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Tag 1 (Mittwoch, 19. November 2014): Fürstenberg/Havel – Fegefeuer (23,8 km)
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Tag 2 (Donnerstag, 20. November 2014): Fegefeuer – Templin (19,1 km)
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Text: Igelstroem / Eisen
Bilder: Eisen / Igelstroem

Track: Eisen
Unseren Bericht lasse ich am Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen beginnen, wo ich in einen Regionalexpress steige und auf den Mitforisten Eisen treffe. Eine Stunde später steigen wir in Fürstenberg/Havel aus. Das Wetter, als Tatsache betrachtet, ist kühl und grau, am Morgen hat es noch etwas geregnet, demnächst soll es aber trocken bleiben. Versprochen ist versprochen.
Es ist neun Uhr, als wir beginnen, Fuß vor Fuß zu setzen. Das Ziel heißt Fegefeuer. Die ins Auge gefasste Route führt über Neuthymen zur Dorfwüstung Kastaven, dann in einem Bogen nördlich um Lychen herum.


»Das Fegefeuer (lat. purgatorium ›Reinigungsort‹) ist die Läuterung, die nach einer besonders in der Westkirche entwickelten theologischen Lehre eine Seele nach dem Tod erfährt, sofern sie nicht als heilig unmittelbar in den Himmel aufgenommen wird. Dieser Zwischenzustand wird gleichnisweise als Ort oder als zeitlicher Prozess vorgestellt.« (Quelle: Wikipedia-Artikel »Fegefeuer«)
Und zweitens ist Fegefeuer ein Wohnplatz bei Lychen, der früher ein Verbannungsort für sündige Mönche aus dem Kloster Himmelpfort gewesen sein soll. Ein gutes Ziel also. Gleich nebenan, am Ufer des Küstrinchenbachs, findet sich der Biwakplatz Fegefeuer.

Bild: Gutshaus Neuthymen (Kilometer 6,2)
Auf verschiedene Weise hat die Geschichte ihre Spuren in dieser Gegend hinterlassen. Nordöstlich von Fürstenberg liegt das Gelände des KZs Ravensbrück, jetzt Gedenkstätte mit benachbarter Jugendherberge. Südöstlich von Neuthymen, etwas im Wald versteckt, findet man die Reste einer größeren sowjetischen Militäranlage (Kaserne der 2. Spezial-Aufklärungsbrigade der GSSD). Auf diesem Gelände sind, genauso wie einige Kilometer weiter südöstlich bei Vogelsang, zeitweise auch Kernsprengköpfe gelagert und Mittelstreckenraketen (z.B. SS-3) stationiert gewesen. Näheres erfährt man hier (aus zwei sehr unterschiedlichen Quellen):
http://vimudeap.info/de/atlas/kasern...ymen/articles/
http://www.heimatgalerie.de/gssdwgs/land.html
Wir widerstehen der Versuchung, einen Abstecher dorthin zu machen; das würde uns heute zu viel Zeit kosten. Die Warnschilder am Wegesrand weisen außerdem darauf hin, dass das Waldgebiet, das uns von der Kaserne trennt, munitionsverseucht ist.
[Edit: Folgender Abschnitt ist berichtigt.] Die Dorfwüstungen, die man in dieser Gegend antrifft, stammen größtenteils aus der Zeit des Grenzkrieges zwischen Mecklenburg und Brandenburg (Schlacht am Markgrafenbusch 1440) oder aus der sogenannten Quitzowzeit zu Beginn desselben Jahrhunderts (vgl. z.B. das Quitzow-Kapitel in Fontanes »Fünf Schlösser«). In dem unten zitierten Wikipedia-Artikel zur Wüstung Kastaven heißt es jedenfalls: »In der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde das Dorf durch Hauptleute von Fretzdorf und Rheinsberg und havelbergisch-bischöfliche Gefolgsleute aus Zechlin und Wittstock beraubt und verwüstet. Wahrscheinlich wurde das Dorf danach verlassen und nicht wieder aufgebaut.« Am früheren Siedlungsplatz findet man die Reste einer Kirche aus dem 13. Jahrhundert sowie eines Friedhofs, auf dem bis 1880 Beisetzungen stattfanden. Auch hierzu kann man etwas im Netz nachlesen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kastaven_(Wüstung)
http://www.uckermark-kirchen.de/ucke...che_saehle.htm

