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Entlang des Rothaarsteigs Ende September 2012
Vorwort:
Ich weiß, dass es bereits einige gute Berichte über den Rothaarsteig gibt, aber weil es meine erste Tour überhaupt gewesen ist, habe ich noch ein gewisses Mitteilungsbedürfnis
Zu meiner Person: Ich bin (fleißiger) Student und musste den Sommer lernend am Schreibtisch verbringen. Nachdem Anfang September endlich die letzte Prüfung geschrieben war, rauchte mir der Kopf. Um mich gedanklich von den letzten Monaten zu verabschieden, beschloss ich kurzerhand den Rothaarsteig zu laufen. Der Weg beginnt doch schließlich in meiner Heimatstadt in Dillenburg. Die Voraussetzungen für meine Tour sind allerdings denkbar schlecht: Ich besitze absolut gar keine Outdoor-Ausrüstung; bin starker Raucher; habe null Kondition und bin wirklich schmächtig. Normalerweise schnaufe ich schon, wenn ich 3 Stockwerke zu Fuß gehen muss. Also kaufe ich mir innerhalb einer Woche erstmal alles Wichtige zusammen: Zelt, Schlafsack, Isomatte, Shell, Fleece, Funktionsshirt, Trekkinghose, Socken, Kartenmaterial und vernünftige Schuhe. Mein Konto ist fast leer geräumt und einen überdimensionierten Rucksack kann ich mir ausleihen. Die Tour starte ich absichtlich in Brilon, um nicht nach Tag 1 schon aufzugeben 
Der Tag vor der Abreise bringt leider noch mehr schlechte Nachrichten: Die Temperaturen fallen nachts plötzlich stark ab und ich sehe mich schon frierend im Schlafsack liegen. Zudem habe ich schlecht geschlafen und leichte Rückenschmerzen bekommen. Von meinen Freunden werde ich noch mit einer durchzechten Nacht verabschiedet
Also Beste Voraussetzungen!
Wie bereits geahnt kann ich am nächsten Tag meinen Rucksack nicht mehr vernünftig schultern, und beschließe kurzer Hand Zelt, Schlafsack und Isomatte daheim zu lassen, und mit Tagesrucksack die (Jugend-)Herbergstour zu machen. Das bringt zwar weniger Gepäck (ca. 3,5kg), dafür aber Etappen über 30 Km. Für mich zu dem Zeitpunkt noch unvorstellbar... Freunde und Verwandte halten mich übrigens für wahnsinnig...
Tag 0: Prolog – Von Dillenburg nach Brilon
Der Tag beginnt leicht konfus. Noch etwas flau im Magen und mit nur wenig Schlaf begebe ich mich nachmittags auf meine 4 stündige Reise nach Brilon. Die Zugfahrt führt über Gießen nach Kassel weiter bis Brilon. Am Bahnhof angekommen, fällt mir das erste Mal auf, wie dämlich mein Wander-Outfit aussieht. Naja..., da mir in den nächsten Tagen hoffentlich nur wenige Menschen im Wald begegnen, solls mir für heute egal sein. Langsam schleiche ich orientierungslos durch die Stadt und bahne mir meinen Weg durch aufkommende Menschenmassen Richtung Ortsausgang. Da bleibe ich auch vorerst hilfesuchend stehen: Orientierungslos nach 15 Minuten. Meine Reise fängt ja gut an... Die Einheimischen scheinen ganz nett zu sein, und ich erfrage mir den Weg zur Jugendherberge. Die befindet sich dummerweise außerhalb der Stadt, und so starte ich total verschwitzt aber noch gut motiviert auf meine erste 3 Km lange Etappe. 45 Minuten später komme ich erschöpft dort an und werde immerhin freundlich empfangen. Die Anmeldeprozedur ist schnell erledigt, die Herbergsleiterin drückt mir Bettwäsche und Schlüssel in die Hand und verschwindet schnell in ihr Büro. Ich lasse den Tag langsam ausklingen, rätsel noch wie ich mein Bett richtig beziehe, futter meinen ersten Proviant auf und plane bis in die späten Stunden meine morgige Tour.
Gelaufene Km: 5
Übernachtung: Jugendherberge Brilon
Wetter: Sonne pur mit ca. 16° C
Körperlicher Verfall: Einfach nur müde, sonst noch nichts.

