[DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

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  • stoeps
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    • 03.07.2007
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    [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

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    Mitreisende
    [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

    Bundesland: Baden-Würtemberg
    Reisezeit: 16.–23.10.2011


    Nach unserem gelungenen ersten Versuch wollten H und ich noch einmal losgehen. Diesmal ruhig für etwas länger. Außerdem wollte H einen DB-Gutschein „spendieren“, den sie als Entschädigung für eine „heiße“ ICE-Fahrt diesen Sommer bekommen hatte. Es durfte also auch weiter weg sein.
    Nachdem wir berühmtere Wege schweren Herzens ausgeschlossen hatten (Eifelstieg: zu lang; Malerweg: Übernachtung zu kompliziert) fiel unser Blick auf eine nicht ganz so bekannte Region, in der H mal eine Weile gelebt hatte: der Kraichgau im Nordwesten Baden-Würtembergs, (grob gesagt) zwischen Odenwald und Schwarzwald gelegen.
    Als wir überlegten, welche Orte für An- und Abreise in Betracht kämen und was man in der Gegend gesehen haben sollte, ergab sich recht schnell und schlüssig: Wir fangen mit dem Dom in Speyer an und hören mit dem Kloster in Maulbronn auf.

    Unabhängig vom Wegplanungen gab es noch den Wunsch H’s, ich möge ihr an den langen Abenden doch aus einem schwierigen, aber sehr interessanten Buch über Meister Eckharts Theologie vorlesen, welches ich in den letzten Monaten gelesen hatte. Als uns die ursprünglich so nicht geplante Kombination auffiel, sprachen wir schon witzelnd von unserer Wallfahrt ;)


    Technische Vorbemerkung:
    Wir hatten keine Armbanduhr mit, haben beide kaum auf unsere Handys gesehen, und wussten somit in der Regel nicht, wie spät es ist, wann wir losgegangen oder angekommen sind. Außerdem haben wir die Wanderungen nicht getrackt (?), sind größtenteils keinen ausgeschilderten Weitwanderweg gegangen und hatten keine km-Angaben auf der Karte, wussten somit also auch nie, wie weit wir am Tag gegangen sind. Das beides sorgt für einen jeglichen Leistungsgedanken unmöglich machenden Informationsmangel - den Ihr nun aber leider teilen müsst.




    1. Tag: (Hannover) - Speyer - Kirrlach - (Rettigheim)

    Um Viertel vor acht am Sonntag Morgen treffen wir uns im Hauptbahnhof Hannover. Um 8:19 geht’s los, mit dem ICE und einmal Umsteigen in Fulda nach Mannheim. Bei der Zigarettenpause vorm Mannheimer Bahnhof entsteht dort das obligatorische Schuh-Foto.



    Ich konnte es nicht lassen und habe meine neuen Barfuß-Schuhe angezogen; im Rucksack befinden sich aber noch Asics-Trailrunner als solider Standard-Schuh. (Die Diskussion dieses Themas führen wir an anderer Stelle.)
    Von Mannheim geht’s mit der S-Bahn nach Speyer. Kurz nach 12 kommen wir dort an und machen uns direkt auf den Weg zum Dom. Die Stadt ist alt, aber nicht so alt, wie sie sein könnte, da sie 1689 vom französischen Heer niedergebrannt wurde; einzig der Dom wurde verschont.



    Der Dom ist die größte (erhaltene) romanische Kirche der Welt - und er ist wirklich sehr beeindruckend. An so einem Sonntag ist er aber auch voller Touristen (zu denen natürlich auch wir zählen) und für manche macht es im Verhalten wohl keinen Unterschied, ob sie sich einen Sakral- oder einen Profanbau anschauen; vor allem aber summieren sich die vielen leisen Gespräche zu einem allgemeinen Gemurmel. Und so ist dieses Schild mehr Wunsch als Tatsache:



    Ich käme gerne nochmal wochentags Vormittag her, um der Größe und Schönheit die Möglichkeit zu geben, zu wirken ...

    Wenn man sich wie wir von Westen über die Hauptstraße dem Dom nähert, wirkt er gar nicht soo imposant.



    Beeindruckender sei das, so H, wenn man über die Rheinbrücke von Osten in die Stadt kommt. Die folgenden Bilder lassen diese Wirkung erahnen:





    Wir verlassen die Stadt in südöstlicher Richtung, vorbei an Technikmuseum, Hafen und Raffinerie, um ufernah die Rheinschleife auszukosten während wir zur Fähre gehen, die uns auf die rechte Seite des Flusses bringen soll. Das ist nicht unbedingt der kürzeste, aber ein sehr schöner Weg. Am Weg steht dieser „Kilometerstein“, der auch etwas für die Rubrik „Historisches am Wegesrand“ ist. Weiß jemand, was für Meilen (?) das sind, damit die Angaben einen Sinn ergeben?



