[DE] 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

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  • Meloney
    Anfänger im Forum
    • 14.08.2013
    • 16
    • Privat

    • Meine Reisen

    [DE] 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Hi!
    Ich habe mich nun durchgerungen mich hier anzumelden und auch mal einen Reisebericht online zu stellen, nachdem ich nun schon mehr als 2 Jahre eifrig mitlese und v.a. bezüglich Ausrüstungsanschaffung wertvolle Tipps bekommen habe. Super, Forum!

    Hintergrund meines Zögerns ist, dass ich meine Touren nicht zu Fuß oder per Fahrrad mache, sondern auf vier Rädern im Rolli. Krankheitsbedingt, ich habe eine neuromuskuläre Erkrankung (da dies ein Outdoorforum ist, werde ich Euch nicht mit meiner Krankenakte langweilen und nicht weiter darauf eingehen außer jemand möchte es wissen - dann fragt einfach) kann ich nur kurze Strecken am Stück gehen. Da ich aber immer sportlich und v.a. outdooraktiv war (Reittouren, Fahrradtouren, Wandern etc.), wollte ich unbedingt auch im Rolli ab durch die Mitte. Ich habe so ziemlich alle Reiseberichte hier inhaliert und das gesamte www nach anderen Rollifahrern abgesucht, die in irgendeiner Weise Outdoorsport betreiben, bin aber nur auf eine Handvoll gestoßen, die meistens aber aufgrund eines Querschnitts im Rolli sitzen, aber ansonsten körperlich top fit sind. Das waren schon Motivatoren, doch letztendlich fand ich niemanden, dem es so ähnlich geht wir mir (entweder es gibt einige, die nicht im Internet schreiben oder ich bin zu doof um sie zu finden ).

    Lange Rede... ich traue mich jetzt einfach hier mitzumischen und vielleicht sind meine Erfahrungen für den einen oder anderen ganz hilfreich (den eigenen Weg muss dann eh jeder finden). Noch eine Warnung: jeder muss für sich und seinen Gesundheitszustand die Grenzen herausfinden, kennen und v.a. wissen ob und wenn ja was passiert, wenn er diese Grenze so überschreitet, wie ich das öfters tue (ich weiß aus meiner langjährigen Erfahrung, dass ich keine myasthene Krise bei mir auslösen kann, wenn ich mich danach bewußt zur Erholung zwinge - das gilt aber nicht unbedingt für jeden). Wollte ich nur mal so erwähnen, nicht dass ich hier noch Ärger kriege.

    Hier ist der Bericht meiner ersten Tour mit Übernachtung 6 Monate nachdem ich meinen Rolli bekam.

    Auf dem Rheinradweg von Mainz nach Heidenfahrt
    07.-09.09.2012

    Vorwort
    Nach mehreren Tagestouren sollte nun eigentlich der Zeitpunkt gekommen sein, den großen Traum in die Tat umzusetzen. Doch obwohl ich seit ich den elektrischen Kraftverstärkungsantrieb an meinem Rolli habe diesen fixen Gedanken im Kopf habe mit Rolli, Rucksack und Zelt mehrere Tage lang loszuziehen, fielen mir immer wieder Ausreden ein, es nicht zu tun. Mal war’s der Körper der nicht wollte (und das ist weniger Ausrede als Tatsache - denn wenn über Tage schon morgens nach der schweren Tat des Frühstückmachens der Tag gelaufen ist, dann haben solche Kraftakte keinen Sinn). Aber Gesundheit mal außen vor gelassen, so fiel mir doch genug anders ein, um den Rucksack ungepackt zu lassen (zu kalt, zu nass, ein bestimmter Ausrüstungsgegenstand fehlt noch, monatliches Blutabnehmen steht an, Termin bei der Krankengymnastik, Selbsthilfegruppentreffen, „klappt eh nicht“ etc. pp).