Brilon bei Sonnenuntergang.
Tag 1: Auf in den Kampf – Brilon nach Willingen
Der Tag beginnt für mich als Studenten um 07:30 Uhr außergewöhnlich früh. In der Herberge frühstücke ich noch zusammen mit den wenigen anderen Gästen und begebe mich gegen 9 Uhr auf den Rothaarsteig. Der Weg führt die ersten 10 Km über viele steile Berge. Ich muss auf jedem Gipfel Pause machen und schwitze mein Shirt bei jedem Aufstieg einmal komplett durch. Nach 5 Km werden die Zweifel immer größer, ob ich es überhaupt nach Willingen schaffe. In meinem Rucksack befinden sich zwar Adressen von verschiedenen Pensionen, die liegen aber noch mindestens 20 Km entfernt. Irgendwie muss es weitergehen und so marschiere ich gut gelaunt mit grandioser Aussicht übers Hochsauerland vor mich hin. Unterwegs passiere ich im Eiltempo die Bruchhauser Steine, damit ich pünktlich gegen halb 4 in Willingen ankomme. Weil sich der erste Muskelkater bemerkbar macht, beschließe ich in einer günstigen Pension in der Stadt abzusteigen, werde aber schroff mit dem Hinweis abgewiesen, dass heute Putztag sei und ich mir etwas anderes suchen solle... Überrascht von der herzlichen Gastfreundschaft lasse ich Willingen links liegen, um noch bei Tageslicht die 7 Km entfernten Jugendherberge zu erreichen. Hier erwartet mich die nächste Überraschung: Alle Lichter aus, niemand zu Hause. Verzweifelt wähle ich die Handynummer am Eingang und überrede den Herbergsleiter mich heute doch noch aufzunehmen. Anscheinend bin ich der erste Wanderer seit Jahren, der es von Brilon über Willingen bis zur Jugendherberge nach Schwalefeld zu Fuß geschafft hat! Eine halbe Stunde später liege ich fix und fertig als einziger Gast heute in meinem Zimmer und schlafe sofort ein.
Gelaufene Km: ca. 30
Übernachtung: Jugendherberge Willingen-Schwalefeld
Wetter: Bewölkt, hin und wieder Sonne, etwas kälter als gestern
Körperlicher Verfall: Schmerzen in der Hüfte dank der tollen Herbergs-Matratze, fieser Muskelkater in beiden Ober- und Unterschenkeln, laufen geht gerade noch so.




Tag 2: Der beschwerliche Weg nach Winterberg – Von Willingen rauf auf den Kahlen Asten
Der heutige Tag bringt viele Ungewissheiten mit: Bis zur Jugendherberge nach Winterberg muss ich mindestens 35 Km schaufeln. Weil der Muskelkater kaum nachlässt und sich stattdessen bis in die Hüftregion ausgebreitet hat, zweifel ich immer mehr, ob ich je dort ankommen werde. Zudem wird das Wetter wechselhafter. Heute muss ich mit Regen rechnen. Immerhin beginnt der Tag gar nicht so schlecht: Nicht der Herbergsleiter begrüßt mich bei meiner Abreise, sondern die 23-Jährige hübsche Leiterin. Bei Kaffee und Kippen verplappern wir mehr als eine halbe Stunde. Da die Zeit drängt und mein Weg weit ist, verwerfe ich trotz meiner äußerst sympathischen Gesprächspartnerin, schnell jeden Gedanken hier sesshaft zu werden
Mein Weg führt in der ersten Tageshälfte entlang des Uplandsteigs, erst gegen Mittag werde ich wieder auf den Rothaarsteig stoßen, von dem ich mich gestern zwecks Übernachtung 7 Km entfernen musste. Zu Beginn wandere ich durch Täler, unterwegs passiere ich sogar die Mühlenkopfschanze. Weiter gehts stundenlang über schmale Trampelpfade mitten durch den nebelverhangenen Wald. Erst gegen 13 Uhr erreiche ich wieder offenes Feld. Etwa 3 Stunden später stehe ich in Winterberg und meine Beine schmerzen bereits fürchterlich. Zu meinem Unglück führt der Rothaarsteig quer durchs Skigebiet und ich krabbel auf allen Vieren einen Ski Hang hinauf, weil an Treppensteigen nicht mehr zu denken ist. Die meisten Leute begutachten meinen eleganten Krabbelstil eher ungläubig oder sind am lachen. Danach ist mir nicht zu Mute, denn die Nacht bricht langsam herein und starker Platzregen verwandelt den Weg in eine matschige Rutschbahn. Irgendwie schaffe ich es doch noch über den Kahlen Asten zu humpeln und komme spät abends in der Jugendherberge Winterberg an. Hier erwarten mich übrigens 4 nervige Schulklassen. Der Lärm ist fast unerträglich. Ein Glück für die Kinder, dass ich nicht mehr in der Lage bin zu laufen...
Gelaufene Km: ca. 35, möglicherweise mehr
Übernachtung: Jugendherberge Winterberg
Wetter: wechselhaft, vereinzelt Schauer, gegen späten Nachmittag schwerer Platzregen, ca. 6-8° C
Körperlicher Verfall: enorm; der Muskelkater am Hüftgelenk und in der Leiste macht mir schwer zu schaffen; gegen Mittag fangen die Knie an zu schmerzen; das rechte Sprunggelenk funktioniert 3 Stunden nicht richtig; die Lippen platzen vollends auf