    Als wir aus dem Auwald auf den Uferweg kommen, mache wir in der Sonne eine Pause. Ich will so vernünftig sein und meine Schuhe wechseln, außerdem wollen wir etwas essen. Auch bedingt durch zwei Zigaretten nach dem Essen wird diese Pause etwas länger.



    Das ist prinzipiell nicht schlimm, soll doch unsere Wanderung ganz entspannt und ohne vorgegebene Tagespensen vonstatten gehen. Aber just für diese erste Etappe hatte H im Vorfeld eine abendliche Verabredung organisiert. Wir wollten uns mit einem alten Freund in einer Besenwirtschaft in Malsch treffen und dann bei ihm übernachten. Das wären ab Dom geschätzte 25 km gewesen - ziemlich viel für eine erste Etappe, die man erst nachmittags beginnt ...
    Kurze Zeit später finden wir fast den Fähranleger nicht: Er liegt sozusagen „an der Rückseite“ in einem Altarm. Die Fähre ist schnuckelig:







    Auf der Kirchturmuhr am anderen Ufer sehen wir dann, was uns die Stunde geschlagen hat: Es ist 17:20 Alternativszenarien werden durchgespielt: Wir können uns von S auch mit dem Auto abholen lassen. Diese Idee trifft mich in meiner Touren-Ehre - H fällt auf, dass ich schneller werde

    18:00 - auf der Brücke über die B 36 bei Waghäusl geben wir telefonisch die Schätzung ab, um 21:00 da zu sein.
    18:30 - wir merken, wie schnell Licht und Wärme schwinden und bestellen S zur Kirche in Kirrlach.
    19:00 - Wir kommen an der Kirche an. Es ist stockdunkel.

    Es folgen ein perfekter Abend, bei gutem Wein und Essen, mit interessanten Gesprächen und eine Nacht im Warmen und Trockenen auf einer guten Couch.
    Zuletzt geändert von Sandmanfive; 06.11.2011, 03:35. Grund: Reisecharakter eingestellt
    „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
    ― John Muir

  • Nita
    Fuchs
    • 11.07.2008
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    #2
    AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

    Zitat von stoeps Beitrag anzeigen


    Wir hatten keine Armbanduhr mit, haben beide kaum auf unsere Handys gesehen, und wussten somit in der Regel nicht, wie spät es ist, wann wir losgegangen oder angekommen sind. Außerdem haben wir die Wanderungen nicht getrackt (?), sind größtenteils keinen ausgeschilderten Weitwanderweg gegangen und hatten keine km-Angaben auf der Karte, wussten somit also auch nie, wie weit wir am Tag gegangen sind.
    Ja, so ist man wirklich frei! Wir wussten letztes Jahr knapp drei Wochen lang nicht, wie spät es ist. Keine Armbanduhr, Handys blieben aus, um Akku zu sparen und da eh kein Netz. Die Erfahrung möchte ich nicht missen.

    "Für die Überfahrt Fahne hochziehen"... lach

    Was "M"s bedeuten können, habe ich keine Ahnung. Scheinen aber weder Meter noch Meilen zu sein, da die Entfernung eigentlich viel größer ist.
    Reiseberichte

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    • stoeps
      Dauerbesucher
      • 03.07.2007
      • 537

      • Meine Reisen

      #3
      AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

      2. Tag: Rettigheim – Eichelberg/Kapelle

      Nach einem gemütlichen Frühstück brechen wir auf. Jetzt erst beginnt die eigentliche Kraichgau-Wanderung, denn gestern sind wir aus dem Oberrheingraben (zu Fuß) nicht hinaus gekommen. Wir verlassen Rettigheim in östlicher Richtung, vorbei am Friedhof, um durch den Wald „über’n Berg“ nach Östringen zu gehen.

