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21. September 2019
Etwas unvermittelt purzelten wir am Samstagmorgen in Rzeszow auf den Bahnsteig. Völlig unerwartet hatte unser Nachtzug aus Berlin seit dem letzten Halt die Hälfte seiner 20 Minuten Verspätung abgebaut, was wir aber erst merkten, als die Leuchtreklame einer ortsansässigen Firma vorbeisauste. Der Schlafwagenschaffner hatte es aber noch weniger bemerkt.
Jetzt standen uns nur noch drei Stunden Busfahrt nach Ustrzyki Dolne bevor. Wir mussten nur den richtigen Bussteig finden. Die Einheimischen wissen, wo ihre Busse abfahren, die Auswärtigen ... sollen eben die Einheimischen fragen. Die Abfahrttafel war aber am Ende auch so verständlich, nachdem wir diverse +*®©Ѫ der Legende zugeordnet hatten. "Ѫ" heißt übrigens, dass der Bus nur an orthodoxen Feiertagen verkehrt. Oder vielleicht trügt da auch meine Erinnerung.
Drei Stunden später kamen wir durchgeschaukelt am Bahnhof in Ustrzyki Dolne an. Eine Bahnverbindung hätte es auch gegeben, aber dafür waren wir sechs Jahre zu spät losgefahren.
Bahnhof ohne Bahn in Ustrzyki Dolne.
Wie es sich gehört, suchten wir den erstbesten Laden auf, um uns nach aktuellen Landkarten umzusehen. In Polen gilt bekanntlich das Motto „Landkarten kauft man, wenn es sie gibt - nicht, wenn man sie braucht“. Wir wurden sofort fündig und erwarben eine 2019 aktualisierte Karte im Maßstab 1:50.000, die den ganzen Urlaub abdecken würde - natürlich in der feschen wasserabweisenden Variante mit Camouflage-Muster auf der Titelseite.
Ustrzyki Dolne wird gemeinhin als nördliches Tor zu den Bieszczady angesehen, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen aber bestenfalls als Türchen. Dennoch wurden wir gleich mit der geballten jüngeren Geschichte der Bieszczady konfrontiert. Schon im Ortszentrum erinnerte ein Denkmal an die Kämpfe des polnischen Militärs mit den ukrainischen Nationalisten in den Jahren 1945-1947, unterschlug aber, dass der Ort damals zur Sowjetunion gehörte und erst 1951 bei einem Gebietsaustausch nach Polen zurückkehrte. Völlig entvölkert übrigens, denn wenn unter Lenin das Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ galt, war es unter Stalin „Kontrolle ist gut, Umsiedlung ist besser“.
Etwas oberhalb liegt der ehemalige jüdische Friedhof. Bis 1939 stellten Juden rund die Hälfte der Einwohner. Von denjenigen, die die erste kurze deutsche Besetzung im September 1939 überlebten, wurden nach der Übernahme der Stadt durch die Rote Armee viele ins Innere der Sowjetunion deportiert; die meisten verbliebenen Juden wurde nach dem deutschen Einmarsch 1941 ermordet und ein Teil der Grabsteine für die Straßenpflasterung geplündert.
Am Bergzug südlich von Ustrzyki Dolne befindet sich ein Skihang, der klar in die Kategorie „Idiotenhügel“ fällt. Nichtsdestrotz entsteht dort gerade ein neuer Sessellift. Was den Klimawandel betrifft, scheinen Skiunternehmer vom Harzer Wurmberg bis in die Karpaten gleichermaßen ignorant sein. Als Pausenbank genügen solche Sessellifte aber allemal.
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Alte Strommasten sind immer noch gut genug für den Brückenbau.
In Rownia hinter dem Bergzug liefen wir der ersten Holzkirche über den Weg. Die meisten Holzkirchen hat entweder der Zahn des Holzwurms oder der Kirchensturm in den ersten Nachkriegsjahren dahingerafft. Die früher in den Biesczady ansässigen griechisch-katholischen Bojken, ein im weitesten Sinne ukrainischer Volksstamm, war 1945 unter Generalverdacht geraten, die ukrainischen nationalistischen Partisanen zu unterstützen. 1947 wurden die bis dahin nicht ausgesiedelten Rest-Bojken von der polnischen Staatsmacht in der "Aktion Weichsel" in die ehemaligen deutschen Ostgebiete oder nach Kernpolen umgesiedelt und ihre Dörfer niedergebrannt. Erst in den 50er Jahren begann zaghaft die Wiederbesiedlung. Die Kirche in Rownia verdankt ihre Existenz auch der Tatsache, dass sie 1976 an die römisch-katholische Kirche übergegangen ist.
Es folgte ein weiterer Bergzug, den wir queren mussten. An der Zufahrt zu einem Angelteich warnte ein Schild vor Bären. Aber wir wollten ja nicht zum Angelteich.
Durch dichtes Buschland ging es auf der anderen Seite des Kamms wieder bergab. "Warst Du das?", fragte Frau November plötzlich. "Nö", sagte ich, "ich dachte, bei Dir hätte der Magen geknurrt?" "Nein, bei mir hat nichts geknurrt." "Ein Bär?" Wir umklammerten unsere Pfeffersprays, denn falls uns der Bär fressen sollte, würde man wenigstens die zerkauten Dosen finden.
Irgendwo hier lauert der Walderdbär...
Endlich kam Telesnica-Oswarowa in Sicht. Bevor jemand Witze über weibliche Doppelnamen macht: Die Frauen in den Bieszczady würden dem Feminismus niemals ihr funktionierendes Matriarchat opfern.