Mühlenkopf-Schanze in Willingen.

Viel Schutz bieten die Hütten leider nicht...

Auf dem Uplandsteig unterwegs.

Hinter mir liegt jetzt Winterberg.
Tag 3: Jenseits des Hochsauerlandkreises – Von Winterberg nach Schmallenberg
Gegen 9 Uhr werde ich aus der Jugendherberge geworfen, weil das Zimmer pünktlich für die nächsten Gäste gereinigt werden muss. Eilig stopfe ich meine Sachen in den Rucksack und starte auf die nächste Etappe ins 25 bis 30 Km entfernte Schmallenberg. Aus meinem Zimmer lasse ich alle Mülltüten mitgehen, um meine persönlichen Gegenstände halbwegs trocken im Rucksack zu verstauen. Die wenige Wäsche, die ich mit mir trage, muss ich ganz nebenbei jeden Abend per Hand waschen. Mir fällt auf, dass die ersten Kilometer immer die schwierigsten sind. Der Muskelkater ist beinahe komplett verschwunden, dafür schmerzen beide Knie abartig und das linke Hüftgelenk versteift sich. Ich komme vorerst nur quälend langsam voran. Nach einer Stunde zwanghaftem humpeln muss ich meine Pläne jedenfalls ändern. Vielleicht Bus fahren? Oder mit dem Zug nach Schmallenberg? Ich entscheide mich für die einfachste Lösung und gebe mir 2 starke Schmerztabletten. Nachdem die Wirkung voll eingesetzt hat, kann ich endlich den Turbo einlegen und marschiere gut gelaunt durch den peitschenden Regen. Mein Weg besteht heute zu Beginn aus Kammpfaden und führt größtenteils bergab. Mittags tauche ich wieder in die deutsche Wildnis ein und kämpfe mich einsam durch tiefe, schluchtenartige Täler. Den Hochsauerlandkreis lasse ich hinter mir. Gegen 17 Uhr erreiche ich die Jugendherberge und beschließe spontan meinen Reiseproviant im 2-3 Km entfernten Schmallenberg aufzufüllen. Völlig entkräftet falle ich früh ins Bett.
Gelaufene Km: ca. 35
Übernachtung: Jugendherberge Schmallenberg
Wetter: Anhaltender leichter Regen, etwas stürmisch, ca. 10-12° C
Körperlicher Verfall: böse schmerzende Knie und Hüfte, starke Blasenbildung an beiden kleinen Zehen (werden jeden Morgen von mir mit entsprechenden Pflastern verarztet)

Die Hohleyer-Hütte, leider zu :-(

Wenigstens stimmt der Ausblick aufs obere Lennetal.


