[DE, CH, FR] Bodensee - Mittelmeer. Eine kleine Radtour nach dem Zivildienst.

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    • 03.09.2006
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    [DE, CH, FR] Bodensee - Mittelmeer. Eine kleine Radtour nach dem Zivildienst.

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Land: DE, CH, FR
    Reisezeit: Juni 2009
    Region/Kontinent: Mitteleuropa

    Vorgeschichte:
    Während meines Zivildienstes in einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen beschloss ich, zwischen Zivi und Studium eine Radtour zu machen. Ursprünglich sollte es über Italien und die Türkei in den Iran gehen, was leider von einem gewissen Herrn Ahmadinejad verhindert wurde, der mich etwas verunsicherte. Also was tun? Die Fähre von Spanien nach Marokko kostete mit dem Fahrrad eine Unsumme, also war Marokko keine Alternative. Da es mich (wahrscheinlich zu Unrecht) noch nie so wirklich gen Norden gezogen hat, fiel die Wahl auf eine relativ kurze Tour vom Bodensee ans Mittelmeer. Außerdem hatte ich dadurch auch noch genügend Zeit, noch ein paar Wochen Bergsteigen zu gehen.
    Nächstes Problem: „Hmm, Hardtail mit für Touren zu kleinem Rahmen? Das Rennrad schänden? Nee, komm! Oder doch…und dafür fast kein Gepäck mitnehmen? Vergiss es, das tu ich dem armen Radl nicht an! Ein neues Rad muss her!“ Glücklicherweise veranstaltete meine Zivistelle im Frühjahr einen Fahrradbasar, um die Kasse für Freizeiten und Spielgeräte etwas aufzubessern. Ich wurde zum Aufbau und Fahrradcheck eingeteilt und konnte mir so schon vor Beginn etwas Nettes rauspicken. Die Wahl fiel auf ein recht gut erhaltenes Bianchi-Trekkingrad um ganze 75€(ausschlaggebend war neben dem guten Zustand auch die Farbe, die mich an meine Steigklemme erinnerte). Noch gescheite Reifen drauf und es konnte losgehen!

    Tag 1: Donnerstag, 11.06. 158km, ca. 550hm
    Der Wecker klingelt. 4.30 Uhr. „Putain merde, der Zug fährt in 30 Minuten! Ich Depp hab den Wecker zu spät eingestellt!“ Raus aus dem Bett, schnell von meinen Eltern und Brüdern verabschiedet und nix wie rauf auf’s Rad. Die Bewegungen sind noch steif, es ist frisch und das Gepäck macht es auch nicht besser. Fünf Kilometer später stehe ich dann am Bahnhof. Die Sonne geht gerade auf und taucht alles in ein orangenes Licht.
    Bahnfahrt. Wie ich die Strecke nach Stuttgart hasse! Umsteigen in Stuttgart. Das Radabteil ist bereits proppenvoll, ein Gepäckturm neben den Rädern aufgestapelt. Ich quetsche meinen Esel noch irgendwie dazwischen. „Warum fahren an einem Donnerstag eigentlich so viele Radler nach Lindau? Die sollen lieber arbeiten!“ Um 11 Uhr wird in Lindau das Rad bepackt. Zwei Radler fahren über den bereits leeren Bahnsteig in Richtung Ausgang. „Wir SCHIIIIIEBEN DAS FAHRRRRRRAD!“ tönt es barsch aus einem Lautsprecher. „Jesses, was hat denn der gefrühstückt? Schnell weg hier, sonst macht mich der Typ wohl auch noch blöd an!“
    Nachdem ich den Touristenmassen am Hafen entflohen bin, geht es auf dem Bodenseeradweg in Richtung Bregenz. Inmitten Massen von Bodensee-Umrundern, die zu jeder Jahreszeit als Bremsen auf den Radwegen fungieren. Als die Bregenzer Aach überquert ist, kommt so langsam das Gefühl auf, dass es losgeht. Nachdem die Rheinbrücke überquert ist, geht es links auf den Radweg ab, der die meiste Zeit am Rheinufer entlangführt. Zum Glück kenne ich diesen Abschnitt schon von früheren Touren nach Österreich und in die Schweiz, sodass es keine Verfahrer gibt. Das erste Etappenziel war eigentlich Chur. Der starke Gegenwind bremst mich teils auf lächerliche 15km/h. Grenzübergang am Fahrradweg. Niemand dort. Wenn es einen geeigneten Ort gibt, um was auch immer in die Schweiz oder retour zu schmuggeln, dann hier! Der Wind lässt nach, ich bin früher in Chur als erwartet.
    Der Ehrgeiz packt mich, also fahre ich weiter. Kurz hinter Domat/Erms stellt sich die Frage, wie es wohl am schnellsten in Richtung Disentis geht. Ich entscheide mich für die Bundesstraße, was sich als Fehler herausstellt. Nach einer Brücke bei Tamins, die einen netten Tiefblick gewährt, geht es die erstrampelten Höhenmeter wieder abwärts. Egal, die Straße von Bonaduz aus ist allemal schöner! Nach einer flachen Rampe und einer kleinen Abfahrt kommt ein Hammer in Form von einigen steilen Serpentinen. Zur Verdeutlichung der Steilheit ein Zitat aus dem Tagebuch: „[…] und bin über Bonaduz eine alte, sacksteile Vorkriegsstraße gefahren. Ich bin fast verreckt.“ Aber irgendwie ging es dann. Danach geht es weiter bis Ilanz. Die Suche nach einem Schlafplatz bringt mich noch 13km weiter bis zu ein paar Häusern. In einem Garten sehe ich eine alte Dame, die gerade (21.45 Uhr) ihr Gemüse gießt. Auf meine Frage, ob sie eventuell eine Wiese in der Nähe hätte, auf die ich mein Zelt für eine Nacht stellen könnte, deutet sie mir gleich in Richtung eines Holzstapels. Sie ist ziemlich begeistert und erzählt, sie hätte das früher auch immer gemacht. Einfach irgendwo hinfahren. Nach einem sehr netten Gespräch bedanke ich mich und begebe mich zu der kleinen Wiese einige 100m hinterm Haus. Nachdem das Zelt steht, gibt es ca. 200g trockenes Amaranthmüsli und hinterher einen Liter Wasser. Ich schlafe wie ein Stein.