Im Ort mussten wir nur noch Wasser für die Nacht auftreiben. Der Laden, den uns die Karte versprochen hatte, war geschlossen oder hatte aufgegeben - so richtig klar war das nicht zu erkennen - aber auf jeden Fall war er "zu". Bis zum zweiten Laden am anderen Ende des Dorfes wollten wir aber auch nicht mehr laufen. Die Lösung unseres Wasserproblems fanden wir dann an der Kirche. Liebe Forumsjuristen, Ihr müsst jetzt ganz stark sein - es gibt es nämlich keinen Grund zur Aufregung: Die Kirche hatte keinen Friedhof, und somit fehlte auch der Wasserhahn auf dem Friedhof. Aber es gab eine alte Schwengelpumpe vor der Kirche, die nach einigen kräftigen Zügen hervorragendes Trinkwasser ausspieh.
Reichlich betankt starteten wir den letzten Anstieg des Tages. Leider trog die Hoffnung, dass der größer werdende Abstand zwischen den Höhenlinien auch das Vorhandensein geeigneter Stellplätze für unser Zelt bedeuten würde. In einem ordentlichen Mischwald ist nämlich der Boden dicht mit Pflanzen fortgeschrittener Widerspenstigkeit bedeckt. Schließlich fanden wir eine geeignete Stelle auf einem seit längerem unbenutzten Forstweg.
Womit wir nicht gerechnet hatten, war allerdings das Gegröle liebestoller Hirsche. Es versetzte die Hunde unten im Dorf in Aufregung, was wiederum die Rehe aufschrecken ließ, und zwar so, dass die Eichelhäher... lassen wir das. Jedenfalls war ein ziemlicher Krawall im Wald, der erst lange nach Sonnenuntergang aufhörte und morgens vor Sonnenaufgang wieder losging.
15,7 km
22. September
Eigentlich hatten wir beim Zeltaufbau in der Dämmerung gedacht, unser Lagerplatz sei richtig gut verborgen. Am Morgen stellten wir fest, dass dem nicht so war. Ein Solowanderin mit Tagesgepäck linste durch das Unterholz, als wir gerade wieder unsere Rucksäcke sattelten, und grinste uns vielsagend an, als wir sie etwas später überholten. Sie blieb übrigens die einzige Fußtouristin, die uns in den ersten vier Tagen außerhalb des üblichen Autoparkplatz-Spaziergängerradius begegnete.
Unser Programm war etwas ambitionierter als am ersten Tag: Wir wollten zwei weitere Bergkämme queren. Außerdem, so versprach es die vor Reiseantritt auf das Handy heruntergeladene Militärkarte von 1938, würden wir unsere erste nach dem 2. Weltkrieg aufgelassene Siedlung durchqueren.
"Bitte gehen sie weiter, es gibt nichts zu sehen", hörten wir zu dieser Siedlung von unserem imaginären Reiseleiter: Es war wirklich nichts zu sehen. In den bettelarmen Bieszczady war Holz der Baustoff Nr. 1, Keller gab es nicht, und wenn die Milizen die Häuser niederbrannten, um den ukrainischen Partisanen jeden Unterschlupf zu nehmen, war nach 70 Jahren eben nichts mehr übrig, was an eine Siedlung erinnerte.
Ganz zivilisationslos war die Gegend aber heute nicht - wir kamen an einem liebevoll eingezäunten Feld mit Blumen vorbei, die zwar so hoch wie Sonnenblumen wuchsen, aber viel kleinere Blüten und Blätter hatten. Es war, wie wir später ermitteln konnten, Topinambur - in der Tat eine Sonnenblumen-Verwandte, bei der aber nicht die Samen, sondern die Wurzelknollen essbar sind. Nachtrag: Auch wenn sie nicht gerade essbar aussehen, wie ich nach dem Urlaub beim Einkauf in der Kaufhof-Gourmetabteilung am Alex feststellte.
Topinambur-Plantage.
Weideland ohne Weidetiere. Und damit erfreulicherweise ohne Weidetierschutzhunde.
Bei Chrewt - schrullige Ortsnamen zeichnen die Bieszczady aus - erreichten wir eine Straße. Sie führte uns nach Polana, wo wir uns in der "Bar pod Otrytem" erstmal stärkten.
Zapiekanka ist die Pizza des kleinen Mannes.
Vor uns lagen reichlich 16km Forstautobahn, und das in der besten Mittagshitze. Bevor wir den Weg in Angriff nahmen, prokrastinierten wir noch etwas bei der Holzkirche von Polana, befreiten einen Vogel, der sich in der Kirche hatte einsperren lassen, und bewunderten den Brandbären der Freiwilligen Feuerwehr.
Unterwegs überholte uns nur ein Radfahrerpärchen, ansonsten waren wir ganz alleine. An der Passhöhe begegneten wir ihnen wieder. Monsieur hatte sich einen Platten geholt, der mit dem nicht mitgeführten Werkzeug nicht zu reparieren war, und Madame startete gerade zurück ins Tal, vermutlich um den werten Gatten und sein Fahrrad mit dem Auto abzuholen.
Begegnung auf dem Weg.
Endlich mal Aussicht...
... gelegentlich sogar mit Sitzgelegenheit.
Hier, am Ufer des San, wurde Harry Belafonte zu seinem Welthit "Island in the San" inspiriert.