      Im Übergang Ort/Wald sehen wir vor uns eine Kindergruppe (ca. 10 Kinder, vermutlich unter 3 Jahre) mit drei Erzieherinnen. Nur langsam kommen sie vorwärts, gibt es doch so vieles zu entdecken, muss doch alles erforscht werden: Käfer, Stöcke, Steine. Sie sind sicher oft draußen unterwegs, alle Kinder sind gut ausgestattet, die meisten mit der berühmten wasserdichten Matsch-Latzhose. Gerade als wir sie einholen, betreten sie die am Waldrand stehende Kapelle. Alle bekreuzigen sich - die Erzieherinnen zeigen nochmal, wie das geht - und setzen sich in die Kirchenbänke. Weiter gucken wir nicht zu, wir wollen nicht stören ...

      In Östringen wollen wir einen Kaffee trinken. (Wir sind bekennende Zivilationswanderer – ab und an durch einen Ort mit Einkaufsmöglichkeit und Café finden wir gut.) Während wir uns orientierend vor einem verschlossenen Café stehen, spricht uns eine ältere Frau an. Zunächst so, wie schon einige auf dem Weg: „Ach, mit vollem Gepäck … was größeres vor … etc.“ Dann legt sie Wert darauf, uns nicht nur zu sagen, wo ein Bäcker ist, sondern uns hin zu bringen. Auf dem Weg (keine 200 m) halt sie bei H unter. Beim Abschied erzählt sie uns, wie sie und ihr Mann bei Maulbronn immer Nussöl herstellten. Als wir unseren Kaffee getrunken haben, ist sie wieder da, kauft uns zwei Brezeln, schenkt uns eine kleine Flasche Nussöl und ein Büchlein voller erbaulicher Texte. Von solchen Begegnungen zehre sie eine ganze Weile, sagt sie - und wir gehen etwas verwirrt weiter …


      Es ist Herbst. Die Ernte nicht mehr auf den Feldern ...



      ... sondern auf den Höfen:



      Von Östringen zum Schindelberg finden wir den Wanderweg nicht und folgen stattdessen zunächst dem ausgeschilderten Radweg, d.h. wir wandern auf einem asphaltierten Wirtschaftsweg. Kurz nachdem wir auf einen Feldweg eingebogen sind, stehen im Wald diese drei Kreuze. Ein weiterer Fall für „Historisches am Wegesrand“, auch wenn die äußeren beiden Nachbildungen sind.



      Auch wenn diese Kreuze als historische dastehen: Wir durchwandern eine sehr katholische Gegend.





      Nun nähern wir uns einer von S’s Aussichtspunkt-Empfehlungen. Am Ortsausgang von Schindelberg steht eine Kapelle geradezu klassisch exponiert auf einer Kuppe, erbaut von den Dorfbewohnern im Jahre 2003! Auf der Bank an der Kapelle sitzend genießen wir den herrlichen Ausblick über den Kraichgau.



      Danach gelingt es uns wieder einmal nicht, den auf der Karte verzeichneten Wanderweg zu finden, und so folgen wir einfach anderen eingezeichneten Wegen, was ziemlich schön ist …



      … auch wenn da mal eine Sackgasse bei ist.



      Es gelingt uns etwas später noch einmal, einen kleinen Umweg zu gehen, bevor wir am nächsten Aussichtspunkt ankommen, der St. Michaels-Kapelle oberhalb Eichelbergs. Die ist ‚etwas‘ älter als die vorige.



      Es wird kalt und wir ziehen alles übereinander, was wir mit haben:





      Wir sitzen auf der Bank, genießen die wunderbare Aussicht und H beschließt – ich habe es geahnt – hier zu übernachten.



      Vorher müssen wir aber nochmal runter in den Ort, um Wasser und Wein aufzutreiben. Gleich an der ersten Straßenecke sprechen wir einen Mann an und fragen nach einem Laden oder einem Winzer, der auch verkauft. Er lächelt leicht ironisch und erwidert, dass wir da aber im falschen Ort seien. Hier gebe es so etwas nicht, er könne uns höchstens eine Flasche aus seinen Beständen anbieten. WIr folgen ihm zu seinem Haus und er holt eine Flasche „Eichelberger Kapellenberg Spätburgunder Kabinett“ heraus. Dann folgt ein langes Gespräch über regionale und lokale Unterschiede hinsichtlich Wein, Essen, Tourismus und Marketing. Man kann spüren, wie sehr ihn alle diese Themen interessieren und wie sehr er die Region liebt, in der er lebt. „Und was bekommen sie für den Wein?“ – „Lasst ihn euch schmecken!“ :-)

      Es ist schon dunkel, als wir schließlich unsere Erbsensuppe essen, dazu die Brezeln. Der Wein ist vorzüglich. Wegen der frühen Dunkelheit kommt es uns schon um kurz nach acht wie mitten in der Nacht vor. So spät wird es dann tatsächlich, weil wir schon über den ersten Seiten des Eckhart-Buches in ein Gespräch über Gott und die Welt, Religion und Dogmatik kommen.