    Tag 2: Freitag, 12.06. 78km, ca. 2250hm
    Heute hab ich erst mal bis 10.30 Uhr ausgeschlafen. Nachdem der Esel bepackt war, ging’s weiter bis Disentis. Am Oberalppass hat’s noch einige Schneereste, die nach dem grünen Rheintal eine willkommene Abwechslung sind. Der Pass an sich fährt sich weniger anstrengend als erwartet. Eigentlich sogar angenehm leicht. Ich treffe Martin aus Tuttlingen, wir fahren und schwätzen einige Kilometer zusammen. Irgendwann lege ich eine Pause ein, wodurch sich unsere Wege wieder trennen. Er fährt in Richtung Gotthardpass. Nach ein paar weiteren Serpentinen erreiche ich die Passhöhe. Der Parkplatz ist voller Motorräder. Ich mag keine Motorräder, also schnell weiter. Den Kletterhelm aufgesetzt und ab nach Andermatt. „Ob die Bremszüge die Fuhre wirklich halten?“ Der Tacho zeigt 76km/h. „Oh, da kommt eine Kurve, brems mal besser…ok, die Bremsen scheinen zu funktionieren. Ich hätte trotzdem auf der Passhöhe nochmal nachschauen sollen.“
    Nach der Müslitortur von gestern geht’s in Andermatt auf schnellstem Wege in den Coop. „Hm, Pferdesalami…mhh, Pferd!“ Dazu noch ein Laib Brot, Käse und ein paar Tafeln Ovo-Schoki. Einige Kilometer nach Andermatt lege ich mich in eine Wiese und vernichte einen Großteil der Einkäufe. An einem Bach fülle ich die Flaschen wieder auf.
    Nach Realp wartet die nächste Prüfung des Tages. Anfangs läuft’s noch ganz gut, aber nach ein paar Serpentinen wollen die Beine nicht mehr. Also schieben. Bis es dunkel wird, dauert’s schon noch eine Weile. Es fängt an zu regnen. Noch 10km bis zur Passhöhe. Da ich keine Lust habe, die Jacke rauszukramen, wird das Ganze in kurzer Hose und T-Shirt durchgezogen. Ein entgegenkommender Autofahrer hält an und meint so ganz cool „Auf der Passhöhe scheint die Sonne“. Ich glaub irgendwie nicht so richtig daran. Die Schneemauern rechts werden immer höher. Wenigstens bleibt man beim Schieben halbwegs warm. Oben angekommen sehe ich einige Leute, die ihre Zelte auf dem Parkplatz aufgeschlagen haben. „Im Regen stell ich mein Zelt nicht auf…lieber noch runter, vielleicht wird’s ja besser.“ Also bin ich, immer noch in kurzer Hose und T-Shirt, den Furkapass in Richtung Gletsch runtergerollt. Die Kleidungswahl stellte sich als ungünstig heraus. In Gletsch musste ich die rechte Hand vom Lenker reißen, damit ich mit der rechten Hand die linke vom Lenker biegen konnte. Sprechen ging auch nicht mehr – der Unterkiefer war am Gelenk irgendwie eingefroren. Zumindest dem Gefühl nach. Hierzu wieder ein Zitat aus dem Reisetagebuch: „Nach der Abfahrt vom Furka waren meine Hände blau. Ach übrigens: Die linke Hand musste ich vom Lenker wegbiegen.“
    So, genug für heute. Das Rad hinter ein altes Hotel geschoben, hinter dem sich ein weiteres kleines Gebäude befand. Dahinter im Nieselregen das Zelt aufgestellt, ab in den Schlafsack und gewartet, bis es warm wurde und sich der Unterkiefer wieder bewegen ließ. „Jetzt ein warmer Tee, das wär’s!“ Tja, denkste! Den Kocher hatte ich daheim gelassen, um genug Platz für die steigeisenfesten Stiefel zu haben. Auf der Fahrt ans Mittelmeer.
    Stattdessen gab’s wieder trockenes Müsli und eine Tafel Ovo-Schoki. Passt schon! Es fängt an, zu stürmen. Zum Glück hab ich das Zelt richtig rum ausgerichtet.