    Ich glaube es war die Angst vor der eigenen Courage, die Angst zu scheitern aus körperlichen Gründen, die Angst feststellen zu müssen, dass ich mich in eine utopische, unrealistische Idee verrannt hatte. Doch am Donnerstag, den 6. September 2012 sollte die Entscheidung fallen - in Form von einer bombigen Wettervorhersage beim morgendlichen Frühstücksfernsehen. Die Bedingungen waren perfekt: das Wetter sollte traumhaft werden, ich war in einer guten körperlichen Phase und ich hatte einfach Bock!

    Nach einem Blick in den Rhein-Radwegführer wusste ich bald wo es hingehen sollte. Und dank akribischer Vorbereitung und theoretischem Durchdenkens wie was wohin verpackt werden sollte, war mein Rucksack ruckzuck gepackt.

    I past the point of no return!

    Freitag, 07. September 2012
    Als ich am Morgen aufwache, bin ich kurz gewillt, alles wieder auszupacken. Bad-Myasthenia-Day-Day! Nach der Massage bei der Krankengymnastik bin ich allerdings wieder funktionsfähiger und so sitze ich um 13:27 Uhr in der Mittelrheinbahn von Bonn nach Mainz. Während ich mit Heidi telefoniere, nähert sich die MRB in großen Schritten Koblenz, wo unser Telefonat wegen einer feucht-fröhlichen Kegelrunde aus dem Niederrheinischen ein jähes Ende findet. Ich verstehe nämlich mein eigenes Wort nicht, da die bierfröhliche Truppe ihr 40-jähriges Jubiläum lautstark feiert. Ich werde mit rheinländischer Offenheit sofort integriert und erfahre nebenbei alles von dem Schlaganfall und der daraus resultierenden Behinderung der Schwester einer der Herren. Die Schwester ist natürlich nicht mit dabei, denn die Herren sind für ein verlängertes Wochenende von der ehefräulichen Leine gelassen und demnach unter sich.

    Nach Bingen leert sich der Zug und nach insgesamt 3 Stunden Fahrtzeit erreiche ich Mainz.

    Durch die Innenstadt von Mainz führt mich mein Weg über die Brücke auf die linksrheinische Seite zum Campingplatz Maaraue. Bei der Anmeldung werde ich darauf hingewiesen, dass Duschen und Klos nicht barrierefrei zu erreichen seien (eine Treppe mit 5 Stufen führt hinauf zum Gebäude), doch jetzt da ich da bin, kann mich nichts mehr abschrecken. Ich suche mir ein schönes Plätzchen auf der Zeltwiese und packe mein nagelneues Shangri La 3 aus. Wie lange ich mir Gedanken über das optimale Zelt für mich und meinen Rolli gemacht habe! Nachdem ich die Hilfe zweier Zeltnachbarn dankend abgelehnt habe (eine davon marschiert sauer von dannen - „man will ja nur helfen“) steht das Außenzelt.

    „If you need any help I am right there“ tönt es plötzlich hinter mir. Hinter mir steht ein bärtiger Typ in kurzen Hosen und Sandalen und deutet irgendwo hinter sich auf ein Zelt und ein Fahrrad. Es stellt sich später heraus, dass er Chris heißt und aus Vancouver, Kanada kommt. Da er sieht, dass ich alles im Griff habe, schwirrt er ab Richtung Dusche und ich mache mich ans Einhängen des Nests und ans Verstauen meiner sieben Sachen im Zelt. In kürzester Zeit versinke ich im unkontrollierten Chaos und alles liegt irgendwo. Yeah man, that is camping! Okay am kontrollierten Chaos arbeite ich noch. :-)

    Chris schlappt nach einer Weile wieder an und fragt ob ich Lust habe ein Bierchen mit ihm zu trinken. Ich sage ja bzw. lehne das Bier aber nicht das Pläuschchen ab und komme mit meiner gerade gekochten Tasse Kaffee mit zu seinem Zeltplatz. Während wir quatschen, stellt sich heraus, dass er bereits seit 3 Monaten mit seinem Fahrrad durch Europa unterwegs ist und das jedes Jahr so macht. Heute ist sein letzter Abend. Er arbeitet als Lehrer in USA und pendelt dazu täglich über die kanadisch-amerikanische Grenze. Ich bin doch recht irritiert, dass er im Jahr 3 Monate Urlaub hat, weiß ich doch, dass 2 Wochen Urlaub für die meisten Amerikaner der wahre Luxus sind. Doch Augen auf bei der Berufswahl - als Lehrer hat er 3 Monate frei. Unbezahlt versteht sich.