Wir steuerten den Campingplatz in Sekowiec an, nur um dort festzustellen, dass für ihn die Saison bereits zu Ende war. Damit war es auch unwahrscheinlich, dass die anderen Biwakplätze, die die Karte auswies, noch in Betrieb waren. Für Wildcampen hatten wir entschieden zu wenig Wasser, die Bäche waren weitgehend ausgetrocknet, der Fluss nicht vertrauenswürdig. Also blieb uns nur noch der Campingplatz am Hotel in Zatwarnica, rund zwei Kilometer weiter. Das lupfte uns dann sicher über die 30-Kilometer-Marke und über den Sonnenuntergang. Da die Sanitäranlagen draußen schon geschlossen waren, durften wir das Sanitariat des piekfeinen Hotels benutzen.
32 km
23. September
Am Morgen begrüßte uns der erste Raureif des Jahres und ein triefendes Innenzelt. So schön es im Sommer sein mag, morgens noch eine Weile im Schatten des Hangs liegen zu können, so nachteilhaft ist es im Herbst. Die schlechten Lüftungsmöglichkeiten unseres Wechsel Tempest 2 – wegen seines Leichtbaus von uns „Sensibelchen“ getauft – führten uns eindrucksvoll vor, wieviel Feuchtigkeit zwei erwachsene Menschen in der Nacht von sich geben. Bei schottischem Dauerregen war es dank Wind innen trockener geblieben. Das Problem haben wir inzwischen durch Einbau eines komplett neuen Eingangs für 120 Euro vom Outdoor Service Team lösen lassen; da wir das Zelt sehr günstig als Vorführmodell erworben und den Umbau schon eingepreist hatten, tat es nicht wirklich weh.
Auf dem Programm standen heute Hulskie, Krywe und Tworylne - ehemalige Dörfer, von denen im wesentlichen nur noch Buchstabenanhäufungen auf der Landkarte übriggeblieben waren. In den 70er und 80er Jahren war hier ein bevorzugtes Gelände für die Jagd mit Staatsgästen. Welche Anstrengungen die Förster unternehmen mussten, damit deren exotische Wünsche - zum Beispiel nach einem Bären oder Wolf - ohne langes Herumsitzen auf den Kanzeln erfüllt werden konnten, beschreibt in sehr unterhaltsamer Form Ex-Oberförster Franciszek Kazmierzyk in seinem Buch "Wilki" (Wölfe).
"Und wenn ich groß bin, werde ich dann ein Königstinger?" (den Witz versteht wahrscheinlich nicht jeder, das ist aber auch besser so)
Die goldenen Zeiten der Staatsjagden sind inzwischen vorbei, dafür gibt es vergleichsweise "viele" Besucher, die von den Ruinen oder "Ferien auf dem Bauernhof" (Agroturystyka) angelockt werden. Wir sahen ungefähr zehn.
Die Reste der Kirchenruine von Hulskie.
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Auf dem Friedhof von Hulskie.
Der Kirchberg von Krywe.
Die Kirchenruine von Krywe und der Glockenturm sind in den letzten Jahren notdürftig gesichert worden...
... denn auf dem Friedhof dahinter werden einige Gräber wieder regelmäßig besucht.
Schutzpatron - oder eher Schutzpatrönchen? - in Krywe.
Ein Platz zum Nachdenken.
Auf dem Weg von Krywe nach Tworylne folgte uns eine Weile ein österreichisches Pärchen, das sich mal umschauen wollte, was die Fauna der Karpaten so hergibt. Weder Papierkarte noch Openstreetmap waren wirklich hilfreich, um den angeblichen Wegverlauf im Dickicht am Ufer des San zu finden.
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Wir trafen das Pärchen einige Tage später noch einmal; sie hatten am Abend einen eindrucksvollen Wisentbullen gesehen.
Uns blieben nur Wisenttapsen im Matsch auf dem Weg und ein Gehege, das offensichtlich für die Auswilderung von Wisenten errichtet worden war.
Nicht gefördert von der EU, aber trotzdem mitten ins Nichts zwischen Krywe und Tworylne gebaut.
Schräg gegenüber ein Steinhügel mit Kreuz.
Hinterlassenschaften des Teilzeitvegetariers Ursus.
Auf dem ehemaligen orthodoxen Friedhof von Tworylne - der katholische liegt schräg gegenüber.
Glockenturm in Tworylne. Ansonsten war vom Ort nichts mehr zu erkennen.
Nach dem Kilometerfressen am Vortag wollten wir heute kürzer treten. Es fehlte uns aber noch Wasser. Unklugerweise hatten wir unten am Hang beim Queren eines Bachs unterstellt, dass die zahlreichen Bäche weiter oben – wo wir übernachten wollten – auch noch Wasser führen würde. Dem war aber nicht so. Nur mit Mühe fanden wir schließlich ein tröpfelndes Gewässer zweifelhafter Qualität. Ein Stofftaschentuch musste die groben Schwebstoffe auffangen, während ich mit einem Müslinapf Wasser in die Nalgene-Flaschen abfüllte. Abschließend haben wir das Wasser noch mit dem Steripen geblitzdingst.
Erfreulicherweise fanden wir recht schnell einen Platz für unser Sensibelchen, einen fast zugewachsenen Holzverladeplatz. Leider zu nah an der Forststraße; am Morgen gegen acht Uhr bat uns ein Förster, die Fläche zu räumen. Ich werde im übrigen den Verdacht nicht los, dass er es war, der spätabends schon einmal vorbeigefahren war und kurz gehalten hatte, uns da aber nicht stören wollte. Die Rücklichter der Autos sahen jedenfalls gleich aus.
