AW: [BE] [NL] [DE] Zu Fuß von der Nordsee in die Eifel
Werner, jedesmal, wenn ich einen deiner grandiosen Reiseberichte lese, dann denke ich: Boah, mit dem würd ich gern mal auf eine Wanderung gehen...
Du suchst dir herrliche Routen aus, und schreibts so schön lapidar - immer eine Freude!!!
Grüße,
Rana
Werner, jedesmal, wenn ich einen deiner grandiosen Reiseberichte lese, dann denke ich: Boah, mit dem würd ich gern mal auf eine Wanderung gehen...
Du suchst dir herrliche Routen aus, und schreibts so schön lapidar - immer eine Freude!!!
Grüße,
Rana


Der Morgen war in etwa so, wie das Hotelzimmer der vergangenen Nacht. Ändern kann man nichts, also nimmt man es hin. Wir hatten das letzte freie Zimmer in Hulst bekommen. Leider nichts mehr frei, hatten uns alle Hoteliers und die Touristeninfo beschieden. Bis auf ein Hotel, da war noch ein Zimmer frei. Das letzte, jenes, das niemand sonst mehr nehmen will, weil man sich kurzentschlossen ins Auto setzten kann, weil es so weit bis zur nächsten Stadt nun auch nicht mehr ist. Wir hätten zum nahegelegenen Minicamping gehen können. Mitten im Wald, wäre das gewesen. Wir wollten nicht.
Von Westen nach Antwerpen hinein zu kommen, ist ganz einfach - sofern das Auto das bevorzugte Transportmittel ist. Bis zum Ufer der Schelde immer der Autobahn A11 folgen, da kann sich niemand verfahren. Den belgischen Wanderwegmachern ist es gelungen, dieser Autobahn für weite Strecken aus dem Weg zu gehen. Zumindest was den Blick auf den Verkehr anbelangt. Hören kann man diesen so gut wie immer. Zum ersten Mal gehört hatten wir die Schnellstraße schon, als wir über den langen Deich der den Konings Kieldrechtpolder zum Hinterland abschließt, vom Acker- und Wiesenland ins Obstanbaugebiet vor der Stadt wechselten. Große alte Bauernhöfe, mit noch größeren neuen Hallen, eingekreist von umzäunten Plantagen verlieren sich da im Einerlei der Obstkulturen Die hohe Zäune um Obstbaumkulturen müssen eine mitteleuropäische Spezialität sein. Obst mit Zäunen drumherum gibt es auch in der Grafschaft zwischen Bonn und der Ahr. So'n geklauter Apfel treibt bestimmt jeden Obstbauern in den Ruin.
Um die Autobahn waren wir dann doch nicht ganz drumherum gekommen, aber eine Stunde vor der Stadtgrenze wurde es noch einmal wild. Hohe Bäume, in dessen dichtem Laubdach die Sonnenstrahlen ihr Kraft ließen. Drunter dichtes Unterholz, in dessen Gestrüpp wir oft den Weg verloren. Ein Haufen wilder Feuerstellen, die Reste einer Behausung aus Plastikplanen, die ersten Pappverpackungen bekannter Fleischbratereien, und da war sie wieder, die Straße. Diesmal nicht die Autobahn, nur ein Ausfallstraße im sonntäglichen Müßiggang, und an derem Ende, der alte vergammelte Wegweiser für den GR 5A. Das war's, der GR 5A Deel Noord lag hinter uns. Von den offiziellen 243 und einem halben Kilometer hatten wir uns um die 20 geschenkt, weil wir manchmal abgekürzt hatten. 

Antwerpen ist nicht ganz so toll wie Brügge, aber dass wir auf so wenig Besucher treffen würden hatten wir nicht zu hoffen gewagt. Dies sowohl am Sonntagabend, wie auch am Montag. Nur selten ruckelten am Montag vollbesetzte Kutschen über den Grote Markt. Den Großteil des Tages standen sich die Pferde die Beine in den Bauch und die Kutscher hatten Zeit für ein ausgiebiges Schwätzen, und wir Muße für einen ruhigen stundenlangen Bummel durch die Stadt.
) auf die 
sehr fein von dir,Werner

Für Radfahrer gibt es große Lastenaufzüge, aus deren großen Türen, wenn es in der Stadt brummt, sie einen Schnellstart hinlegen - allen Unkenrufen oder Lobpreisungen zum Spott, der Belgier sei gemütlich. Jedoch der in feste Arbeitszeiten eingebundene Belgier hat es hin und wieder eilig, wenn für die Föhnfrisur mehr Zeit draufgegangen ist als geplant zum Beispiel; und so wird schon mal, eigentlich immer, jenes gutgemeinte und von Fußgängern mit Wohlwollen bedachte Fahrverbot für Radfahrer im Tunnel von Letzteren großzügig missachtet.