    Tag 3: Samstag, 13.06. 179km, ca. 1800hm
    Um 7 Uhr ist das Radl schon fertig bepackt – heute wird’s ein langer Tag. Aus der kalten Abfahrt gestern habe ich nichts gelernt. Die Abfahrt ins Rhonetal erfolgt in altbewährter Manier in genau den gleichen Klamotten. Zwischendurch muss ich immer wieder anhalten, um sowohl Felgen als auch Bremsen abkühlen zu lassen. Die Fahrt bis Brig ist trotz des ständigen Auf-und-Ab sehr angenehm, da man sich quasi nicht verfahren kann. Es geht durch kleine Örtchen mit netten Holzhäusern. Würden sie nicht so nah an der Straße liegen, könnte man sich gut vorstellen, dort einzuziehen. Unter anderem komme ich durch das Örtchen Filet („Mhh…Filet“).
    Vor Brig verwandelt sich die Straße in eine für Radfahrer gesperrte Art Bundesstraße. Zum Glück gibt es rechts davon einen Schotterweg, der nach Brig führt. Die Fahrt nach Sitten ist von der Suche nach Radwegen geprägt, sodass sich einige Zusatzkilometer ergeben. Landschaftlich aber immer wieder schön (also im Sinne von „an einigen Stellen“).
    Nach Sitten wird der Gegenwind immer stärker. Pech, dass die Straße von Riddes nach Martigny keine einzige Kurve hat. Für die Landschaft habe ich kein Auge mehr, es geht nur noch darum, irgendwie bis Martigny zu kommen. Ich weiß nicht, wie oft ich innerlich den Wind verflucht habe.
    „Die erste Rampe des Col de la Forclaz hatte ich mit dem Auto irgendwie steiler in Erinnerung. Na ja, mir soll’s recht sein!“ Langsam aber sicher lasse ich die Tiefen des Rhonetals unter mir und kurble gemächlich gen Passhöhe. Dort angelangt das übliche Bild: Massig Autos und Touris. So toll ist der Ausblick auch nicht. Die Abfahrt nach Trient ist deutlich angenehmer und milder als die gestrige Abfahrt nach Gletsch.
    „Einer geht noch!“ Die Beine erklären sich einverstanden. Also weiter in Richtung Col des Montets. Bei Chatelard verlasse ich die Schweiz und erreiche wenige Kilometer später mit Vallorcine den ersten Ort in Frankreich. Dort findet gerade irgendein Konzert lokaler Rockbands statt, dem ich eine Weile beiwohne und dadurch einen Australier kennenlerne, der mit dem Fahrrad von Lausanne nach Chamonix unterwegs ist. Die letzten Kilometer zur Passhöhe fahren wir gemeinsam. Oben und während der Abfahrt bietet sich ein genialer Ausblick auf die Aiguille Verte, Dru & Co, die von der untergehenden Sonne angestrahlt werden.
    In Les Bois fahre ich dann auf den Campingplatz. Eigentlich könnte man hier auch gut wild zelten, aber da ich morgen einen Ruhetag geplant habe und das Zelt stehen lassen will, scheint der Campingplatz die bessere Alternative. An der Rezeption ist niemand mehr, also stelle ich das Zelt einfach irgendwo hin. Schnell noch mit dem Rad nach Chamonix zu Pizza Salsa am Bahnhof. „Verdammt, schon zu! Na ja, dann gibt’s halt wieder Müsli.“ Als besonderes Schmankerl gibt’s noch ein Bier, das ich über beide Pässe gekurbelt hab. So eine warme Dusche hat schon was.






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    Tag 4: Sonntag, 14.06. Ruhetag, ca. 2200hm
    Heute also wie geplant ein Ruhetag. An der Rezeption ist wieder niemand. Was für ein Zufall, dass ich Eisgeräte und Steigeisen eingepackt habe. Ab damit in den Rucksack! Es geht vorbei an der Helibasis des PGHM und entlang des Arveyron, bis rechts der Wanderweg in Richtung Montenvers abgeht. Ca. 80 min später bin ich bei Montenvers. „Eigentlich wollt ich ja nur zum Mer de Glace, bissl im Gletscherbruch rumkraxeln. Aber die Aiguille de l’M steht da grad so schön. Ich lauf einfach mal in die Richtung.“ Nach einer Weile erreiche ich den Trampelpfad, der zum Col Blanc führt. Letzes Mal mit dem schweren Rucksack ein übler Hatscher. Heute geht’s aber recht schnell. Da ich weder Seil noch Sicherungsmaterial dabei habe, nehme ich das Couloir östlich des Grates, in dem noch ausreichend Firn ist. Vom oberen Ende geht’s vollends unproblematisch auf den Gipfel.
    Zurück auf dem Wanderweg sind schon Massen von Wanderern unterwegs. Kein Wunder: Das Wetter ist inzwischen einiges besser als am Morgen. Die Zahnradbahn nach Montenvers und die Seilbahn nach Plan de l’Aiguille nerven! Zurück bei Montenvers beschließe ich, den Tag vollends zu nutzen und noch auf’s Mer de Glace abzusteigen. Beim Abstieg über die Eisenleitern überhole ich einen Briten, der seinen Wanderstock hinten in die Hose gesteckt hat. Er lacht und sagt irgendwas in Richtung „Haha, look at me…descending the ladder with a stick in my ass“. Sehr geil, was man so alles an lustigen Leuten trifft!
    Auf dem Mer de Glace geht‘s dann wie eigentlich geplant noch etwas im Eisbruch kraxeln. Nebenbei packe ich noch zwei kleine Bergkristalle in den Rucksack.
    Abends versuche ich dann erneut mein Glück bei Pizza Salsa. Diesmal ist erfreulicherweise offen. Also gibt‘s eine Pizza Chamoniarde mit Pilzen, Kartoffeln, Speck, Sauerrahm und Petersilie -> beste Pizza in Chamonix und überhaupt! Zurück auf dem Campingplatz hab ich mich dann gefragt, ob morgen wohl jemand an der Rezeption sein würde.