    Bei ein paar Reisnudeln lasse ich den Abend ausklingen und vergrabe mich schließlich in meinen immer noch durcheinander fliegenden Sachen.

    Gesamtkilometer: 3,47 Durchschnittsgeschwindigkeit: ca. 5 km/h

    Samstag, 08. September 2012
    Ich wache um halb sieben auf und während ich noch so ein Stündchen daliege, fällt mir auf, dass das Einbauen des Nests um 90 Grad gedreht zwar im Prinzip schon die richtige Idee war, doch dass es für den Ausstieg besser genau andersrum sein sollte. Memo an mich: das Innenzelt das nächste Mal spiegelverkehrt einhängen. Gibt es überhaupt ein nächstes Mal? Definitiv ja! Ich werde heute die 15 Kilometer-Tour am Rhein entlang bis zum nächsten Campingplatz machen. Feuerprobe bestanden!

    Aber erst mal Frühstück und vor allem eine Tasse Kaffee in gefiederter Gesellschaft.


    Gegen 9 Uhr kommt Chris mit Sack und Pack kurz vorbei und jeder macht noch schnell ein Erinnerungsfoto von seinem Gegenüber. „You are a tough person“ meint er und verabschiedet sich Richtung Mainzer Hauptbahnhof. Auch für mich wird es Zeit meinen Krempel langsam einzupacken und mich vom Acker zu machen.

    Um 10 Uhr bin ich startklar für eine kurze Sightseeingtour durch die Mainzer Innenstadt bevor es mich auf den Rhein-Radweg verschlägt. Während ich so durch die Gassen schlendere, halte ich Ausschau nach Mainzelmännchen. Doch weit und breit kein Einziges! Stattdessen begegnen mir auffällig viele junge wie ältere Menschen, die entweder auf einem Mäuerchen sitzend, durch die Straßen schlendernd oder sich in rhythmischen Bewegungen wiegend, eine an einer Gummischnur befestigten Banane schwenken bzw. hinter sich herziehen und dabei rufen: "Heut' wirds lustig!". Schließlich frage ich drei der Bananenschwenker, ob sie denn auch mit den Bananen sprechen würden. „Natürlich“, sagen sie und ich dürfe die Bananen auch streicheln. Während ich mich also nach einer noch sehr jungen und schüchternen Banane (kein Wunder beim ersten öffentlichen Auftritt) bücke und ein paar Worte wechsle, passiert uns ein älteres Ehepaar und starrt uns einen Moment mit ungläubigen Gesichtsausdruck an. Eine bis unter die Hutschnur beladene, schwarz gekleidete Rollifahrerin umringt von Bananenschwenkern war wohl etwas zu viel des Guten! Aber um die Sache aufzulösen: es handelt sich um Schüler von einer Clownschule, die sich heute (nach eigener Aussage) zum Affen machen. „Heut’ wird’s lustig!" - Genau!