      Schließlich sind wir durchgefroren und gehen schlafen. H bettet sich sofort in der Kapelle; ich habe da Skrupel. Aber draußen ist es inzwischen unangenehm windig und so folge ich ihr doch. Schließlich ist sie die Katholikin ...
      „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
      ― John Muir

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      • dingsbums
        Fuchs
        • 17.08.2008
        • 1503
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        • Meine Reisen

        #4
        AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

        Zitat von stoeps Beitrag anzeigen
        Am Weg steht dieser „Kilometerstein“, der auch etwas für die Rubrik „Historisches am Wegesrand“ ist. Weiß jemand, was für Meilen (?) das sind, damit die Angaben einen Sinn ergeben?
        Ich musste ja an schwedische (metrische) Meilen denken, aber was sollten die hier ... Wikipedia hat mir aber verraten, dass die 'große Meile' ähnlich ist, die 'alte Landmeile' erscheint mir etwas zu kurz.

        Schöner Bericht, freue mich auf die Fortsetzung.

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        • lina
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          • Meine Reisen

          #5
          AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

          Zitat von dingsbums Beitrag anzeigen
          Schöner Bericht, freue mich auf die Fortsetzung.
          Ich auch :-)

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          • stoeps
            Dauerbesucher
            • 03.07.2007
            • 537

            • Meine Reisen

            #6
            AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

            Alles muss man selber machen

            Also: Es handelt sich bei dem "Kilometer"-Stein um einen Myriameterstein.

            »1 Myriade
            = 10 000 m
            = 10 km

            Als nach 1871 in Deutschland die metrischen Maße und Gewichte eingeführt wurden, mussten die
            "Meilen" und "Stunden" verschwinden. Myriameter und Kilometer sollten sie ersetzen. Die Größen-
            ordnung Kilometer hat sich eingebürgert, Myriameter jedoch nicht.

            Die Myriametersteine wurden nach der Korrektur des Rheins (durch Gottfried Tulla) nach 1870, als
            erste sog. Kilometrierung des Rheins alle 10 OOO m gesetzt, -beginnend in Basel an der "mittleren
            Rheinbrücke" zum Münster, und endend in Rotterdam.«
            (Quelle)

            Der Flussseite des Steins (die ich auch fotografiert, das Foto aber nicht hochgeladen habe) kann man entnehmen, dass es sich um Stein XXIII handelt, der auch genauso, wie wir ihn vorfanden, in diesem Wikipedia-Artikel aufgelistet wird.

            Demnach sind es von Speyer 230 km nach Basel und 594 km nach Rotterdamm. Und das kommt ziemlich gut hin.
            „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
            ― John Muir

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            • dingsbums
              Fuchs
              • 17.08.2008
              • 1503
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              • Meine Reisen

              #7
              AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

              Also doch schwedische Meilen.

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              • stoeps
                Dauerbesucher
                • 03.07.2007
                • 537

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

                Zitat von dingsbums Beitrag anzeigen
                Also doch schwedische Meilen.
                Den Artikel über die Meile habe ich jetzt auch noch gelesen. Demnach würde ich sagen: mathematisch gilt 1 Myriameter = 1 schwedische/metrische Meile, historisch ist beides vermutlich relativ unabhängig.

                Wenn man nicht aufpasst, lernt man jeden Tag dazu


                So, jetzt will ich mich mal wieder der Wanderung zuwenden ...
                „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
                ― John Muir

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                • stoeps
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                  • 03.07.2007
                  • 537

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

                  3. Tag: Eichelberg/Kapelle – Eppingen/Jägersee

                  Wir brechen am nächsten Morgen recht früh auf, denn um nicht doch noch zum Ärgernis zu werden, hatte ich den Wecker auf 7:00 gestellt. Der frühe Morgen bietet erstmal wieder einen wunderschönen Anblick:



                  Wir verlieren heute Morgen zwar (fast) nie den Weg, legen aber dennoch in 4 Stunden Luftlinie nur 2 km zurück. Zunächst gehen wir nach Tiefenbach, wo es aber kein Café gibt, dann zum Hotel Kreuzberger See, wo es teuren Kaffee gibt, dann querwaldein (weil wir doch einmal den Weg verloren haben), dann aber zielstrebig nach Elsenz. So wie man da vom Sportplatz her in den Ort kommt, stellt er sich als die perfekte Dorfidylle dar.