Unser "Sensibelchen" im Panorama-Modus
17,5 km
24. September
In der Nacht hatte es sich etwas abgekühlt, Nebel hing in den Hängen. Da kam die Forstautobahn gerade gelegen, um sich warmzulaufen. Am Ende waren wir so warmgelaufen, dass wir am Abzweig zum Kammweg auf der Passhöhe vorbeipreschten. Erst als es zunehmend bergab ging, wurde ich misstrauisch. Das gab Punktabzug für unnütze Vernichtung von Höhenmetern.
Der Nebel sorgte zusammen mit verkrüppelten Buchen für eine unheimliche Stimmung. Ob es der Kugelhagel aus dem ersten oder aus dem zweiten Weltkrieg war, der die Bäume so zugerichtet hatte, war nicht festzustellen – wohl aber war der ganze Kamm von Spuren „militärischer Grabungen“ durchzogen, also Schützenlöchern, eingestürzten Unterständen und Schützengräben.
Fast gleichzeitig mit der Nebelauflösung kamen wir auf die Polonina. Die Gras- und Buschflächen auf den Kämmen sind typisch für die Bieszczady und auch die angrenzenden Karpatenkämme in der Ukraine. Allerdings streiten die Gelehrten bis heute, ob sie einer natürlichen Baumgrenze zu verdanken sind oder menschlicher Rodung. Die meisten Touristen belasten sich nicht mit solchen Fragen, sondern genießen die offenen Landschaften.
Unser Ziel war die Berghütte Chatka Puchatka, und damit waren wir nicht alleine. Die Hütte genießt einen legendären Ruf; ob das an den Dixi-Klos liegt? Jedenfalls ist sie mit den heutigen Touristenmassen völlig überfordert. Trinkwasser wird per Unimog hochgefahren, Bier gibt es gar nicht (!). Ein kompletter Ersatzneubau ist bereits beschlossen. Wie üblich gibt es natürlich Nostalgiker, die darin den Untergang des Abendlandes erkennen.
Welch legendären Ruf die Chatka Puchatka genießt, ist daran erkennbar, dass sie gerne als Hintergrund für Hochzeitsfotos genutzt wird. Es ist schon putzig, wenn hochfrisierte Damen mit langen weißen Hochzeitskleidern durch den Staub stöckeln. Hinzu kommt, dass es da oben nicht wirklich warm ist. Ob sich Gänsehaut genauso wie Aprikosenhaut wegretuschieren lässt?
Die Nacht im Achtbettzimmer folgte dem traditionellen Ablauf: Natürlich musste sich die größte Frostbeule im Bett direkt unter dem angekippten Fenster platzieren, mit dem sehr vorhersehbaren Ergebnis, dass das Fenster am Morgen nicht mehr gekippt war und sich die Luft aus dem Zimmer in einer zähen Masse in den Flur ergoss, als die Tür geöffnet wurde.
19,8 km
25. September
Bei grauem Himmel machten wir uns auf den Abstieg in Richtung Wetlina, wo wir den Folgetag abwettern wollten. Als wir die Straße erreichten, fing es an zu nieseln. Wie üblich redeten wir uns ein, dass wir es noch bis unter ein Dach schaffen, bevor daraus Regen wird. Und wie üblich verpassten wir den Zeitpunkt, um uns doch noch einzupellen. „The only thing we learn from history is that we don‘t learn from history“, habe ich mal als T-Shirt-Weisheit gelesen. Passt.
Der schwarze Wolf von Gorna Wetlinka.
Im "Zajazd pod Polonina" fanden wir ein Zweibettzimmer zu akzeptablem Preis, das wir in wenigen Minuten mit unserem Gepäck in ein Messi-Paradies verwandelten.
Das obligatorische Zeltfoto darf natürlich nicht fehlen... öhem.
Im Dorfkonsum deckten wir uns mit frischen Kalorien und der örtlichen Wochenzeitung ein. Dieser war zu entnehmen, dass in der Saison 2019 nur neun Prozent aller Touristen in den Bieszczady aus dem Ausland gekommen waren. Deutsche standen an erster Stelle, aber selbst das waren offenbar so wenige, dass sie nicht prozentual aufgeschlüsselt wurden. Erstaunlich, denn in Polen kann man sich inzwischen mit Englisch ganz gut durchschlagen.
8,3 km
26. September
Das „Abwettern“ endete am Morgen, die Wettervorhersage hatte uns wieder einmal gelinkt. Wir fuhren mit einem Bus, der seinem Sound nach im früheren Leben Krabbenkutter gewesen war, in die Nachbar-Kleinstadt Cisna. Der Ort erhebt ebenso wie einige andere den Anspruch, das Herz der Bieszczady zu sein. Unbestreitbar ist, dass die Künstlerkneipe „Siekierezada“ - ein Wortspiel mit „Siekiera“ (Axt) und „Schehezerade“ - überregional bekannt ist. Sie hat ihre Wurzeln in der Zeit der Wiederbesiedlung der Bieszczady in den 50er und 60er Jahren, als allerhand Abenteurer in die Region zogen.
"Alkohol ist des Teufels"?
Von Cisna nach Przyslup fährt in der Sommersaison eine Schmalspurbahn.
Vor dem Besuch in der Kneipe erledigten wir noch den Lehrpfad auf den Hausberg von Cisna, die Mochnaczka. Von der Erwartung, auf einem Lehrpfad auch belehrt zu werden, sollte man sich aber in Polen in den meisten Fällen verabschieden. Häufig gibt es nur kleine Pfähle mit Nummern, zu denen man anscheinend noch eine Broschüre mit Erläuterungen benötigt.
Aussicht von der Mochnaczka.
Gedenkstätte für die Kämpfe mit den ukrainischen Aufständischen.