    Ich verlasse Mainz rechtsrheinisch und folge dem Rhein bis ich auf den Hafen stoße und mich der Radweg vom Fluss weg gefühlte 100 Kilometer weit durchs Industriegebiet führt. Vorbei an Mc Donald’s, Burger King, der Nescafé-Fabrik, diversen Lagerhallen, Real (warte mal: Real?... der kommt mir doch mit seiner Toilette sehr gelegen, außerdem brauche ich Kartoffelchips - nur gesalzen, nicht gepanscht ) und Bahr Baumarkt rolle ich gelangweilt an der Bundesstraße entlang, als mich ein älteres Ehepaar aus meiner gerade nicht so guten Stimmung reißt. „So ein zartes Persönchen und so schnell unterwegs!“ meint der Mann, der sich mit seiner Frau die Beine hier vertreten muss, bis sein Auto in der Werkstatt fertig ist. Die beiden begleiten mich bis zur nächsten Ampel und geben mir damit ein bisschen Abwechslung in dieser tristen Gegend. Außerdem lernen Sie was ein E-Motion-Kraftverstärkungsantrieb ist.

    Endlich erreiche ich das offene Land und mit meiner Stimmung gehts wieder aufwärts. Vorbei geht es an Dutzenden von Kleingärten, wo der Mainzer und Wiesbadener seine Wochenenden beim Gurkenanbau verbringt. Dann wieder führt mich der Radweg durch den Wald und auf unasphaltierte Wege, bis nach einiger Zeit der Rhein durch die Äste lugt. Da ist es wieder - das große Wasser. Wie bestellt lädt mich eine leere Bank mit perfekter Aussicht zur Mittagspause ein.


    Frisch gestärkt folge ich zunächst wieder der Beschilderung durch Budenheim und verlasse dann die markierte Straße über einen unbefestigten Weg durch die Heide. Noch 6 Kilometer.

    Kurz bevor ich den Damm erreiche mit seinen angrenzenden weiten Maisfeldern und Apfelbaumplantagen, treffe ich auf den Vater einer vierköpfigen Familie, der scheinbar etwas am Boden sucht. Als ich näher komme, sehe ich die dickste Raupe, die jemals in meinem Leben meinen Weg gekreuzt hat - zumindest in Deutschland! Muss ein USA-Import sein. Ich wohne der Raupenrettungsaktion des Vaters bei und passiere dann den Campingplatz in Uhlborn. Auf diesen will ich jedoch noch nicht.


    Weiter geht es nun am Damm entlang. Es ist herrlich warm und ich fühle mich pudelwohl. Die gleißende Nachmittagssonne über dem Damm erinnert mich nur daran noch eine Ladung Sonnencreme aufzulegen.

    Verführerisch duftende Apfelbäume begleiten mich nun auf den letzten Kilometern. Leider wollen mir die Äpfel nicht sagen welche Sorte sie sind, denn jetzt so ein leckerer Elstar wäre toll. Doch ich verkneife mir auf Tour irgendwelche Nahrungsmittelunverträglichkeitstest und hätte eh nicht den Mumm mir einen Apfel einfach so vom Baum zu klauen.


    Ich erreiche den Campingplatz in Heidenfahrt gegen 15 Uhr. Eine total überforderte junge Frau fordert mich auf mir einfach einen Platz zu suchen und in ein bis zwei Stunden zur Anmeldung wiederzukommen. Als das Zelt steht, will ich nur eines: eine Dusche! Wenn man den Komfortbereich im Leben verlässt, weiß man echt was wichtig ist! Ich frage mich bei den Campierenden wegen Duschmarken etc. durch (man braucht keine) und stehe wenig später unter dem erfrischenden Strahl. Auch hier ist nix mit barrierefrei (zwei Stufen führen in die Kabine des Duschcontainers)- wohl dem der noch etwas gehen kann.

    Im Bierzelt des Campingplatzes kippe ich ein 0,4l-Glas Pepsi light auf ex weg, melde mich nebenbei an und finde dann zurück bei meinem Zelt im mittlerweile geordnetem Chaos auf Anhieb meinen Spirtuskocher nebst Kochtopf und Maisnudeln. Ich werde besser!

    Gegen 20 Uhr setzt die Dämmerung ein und ein unglaublich schöner Sonnenuntergang über dem Rhein verleiht diesem Tag den krönenden Abschluss.