Kastaven

Reste des Friedhofs
Wenig östlich der Wüstung erreichen wir den Wohnplatz Sähle, eine kleine Häusergruppe am Waldrand, und wenden uns dort nach links Richtung Retzow (Kilometer 12,5), einem Straßendorf, das seinerseits eine Kirchenruine aufweist. Die bekommen wir jetzt aber nicht zu sehen, weil wir uns nach einer Bushaltestellen-Mittagspause in nordöstlicher Richtung aus dem Ort herausschleichen. Und da wir ja Lychen in einem nördlichen Bogen umgehen wollen, führt der weitere Weg südlich des Stiepensees Richtung Türkshof (Kilometer 18,5) – teils auf Feldwegen, teils querfeldein.

Retzow




(Feriensiedlung Dreiseen. Das Tor ist eigentlich offen.)
Südlich von Türkshof stößt man auf den Märkischen Landweg, der hier mit dem Moränenweg und zwei weiteren markierten Wanderwegen parallel verläuft. Bis zum Biwakplatz Fegefeuer sind es dann nur noch zwei oder drei Kilometer. Zuletzt verläuft der Weg in der Niederung des Küstrinchenbachs, und der Biwakplatz liegt als Wasserwanderrastplatz direkt am Bach.
Hier sind wir ungefähr um halb vier, nach sechseinhalb Stunden, 28 600 Schritten oder 22,8 Kilometern Strecke.

Biwakplatz
Wasser filtern, Zelt aufbauen. Igelstroem baut sein erstes Zelt auf. Es ist eigentlich ganz einfach, aber eisen hilft trotzdem ein bisschen. Wie überhaupt der Abend, der ja lang genug ist, zu einer Art beiläufigem Lehrgang wird. Auf den Zeltaufbau folgt eisens eigener Tarpaufbau. Schiebeknoten entstehen buchstäblich im Handumdrehen. Kein Wunder, denke ich. Kein Wunder, dass Du den Tarpaufbau einfach findest. Aber ich sage es nicht. Freue mich nur still, dass es an meinem Zelt jetzt mal keine Knoten gibt.

Auf dem obigen Bild sieht man im Hintergrund eine Lichtung und dahinter wieder einen Wald. Dort suchen wir jetzt nach brauchbarem Holz und Birkenrinde für ein Lagerfeuer, denn es wird bald dunkel werden und die unmittelbare Umgebung des Biwakplatzes ist bereits von früheren Nutzern ziemlich leergesammelt worden. Der Eisenmann hat eine Klappsäge dabei. Später schaue ich ihm beim Feuermachen zu und versuche mir zu merken, wie er es macht.
Und dann kochen wir. Das heißt, eigentlich kocht eisen. Ich schneide den Knoblauch und die Zwiebeln klein. Der beiderseits mitgebrachte, unterwegs gut durchgeschüttelte Rotwein ist irgendwie kalt. Trinktemperatur gleich Außentemperatur, also ungefähr fünf Grad. Aber das Feuer wärmt uns und – auf Kosten des Alkohols – notfalls auch den Wein.