Tag 4: Auf dem Weg der Besserung – Von Schmallenberg bis zum Rhein-Weser-Turm
Der Tag beginnt wie immer mit Duschen, Rucksack packen, Frühstücken. Beim Essen versammeln sich heute ganze Schulklassen um mich. Ich berichte von meiner Expedition durch die deutschen Mittelgebirge und allen Unwegsamkeiten, die mir bereits begegnet sind. Rund 25 Schüler folgen (auch zu meiner Überraschung) erstaunt und interessiert meinen Ausführungen. Gegen 9 Uhr verabschiede ich mich und wünsche allen das, was sie mir wünschen
Heute habe ich meine Schmerztabletten schon vor dem Frühstück geknuspert, um einen guten Einstieg zu erwischen. Da ich wieder 6 Km vom Rothaarsteig entfernt geschlafen habe, entschließe ich kurzerhand den Weg nicht mehr zurückzugehen (allein aus Prinzip ist sowas demotivierend), sondern einen etwas größeren Bogen um die Schmallenberger Höhe zu machen und dann südwärts auf den Rothaarsteig einzubiegen. Dummerweise merke ich erst nach rund 5 Km, dass der eingeschlagene Weg um einiges weiter und ähnlich steil ist. Die ersten drei Stunden des Tages verschwende ich damit, mühsame 400 Höhenmeter Aufstieg zu bewältigen. Sobald ich die erste Rothaarsteig Markierung erblicke, merke ich, dass meine Knie definitiv im Eimer sind. Lustig humpelnd schaufel ich die ersten Kilometer auf meinem eigentlichen Weg, der glücklicherweise den ganzen Tag relativ eben verläuft. Die meiste Zeit verbringe ich auf Forstwegen im Wald. Unterwegs treffe ich eine Wanderin, die mich eigentlich an Tag 2 vor Winterberg überholt hat. Wir unterhalten uns kurz und ich gehe dank meiner Schmerztabletten voraus. Etwas später finde ich an der Sombachquelle einen Stock, der mir fortan als Wanderstab dient. Damit steigere ich meine Geschwindigkeit kurzfristig wieder auf 4-5 Km/h und klammere ich mich beidhändig gegen Ende der Tagestour an meine liebgewonnene Krücke. Gegen 17 Uhr erreiche ich soo elegant vorwärts schleifend den Rhein-Weser-Turm, dass die 18-Jährige Restaurant-Tochter an einem Lachanfall fast erstickt. Hier werde ich immerhin von anderen Wanderern zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Die Nacht quartiere ich mich im Heulager in Heinsberg ein. Das ist viel gemütlicher als es auf den Bildern aussieht :-)
Gelaufene Km: Irgendwas zwischen 28 und 32
Übernachtung: Heulager Rucksackherberge Heinsberg (alle anderen übernachten schön im Hotel)
Wetter: meist Regen, hin und wieder klart das Wetter auf, ca. 10-12° C
Körperlicher Verfall: Wie immer die Knie, außerdem werden die Blasen immer größer

Schmallenberg lasse ich endlich hinter mir.

Seltene Momente, an denen es mal nicht geregnet hat.