                  Wie man bei genauem Hinsehen vielleicht erkennt: zwei Kirchen, direkt nebeneinander. Das war uns schon auf der Karte aufgefallen. Und unsere Spekulationen bestätigen sich: eine katholisch, eine evangelisch – und zwar die größere. Da sind wir zwei Tage durch eine erzkatholische Gegend gegangen, und hinter’m nächsten Hügel ist alles anders.

                  An der Hauptstraße finden wir auch gleich einen kleinen Laden mit Bäcker. H kauft ein paar Leckereien, Café-To-Go und Tabak für sich. Wir lassen uns zwischen den beiden Kirchen auf einem sonnigen Platz zum zweiten Frühstück nieder.



                  Wenn der Tabak so heißt, kann er beim Wandern nur helfen:



                  Als wir da so sitzen, kommt eine alte Dame mit Rollator vorbei und spricht uns an. Sie sei gerade auf dem Friedhof gewesen, um das Grab ihres Mannes herzurichten. Denn nun seien die Bauern auf den Feldern fertig, Sonntag sei dann Kirchweih und dann müsse alles schön sein. Sie versuche bei schönem Wetter alles zu Fuß zu machen und sei sich gewiss, dass sie gerade deswegen noch so gut auf den Beinen sei.
                  D’accord.

                  Am Ortsausgang von Elsenz gibt es noch einen weniger romantischen Aspekt des „Zivilisationswandern“, aber sowas kann man übersehen:



                  Von Elsenz nach Eppingen ist der Weg gradlinig, wir finden ihn, aber bekommen nun erste Zipperlein. H stöhnte schon morgens, sie habe Ganzkörpermuskelkater, jetzt kommt noch eine Druckstelle am kleinen Zeh dazu. Der folgende Versuch, sich zu entspannen, ohne den Rucksack abzusetzen, bekommt den Namen „halber herabschauender Hund“. Außerdem kann man hier sehen, warum ich Waldrandwege so schön finde:



                  Ich kämpfe wie immer (und unabhängig vom Schuhwerk) mit den Hornhautdellen unter meinem rechten Ballen; und nun schmerzt mein rechtes Sprunggelenk, vorne zum Schienbein hoch.
                  In Eppingen stoßen wir zunächst direkt auf eine herrlich in der Sonne liegende Eisdiele auf einem schönen Rathausplatz. Zwischen Bananensplit und Cappuccino klebe ich meinen Ballen mit Leukoplast und H wickelt ihren kleinen Zeh in ein zugeschnittenes Blasenpflaster. Außerdem ziehe ich die Trairunner aus und die Barfußschuhe an; wenn man die Ursachen nicht kennt, muss man einfach neue Reize setzen.
                  Schönes Städchen übrigens:



                  Was nun folgt, könnte man die „Schlüsselstelle“ unserer Wanderung nennen: Wir wollen die Rückfahrkarte kaufen. Einige denkerische Irrungen und Wirrungen haben uns das auf Mitte der Tour verlegen lassen. Na gut, dadurch wird die Fahrt ein bisschen teurer, aber als eigentliches Problem stellt sich das Bezahlen heraus. Kreditkarten nimmt das Reisebüro im Bahnhof nicht und unsere EC-Karten werden gleich von mehreren Automaten der näheren Umgebung nicht akzeptiert. Letztlich hole ich mit Kreditkarte irgendwo in der Stadt Geld. Wie lange das alles gedauert hat, wissen wir zum Glück nicht.
                  Den Wein für den Abend kaufen wir ganz unromantisch beim Kaufland gegenüber des Bahnhofs. Aber der verfügt über ein ganzes Regal regionaler Sorten.
                  Es ist schon wieder spät, aber wir sind zuversichtlich, einen Übernachtungsplatz zu finden, denn auf den nächsten 3 km sind fünf Hütten auf der Karte verzeichnet. Gleich die erste, kurz hinter dem Ortsausgang, lässt uns allerdings erschaudern: ein kleines Steinhaus, ohne Fenster, mit winziger Tür, scheint sehr alt. Das ist gewiss wetterfest, aber genauso gewiss dunkel, dreckig und feucht.

                  Gleich die nächste (2 km weiter) ist allerdings wie ein Sechser im Lotto (sogar mit Zusatzzahl, wie sich herausstellen sollte): palastähnliche Ausmaße, sowohl der Hütte, wie auch des überdachten Grillplatzes, sauber, Tische in der Hütte.





