Abgrund links neben sich und vor ihr nur ein schmaler Pfad. Angst. Ich gehe zurück, beruhige sie, frage, ob wir umkehren sollen. Sie verneint, also: durch! (Ich erzähle ihr, dass man bei einem Sturz einfach mit den Händen in das Geröllfeld greifen soll. Das ist zwar theoretisch richtig, schließt aber natürlich bei einem Sturz eine schwere Verletzung nicht aus.) Sie beißt die Zähne zusammen und wir stehen überraschend bald auf dem Passo de los Dientes.
Vom Pass eröffnet sich der Blick auf den Südteil der Isla Navarino.
„Schau mal“, rufe ich.
„Ja, ein schöner Blick“, meint Claudia.
„Nein. Dahinter: die Wollastan-Inseln und Kap Hoorn.“
Wir haben tatsächlich außerordentliches Glück, Die Wollastan-Inseln sind nur von wenigen Ecken der Dientes zu sehen (vom Beagle-Kanal aus gar nicht) und liegen meistens in den Wolken. Da stehen wir und blicken fassungslos und glücklich auf das etwa 80 Kilometer entfernte Kap Hoorn, das sich am Ende der Inselgruppe erahnen lässt.
Wir steigen noch einige Höhenmeter zu einem kleinen Karsee ab, der Laguna del Picacho. Die anderen beiden Paare sind schon da und bauen gerade ihre Zelte auf. Wir finden noch einen ebenen Platz auf dem steinigen Untergrund und befestigen die Heringe mit großen Steinen. Das Wetter schlägt gerade um und der Wind pfeift vom Passo Argentino wie durch einen Windkanal herunter. Die Temperatur liegt nur knapp über dem Gefrierpunkt. Wir verspeisen die übel schmeckende Türennahrung, die aus dem Supermarkt in Ushuaia stammt. Seit diesem Mahl weiß ich die (europäische) Trekkingnahrung zu schätzen. Beim Einschlafen rüttelt der Wind heftig am Zelt.
Deshalb heißen die Berge Colle de Dientes (=Zähne):
Blick auf die Scharte „Passe de los Dientes“ – der Pfad verläuft unterhalb des dunklen Felsbandes:
Blick vom Passo de los Dientes, am See links unser Nachtlager, im Hintergrund die Wollastan-Inseln:
Die Wollastan-Inseln, an deren Südseite Kap Hoorn liegt:
Kommentar