[DE] [FR][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

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  • Enja
    Alter Hase
    • 18.08.2006
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    [DE] [FR][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

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    Mitreisende
    1. Tag

    Ein Sonntag, schon eher Mitte als Anfang Mai. Ursprünglich wollten wir mal im April los. Aber es kam immer wieder etwas dazwischen. Gar nicht so einfach, sich für einen solchen Langzeiturlaub freizuschaufeln. Aber endlich haben wir es geschafft. Naja, mittags kommen wir los.

    Die Tour markiert sozusagen den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt. Unsere Jüngste ist im letzten Sommer ausgezogen. Und wir möchten künftig weniger arbeiten und mehr unterwegs sein.

    Die Räder haben wir gerade erst gebraucht gekauft. Sie sind zehn Jahre alt. Den Kettenverschleiß habe ich gemessen. Das muss noch reichen. Ansonsten sind die Räder ganz in Ordnung. Wir haben nicht viel dran geändert. Einen veralteten Nabendynamo ausgetauscht. Einen Lenker. Meine guten Vorsätze, vorab zu trainieren, ein paar Pfunde zu verlieren, das Fahrrad ordentlich auszuprobieren – ging alles unter, in der vielen Arbeit, die noch anfiel. Na gut, dann findet das eben unterwegs statt. Geht auch.

    Wir starten in Mainz Castel, das, wie jeder weiß, zu Wiesbaden gehört, also rechtsrheinisch liegt. Zunächst einmal geht es den Rhein-Radweg entlang. Weil Sonntag ist und dazu schönes Wetter, ist alles, was laufen kann draußen unterwegs, so dass wir nur langsam vorankommen. Macht nichts. An die neuen Räder mit der schweren Beladung müssen wir uns erst gewöhnen. Wir haben Zelt und alles, was man sonst so braucht, dabei. Kochen werden wir unterwegs auch selbst.

    Das schöne Wetter ist nur eine kurze Phase. Die letzten Wochen war es gleichbleibend schlecht und das soll laut Wetterbericht auch so bleiben, so dass es keinen Sinn macht, die Abreise zu verschieben. Es ist nicht besonders warm. Dafür regnet es ununterbrochen. Auch jetzt drohen dunkle Gewitterfronten am Himmel. Wir fahren zunächst mal kurzärmlig, wenn auch langhosig. Und sind optimistisch, während wir um die zahlreichen Pfützen kurven.

    Die Räder rollen, wie sie sollen. Das ist doch schon mal was. Aber kaum haben wir Wiesbaden hinter uns, macht das Wetter ernst. Wir können uns gerade noch unter das Dach einer Tankstelle flüchten, als ein heftiges Gewitter losbricht. Wir setzen uns dort auf eine Bank und packen unsere belegten Brote aus.

    Nach dem Gewitter nieselt es ausdauernd. Mal mehr mal weniger. Wir ziehen unsere Regenjacken über und fahren weiter. Immerhin haben die Sonntagsausflügler jetzt ihre Unternehmungen abgebrochen und der Radweg gehört uns. Zügig radeln wir bis zur Fähre in Rüdesheim. Auf der Fähre werden wir zum ersten Mal auf unsere Muscheln angesprochen. Man hält uns eine Standpauke. Mit Sicherheit hätten wir keinerlei religiöse Motivation. Insofern sei unser Unternehmen eine Unverschämtheit. Da wir keine Lust haben, unsere religiöse Motivation mit einer wildfremden Frau auszudiskutieren, lassen wir das mal so stehen. Die Überfahrt ist sowieso bald vorbei. Wir fahren durch Bingen und biegen in den Naheradweg ein. Immer noch auf sehr vertrautem Terrain. Den Nahe-Radweg kennen wir gut. Und von Bingen bis Bad Kreuznach gefällt er uns nicht besonders. Der Dauerregen macht das nicht gerade besser.

    Bis Bad Münster am Stein kommen wir zügig voran. Hier könnten wir auf den dortigen Campingplatz gehen. Wir beschließen aber, noch weiterzufahren. So wird es schon langsam dunkel, als wir am Campingplatz in Monzingen auflaufen. Dort gibt es Holzhütten, die kaum mehr kosten als die Zeltübernachtung. In Anbetracht des Dauerregens und der triefenden Landschaft erscheint uns das ziemlich verlockend. Wir finden dort zwar ein Dach zum Unterstellen, aber niemand, der uns weiterhelfen könnte. Theoretisch, laut Anschlag, wäre noch geöffnet. Praktisch ist aber niemand da. Eine Telefonnummer zum Anrufen. Es geht aber niemand ran. Irgendwann doch, derjenige kommt zu uns und wir können in eine Holzhütte einchecken. Draußen prasselt der Regen. Unsere Räder stehen auf der Veranda.

  • Wafer

    Lebt im Forum
    • 06.03.2011
    • 8830
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    #2
    AW: [DE] [F][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

    Hallo Enja.

    Ein vielversprechender Anfang! Ich freue mich auf mehr!

    Gruß Wafer

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    • grenzenlos
      Dauerbesucher
      • 25.06.2013
      • 566
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      #3
      AW: [DE] [F][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

      Freue mich schon auf den nächsten Teil!
      Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

      Gruß, Wi grenzenlos

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      • Enja
        Alter Hase
        • 18.08.2006
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        #4
        AW: [DE] [F][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

        2. Tag

        Wir frühstücken erst einmal gemütlich unter dem Vordach der Hütte. Das Wetter hat sich seit dem Vortag nicht wirklich verbessert. Es nieselt weiterhin. Dazu ist es deutlich kälter geworden. Da wir nicht viel packen müssen, brechen wir früh auf. Wir wollen über den Nahe-Hunsrück-Mosel-Weg nach Trittenheim. Das sind deutlich zu viele Kilometer.

        Bis Fischbach, wo der NHM das Nahetal verlässt, ist es nicht mehr weit. Allerdings haben wir dort Schwierigkeiten, den Einstieg zu finden. Anstelle des in der Karte eingezeichneten Abzweigs finden wir eine große Baustelle, so dass wir uns durchfragen müssen. Dann nehmen wir die Steigung in Angriff. Zunächst einmal geht es nach Herrstein. Das schaffen wir mühelos und sehen uns erst einmal den hübschen Fachwerkort an. Wir kehren in einem Cafe ein und schieben unsere Räder durch die Kopfsteinpflasterstraßen.

        Bei einem genaueren Kartenstudium stellen wir fest, dass der Radweg jedes Besucherbergwerk und auch einen Freizeitpark mitnimmt. Da wir weder Zeit noch Lust zu diesen Besichtigungen haben und sowieso irgendwie abkürzen müssen, können wir leicht ein paar Kilometer abkürzen. Ansonsten führt der Weg um den Idarwald herum, den man immer seitlich liegen sieht. Wir überlegen, ihn einfach zu überqueren, die anderen Radfahrer im Cafe halten das allerdings für völlig unmachbar. In Anbetracht unseres schlechten Trainingszustands lassen wir es bleiben und folgen weiter dem Radweg.

        Landschaftlich ist es sehr schön. Die Straßen und Wege sind nicht besonders stark befahren. Alles blüht und grünt. Wir fahren beständig auf und ab und sammeln so sicher mehr Höhenmeter, als für uns die Überquerung des Idarwalds bedeutet hätte. Die Orte, die man durchquert, sind alle ganz reizend. Die Kirchen leider alle verschlossen. Heute gibt es also keinen Pilgerstempel.

        Wir erreichen das Ende des Idarwalds und haben ihn nun zur Linken liegen. Der Verkehr läuft hier über eine Bundesstraße, die stark befahren ist. Der Radweg führt durch Dörfer und über Schotter- und Waldwege. Wegen des vielen Regens sind die sehr schlecht befahrbar. Teilweise versinkt man im Lehm und Schlamm. Außerdem schlägt der Weg weite Haken. Die Zeit läuft uns davon.

        Während wir langsam zweifeln, ob wir denn wohl noch ankommen werden, geht es erst einmal heftig aufwärts nach Hunolstein. Oben gibt es ein nettes Dörfchen, das vollständig verlassen daliegt und eine gute Aussicht über das tief eingeschnittene Tal des Dhron auf Haag, wieder auf der Höhe von Hunolstein. Na bravo. Da sollen wir jetzt runter und drüben gleich wieder rauf. Damit hat sich das Ziel Trittenheim wohl erledigt. Das schaffen wir nicht mehr.