Vorspeise

Hauptgang

Corbières 2008 Château de Sérame
Die Gesprächsinhalte des Tages und des Abends lasse ich mal dahingestellt. Der Abend ist jedenfalls lang, und irgendwann droht uns das Brennholz auszugehen. So entschließen wir uns eine Weile nach dem Essen, doch noch einmal in den Wald hineinzugehen, jenseits der Lichtung, um weiteres Holz zu beschaffen. Das GPS-Gerät lassen wir am Lagerplatz zurück. Im Prinzip ist ja alles ganz einfach: gerade in den Wald hineingehen und nachher wieder zurück.
Wenn man sich zu dieser Jahreszeit nächtens mit der Stirnlampe in einem aufgeräumten Laubwald bewegt, sieht man im Lichtkegel ein paar silbrig-fahle Buchenstämme vor dem Hintergrund einer leeren, dunstiggrauen Dunkelheit, und zu seinen Füßen einen ziemlich homogenen Laubboden. Und wenn man sich umdreht und zurückschaut, sieht man im Prinzip dasselbe. Man steht sozusagen in einer Säulenhalle unbestimmter Ausdehnung.
Zunächst ist noch unser Feuer zu sehen, aber es ist inzwischen ziemlich klein. Eisen geht voran und macht sich an die Arbeit … Derweil beginne ich mich nach einiger Zeit zu fragen, ob ich zurückfinden würde. Ich schaue mich um. Das Feuer habe ich aus den Augen verloren. Eine hinreichende Spur im Laub haben wir auch nicht hinterlassen. Ich zögere und überlege tatsächlich, ob ich vielleicht beim Gehen das Laub so aufwühlen sollte, dass man die Spur im Stirnlampenlicht wiederfindet: eine Spur der eigenen Ängstlichkeit hinterlassen.
Kurz darauf bleibt eisen stehen und weist mich auf ein Feuer hin, das wir unerwartet links von uns sehen, genauso klein oder groß wie unseres. Eisen braucht einen Moment, um mir zu glauben, dass das tatsächlich unser eigenes Feuer ist. Er war sich einfach zu sicher, ganz gerade in den Wald gelaufen zu sein. Stattdessen sind wir aber in einem weiten Bogen nach links gelaufen. Ein Klassiker! Schon von Alexander dem Großen wird berichtet, er habe seine Kundschafter zu zweit losgeschickt, je einen Links- und einen Rechtshänder gemeinsam, damit genau das nicht passiert. Eins steht nun zweifelsfrei fest: Eisen muss Linkshänder sein.

Kurz nach Mitternacht legen wir uns schlafen.
Genau genommen liege ich zum ersten Mal allein in einem Zelt. Und wundere mich über dessen relative Geräumigkeit (im Vergleich zum Macpac Bush Cocoon), über die relativ frische Luft (im Vergleich zum Macpac Bush Cocoon) und über die akustische Auslieferung an leiseste Außengeräusche, wenn die visuelle Wahrnehmung ausgeblendet ist. Wenn eisen drüben unter seinem Tarp an einem Reißverschluss zieht, klingt das für mich so, als öffnete jemand von außen mein Zelt.
Um 00:37 Uhr fängt eisen diskret an zu schnarchen. Das war angekündigt. Aber es bleibt ziemlich leise und hört später auf. Rundherum im Wald war es den ganzen Abend schon ziemlich still, und auch die Wildschweine, um derentwillen man das Tor der Einfriedung geschlossen halten soll, mochten sich nicht zu uns ans Feuer setzen. Wir haben nichts von ihnen gesehen. Und auch nichts gehört.
Irgendwann fange ich an einzuschlummern … beginne ein erstes vages Träumchen abzuspulen …
… und als dann dieser entsetzliche, gellende Schrei meinen dünnen Schlaf zerreißt, trifft mich das völlig ungeschützt.
Noch fast im Traum weiß ich, dass dieser Schrei nicht von eisen kommt, sondern aus dem Wald, und es ist ja außerdem eine Frauenstimme – eine hell gekleidete Gestalt, die von etwas Entsetzlichem verfolgt wird. Adrenalinschock und Gänsehaut am ganzen Körper … Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich richtig wach bin. Der Schrei wiederholt sich identisch. Dann fällt mir ein: Halt, es gibt keine Frau. Keine hell gekleidete Gestalt. Es gibt auch kein Entsetzliches. Das hier muss ein Tier sein.
Vielleicht ein Kranich oder irgendein anderer großer Vogel. Aber schreit der so? Und habe ich den Schrei nicht schon einmal so ähnlich gehört? Nicht ganz so klagend, aber schon irgendwie diese Stimme? Dann muss es ein Fuchs sein. Der Schrei wiederholt sich in ziemlich regelmäßigen Abständen, kommt sogar näher und entfernt sich später wieder. Mein Gott, denke ich, was für ein wahnwitziges Geräusch. Was für eine theatralische Zumutung der Natur.
Hier kann man sich das anhören (vier Sekunden):
https://www.youtube.com/watch?v=OempFeQ_YhE
In obigem ›Video‹ ist der Ton vermutlich dramatisierend nachbehandelt. Trotzdem ist dies unter den Hörbeispielen im Internet dasjenige, das meiner Erinnerung am nächsten kommt.
Der Rest der Nacht verläuft so, wie eine Igelstroemsche Outdoor-Nacht eben verläuft: Man dreht sich hierhin und dorthin, bekommt Hunger, tastet nach der Tüte mit den Nüssen, macht die Stirnlampe an und wieder aus, fröstelt ein bisschen an den Schultern, zieht sich wärmer an, denkt ein bisschen nach, bekommt davon wieder Hunger und so weiter. Bis man irgendwann einschläft.
Um 8:22 Uhr bricht der Wetterbericht sein Versprechen. Ich erwache vom Trommeln des Regens auf dem Zelt – ein Satz, der schon in vielen Reiseberichten gestanden hat. Ich liege also da und wundere mich über das Sounddesign. Auf der gespannten Zelthaut klingt der Regen wie das Wort ›Sounddesign‹: volltönend mit einem leichten Knistern. Eigentlich angenehm. Das Zelt ist ein Musikinstrument. Nur dass man es nicht selber spielen darf, sondern drinnen liegt.
Es ist nur ein Schauer, einer von mehreren. Als der Regen einstweilen nachlässt, stehe ich auf, und eisen, der ja wohl durchgeschlafen und von dem Fuchsdrama tatsächlich nichts mitbekommen hat, ist schon wach.
Esbitkocher hier, Hobokocher da. Bei mir wird jetzt am Morgen Reis gekocht, Kurzkochreis in einer Blechtasse, anschließend kommt Kräuterbutter hinein. Das ist das konsolidierte Ergebnis einer Versuchsreihe; eventuelle kulinarische oder ernährungswissenschaftliche Kritik kommt also zu spät. Den unfreiwilligen Anstoß hat der User berniehh gegeben, als er in seinem Reisebericht von »Kartoffelpüree mit Unmengen von Butter« gesprochen hat.