    Tag 5: Montag, 15.06. 153km, ca. 2100hm
    Es ist niemand an der Rezeption. „Ich mein, es ist ja nicht so, dass ich es nicht versucht hab. Wenn die mein Geld nicht wollen…see ya!“ Dabei hab ich es immer zu Zeiten versucht, zu denen laut Ausschrift geöffnet war. In Cham ist morgens noch so gut wie nichts los. Auch mal schön, wenn nicht alles mit Touris verstopft ist. Irgendwie ungewohnt. Auf Empfehlung eines Gleisarbeiters nehme ich die Straße von Les Houches über Vaudane in Richtung Sallanches. Sie hat zwar ordentlich Höhenmeter, ist aber schön ruhig, schön und führt fast durchgehend durch den Wald.
    Dafür ist die Straße von Sallanches nach Megève nicht so toll, besser gesagt beschissen. Die knapp 600hm fast durchgehend in praller Sonne und viele Autofahrer, denen das Wort „Abstand“ fremd scheint.
    Durch die Sonne schrumpfen meine Flüssigkeitsvorräte drastisch. Da es unterwegs kein vertrauenerweckendes Wasser gibt, decke ich mich in Megève mit allerhand Ungesundem ein. Nach Tagen des Wassers gelüstet es mich nach etwas mit Kohlensäure und Geschmack. Die beiden abartigsten Getränke waren Cola mit Kokosnuss- und mit Pfefferminzgeschmack. Dahingegen war Orangina „Cowboy“ nicht schlecht, auch wenn die grüne Farbe ungesund aussah. Von Megève an geht es weiter in Richtung Flumet, immer schön bergab. „Ha, perfekt, das geht jetzt so weiter bis Albertville, voll geilo!“ Von wegen, kurz vor Ugine wartet ein fetter Anstieg. Kurz vor Albertville hat irgendein Idiot das Radweg-Schild in die falsche Richtung gedreht. Ich falle natürlich prompt drauf rein und befinde mich schon im nächsten Anstieg. Da ich bisher komplett ohne Landkarten unterwegs bin, kommt mir das eine lange Zeit auch nicht komisch vor. Erst als ich dann rechts unten im Tal Albertville sehe, merke ich, dass irgendetwas nicht stimmt. Also alles wieder zurück und siehe da, es wäre doch geradeaus gegangen. Nach 5min bin ich in Albertville. Ab ins Tourismusbüro und eine Gratiskarte besorgt, die mich sicher durch’s Val d’Isère bringen soll.
    Das Auf-und-Ab auf den Landstraßen schlaucht mich mit der Zeit, sodass ich irgendwann auf eine, nennen wir es mal „Bundesstraße“ wechsle. Dort läuft es sehr gut, sodass ich ziemlich bald in Montmélian bin, von wo aus es weiter in Richtung Grenoble geht. Mittlerweile hat es zu regnen angefangen. In Chapareillan stelle ich mich eine Weile unter, ungünstigerweise in nächster Nähe eines Pizzaautos. Aber ich bleibe stark und widerstehe der Versuchung. Der Regen plätschert munter weiter, sodass ich beschließe, einfach weiterzufahren. Die Kleider sollten sowieso mal gewaschen werden. Bei Pontcharra geht’s in den Supermarkt, wo ich mich mit einem Laib Ziegenkäse und Chorizo eindecke. Ein paar Kilometer später ist ein Bambushain gefunden, in dem ich mein Zelt aufstelle. Nach einer halben Tasse trockenem Müsli wird ein halber Laib Käse vernichtet. Der Rest überlebt. Das nahe Gebell eines Hofhundes verschafft mir zwar ein etwas mulmiges Gefühl, aber es wird schon nichts passieren.






    Tag 6: Dienstag, 16.06. 129km, ca. 300hm
    Die letzte Nacht war recht widerlich. Irgendwann bin ich aus Durst aufgewacht. An sich kein Problem, bis auf die Schnecken auf meinem Schlafsack. Tja, hätt ich mal besser das Zelt zugemacht. Nachdem alle Schnecken entfernt waren hab ich einige graue, längliche Teile außen auf dem Moskitonetz des Innenzeltes entdeckt. „Vrregde Lombaviachr!“ Ich bin mehrmals aufgewacht, um die Schnecken abzuklopfen. Heute Morgen war das komplette Innenzelt von zahllosen Schleimspuren überzogen. In Crolles fülle ich an einem Brunnen meine Flaschen auf – lieber keine Cola-Experimente mehr. Die Fahrt durch Grenoble wird zur Odyssee, was daran liegt, dass die Karte aus Albertville vor Grenoble aufhört. Also ab zum nächsten Kiosk und eine Karte besorgen. Immerhin hab ich auf der Irrfahrt einige schöne Ecken Grenobles gesehen, an denen ich sonst wohl vorbeigefahren wäre.
    Als ich Voreppe eine kleine Pause einlege, spricht mich Julien an, dessen Bruder gerade mit dem Rad ans Nordkap unterwegs ist. Ich werde zum Geburtstagereste-Essen eingeladen – so ein warmes Essen hat schon was! Vom Balkon aus hat man eine nette Aussicht auf die umliegenden Berge. Bei einem Glas Rotwein unterhalten wir uns noch eine Weile, bevor ich mich bedanke und verabschiede. Verrückt, wie schnell man sich in der Sprache wieder zurechtfindet.
    Es geht weiter entlang der Isère über Saint Gervais bis Romans-sur-Isère. Ab jetzt führt eine Straße durch viele Felder in Richtung Chatuzange. Durch die pralle Sonne schon etwas benebelt, brennt sich aber nur das Wort „Zange“ in mein Hirn. Von der Zange wurstle ich mich, nachdem ich die Kirche der Zange angesehen habe, über Feldwege bis Montélier. „So langsam sollte ich mir Gedanken machen, wo ich heute mein Zelt hinstellen kann.“ Als ich in die Karte vertieft auf einem Feldweg sitze und nach einem günstigen Ort suche, kommt eine ältere Dame auf einem Rennrad angefahren, die sich als Marie-Jean vorstellt. Wir kommen uns Gespräch und aus heiterem Himmel heraus fragt sie, ob ich bei ihr übernachten möchte. Ihr Sohn sei gerade verreist und sein Zimmer frei. „Puh, gerettet!“ Ich nehme dankend an. Das Haus steht nur einige Kilometer entfernt in Les Riverons in mitten eines riesigen Gartens, in dem allerhand Gemüse angebaut wird. Ihr Mann Jean bereitet abends ein wahnsinniges Menü: Tomatensuppe, mit Ziegenkäse gefüllte Ravioli auf gegrillten Zucchini mit Tomatensoße und Käse überbacken, Ziegenkäse und zum Abschluss eingelegte Äpfel mit Orangenmarmelade. Einfach nur der Hammer! Ich kann mir nicht vorstellen, in Deutschland als Fremder einfach so selbstverständlich eingeladen zu werden. Abends entwickelt sich noch ein kurzweiliges Gespräch über Französisch-Deutsche Politik. Zwar nicht gerade mein Spezialgebiet, aber irgendwie boxt man sich immer durch!