        Wir müssen wieder fragen, um die richtige Ausfahrt zu finden. An zwei Stellen geht es steil nach unten. Ohne Wegweiser oder stimmige Auskunft, dass das auch die richtige Richtung ist, machen wir so was ungern. Der Weg abwärts ins Dhron-Tal ist steil und ziemlich mit Löchern übersät, trotzdem sind wir natürlich schnell unten. Überraschenderweise gibt es vor der Brücke, die über den Fluß führt und von der man schon den steilen Weg nach oben sieht, eine Abzweigung den Fluß entlang. Und da das Ziel des Radwegs Neumagen-Dhron ist, kann das nicht falsch sein. Wir beschließen, Haag auszulassen und bleiben am Fluß. Der fließt ganz mächtig und hat offensichtlich Hochwasser. Der Weg ist stark ausgewaschen und ziemlich schlecht zu befahren. Wir überqueren ihn mit Hilfe einer halb zerstörten Brücke und müssen schließlich die Räder noch über eine Brücke wuchten, die so schmal ist, dass wir das gerade mal so schaffen. Auf beiden Ufern gibt es Stufen. Als wir langsam schon zweifeln, ob wir jemals ans Ende dieser Wildnis kommen, wird es zivilisierter. Der Weg ist befestigt. Daneben liegen Pferdekoppeln. Ein Hof kommt in Sicht. Und wir erreichen Gräfendhron und damit die Straße.

        Nun geht es erfreulicherweise rasant abwärts. Wir bleiben auf dieser Straße bis Papiermühle, wo diverse Radler in einem Biergarten sitzen und uns interessiert nachgucken, als wir zügig den Abzweig nach Trittenheim nehmen. Es fängt schon an zu dämmern. Straße und Tal sind eng und ziehen sich in die Länge. Es geht kontinuierlich aufwärts und man kann nicht so recht erkennen, wo man denn nun das Moseltal erreichen wird. Aber schließlich sehen wir vor uns den Zummethof und tief darunter die Mosel.

        Da müssen wir nun natürlich einkehren. Wir gehen erst einmal essen, während es dunkel wird. Also rufen wir unten beim Campingplatz an, dass wir später kommen. Schließlich fahren wir dank der neuen Beleuchtung problemlos und zügig nach unten. Am Campingplatz werden wir nett empfangen wie immer und bauen unser Zelt auf. Es ist feucht, aber auf dem ordentlichen Rasen hier macht das nichts. Wir genießen die makellosen Sanitäranlagen und gehen schlafen. Die erste Nacht im Zelt auf dieser Reise.

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        • Werner Hohn
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          #5
          AW: [DE] [F][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

          Die Autofähre Rüdesheim-Bingen! Jedesmal wenn ich den völlig überzogenen Preis für Radfahrer zahle, sage ich mir, nie wieder. Und dann steht man in Bingen und will dem Radverkehr auf dem linksrheinischen Rheinradweg aus dem Weg gehen, und zahlt mit geballter Faust 2 Euro 30! So geschehen vor einer Woche. Ich hab's mir erneut vorgenommen: Nie wieder!

          Um den Campingplatz von Bad Münster am Stein ist es nicht schade. Die Kneipe auf dem Platz ist die, die am nächsten an der nun auch nicht mehr so neuen Reha-Klinik der Rentenversicherung liegt; und daher sehr beliebt ist bei den bei der Beantragung der Kur noch schwerkranken Herz- und Rückenpatienten.
          Zuletzt geändert von Werner Hohn; 09.07.2013, 16:59.
          .

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          • Enja
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            #6
            AW: [DE] [F][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

            3. Tag

            Zur Abwechslung scheint mal die Sonne. Allerdings packen wir unser Zelt trotzdem klatschnass zusammen. Das hält es aus und wir wollen nicht so lange warten. Den Mosel-Radweg kennen wir auch schon. Wir überqueren den Fluss und radeln gemächlich Richtung Trier, ein bisschen müde von der Hunsrück-Tour. Die „Bergetappen“ durch die Weinberge lassen wir also aus und bleiben unten am Fluss. Überall wird fleißig das Heu gewendet. Es riecht nach Sommer. Viele Radfahrer und Wanderer sind unterwegs.

            Hinter Longuich wechseln wir am „Alten Fährturm“ an das andere Ufer. Eine hübsche Ecke, die uns auch beim letzten Vorbeiradeln schon gefiel. Danach geht es auf Trier zu. Der Weg verlässt den Fluss und schlägt Haken um Verkehrsbauwerke. Wir verlieren ihn und fahren in die Richtung, in die die Mosel wohl fließen muss. Irgendwie überwinden wir auch die Verkehrsschneisen und kommen nach Pfalzel.

            Vor den Toren legen wir ein Picknick mit Blick auf die Mosel ein. Die Sonne glitzert im Wasser. Anschließend touren wir durch die netten Gassen. Die Kirche ist gut verschlossen wie beim letzten Besuch. Irgendwann werden wir es schaffen, sie uns anzusehen.

            Weiter geht es den Fluss entlang nach Trier, schließlich über eine der Brücken ins Zentrum. Wir stellen unsere Räder in der Fahrradgarage an der Porta Nigra ein. Trier quillt über. Wegen der Heilig-Rock-Wallfahrt. Es macht keinen Sinn, sich mit den Rädern einen Weg durch die Menge zu bahnen. Am Dom holen wir uns in der Information einen Pilgerstempel und stellen uns anschließend für den Heilig-Rock an. Wir müssen nicht, wie angedroht, stundenlang warten. Eher minutenlang. Dann stehen wir vor der Vitrine.

            Anschließend machen wir einen Bummel durch die Kaufhäuser, um noch verschiedene Einkäufe zu erledigen. Wir finden alles, was wir brauchen und gehen eine Kleinigkeit essen. Was wegen völliger Überfüllung des Stadtzentrums schwierig wird. Übernachten wollen wir hier also nicht. Der Campingplatz gefällt uns sowieso nicht. Zu teuer. Zu laut. Zu voll. Wir könnten die Pilgeroase nutzen. Eine Zeltstadt mit Feldbetten. Es sind Betten frei. Aber dort wird offensichtlich heftig gefeiert. Also brechen wir irgendwann wieder auf.

            Zunächst nach St. Matthias. Hier werden wir mehrfach auf unsere Pilgermuscheln angesprochen. Wir bekommen noch einen Stempel. Und dazu Buttons geschenkt, die wir unbedingt mitnehmen sollen. Das wird weiter so gehen. Der Drang, Pilgern etwas zu schenken, was sie nach Santiago mitnehmen sollen, ist groß. Und wir schaffen es nicht, Geschenke, die uns mit soviel Herz gemacht werden, einfach zu entsorgen, haben aber auf dem Rad auch nicht unbeschränkt Transportkapazitäten frei. Anschließend sehen wir uns die Kirche an.

            Bis Konz ist es jetzt nicht mehr weit. Und da es hier nicht nur einen Campingplatz gibt, sondern auch einen Discounter kaufen wir uns ein nettes Abendessen zusammen und probieren unsere neuen Campingsessel aus. Leider wird die Nacht ziemlich laut. Nicht nur wegen der Straße daneben. Zusätzlich grenzt noch eine Eisenbahnbrücke an, auf der ununterbrochen und laut quietschend allerhand Güterzüge durch die Dunkelheit rollen.

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            • Enja
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              • 18.08.2006
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              #7
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              4. und 5. Tag

              Für heute ist mal wieder Regenwetter angesagt und so werden wir auch vom prasselnden Regen geweckt. Wir packen also wieder ein klatschnasses Zelt ein, ziehen Regenjacken über, legen für stärkere Schauer die Ponchos bereit. Drüben am anderen Ufer blicken wir jetzt auf Luxemburg. Es regnet ausdauernd und es geht auf die deutsche Grenze zu. Wir möchten uns gern vorher noch von unseren deutschen Pfandflaschen trennen, halten also entsprechend Ausschau. Der Weg führt allerdings eingeklemmt zwischen Autostraße, Bahn und Mosel südwärts.

              In Nennig beschließen wir einen Kurzausflug nach Luxemburg und überqueren die Mosel. Der Regen strömt kräftig, so dass wir uns in Remich in ein Cafe flüchten, vor dem bereits diverse Reiseräder geparkt sind. Dort bildet sich eine nette Runde, die ihre Regenausstattung vergleicht und diskutiert. Nach einer ganzen Weile beschließen wir weiterzufahren, da der Regen offensichtlich in absehbarer Zeit nicht nachlassen wird und kehren über die Brücke nach Nennig zurück.