Nur, an jedem Abzweig standen diese komischen Wegweiser, diese Pilze aus weißem Kunststoff. Für Radfahrer sind die. Für Menschen, die sich Geräte an den Lenker montieren, die Kilometer zählen und diese anzeigen können, die Geschwindigkeit messen und diese anzeigen können, die den Puls zählen, den Kalorienverbrauch, die Zeit und selbstverständlich die Durchschnittsgeschwindigkeit errechnen und anzeigen können. Menschen, die diese Geräte haben, lieben vermutlich diese weißen Kunststoffpilze, für die sind diese schließlich auch gemacht. Das sind die Knotenpunktwegweiser für die belgischen Radwege. Am Kanal sieht jeder aus wie sein Nachbar, wenn da die Nummer nicht wäre. Oben drauf steht die Nummer, die Adresse, die Hausnummer sozusagen. Es ist zu befürchten, dass es eine dicke Liste gibt, in der fein säuberlich Nummer, Standort, und Aufschrift festgehalten wird. Die Nummer interessiert kein Mensch. Nur das Wohin, das Woher und das Wie-Weit ist von Belang. Als Radfahrer fliegt man höchstwahrscheinlich vorbei, registriert, dass man auf dem richtigen Weg ist, überschlägt kurz die Zeit bis Ziel und ist weg. Bis zum nächsten Abzweig ist es nicht weit. Dort wird wieder ein Knotenpunktwegweiser stehen.
Nachmittags waren wir da. Hinterm Haus des A.T.B. - De Natuurvrienden, der Belgischen Naturfreunde in Lindekens, fanden wir einen von Bäumen und Büschen umschlossenen Campingplatz vor *. Zwei Reihen Wohnwagen, deren Besitzer alle ohne Sichtschutz auskamen, die ihre Tische zur Mitte, zur Gemeinschaft hin aufgestellt hatten und etwas versteckt, hinter einer Hecke der Kinderspielplatz, einer der in die Jahre gekommen war. Kinder spielen auf dem Platz nicht mehr die allergrößte Rolle, stellten wir mit Bedauern fest. Der Campingplatz der Naturfreunde dort ist klein und gehört zu der Sorte, wo man seinen Geldbeutel verlieren darf, denn diesen wird man sicherlich zurückbekommen. Vermutlich sogar mit nach Nennwert sortierten Banknoten und die Flusen, die sich so gerne in selten genutzten Fächern ansammeln, würden bestimmt verschwunden sein. Vielleicht hatten wir uns das auch nur eingebildet. Dieser kleine Platz hinter dem weißen Haus, welches wie ein Schutzwall vor der Zeltwiese stand, war heile Welt aus dem Baukasten für Heile Welten. 
Kilometerschrubben stand an diesem Mittwoch auf unserem Beschäftigungsplan. Mal wieder, wie meine Frau unbedingt anmerken musste, als wir im Morgengrauen auf dem Bürgersteig vor dem Naturfreundehaus standen und beim Blick ins Wanderbuch die Überlegung anstellten, der offiziellen Streckenführung treu zu bleiben oder doch die ein oder andere Gerade einzubauen. Viel Zickzack versprach uns die erste Karte im Wanderbuch, die zweite kam uns auch nicht viel besser vor, auf der dritten Seite würde unser Tag enden, zum Glück in einem langgezogenen Bogen, dem wir die Ehre einer Geraden zustanden. Sozusagen die Vorfreude auf den Schlussakkord. Motivationsmäßig war das unbedingt nötig. Nicht wegen der Landschaft, das Wetter würde uns jegliche Motivation rauben. Der Wetterbericht hatte für die nächsten Tage stabiles Sommerwetter versprochen. 30 Grad Celsius und mehr. An der immer noch nahen Nordseeküste würden die Urlauber endlich ihre Tage im Genuss mediterraner Urlaubsfreuden verbraten können.
Wir nicht, wir würden schwitzen, stöhnen und klagen. Wir würden schattige Wege suchen, neidisch auf die Kühe starren, die ihren Tag im schmalen Schatten dünner Windschutzhecken und junger Alleen verbringen würden. Dunklen Wäldern - in dieser Region eigentlich eine schamlose Übertreibung -, denen wir auf unseren Wanderungen meist keine große Sympathie schenken, würden wir an diesem Tag hinterherlaufen müssen und keine finden.
Der Parkplatz vor der Klosteranlage vor der Abdij Tongerlo war leer. Der große Innenhof war ausgestorben. Kein Mensch weit und breit. Bis auf das leise Plätschern eines Brunnens war kein Laut zu hören. Vor den Ziegelsteinmauern staute sich die Hitze. Die schwarzen Schieferdächer schienen unter der gleißenden Mittagssonne zu leiden. Die Tür zur Kirche war verschlossen. Rechnete man an diesem heißen Tag nicht mit Besuchern, oder sieht man diese als potenzielle Kirchenschänder?