Die Sombach-Quelle

Der Rhein-Weser-Turm

Mein Nachtlager, ähnelt irgendwie einem Verlies...
Tag 5: Der Ausstieg nach 150 Km – Von Heinsbach nach Lützel
Erstaunlicherweise gehts mir morgens richtig gut. Der stechende Schmerz in den Knien hat nachgelassen und die Blasen werden etwas angenehmer. Also beste Voraussetzungen um die letzte Tagesetappe zu starten. Heute will ich soweit kommen wie möglich. Der Ausstieg ist fest eingeplant, schließlich wird gegen Abend noch Geburtstag gefeiert und mein persönliches Pensum habe ich mehr als erfüllt. Ohne lästige Umwege auf meiner Tour wäre ich schließlich gegen Nachmittag in Dillenburg eingetroffen. Anstatt mich vom Hotelbesitzer wieder hoch zum Rhein-Weser-Turm fahren zu lassen, entscheide ich mich den etwa gleichlangen Zugangsweg zum Rothaarsteig von Heinsberg aus zunehmen. Strömender Regen sorgt heute zum ersten und einzigen Mal dafür, dass meine Outdoor-Hose an den Knien durchweicht. Nachdem ich den gelben Markierungen fast eine Stunde gefolgt bin, verliert sich plötzlich der Weg. Die letzte Wegmarke ist mir vor einer halben Stunde aufgefallen und ich bin mir sicher, irgendwo falsch abgebogen zu sein. Weil ich aber der Meinung bin meine momentane Position zu kennen, laufe ich nach Gefühl ostwärts Richtung Rothaarsteig. Jeder Forstweg, der irgendwie gerade passt, wird von mir eingeschlagen. Eine Stunde später stehe ich in einer Sackgasse und komme auf befestigten Wegen nicht mehr weiter. In dem Glauben noch höchstens einen Kilometer vom Steig entfernt zu sein, versuche ich querfeldein die stark bewaldete Anhöhe zu überqueren. Zum Ende meiner Tour packt mich nochmal das Outdoor-Fieber. Mit meiner Krücke bahne ich mir den Weg durchs Gebüsch und dichte Nadelwälder. Die Zeit vergeht und vergeht... Irgendwann wird mir klar, dass ich mich total verlaufen habe. Ein guter Zeitpunkt Mittagspause einzulegen und die Situation in Ruhe zu überdenken. Den Weg, den ich gekommen bin, finde ich nicht wieder zurück; Nebel zieht auf und meine Sichtweite sinkt stetig; alle markierten Wege führen recht weitläufig um meine vermutete Position herum; das Gelände ist schwergängig; wegen dem aufkommenden Nebel ist die Orientierung sehr schwer, ich bin mir nicht sicher, welchen Berg ich gerade besteige; es kann deshalb durchaus passieren, dass ich im Kreis laufe. Naja..., mir wird langsam die Banalität dieser Situation bewusst. Wie kann man sich heutzutage in deutschen Wäldern überhaupt noch verlaufen? Nach der Pause beschließe ich den Aufstieg zu Ende zu führen. Vom Gipfel erhoffe ich mir eine bessere Sicht, doch stattdessen zieht der Nebel stärker zu. Dafür höre ich in naher Entfernung laute Geräusche. Ich folge meinem Gehör und stehe urplötzlich unter einer gewaltigen Windkraftanlage. Mit meinem schwachen Akku rufe ich den Hotelbesitzer an und erfrage meinen Standort. Der Hinweis immer weiter bergauf zu steigen, führt mich endlich vor einen Wegweiser. Nach Gefühl bin ich immer Richtung Osten gegangen, in Wirklichkeit befinde ich mich weit abseits südwestlich von meinem Startpunkt. Ich gebe die letzten Stunden nochmal Gas über den Rothaarsteig und erreiche bei strömenden Regen am frühen Abend Lützel. Hier erkläre meine Tour offiziell für beendet, denke nochmal lachend über meine ~4 Stunden Outdoor-Action nach und lege meinen Wanderstab wieder genauso am Rothaarsteig ab wie ich ihn gefunden habe.
Gelaufene Km: 20 bis 30, schwer zu schätzen
Wetter: morgens Platzregen, mittags dichter Nebel und nachmittags wieder Starkregen
Körperlicher Verfall: Füße, Beine, Knie, Hüfte... Einfach alles :-D

Nebel nimmt mir jede Orientierung

Irgendwann finde ich endlich wieder auf Wege

Am Horizont liegt irgendwo Lützel, mein Ausstieg.
Vorwort:
Ich weiß, dass es bereits einige gute Berichte über den Rothaarsteig gibt, aber weil es meine erste Tour überhaupt gewesen ist, habe ich noch ein gewisses Mitteilungsbedürfnis


Der Tag vor der Abreise bringt leider noch mehr schlechte Nachrichten: Die Temperaturen fallen nachts plötzlich stark ab und ich sehe mich schon frierend im Schlafsack liegen. Zudem habe ich schlecht geschlafen und leichte Rückenschmerzen bekommen. Von meinen Freunden werde ich noch mit einer durchzechten Nacht verabschiedet


Tag 0: Prolog – Von Dillenburg nach Brilon
Der Tag beginnt leicht konfus. Noch etwas flau im Magen und mit nur wenig Schlaf begebe ich mich nachmittags auf meine 4 stündige Reise nach Brilon. Die Zugfahrt führt über Gießen nach Kassel weiter bis Brilon. Am Bahnhof angekommen, fällt mir das erste Mal auf, wie dämlich mein Wander-Outfit aussieht. Naja..., da mir in den nächsten Tagen hoffentlich nur wenige Menschen im Wald begegnen, solls mir für heute egal sein. Langsam schleiche ich orientierungslos durch die Stadt und bahne mir meinen Weg durch aufkommende Menschenmassen Richtung Ortsausgang. Da bleibe ich auch vorerst hilfesuchend stehen: Orientierungslos nach 15 Minuten. Meine Reise fängt ja gut an... Die Einheimischen scheinen ganz nett zu sein, und ich erfrage mir den Weg zur Jugendherberge. Die befindet sich dummerweise außerhalb der Stadt, und so starte ich total verschwitzt aber noch gut motiviert auf meine erste 3 Km lange Etappe. 45 Minuten später komme ich erschöpft dort an und werde immerhin freundlich empfangen. Die Anmeldeprozedur ist schnell erledigt, die Herbergsleiterin drückt mir Bettwäsche und Schlüssel in die Hand und verschwindet schnell in ihr Büro. Ich lasse den Tag langsam ausklingen, rätsel noch wie ich mein Bett richtig beziehe, futter meinen ersten Proviant auf und plane bis in die späten Stunden meine morgige Tour.
Gelaufene Km: 5
Übernachtung: Jugendherberge Brilon
Wetter: Sonne pur mit ca. 16° C
Körperlicher Verfall: Einfach nur müde, sonst noch nichts.

