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Land: Deutschland, Bergisches Land
Reisezeit: 21.-24. September 2012
Region/Kontinent: Mitteleuropa
Präludium
Wer sich nicht für unspektakuläre Wanderungen im eigenen Land und kleine, persönliche Erlebnisse interessiert, wird sich hier vielleicht langweilen. Lest in dem Fall lieber etwas spektakuläres, exotisches über Schweden, die Alpen oder den Himalaya – hier jedenfalls gibt es kein imposantes Cinemascope, hier prägt eher die kleine, intime Handkamera die „Bildregie“ ... sofern es genügend Bilder gibt, versteht sich.
Ein für mich eigenartiges Jahr geht in sein letztes Drittel. Der August war wunderschön, aber turbulent; nun muss der September herhalten, um noch ein letztes kleines Abenteuerchen zu bestehen. Die Auswahl an Wandermöglichkeiten ist riesig. Ich entscheide mich nach einigem Stöbern und Überlegen für eine sehr persönliche Route quer durch das Bergische Land, den Lenne-Sieg-Weg. Die Strecke führt von Plettenberg im Sauerland über Meinerzhagen, Gummersbach, Wiehl, Nümbrecht, meinen Geburtsort Waldbröl, Morsbach und Freusburg nach Siegen. Je nach Zählung sind das zwischen 112 und 120 km, kommt ja auch drauf an, wie man sich selber z.B. in den Städten noch links und rechts bewegt.
Seit vier Jahren war ich nicht mehr hier.
Meine Oma ist mittlerweile zu uns in den Norden gezogen, ihr Haus in der Nähe von Wiehl steht leer und zum Verkauf; ein Stück Heimat, ein Stück Identität bricht mir damit weg. Ein eigenartiges Gefühl, schwer zu beschreiben, besonders deshalb, weil ich hier oben im Norden zwar aufgewachsen, aber immer nur ein Zugezogener war. Wo gehöre ich nun hin? Als Kind habe ich hier oben mit meinem Oberbergischen Singsang für Befremden gesorgt, nun sorge ich in der alten Heimat mit meinem mittlerweile breiten Norddeutsch für Verwunderung, abgesehen davon, dass ich auch dort streng genommen immer nur zu Besuch war ...
Mal sehen, was mich erwartet. Ein letzter Gang zum Dorf meiner Kindheit – bevor unser Haus fort ist.
1. Tag, 21.09.2012
Um fünf Uhr klingelt der Wecker, eigentlich viel zu früh für mich. Aber der Zug geht bereits um halb sieben, da will es heißen: fix fertig machen. Ein letztes Mal geduscht, „echten“ Kaffee zum Frühstück, Hut und Jacke angelegt, Rucksack auf und raus in die kühle Dunkelheit. Ich wandere zügig zum Bahnhof, kaufe das Ticket und sitzte dann gespannt im Zug, während es langsam gegen sieben Uhr dämmert. Ob alles klappt? Was wohl schief geht? Irgend etwas wird sicherlich anders laufen als erwartet, aber das macht für mich gerade auch solche Erlebnisse aus. Wäre ja langeweilig, wenn alles glatt geht, oder?
Nach zwei Umstiegen erreiche ich Hagen, das „Tor zum Ruhrgebiet“. Hier ist mein Vater groß geworden, nachdem die Familie aus der DDR geflüchtet ist. Die Großeltern sind nie aus Hagen weggezogen, aber mein Vater hat nie irgendeine Bindung an diese Stadt gehabt. Jetzt liegen meine Großeltern hier alleine auf dem Friedhof, aber für einen Besuch reicht die Zeit leider nicht. Ich bin zudem froh, recht schnell wieder von diesem ausnehmend hässlichen Bahnhof fort zu kommen. Der Zug nach Plettenberg wird irgendwo geteilt – aber das erfahre ich erst bei der Einfahrt der Waggons. Welcher Teil ist jetzt richtig? Ein dicker Mann verbreitet sich über die Teilung, kann mir aber auch nicht weiterhelfen. Da spricht mich ein hübsches, braunäugiges Mädchen an und nimmt mich mit in den Zugteil nach Siegen, sie führe über Plettenberg, das hier sei richtig. Okay, Glück gehabt.