              Nach Perl und damit bis zur französischen Grenze ist es jetzt nicht mehr weit. In Perl biegen wir in Richtung Ort ab, um endlich einen Supermarkt zu finden. Das klappt auch. Wir leeren die Pfandflaschen und geben sie ab. Dann rollen wir wieder hinunter an die Mosel und überqueren die Grenze.

              In Sierck les Bains kaufen wir französische Mineralwasserflaschen. Die müssen wir nun nicht mehr hüten. Darauf ist kein Pfand. Der Ort gefiel uns beim letzten Besuch schon gut und da hier sogar das Wetter langsam besser wird, also der Regen aufhört, picknicken wir am Mosel-Ufer. Kurz darauf überqueren wir die Mosel und fahren unterhalb von Contz les Bains vorbei durch grüne Wiesen am Flussufer entlang. Ab hier fährt man gefühlt „stundenlang“ auf das Kernkraftwerk Cattenom zu. Dieser interessante Effekt wird dadurch erzeugt, dass die Mosel kräftig mäandert, so dass man aus allen Richtungen drauf zu kommt und immer wieder dran vorbeizufahren scheint. Da es mächtig im Gelände steht, ist das sehr auffällig. Drum herum ist eine Freizeitlandschaft entstanden. Die Franzosen haben da offensichtlich keine Berührungsängste.

              Nachdem wir endlich nicht mehr auf das Kraftwerk zu fahren, sind wir so gut wie in Thionville angekommen. Wir fahren ein bisschen im Ort herum, beschließen aber, hier nirgends einzukehren, sondern weiter in Richtung Metz zu fahren. Es geht kerzengerade auf gut asphaltiertem Radweg einen Kanal entlang. Rundum ist es grün, aber man sieht auf der Karte, wie nah die Autobahn, Hauptverkehrsachsen und Gewerbegebiete sind. Regelmäßig unterqueren wir Brücken. Wir überholen viele Radfahrer und begegnen auch vielen. Das Wetter ist jetzt gut. Sogar die Sonne kommt heraus. Wir kommen schnell voran.

              Knapp vor Metz – wir sehen schon Ikea – hört der Weg unvermittelt auf. An einem Schild mit der Aufschrift „Fin du Chemin de la Moselle“. Das ist buchstäblich zu verstehen. Wir müssen über eine Wiese und über allerhand Schotter schieben, um auf der Straße anzukommen. Letztes Jahr sind wir das in umgekehrter Richtung gefahren. Da ist der Einstieg von der Straße aus ausgeschildert. Die Stelle liegt aber zurück. Und zurück fahren wir nie. Das wäre noch schöner.

              Durch das Gewerbegebiet kommen wir schnell nach Metz und überqueren dort die Mosel, wie der Mosel-Radweg es laut Bikeline vorsieht, auf einer stark befahrenen Brücke. Bis zum Campingplatz, der innenstadtnah am Ufer liegt, ist es nun nicht mehr weit. Nachdem wir unser Zelt aufgebaut haben, fahren wir noch einmal durch die Altstadt und trinken auf dem belebten Hauptplatz ein Bier. Laut Reiseführer kann man hier schön sitzen und günstig essen. Unsere zwei Bier (0,25) kosten uns 12 €. Das bleibt auf dieser tour rekordverdächtig.

              Den nächsten Tag verbringen wir in Metz. Wir möchten das Centre Pompidou besichtigen. Das hat sehr ungünstige Öffnungszeiten, so dass wir schon mehrfach verpassten, es mal von innen zu sehen. Diesmal wollen wir das erzwingen. Zunächst einmal waschen wir unsere Wäsche und sehen ihr beim Trocknen zu. Was sehr schnell geht, in der nun strahlenden Sonne. Dann geht es in die Stadt. Wir sehen uns noch einmal in aller Ausführlichkeit die Kathedrale an und holen uns einen Pilgerstempel. Es gefällt uns dort. Wir bleiben eine ganze Weile sitzen und genießen es, heute mal keine Etappe vor uns zu haben.

              Im Centre Pompidou lassen wir uns ebenso Zeit und sehen uns die drei dort angebotenen Ausstellungen an. Und natürlich das spektakuläre Gebäude selbst. Endlich mal von innen. Bei einer Cola im zugehörigen Cafe treffen wir die nächsten Pilger. Sie gehen zu Fuß. Jedes Jahr ein Stückchen. Jeweils eine Woche lang von einem vorgebuchten Hotelzimmer zum nächsten. In schicken Freizeitklamotten mit Daypack. Für unsere Art zu pilgern, haben sie nichts über. Räder zu benutzen, ist in ihren Augen unsportlich. Wir sind im Casting "Deutschland sucht den tollsten Pilger" angekommen. Und werden es bis Santiago nicht mehr verlassen. Die Diskussion zwecks Klärung der Frage, wer denn nun der einzig wahre Pilger ist, ist das zweitbeliebteste Thema. Gleich nach dem Wetter.

              Nach einer ausführlichen Radtour um die Metzer Sehenswürdigkeiten kaufen wir ein und fahren zurück zum Zelt. Wir kochen in Ruhe, essen zu Abend und genießen den Blick auf Fluss und Sonnenuntergang. Wir sind hier heute Exoten. Es gibt keine weiteren Radler.

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              • grenzenlos
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                #8
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                Zitat von Enja Beitrag anzeigen
                4. und 5. Tag


                Im Centre Pompidou lassen wir uns ebenso Zeit und sehen uns die drei dort angebotenen Ausstellungen an. Und natürlich das spektakuläre Gebäude selbst. Endlich mal von innen. Bei einer Cola im zugehörigen Cafe treffen wir die nächsten Pilger. Sie gehen zu Fuß. Jedes Jahr ein Stückchen. Jeweils eine Woche lang von einem vorgebuchten Hotelzimmer zum nächsten. In schicken Freizeitklamotten mit Daypack. Für unsere Art zu pilgern, haben sie nichts über. Räder zu benutzen, ist in ihren Augen unsportlich. Wir sind im Casting "Deutschland sucht den tollsten Pilger" angekommen. Und werden es bis Santiago nicht mehr verlassen. Die Diskussion zwecks Klärung der Frage, wer denn nun der einzig wahre Pilger ist, ist das zweitbeliebteste Thema. Gleich nach dem Wetter.

                Nach einer ausführlichen Radtour um die Metzer Sehenswürdigkeiten kaufen wir ein und fahren zurück zum Zelt. Wir kochen in Ruhe, essen zu Abend und genießen den Blick auf Fluss und Sonnenuntergang. Wir sind hier heute Exoten. Es gibt keine weiteren Radler.
                Echt prima Pilger-beschrieben. Muss noch immer schmunzeln. Danke für die netten, grandiosen, überzeugenden + gespürsinnigen Sätze.
                Dachte bisher immer, dass das Wetter die Nr. 1 ist!
                Dein Casting wird wohl bald im TV nerven. Melde doch schnell ein Patent an.
                Zuletzt geändert von grenzenlos; 11.07.2013, 16:41.
                Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                Gruß, Wi grenzenlos

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                  #9
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                  6. Tag

                  Gut ausgeschlafen und trocken beginnen wir den nächsten Reisetag. Heute wollen wir endlich den uns schon bekannten Moselradweg verlassen und in unbekannte Regionen aufbrechen. Endlich.

                  Südlich von Metz fährt man stadtauswärts einen idyllischen Kanal entlang. Den kennen wir schon. Auf einer Seite verläuft der Fußweg, auf der anderen der Radweg. Mit diversen Schildern sich bei Androhung strenger Strafen dran zu halten. Der Fußweg ist eben, gut ausgebaut und befestigt. Der Radweg nichts davon. Das ist einfach ein Pfad durch die Büsche. Über Baumwurzeln geht es auf und ab. Unbefestigt und jetzt nach den diversen Regenfällen voller Pfützen und völlig ausgewaschen. Dabei so schmal, dass sich Räder kaum begegnen können. Unter mehreren Brücken hindurch wird es so schmal, dass man nicht mehr neben dem Rad schieben kann, sondern es hinter sich herziehen muss. Diesmal waren zusätzlich noch sämtliche Fußgänger auf der Radwegseite unterwegs. Wir beschließen also irgendwann entnervt, den völlig verlassenen Fußweg zu benutzen. Es scheint auch niemand wirklich was dagegen zu haben. Ansonsten ist es hier wirklich schön. Zumal bei so gutem Wetter, wie wir heute haben.