Brilon bei Sonnenuntergang.
Tag 1: Auf in den Kampf – Brilon nach Willingen
Der Tag beginnt für mich als Studenten um 07:30 Uhr außergewöhnlich früh. In der Herberge frühstücke ich noch zusammen mit den wenigen anderen Gästen und begebe mich gegen 9 Uhr auf den Rothaarsteig. Der Weg führt die ersten 10 Km über viele steile Berge. Ich muss auf jedem Gipfel Pause machen und schwitze mein Shirt bei jedem Aufstieg einmal komplett durch. Nach 5 Km werden die Zweifel immer größer, ob ich es überhaupt nach Willingen schaffe. In meinem Rucksack befinden sich zwar Adressen von verschiedenen Pensionen, die liegen aber noch mindestens 20 Km entfernt. Irgendwie muss es weitergehen und so marschiere ich gut gelaunt mit grandioser Aussicht übers Hochsauerland vor mich hin. Unterwegs passiere ich im Eiltempo die Bruchhauser Steine, damit ich pünktlich gegen halb 4 in Willingen ankomme. Weil sich der erste Muskelkater bemerkbar macht, beschließe ich in einer günstigen Pension in der Stadt abzusteigen, werde aber schroff mit dem Hinweis abgewiesen, dass heute Putztag sei und ich mir etwas anderes suchen solle... Überrascht von der herzlichen Gastfreundschaft lasse ich Willingen links liegen, um noch bei Tageslicht die 7 Km entfernten Jugendherberge zu erreichen. Hier erwartet mich die nächste Überraschung: Alle Lichter aus, niemand zu Hause. Verzweifelt wähle ich die Handynummer am Eingang und überrede den Herbergsleiter mich heute doch noch aufzunehmen. Anscheinend bin ich der erste Wanderer seit Jahren, der es von Brilon über Willingen bis zur Jugendherberge nach Schwalefeld zu Fuß geschafft hat! Eine halbe Stunde später liege ich fix und fertig als einziger Gast heute in meinem Zimmer und schlafe sofort ein.
Gelaufene Km: ca. 30
Übernachtung: Jugendherberge Willingen-Schwalefeld
Wetter: Bewölkt, hin und wieder Sonne, etwas kälter als gestern
Körperlicher Verfall: Schmerzen in der Hüfte dank der tollen Herbergs-Matratze, fieser Muskelkater in beiden Ober- und Unterschenkeln, laufen geht gerade noch so.




Tag 2: Der beschwerliche Weg nach Winterberg – Von Willingen rauf auf den Kahlen Asten
Der heutige Tag bringt viele Ungewissheiten mit: Bis zur Jugendherberge nach Winterberg muss ich mindestens 35 Km schaufeln. Weil der Muskelkater kaum nachlässt und sich stattdessen bis in die Hüftregion ausgebreitet hat, zweifel ich immer mehr, ob ich je dort ankommen werde. Zudem wird das Wetter wechselhafter. Heute muss ich mit Regen rechnen. Immerhin beginnt der Tag gar nicht so schlecht: Nicht der Herbergsleiter begrüßt mich bei meiner Abreise, sondern die 23-Jährige hübsche Leiterin. Bei Kaffee und Kippen verplappern wir mehr als eine halbe Stunde. Da die Zeit drängt und mein Weg weit ist, verwerfe ich trotz meiner äußerst sympathischen Gesprächspartnerin, schnell jeden Gedanken hier sesshaft zu werden

Gelaufene Km: ca. 35, möglicherweise mehr
Übernachtung: Jugendherberge Winterberg
Wetter: wechselhaft, vereinzelt Schauer, gegen späten Nachmittag schwerer Platzregen, ca. 6-8° C
Körperlicher Verfall: enorm; der Muskelkater am Hüftgelenk und in der Leiste macht mir schwer zu schaffen; gegen Mittag fangen die Knie an zu schmerzen; das rechte Sprunggelenk funktioniert 3 Stunden nicht richtig; die Lippen platzen vollends auf

Mühlenkopf-Schanze in Willingen.