Später am Nachmittag war ein schwacher Wind aufgekommen. Warme Luft waberte durch den Klosterhof der Abdij van Averbode. Müde bewegte sich leichter Fahnenstoff bunter Flaggen vor dem Portal im Innenhof. Im Gegensatz zur Abtei Tongerlo, war der Innenhof hier gärtnerisch gestaltet. Schatten und Kühle spendende Hecken und Bäume nahmen dem Platz jedoch die Größe. Von irgendwoher ließen sich Stimmen vernehmen. Irgendwo da oben waren offene Fenster, irgendwo im Innern der Abtei waren Menschen. Draußen, dort wo es heiß war, waren wir alleine, da standen nur die Autos des Klosters. Natürlich war auch diese Klosterkirche verschlossen.
Zur späten Frühstückzeit plumpsten wir zum ersten Mal in die Stühle der Straßencafés auf dem Grote Markt von Diest. An diesem Tag sollte es noch oft „Plumpsen“. Mittags durften wir endlich ins Hotelzimmer. Der freundliche Besitzer hatte uns ein Eckzimmer zugestanden. Vier Fenster ohne Rollläden. Zwei nach Süden, zwei nach Westen, dem Sonnenlauf folgend. Wir würden den Tag woanders verbringen müssen. Auf den schattigen Terrassen der Kneipen, in den gekühlten Supermärkten, unter dem dichten Laubdach der Bäume im Stadtpark, am Ufer der Demer.
Uns hatte Diest gefallen, weniger wegen des Grote Markt, solche Plätze haben viele flämische Städte; und toll in Schuss sind die eh überall. Der Beginenhof war's. Nicht, dass wir deshalb unbedingt erneut dorthin müssen, aber gut, dass es noch Plätze gibt, die von Urlaubern nicht überlaufen werden.
Einen kurzen Augenblick hatten wir gezögert als unter dem hölzernen Wegweiser am Rand der Diester Umgehungsstraße standen. Doch Richtung Süden? Vielleicht bis an die Riviera? Doch nicht in ein paar Tagen rüber zur Eifel abbiegen? Man könnte, müsste halt nur wollen. Kilometerlang haben wir gesponnen, gerechnet und mögliche Ausstiegspunkte von wo aus meine Frau die Heimreise hätte antreten können im Kopf durchgespielt. Ende September in den Westalpen? Nicht mehr zu schaffen? Kopfwandern, eine unserer Lieblingsbeschäftigungen wenn sonst nichts los ist auf dem Weg. Wegweiser dieser Art gibt es leider nicht mehr allzu viele. Denen, die vor Jahren mit Euphorie aufgestellt wurden, als die ersten Europäischen Fernwanderwege markiert wurden, sieht man ihr Alter an, und die früher oft zu sehenden kleinen Schilder, die auf einen E-Weg hinweisen verschwinden mehr und mehr. Schade.
In Hasselt war was los. Überall Polizei, Straßensperren für Autos, Absperrgitter für Fußgänger und jede Menge Volk auf den Straßen. Uns schwante, dass es heute mit einem Hotelzimmer eher schlecht ausgehen könnte. Hasselt war im Radsportfieber. Hinter dem mit Werbung gepflastertem Zieleinlauf drängten sich die Zuschauer schon in Fünferreihen. Das belgische Fernsehen hatte seine Kameras in Stellung gebracht, und ehe wir uns versahen, bog der Werbekonvoi um die Ecke. In weniger als einer Stunde wurde die Spitzengruppe erwartet. 
Punkt 76 ist im Buch die Schleuse Godsheide, in deren Nachbarschaft unser B&B zu finden ist in der wir die letzte Nacht verbracht hatten. Punkt 94 ist die Kanalbrücke Veldwezelt am Stadtrand der niederländischen Stadt Maastricht. Die Tabelle ist was Entfernungen angeht pingelig und gefühllos: 76: Sluis Godsheide 198,1 km; 94: Kanaalbrug Veldwezelt 250,1 km; Wir mussten „plus x“ dazu rechnen; x hatten wir geschätzt: im Selbstbetrug einigten wir uns auf 2 Kilometer. Auf der zweistelligen Endabrechnung stand 'ne 50 vorm Komma. Doch auf zwei Tage aufteilen? Damit wäre die heimische Haustür endgültig passé. Gewaltmarsch? Selbst jahrzehntealte Ehen haben Belastungsgrenzen, die aus gutem Grund noch nie getestet wurden. Dabei wollten wir es belassen. Die Strecke musste unbedingt kürzer werden.