    Gesamtkilometer: 20,5 Durchschnittsgeschwindigkeit: 5,2 km/h

    Sonntag, 09. September 2012
    Die Nächte sind jetzt schon kühl, doch ich bekomme davon eingemummelt in meiner Daunen-Sommerkufa-Schlafsack-Kombination kaum was mit. Lediglich die Nasenspitze verrät mir welche Temperaturen außerhalb der fluffigen Federn herrschen. Da ist noch Reserve nach unten. Test bestanden - auch für noch kältere Nächte.

    Um 7 Uhr weckt mich die Morgensonne und ein Tropfen auf meiner Stirn. Wasser? - Warte mal: es hat nicht geregnet und der Morgentau sollte sich eigentlich nicht im Nest befinden!!! Ich stelle fest, dass ich in der Nacht das Innenzelt gegen das Außenzelt gedrückt habe und somit kommt Feuchtigkeit nach Innen. Nicht gut! Memo an mich: Aufhängeschnüre des Nests verlängern und somit Abstand zur Außenwand vergrößern, Innenzelt mit separaten Heringen fixieren und zumindest auf der Nestseite das Außenzelt mit Leinen zusätzlich Abspannen. Wieder was gelernt!

    Als ich aus dem Zelt krabble fällt mir außerdem auf, dass das Außenzelt auf dem Boden aufliegt und dadurch auch kaum Luft durchs Zelt zirkulieren kann. Noch eine Memo an mich: das Außenzelt nächstes Mal so weit weg vom Boden wie möglich bringen, d.h. die Heringsschlaufen voll ausfahren.

    Soviel Lernstoff bereits am frühen Morgen schreit nach einer Tasse Kaffee und einer großen Portion Milchreis. Eine Spiritusfüllung in meinem Mini-Trangia reicht dazu gerade aus, um auch noch den Milchreis-Reis fürs Mittagessen weich zu bekommen.


    Ich lasse mir viel Zeit beim Zusammenpacken und mein Zelt lang und breit in der wärmenden Sonne trocknen. Als ich in den letzten Zügen des Gepäckverstauens bin, werde ich von einer Frau angesprochen, die wie sich herausstellt mit Mann und Hund zu Fuß unterwegs ist. Leute, die ihr gesamtes Gepäck am Körper tragen müssen, wissen um die Strategie des richtigen Gepäckverschnürens und so tauschen wir uns eine Weile aus.

    Um 11 Uhr verlasse ich den Campingplatz. Direkt an der Schranke schießt ein zusätzlicher Adrenalinstoß von der Haar- bis zur Fußspitze durch meinen Körper: wo um alles in der Welt ist mein Geldbeutel??? Soweit zum Thema geordnetes Chaos! Ich bin schon kurz davor all meine Sachen aus dem Rucksack zu graben, als ich mich erinnere, dass das Nest beim Zusammenrollen so eine merkwürdige Verdickung hatte. Also einmal kurz das Nest ausgerollt und - war doch kein Maulwurf, den ich da mit eingewickelt habe. Puh! Mein Herzschlag normalisiert sich wieder und ich habe die dritte Memo des Tages an mich: wenn Du eh schon konsequent alles irgendwo festbindest, dann binde über Nacht den Geldbeutel gefälligst an dich und verstecke ihn nicht in den Falten des Nests! Zum Glück bin ich ein Mensch, der sein Zeugs nur im Umkreis einer Armlänge verteilt und nicht auch noch in irgendwelchen Waschräumen.

    Gestern Abend schon hatte ich beschlossen heute keine weitere Etappe zu machen, sondern mich zum nächstgelegenen Bahnhof durchzuschlagen. Die Strecke wäre zu lang, um abends noch in den Zug zu springen und da ich morgen daheim eh wieder was zu tun habe, lasse ich es fürs erste Mal gut sein.

