Tourentyp | |
Lat | |
Lon | |
Mitreisende | |
Meru Arusha Nationalpark National Park Tanzania Tansania Trekking Hiking Wandern Berge Mountains

Allerlei Gedanken vor, während und nach meiner Besteigung des Meru im Jahr 2016. Man macht ja vieles falsch im Leben, aber man kann es – oft jedenfalls – auch wieder korrigieren. Und so erwies ich dem Berg Meru, einem 4566m hohen Vulkan in Afrika, die Ehre...
Wie euer Autor zu dem Schluß kam, einem Irrtum erlegen zu sein. Den Berg Meru im Dezember 2013 buchstäblich links gelassen zu haben, war wohl ein Fehler meinerseits. Damals plante ich eine Besteigung des Kilimanjaro (meinen Bericht davon findet ihr hier), und zur Vorbereitung darauf standen zwei Haupt-Optionen zur Wahl: entweder den Meru besteigen oder eine Wanderung durch die Usambaraberge machen. Ich entschied mich schließlich für letzteres (und meinen Bericht davon findet ihr hier). Später fragte ich mich dann, ob das vielleicht eine falsche Entscheidung gewesen war. Die Zweifel wurden genährt, als ich auf die Homepage „Walkopedia“ schaute. Dort wird eine Besteigung des Meru als einer der zwanzig weltbesten „Walks“ aufgeführt. Der Kilimanjaro hingegen „schafft es“ noch nicht einmal unter die Top 100. Den Bewertern der Walkopedia war offensichtlich bewußt, daß diese Diskrepanz bei vielen Lesern ein Stirnrunzeln hervorrufen würde, und so haben sie gleich proaktiv erklärt: „Widrigkeiten auf dem Weg sowie die Möglichkeit, sich nachher mit der Besteigung zu brüsten, gehören nicht zu den Bewertungskriterien“. – Hmmm, dachte ich, als ich das las; da ist eigentlich etwas dran; vielleicht habe ich dem Meru ja sozusagen Unrecht getan, indem ich ihn irrtümlicherweise unterbewertet und vernachlässigt habe. Ich sollte ihm wohl irgendwie Abbitte leisten... Dann kam der Januar 2016, ich reiste wieder einmal beruflich nach Afrika, und wie immer packte ich auch meine Trekkingsachen in den Koffer. Für alle Fälle... Und der „Fall“ kam dann auch Ende Februar: ich konnte ein paar Tage frei nehmen und ein langes Wochenende für eine Besteigung des Berges Meru einplanen. Davon berichte ich nun im folgenden. Wie meistens, streue ich auch ein paar nachdenkliche Betrachtungen ein über das, was ich rechts und links des Weges sah und unter meinen Füßen spürte.
Kleiner Überblick und kurze Einführung. Der Meru ist ein Vulkan in der Nachbarschaft des Rift Valley. Vulkane gibt es dort ja relativ reichlich. Mit rund 5900m Höhe ist der derzeit höchste davon der Kilimanjaro. Der Elgon mag in geologischer Vorzeit noch höher gewesen sein (mehr davon an anderer Stelle). Der Meru ist deutlich niedriger, „nur“ 4566m hoch, und liegt west-südwestlich des Kilimanjaro, wie ihr auf folgendem Satellitenbild seht:

Die Tansanier bezeichnen ihn gerne als fünfthöchsten Berg Afrikas (nach Kilimanjaro, Kenia, Ruwenzori, und Mawenzi), aber wenn man den Mawenzi (einen Nebengipfel des Kilimanjaro) separat aufführen will, dann sollte man auch die zahlreichen Nebengipfel des Ruwenzori-Massivs separat auflisten, und dann ist der Meru auf einmal nur noch der zehnthöchste oder so. Mit solchen Haarspaltereien darf sich beschäftigen, wer will; auf jeden Fall ist der Meru nur 70m niedriger als der Monte Rosa (4634m), also immer noch ein schöner Brocken. Er ist der dritthöchste freistehende Berg Afrikas (nach Kilimanjaro und Kenia, wie sich denken läßt). Von dem Vulkan fehlt jetzt allerdings die östliche Hälfte: die ist in einer gewaltigen Explosion zerstört worden, was laut Wikipedia vor etwa achttausend Jahren geschah, in geologischen Maßstäben also „gerade erst kürzlich“. So sieht man heute nur noch die westliche Hälfte des seinerzeitigen Berges in einer Art von Hufeisenform (und hat damit auch eine herrlich unbehinderte Sicht vom Meru-Gipfel nach Osten).
Es ist eine schöne und recht beliebte Wanderung auf den Meru, allerdings natürlich kein Kinderspiel, technisch sogar etwas anspruchsvoller als der Weg auf den Kilimanjaro. So findet ihr in diesem Bericht auch noch ein paar Hinweise für „Nachahmer“.
Euer Autor begibt sich zunächst an einen Ort am halben Weg zwischen Kapstadt und Kairo. Wer auf den Meru will, muß sich zunächst in die Stadt Arusha begeben. Von Dar es Salaam kann man dafür den Expressbus benutzen; das dauert einen ganzen Tag, und wenn man lebend ankommt, hat man Glück gehabt. Ich nahm das Flugzeug. Irgendwo in Arusha steht ein Wegweiser, der die Entfernungen nach Kairo und Kapstadt anzeigt. Die Zahlen sind fast genau gleich. Die Bewohner der Stadt sehen sich also gerne irgendwie als den Mittelpunkt von Afrika, aber das ist in gewisser Weise ein Irrtum. Wenn man die Luftlinie von Kapstadt nach Kairo betrachtet, dann liegt ihr Mittelpunkt irgendwo im östlichen Kongo. Cecil Rhodes, berühmt-berüchtigter britischer Kolonialist (und wohl auch Rassist), Vater der Vision „Africa British from Cape to Cairo“ hatte sich wohl vorgestellt, daß man einmal eine Eisenbahnlinie zwischen diesen beiden Punkten bauen würde, und diese sollte natürlich eher durch das ostafrikanische Hochland führen als durch die Urwälder des Kongo. Der Halfway-Point einer solchen Eisenbahnlinie wäre dann in der Tat Arusha gewesen. Aber inzwischen ist alles anders, und Cecil Rhodes ist ins Zwielicht geraten (wie ihr z. B. hier nachlesen könnt). Heutzutage ist Arusha der Sitz der Organisation „East African Community“ und hat eine traurige Bekanntheit dadurch erlangt, daß hier das Tribunal zum Völkermord von Ruanda stattfand. Mittlerweile ist das aber alles Geschichte, und Arusha ist eine afrikanische Großstadt wie viele andere. Sie hat, wie das ganze sie umgebende Hochland, ein sehr angenehmes Klima: tags warm, mitunter auch sonnig-heiß, aber abends und nachts angenehm kühl. In Arusha verbrachte ich eine Nacht vor Beginn der Tour an sich (und – um es vorwegzunehmen – auch eine weitere vor meinem Rückflug nach Dar es Salaam).
Anfahrt und Anmarsch – zwei Tage insgesamt. Von Arusha fuhr ich zunächst mit meiner Begleittruppe (Saladin, der Bergführer, Amani, der Koch, und Meluah, ein Träger) im Jeep in den Arusha-Nationalpark. Das dauerte schon zwei Stunden.
Fotos aus dem Arusha-Nationalpark habt ihr wohl alle schon einmal gesehen, aber wahrscheinlich ohne es zu realisieren: die schönen Bilder von einem Elefanten oder einer Giraffe mit dem Kilimanjaro im Hintergrund, die sind alle im Arusha-Nationalpark aufgenommen. Als Junge dachte ich anfänglich, das wäre die Serengeti, aber das war ein Irrtum: die Serengeti ist viel zu weit entfernt, als daß man von dort den Kilimanjaro sehen könnte.
Während der Anfahrt bemerkte ich, daß meine Wüstenstiefel ihre Sohlen verloren. Die Stiefel stammten von der gleichen Firma M***, die sich gerne als „Edelhersteller“ versteht, deren Produkt aber schon im Herbst im Bhutan kläglich versagt hatte. Zum Glück hatte ich noch ein Paar Zustiegschuhe einer anderen Marke im Gepäck, und mit denen machte ich dann die gesamte Tour.
Auf der Anfahrt durch den Nationalpark zum Startpunkt des Marsches sahen wir eine Truppe von Pavianen an der Straße:

Solches ist in Afrika nichts Besonderes, das sieht man relativ oft, auch entlang großer Überlandstraßen. Paviane halten sich ja tagsüber bevorzugt auf dem Boden auf und klettern erst abends auf Bäume, zum Schutz vor Freßfeinden. So kann man ohne Schwierigkeit „Porträts“ wie diese schießen:

Großen Seltenheitswert hat es aber, eine Truppe von Colobus-Affen auf dem Boden zu sehen. Ich hatte dieses Glück:

Colobus-Affen halten sich fast nur in den Baumkronen auf und kommen praktisch nie herunter, denn sie decken sogar ihren Wasserbedarf aus dem Verzehr junger, saftiger Blätter und Schößlinge dort oben. Nur wenn sie – so wie hier – gerade einmal eine Straßenschneise überqueren wollen, müssen sie auf den Boden kommen. Als sie unser Auto herannahen sahen, flüchteten sie allerdings ziemlich schnell, und ich konnte gerade eben noch dieses (zugegebenermaßen technisch nicht perfekte) Foto schießen:

Dann erreichten wir das Momella Gate, Endpunkt der Autofahrt und Startpunkt des Aufstiegs. Von hier an werden die Wanderer von einem bewaffneten Ranger begleitet, zum Schutz vor den einzigen Tieren, die hier potenziell gefährlich werden können: Kaffernbüffeln, die in der Tat zahlreich im Wald umherstreifen. Aus Effizienz-Überlegungen heraus versucht die Nationalpark-Verwaltung, mehrere kleinere Wander-Gruppen zu einer größeren zusammenzulegen, und so wurde auch die nur aus mir bestehende „Gruppe“ zusammengelegt mit einer „Gruppe“ von zwei jungen Österreicherinnen und einer Gruppe von noch vier anderen. Wir waren dann also insgesamt sieben Gäste. Bis das alles auf die Schiene gesetzt war, hatten wir bereits ein Uhr mittag. Dies ist nicht gerade die bevorzugte Aufbruchszeit für den echten Bergwanderer, aber was kann man machen...
Der Meru zeigte sich beim Abmarsch von besagtem Momella Gate, welches auf etwa 1500m Höhe liegt, also rund 3000m unter dem Gipfel, wie folgt:

Vor dem Abmarsch wurden wir darauf hingewiesen, daß es bis zur ersten Hütte, der Miriakamba Hut, zwei Wege gäbe: einen längeren (etwa sechs Stunden Gehzeit) und einen kürzeren (etwa drei Stunden), und wir wurden gefragt, welchen wir gehen wollten. „Den längeren“ riefen alle im Chor, denn es wollte ja keine/r wie ein Waschlappen aussehen. Drei Tage später, am Ende der ganzen Tour, kam ich aber zu dem Schluß, daß diese Entscheidung wohl ein Fehler war, denn der kürzere Weg ist meiner Meinung nach viel schöner (mehr davon siehe unten).
Auf dem folgenden Bild seht ihr unsere Marschroute (von www.opentopomap.org):

Wir gingen erst einmal stundenlang eine Schotterstraße entlang. Davon war ich nicht gerade begeistert, und ich schenke es mir, euch Fotos davon zu zeigen. Gerade als sich in mir der Gedanke verdichtete „Was ist denn das für eine Sch...?“, sagte unser Ranger auch plötzlich „Sch...“, aber er meinte damit etwas ganz anderes: in einer Waldlichtung war eine Gruppe von Giraffen zu sehen:

Es waren alles Bullen, und sie waren auch gar nicht scheu, sondern hatten klar realisiert, daß ihnen von den Wandereren keine Gefahr droht:

Kurz danach erreichten wir den „Fig Tree Arch“. Aus Nordamerika kennen wir Fotos, wo eine Straße durch einen Baum hindurch führt, und ich dachte, so etwas gäbe es nur dort. Das war allerdings ein Irrtum, wie ihr seht.

Natürlich muß man hier Erinnerungsfotos machen:

Dann ging es weiter, immer der Straße nach, und wir erreichten einen „Wasserfall“, den ich allerdings mehr als „Wasserfällchen“ empfand:

Da habe ich schon Eindrucksvolleres gesehen.
Naja, schließlich erreichten wir in der Abenddämmerung die Miriakamba Hut. Sie liegt etwa 2500m hoch. Saladin erklärte mir unterwegs: „Miria“ bedeutet „Seil“ und „Kamba“ bedeutet „Holz“. Das „hölzerne Seil“ ist eine Anspielung auf die dicken Luftwurzeln, die manche Urwaldbäume bilden: zunächst ist es nur ein dünner Faden, der von einem Ast herunter auf den Boden wächst; wenn er aber einmal Wurzel geschlagen hat, wird er armdick und noch dicker.
Die Miriakamba Hut überraschte mich mit ihrem Komfort; beinahe Alpenvereins-Standard, also ganz anders als die Hütten, die ich am Elgon kennengelernt hatte. So konnte ich im Nachhinein auch verstehen, warum mir Saladin versichert hatte, das Mitnehmen meiner eigenen Luftmatratze sei absolut unnötig. Auf den Hütten am Meru gibt es komfortable, abschließbare Zimmer, jedes mit zwei Stockbetten, und jedes Bett hat eine 10cm dicke Schaumstoff-Matratze. Ich hatte mit einem viel primitiverem Standard gerechnet, aber das war ein Irrtum meinerseits gewesen.
Ein weiterer Irrtum war, daß ich geglaubt hatte, wir würden auf der Hütte nur bescheiden essen. In Wahrheit wurden wir zum Abendessen recht luxuriös bekocht (jede der drei Gruppen für sich), und dann verzogen wir uns ohne längere Diskussion zur Nachtruhe.
Am kommenden Morgen war ich als erster auf den Beinen, in der Morgendämmerung, knapp nach sechs Uhr. Die anderen schliefen noch; das war allerdings ein Fehler, denn so verpaßten sie die morgendlich-klare Sicht auf den Kilimanjaro:

Wenig später beleuchtete die aufgehende Sonne den Gipfel und die Ostwand des Meru:

Vor der Ostwand, im Inneren des Kraters, und auf diesem Bild noch unbeleuchtet, seht ihr den Aschekegel, der sich um das derzeit aktive „Ventil“ des Vulkans herum aufgebaut hat.
Durch die Bäume brach das Morgenlicht, ein Anblick, der mich immer wieder fasziniert:

Dann war es Zeit für das Frühstück, zu dem auch die anderen mittlerweile erwacht waren. Die Sonne hatte nun das gesamte Gelände der Hütte bzw. des Hüttenkomplexes erreicht. Hier seht ihr einige Gebäude davon.

Im Vordergrund der Schädel eines Kaffernbüffels, den irgendjemand irgendwann irgendwo im Wald gefunden hat. Solche Schädel sind keine Seltenheit.
Dann begann der zweite Tag des Aufstiegs. Er sollte uns zur Saddle Hut führen. Diese liegt auf dem Sattel zwischen dem Hauptgipfel des Meru und einem Nebengipfel, der Little Meru genannt wird (etwa 3800m hoch). Es ist ein gut angelegter Weg, wie ihr hier seht:

An den Bäumen hingen die in dieser Höhe üblichen Flechten. Das habe ich zwar schon viele Male gesehen, aber es sieht doch immer wieder schön aus:

„Wir nennen das den Bart alter Männer“ erklärte mir Saladin. – „Ja“ antwortete ich, „das sagt man auf der ganzen Welt“. – Da war er etwas verdutzt. Er hatte wohl geglaubt, ich hätte solche Flechten noch nie gesehen, aber das war natürlich ein Irrtum.
Vor uns sahen wir die Ostwand des Meru; sieht fast aus wie in den Alpen, nicht wahr?