                  Zwischendurch wechseln wir kurz auf die Straße, um einen Supermarkt anzufahren. Wir machen es meist so, dass einer draußen bei den Rädern bleibt, während der andere einkauft. Ich stehe da also neben den beiden bepackten Rädern und bin bald von einer Gruppe von Menschen umgeben, die eifrig auf mich einreden. Um das noch anzumerken: Ich bin in Sachen französischer Kommunikation fast so gut wie in deutscher. Ich habe dort mal ein Jahr lang gelebt. Dass wir nach "Compostele" wollen, sehen sie an den Muscheln. Und siehe da: In Frankreich wird der Superpilger anders gecastet. Die Menschen sind zu Tränen gerührt. Wünschen uns alles Gute. Wir seien "die wahren Helden unserer Zeit". So etwas brauche unglaublich viel Mut. Und immer wieder heißt es "Betet für uns, wenn ihr dort seid". Einige stecken Blumen an die Räder.

                  In Jouy aux Arches kehren wir auf die Straße zurück und fahren unter dem römischen Aquädukt durch. Nun geht es die wenig befahrene Landstraße entlang nach Pont á Mousson. Wir radeln fröhlich auf und ab und freuen uns, dass das nun schon viel besser geht als am Anfang. Die Prämonstratenser-Abtei dort schenken wir uns. Die haben wir uns schon im letzten Jahr angeguckt. Wir kehren lieber beim großen M ein. Da gibt es Internet gratis. Das hatten wir im letzten Jahr schon genutzt. Es ist inzwischen so heiß geworden, dass man gerne im Schatten sitzt. Anschließend geht es weiter die Straße entlang, meist entfernt von der Mosel.

                  Von Custines nach Pompey überqueren wir den Fluss, da wir nicht weiter an der Meurthe entlang nach Nancy wollen, sondern am Moselufer nach Toul. Der Mosel-Radweg folgt hier der Meurthe. Wir fahren jetzt nach IGN-Karte, da es keine Ausschilderung mehr gibt. Das geht im Prinzip sehr gut, nur sieht man nicht immer, auf was für Steigungen man sich da einlässt. Die Straße führt oben am Berg entlang, nicht unten am Ufer. Erst ein paar Dörfer weiter finden wir einen Abzweig in Richtung Mosel, der wir dann folgen. Nun auch wieder auf einem Weg durch die Idylle. Eine Weile geht das gut. Bis wir den Schildern „Boucles de La Moselle“ folgen und weit vom Fluß abkommen. Wir fahren einen großen Bogen. Und geraten in ein aufziehendes heftiges Gewitter.

                  Unser Ziel ist der Campingplatz in Villey le Sec bei Toul. Der sorgt für eine unerwartet heftige Bergankunft. Zwar liegt er unten an der Mosel, aber da wir aus der falschen Richtung kommen, müssen wir mehrere Steigungen überwinden bis wir wieder ganz nach unten fahren. Der Platz ist unerwartet schön. Wir sehen direkt auf den Fluß. Und haben eine überdachte Tisch-Bank-Kombination ganz für uns allein. Auch sonst ist der Platz nett ausgestattet. Wir sitzen also noch ein Weilchen unter dem Dach.

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                    7. Tag

                    Die Mosel entlang machen wir uns auf den Weg nach Toul. Das ist nicht weit. Über eine große Brücke geht es in den Ort. Rundherum gibt es Festungswälle. Wir kurven ein Weilchen herum, bis wir an die Kathedrale kommen. Leider ist sie verschlossen. In der Touri-Information nebendran bekommen wir einen Pilgerstempel (das ist in Frankreich die übliche Anlaufstelle dafür) und man erklärt uns, dass gerade eine Orgel-Tonaufnahme stattfinde, also keine Hoffnung bestünde, irgendwann doch noch eine Besichtigungsmöglichkeit zu finden.

                    Wir beschließen also, weiterzufahren. Dazu verlassen wir das Moseltal, um über ein paar Hügel die Meuse zu erreichen. Allzuviele Höhenmeter sind dazu nicht zu überwinden. Zwischen beiden Flüssen gibt es einen Kanal mit vielen Schleusen, um die Wasserscheide zu überwinden. Daran entlang gibt es einen nett zu befahrenden Radweg, den wir am Ortsausgang auch schnell finden. An den Schleusen geht es jeweils etwas bergauf, aber nicht allzu viel. Wir kommen gut voran.

                    Später nähern wir uns einem Hügelkamm und – siehe da – der Kanal verschwindet in einem Tunnel. Natürlich ohne einen Radweg dabei. Wir versuchen, über einen Feldweg den Hügel zu überqueren. Aber der Weg verläuft sich zwischen den Hügeln und an der Autobahn. Wir müssen also zurück in den letzten Ort. Dort erklimmen wir den Hügel an der steilsten Stelle, bis wir auf seinem Kamm auf eine Straße treffen, die auf der anderen Seite wieder nach unten führt. Dort treffen wir auf den Kanal, der ab hier aber nicht mehr in unsere Richtung führt.

                    Bis Domremy la Pucelle folgen wir nun der Meuse. Es geht eine Straße entlang. Ein bisschen hügelauf- und –abwärts. Im Ganzen aber problemlos zu befahren. Dort angekommen, picknicken wir im Vorgarten von Jeanne d’Arcs Geburtshaus. Das kennen wir schon. Also sparen wir uns den Eintritt für die Besichtigung. Wir besuchen lieber die kleine romanische Kirche daneben und die große Basilika oben am Berg, wo eine Jubiläumsfeier vorbereitet wird. Man stellt gerade jede Menge Stühle auf. Eine Kindergruppe probt ein Theaterstück. Es ist ungemütlich.

                    Im Ort gibt es einen Campingplatz. Wir wollen aber weiter bis Thonnance les Moulins. Ab Domremy werden die Campingmöglichkeiten noch knapper. Da passt die Einteilung besser, wenn wir noch weiterfahren. Dazu geht es zurück nach Greux, wo wir das Meuse-Tal in Richtung Westen verlassen. Wir folgen einem schmalen Tal. Es geht zunächst sanft aufwärts. Das Abendlicht verschönt die Landschaft zusätzlich. Am Talboden kringelt sich ein Bach. Die grünen Wiesen sind mit bunten Blüten übersät. Wir sind ganz allein. Kein Auto kommt uns entgegen. Wir passieren ein kleines, völlig verlassen daliegendes Dörfchen.

                    Am Talende wird die Straße steiler. Der nächste Ort heißt Vaudeville le Haut und das ist wörtlich zu verstehen. Wir sehen ihn lange bevor wir ihn erreichen, oben auf der Hügelkuppe liegen. Das letzte Stück müssen wir schieben. Nicht schlimm, wenn die „Passhöhe“ schon sichtbar vor einem liegt. 130 Höhenmeter haben wir damit bewältigt, von der Meuse aus. Das ist natürlich erst der Anfang. Zunächst weiter durch Wiesen, dann durch den Wald geht es noch einmal 30 m aufwärts. Die Straße ist zwar völlig unbefahren, aber gut ausgeschildert. Die Orte haben hier etwa 7 km Abstand. Der nächste liegt natürlich unten an einem Fluss. Wir rauschen entspannt abwärts, ahnen aber natürlich schon, dass wir alles, was wir abwärts fahren, auch wieder hinauf müssen. Wir wissen das noch nicht, aber das wird eines der Grundmuster dieser Tour.

                    Anscheinend liegen die Dörfer hier häufig an einem Bach. Von einem zum anderen liegt dann jeweils eine Höhe dazwischen. Von oben hat man einen weiten Blick. Von unten türmen sich die nächsten Hügel teilweise beängstigend. Die Durchquerung der Dörfer ist meist etwas verzwickt, da niemand auf den Straßen ist, den man fragen könnte. Und das schmale Sträßchen verliert sich regelmäßig in den Dorfgassen. So fahren wir etliche Extrarunden durch verträumte Dörfer. Was natürlich kein Schaden ist. Jedes besteht aus idyllischen Winkeln, mindestens einer alten Kirche und vielen alten Häusern. Ab und zu hört man einen Hund bellen. Dank IGN-Karte finden wir irgendwann die richtige Ausfahrt.

                    Langsam wird es dämmerig und wir merken die vielen Steigungen zunehmend in den Beinen. Die Strecke zieht sich. Wir zählen die noch zu fahrenden Kilometer rückwärts. In Soulaincourt verlassen wir den Jakobsweg und biegen nach Süden ab. Wir tun das gern. Er macht sich gerade mal wieder an einen heftigen Anstieg über eine Hügelkette. Wir folgen nun, deutlich zügiger, einem Bachtal abwärts bis an die Thonnance. Hier liegt Thonnance les Moulins zwischen diversen Mühlen. Und hinter dem Ort, in der Forge Ste Marie ein großer Campingplatz, den man so abgelegen gar nicht erwarten würde.