    Zunächst geht’s durch das idyllische Örtchen Heidenfahrt. Die sonntägliche Ruhe wird nur von einer keifenden Frauenstimme gestört, die durch ein gekipptes Fenster dringt. Könnte eine Szene aus einem Kinofilm sein. Wenn der Beschimpfte seinen Krempel aber auch überall rumliegen lässt!

    An der Landstraße entlang führt der Radweg gute 2 km bis nach Heidesheim zum Bahnhof. Nochmal begleitet mich der Duft reifer Äpfel.

    Als ich schließlich am Bahnhof ankomme, stelle ich mal wieder fest, dass Rampen oftmals nett gemeint aber leider absolut ungeeignet für Rollifahrer sind. Jemand ohne Beinfunktion hat bei dieser Steilheit keine Chance und würde hinterrücks umplumsen. Rückwärts rolle ich mich mit voller Kraftverstärkung nach oben und muss dabei gleichzeitig mit den Beinen anschieben. Ich möchte nicht wissen was für ein Bild ich dem fröhlichen Wandertrüppchen am Bahnsteig auf diese Weise biete - so als merkwürdiger Vierfüßler.  Hauptsache ich bin oben und stelle mich gleich der nächsten Herausforderung: auch der Einstieg in die Mittelrheinbahn ist nicht barrierefrei. Ich schnappe mir zwei der Ausflügler, die mir bereitwillig beim Einsteigen behilflich sind.

    11:45 Uhr - geschafft! Während der Fahrt inhaliere ich hungrig die letzten, mittlerweile zu mikroskopisch kleinen Brösel zerkrümelten Chips und erreiche schließlich gegen halb vier die heimatliche Wohnung.

    Gesamtkilometer: 2,54 Durchschnittsgeschwindigkeit: 5,4 km/h

    Nachwort
    Jetzt nach dieser ersten Tourerfahrung mit der neuen Situation „Rolli“ kann ich nicht mehr nachvollziehen warum ich vorher so Bammel davor hatte. War doch eigentlich alles so wie immer - wie auf den Reittouren oder den Rundreisen mit Zelt in den USA etc. Lediglich das Transportmittel hat sich geändert. Worauf ich noch mehr achten muss, ist, zu vermeiden, dass ich auf dem Campingplatz wie ein durchgeknalltes Känguru aus dem Rolli raus und wieder hinein springe. Auch wenn ich noch einige Schritte gehen kann und es manchmal einfacher ist, doch mal eben aufzustehen, ist das für die Energiebilanz ziemlich kontraproduktiv. Ich muss mich insgesamt in der Geschwindigkeit meines Handelns zurücknehmen - ich habe ja schließlich keinen wichtigen Termin. Gerade am ersten Abend und Morgen war ich aber auch voller Adrenalin ob des neuen Alten und hatte die Quittung in Form von streikenden Beinen. Aber genau deshalb brauche ich ja den Rolli!

    Daran wurde ich auch übrigens wieder erinnert. Ich weiß auch nicht wieso, aber ich kann wahnsinnig schnell vergessen - oder verdrängen? In den letzten Wochen in meinem geruhsamen Leben daheim wollte ich fast glauben, dass ich besser gehe und eventuell leistungsfähiger sein könnte. Das mit dem Gehen stimmt auch in gewisser Weise, denn die wenigen Meter, die ich bisher auch immer gegangen bin, gehe ich mit Rollator oder Stöckchen weniger wackelig. Hier zahlt sich der Rolli aus: die Energie die ich durch dessen Nutzung auf langen Strecken einspare, kann ich in die kurzen Gehstrecken in meiner häuslichen Umgebung stecken. Das mit dem leistungsfähiger kann ich allerdings nicht unterstreichen: 3 Tage (wie schon in Reiturlauben vor 6 Jahren, auf Dienstreisen, oder beim WGT dieses Jahr etc.) hält mich wohl der Adrenalinspiegel aufrecht, danach geht der Akku auf „Tiefenentladung“ und bleibt da für mindestens ebenso viele Tage. Ich merke übrigens schon am zweiten Tag wie zwar meine muskulären Kräfte noch vorhanden sind, aber wie meine Konzentrationsfähigkeit sinkt. Ich kann zwar meinen Gedanken freien Lauf lassen während ich so dahinrolle - wie früher beim Joggen - aber kleine und große „wissenschaftliche“ Fragen könnte ich nicht mehr lösen. Verglichen mit der Zeit als ich noch nicht in EU-Rente war, hat sich da leider gar nichts geändert.