8,7 km
21. September 2019
Etwas unvermittelt purzelten wir am Samstagmorgen in Rzeszow auf den Bahnsteig. Völlig unerwartet hatte unser Nachtzug aus Berlin seit dem letzten Halt die Hälfte seiner 20 Minuten Verspätung abgebaut, was wir aber erst merkten, als die Leuchtreklame einer ortsansässigen Firma vorbeisauste. Der Schlafwagenschaffner hatte es aber noch weniger bemerkt.
Jetzt standen uns nur noch drei Stunden Busfahrt nach Ustrzyki Dolne bevor. Wir mussten nur den richtigen Bussteig finden. Die Einheimischen wissen, wo ihre Busse abfahren, die Auswärtigen ... sollen eben die Einheimischen fragen. Die Abfahrttafel war aber am Ende auch so verständlich, nachdem wir diverse +*®©Ѫ der Legende zugeordnet hatten. "Ѫ" heißt übrigens, dass der Bus nur an orthodoxen Feiertagen verkehrt. Oder vielleicht trügt da auch meine Erinnerung.

Drei Stunden später kamen wir durchgeschaukelt am Bahnhof in Ustrzyki Dolne an. Eine Bahnverbindung hätte es auch gegeben, aber dafür waren wir sechs Jahre zu spät losgefahren.
Bahnhof ohne Bahn in Ustrzyki Dolne.
Wie es sich gehört, suchten wir den erstbesten Laden auf, um uns nach aktuellen Landkarten umzusehen. In Polen gilt bekanntlich das Motto „Landkarten kauft man, wenn es sie gibt - nicht, wenn man sie braucht“. Wir wurden sofort fündig und erwarben eine 2019 aktualisierte Karte im Maßstab 1:50.000, die den ganzen Urlaub abdecken würde - natürlich in der feschen wasserabweisenden Variante mit Camouflage-Muster auf der Titelseite.
Ustrzyki Dolne wird gemeinhin als nördliches Tor zu den Bieszczady angesehen, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen aber bestenfalls als Türchen. Dennoch wurden wir gleich mit der geballten jüngeren Geschichte der Bieszczady konfrontiert. Schon im Ortszentrum erinnerte ein Denkmal an die Kämpfe des polnischen Militärs mit den ukrainischen Nationalisten in den Jahren 1945-1947, unterschlug aber, dass der Ort damals zur Sowjetunion gehörte und erst 1951 bei einem Gebietsaustausch nach Polen zurückkehrte. Völlig entvölkert übrigens, denn wenn unter Lenin das Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ galt, war es unter Stalin „Kontrolle ist gut, Umsiedlung ist besser“.
Etwas oberhalb liegt der ehemalige jüdische Friedhof. Bis 1939 stellten Juden rund die Hälfte der Einwohner. Von denjenigen, die die erste kurze deutsche Besetzung im September 1939 überlebten, wurden nach der Übernahme der Stadt durch die Rote Armee viele ins Innere der Sowjetunion deportiert; die meisten verbliebenen Juden wurde nach dem deutschen Einmarsch 1941 ermordet und ein Teil der Grabsteine für die Straßenpflasterung geplündert.
Am Bergzug südlich von Ustrzyki Dolne befindet sich ein Skihang, der klar in die Kategorie „Idiotenhügel“ fällt. Nichtsdestrotz entsteht dort gerade ein neuer Sessellift. Was den Klimawandel betrifft, scheinen Skiunternehmer vom Harzer Wurmberg bis in die Karpaten gleichermaßen ignorant sein. Als Pausenbank genügen solche Sessellifte aber allemal.
In Rownia hinter dem Bergzug liefen wir der ersten Holzkirche über den Weg. Die meisten Holzkirchen hat entweder der Zahn des Holzwurms oder der Kirchensturm in den ersten Nachkriegsjahren dahingerafft. Die früher in den Biesczady ansässigen griechisch-katholischen Bojken, ein im weitesten Sinne ukrainischer Volksstamm, war 1945 unter Generalverdacht geraten, die ukrainischen nationalistischen Partisanen zu unterstützen. 1947 wurden die bis dahin nicht ausgesiedelten Rest-Bojken von der polnischen Staatsmacht in der "Aktion Weichsel" in die ehemaligen deutschen Ostgebiete oder nach Kernpolen umgesiedelt und ihre Dörfer niedergebrannt. Erst in den 50er Jahren begann zaghaft die Wiederbesiedlung. Die Kirche in Rownia verdankt ihre Existenz auch der Tatsache, dass sie 1976 an die römisch-katholische Kirche übergegangen ist.
Es folgte ein weiterer Bergzug, den wir queren mussten. An der Zufahrt zu einem Angelteich warnte ein Schild vor Bären. Aber wir wollten ja nicht zum Angelteich.
Durch dichtes Buschland ging es auf der anderen Seite des Kamms wieder bergab. "Warst Du das?", fragte Frau November plötzlich. "Nö", sagte ich, "ich dachte, bei Dir hätte der Magen geknurrt?" "Nein, bei mir hat nichts geknurrt." "Ein Bär?" Wir umklammerten unsere Pfeffersprays, denn falls uns der Bär fressen sollte, würde man wenigstens die zerkauten Dosen finden.
Irgendwo hier lauert der Walderdbär...
Endlich kam Telesnica-Oswarowa in Sicht. Bevor jemand Witze über weibliche Doppelnamen macht: Die Frauen in den Bieszczady würden dem Feminismus niemals ihr funktionierendes Matriarchat opfern.