Bis Bahnhof Plettenberg fahren wir an der Lenne entlang, die auch ein hübsches Tal gegraben hat. Dann muss ich raus: Zielbahnhof erreicht! Gleich auf dem Vorplatz fällt mir an einer dicken Platane ein riesiges Zeichen X11 ins Auge. Yeah, hier geht’s los! Aber wohin zeigt der Pfeil? Rechts? Schräg unten? Ich laufe etwas rechts die Straße runter, aber da ist nichts weiter, keine Markierung. Muss ich durch den Tunnel zurück? Nun gut, ich laufe wieder unter den Gleisen hindurch. Gleich am Anfang verliere ich die Markierungen aus den Augen – ein Vorgeschmack auf den Rest des Tages. Ich schlage mich bis über die Lenne durch, dann endlich finde ich das X wieder und komme zügig durch den Ort hindurch.
Bis zum Friedhof geht es nun steil bergauf, hier fülle ich noch mal die Flasche voll. Auf der folgenden Kammwanderung über das Ebbegebirge wird sich so schnell kein Wässerchen mehr finden, befürchte ich. Nach etwa einem Kilometer am Hang merke ich, dass ich schon wieder das X verpasst oder übersehen habe. Ein netter Herr mit Hund versichert mir, dass es geradeaus dann auch schnell hoch zum Kamm gehe, da würde ich den Weg dann schon finden. Ich ärgere mich; das Gläschen Wein am Vorabend und das frühe Aufstehen scheinen meine Konzentration zu schwächen. Aber später wird mir auffallen, dass auch die X-Markierungen für wache Augen hier und da nur unzureichend zu finden sind. Meist liegt es schlicht an fehlenden Möglichkeiten zur Anbringung, aber an einigen Gabelungen muss man auch erst einigee Meter weiterlaufen, um dann endlich das erlösende X zu entdecken.
Ich kämpfe mich den steilen Anstieg hinauf und treffe schnell wieder auf den Weg. Gebirge! Soso. Wer hat denn dieses Attribut hier vergeben? Richtig hoch ist es ja nicht, auch wenn mein erstes Zwischenziel, die Nordhelle, sagenhafte 669 m messen soll. Am Kamm erwartet mich ein Rastplatz und ein Auto, aus dem die Beatles schallen – ein gutes Zeichen! Ich pausiere und posiere mit dem Ortsteil „Köbinghauser Hammer“ im Hintergrund. Wer erfindet solche Namen?!
Mir stellt sich jetzt noch eine andere Frage: Bis wohin soll’s denn heut noch gehen? Seit meinem Aufbruch um 11 Uhr sind fast zwei Stunden bzw. sieben Kilometer vergangen und Plettenberg noch immer quasi in Sichtweite. Eigentlich wollte ich gegen Abend Meinerzhagen erreichen, mal sehen ... laut Angaben der Wanderseite wären das fast 25 km. Bei optimalen 4 km/h sind das noch viereinhalb, eher jedoch 5 Stunden. „Könnte klappen, Herr Kaleun, könnte klappen!“ Also weiter, die Straße entlang nach Himmelmert hinab.
Das Wetter ist bedeckt, aber angenehm temperiert, die Füße haben Lust und die Beine laufen wie von selber. Herrlich! Der Wald umfängt mich, es duftet nach gefällten Kiefern, modrigem Laub, bemoosten Baumstümpfen und hier und da nach mir unbekannten Blüten am Straßenrand (sicher alles Neophyten, Teufel auch!). Und weil es abwärts geht, bin ich richtig fix! Freude kommt auf: Jetzt bin ich unterwegs, ich bin unterwegs! Jawoll! Dass es nun so glatt läuft und ich offenbar richtig fit bin, löst eine kleine Euphorie aus, die mich mühelos die nächsten Kilometer bis hinter das Dörfchen Himmelmert trägt.