                    Es ist schon dunkel, als neben uns ein erleuchteter fahnengeschmückter Eingang erscheint. Zwischen historischen Gebäuden ein großer Platz mit allem, was dazu gehört. Sogar einem Hallenbad, das gerade schließt. Er wird von Holländern betrieben, beherbergt viele Wohnmobile und Wohnwagen. Man sieht uns an, als wären wir vom Mond geplumpst, nimmt uns aber auf, obwohl wir nicht reserviert haben. Wir bauen erleichtert unser Zelt auf, gehen duschen und essen im angeschlossenen Restaurant. Glücklicherweise – morgen ist Sonntag und wir haben seit Ewigkeiten keinen Laden mehr passiert – gibt es auch einen Laden, der uns morgen früh mit allem versorgen wird, was wir brauchen.

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                    • Enja
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                      #11
                      AW: [DE] [F][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

                      8. Tag

                      Heute müssen wir wieder, um den nächsten Campingplatz zu erreichen, 100 km zurücklegen. Mit unaufhörlichen Steigungen. Wir fahren also vorsichtshalber mal relativ früh los. Morgens ist das Wetter gar nicht schlecht, aber wir stehen in einer absoluten Schattenecke, so dass es sich nicht lohnt, auf ein Abtrocknen des Zelts zu warten.

                      Wir müssen nicht zurück, um den Hügelzug von gestern abend nun zu überqueren. Wir folgen der Thonnance bis Noncourt sur le Rongeant und umfahren ihn dabei bequem. Die Straße führt uns weiter bequem am Flüsschen entlang nach Joinville an der Marne, die wir in der Ortsmitte überqueren. Joinville liegt sonntäglich ruhig da. Diverse Radlergruppen sind unterwegs. Wie in Frankreich in der deutlichen Mehrheit meist Rennradler. Sie grüßen jeweils freundlich und bieten auch häufig Orientierungshilfe in den Ortschaften an. Dazu gibt es offene Läden und Bäckereien, so dass wir uns frisches Brot und Obst für ein Picknick besorgen.

                      Ein Stück noch die Marne aufwärts, dann geht es wieder aufwärts aus dem Tal heraus in die Hügel. Wir benutzen sehr sehr schmale Sträßchen, die allein für uns angelegt zu sein scheinen. Autoverkehr gibt es praktisch gar nicht. Es geht weiter fröhlich auf und ab, wobei die Orte jetzt auch gerne auf den Hügelkämmen liegen. Wir müssen dann natürlich da auch rauf. Schließlich verlaufen Straßen von Ort zu Ort und eher nicht kraftschonend durch die Täler. Der Wald wird weniger. Es geht eher durch Wiesen und Felder. Die Rapsfelder reichen bis zum Horizont und ziehen sich über die Hügelwellen. Auf den Kämmen reihen sich die Windräder auf. Haben wir sie erreicht, wissen wir, dass wir mal wieder abwärts sausen dürfen. Und natürlich gleich wieder nach oben. Man sieht jetzt die Straße häufig weit voraus, so dass man sich über den weiteren Verlauf kaum Illusionen macht.

                      Die Hügel werden niedriger und stehen weiter auseinander. Die Steigungen bleiben aber knackig. Es macht keinen großen Unterschied, ob sie 300 oder 400 m hoch sind. Oder vielleicht nur 200 m. Das Auf und Ab bleibt sich gleich. Die Straße führt kerzengeradeaus drüber. Ohne vielleicht mal einen Haken zu schlagen, um die Steigung zu entspannen, wie das anständige Straßen in den Bergen tun. In den Hügeln scheint das den Straßenbauern zu aufwändig zu sein.

                      Schon von weitem sieht man das Lothringen-Kreuz in Colombey les deux Eglises. Verstärkt dadurch, dass hier in der sonst ziemlich gleichförmigen Hügellandschaft ein paar markante Kuppen stehen. Vor dem Ort wellt sich die Landschaft noch einmal besonders anstrengend. Und im Ort selbst treffen wir – auf den Tourismus. Irgendwie eigenartig nach soviel verlassener Landschaft. Die Busse reihen sich aneinander. Menschengruppen laufen herum. Wir kennen den Ort schon, setzen uns also bei schöner Aussicht zum Picknick und beantworten die üblichen Fragen. „Seit ihr mit dem Fahrrad wirklich von Deutschland bis hier hergekommen?“ Und natürlich „Wo wollt ihr denn hin?“

                      Hinter dem Ort endet Lothringen und wir erreichen die Champagne. Zunächst gibt es aber erst einmal eine lange tolle Abfahrt ins Tal. Die haben wir uns verdient nach den vielen Steigungen. Colombey liegt wirklich sehr „oben“. Das wird bei uns langsam zum geflügelten Wort. „Wo sind wir?“. „Keine Ahnung. Aber ganz oben.“

                      Jetzt geht es erst einmal lange und rasant abwärts auf guter Straße durch den Wald bis wir ein Tal erreichen, dem wir ein Weilchen folgen bis es links ab nach Clairvaux geht, dass wir kurz darauf erreichen. Hier müssen wir einen Stop einlegen. Egal, wie viele Kilometer noch vor uns liegen. Wir waren schon einmal am Kloster. Es hat eine große kulturhistorische Bedeutung, wurde aber von Napoleon in ein Gefängnis verwandelt und ist das bis heute. Bei unserem letzten Besuch wurden wir deshalb gleich weitergeschickt.

                      Jetzt gibt es einen Ticket-Schalter. Da müssen wir doch gleich mal hin. Das Kloster ist zwar als Gefängnis immer noch in Gebrauch. Aber es gibt jetzt Führungen. Fotoapparate und Handys bitte im Auto einschließen. Schon das erste Problem. Aufbewahren wollen sie das für uns auch nicht. Schließlich dürfen wir unsere Lenkertaschen mitnehmen und schwören, nichts daraus drinnen zu lassen und keinerlei Fotos zu machen.

                      Was wir jetzt zu sehen bekommen, fällt weniger unter das, was man unter einem Kloster versteht. Die Anlage selber war vor der Umwandlung stark barockisiert worden. Davon wird jetzt einiges restauriert. Da gibt es große Säle, die sicher mal ganz prächtig waren, in die man dann Zwischendecken eingezogen hat, um Zellen einzubauen. Aus den Fenstern ragen Ofenrohre. Der Kreuzgang ist komplett vergittert. Während wir noch denken „schade“, laufen wir die Treppen nach oben und finden eine Art Gefängnismuseum. Auch als Gefängnis hat Clairvaux wohl mal eine erhebliche Bedeutung gehabt. Victor Hugo holte sich hier die Anregungen zu den Miserables. Da gibt es allerhand Geschichten zu erzählen. Und auch viel zu sehen. Das genauer zu beschreiben, würde hier den Rahmen sprengen….

                      Es dauert also erheblich länger als gedacht, bis wir uns wieder auf den Weg machen. Es geht am Kloster entlang hoch in den Wald. Und hoch. Und hoch. Und hoch. Hier fahren auch Autos. Wenn wir auch noch keine Weinberge sehen, so unterscheiden sich doch die Dörfer hier in der Champagne stark von denen in Lothringen. Während die romantisch, historisch, ärmlich aussahen, ist jetzt hier alles sehr herausgeputzt. Man riecht den Wohlstand förmlich. Überall wird zur Champagnerprobe eingeladen. Weingüter und Weinhändler reihen sich aneinander. Die Windräder sind aus der Landschaft verschwunden. Und schließlich erreichen wir auch die Weinberge als wir in das Seine-Tal abfahren. Wir überqueren die Seine in Gye sur Seine und verlassen das Tal sofort wieder. Die Seine ist hier noch ganz schmal.

                      Nun ist es bis Les Riceys, wo es einen Campingplatz gibt, nicht mehr weit. Die Steigungen sind machbar. Es dämmert. Wir erreichen den Ort. Wir der Name schon sagt, ist es eine Anzahl von Teilorten. Wo ist der Platz? Die Wegweiser beziehen sich nur auf Hotels. Wir fahren mal ein Stück in einen rein. Keine Hinweisschilder. Das hatten wir noch nie. Gibt es vielleicht doch keinen. Zu allem Überfluss hat der übliche Nieselregen auch schon längst wieder eingesetzt. Ein Zimmer? So spät hat die Touri-Info geschlossen. Die Hotels sehen sehr teuer aus. Überhaupt der ganze Ort. Was tun?