    Tag 7: 17.06. 135km, ca. 500hm
    Nach einem super Frühstück habe ich mich von Jean verabschiedet und, da sie für ihre Gastfreundschaft nichts annehmen wollten, wenigstens das Frühstücksgeschirr gespült. Marie-Jean begleitet mich noch bis in den nächsten Ort, da sie dort ehrenamtlich in einer katholischen Gemeinde arbeitet. Nach einem sehr herzlichen Abschied geht es für mich weiter, immer östlich der Rhone, gen Süden. Es geht zwar die ganze Zeit rauf und runter, was aber durch die schöne Landschaft wieder wett gemacht wird. Bis Crest führt mich die Straße hauptsächlich durch Felder, in denen immer wieder Bauernhöfe stehen, die ihre Erzeugnisse in Auslagen an der Straße anbieten (HP wäre begeistert…Geo12-Insider). Von Crest geht es weiter in Richtung Puy-Saint-Martin. Oberhalb des Ortes öffnet sich der Blick auf einen riesigen Kessel, in dem sich die Felder wie ein Mosaik zusammensetzen. Ich mache einen Moment Pause, genieße den Ausblick und trinke bei Gelegenheit gleich den Liter Ziegenmilch, den ich auf einem Bauernhof gekauft habe.
    Vorbei an einer zwielichtigen Pizzeria, die Menschenfleisch zu verarbeiten scheint, geht es weiter in Richtung Montélimar. Seit Puy-Saint-Martin gibt es keinen nennenswerten Schatten mehr. „Wieso fließen die Schweißtropfen eigentlich nicht von meinen Armen? Moment mal, das sind Brandblasen! Ach du Scheiße!“ Und das, obwohl ich mich seit Grenoble konsequent jede Stunde mit Sonnencrème einschmiere.
    Ich fahre weiter in Richtung Süden, immer die Kühltürme des AKW Pierrelatte im Blick und die Warnung Jean’s im Kopf, auf keinen Fall in der Rhone zu baden. Kurz vor Bollène erspähe ich das erste Lavendelfeld, was mir sagt, dass es bis zum Meer nicht mehr weit sein kann oder dass ich zumindest so halbwegs in der Provence angelangt bin. In Bollène versorge ich mich mit Flüssigkeit – die Sonne trocknet einen wahnsinnig aus. Drei Liter gibt’s sofort, die anderen vier Liter sind für später. Heute machen sich die Reifen (Schwalbe Marathon Plus) das erste Mal negativ bemerkbar. Aufgrund der hohen Temperatur der Straße erhitzt sich das Außenmaterial sowie vermutlich auch der Pannenschutz stark, sodass sich der Reifen bei der Fahrt sehr schwammig anfühlt.
    Kurz vor Capentras habe ich erneut Glück. Ich fahre auf dem Radweg neben der Straße, als ein Jeep mit Anhänger, auf dem sich ein paar Bienenkästen befinden, vor mir auf dem Radweg anhält. Ein Mann steigt aus und wartet, bis ich ankomme. Er sagt, er hätte meinen Kletterhelm hinten auf dem Gepäck gesehen. Bis vor zwei Jahren war er Bergführer in Chamonix, ist jetzt aber Imker und wohnt bei Capentras. Er heißt Benoît und fragt mich, wie könnte es auch anders sein, ob ich für heute Nacht schon einen Schlafplatz hätte. Wir legen mein Radl auf die Ladefläche und fahren ein paar Kilometer bis zu einem kleinen Haus mitten in einem Olivenhain, in dem er mit seiner Frau Dorothée und seinem kleinen Sohn Zian lebt. Auf der Terrasse reden wir über diverse Touren, die wir schon gemacht haben…er meint so ganz beiläufig, vor ein paar Jahren mal mit den Ski das Couloir Couturier an der Verte abgefahren zu sein. Chapeau! Nebenbei lerne ich die Vorzüge von Pastis kennen und bin jetzt in der Lage, jegliche Fragen zur Imkerei auch auf Französisch beantworten zu können.
    Gegen Abend kommen dann ein paar Freunde vorbei. Einer davon ist Bauer und wohnt das ganze Jahr über in einer Jurte, ein anderer ist Jäger und hat Forellen mitgebracht…auf jeden Fall richtig gute Leute, mit denen man sofort auf einer Wellenlänge ist.