Wenn wir uns hin und wieder umdrehten, zeigte sich der Kilimanjaro, an jenem Tag ziemlich klar und unverstellt:

Im Bildmittelgrund die Ebene von Momella.
Natürlich wurde mit zunehmender Höhe der Wald immer lichter und niedriger. In einem Bereich, wo der Wald nur noch so niedrig ist wie in den Alpen die Latschenkieferbestände, hatte es einen großflächigen Waldbrand gegeben, und alles war verkohlt. Hier waren wir dann auch in der Höhenlage, wo die Kniphofia wachsen (auf Englisch „Red Hot Poker“). Viele davon sind allerdings eindeutig gelb und nicht rot; ich gehe davon aus, daß dies eine andere Spezies der gleichen Familie ist; denn ich kann mir nicht recht vorstellen daß es dort oben Kniphofia-Züchter gibt wie Rosenzüchter in einer deutschen Schrebergartenkolonie:

Durch das Fotografieren dieser Kniphofia war ich etwas zurück geblieben, und noch bevor ich wieder ganz aufgeholt hatte, blieben sie vorne schon wieder stehen und wirkten sehr interessiert an irgendetwas. Ich kam näher und sah, daß eine der beiden Österreicherinnen zwei Chamäleons entdeckt hatte. Das eine hatte – wie es sich für ein anständiges Chamäleon gehört – seine Hautfarbe der Umgebung (einigen abgestorbenen, grau-braunen Ästen) angepaßt und war dadurch praktisch unsichtbar geworden. Das andere hatte solches aus irgendeinem Grunde aber nicht zustande gebracht und leuchtete herrlich grün:

Über diesen Fehler des Chamäleons hätte sich jeder Bussard oder ähnliche Raubvogel sehr gefreut, es war aber zufällig (und zum Glück für das Chamäleon) gerade keiner in Sichtweite.
So errreichten wir kurz nach Mittag die Saddle Hut. Auch sie ist recht komfortabel und von viel höherem Standard, als ich erwartet hatte. Ich setzte mich gemütlich hin, blinzelte in die Sonne und stellte mir vor, ich sei in den Alpen. Aus solchem Irrtum wurde ich aber aufgeschreckt, als plötzlich ein Pavian genau vor mir über die Wiese rannte – dergleichen kommt in den Alpen ja nicht so häufig vor.
Wir alle hatten am Morgen geglaubt, wir könnten nachmittags noch den Little Meru besteigen (im Prinzip hätten wir die schlappen 300m Höhenunterschied wohl auch in einer Stunde geschafft), aber das war ein Fehler; denn ein starker und mehrstündiger Regen machte uns einen dicken Strich durch diese Rechnung, und wir verbrachten die Zeit bis zum Abendessen stattdessen ur mit Herumsitzen / Herumhängen / Herumliegen in den verschiedenen Gebäuden der Saddle Hut.
Das Abendessen fand ziemlich früh statt, denn es war angesagt, daß wir nach einigen wenigen Stunden Schlaf um Mitternacht noch einmal rasch essen und gleich danach zum Gipfel aufbrechen sollten.
Ein Gipfelsturm in unerwartet wörtlichem Sinne. So kam es auch. Vor dem Abmarsch drängten die Führer ihre Gäste noch dazu, sich wirklich warm anzuziehen, am besten mit mehreren Jacken übereinander, dicken Hosen, Unterhosen und Gamaschen. Ich hingegen hielt solches für einen Fehler, widersetzte mich deswegen solchem Drängen und sagte, daß ich mit solchen Höhenlagen vertraut bin und weiß, was ich brauche und was nicht. Ich hatte nur eine Garnitur von Thermal-Unterwäsche an, dazu eine dünne Fleeceweste über dem Hemd und eine regen- und winddichte Hardshelljacke sowie eine leichte Softshellhose. Ich dachte, das würde genügen, und damit lag ich auch total richtig. An Schuhwerk trug ich ein paar feste Zustiegschuhe, und auch das war völlig angemessen. Wenn man zum Schluß vor lauter Ausrüstung kaum noch laufen kann, bringt es auch nichts, ist meine Philosophie. So war ich auch nicht überrascht, als die relativ leicht ausgerüsteten Kameraden, einschließlich meiner Wenigkeit, letztendlich die Schnellsten waren.
Dann gingen wir los; es war etwa ein Uhr morgens. Der Wanderweg war zunächst ein sehr bequemer: schön eingeebnet und mit Drainagegraben an der Seite. Welch ein Luxus! Wir begannen im Schein der Stirnlampen, merkten aber bald, daß das ein Fehler war und es eigentlich besser war, ohne Stirnlampen im Mondlicht zu gehen, weil letzteres die Umgebung natürlich sehr gleichmäßig ausleuchtete, während die Stirnlampen einen Hell-Dunkel-Kontrast generierten, der eigentlich nur störte. Nach etwa einer Stunde erreichten wir eine Kuppe, die „Rhino Point“ genannt wird; ein Foto davon ist weiter unten in diesem kleinen Bericht.
Nach dem Rhino Point wurde der Weg ein klein wenig technisch: einen relativ steilen Felshang hinab (Alpingrad I bzw. F, würde ich sagen), wo Wanderer sich an einer fix angebrachten Kette festhalten können (was die meisten auch sehr gerne tun, vor allem während der Dunkelheit). Dann folgten rund drei Stunden weiterer Aufstieg durch Felsblöcke, und hier zog sich unsere Wandergruppe mehr und mehr auseinander. Der bewaffnete Ranger war hier nicht mehr dabei, und so waren die anfangs erwähnten drei Wandergruppen auch nicht mehr gehalten, zusammen zu bleiben. Mit großem Erstaunen hörte ich, wie Saladin – sicherlich ein braver Moslem – ein Weihnachtslied vor sich hin summte: „... and man will live forevermore because of Jesus Christ“. Bemerkenwert, daß ein Moslem so etwas summt, dachte ich, und es verstärkte meinen schon vorher bestehenden Eindruck, daß Moslems und Christen in Tansania zum größten Teil bemerkenswert friedlich nebeneinander und vielleicht sogar zusammen leben und der schlimme Fanatismus anderer Länder hier nicht anzutreffen ist. Vielleicht war es aber auch nur ein Irrtum von Saladin, diese Melodie zu summen, und er wußte gar nicht, welcher Text zu dieser Melodie gehört.
Unterwegs merkten wir, daß es recht windig war. Wer vorher nicht wußte, was „Windchill“ ist, der lernte es jetzt. Beim Abmarsch hatte die Temperatur noch deutlich über dem Gefrierpunkt gelegen, aber ab etwa 4000m Höhe mag es darunter gewesen sein. Immer wieder einmal verlief unser Weg auf dem Kraterrand, und weil man – wie ich schon sagte – einen unverstellten Blick nach Osten hat, sahen wir sehr schön die Morgendämmerung heraufziehen.

Um den Gipfel selbst zu erreichen, muß man aber – und DAS war mir vorher nicht klar gewesen – einen Schlenker machen und sich dem Gipfel von Westen her nähern. Auf diesem Westhang hatten wir natürlich keine Sicht auf die gerade aufgehende Sonne. Schade! Die beiden Österreicherinnen erreichten den Gipfel als erste, ganz kurz nach Sonnenaufgang; ich selbst folgte wenige Minuten später. Es war also ganz klar „der Tag der Österreicher“, denn auch 50% des Blutes in meinen Adern stammen aus Österreich. Hier nun der Blick hinunter:

Im Hintergrund seht ihr den Little Meru, der hier nur so hoch ausschaut, weil ich die Kamera nach unten gerichtet hatte; in Wirklichkeit ist er 750m niedriger als der Standpunkt des Fotografen. Rechts im Bild ist der Aschekegel, von dem ich oben sprach.
Die Vierergruppe (zwei Australier, eine Amerikanerin, ein Holländer) traf ca. 20 Minuten später ein, und wir gruppierten uns zum Foto des Triumphes:

Die beiden Österreicherinnen in der Mitte, links euer Autor mit seinem Bergführer Saladin.
Dann kam, logischerweise, der Abstieg, für den wir wieder die gleiche Route benutzten. Allerdings gab es einen gewaltigen Unterschied im Vergleich zum Aufstieg: mit Tagesanbruch hatte sich der schon in der Nacht spürbare Wind nochmals verstärkt, auf dem exponierten Kraterrand mit sehr starken Böen, die dem Begriff „Gipfelsturm“ eine ganz neue, ungeahnte, wörtliche Bedeutung verliehen. Wir wurden immer wieder aus dem Gleichgewicht geworfen, und der Sturm peitschte den vulkanischen Sand durch die Luft wie ein Sandstrahlgebläse. Nicht lustig, muß ich zugeben. Ohne dieses Sandstrahlgebläse hätte man an verschiedenen Stellen eine wunderbare Aussicht genießen (und fotografieren) können, aber so gab es nur ein Motto. „Nichts wie weg hier“. Gerade einmal ein einziges Foto konnte ich machen:

Nach etwa zwei Stunden hatte ich wieder den Rhino Point erreicht:

Weitere zwei Stunden später waren wir alle wieder in der Saddle Hut versammelt, und es gab Mittagessen. Der weitere Abstieg zur Miriakamba Hut verlief ohne besondere neue Erlebnisse; es war ja die gleiche Strecke. Der Ranger begleitete uns wieder. Hin und wieder sahen wir ein paar Colobus-Affen in den Kronen, aber eine Gelegenheit für ein akzeptables Foto ergab sich nicht. Am mittleren Nachmittag erreichten wir die Miriakamba Hut, und es stellte sich heraus, daß nur meine Agentur eine Übernachtung hier gebucht hatte. Alle anderen hatten die Besteigung des Meru als Drei-Tage-Tour gebucht und wollten also noch am gleichen Tag zurück zum Momella Gate und von dort nach Arusha. So trennten sich hier unsere Wege.
Allerdings war ich auf der Miriakamba Hut keineswegs allein. Eine große Wandergruppe, mehr als ein Dutzend Gäste, war vom Momella Gate her eingetroffen. Beim Abendessen ließen sie sich gerne von mir erzählen, wie es gewesen war und worauf sie achten sollten.
Gemütlicher Rückmarsch mit allerlei Betrachtungen. Ich genoß zunächst den sonnigen Morgen auf der Miriakamba Hut...