Am Punkt 94 lag Flandern hinter uns, Nur noch ein paar Schritte über die Brücke, und wir wären in Holland. Vom Nordwesten bis in den Südosten hatten wir das flache Land durchwandert. Jacques Brel hat es besungen. Der flämische Text von Mijn vlakke land (fr. Le plat pays) fehlt in den Topogids. Besonders dem Buch für den GR 5A, der Wandelronde van Vlaanderen würden die Zeilen gut zu Gesicht stehen. Es ist alles da, was Brel besungen hat. Von den hooge duinen, dem Strand, der bei Ebbe woest is als en woestijn bis hin zu den torenspits van hemelhoge kerken, die in dit vlakke land de enige bergen zijn. Vermisst haben wir de noordewind. Wir hätten ihn gebrauchen können. Dass er onze adem steelt hätten wir an den drückend-heißen Tagen im August in Kauf genommen. Wir hatten zuidenwind unter dem das Land tagelang gestöhnt hatte. Es war ja auch schon August. Einen Monat zu spät. Wir werden wiederkommen, dann im Juli, nur um zu sehen, ob Jacques Brels Textzeilen vom Südwind der durch die Getreidefelder weht, immer noch zutreffen. Seine ausgedruckten Textzeilen werden dann erneut im Gepäck sein.
Die Provinz Limburg ist Hollands Süden und genau wie in der Schweiz und in Deutschland, sind dort die höchsten Berge des Landes zu finden. Der Süden Limburgs hat rein gar nichts mit dem klischeehaften Hollandbild der Urlauber zu tun. Keine Kanäle und Grachten, keine Deiche und Siele, keine Polderlandschaften, deren Grenzen sich im niedrigen Himmel verlieren. Im Süden Limburgs kann man Berge hinauf gehen. Wenn einem der Sinn danach steht, sogar auf den höchsten Berg der Niederlande steigen. Der Vaalserberg ist 322,7 m hoch. Klar, Berg ist eine schamlose Übertreibung, deshalb spricht die Wikipedia nur von einer "Erhebung". Wir waren nicht auf dem Vaalserberg, obwohl es von dort nicht weit bis zur Aachener Jugendherberge gewesen wäre. Unsere Radkarte gab das einfach nicht her. An dem Tag hatten wir das bedauert; sehr viel später erfuhren wir, dass der Vaalserberg seinen Titel verloren hat. Ein karibischer Vulkan auf Saba (für Google: Niederländische Antillen, Besondere Gemeinden) ist nun offiziell der höchste Berg der Niederlande. Wir haben also nichts verpasst.
Dann ein Schild …
Leider sind wir an einem Sonntag in Aachen angekommen, dann wenn alle Buchläden geschlossen sind. Wenn nichts hilft, hilft der Bahnhofsbuchladen. Der hatte geholfen, doch mit Abstrichen. Alle brauchbaren Karten für unsere Wanderrichtung waren vergriffen. Dem Eifelsteig sei es gedankt. Wir mussten uns mit einer 50.000er Karte vom Kompass Verlag begnügen. Damit hatte sich die Sache mit den Abkürzungen erledigt. Bis zum Montag warten, um anständige Karten zu kaufen, wollten wir nicht. Keine Zeit. Rund 160 Kilometer trennten uns noch von der Haustür. Mit den vier, vielleicht auch fünf Tagen, die uns noch verblieben, war das machbar, sofern wir aufs Tempo drücken würden. Also Tagesziel: Heimbach am Rursee.
Unser Lieblingsplatz wurde der Dorfplatz mit seinen Bänken. Die lagen im Schatten und von dort konnten wir Mulartshütte kontrollieren. Mittags hielt der Schulbus, dem 3 oder 4 Kinder entstiegen. Ein oder zwei Radfahrer surrten durch die ebene Hauptstraße, gelegentlich ein Auto. Mulartshütte ist von Wald umgeben und liegt in einem Loch. An diesem Nachmittag sah es danach aus, als wollte alle Welt das Loch meiden. Zwischendurch erwogen wir sogar den erneuten Aufbruch. Packen und weiterziehn, nur damit überhaupt was passiert. 
33 km im Eifeler Dauerregen und die komplett durch eintönigen Wald – das Grauen konnte nicht größer sein. Dann fehlte auch noch die Markierung des Krönungswegs (HWW 10 des Eifelvereins, Aachen-Bonn). Irgendwo nach dem Queren der Bundesstraße 399 vermissten wir die. Wir waren stinksauer. Monotoner Regen, langweiliger Fichtenwald, fehlende Markierungen und zu allem Überfluss eine 50.000er Wanderkarte aus dem Kompass Verlag.
. Frau Hohn macht ja ganz schön was mit !
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