    Tag 8: Donnerstag, 18.06. 125km, ca. 2600hm
    Heute bin ich um 9 Uhr mit viereinhalb Litern Gesöff im Rucksack in Richtung Mont Ventoux aufgebrochen. Das Gepäck konnte ich freundlicherweise bei Benoît lassen. Außerdem wurde ich eingeladen, einfach noch eine Weile zu bleiben. Der Wahnsinn!
    Anfangs schlängle ich mich über Feldwege und Sträßchen nach Montmoiron, bevor es auf der Straße weiter bis Villes-sur-Auzon geht. Ab hier führt eine ruhige Straße durch Wald und Macchia. Nach einem kleinen Aufstieg geht es immer an den Gorges de la Nesque entlang, was mich irgendwie an die Gorges du Verdon erinnert. Auf jeden Fall eine malerische Ecke, die schöne Ausblicke bietet. Am höchsten Punkt der Straße mache ich eine kurze Pause – das Ziel, der Ventoux, liegt noch weit entfernt in der prallen Sonne. In Sault hat es für meinen Geschmack zu viele Touris, also schnell weiter in Richtung Ventoux. Nach einigen Kilometern in praller Sonne ist endlich der Wald erreicht. Ich trinke den letzten halben Liter. Das fehlende Gepäck macht sich bemerkbar, sodass ich im Wald richtig Gas gebe. Nachdem ich einige Rennradler überholt habe, hänge ich mich schließlich an eine Dreiergruppe, die ein ganz akzeptables Tempo fährt. „Ist ja weniger schlimm als erwartet, der Ventoux“. Die Straße schlängelt sich gemütlich durch den Wald und ist richtig schön zu fahren. Jedenfalls bis zum Chalet Reynard. Danach gibt es keinen Schatten und so gut wie keine Vegetation mehr. Interessant anzuschauen, jedoch bitter zu fahren. So langsam wird’s auch steiler, jedenfalls dem Gefühl nach. „Einen Schluck Wasser könnte ich auch mal wieder vertragen.“ Zum Glück wartet rechts der Straße die Rettung in Form eines Brunnens mit eiskaltem Wasser – perfekt! Ich kippe zwei Liter runter und fülle eine meiner Flaschen auf. Vorbei am Denkmal für Tom Simpson, der hier bei der Tour 1967 verstarb. Der Grund für seinen Tod stimmt nachdenklich.
    Auf den letzten Kilometern treffe ich einen älteren Mann aus Bayern, der sich auf seinem Mountainbike abrackert. Als er meine Bremsen sieht meint er, ich solle bei der Abfahrt auf jeden Fall aufpassen. „Na toll, das verschafft mir jetzt ein echt gutes Gefühl. Aber am Oberalp und am Furka haben sie ja auch gehalten.“ Am Gipfelparkplatz angekommen muss ich kurz hinhocken. Die Sonne hat mal wieder ganze Arbeit geleistet, sodass meine Arme voller kleiner Blasen sind. Nach einem halben Liter Wasser geht das benebelte Gefühl im Kopf wieder weg. Am Süßigkeitenstand kaufe ich als kleines Gastgeschenk ein knappes Kilo Bonbons und anderen Süßkram. Da es mir unter den sicher 400 Leuten zu trubelig wird, trage ich mein Rad vollends auf den Gipfel, wo es nur drei andere Leute hat.
    Nach einer kleinen Pause geht’s wieder in Richtung Chalet Reynard, jedoch nicht, ohne an der Fontaine de la Grave wieder die Flaschen aufzufüllen. Dabei treffe ich eine französische Familie, die dort gerade Kirschen wäscht und mir ein paar davon mit auf den Weg gibt. Am Chalet biege ich in Richtung Bédoin ab. Die Straße ist zum Teil recht steil, weswegen ich einige Pausen mache, um die Bremsen abkühlen zu lassen. Von Bédoin geht es mit Rückenwind ziemlich fix nach Capentras und weiter nach Pernes-les-Fontaines. Am Haus angekommen gibt’s erst mal einen Pastis, der ziemlich schnell anschlägt. Benoît meint, dass in einer halben Stunde ein Kumpel kommen würde, um noch eine Weile klettern zu gehen. „Ob ich dabei bin? Logisch!“
    Eine halbe Stunde später kommt Stéphane und wir fahren nach Venasque, wo ein Klettergebiet mit feinstem Kalk wartet. Das blöde ist, dass ich vom Ventoux schon ziemlich fertig bin. Also erst mal eine 5b um zu schauen, ob noch was geht. Klappt. 6b+ im Toprope klappt auch, also mal im Vorstieg probieren. Ist eigentlich ganz nett – schöne Wandkletterei und oben raus noch ein Dach. 5m Flugeinlage – die Finger sind aufgegangen. Im zweiten Versuch klappt’s dann wieder, aber danach sind meine Arme schon blau. Stéphane zieht derweil eine 7c+. Brutal.
    Um 22 Uhr sind wir wieder beim Haus, wo ich mich ziemlich schnell ins Bett verziehe.









    Tag 9: Freitag, 19.06 0km, ca. 100hm
    Heute Morgen bin ich mit Dorothée nach Avignon mitgefahren, um die Stadt anzuschauen. Von einem Vorort, in dem sie arbeitet, geht es zunächst abseits der Touristraßen durch verwinkelte Gassen in Richtung Altstadt.
    Hier folgt das Standard-Touriprogramm: Notre Dame, Palais des Papes, diverse Straßenzüge. Die 4,50€ Eintritt für die Pont St. Bénézet sind zwar heftig, aber was soll’s. Ich lerne, dass das Lied „Sur le Pont d’Avignon“ historisch gesehen eigentlich Mist ist.
    Auf der Suche nach nicht überteuerten Getränken finde ich einen muslimischen Supermarkt, in dem ich mich wieder auf ein Erfrischungsgetränk-Experiment einlasse: Bananencola. Geht eigentlich. Im Park bei der Notre Dame mache ich mich daran, 13 Postkarten zu schreiben. Wie ich das hasse! Zwischendurch fotografiere ich noch ein paar Ameisen, die Blütenblätter transportieren.
    Gegen 16 Uhr geht’s wieder zurück nach Pernes-les-Fontaines.
    Abends kommen zwei Freunde der Familie vorbei. Die Frau hat früher als Übersetzerin gearbeitet und spricht noch etwas Deutsch. Sehr ungewohnt, mal wieder Deutsch zu reden. Es gibt mal wieder ein wahnsinns Essen: mit Honig glasiertes Schweinefleisch, Honigreis, Zucchinigemüse mit Merguez, Brot, Pastete und Kuchen mit Wildkirschen. Die Frau scheint mittlerweile eine Art Naturheilkundlerin zu sein und erzählt von einer Therapie, bei der sie die Patienten von Bienen stechen lässt.