                  Der an den Grillplatz anschließende Gebäudeteil beherbergt das Vereinsheim der „IG Jägersee“, vereinfacht gesagt ein Anglerverein. Die freundlichen Herren, verkaufen uns erstmal je ein Bier und erachten es als selbstverständlich, dass wir in der Hütte schlafen. Als wir mit ihnen klönend unser Bier trinken, dämmert es schon.
                  Während wir später im Dunkeln am Grillplatz kochen, beginnt das angesagte schlechte Wetter. Erst regnet es leicht, dann wird er Wind böig und pustet uns die „Küche“ durcheinander. Wir fliehen in die geschlossnere Hütte. Später lässt der Wind wieder nach, aber es regnet sich richtig ein.
                  Die lange Tagesetappe, Bier und Wein lassen uns diesmal eher schlafen gehen als letzte Nacht.
                  „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
                  ― John Muir

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                  • stoeps
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                    • 03.07.2007
                    • 537

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

                    4. Tag: Ruhetag am Jägersee

                    Am nächsten Morgen regnet es immer noch ausgiebig. Beide werden wir wohl einige Male wach, beschließen aber unabhängig und dennoch übereinstimmend, dass aufstehen nicht lohnt.
                    Irgendwann koche ich Tee und beim Frühstück besprechen wir die Lage. So wie uns gestern die Wettervorhersage geschildert wurde, regnet es heute den ganzen Tag, aber ab morgen nicht mehr. H kränkelt ein bisschen. Diese Sachlage und die Luxushütte, in der wir uns befinden, macht uns die Entscheidung für einen Pausentag einfach.
                    Nach dem Frühstück legt H sich bald wieder hin und schläft dann bis zum Nachmittag.

                    Unabhängig von ihrer leichten Angeschlagenheit wird bei dem Gespräch aber auch deutlich, dass bei uns Welten aufeinander treffen: Sie hat immer gewitzelt, dass immer schönes Wetter sei, wenn sie wandere. Das war ernster gemeint, als sich das die meisten hier vorstellen können: Sie hat (außer einem Schirm) keinerlei Regensachen dabei. Auch keine Softshell, wie mancher jetzt vermuten mag; sie trägt Wollleggins, Wollrock und Wollstrickjacke. Wir sind bei unseren kleinen Versuchen bisher ein gutes Wanderteam gewesen, aber der Ernstfall einer Schlechtwetter-Tour steht uns noch bevor …

                    Nachmittags hört es auf zu regnen, dafür wird es jetzt wieder kälter, wie man am kondensierenden Atem unschwer erkennen kann. Ich sitze in allen Klamotten und der unteren Körperhälfte im Schafsack und schreibe Reisetagebuch.
                    Als am Abend wieder ein paar der Vereinsmitglieder erscheinen, lassen sie uns im Haus H’s Handy aufladen. Ich habe zwar einen tollen Zusatzakku für mein iPhone mit, aber das entscheidende Kabel vergessen. (Deshalb gibt’s gleich keine Fotos mehr; zumindest, bis H einfällt, dass auch ihr Gerät eine Kamera hat, die sie dann aber zum ersten Mal benutzen wird.)
                    Wir kaufen bei unseren Gastgebern noch zwei Bier und eine Flasche Wein und bereiten das Abendessen zu.
                    Die eine trinkt ihr Bier mit Handschuhen …



                    … der andere aus dem Haferl, was wiederum erstere sehr freut



                    Diesen Abend lesen, denken und quatschen wir uns wieder in und um Meister Eckharts Theorien fest.
                    Als am späten Abend nochmal ein Vereinsmitglied erscheint, um nach dem rechten zu schauen, kaufen wir bei ihm noch eine Flasche Wein. „Versuchungen sollte man nachgeben; wer weiß, wann sie wiederkommen.“ (Oscar Wilde)
                    Wir kommen erst spät ins ‚Bett‘.
                    „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
                    ― John Muir

                    Kommentar


                    • stoeps
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                      • 03.07.2007
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                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

                      5. Tag: Jägersee – Maulbronn

                      Vom morgendlichen „Nach-dem-rechten-seh-Kommando“ freundlich verabschiedet, gehen wir zuerst nach Mühlbach. Wir haben nämlich keine Vorräte mehr und sind ohne Frühstück aufgebrochen. In Mühlbach gibt es am einen Ende der Hauptstraße einen Metzger und am anderen einen Bäcker. Nachdem wir beim Metzger waren, haben wir wieder Käse und Wurst, sowie frische, hausgemachte Maultaschen und Brühwürfel, um diese zuzubereiten. Nachdem wir beim Bäcker waren, haben wir Brot und Café und „früh“-stücken auf dem Rathausplatz in der Sonne.