Dort beginnt die Oestetalsperre, deren imposanten Damm man begehen kann und der ein paar schöne Fotos wert ist.
Weil ich keine Karte für den ersten Abschnitt bis Meinerzhagen habe und die von mir gemachten Ausdrucke der Strecke aufgrund von Tonerschwund nichts hergeben, ist mir nicht ganz klar, ob ich über den Damm auf die andere Seite wechseln muss. Da mich der Damm aber sowieso interessiert, lauf ich einmal rüber, genieße den jedes Mal eigenartigen Effekt der hübigen, jähen Tiefe und der drübigen hohen Wasserfläche. Das X finde ich etwa hundert Meter weiter klein an einem Baum wieder, als ich zurück komme und den alten Weg am Ufersaum entlang wandere. Es geht bald wieder lecker aufwärts, durch den nun sonnigen, lichten Mischwald zur Nordhelle. Mein erster Geocache liegt am Wegesrand und wird geloggt. Dann geht mir das Wasser aus. Mist, hätte ich mal am See gefiltert! Aber wie bestellt liegt mitten im nunmehr hohen Nadelwald ein Quellteich am See. Rein und klar ist das Wasser, so dass ich mir sofort ein Literchen zapfe (obwohl – stehendes Gewässer und so ... aber es ist definitiv eine Quelle und scheint gut zu sprudeln, es läuft jedenfalls einiges ab). Über die Pause vergesse ich, beim Aufbruch die Markierungen zu checken und wandere in Gedanken versunken so lange, bis ich bei einem alten, wunderschönen Forsthaus herauskomme und das X an der Kreuzung nicht sehen kann. Sch....ande! Die Nordhelle ist linker Hand, der Cache am Robert-Kolb-Turm eingepinnt, also peile ich kurz, nehme den entsprechenden Weg und ziehe los, den Hang hinauf und einmal halb um den Berg herum, bis ich knapp unterhalb der „Spinne“ auf einem Querweg das X wiederfinde.
Ich will ehrlich sein: Anstatt den Fehler korrekt bei mir zu suchen, habe ich ganz ungerecht auf die Markierer geflucht. Nun ist alles wieder in Ordnung und als Augenschmaus steht auch noch ein wunderschöner, uralter Baum am Wegesrand.
Bis zur Nordhelle ist es nun nicht mehr weit. Der Weg ist breit, gut ausgebaut und hochgradig rentnergruppentauglich zurecht geschottert. Jogger und Walker sind hier auch zuhauf unterwegs und dann steht ein schickes Holztipi als Schutzhütte am Wegesrand. Als ich es fotografiere, fällt mir erstmals auf, wie weittragend menschliche Stimmen im Wald sind – bevor ich die beiden Walking-Damen auf dem knapp hundertfünfzig Meter fast geradeaus führenden Weg sehen kann, höre ich sie. Irre!
Dann streife ich durch die letzten waldigen Meter und erreiche den Gipfel. Eieiei, solche Orte sind nichts für mich: Asphalt und Gebäude, eine Gaststätte und ein Trafo-Haus mit Funkturm (oder so was ähnlichem) prägen das Bild. Der neuerbaute Aussichtsturm macht zwar hübsch postmodern in Stahl und Holz, aber ich raste nur kurz und eile dann weiter. Warum ich eine solche Abneigung gegen derartige „kultivierende“ Überformungen von schönen Orten habe? Hm.
Über das Ebbemoor mit einigen schönen, ebenfalls sehr malerischen alten Bäumen geht es weiter. Ich finde es faszinierend, dass sich auf einer Kammhöhe ein Moor bildet – gut, wenn’s die Geografie hergibt, kein Problem. Aber einzigartig finde ich das schon und es wird auch durch Infotafeln gut erklärt. Und wieder stehen alte Moosbäume am Wegesrand, herrlich!
Eine weitere Hochebene verblüfft mich. Die weißen Schutzhüllen für die jungen Tannenschösslinge sehen von Weitem aus wie ein riesiger Soldatenfriedhof!
Und auch hier hält die Kastanienmotte reiche Ernte. Nix Herbst, die Blätter sind kaputt. Traurig.