    Tag 10: Samstag, 20.06. 125km, ca. 400hm
    Heute hab ich mein Zeugs zusammengepackt. Danach bin ich mit Dorothée und Zian auf den Markt nach Pernes gefahren, wo Benoît Honig verkauft. Wir haben bei einem Rotwein noch eine Weile geredet. Als Dorothée wieder heimwärts fahren will, verabschiede ich mich bei Benoît und bedanke mich für alles. Über die paar Tage sind wir richtig gute Freunde geworden.
    Der Weg führt mich mit viel Rückenwind weiter nach Cavaillon, von wo ich weiter nach St. Rémy fahre. Diesmal mit Gegenwind. Die Straße nach Les-Baux-en-Provence ist sehr schön zu fahren – die Landschaft erinnert irgendwie an Korsika und ist die Höhenmeter nach Les-Baux allemal wert.
    Nach einigen Navigationsschwierigkeiten in Arles finde ich schließlich die Brücke über die Rhone und die Straße in Richtung Saintes-Maries-de-la-Mer. Der Rückenwind trägt mich mit 40km/h durch die Camargue bis zum Meer, vorbei an Weiden mit schwarzen Camargue-Rindern. Der Ort ist so na ja. Eine Hochburg von versnobten Touristen, laut Reisetagebuch „schlimmer als St. Moritz.“
    Eigentlich wollte ich am Strand übernachten, jedoch sind dort irgendwelche Kontrolleure unterwegs, weshalb ich auf den Campingplatz ausweiche, welcher ausgesprochen hässlich ist. Bin ich froh, wenn ich morgen wieder von hier wegkomme!
    Überall miaut es – „Katzen, überall Katzen!“ Es ist 23 Uhr und irgendein Typ, der sonst nichts gelernt hat, schreit in der nahen Diskothek seine Parolen ins Mikrofon. „Oh noi, halt doch die bleede Gosch, ‘s geit au Leit, mo schlofa wandt!“ Die Musik ist grausig, fällt eigentlich schon nicht mehr unter diese Bezeichnung.
    Eine Aufheiterung verschafft allerdings der nächtliche Landwind, der reihenweise Zelte zusammenklappt.








    Tag 11: Sonntag, 21.06. 127km, ca. 400hm
    Nachdem ich dem Campingplatz entflohen bin, frühstücke ich erst mal am Strand. Danach geht es auf dem Deich vorbei an Strandseen, Salzwiesen und Flamingos in Richtung Salin-de-Giraud. Der Weg besteht aus Schotter, ist aber nach wenigen Kilometern total mit Sand zugeweht. Absteigen und schieben. Die Fahrradspuren werden immer weniger und hören irgendwann ganz auf. 100m weiter gibt’s wieder einen Schotterweg. „Haha, Idioten!“ Es geht vorbei am Etang du Galabèrt und an hunderten von Flamingos. Nach einer kleinen Pause geht es weiter nach Salin-de-Giraud, wo ich mich etwas abseits der Gebäude in die Saline schleiche und ein paar Fotos mache.
    Mit der Fähre geht es über die Rhone. Auf meiner Karte (1:100 000) sind leider zu wenige kleine Straßen eingezeichnet, weswegen ich auf der Fahrt nach Martigues auf Experimente verzichte und kurzerhand den Standstreifen der Nationale als Radweg missbrauche.
    Von Martigues fahre ich über einen Mini-Pass nach Sausset-les-Pins. So langsam werden mal wieder die Getränke knapp. Bei Le Rove findet sich zum Glück eine Tankstelle. Wenig später erreiche ich Marseille. Auf meiner Suche nach einem Schlafplatz gelange ich auf eine Art Friedhof für ausrangierte Container. „Wer weiß, wer sich da nachts rumtreibt“ Schnell noch ein Kilo Aprikosen vom Baum gepflückt und wieder zurück in Richtung Meer. Ich fahre wieder ein kleines Stück zurück in Richtung Le Rove und finde einen Wanderweg, den ich das Radl ein paar Minuten raufschiebe, was sich als schlau erweist. Irgendwo neben dem Weg breite ich mich zwischen Rosmarinsträuchern und Stechäpfeln aus. Vom Schlafplatz hat man eine geniale Aussicht auf Marseille und auf einige vor Anker liegende Frachtschiffe. Es gibt den letzten Rest Müsli, Aprikosen und Ententerrine (bäh!).










    Tag 12: Montag, 22.06. 162km, ca. 1400hm
    Heute geht‘s erst mal nach Marseille. Um 8 Uhr bin ich gestartet. Nach kurzer Zeit beginnt mein Radl, komisch klackernde Geräusche von sich zu geben. „Verdammt, Speiche gebrochen oder was?“ Nachgeschaut, aber nichts zu sehen. „Hä, was’n los? Ich find nix!“ Beim näherem Begutachten sehe ich dann einen fetten Eisenstift, der sich durch den Reifen gerammt hat und auf die untere Kettenstrebe schlägt. „Das ist ja mal eine nette Begrüßung!“ Zange rausgeholt, Eisenstift rausgezogen und darauf gewartet, dass die Luft rausgeht. Glücklicherweise hat es den Schlauch aber nicht erwischt.
    Die nächste Überraschung ist, dass sich die Straße plötzlich in eine Autobahn verwandelt. Um trotzdem irgendwie in Richtung Innenstadt zu kommen, geht es eine Stunde durch zwielichtige Viertel. Nach einer kleinen Pause am alten Hafen geht es über Cassis weiter bis Toulon. Die Landschaft ist teilweise echt malerisch. Nett ist zudem, dass sich das Verkehrsaufkommen so halbwegs in Grenzen hält. Von Hyères geht es über einen perfekten Radweg nach Le Lavandou. Bei Cavalaire-sur-Mer setze ich mich eine Weile an den Strand, bevor es wieder auf die Suche nach einem Schlafplatz geht. Die Straße in Richtung Friedhof sieht vielversprechend aus. Irgendwann geht ein „Ponywanderweg“ ab, an dem ich mich in die Büsche schlage und mein Innenzelt aufbaue.