Im Ort mussten wir nur noch Wasser für die Nacht auftreiben. Der Laden, den uns die Karte versprochen hatte, war geschlossen oder hatte aufgegeben - so richtig klar war das nicht zu erkennen - aber auf jeden Fall war er "zu". Bis zum zweiten Laden am anderen Ende des Dorfes wollten wir aber auch nicht mehr laufen. Die Lösung unseres Wasserproblems fanden wir dann an der Kirche. Liebe Forumsjuristen, Ihr müsst jetzt ganz stark sein - es gibt es nämlich keinen Grund zur Aufregung: Die Kirche hatte keinen Friedhof, und somit fehlte auch der Wasserhahn auf dem Friedhof. Aber es gab eine alte Schwengelpumpe vor der Kirche, die nach einigen kräftigen Zügen hervorragendes Trinkwasser ausspieh.
Reichlich betankt starteten wir den letzten Anstieg des Tages. Leider trog die Hoffnung, dass der größer werdende Abstand zwischen den Höhenlinien auch das Vorhandensein geeigneter Stellplätze für unser Zelt bedeuten würde. In einem ordentlichen Mischwald ist nämlich der Boden dicht mit Pflanzen fortgeschrittener Widerspenstigkeit bedeckt. Schließlich fanden wir eine geeignete Stelle auf einem seit längerem unbenutzten Forstweg.
Womit wir nicht gerechnet hatten, war allerdings das Gegröle liebestoller Hirsche. Es versetzte die Hunde unten im Dorf in Aufregung, was wiederum die Rehe aufschrecken ließ, und zwar so, dass die Eichelhäher... lassen wir das. Jedenfalls war ein ziemlicher Krawall im Wald, der erst lange nach Sonnenuntergang aufhörte und morgens vor Sonnenaufgang wieder losging.
15,7 km
22. September
Eigentlich hatten wir beim Zeltaufbau in der Dämmerung gedacht, unser Lagerplatz sei richtig gut verborgen. Am Morgen stellten wir fest, dass dem nicht so war. Ein Solowanderin mit Tagesgepäck linste durch das Unterholz, als wir gerade wieder unsere Rucksäcke sattelten, und grinste uns vielsagend an, als wir sie etwas später überholten. Sie blieb übrigens die einzige Fußtouristin, die uns in den ersten vier Tagen außerhalb des üblichen Autoparkplatz-Spaziergängerradius begegnete.
Unser Programm war etwas ambitionierter als am ersten Tag: Wir wollten zwei weitere Bergkämme queren. Außerdem, so versprach es die vor Reiseantritt auf das Handy heruntergeladene Militärkarte von 1938, würden wir unsere erste nach dem 2. Weltkrieg aufgelassene Siedlung durchqueren.
"Bitte gehen sie weiter, es gibt nichts zu sehen", hörten wir zu dieser Siedlung von unserem imaginären Reiseleiter: Es war wirklich nichts zu sehen. In den bettelarmen Bieszczady war Holz der Baustoff Nr. 1, Keller gab es nicht, und wenn die Milizen die Häuser niederbrannten, um den ukrainischen Partisanen jeden Unterschlupf zu nehmen, war nach 70 Jahren eben nichts mehr übrig, was an eine Siedlung erinnerte.
Ganz zivilisationslos war die Gegend aber heute nicht - wir kamen an einem liebevoll eingezäunten Feld mit Blumen vorbei, die zwar so hoch wie Sonnenblumen wuchsen, aber viel kleinere Blüten und Blätter hatten. Es war, wie wir später ermitteln konnten, Topinambur - in der Tat eine Sonnenblumen-Verwandte, bei der aber nicht die Samen, sondern die Wurzelknollen essbar sind. Nachtrag: Auch wenn sie nicht gerade essbar aussehen, wie ich nach dem Urlaub beim Einkauf in der Kaufhof-Gourmetabteilung am Alex feststellte.
Topinambur-Plantage.
Weideland ohne Weidetiere. Und damit erfreulicherweise ohne Weidetierschutzhunde.
Bei Chrewt - schrullige Ortsnamen zeichnen die Bieszczady aus - erreichten wir eine Straße. Sie führte uns nach Polana, wo wir uns in der "Bar pod Otrytem" erstmal stärkten.
Zapiekanka ist die Pizza des kleinen Mannes.
Vor uns lagen reichlich 16km Forstautobahn, und das in der besten Mittagshitze. Bevor wir den Weg in Angriff nahmen, prokrastinierten wir noch etwas bei der Holzkirche von Polana, befreiten einen Vogel, der sich in der Kirche hatte einsperren lassen, und bewunderten den Brandbären der Freiwilligen Feuerwehr.
Unterwegs überholte uns nur ein Radfahrerpärchen, ansonsten waren wir ganz alleine. An der Passhöhe begegneten wir ihnen wieder. Monsieur hatte sich einen Platten geholt, der mit dem nicht mitgeführten Werkzeug nicht zu reparieren war, und Madame startete gerade zurück ins Tal, vermutlich um den werten Gatten und sein Fahrrad mit dem Auto abzuholen.
Begegnung auf dem Weg.
Endlich mal Aussicht...
... gelegentlich sogar mit Sitzgelegenheit.
Hier, am Ufer des San, wurde Harry Belafonte zu seinem Welthit "Island in the San" inspiriert.