... und die Aussicht auf den Berg:

Mit großem Erstaunen sah ich, wieviel Gepäck besagte Wandergruppe mit sich führte: für jede Person eine riesige Tasche, bestimmt 100 Liter fassend (und das, wohlgemerkt, nur für eine einzige Übernachtung auf der Saddle Hut, ohne Zelt, Matratze, Kocher, und Essen!). Was die da alles drin haben mochten? Derartig viel Geraffel herum zu schleppen, ist doch wohl ein Fehler. Unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsplatzbeschaffung allerdings kann man das ja eigentlich nur gutheißen. Da verdienen sich einige Afrikaner eben ihr Geld damit, daß sie zig Kilogramm von (größtenteils unnötigem) Plunder auf die Saddle Hut tragen und gleich am folgenden Morgen wieder zurück.
Dann ging besagte Gruppe natürlich aufwärts, aber Saladin und ich gingen abwärts, begleitet von einem Ranger, der eigens unseretwegen gekommen war (denn der Ranger der vergangenen drei Tage war ja am Vortag mit den anderen sechs Gästen zurück gegangen). Wieder einmal war ich fasziniert, zu sehen, wie das Morgenlicht durch die Waldbäume brach:

Dann erreichten wir – schau, schau! – offenes Wiesengelände, wo das Wandern im Morgenlicht sich anfühlte wie das Wandern an einem herrlichen Sommertag in Mitteleuropa:


Hier merkte ich dann, daß es ein Fehler von uns allen am ersten Tag gewesen war, nicht diesen kürzeren und schöneren Weg zu gehen. Ich begann zu überlegen, warum wir denn auf solchem Wiesengelände wanderten, wo wir vor drei Tagen doch durch Wald gegangen waren. „Schau mal“, sagte ich zu Saladin, „der Untergrund hier sieht fast aus wie Beton, sehr fest, mit eingegossenen größeren und kleineren Steinen. Und der Mutterboden darauf ist nur ganz dünn, zu dünn, um das Gedeihen größerer Bäume zu ermöglichen. Ich glaube, wir bewegen uns hier auf einem alten Lahar. Weißt du, was ein Lahar ist?“ – „Nein.“ – „Lahar ist ein indonesisches Wort und bezeichnet eine Schlammlawine, die von einem Vulkan herunter ins Tal saust, mit unglaublicher Wucht, alles mit sich mitreißend, einschließlich Felsen und Steine aller Größen, bis das Material eben wieder liegen bleibt, wo das Gelände flacher ist. Nach ein paar hundert oder tausend Jahren verfestigt sich die Lawine, versteinert im wahrsten Sinne des Wortes, und das sieht dann eben aus wie alter Beton. Über so eine alte Schlammlawine gehen wir hier, meiner Meinung nach.“ – „Hmmm“, meinte Saladin, „kann gut sein“. Er hatte übrigens einige Grundkenntnisse der Geologie. So gingen wir eine Weile dahin. Etwas später, nicht zufällig nach Querung eines kleinen Baches, kamen wir aber wieder auf Gelände mit angenehmerem ´Tritt´, richtig schönen weichen Boden. „Und was haben wir jetzt hier?“ fragte ich, „wieso auf einmal, seit wir den Bach überquert haben, dieser schöne weiche Boden?“. – „Weiß nicht.“ – „Nun, ich denke, wir sind hier einfach auf viel älteren vulkanischen Ablagerungen, die schon viele tausend Jahre hier liegen und deshalb genug Zeit hatten, zu verwittern und diesen schönen Mutterboden zu bilden. Der ´Beton´ von vorhin war vielleicht erst ein paar hundert oder tausend Jahre alt.“ – „Ja, so muß es wohl sein“, meinte Saladin.
Übrigens können diejenigen (wenigen) der geneigten Leser/innen, die sich für solche Dinge interessieren, auf dem Satellitenbild sehen, daß die Wiesen am Osthang des Meru in der Tat eine langgestreckte Form haben. Im Gelände sieht man auch, daß diese Wiesen immer so eine gewisse Buckelform zeigen (siehe obige Fotos). Ich bin also ziemlich sicher: das sind fossile Lahare.
Nun aber zurück zu weniger wissenschaftlichen Dingen: über einige Bäche hat die Nationalparkverwaltung Brücken gebaut, damit es die Herrschaften Wanderer nur ja recht bequem haben. An einer solchen Brücke sahen wir diese wilde Bananenstaude:

Liebe Freunde, ich habe in den tropischen Wäldern im Laufe der Jahrzehnte Tausende von wilden Bananenstauden gesehen, aber so ein Riesending war noch nicht dabei. Jedes Blatt war – ohne Übertreibung – bestimmt vier Meter lang. Unglaublich!
Nun näherten wir uns immer mehr der Momella-Ebene. Aus dem Gebüsch heraus (mit unserem Ranger im Vordergrund) sahen wir eine Herde von Kaffernbüffeln in der Entfernung.

Dann führte mich Saladin auf einen kleinen Seitenweg und sagte: „Hier geht es zu einem schönen Wasserfall, an dem wir noch einmal rasten wollen, bevor die Tour zu Ende geht“. Natürlich folgte ich gerne seinem Rat, und hier seht ihr uns beide:

Dann schweiften meine Augen über die Hänge zu beiden Seiten des kleinen Tälchens, das der Bach gebildet hatte. Der rechte Hang sieht so aus:

Ihr seht ganz klar die verschiedenen Schichtungen aus Kieseln, die der Bach hier abgelagert hat.
Der linke Hang sieht allerdings ganz anders aus, nämlich so:

Hier erkenne ich nur Ansätze von Schichtungen oder irgendwelcher Ordnung. Es wirkt eigentlich alles ziemlich chaotisch.
„Siehst du diesen Unterschied?“ fragte ich Saladin. – „Ja, ich sehe ihn schon, aber was ist die Erklärung?“ – „Nun die Erklärung kann ja wohl nur sein, daß das chaotische Material wieder einmal ein alter Lahar ist, der den Bach damals an seinen Rand gedrängt hat, wo er nun fließt, diesen kleinen Wasserfall gebildet hat, und – auf der dem Lahar abgewandten Seite – die üblichen Sedimente von Kieseln angehäuft hat. Der Bach fließt genau an der Grenze des alten Lahar entlang.“ – Also, schon ganz interessant das alles...
So sitzend und rastend ließ ich die ganze Tour noch einmal Revue passieren. Es war schön gewesen, keine Frage. Ob diese Tour aber wirklich in die Top 20 der Welt gehört – wie Walkopedia behauptet – , daran habe ich doch erhebliche Zweifel. Sooo toll fand ich es auch wieder nicht. In der Kategorie „Human interest“ würde ich dem Meru glatt null Punkte geben, und auch beim Kriterium „Charisma“ finde ich die Wanderung auf den Meru nicht wirklich Weltspitze.
Dann aber gingen wir weiter, zurück in Richtung Momella Gate. Der Weg führte uns also in die Ebene. Der Ranger machte mich auf diese hübsche kleine Blüte aufmerksam:

„Jasmin“ sagte er. Ich weiß nicht, ob das stimmt.
Na, und zum guten Schluß begegneten wir noch einmal einer Giraffe. Sie beäugte uns interessiert und wohl auch ein wenig vorsichtig, aber nicht wirklich scheu oder gar verängstigt.