                      Ich halte einen entgegenkommenden Geländewagen an. Das ist doch schon mal was. Menschen. Die treffen wir auf unserer Reise selten diesmal. Jedenfalls brechen die Insassen bei meiner Frage nicht in Gelächter aus, sondern setzen zu einer Wegbeschreibung an. Einer sehr langen und umständlichen. Ich gucke wohl etwas ratlos und frage, ob es irgendwann auf diesem komplizierten Weg mal Hinweisschilder gäbe. Nein. Man schlägt vor, uns hinzubringen. Es sei kompliziert. Das Auto rauscht vor uns durch den Ort. Wir strampeln hinterher und halten vor der Mairie. Man müsse sich beim Bürgermeister anmelden. Der Hausmeister kümmere sich dann um einen Platz und Wasser. Es sei sonst niemand da. Wie im Moment Bürger- und Hausmeister. Er führt uns auf eine Wiese mitten im Ort von einem Bach umflossen, die vielleicht früher mal ein Campingplatz war. Es gibt sogar völlig zertrümmerte Sanitäranlagen und natürlich kein Wasser. Gar nichts. Aber da der Bach die Wiese auf drei Seiten begrenzt und Hochwasser führt, ist mit Besuch nicht zu rechnen. Morgen sollen wir aber ganz bestimmt beim Bürgermeister klingeln, damit wir bei ihm duschen können. Eine urwaldähnliche Eingrünung sorgt für Sichtschutz. Wir sind müde, bauen unser Zelt auf, essen im Regen und gehen schlafen. Das Wasser rauscht.

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                      • Enja
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                        #12
                        AW: [DE] [F][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

                        9. Tag

                        Etwas gerädert brechen wir auf. So eine Dusche hat doch irgendwie was. Als wir den Ort verlassen, finden wir sowohl Campingschilder zu unserem „Platz“ als auch einen Supermarkt, wo wir uns erst einmal eindecken und ein üppiges Frühstück auf einer Bank in der Grünanlage abhalten. Danach sind wir wieder fit.

                        Es geht nach vor auf und ab durch die Hügel. Die sind jetzt nicht mehr kurz- sondern eher langwellig. Trotzdem kommt man sich vor wie auf hoher See. Das bringt zwar immer mal tolle Fernblicke und rasante Abfahrten. Aber es ist sehr anstrengend. Weswegen wir heute weniger Kilometer fahren wollen. Die Champagne wollen wir heute in Richtung Burgund verlassen. Burgund hat uns schon immer gut gefallen. Da freuen wir uns schon.

                        Durch die langwelligeren Hügel sind die Steigungen hier länger. Je weiter der Tag voranschreitet, desto häufiger schiebe ich, weil es mir zuviel wird. Jetzt folgen wir auch nicht mehr sklavisch dem Jakobsweg, sondern gucken öfter mal, ob man nicht irgendwie abkürzen oder eine Steigung vermeiden kann. Unverhofft kommt dabei oft. Der nächste größere Ort ist Tonnerre (hoffentlich ist da nomen nicht omen) am Canal de Bourgogne. Also im Tal. Wir beschließen, schon vorab zum Kanal abzufahren. Dabei nutzen wir „zufällig“ eine wunderschöne Strecke bergab durch die Hügel an einem verfallenen Zisterzienserkloster vorbei.

                        Im Tal treffen wir auf den Kanal, der wie erhofft, einen begleitenden Schotterweg hat, auf dem wir bequem nach Tonnerre radeln. Na gut, der Schotter ist ziemlich schlecht zu befahren. Aber es ist idyllisch. Und es gibt keine Steigungen. Dort, wo die Brücke in Richtung Stadt liegt, sehen wir den Campingplatz. Wir beschließen, weiter nach Auxerre zu fahren. Es ist noch recht früh.

                        In der Stadt besuchen wir zunächst die Quelle, die seit römischer Zeit gefasst ist. Ein sehr hübscher Ort. Wir sitzen dort eine Weile und kochen uns aus dem Quellwasser einen Kaffee. Anschließend schieben wir unsere Räder hoch zur Kathedrale. Die Straße ist extrem steil. Der Bürgersteig ist eine Treppe. Von oben hat man einen schönen Ausblick über die Dächer der Stadt auf die umliegende Landschaft. Wir sehen uns die Kathedrale an und fragen nach einem Pilgerstempel. Wieder heißt es, wir sollten uns an die Touri-Info wenden. Da die definitiv ganz unten liegt, unterlassen wir das.

                        Bisher haben wir Nebenstraßen benutzt, die mit dem Jakobsweg teils identisch waren, bzw. ihm nahe, während der unbefestigte Fußweg mal mehr mal weniger entfernt parallel lief. Der Weg, soweit er nicht die Straße entlang führte, sah eher nicht so aus, als sei er mit unseren Trekkingrädern befahrbar. Speziell nicht bei Dauer-Regenwetter. Hier in Tonnerre führt er zunächst an der Quelle entlang, dann hoch über Treppen zur Kathedrale und von dort aus weiter hoch in die Hügel, zunächst mal asphaltiert. Wir beschließen, ihm mal versuchsweise direkt zu folgen. Ausgeschildert ist mit rot-weißem Balken. Ein GR halt. Wir haben den gelben Outdoorführer Jakobsweg, Trier-Vezelay dabei und folgen jetzt seiner Beschreibung.

                        Zunächst einmal geht es heftig aufwärts. Auf Asphalt. Später unbefestigt aber befahrbar weiter. Natürlich ist es jetzt noch einsamer als vorher auf den Nebenstraßen. Die rot-weißen Markierungen sind manchmal schlecht zu finden und Anweisungen wie „am nächsten Haus rechts abbiegen“ meist nicht so ganz eindeutig. Aber es klappt. Wir kommen an der angekündigten Wildschwein-Koppel (die werden hier gezüchtet) vorbei und folgen weiter dem Weg bis wir eine Straße erreichen, der wir dann Richtung Auxerre folgen. Ein netter Exkurs, aber doch sehr zeitaufwändig. Wir beschließen, das öfter mal zu machen, wenn es sich anbietet.

                        Jetzt fahren wir eine TGV-Strecke entlang, auf der ununterbrochen die schnellen Züge entlangrauschen. Die Steigungen sind heftig und reihen sich quasi ununterbrochen aneinander. Auxerre liegt an der Yonne. Bis dahin gibt es diverse Hügel zu überqueren. Die Hügelkämme liegen sehr dicht. Wir sammeln kräftig Höhenmeter. So kommen wir nach Chablis. Hier treffen wir auf eine sehr stark befahrene Durchgangsstraße. Ein Seitenstreifen ist selten oder nur sehr schmal vorhanden. Die Steigungen werden zum Himmelfahrtskommando. Im niedrigen Gang aufwärts auf Tuchfühlung mit den LKWs.

                        Nach kurzer Zeit beschließen wir, lieber seitwärts auszubiegen und einen Haken zu schlagen. Das ist natürlich nicht nur weiter. Die Durchgangsstraße benutzt das Tal. Seitwärts geht es steil bergauf durch die Weinberge. Die Leute am Wegesrand, die wir fragen, ob wir oben über den Hügel auch Richtung Auxerre weiterkämen, bezweifeln das. Tatsächlich landen wir in einem Gewirr von Wirtschaftswegen, die nicht wirklich schachbrettmäßig verlaufen und von denen etliche einfach irgendwo enden. Wir sehen zwar einen Weg, der uns geeignet erscheint, aber der verläuft auf der anderen Seite eines tief eingeschnittenen Tals. Sowas fällt bei uns unter „überflüssige Steigungen“ und muss vermieden werden. Es gibt genug unvermeidliche.

                        Jedenfalls schaffen wir es, einen Ort auf einem antennengeschmückten Hügel zu erreichen, der laut Karte direkt vor der Autobahn um Auxerre liegt. Wir gehen davon aus, dass es danach runter in den Ort geht. Pustekuchen. Dahinter liegen noch mehrere. Es ist schon spät genug. Etwas lustlos mühen wir uns über die Anhöhen. Schließlich sehen wir das Yonne-Tal und Auxerre dort liegen. Ein großer Ort. Und überhaupt nicht eben. Jedenfalls geht es erst einmal bergab und über die Yonne. Von der Brücke aus haben wir einen tollen Ausblick auf die Altstadt und den Sonnenuntergang. Und finden hier Wegweiser in Richtung Campingplatz. Der liegt ordentlich außerhalb in einem Sport- und Freizeitgebiet, hat aber erfreulicherweise offen. Wir werden freundlich empfangen und können unser Zelt aufbauen und duschen gehen. Feierabend. Wie schön. Das Duschwasser ist zwar eiskalt. Und die Außentemperaturen auch. Aber kaltes Wasser ist schon mal deutlich besser als gar keins.