Viel Schutz bieten die Hütten leider nicht...

Auf dem Uplandsteig unterwegs.

Hinter mir liegt jetzt Winterberg.
Tag 3: Jenseits des Hochsauerlandkreises – Von Winterberg nach Schmallenberg
Gegen 9 Uhr werde ich aus der Jugendherberge geworfen, weil das Zimmer pünktlich für die nächsten Gäste gereinigt werden muss. Eilig stopfe ich meine Sachen in den Rucksack und starte auf die nächste Etappe ins 25 bis 30 Km entfernte Schmallenberg. Aus meinem Zimmer lasse ich alle Mülltüten mitgehen, um meine persönlichen Gegenstände halbwegs trocken im Rucksack zu verstauen. Die wenige Wäsche, die ich mit mir trage, muss ich ganz nebenbei jeden Abend per Hand waschen. Mir fällt auf, dass die ersten Kilometer immer die schwierigsten sind. Der Muskelkater ist beinahe komplett verschwunden, dafür schmerzen beide Knie abartig und das linke Hüftgelenk versteift sich. Ich komme vorerst nur quälend langsam voran. Nach einer Stunde zwanghaftem humpeln muss ich meine Pläne jedenfalls ändern. Vielleicht Bus fahren? Oder mit dem Zug nach Schmallenberg? Ich entscheide mich für die einfachste Lösung und gebe mir 2 starke Schmerztabletten. Nachdem die Wirkung voll eingesetzt hat, kann ich endlich den Turbo einlegen und marschiere gut gelaunt durch den peitschenden Regen. Mein Weg besteht heute zu Beginn aus Kammpfaden und führt größtenteils bergab. Mittags tauche ich wieder in die deutsche Wildnis ein und kämpfe mich einsam durch tiefe, schluchtenartige Täler. Den Hochsauerlandkreis lasse ich hinter mir. Gegen 17 Uhr erreiche ich die Jugendherberge und beschließe spontan meinen Reiseproviant im 2-3 Km entfernten Schmallenberg aufzufüllen. Völlig entkräftet falle ich früh ins Bett.
Gelaufene Km: ca. 35
Übernachtung: Jugendherberge Schmallenberg
Wetter: Anhaltender leichter Regen, etwas stürmisch, ca. 10-12° C
Körperlicher Verfall: böse schmerzende Knie und Hüfte, starke Blasenbildung an beiden kleinen Zehen (werden jeden Morgen von mir mit entsprechenden Pflastern verarztet)

Die Hohleyer-Hütte, leider zu :-(

Wenigstens stimmt der Ausblick aufs obere Lennetal.


Tag 4: Auf dem Weg der Besserung – Von Schmallenberg bis zum Rhein-Weser-Turm
Der Tag beginnt wie immer mit Duschen, Rucksack packen, Frühstücken. Beim Essen versammeln sich heute ganze Schulklassen um mich. Ich berichte von meiner Expedition durch die deutschen Mittelgebirge und allen Unwegsamkeiten, die mir bereits begegnet sind. Rund 25 Schüler folgen (auch zu meiner Überraschung) erstaunt und interessiert meinen Ausführungen. Gegen 9 Uhr verabschiede ich mich und wünsche allen das, was sie mir wünschen

Gelaufene Km: Irgendwas zwischen 28 und 32
Übernachtung: Heulager Rucksackherberge Heinsberg (alle anderen übernachten schön im Hotel)
Wetter: meist Regen, hin und wieder klart das Wetter auf, ca. 10-12° C
Körperlicher Verfall: Wie immer die Knie, außerdem werden die Blasen immer größer

Schmallenberg lasse ich endlich hinter mir.

Seltene Momente, an denen es mal nicht geregnet hat.