    Ich will auf so einer Tour aber auch keine Doktorarbeit schreiben, sondern mentale Kraft schöpfen. Und das ist auf ganzer Linie gelungen! Yeah, man!!!
    Zuletzt geändert von Meloney; 14.08.2013, 18:45.

  • Juno234
    Erfahren
    • 03.08.2007
    • 397

    • Meine Reisen

    #2
    AW: 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

    Schöner Bericht

    Kommentar


    • Alprausch84
      Fuchs
      • 12.02.2012
      • 1610
      • Privat

      • Meine Reisen

      #3
      AW: 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

      Klasse Bericht. Ich hoffe man liest mehr davon.

      Kommentar


      • grenzenlos
        Dauerbesucher
        • 25.06.2013
        • 566
        • Privat

        • Meine Reisen

        #4
        AW: 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

        Zitat von Meloney Beitrag anzeigen
        Hi!

        Ich will auf so einer Tour aber auch keine Doktorarbeit schreiben, sondern mentale Kraft schöpfen. Und das ist auf ganzer Linie gelungen! Yeah, man!!!
        Hallo,
        gratuliere zu dieser Einstellung! Schöner Bericht.
        Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

        Gruß, Wi grenzenlos

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        • Bluebalu
          Dauerbesucher
          • 19.05.2013
          • 959
          • Privat

          • Meine Reisen

          #5
          AW: 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

          Chapeau!

          Du bist auf dem richtigen Weg.

          Und wer kennt wohl nicht das herrlich undeordnete Chaos vor einem Aufbruch?

          Ciau
          Bluebalu

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          • grenzenlos
            Dauerbesucher
            • 25.06.2013
            • 566
            • Privat

            • Meine Reisen

            #6
            AW: [DE] 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

            Hallo,

            ich noch mal. Ich halte manchmal Vorträge in meinem Heimatort bei der Selbsthilfgruppe vom Behindertenverband. Ich muss dir sagen, da sind echt reisefreudige Zeitgenossen/innen dabei. Vielleicht gibt es ja so ne Truppe auch bei Dir in der Gegend. Frage doch einfach beim Verband nach.

            Einmal hat mir von der Gruppe jemand ein Buch gegeben. Er hat mir erklärt, der Inhalt vom Buch wäre sein Traum.
            Vielleicht kennst Du es, es hat den Titel: Mein Traum von Indien / von Andreas Pröve
            Ein Rollstuhlfahrer reist durch Indien. Das Buch ist echt gut.

            Wünsche noch viele weitere Touren und hoffe auf Berichte

            Gruß Wi grenzenlos
            Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

            Gruß, Wi grenzenlos

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            • Meloney
              Anfänger im Forum
              • 14.08.2013
              • 16
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: [DE] 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

              Wow, schon einige Reaktionen! Danke!

              @grenzenlos: ich habe mittlerweile dieses Jahr auf einer Rehamesse auch einige kennengelernt, die ständig unterwegs sind. Als ich angefangen habe vom "Wandern mit Rolli" zu träumen, hatte ich generell wenige Kontakte. Woher auch, ich hatte den Rolli ganz frisch und war vorher sozusagen dazu verdammt, jeden Gullideckel im 1 km Umkreis meiner Wohnung bis ins Detail kennenzulernen . Weiter kam ich zu Fuß nicht. Und selbst dann anfangs im Rolli - ich hätte nicht für möglich gehalten, dass auch ich sowas schaffe. Und bezüglich dem meinte ich, dass ich relativ wenig Erfahrungsberichte gefunden habe, mit denen ich mich im weitesten Sinne vergleichen kann und die so was in der Art vermitteln: "hey ich habe "Muskel", liege des öfteren auf der Nase und habe aber diesen oder jenen Weg gefunden, um meinen Traum zu verwirklichen.