So konnte ich die Giraffe durch geschickten Standortwechsel meinerseits ohne weiteres in die gewünschte Foto-Position „dirigieren“. Hier seht ihr sie nun, mit dem Berg Meru im Hintergrund:

Prof. Grzimek hätte im Fernsehen vor 30 Jahren an dieser Stelle gesagt: „Und mit diesem Bild verabschieden wir uns für heute von Ihnen, verehrte Zuschauer, wünschen Ihnen noch einen schönen Abend und hoffen, Sie bei unserer nächsten Sendung wieder begrüßen zu dürfen.“
Wer aber glaubt, nun folge die Spätausgabe der Tagesschau, der ist im Irrtum. Hier folgt jetzt gar nichts mehr.
P.S. Wer diesen Bericht als PDF-Datei herunterladen möchte, klicke bitte hier
Allerlei Gedanken vor, während und nach meiner Besteigung des Meru im Jahr 2016. Man macht ja vieles falsch im Leben, aber man kann es – oft jedenfalls – auch wieder korrigieren. Und so erwies ich dem Berg Meru, einem 4566m hohen Vulkan in Afrika, die Ehre...
Wie euer Autor zu dem Schluß kam, einem Irrtum erlegen zu sein. Den Berg Meru im Dezember 2013 buchstäblich links gelassen zu haben, war wohl ein Fehler meinerseits. Damals plante ich eine Besteigung des Kilimanjaro (meinen Bericht davon findet ihr hier), und zur Vorbereitung darauf standen zwei Haupt-Optionen zur Wahl: entweder den Meru besteigen oder eine Wanderung durch die Usambaraberge machen. Ich entschied mich schließlich für letzteres (und meinen Bericht davon findet ihr hier). Später fragte ich mich dann, ob das vielleicht eine falsche Entscheidung gewesen war. Die Zweifel wurden genährt, als ich auf die Homepage „Walkopedia“ schaute. Dort wird eine Besteigung des Meru als einer der zwanzig weltbesten „Walks“ aufgeführt. Der Kilimanjaro hingegen „schafft es“ noch nicht einmal unter die Top 100. Den Bewertern der Walkopedia war offensichtlich bewußt, daß diese Diskrepanz bei vielen Lesern ein Stirnrunzeln hervorrufen würde, und so haben sie gleich proaktiv erklärt: „Widrigkeiten auf dem Weg sowie die Möglichkeit, sich nachher mit der Besteigung zu brüsten, gehören nicht zu den Bewertungskriterien“. – Hmmm, dachte ich, als ich das las; da ist eigentlich etwas dran; vielleicht habe ich dem Meru ja sozusagen Unrecht getan, indem ich ihn irrtümlicherweise unterbewertet und vernachlässigt habe. Ich sollte ihm wohl irgendwie Abbitte leisten... Dann kam der Januar 2016, ich reiste wieder einmal beruflich nach Afrika, und wie immer packte ich auch meine Trekkingsachen in den Koffer. Für alle Fälle... Und der „Fall“ kam dann auch Ende Februar: ich konnte ein paar Tage frei nehmen und ein langes Wochenende für eine Besteigung des Berges Meru einplanen. Davon berichte ich nun im folgenden. Wie meistens, streue ich auch ein paar nachdenkliche Betrachtungen ein über das, was ich rechts und links des Weges sah und unter meinen Füßen spürte.
Kleiner Überblick und kurze Einführung. Der Meru ist ein Vulkan in der Nachbarschaft des Rift Valley. Vulkane gibt es dort ja relativ reichlich. Mit rund 5900m Höhe ist der derzeit höchste davon der Kilimanjaro. Der Elgon mag in geologischer Vorzeit noch höher gewesen sein (mehr davon an anderer Stelle). Der Meru ist deutlich niedriger, „nur“ 4566m hoch, und liegt west-südwestlich des Kilimanjaro, wie ihr auf folgendem Satellitenbild seht:
Die Tansanier bezeichnen ihn gerne als fünfthöchsten Berg Afrikas (nach Kilimanjaro, Kenia, Ruwenzori, und Mawenzi), aber wenn man den Mawenzi (einen Nebengipfel des Kilimanjaro) separat aufführen will, dann sollte man auch die zahlreichen Nebengipfel des Ruwenzori-Massivs separat auflisten, und dann ist der Meru auf einmal nur noch der zehnthöchste oder so. Mit solchen Haarspaltereien darf sich beschäftigen, wer will; auf jeden Fall ist der Meru nur 70m niedriger als der Monte Rosa (4634m), also immer noch ein schöner Brocken. Er ist der dritthöchste freistehende Berg Afrikas (nach Kilimanjaro und Kenia, wie sich denken läßt). Von dem Vulkan fehlt jetzt allerdings die östliche Hälfte: die ist in einer gewaltigen Explosion zerstört worden, was laut Wikipedia vor etwa achttausend Jahren geschah, in geologischen Maßstäben also „gerade erst kürzlich“. So sieht man heute nur noch die westliche Hälfte des seinerzeitigen Berges in einer Art von Hufeisenform (und hat damit auch eine herrlich unbehinderte Sicht vom Meru-Gipfel nach Osten).
Es ist eine schöne und recht beliebte Wanderung auf den Meru, allerdings natürlich kein Kinderspiel, technisch sogar etwas anspruchsvoller als der Weg auf den Kilimanjaro. So findet ihr in diesem Bericht auch noch ein paar Hinweise für „Nachahmer“.
Euer Autor begibt sich zunächst an einen Ort am halben Weg zwischen Kapstadt und Kairo. Wer auf den Meru will, muß sich zunächst in die Stadt Arusha begeben. Von Dar es Salaam kann man dafür den Expressbus benutzen; das dauert einen ganzen Tag, und wenn man lebend ankommt, hat man Glück gehabt. Ich nahm das Flugzeug. Irgendwo in Arusha steht ein Wegweiser, der die Entfernungen nach Kairo und Kapstadt anzeigt. Die Zahlen sind fast genau gleich. Die Bewohner der Stadt sehen sich also gerne irgendwie als den Mittelpunkt von Afrika, aber das ist in gewisser Weise ein Irrtum. Wenn man die Luftlinie von Kapstadt nach Kairo betrachtet, dann liegt ihr Mittelpunkt irgendwo im östlichen Kongo. Cecil Rhodes, berühmt-berüchtigter britischer Kolonialist (und wohl auch Rassist), Vater der Vision „Africa British from Cape to Cairo“ hatte sich wohl vorgestellt, daß man einmal eine Eisenbahnlinie zwischen diesen beiden Punkten bauen würde, und diese sollte natürlich eher durch das ostafrikanische Hochland führen als durch die Urwälder des Kongo. Der Halfway-Point einer solchen Eisenbahnlinie wäre dann in der Tat Arusha gewesen. Aber inzwischen ist alles anders, und Cecil Rhodes ist ins Zwielicht geraten (wie ihr z. B. hier nachlesen könnt). Heutzutage ist Arusha der Sitz der Organisation „East African Community“ und hat eine traurige Bekanntheit dadurch erlangt, daß hier das Tribunal zum Völkermord von Ruanda stattfand. Mittlerweile ist das aber alles Geschichte, und Arusha ist eine afrikanische Großstadt wie viele andere. Sie hat, wie das ganze sie umgebende Hochland, ein sehr angenehmes Klima: tags warm, mitunter auch sonnig-heiß, aber abends und nachts angenehm kühl. In Arusha verbrachte ich eine Nacht vor Beginn der Tour an sich (und – um es vorwegzunehmen – auch eine weitere vor meinem Rückflug nach Dar es Salaam).
Anfahrt und Anmarsch – zwei Tage insgesamt. Von Arusha fuhr ich zunächst mit meiner Begleittruppe (Saladin, der Bergführer, Amani, der Koch, und Meluah, ein Träger) im Jeep in den Arusha-Nationalpark. Das dauerte schon zwei Stunden.
Fotos aus dem Arusha-Nationalpark habt ihr wohl alle schon einmal gesehen, aber wahrscheinlich ohne es zu realisieren: die schönen Bilder von einem Elefanten oder einer Giraffe mit dem Kilimanjaro im Hintergrund, die sind alle im Arusha-Nationalpark aufgenommen. Als Junge dachte ich anfänglich, das wäre die Serengeti, aber das war ein Irrtum: die Serengeti ist viel zu weit entfernt, als daß man von dort den Kilimanjaro sehen könnte.
Während der Anfahrt bemerkte ich, daß meine Wüstenstiefel ihre Sohlen verloren. Die Stiefel stammten von der gleichen Firma M***, die sich gerne als „Edelhersteller“ versteht, deren Produkt aber schon im Herbst im Bhutan kläglich versagt hatte. Zum Glück hatte ich noch ein Paar Zustiegschuhe einer anderen Marke im Gepäck, und mit denen machte ich dann die gesamte Tour.