Wir steuerten den Campingplatz in Sekowiec an, nur um dort festzustellen, dass für ihn die Saison bereits zu Ende war. Damit war es auch unwahrscheinlich, dass die anderen Biwakplätze, die die Karte auswies, noch in Betrieb waren. Für Wildcampen hatten wir entschieden zu wenig Wasser, die Bäche waren weitgehend ausgetrocknet, der Fluss nicht vertrauenswürdig. Also blieb uns nur noch der Campingplatz am Hotel in Zatwarnica, rund zwei Kilometer weiter. Das lupfte uns dann sicher über die 30-Kilometer-Marke und über den Sonnenuntergang. Da die Sanitäranlagen draußen schon geschlossen waren, durften wir das Sanitariat des piekfeinen Hotels benutzen.
32 km
23. September
Am Morgen begrüßte uns der erste Raureif des Jahres und ein triefendes Innenzelt. So schön es im Sommer sein mag, morgens noch eine Weile im Schatten des Hangs liegen zu können, so nachteilhaft ist es im Herbst. Die schlechten Lüftungsmöglichkeiten unseres Wechsel Tempest 2 – wegen seines Leichtbaus von uns „Sensibelchen“ getauft – führten uns eindrucksvoll vor, wieviel Feuchtigkeit zwei erwachsene Menschen in der Nacht von sich geben. Bei schottischem Dauerregen war es dank Wind innen trockener geblieben. Das Problem haben wir inzwischen durch Einbau eines komplett neuen Eingangs für 120 Euro vom Outdoor Service Team lösen lassen; da wir das Zelt sehr günstig als Vorführmodell erworben und den Umbau schon eingepreist hatten, tat es nicht wirklich weh.
Auf dem Programm standen heute Hulskie, Krywe und Tworylne - ehemalige Dörfer, von denen im wesentlichen nur noch Buchstabenanhäufungen auf der Landkarte übriggeblieben waren. In den 70er und 80er Jahren war hier ein bevorzugtes Gelände für die Jagd mit Staatsgästen. Welche Anstrengungen die Förster unternehmen mussten, damit deren exotische Wünsche - zum Beispiel nach einem Bären oder Wolf - ohne langes Herumsitzen auf den Kanzeln erfüllt werden konnten, beschreibt in sehr unterhaltsamer Form Ex-Oberförster Franciszek Kazmierzyk in seinem Buch "Wilki" (Wölfe).
"Und wenn ich groß bin, werde ich dann ein Königstinger?" (den Witz versteht wahrscheinlich nicht jeder, das ist aber auch besser so)
Die goldenen Zeiten der Staatsjagden sind inzwischen vorbei, dafür gibt es vergleichsweise "viele" Besucher, die von den Ruinen oder "Ferien auf dem Bauernhof" (Agroturystyka) angelockt werden. Wir sahen ungefähr zehn.
Die Reste der Kirchenruine von Hulskie.
Auf dem Friedhof von Hulskie.
Der Kirchberg von Krywe.
Die Kirchenruine von Krywe und der Glockenturm sind in den letzten Jahren notdürftig gesichert worden...
... denn auf dem Friedhof dahinter werden einige Gräber wieder regelmäßig besucht.
Schutzpatron - oder eher Schutzpatrönchen? - in Krywe.
Ein Platz zum Nachdenken.
Auf dem Weg von Krywe nach Tworylne folgte uns eine Weile ein österreichisches Pärchen, das sich mal umschauen wollte, was die Fauna der Karpaten so hergibt. Weder Papierkarte noch Openstreetmap waren wirklich hilfreich, um den angeblichen Wegverlauf im Dickicht am Ufer des San zu finden.
Wir trafen das Pärchen einige Tage später noch einmal; sie hatten am Abend einen eindrucksvollen Wisentbullen gesehen.
Uns blieben nur Wisenttapsen im Matsch auf dem Weg und ein Gehege, das offensichtlich für die Auswilderung von Wisenten errichtet worden war.
Nicht gefördert von der EU, aber trotzdem mitten ins Nichts zwischen Krywe und Tworylne gebaut.
Schräg gegenüber ein Steinhügel mit Kreuz.
Hinterlassenschaften des Teilzeitvegetariers Ursus.
Auf dem ehemaligen orthodoxen Friedhof von Tworylne - der katholische liegt schräg gegenüber.
Glockenturm in Tworylne. Ansonsten war vom Ort nichts mehr zu erkennen.
Nach dem Kilometerfressen am Vortag wollten wir heute kürzer treten. Es fehlte uns aber noch Wasser. Unklugerweise hatten wir unten am Hang beim Queren eines Bachs unterstellt, dass die zahlreichen Bäche weiter oben – wo wir übernachten wollten – auch noch Wasser führen würde. Dem war aber nicht so. Nur mit Mühe fanden wir schließlich ein tröpfelndes Gewässer zweifelhafter Qualität. Ein Stofftaschentuch musste die groben Schwebstoffe auffangen, während ich mit einem Müslinapf Wasser in die Nalgene-Flaschen abfüllte. Abschließend haben wir das Wasser noch mit dem Steripen geblitzdingst.
Erfreulicherweise fanden wir recht schnell einen Platz für unser Sensibelchen, einen fast zugewachsenen Holzverladeplatz. Leider zu nah an der Forststraße; am Morgen gegen acht Uhr bat uns ein Förster, die Fläche zu räumen. Ich werde im übrigen den Verdacht nicht los, dass er es war, der spätabends schon einmal vorbeigefahren war und kurz gehalten hatte, uns da aber nicht stören wollte. Die Rücklichter der Autos sahen jedenfalls gleich aus.