              Andreas Pröve ist so einer, sein Buch habe ich inhaliert , ebenso die Bücher von Felix Bernhard, der mehrere Jakobswege (einschließlich von Frankfurt nach Jerusalem) gepilgert hat. Sowas wäre auch mein großer Traum: nicht explizit Jakobsweg, aber so einfach los und für Monate von hier nach da oder dort. Mein Problem ist allerdings, dass ich nie vorhersehen kann, ob ich nicht unter Umständen für ein paar Wochen ausser Gefecht gesetzt bin. Dann müsste ich mich irgendwo länger einquartieren und das ist dann ein anderes Kapitel und heißt Geld. Aber ganz ehrlich, seit ich diese Ein- und Mehrtagestouren mache (und ich bin gerade am Sonntag von einer 4-Tages-Tour zurückgekommen) hat sich dieser Traum auch ein bißchen verändert. Es muß nicht mehr das Universum sein, Deutschland recht auch . Vorerst

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              • grenzenlos
                Dauerbesucher
                • 25.06.2013
                • 566
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [DE] 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

                Zitat von Meloney Beitrag anzeigen
                . Es muß nicht mehr das Universum sein, Deutschland recht auch . Vorerst
                Das Universum ist manchmal um der nächsten Straßenecke bereits greifbar!
                Wünsche noch mehr ''Muskel'' und allzeit wundfreie Nasenflügel.
                Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                Gruß, Wi grenzenlos

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                • hosentreger
                  Fuchs
                  • 04.04.2003
                  • 1406

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [DE] 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

                  Das Lesen Deines Berichtes hat Spaß gemacht und ich hab' einen Haufen gelernt...
                  Danke!
                  hosentreger
                  Neues Motto: Der Teufel ist ein Eichhörnchen...

                  Kommentar


                  • grenzenlos
                    Dauerbesucher
                    • 25.06.2013
                    • 566
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [DE] 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

                    Zitat von hosentreger Beitrag anzeigen
                    und ich hab' einen Haufen gelernt...
                    Danke!
                    hosentreger
                    ...genauso ist es!
                    Unsere Webseite: http://www.grenzenlosabenteuer.de

                    Gruß, Wi grenzenlos

                    Kommentar


                    • rumtreiberin
                      Alter Hase
                      • 20.07.2007
                      • 3236

                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [DE] 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

                      Klasse Bericht! Ich meine mal etwas von einer Frau gelesen zu haben die Touren mit einem Handbike gemacht hat.

                      Und ich habe auf die Schnelle dieses Blog gefunden, vielleicht ist da ja noch was für dich dabei, falls du es nicht schon kennst: http://skelligs.wordpress.com/category/reisen/

                      Was deine Riesenraupe betrifft: Die ist einheimisch, mir ist so eine letztes Jahr im August in Dänemark begegnet, und ich habe auch erst mal über die Größe von fast 10cm gestaunt. http://www.schmetterling-raupe.de/art/cossus.htm

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                      • Meloney
                        Anfänger im Forum
                        • 14.08.2013
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                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [DE] 2,5-Tage Rheinradweg Mainz-Heidenfahrt Sep 2012

                        Zitat von rumtreiberin Beitrag anzeigen
                        Und ich habe auf die Schnelle dieses Blog gefunden, vielleicht ist da ja noch was für dich dabei, falls du es nicht schon kennst: http://skelligs.wordpress.com/category/reisen/
                        Oh den Blog kenne ich noch nicht. Werde mich da mal umschauen. Außer um medizinische Infos darüber zu bekommen, habe ich meine eigene Erkrankung bezüglich Rolliwandern etc. noch nie gegoogelt

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