                      Außer diesem Abstecher nach Mühlbach gehen wir heute die ganze Zeit auf dem Hauptwanderweg 8 (HW 8), auch Frankenweg genannt. Das ist erstens schön, weil er gut markiert ist, und zweitens, weil er schön ist. Vom Weg her ist dieser Tag sicher die schönste Etappe. Umso blöder, dass es davon keine Fotos gibt.

                      Der HW 8 führt sowieso durch Sternenfels; dort bekommen wir Kaffee und Kuchen bzw. H endlich ihre Dampfnudel. Außerdem kaufen wir in einem Supermarkt noch Filter für H und Spiritus für den Kocher. Jetzt haben wir für die Küche wieder alles zusammen.

                      Der HW 8 trifft einige Male so auf eine Straße, dass man ca. 100 m auf ihr gehen muss, bevor der Weg wieder abzweigt. Das war die ersten zwei/drei Mal auch kein Problem. Aber zwischen Freudenstein und Hohenklingen interpretieren wir den etwas „verschnörkelten“ handgemalten Pfeil auf dem Schild falsch und latschen in der Folge über einen Kilometer auf der Landstraße. Als wir unseren Fehler kapieren, finden wir aber zurück auf den – wie gesagt – sehr schön geführten Frankenweg.

                      Bald darauf schon sagen die Wegweiser, dass wir uns Maulbronn nähern. Wir fragen uns, ob wir wohl hinter einer der nächsten Anstiege oder Kuppen plötzlich im Tal den Ort und vor allem das Kloster sehen können. Aber das passiert aufgrund der Bewaldung nicht.
                      Der Anblick kommt deutlich später, unverhofft und ganz anders als gedacht. Denn mit einem Mal blicken wir vom Weg direkt oberhalb der des Klosters auf selbiges. Erst in diesem Moment wird mir klar, wie groß die Anlage und die Gebäude sind. Wir lassen uns auf einer Bank nieder und den Anblick eine Zigarettenlänge auf uns wirken. Hier fällt H ein, dass sie auch fotografieren kann.



                      Über dem Höhenzug hinter Maulbronn türmen sich beeindruckende, aber auch unheilvolle Wolkenformationen auf. Da müssen wir noch hin. Denn das Kloster gucken wir uns morgen in Ruhe an. Heute gehen wir nur daran entlang, durch den Ort und gegenüber wieder in den Wald. Hier streben wir die einzige Hütte nahe Maulbronn an, die unsere Karte verzeichnet. Wie schon manches Mal haben wir Schwierigkeiten beim Verlassen der Stadt den richtigen Weg zu treffen und gehen einen unnötigen Bogen. Durch die Bewölkung und den Wald wird es auch schneller dunkel, als gedacht, und es geht die ganze Zeit leicht bergauf. Und dann ist die Hütte nicht da!
                      Zunächst hoffen wir noch, sie nur übersehen oder knapp verfehlt zu haben. Doch eine Hundehalterin kennt hier auch keine Hütte, ebensowenig der zufällig gerade mit dem Auto über die Wegkreuzung rollende Jäger.
                      Während ich noch versuche, nicht von Übernachtung zu sprechen, ist der Gedanke zumindest indirekt schon längst geäußert. Aber meine Bedenken sind auch unnötig: Just von ihm bekommen wir den rettenden Tipp: Etwas weiter südlich (1,5 km) stehe eine Material-Hütte der Forstarbeiter. Die sei zwar mit Sicherheit verschlossen, „aber nass werden sie da nicht; die hat einen Dachüberstand an der Seite“.
                      Wenn man unser Domizil mit einem Wort charakterisieren will, dann: schmal. Der Raum als solches und die Bank an der Wand. Dafür lang, bestimmt 5m. Aber der überdachte Raum ist nur 1,50 breit und die Bank an der Wand lang keine 50 cm. Dafür ist das Dach schön weit runter gezogen, so dass wir vor eventuellem Regen geschützt sind.