Unser "Sensibelchen" im Panorama-Modus
17,5 km
24. September
In der Nacht hatte es sich etwas abgekühlt, Nebel hing in den Hängen. Da kam die Forstautobahn gerade gelegen, um sich warmzulaufen. Am Ende waren wir so warmgelaufen, dass wir am Abzweig zum Kammweg auf der Passhöhe vorbeipreschten. Erst als es zunehmend bergab ging, wurde ich misstrauisch. Das gab Punktabzug für unnütze Vernichtung von Höhenmetern.
Der Nebel sorgte zusammen mit verkrüppelten Buchen für eine unheimliche Stimmung. Ob es der Kugelhagel aus dem ersten oder aus dem zweiten Weltkrieg war, der die Bäume so zugerichtet hatte, war nicht festzustellen – wohl aber war der ganze Kamm von Spuren „militärischer Grabungen“ durchzogen, also Schützenlöchern, eingestürzten Unterständen und Schützengräben.
Fast gleichzeitig mit der Nebelauflösung kamen wir auf die Polonina. Die Gras- und Buschflächen auf den Kämmen sind typisch für die Bieszczady und auch die angrenzenden Karpatenkämme in der Ukraine. Allerdings streiten die Gelehrten bis heute, ob sie einer natürlichen Baumgrenze zu verdanken sind oder menschlicher Rodung. Die meisten Touristen belasten sich nicht mit solchen Fragen, sondern genießen die offenen Landschaften.
Unser Ziel war die Berghütte Chatka Puchatka, und damit waren wir nicht alleine. Die Hütte genießt einen legendären Ruf; ob das an den Dixi-Klos liegt? Jedenfalls ist sie mit den heutigen Touristenmassen völlig überfordert. Trinkwasser wird per Unimog hochgefahren, Bier gibt es gar nicht (!). Ein kompletter Ersatzneubau ist bereits beschlossen. Wie üblich gibt es natürlich Nostalgiker, die darin den Untergang des Abendlandes erkennen.
Welch legendären Ruf die Chatka Puchatka genießt, ist daran erkennbar, dass sie gerne als Hintergrund für Hochzeitsfotos genutzt wird. Es ist schon putzig, wenn hochfrisierte Damen mit langen weißen Hochzeitskleidern durch den Staub stöckeln. Hinzu kommt, dass es da oben nicht wirklich warm ist. Ob sich Gänsehaut genauso wie Aprikosenhaut wegretuschieren lässt?
Die Nacht im Achtbettzimmer folgte dem traditionellen Ablauf: Natürlich musste sich die größte Frostbeule im Bett direkt unter dem angekippten Fenster platzieren, mit dem sehr vorhersehbaren Ergebnis, dass das Fenster am Morgen nicht mehr gekippt war und sich die Luft aus dem Zimmer in einer zähen Masse in den Flur ergoss, als die Tür geöffnet wurde.
19,8 km
25. September
Bei grauem Himmel machten wir uns auf den Abstieg in Richtung Wetlina, wo wir den Folgetag abwettern wollten. Als wir die Straße erreichten, fing es an zu nieseln. Wie üblich redeten wir uns ein, dass wir es noch bis unter ein Dach schaffen, bevor daraus Regen wird. Und wie üblich verpassten wir den Zeitpunkt, um uns doch noch einzupellen. „The only thing we learn from history is that we don‘t learn from history“, habe ich mal als T-Shirt-Weisheit gelesen. Passt.
Der schwarze Wolf von Gorna Wetlinka.
Im "Zajazd pod Polonina" fanden wir ein Zweibettzimmer zu akzeptablem Preis, das wir in wenigen Minuten mit unserem Gepäck in ein Messi-Paradies verwandelten.
Das obligatorische Zeltfoto darf natürlich nicht fehlen... öhem.

Im Dorfkonsum deckten wir uns mit frischen Kalorien und der örtlichen Wochenzeitung ein. Dieser war zu entnehmen, dass in der Saison 2019 nur neun Prozent aller Touristen in den Bieszczady aus dem Ausland gekommen waren. Deutsche standen an erster Stelle, aber selbst das waren offenbar so wenige, dass sie nicht prozentual aufgeschlüsselt wurden. Erstaunlich, denn in Polen kann man sich inzwischen mit Englisch ganz gut durchschlagen.
8,3 km
26. September
Das „Abwettern“ endete am Morgen, die Wettervorhersage hatte uns wieder einmal gelinkt. Wir fuhren mit einem Bus, der seinem Sound nach im früheren Leben Krabbenkutter gewesen war, in die Nachbar-Kleinstadt Cisna. Der Ort erhebt ebenso wie einige andere den Anspruch, das Herz der Bieszczady zu sein. Unbestreitbar ist, dass die Künstlerkneipe „Siekierezada“ - ein Wortspiel mit „Siekiera“ (Axt) und „Schehezerade“ - überregional bekannt ist. Sie hat ihre Wurzeln in der Zeit der Wiederbesiedlung der Bieszczady in den 50er und 60er Jahren, als allerhand Abenteurer in die Region zogen.
"Alkohol ist des Teufels"?
Von Cisna nach Przyslup fährt in der Sommersaison eine Schmalspurbahn.
Vor dem Besuch in der Kneipe erledigten wir noch den Lehrpfad auf den Hausberg von Cisna, die Mochnaczka. Von der Erwartung, auf einem Lehrpfad auch belehrt zu werden, sollte man sich aber in Polen in den meisten Fällen verabschieden. Häufig gibt es nur kleine Pfähle mit Nummern, zu denen man anscheinend noch eine Broschüre mit Erläuterungen benötigt.
Aussicht von der Mochnaczka.
Gedenkstätte für die Kämpfe mit den ukrainischen Aufständischen.
8,7 km
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