Auf der Anfahrt durch den Nationalpark zum Startpunkt des Marsches sahen wir eine Truppe von Pavianen an der Straße:
Solches ist in Afrika nichts Besonderes, das sieht man relativ oft, auch entlang großer Überlandstraßen. Paviane halten sich ja tagsüber bevorzugt auf dem Boden auf und klettern erst abends auf Bäume, zum Schutz vor Freßfeinden. So kann man ohne Schwierigkeit „Porträts“ wie diese schießen:
Großen Seltenheitswert hat es aber, eine Truppe von Colobus-Affen auf dem Boden zu sehen. Ich hatte dieses Glück:
Colobus-Affen halten sich fast nur in den Baumkronen auf und kommen praktisch nie herunter, denn sie decken sogar ihren Wasserbedarf aus dem Verzehr junger, saftiger Blätter und Schößlinge dort oben. Nur wenn sie – so wie hier – gerade einmal eine Straßenschneise überqueren wollen, müssen sie auf den Boden kommen. Als sie unser Auto herannahen sahen, flüchteten sie allerdings ziemlich schnell, und ich konnte gerade eben noch dieses (zugegebenermaßen technisch nicht perfekte) Foto schießen:
Dann erreichten wir das Momella Gate, Endpunkt der Autofahrt und Startpunkt des Aufstiegs. Von hier an werden die Wanderer von einem bewaffneten Ranger begleitet, zum Schutz vor den einzigen Tieren, die hier potenziell gefährlich werden können: Kaffernbüffeln, die in der Tat zahlreich im Wald umherstreifen. Aus Effizienz-Überlegungen heraus versucht die Nationalpark-Verwaltung, mehrere kleinere Wander-Gruppen zu einer größeren zusammenzulegen, und so wurde auch die nur aus mir bestehende „Gruppe“ zusammengelegt mit einer „Gruppe“ von zwei jungen Österreicherinnen und einer Gruppe von noch vier anderen. Wir waren dann also insgesamt sieben Gäste. Bis das alles auf die Schiene gesetzt war, hatten wir bereits ein Uhr mittag. Dies ist nicht gerade die bevorzugte Aufbruchszeit für den echten Bergwanderer, aber was kann man machen...
Der Meru zeigte sich beim Abmarsch von besagtem Momella Gate, welches auf etwa 1500m Höhe liegt, also rund 3000m unter dem Gipfel, wie folgt:
Vor dem Abmarsch wurden wir darauf hingewiesen, daß es bis zur ersten Hütte, der Miriakamba Hut, zwei Wege gäbe: einen längeren (etwa sechs Stunden Gehzeit) und einen kürzeren (etwa drei Stunden), und wir wurden gefragt, welchen wir gehen wollten. „Den längeren“ riefen alle im Chor, denn es wollte ja keine/r wie ein Waschlappen aussehen. Drei Tage später, am Ende der ganzen Tour, kam ich aber zu dem Schluß, daß diese Entscheidung wohl ein Fehler war, denn der kürzere Weg ist meiner Meinung nach viel schöner (mehr davon siehe unten).
Auf dem folgenden Bild seht ihr unsere Marschroute (von www.opentopomap.org):
Wir gingen erst einmal stundenlang eine Schotterstraße entlang. Davon war ich nicht gerade begeistert, und ich schenke es mir, euch Fotos davon zu zeigen. Gerade als sich in mir der Gedanke verdichtete „Was ist denn das für eine Sch...?“, sagte unser Ranger auch plötzlich „Sch...“, aber er meinte damit etwas ganz anderes: in einer Waldlichtung war eine Gruppe von Giraffen zu sehen:
Es waren alles Bullen, und sie waren auch gar nicht scheu, sondern hatten klar realisiert, daß ihnen von den Wandereren keine Gefahr droht:
Kurz danach erreichten wir den „Fig Tree Arch“. Aus Nordamerika kennen wir Fotos, wo eine Straße durch einen Baum hindurch führt, und ich dachte, so etwas gäbe es nur dort. Das war allerdings ein Irrtum, wie ihr seht.
Natürlich muß man hier Erinnerungsfotos machen:
Dann ging es weiter, immer der Straße nach, und wir erreichten einen „Wasserfall“, den ich allerdings mehr als „Wasserfällchen“ empfand:
Da habe ich schon Eindrucksvolleres gesehen.
Naja, schließlich erreichten wir in der Abenddämmerung die Miriakamba Hut. Sie liegt etwa 2500m hoch. Saladin erklärte mir unterwegs: „Miria“ bedeutet „Seil“ und „Kamba“ bedeutet „Holz“. Das „hölzerne Seil“ ist eine Anspielung auf die dicken Luftwurzeln, die manche Urwaldbäume bilden: zunächst ist es nur ein dünner Faden, der von einem Ast herunter auf den Boden wächst; wenn er aber einmal Wurzel geschlagen hat, wird er armdick und noch dicker.
Die Miriakamba Hut überraschte mich mit ihrem Komfort; beinahe Alpenvereins-Standard, also ganz anders als die Hütten, die ich am Elgon kennengelernt hatte. So konnte ich im Nachhinein auch verstehen, warum mir Saladin versichert hatte, das Mitnehmen meiner eigenen Luftmatratze sei absolut unnötig. Auf den Hütten am Meru gibt es komfortable, abschließbare Zimmer, jedes mit zwei Stockbetten, und jedes Bett hat eine 10cm dicke Schaumstoff-Matratze. Ich hatte mit einem viel primitiverem Standard gerechnet, aber das war ein Irrtum meinerseits gewesen.
Ein weiterer Irrtum war, daß ich geglaubt hatte, wir würden auf der Hütte nur bescheiden essen. In Wahrheit wurden wir zum Abendessen recht luxuriös bekocht (jede der drei Gruppen für sich), und dann verzogen wir uns ohne längere Diskussion zur Nachtruhe.
Am kommenden Morgen war ich als erster auf den Beinen, in der Morgendämmerung, knapp nach sechs Uhr. Die anderen schliefen noch; das war allerdings ein Fehler, denn so verpaßten sie die morgendlich-klare Sicht auf den Kilimanjaro:
Wenig später beleuchtete die aufgehende Sonne den Gipfel und die Ostwand des Meru:
Vor der Ostwand, im Inneren des Kraters, und auf diesem Bild noch unbeleuchtet, seht ihr den Aschekegel, der sich um das derzeit aktive „Ventil“ des Vulkans herum aufgebaut hat.
Durch die Bäume brach das Morgenlicht, ein Anblick, der mich immer wieder fasziniert:
Dann war es Zeit für das Frühstück, zu dem auch die anderen mittlerweile erwacht waren. Die Sonne hatte nun das gesamte Gelände der Hütte bzw. des Hüttenkomplexes erreicht. Hier seht ihr einige Gebäude davon.
Im Vordergrund der Schädel eines Kaffernbüffels, den irgendjemand irgendwann irgendwo im Wald gefunden hat. Solche Schädel sind keine Seltenheit.
Dann begann der zweite Tag des Aufstiegs. Er sollte uns zur Saddle Hut führen. Diese liegt auf dem Sattel zwischen dem Hauptgipfel des Meru und einem Nebengipfel, der Little Meru genannt wird (etwa 3800m hoch). Es ist ein gut angelegter Weg, wie ihr hier seht:
An den Bäumen hingen die in dieser Höhe üblichen Flechten. Das habe ich zwar schon viele Male gesehen, aber es sieht doch immer wieder schön aus:
„Wir nennen das den Bart alter Männer“ erklärte mir Saladin. – „Ja“ antwortete ich, „das sagt man auf der ganzen Welt“. – Da war er etwas verdutzt. Er hatte wohl geglaubt, ich hätte solche Flechten noch nie gesehen, aber das war natürlich ein Irrtum.
Vor uns sahen wir die Ostwand des Meru; sieht fast aus wie in den Alpen, nicht wahr?
Wenn wir uns hin und wieder umdrehten, zeigte sich der Kilimanjaro, an jenem Tag ziemlich klar und unverstellt:
Im Bildmittelgrund die Ebene von Momella.
Natürlich wurde mit zunehmender Höhe der Wald immer lichter und niedriger. In einem Bereich, wo der Wald nur noch so niedrig ist wie in den Alpen die Latschenkieferbestände, hatte es einen großflächigen Waldbrand gegeben, und alles war verkohlt. Hier waren wir dann auch in der Höhenlage, wo die Kniphofia wachsen (auf Englisch „Red Hot Poker“). Viele davon sind allerdings eindeutig gelb und nicht rot; ich gehe davon aus, daß dies eine andere Spezies der gleichen Familie ist; denn ich kann mir nicht recht vorstellen daß es dort oben Kniphofia-Züchter gibt wie Rosenzüchter in einer deutschen Schrebergartenkolonie:
Durch das Fotografieren dieser Kniphofia war ich etwas zurück geblieben, und noch bevor ich wieder ganz aufgeholt hatte, blieben sie vorne schon wieder stehen und wirkten sehr interessiert an irgendetwas. Ich kam näher und sah, daß eine der beiden Österreicherinnen zwei Chamäleons entdeckt hatte. Das eine hatte – wie es sich für ein anständiges Chamäleon gehört – seine Hautfarbe der Umgebung (einigen abgestorbenen, grau-braunen Ästen) angepaßt und war dadurch praktisch unsichtbar geworden. Das andere hatte solches aus irgendeinem Grunde aber nicht zustande gebracht und leuchtete herrlich grün:
Über diesen Fehler des Chamäleons hätte sich jeder Bussard oder ähnliche Raubvogel sehr gefreut, es war aber zufällig (und zum Glück für das Chamäleon) gerade keiner in Sichtweite.
So errreichten wir kurz nach Mittag die Saddle Hut. Auch sie ist recht komfortabel und von viel höherem Standard, als ich erwartet hatte. Ich setzte mich gemütlich hin, blinzelte in die Sonne und stellte mir vor, ich sei in den Alpen. Aus solchem Irrtum wurde ich aber aufgeschreckt, als plötzlich ein Pavian genau vor mir über die Wiese rannte – dergleichen kommt in den Alpen ja nicht so häufig vor.
Wir alle hatten am Morgen geglaubt, wir könnten nachmittags noch den Little Meru besteigen (im Prinzip hätten wir die schlappen 300m Höhenunterschied wohl auch in einer Stunde geschafft), aber das war ein Fehler; denn ein starker und mehrstündiger Regen machte uns einen dicken Strich durch diese Rechnung, und wir verbrachten die Zeit bis zum Abendessen stattdessen ur mit Herumsitzen / Herumhängen / Herumliegen in den verschiedenen Gebäuden der Saddle Hut.
Das Abendessen fand ziemlich früh statt, denn es war angesagt, daß wir nach einigen wenigen Stunden Schlaf um Mitternacht noch einmal rasch essen und gleich danach zum Gipfel aufbrechen sollten.
Ein Gipfelsturm in unerwartet wörtlichem Sinne. So kam es auch. Vor dem Abmarsch drängten die Führer ihre Gäste noch dazu, sich wirklich warm anzuziehen, am besten mit mehreren Jacken übereinander, dicken Hosen, Unterhosen und Gamaschen. Ich hingegen hielt solches für einen Fehler, widersetzte mich deswegen solchem Drängen und sagte, daß ich mit solchen Höhenlagen vertraut bin und weiß, was ich brauche und was nicht. Ich hatte nur eine Garnitur von Thermal-Unterwäsche an, dazu eine dünne Fleeceweste über dem Hemd und eine regen- und winddichte Hardshelljacke sowie eine leichte Softshellhose. Ich dachte, das würde genügen, und damit lag ich auch total richtig. An Schuhwerk trug ich ein paar feste Zustiegschuhe, und auch das war völlig angemessen. Wenn man zum Schluß vor lauter Ausrüstung kaum noch laufen kann, bringt es auch nichts, ist meine Philosophie. So war ich auch nicht überrascht, als die relativ leicht ausgerüsteten Kameraden, einschließlich meiner Wenigkeit, letztendlich die Schnellsten waren.
Dann gingen wir los; es war etwa ein Uhr morgens. Der Wanderweg war zunächst ein sehr bequemer: schön eingeebnet und mit Drainagegraben an der Seite. Welch ein Luxus! Wir begannen im Schein der Stirnlampen, merkten aber bald, daß das ein Fehler war und es eigentlich besser war, ohne Stirnlampen im Mondlicht zu gehen, weil letzteres die Umgebung natürlich sehr gleichmäßig ausleuchtete, während die Stirnlampen einen Hell-Dunkel-Kontrast generierten, der eigentlich nur störte. Nach etwa einer Stunde erreichten wir eine Kuppe, die „Rhino Point“ genannt wird; ein Foto davon ist weiter unten in diesem kleinen Bericht.
Nach dem Rhino Point wurde der Weg ein klein wenig technisch: einen relativ steilen Felshang hinab (Alpingrad I bzw. F, würde ich sagen), wo Wanderer sich an einer fix angebrachten Kette festhalten können (was die meisten auch sehr gerne tun, vor allem während der Dunkelheit). Dann folgten rund drei Stunden weiterer Aufstieg durch Felsblöcke, und hier zog sich unsere Wandergruppe mehr und mehr auseinander. Der bewaffnete Ranger war hier nicht mehr dabei, und so waren die anfangs erwähnten drei Wandergruppen auch nicht mehr gehalten, zusammen zu bleiben. Mit großem Erstaunen hörte ich, wie Saladin – sicherlich ein braver Moslem – ein Weihnachtslied vor sich hin summte: „... and man will live forevermore because of Jesus Christ“. Bemerkenwert, daß ein Moslem so etwas summt, dachte ich, und es verstärkte meinen schon vorher bestehenden Eindruck, daß Moslems und Christen in Tansania zum größten Teil bemerkenswert friedlich nebeneinander und vielleicht sogar zusammen leben und der schlimme Fanatismus anderer Länder hier nicht anzutreffen ist. Vielleicht war es aber auch nur ein Irrtum von Saladin, diese Melodie zu summen, und er wußte gar nicht, welcher Text zu dieser Melodie gehört.
Unterwegs merkten wir, daß es recht windig war. Wer vorher nicht wußte, was „Windchill“ ist, der lernte es jetzt. Beim Abmarsch hatte die Temperatur noch deutlich über dem Gefrierpunkt gelegen, aber ab etwa 4000m Höhe mag es darunter gewesen sein. Immer wieder einmal verlief unser Weg auf dem Kraterrand, und weil man – wie ich schon sagte – einen unverstellten Blick nach Osten hat, sahen wir sehr schön die Morgendämmerung heraufziehen.
Um den Gipfel selbst zu erreichen, muß man aber – und DAS war mir vorher nicht klar gewesen – einen Schlenker machen und sich dem Gipfel von Westen her nähern. Auf diesem Westhang hatten wir natürlich keine Sicht auf die gerade aufgehende Sonne. Schade! Die beiden Österreicherinnen erreichten den Gipfel als erste, ganz kurz nach Sonnenaufgang; ich selbst folgte wenige Minuten später. Es war also ganz klar „der Tag der Österreicher“, denn auch 50% des Blutes in meinen Adern stammen aus Österreich. Hier nun der Blick hinunter:
Im Hintergrund seht ihr den Little Meru, der hier nur so hoch ausschaut, weil ich die Kamera nach unten gerichtet hatte; in Wirklichkeit ist er 750m niedriger als der Standpunkt des Fotografen. Rechts im Bild ist der Aschekegel, von dem ich oben sprach.
Die Vierergruppe (zwei Australier, eine Amerikanerin, ein Holländer) traf ca. 20 Minuten später ein, und wir gruppierten uns zum Foto des Triumphes:
Die beiden Österreicherinnen in der Mitte, links euer Autor mit seinem Bergführer Saladin.
Dann kam, logischerweise, der Abstieg, für den wir wieder die gleiche Route benutzten. Allerdings gab es einen gewaltigen Unterschied im Vergleich zum Aufstieg: mit Tagesanbruch hatte sich der schon in der Nacht spürbare Wind nochmals verstärkt, auf dem exponierten Kraterrand mit sehr starken Böen, die dem Begriff „Gipfelsturm“ eine ganz neue, ungeahnte, wörtliche Bedeutung verliehen. Wir wurden immer wieder aus dem Gleichgewicht geworfen, und der Sturm peitschte den vulkanischen Sand durch die Luft wie ein Sandstrahlgebläse. Nicht lustig, muß ich zugeben. Ohne dieses Sandstrahlgebläse hätte man an verschiedenen Stellen eine wunderbare Aussicht genießen (und fotografieren) können, aber so gab es nur ein Motto. „Nichts wie weg hier“. Gerade einmal ein einziges Foto konnte ich machen:
Nach etwa zwei Stunden hatte ich wieder den Rhino Point erreicht:
Weitere zwei Stunden später waren wir alle wieder in der Saddle Hut versammelt, und es gab Mittagessen. Der weitere Abstieg zur Miriakamba Hut verlief ohne besondere neue Erlebnisse; es war ja die gleiche Strecke. Der Ranger begleitete uns wieder. Hin und wieder sahen wir ein paar Colobus-Affen in den Kronen, aber eine Gelegenheit für ein akzeptables Foto ergab sich nicht. Am mittleren Nachmittag erreichten wir die Miriakamba Hut, und es stellte sich heraus, daß nur meine Agentur eine Übernachtung hier gebucht hatte. Alle anderen hatten die Besteigung des Meru als Drei-Tage-Tour gebucht und wollten also noch am gleichen Tag zurück zum Momella Gate und von dort nach Arusha. So trennten sich hier unsere Wege.