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                          #13
                          AW: [DE] [F][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

                          10. Tag

                          Wir beginnen den Tag mit einer Reifenpanne, die wir bemerken, als wir vom Platz fahren wollen. Also Kommando rückwärts. Merkwürdigerweise ist es ein Vorderrad. Wir flicken den Schlauch und pumpen ihn so lala auf. Mal gucken, wo wir Luft bekommen. An den Tankstellen scheint das hier nicht so üblich zu sein und wenn, dann gebührenpflichtig. Wir sehen uns erst einmal die Stadt an. Die Altstadt ist groß und malerisch. Es gibt Läden jeder Art und viel Fachwerk. Länger verweilen wir an und in der Kathedrale. Es gibt eine interessante Krypta und Darstellungen von Christus zu Pferde. Wir bummeln noch ein bisschen herum, lassen uns bei einer Autowerkstatt den Reifendruck an allen vier Reifen kontrollieren und auffüllen.

                          Weiter geht es die Yonne aufwärts, bzw. an einem Seitenkanal. Daneben gibt es einen perfekt ausgebauten Radweg. Hier ist es so schön, dass wir gleich erst einmal eine Rast in der Sonne einlegen. Das Wasser fällt über eine Staustufe. Kanus sind unterwegs. Dazu Radler und Wanderer. U.a. etliche Pilger mit Muschel am Rucksack, die stramm dahinmarschieren.

                          Während wir das entspannte Radeln und die schöne Umgebung genießen, zieht schon wieder eine Gewitterfront auf. In Vincelles ist es soweit. Es regnet, als würde jemand Eimer über uns ausschütten. Wir retten uns beherzt in ein „Restaurant“. Zusammen mit noch einigen Radfahrern. Während wir alle noch unsere nassen Sachen über die Stühle drapieren und interessiert aus dem Fenster gucken, wie es da wohl weitergeht mit dem Wetter, bemerken wir, dass wir in einer merkwürdig surrealen Umgebung gelandet sind. Wahrscheinlich unverändert, unrenoviert und ungeputzt seit mindestens 100 Jahren. Wir entschließen uns synchron, lieber nichts zu essen und bestellen Tee. Das wärmt.

                          Als der Regen aufhört, fahren wir weiter. Leider können wir diesem komfortablen Weg nur bis Cravant folgen. Ab hier ist uns der weitere Weg unklar. Wir müssen die Yonne in Richtung Vezelay verlassen. Zunächst geht es noch einen ähnlichen Kanal entlang. Aber irgendwann landen wir in einer Sackgasse. Laut Karte haben wir die Wahl zwischen stark befahrener Autostraße und dem Jakobsweg. Unbefestigt über den klatschnassen Lehm in den Hügeln. Praktisch geht es überhaupt nicht weiter. Zunächst müssen wir mit einem Sprung unter die nächste Brücke, weil ein heftiges Gewitter losbricht. Blitz und Donner sind so heftig und so nah, dass ich es trotz der „Überdachung“ mit der Angst bekomme. Dann erwischt uns eine Böe, die in dem Durchgang unter der Brücke eine Art Düsenwirkung entwickelt. Einen Augenblick habe ich den Eindruck, dass wir gleich gemeinsam mit beiden Rädern darunter herausgeblasen werden. Einiges, was nicht angebunden war, fischen wir aus dem Kanal. Trotz Brücke sind wir jetzt ziemlich durchnässt und frieren.

                          Wir haben jetzt die Wahl. Weiter an dem Fluss entlang, an dem der Kanal endet, das sieht nach Karte stimmig aus. Geht aber nicht. Der Weg ist nicht befahrbar und nur ein kurzes Stück beschiebbar. Also zurück. Über die Brücke. Und zurück nach Cravant – wollen wir nicht. Einen ähnlichen Uferweg am Fluss wie auf der anderen Seite gibt es. In die falsche Richtung. Und noch einen Abzweig in die Hügel, der vor einer Bahnlinie endet. Sowas hatten wir auch noch nicht.

                          Also vorwärts: wir müssen zurück. In Accolay nehmen wir den einzigen Abzweig. Der unbefestigte Weg scheint uns in eine falsche Richtung zu führen. Aber Überraschung: wir treffen auf eine rot-weiße Markierung und kurz darauf auf einen richtigen, echten Jakobsweg-Wegweiser. Das ist er, der richtige Weg. Die Durchgangsstraße ist auf der anderen Flussseite und damit für uns im Moment sowieso nicht erreichbar. Wir folgen im Regen dem Weg. Allerdings nicht weit. Der Lehm ist völlig aufgeweicht, klebt an den Reifen und füllt den Abstand zwischen Schutzblechen und Reifen aus bis sich die Räder nicht mehr drehen. Besonders nachhaltig bei meinem Rad. Wir kratzen die Brocken heraus. Neuer Versuch. Nach wenigen Metern blockieren die Räder wieder. Beim anderen Rad schleift es zwar mit der Zeit, aber es kommt noch irgendwie voran. Es nützt alles nichts. Wir müssen da durch. Am besten auch nicht nur schiebend und schleifend. Es ist noch ein ganzes Stück bis Vezelay. Ich gebe buchstäblich mein Letztes. Schiebend, kratzend, schleifend, zerrend, im kleinsten Gang mit voller Kraft fahrend. Die Strecke zieht sich endlos. Wir nehmen die erste Brücke in Richtung Durchgangsstraße. Weder Autoverkehr noch Steigungen noch Tunnels stören mich jetzt noch. Leider kommen wir auch zu spät zur Höhle von Arcy. Und es regnet immer stärker. So richtig toll ist der Weg nicht. Ich fahre mit letzter Kraft.

                          Irgendwann kommt Vezelay in Sicht. Es liegt malerisch oben auf seinem Felsplateau. Das sieht toll aus. Aber arbeitsintensiv. Die Campingplätze liegen unten. Im Lehmmatsch. Nicht besonders verlockend. Wir beschließen uns ein Zimmer zu suchen. Koste es, was es wolle. Aber natürlich nicht „wo auch immer“. Wenn schon denn schon. Also die Straße nach Vezelay hoch. Wir kurbeln uns tapfer nach oben bis hinter einer Kurve der Ort beginnt. Hier steht die Pilgerherberge der Fraternite de Jerousalem. Davor steht ein deutscher Pilgerkollege, der meint, wir könnten da übernachten, wenn wir uns bis 20 Uhr im Büro der Fraternite an der Kathedrale melden. Das sind noch fünf Minuten. Wir quälen uns aufwärts, legen einen sensationellen Schlussspurt hin.

                          Wir werden freundlich empfangen, registriert, bekommen den Türcode und die Zimmernummern, einen Stempel in den Pilgerpass und werden gefragt, ob wir am nächsten Morgen nach der Laudes einen Pilgersegen möchten. Wir sollen uns gleich entscheiden. *grübel* um 7 Uhr? He, wir sind todmüde. Na gut. Um 8 Uhr muss die Pilgerherberge sowieso verlassen sein. Unsere Räder schleppen wir in den Flur, wo die anderen auch schon stehen. Es sind überwiegend Radfahrer da. Dazu ein paar Wanderer. In einem Schlafsaal schlafen die Frauen, in einem die Männer. Alle sitzen in der Küche um einen großen Tisch. Wir essen und quatschen. Es ist sehr nett. Man spricht Französisch. Thema sind die Präsidentschaftswahlen. Die Franzosen möchten gerne weiterhin mit 60 in Rente. Und die bisherigen auskömmlichen Renten beziehen. Weshalb sie Hollande wählen wollen. Alle.

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                          • grenzenlos
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                            • 25.06.2013
                            • 566
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                            #14
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                            '' Ich fahre mit letzter Kraft ''

                            aber gelohnt hat es sich
                            Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                            Gruß, Wi grenzenlos

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                            • Enja
                              Alter Hase
                              • 18.08.2006
                              • 4750
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                              #15
                              AW: [DE] [FR][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

                              Im Grunde habe ich mein Fahrrad dort, doppelt so schwer wie sonst durch den ganzen Matsch, diverse Kilometer weit getragen.