                      Im Schein unserer einzigen Lampe bereiten wir unsere Maultaschen zu. Sie sind so groß, dass immer nur zwei in den Topf passen. Wir essen sie aus dem Haferl. Zum Schluss trinken wir die Brühe. So satt war ich lange nicht mehr. Nach einem flüchtigen Abwasch („vielleicht schmeckt der Tee morgen ein bisschen deftig“) geht’s in die Schlafsäcke. Es wird rasch kälter, denn die bedrohlichen Wolken haben sich inzwischen verzogen und wir bekommen wieder eine sternenklare Nacht.
                      Weil es der letzte Abend draußen ist, lese ich im Liegen H noch das m.E. schönste Kapitel aus dem Eckhart-Buch vor.
                      „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
                      ― John Muir

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                      • stoeps
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                        • 03.07.2007
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                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

                        6. Tag: Maulbronn (– Dietlingen)

                        Am nächsten Morgen ist es super neblig. Nach einem kurzen Frühstück brechen wir auf und gehen die 2–3 km zurück nach Maulbronn. Keiner hat auf die Uhr geguckt, und wir versuchen zu raten, wie spät es ist. Es gelingt uns nicht und ich finde es wieder ganz angenehm, es nicht zu wissen.

                        In Maulbronn gehen wir vor dem Kloster in ein Café. Bei einem großen Kaffee für jeden und einem kleinen zweiten Frühstück für mich wärmen wir uns auf. Der Plan für den Tag sieht vor, das Kloster in Ruhe zu besichtigen und dann mit Öffis nach Dieltingen zu fahren und dort H’s Freund T zu besuchen. Bei der nicht ganz trivialen Frage, wie man von Maulbronn dorthin kommt, hilft uns der sehr freundliche und kompetente Herr am Infoschalter im Kloster. (Direkt vor den Klostermauern fährt stündlich ein Bus nach Pforzheim. Dort kommt man auf einem großen ZOB an und sollte eine Fortsetzung finden.)

                        Das Kloster ist beeindruckend. Natürlich muss man sich grundsätzlich für so etwas interessieren. Aber täten wir das nicht, wären wir wohl kaum vom Speyrer Dom zum Kloster Maulbronn gewandert – oder soll ich sagen: gepilgert?
                        Mich persönlich hat die Gesamtanlage und die zum Teil riesigen alten Häuser noch mehr beeindruckt als die Klausur (der innere Gebäudekomplex inkl. Kirche).









                        Im Laufe der Besichtigung sind wir ziemlich durchgefroren. Also ging’s anschließend nochmal ins benachbarte Café. Diesmal gibt es zum Kaffee warmen Zwiebelkuchen bzw. Baguette.


                        Die letzten 24 Stunden unserer Reise sind endgültig nicht mehr outdoor. Die Busverbindung klappt reibungslos. Bei T angekommen wird erstmal warm geduscht. Der letzte Abend der Tour ähnelt dem ersten mit gutem Essen, Wein und Gespräch.

                        7. Tag: (Dietlingen – Hannover)

                        Nach einem gemütlichen Frühstück bringt uns T mit dem Auto zum Karlsruher Hauptbahnhof. Von dort gelangen wir mit der S-Bahn nach Mannheim, um im IC nach Hannover zu fahren.
                        In Hannover trinken wir noch einen gemeinsamen Café in der hinter den Häusern verschwindenden Sonne – und dann trennen sich unsere Fuß-Heim-Wege …
                        „The world's big and I want to have a good look at it before it gets dark.”
                        ― John Muir

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                          • 20.06.2011
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                          #13
                          AW: [DE] Herbst im Kraichgau - von Speyer nach Maulbronn

                          Unabhängig von ihrer leichten Angeschlagenheit wird bei dem Gespräch aber auch deutlich, dass bei uns Welten aufeinander treffen: Sie hat immer gewitzelt, dass immer schönes Wetter sei, wenn sie wandere. Das war ernster gemeint, als sich das die meisten hier vorstellen können: Sie hat (außer einem Schirm) keinerlei Regensachen dabei. Auch keine Softshell, wie mancher jetzt vermuten mag; sie trägt Wollleggins, Wollrock und Wollstrickjacke. Wir sind bei unseren kleinen Versuchen bisher ein gutes Wanderteam gewesen, aber der Ernstfall einer Schlechtwetter-Tour steht uns noch bevor …
                          Ich rede nicht nur davon, dass es kein schlechtes Wetter gibt, wenn ich wandere, ich glaube auch tatsächlich fest daran. Überraschenderweise muss ich nun lernen, dass man seinen Glauben jederzeit prüfen und eventuell auch modifizieren sollte.
                          Ich schwöre, sobald ich mir eine regenfeste Ausstattung zugelegt habe, wird über unseren Wanderwegen kein Wölkchen mehr auch nur einen Tropfen von sich geben.

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