Die Sombach-Quelle

Der Rhein-Weser-Turm

Mein Nachtlager, ähnelt irgendwie einem Verlies...
Tag 5: Der Ausstieg nach 150 Km – Von Heinsbach nach Lützel
Erstaunlicherweise gehts mir morgens richtig gut. Der stechende Schmerz in den Knien hat nachgelassen und die Blasen werden etwas angenehmer. Also beste Voraussetzungen um die letzte Tagesetappe zu starten. Heute will ich soweit kommen wie möglich. Der Ausstieg ist fest eingeplant, schließlich wird gegen Abend noch Geburtstag gefeiert und mein persönliches Pensum habe ich mehr als erfüllt. Ohne lästige Umwege auf meiner Tour wäre ich schließlich gegen Nachmittag in Dillenburg eingetroffen. Anstatt mich vom Hotelbesitzer wieder hoch zum Rhein-Weser-Turm fahren zu lassen, entscheide ich mich den etwa gleichlangen Zugangsweg zum Rothaarsteig von Heinsberg aus zunehmen. Strömender Regen sorgt heute zum ersten und einzigen Mal dafür, dass meine Outdoor-Hose an den Knien durchweicht. Nachdem ich den gelben Markierungen fast eine Stunde gefolgt bin, verliert sich plötzlich der Weg. Die letzte Wegmarke ist mir vor einer halben Stunde aufgefallen und ich bin mir sicher, irgendwo falsch abgebogen zu sein. Weil ich aber der Meinung bin meine momentane Position zu kennen, laufe ich nach Gefühl ostwärts Richtung Rothaarsteig. Jeder Forstweg, der irgendwie gerade passt, wird von mir eingeschlagen. Eine Stunde später stehe ich in einer Sackgasse und komme auf befestigten Wegen nicht mehr weiter. In dem Glauben noch höchstens einen Kilometer vom Steig entfernt zu sein, versuche ich querfeldein die stark bewaldete Anhöhe zu überqueren. Zum Ende meiner Tour packt mich nochmal das Outdoor-Fieber. Mit meiner Krücke bahne ich mir den Weg durchs Gebüsch und dichte Nadelwälder. Die Zeit vergeht und vergeht... Irgendwann wird mir klar, dass ich mich total verlaufen habe. Ein guter Zeitpunkt Mittagspause einzulegen und die Situation in Ruhe zu überdenken. Den Weg, den ich gekommen bin, finde ich nicht wieder zurück; Nebel zieht auf und meine Sichtweite sinkt stetig; alle markierten Wege führen recht weitläufig um meine vermutete Position herum; das Gelände ist schwergängig; wegen dem aufkommenden Nebel ist die Orientierung sehr schwer, ich bin mir nicht sicher, welchen Berg ich gerade besteige; es kann deshalb durchaus passieren, dass ich im Kreis laufe. Naja..., mir wird langsam die Banalität dieser Situation bewusst. Wie kann man sich heutzutage in deutschen Wäldern überhaupt noch verlaufen? Nach der Pause beschließe ich den Aufstieg zu Ende zu führen. Vom Gipfel erhoffe ich mir eine bessere Sicht, doch stattdessen zieht der Nebel stärker zu. Dafür höre ich in naher Entfernung laute Geräusche. Ich folge meinem Gehör und stehe urplötzlich unter einer gewaltigen Windkraftanlage. Mit meinem schwachen Akku rufe ich den Hotelbesitzer an und erfrage meinen Standort. Der Hinweis immer weiter bergauf zu steigen, führt mich endlich vor einen Wegweiser. Nach Gefühl bin ich immer Richtung Osten gegangen, in Wirklichkeit befinde ich mich weit abseits südwestlich von meinem Startpunkt. Ich gebe die letzten Stunden nochmal Gas über den Rothaarsteig und erreiche bei strömenden Regen am frühen Abend Lützel. Hier erkläre meine Tour offiziell für beendet, denke nochmal lachend über meine ~4 Stunden Outdoor-Action nach und lege meinen Wanderstab wieder genauso am Rothaarsteig ab wie ich ihn gefunden habe.
Gelaufene Km: 20 bis 30, schwer zu schätzen
Wetter: morgens Platzregen, mittags dichter Nebel und nachmittags wieder Starkregen
Körperlicher Verfall: Füße, Beine, Knie, Hüfte... Einfach alles :-D

Nebel nimmt mir jede Orientierung

Irgendwann finde ich endlich wieder auf Wege

Am Horizont liegt irgendwo Lützel, mein Ausstieg.
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