Allerdings war ich auf der Miriakamba Hut keineswegs allein. Eine große Wandergruppe, mehr als ein Dutzend Gäste, war vom Momella Gate her eingetroffen. Beim Abendessen ließen sie sich gerne von mir erzählen, wie es gewesen war und worauf sie achten sollten.
Gemütlicher Rückmarsch mit allerlei Betrachtungen. Ich genoß zunächst den sonnigen Morgen auf der Miriakamba Hut...
... und die Aussicht auf den Berg:
Mit großem Erstaunen sah ich, wieviel Gepäck besagte Wandergruppe mit sich führte: für jede Person eine riesige Tasche, bestimmt 100 Liter fassend (und das, wohlgemerkt, nur für eine einzige Übernachtung auf der Saddle Hut, ohne Zelt, Matratze, Kocher, und Essen!). Was die da alles drin haben mochten? Derartig viel Geraffel herum zu schleppen, ist doch wohl ein Fehler. Unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsplatzbeschaffung allerdings kann man das ja eigentlich nur gutheißen. Da verdienen sich einige Afrikaner eben ihr Geld damit, daß sie zig Kilogramm von (größtenteils unnötigem) Plunder auf die Saddle Hut tragen und gleich am folgenden Morgen wieder zurück.
Dann ging besagte Gruppe natürlich aufwärts, aber Saladin und ich gingen abwärts, begleitet von einem Ranger, der eigens unseretwegen gekommen war (denn der Ranger der vergangenen drei Tage war ja am Vortag mit den anderen sechs Gästen zurück gegangen). Wieder einmal war ich fasziniert, zu sehen, wie das Morgenlicht durch die Waldbäume brach:
Dann erreichten wir – schau, schau! – offenes Wiesengelände, wo das Wandern im Morgenlicht sich anfühlte wie das Wandern an einem herrlichen Sommertag in Mitteleuropa:
Hier merkte ich dann, daß es ein Fehler von uns allen am ersten Tag gewesen war, nicht diesen kürzeren und schöneren Weg zu gehen. Ich begann zu überlegen, warum wir denn auf solchem Wiesengelände wanderten, wo wir vor drei Tagen doch durch Wald gegangen waren. „Schau mal“, sagte ich zu Saladin, „der Untergrund hier sieht fast aus wie Beton, sehr fest, mit eingegossenen größeren und kleineren Steinen. Und der Mutterboden darauf ist nur ganz dünn, zu dünn, um das Gedeihen größerer Bäume zu ermöglichen. Ich glaube, wir bewegen uns hier auf einem alten Lahar. Weißt du, was ein Lahar ist?“ – „Nein.“ – „Lahar ist ein indonesisches Wort und bezeichnet eine Schlammlawine, die von einem Vulkan herunter ins Tal saust, mit unglaublicher Wucht, alles mit sich mitreißend, einschließlich Felsen und Steine aller Größen, bis das Material eben wieder liegen bleibt, wo das Gelände flacher ist. Nach ein paar hundert oder tausend Jahren verfestigt sich die Lawine, versteinert im wahrsten Sinne des Wortes, und das sieht dann eben aus wie alter Beton. Über so eine alte Schlammlawine gehen wir hier, meiner Meinung nach.“ – „Hmmm“, meinte Saladin, „kann gut sein“. Er hatte übrigens einige Grundkenntnisse der Geologie. So gingen wir eine Weile dahin. Etwas später, nicht zufällig nach Querung eines kleinen Baches, kamen wir aber wieder auf Gelände mit angenehmerem ´Tritt´, richtig schönen weichen Boden. „Und was haben wir jetzt hier?“ fragte ich, „wieso auf einmal, seit wir den Bach überquert haben, dieser schöne weiche Boden?“. – „Weiß nicht.“ – „Nun, ich denke, wir sind hier einfach auf viel älteren vulkanischen Ablagerungen, die schon viele tausend Jahre hier liegen und deshalb genug Zeit hatten, zu verwittern und diesen schönen Mutterboden zu bilden. Der ´Beton´ von vorhin war vielleicht erst ein paar hundert oder tausend Jahre alt.“ – „Ja, so muß es wohl sein“, meinte Saladin.
Übrigens können diejenigen (wenigen) der geneigten Leser/innen, die sich für solche Dinge interessieren, auf dem Satellitenbild sehen, daß die Wiesen am Osthang des Meru in der Tat eine langgestreckte Form haben. Im Gelände sieht man auch, daß diese Wiesen immer so eine gewisse Buckelform zeigen (siehe obige Fotos). Ich bin also ziemlich sicher: das sind fossile Lahare.
Nun aber zurück zu weniger wissenschaftlichen Dingen: über einige Bäche hat die Nationalparkverwaltung Brücken gebaut, damit es die Herrschaften Wanderer nur ja recht bequem haben. An einer solchen Brücke sahen wir diese wilde Bananenstaude:
Liebe Freunde, ich habe in den tropischen Wäldern im Laufe der Jahrzehnte Tausende von wilden Bananenstauden gesehen, aber so ein Riesending war noch nicht dabei. Jedes Blatt war – ohne Übertreibung – bestimmt vier Meter lang. Unglaublich!
Nun näherten wir uns immer mehr der Momella-Ebene. Aus dem Gebüsch heraus (mit unserem Ranger im Vordergrund) sahen wir eine Herde von Kaffernbüffeln in der Entfernung.
Dann führte mich Saladin auf einen kleinen Seitenweg und sagte: „Hier geht es zu einem schönen Wasserfall, an dem wir noch einmal rasten wollen, bevor die Tour zu Ende geht“. Natürlich folgte ich gerne seinem Rat, und hier seht ihr uns beide:
Dann schweiften meine Augen über die Hänge zu beiden Seiten des kleinen Tälchens, das der Bach gebildet hatte. Der rechte Hang sieht so aus:
Ihr seht ganz klar die verschiedenen Schichtungen aus Kieseln, die der Bach hier abgelagert hat.
Der linke Hang sieht allerdings ganz anders aus, nämlich so:
Hier erkenne ich nur Ansätze von Schichtungen oder irgendwelcher Ordnung. Es wirkt eigentlich alles ziemlich chaotisch.
„Siehst du diesen Unterschied?“ fragte ich Saladin. – „Ja, ich sehe ihn schon, aber was ist die Erklärung?“ – „Nun die Erklärung kann ja wohl nur sein, daß das chaotische Material wieder einmal ein alter Lahar ist, der den Bach damals an seinen Rand gedrängt hat, wo er nun fließt, diesen kleinen Wasserfall gebildet hat, und – auf der dem Lahar abgewandten Seite – die üblichen Sedimente von Kieseln angehäuft hat. Der Bach fließt genau an der Grenze des alten Lahar entlang.“ – Also, schon ganz interessant das alles...
So sitzend und rastend ließ ich die ganze Tour noch einmal Revue passieren. Es war schön gewesen, keine Frage. Ob diese Tour aber wirklich in die Top 20 der Welt gehört – wie Walkopedia behauptet – , daran habe ich doch erhebliche Zweifel. Sooo toll fand ich es auch wieder nicht. In der Kategorie „Human interest“ würde ich dem Meru glatt null Punkte geben, und auch beim Kriterium „Charisma“ finde ich die Wanderung auf den Meru nicht wirklich Weltspitze.
Dann aber gingen wir weiter, zurück in Richtung Momella Gate. Der Weg führte uns also in die Ebene. Der Ranger machte mich auf diese hübsche kleine Blüte aufmerksam:
„Jasmin“ sagte er. Ich weiß nicht, ob das stimmt.
Na, und zum guten Schluß begegneten wir noch einmal einer Giraffe. Sie beäugte uns interessiert und wohl auch ein wenig vorsichtig, aber nicht wirklich scheu oder gar verängstigt.
So konnte ich die Giraffe durch geschickten Standortwechsel meinerseits ohne weiteres in die gewünschte Foto-Position „dirigieren“. Hier seht ihr sie nun, mit dem Berg Meru im Hintergrund:
Prof. Grzimek hätte im Fernsehen vor 30 Jahren an dieser Stelle gesagt: „Und mit diesem Bild verabschieden wir uns für heute von Ihnen, verehrte Zuschauer, wünschen Ihnen noch einen schönen Abend und hoffen, Sie bei unserer nächsten Sendung wieder begrüßen zu dürfen.“
Wer aber glaubt, nun folge die Spätausgabe der Tagesschau, der ist im Irrtum. Hier folgt jetzt gar nichts mehr.
P.S. Wer diesen Bericht als PDF-Datei herunterladen möchte, klicke bitte hier
Kommentar