Jetzt wird es kühler, ich werde müde und siehe! Die Füße fangen an, sich erstmals zaghaft zu beschweren. Auch die Oberschenkel haben nicht die größte Lust, noch länger ständig kleinere Abstiege in Angriff zu nehmen. Wenigstens sagen die Knie nichts, wie letztes Jahr in der Schweiz. Aber da war ich auch mit anderen Gepäckdimensionen und drei, vier Stunden am Stück abwärts unterwegs. Trotzdem, es ist bereits halb sechs, jetzt kommt Meinerzhagen in greifbare Nähe. Der Nocken liegt bald hinter mir, da geht es runter ins Tal unter der Autobahn durch. Und nachdem ich am Schulzentrum oben auf dem Berg die Markierung (mal wieder) verliere, laufe ich in weitem Bogen falsch ins Tal, komme aber bei einer Tanke raus, wo ich kurzentschlossen zwei Feierabendbiere hole. Es ist kurz nach sieben und ich schlendere in Richtung City, um den Friedhof zu suchen, Wasser zu tanken und dann ein nettes Plätzchen etwas außerhalb zu belegen.
Während ich auf einer Treppe sitze und die ab hier geltende Karte zu studieren, spricht mich ein netter älterer Herr an, was ich denn suchen würde. Ich sage ohne zu überlegen: Die Jugendherberge, hier solle eine sein. – Ja, das sei richtig, ich solle mal mitkommen, da hinten sei gesperrt und ich müsse außen rum. Da das seine Richtung sei, würde er mich begleiten. Wir laufen zusammen schnellen Schrittes in den Ort, biegen zwei Mal links ab und dann weist er mir den Weg hinauf aufs „Köpfchen“ und dort wieder links runter. Im übrigen finde er es gut, dass junge Leute heutzutage noch Wandern würden, sehr schön sei das und er wünsche mir noch einen guten Weg!
Den jungen Menschen nehme ich mal unkommentiert und stolz mit, gehe die Straße hinauf und lande beim Friedhof. Wasser! Schnell ist die Flasche gefüllt, angetrunken, nachgefüllt. Es dämmert nun richtig und gegenüber am Denkmal sitzen grölende Jugendliche. Schade, die stufenförmige Anlage böte sich sonst als Lager an, Wasser gleich vor der Türe und ziemlich abgelegen, nur Autos rauschen darunter vorbei, daher ist das Verkehrsaufkommen etwas hoch ... also laufe ich erst mal in die einbrechende Dunkelheit hinein, hinauf aufs Köpfchen, sehe die DJH dort liegen und gehe dann links abbiegend den Weg daran vorbei hinab ins Tal, in den Ort hinein. Hier ist erst mal nur Wiese und Wald, eigentlich ein gutes Terrain. Weil der Weg in den Ort aufgrund einer Baustelle komplett gesperrt ist, bleibt es ruhig und menschenleer. Ich setz mich vorerst in ein Bushaltehäuschen am Stadion, koche mir Nudeln und schlage etwas Zeit tot. Das Training der Fußballmannschaft endet um halb neun, die Flutlichter gehen aus und ich wärme mich innerlich mit Bier und Fusili. Ein schöner Abend, nicht zu kalt, relativ ruhig und entspannt. Ich bin glücklich und entspannt – die Füße sind in Ordnung, die Beine müde, aber fit und ich kann tun und lassen, was ich will. Und morgen ... morgen kommt die alte Heimat!
Um kurz nach neun gehe ich wieder den Weg hinauf, überquere eine offene Wiese und lege mich in eine nicht einsehbare Ecke unter einen kleinen, weit überhängenden Baum (falls es trocken bleibt, habe ich dann auch keine Morgentauprobleme). Etwas kalt ist mir mittlerweile schon, aber dann wärmt mich der Schlafsack ganz gut. Leider ist die Stelle doch leicht abschüssig, aber hier gibt es nichts anderes – und ich bin zu müde, um noch mal aufzustehen. Es muss auch so gehen – und das muss das Boot abkönnen.
Gute Nacht.
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