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                              • Enja
                                Alter Hase
                                • 18.08.2006
                                • 4750
                                • Privat

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                                #16
                                AW: [DE] [FR][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

                                11. Tag

                                Wir stehen früh auf, um rechtzeitig in der Kirche zu sein. Durch den schlafenden Ort sprinten wir aufwärts in Richtung Kathedrale. Das Frühgebet ist sehr eindrucksvoll. Mönche und Nonnen stehen vor dem Altar. Das Frühgebet besteht aus gregorianischen Gesängen. Hinter den Fenstern geht die Sonne auf und taucht alles in ein märchenhaftes Licht. Vögel fliegen durch die Gewölbe und zwitschern. Schließlich werden wir zwischen die Mönche und Nonnen gebeten, erhalten unseren Segen, einen herzlichen Händedruck, viele gute Wünsche und ein kleines Buch.

                                Anschließend geht es „heim“ zum Frühstück. Während nun alle abreisen, sehe ich wohl ziemlich erschöpft aus. Mir geht es nicht gut. Als mir schwarz vor den Augen wird, beschließe ich, mich noch ein paar Minuten hinzulegen und wache am späten Nachmittag wieder auf. Das war wohl nichts mit der Abreise.

                                Wir machen einen Spaziergang durch den Ort, sehen uns noch einmal in Ruhe die Kathedrale an, besuchen die Abendmesse und sitzen anschließend auf einer Bank hinter der Kathedrale, um die Aussicht auf die Umgebung zu genießen. Sieht in Reiserichtung ziemlich bergig aus.


                                12. Tag
                                Gut erholt besuchen wir am nächsten Morgen noch einmal das Frühgebet, frühstücken und machen uns, nun auch bei besserem Wetter, wieder auf den Weg. Es ist Himmelfahrt. In allen Kirchen haben sich die Gemeinden versammelt. Drumherum gibt es Gartenfeste. Alles hat sich herausgeputzt. Und mit unseren endlich ausgeruhten Beinen geht es zügig die Berge hinauf. Ein Wunder, was so ein Ruhetag ausmacht.

                                Vom Abenteuer Lehmweg habe ich erst einmal genug. Den Fußpilgern geht das übrigens nicht anders. Die meisten, die wir in Vezelay trafen, humpelten in der ein oder anderen Weise, weil die aufgeweichten Wege zu diversen Stürzen geführt hatten. Die meisten beschlossen, ebenfalls auf Asphalt zu wechseln. Wir folgen also der mäßig befahrenen parallelen Straße. Die Berge sind jetzt klarer definiert. Es geht nicht mehr in kurzer Folge über viele Hügel, sondern lange bergauf über einen Höhenzug und dann wieder hinab ins Tal. Dabei gibt es viele Aussichtspunkte. In der Ferne stehen Schlösser in Weinbergen oder am Waldrand. Tatsächlich schlägt die Straße jetzt auch manchmal Haken, um die Steigung zu entschärfen, statt geradeaus nach oben zu führen. Das fährt sich dann gleich deutlich besser. In Corbigny angekommen, haben wir schon 30 km hinter uns, ohne nennenswert Kräfte gelassen zu haben. Hier finden wir ein paar offene Geschäfte, so dass wir uns mit dem Nötigen eindecken können. Nachmittags haben die Läden offensichtlich wegen des Feiertags geschlossen.

                                Wir überqueren also hinter Corbigny den Nivernais und klettern gleich wieder aufwärts. Wir möchten heute bis Nevers an der Loire. Also folgen wir tapfer weiter der Straße über Steigung auf Steigung. In Premery erreichen wir die Nievre. Ab hier können wir einer Hauptstrecke folgen oder wieder Haken auf einer schmalen schlagen. Das versuchen wir erst einmal. Es geht auf einem schmalen Weg gleich erst einmal heftig den Berg rauf. Das Tal bleibt hinter uns zurück, obwohl es uns direkt nach Nevers geführt hätte. Aussicht gibt es keine. Es geht stumpf durch den Wald aufwärts. Weiter und weiter. Wir sind brummig. Nachdem wir einen Berg erst überklettert und dann gefühlt auch noch umrundet haben, kommen wir in das Tal zurück.

                                Jetzt wird es idyllisch. Es geht knapp über dem Talboden durch eine grüne Wildnis, während unten der Fluss in diversen Armen herumschlängelt. Das genießen wir. Aber als der Weg das Tal mal wieder verlassen will, kehren wir auf die Hauptstrecke zurück. Hier geht es zur Abwechslung auch mal durch Orte. Wegen des Feiertags ist wenig Verkehr.

                                Nevers ist größer als gedacht. Wir fahren eine ganze Weile durch unwirtliche Vororte bis wir endlich an der Loire landen. Der Campingplatz liegt auf der anderen Seite des Flusses. Neben der historischen Brücke. Wir zelten hier „in der ersten Reihe“. Direkt am Wasser mit schöner Aussicht. Zwischen diversen Zelten mit Fahrrädern daneben. Bewohnt überwiegend von Niederländern. Allerdings sind alle auf dem Loire-Radweg unterwegs. Gute Idee. Das machen wir bestimmt auch irgendwann mal.

                                Aber jetzt machen wir uns erst einmal zu Fuß auf den Weg in die Stadt, da wir noch irgendwo essen wollen. Allerdings hat alles geschlossen außer dem Laden mit dem großen M. Danach ist uns nicht. Wir laufen also einmal durch die Altstadt und kehren dann zu unserem Zelt zurück. Dort ist es zu kalt zum Draußen-Sitzen, so dass wir bald schlafen gehen.

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                                • hosentreger
                                  Fuchs
                                  • 04.04.2003
                                  • 1406

                                  • Meine Reisen

                                  #17
                                  AW: [DE] [FR][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

                                  Na ja, Enja,

                                  ich verschlinge auch Deinen Bericht und suche nach für mich verwertbaren Brocken und finde auch so einiges, aber auch einiges, was mich fast schon manchmal etwas .... nennen wir es mal: bedenklich werden lässt. Aber was solls: No risk, no fun!
                                  Bin auch bei Dir auf die Fortsetzungen gespannt und würde mich über ein paar Fotos, die Deinem Schreibstil entsprechen, sehr freuen!!!
                                  hosentreger
                                  Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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                                  • Enja
                                    Alter Hase
                                    • 18.08.2006
                                    • 4750
                                    • Privat

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                                    #18
                                    AW: [DE] [FR][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

                                    "Risk" ist eigentlich nicht. Oder wo siehst du das? Frankreich bietet ein perfektes Netz ruhiger Nebenstrecken. Und auch, wenn man mal auf befahrenere Straßen gerät - Radfahrer werden dort sehr viel rücksichtsvoller behandelt als hier. Wenn uns das zu anstrengend geworden wäre, hätten wir jederzeit unser Zelt aufschlagen können. Nur mit "Wetter" ist halt immer zu rechnen.

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                                    • hosentreger
                                      Fuchs
                                      • 04.04.2003
                                      • 1406

                                      • Meine Reisen

                                      #19
                                      AW: [DE] [FR][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

                                      Zitat von Enja Beitrag anzeigen
                                      "Risk" ist eigentlich nicht. Oder wo siehst du das?.
                                      Risk bezog sich ausschließlich auf das Wetter. Wobei Du bisher (meist) nur von Nässe und nicht auch noch zusätzlich von Wind geschrieben hast... Risk in Zusammenhang mit stark befahrenen Straßen hatte ich genug bei meiner Italien-Tour vom letzten Jahr.

                                      Aber ich will meine Tour rund um die Ile de France ja gerade wegen der Landschaft, der kleinen Sträßchen und Dörfern machen, aber auch wegen der Dichte an Campingplätzen in F.

                                      Ich bin aber nicht böse, wenn meine Fahrt etwas trockener wird als Deine und die Hügel nicht so hoch und häufig wie bei Dir.
                                      Wobei nach meiner bisherigen Planung die meisten Tages-Höhenmeter in der Normadie zusammenkommen werden...

                                      hosentreger
                                      Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

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                                      • Enja
                                        Alter Hase
                                        • 18.08.2006
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                                        #20
                                        AW: [DE] [FR][ES] Mit dem Fahrrad auf dem Jakobsweg Mai bis Juni 2012

                                        Stimmt. Das Wetter war äußerst bescheiden. Die vielen Steigungen wurden durch die Streckenführung verursacht. In einem der Führer stand "über die Füße des Zentralmassivs". Wir fuhren sozusagen "quer zum Strich". Weniger Tälern und Flüssen folgend als immer senkrecht dazu.

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