Jemand versucht ein Foto vom Küstrinchenbach zu machen
Es regnet immer mal wieder, und als wir alles zusammengepackt haben und fertig zum Aufbruch sind, ist es fast elf Uhr. Das hätte ich jetzt nicht vermutet, aber es ist eben so.
Wenige hundert Meter östlich des Biwakplatzes stößt man auf den Wohnplatz Fegefeuer – drei Häuser auf einer großen Lichtung, die wir gestern Abend gar nicht zu Gesicht bekommen haben, obwohl man gleichsam nur um die nächste Ecke gehen muss. Wir wenden uns nach Süden und laufen in einem Bogen durch die Hohe Heide Richtung Wuppgarten (Kilometer 3,8). Irgendwo hier auf dem Weg hat jemand ein Blutvergießen angerichtet (oder heißt es Schweißvergießen?).

Die Blutspur, die sich ein Stück in den Wald zurückverfolgen lässt, dürfte wohl beim Abtransport der Beute entstanden sein. Und in der Tat habe ich am Morgen einen Knall gehört. Aber er klang anders als sonst, so dass ich gar nicht unbedingt auf kurpfälzische Wildpflege getippt hätte.

In Wuppgarten – wieder nur ein paar Häuser und eine heute geschlossene Gaststätte – treffen wir ein paar Spaziergänger, machen eine kleine Pause; dann führt der hier als Märkischer Landweg und als Moränenweg gekennzeichnete Weg am nördlichen Hochufer des Platkowsees entlang (eisen war hier im Frühjahr mit dem Rad unterwegs).

Uferweg Platkowsee
Wir beeilen uns. Ich bin nicht ganz ausgeschlafen, eisen ist ein bisschen verkatert. Zwar halten wir das Tempo, aber in Alt-Placht (Kilometer 8,8) und zuletzt in Schulzenfelde (Kilometer 14,9) müssen wir doch noch einmal Pause machen. Ein bisschen fehlt der Kaffee. Das 3-in-1-Produkt, das ich diesmal dabeihabe, will nämlich auf diesen Namen eigentlich gar nicht hören und schmeckt eher nach umgekippter Zuckerdose.

Fachwerkkirche in Alt-Placht


Draisinenstrecke bei Neu-Placht
Während es zu dämmern beginnt, navigieren wir uns durch die westlichen Vororte der Kanzlerinnenmetropole Templin und erreichen den Bahnhof kurz nach vier Uhr.
Ein verlassener Friedhof, Orientierungsprobleme im Wald, nächtliche Schreie, eine Blutspur am nächsten Morgen: Das ist ein bisschen Blair Witch Project, aber eben die märkische Variante, die mit einer Tüte Gummibärchen im überheizten Regionalexpress ihren würdigen Abschluss findet.

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