    Tag 13: Dienstag, 23.06. 136km, ca. 1100hm
    „Hmm, wann die Ponys wohl zum Wandern kommen? Lieber schnell weg!“ Also geht‘s morgens um 8 Uhr weiter. Über St- Tropez, wo ich unweigerlich an Louis de Funès denken muss, geht es weiter nach Fréjus. Die Strecke von dort nach Cannes ist zwar ein ununterbrochenes Auf-und-Ab, landschaftlich jedoch sehr schön. Überall gibt es kleine Buchten mit Sandstränden, die sich zwischen den sich ins Meer stürzenden roten Felsen des Esterelgebirges einzwängen. Außerdem auch eine Biene, die mir ins T-Shirt fliegt. Nach einer kleinen Pause am Cap Roux, wo sich noch die Fundamente einer Flak-Stellung aus dem II WK befinden, geht es vollends nach Cannes. Dort radle ich zur Notre Dame d’Espérance, die mir von unserer Studienfahrt noch in Erinnerung ist.
    Über Antibes fahre ich vollends nach Nizza, wo ich bei einem kleinen Spaziergang durch die aus allen Nähten platzende Altstadt einen Spirituosenhändler aufsuche, der mir auch noch von der Studienfahrt in Erinnerung ist. Damals hat er erzählt, er sei eigentlich aus dem Schwarzwald und vor vielen Jahren hierher ausgewandert. Es gibt eine kleine Flasche Pastis. Nach einer kleinen Weile am Strand fahre ich zum Bahnhof, um für den nächsten Tag Fahrkarten in die Schweiz zu organisieren. Der Mensch hinterm Schalter macht deutlich, dass er heute wohl schon sehr lange arbeitet und eigentlich keine Lust hat, irgendwelche komplizierten Regionalzug-Verbindungen zusammenzustellen. 15 Minuten später hab ich trotzdem meine Billets. Ich fahre am Hafen vorbei in Richtung Eze. Irgendwann geht ein kleiner Wanderweg in Richtung Meer ab, auf dem ich mich einrichte. Die grünen moustiques nerven.







    Tag 14: Mittwoch, 24.06. 40km, ca. 400hm
    Die Nacht war trotz der Viecher ganz in Ordnung. Um 5 Uhr geht es in Richtung Bahnhof, wo um 6 Uhr mein Zug fährt. In Lyon habe ich ein paar Stunden Aufenthalt und latsche eine Weile durch die Stadt. In Genf verpasse ich um eine Minute den Anschluss nach Bern. Mit dem späteren Zug bin ich um 20 Uhr in Bern, von wo ich eigentlich weiter nach Sargans fahren will. Da kein Zug mehr fährt, geht es eben nach St. Gallen. Um 23 Uhr mache ich mich auf den Weg vom Bahnhof in Richtung Heiden. Im Vergleich zu Frankreich ist es hier nachts noch ziemlich kalt, was mich dazu veranlasst, so ziemlich alle Kleidungsschichten anzuziehen. Auf einer Kiesbank in der Nähe der Mündung der Bregenzer Aach gehe ich pennen.



    Tag 15: Donnerstag, 25.06. 22km, 0hm
    Heute Morgen hab ich noch eine Weile zwei Schwäne und ihre Jungen beobachtet, bevor ich über Bregenz wieder nach Lindau geradelt bin. Mit dem Zug geht es wieder heimwärts in Richtung Schwäbisch Hall. Im gleichen Abteil unterhalten sich zwei ältere Damen, wobei das Wort „Damen“ auf diese beiden eher nicht zutrifft: „[…] also das mit der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika, ob das gut geht? Bei der Kriminalität und den vielen Neg…“ „Boahh, heftig...na super…“, denke ich mir. „…jetzt bin ich also wieder in Deutschland!“




    Insgesamt war es eine kleine aber feine Radreise, auf der ich viele tolle Menschen kennen gelernt habe!
    Zuletzt geändert von November; 19.02.2013, 15:02.
    Wenn Du jetzt fällst, müssen wir wieder von ganz unten anfangen!

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    #2
    AW: [DE, CH, FR] Bodensee - Mittelmeer. Eine kleine Radtour nach dem Zivildienst

    danke für diesen schönen Bericht, hat Spaß gemacht zu lesen!
    Den südfranzösischen Abschnitt deiner Tour bin ich vor vielen Jahren auch geradelt. Das sind wirklich klasse Fotos, die du unterwegs gemacht hast.

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    • Memento89
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      #3
      AW: [DE, CH, FR] Bodensee - Mittelmeer. Eine kleine Radtour nach dem Zivildienst

      Merci beaucoup! Der Bericht lag schon seit Ewigkeiten auf der Festplatte - heute Abend konnte ich mich endlich zu einer langen Copy-and-Paste-Aktion aufraffen
      Zuletzt geändert von Memento89; 26.06.2011, 23:05.
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      • uli.g.
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        #4
        AW: [DE, CH, FR] Bodensee - Mittelmeer. Eine kleine Radtour nach dem Zivildienst

        Superschöne Geschichte! Allerdings nicht ganz fair, wenn man sie hier am Schreibtisch lesen muss......... Aber der "Windige" liegt dieses Jahr ja noch vor mir . btw.: durch die Gorges de Nesque gibt´s ne schöne Wanderung - Hinweg flussaufwärts hoch über´m Fluss - zurück durch den Fluß - teilweise ist Schwimmen angesagt....
        "... „After twenty years he still grieves“ Jerry Jeff Walkers +23.10.2020"

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        • Dogeared
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          #5
          AW: [DE, CH, FR] Bodensee - Mittelmeer. Eine kleine Radtour nach dem Zivildienst

          Hej!

          Eine wirklich schöne Tour und ein toller Bericht!
          Ich war auch gerade in Süd-Frankreich unterwegs - es ist einfach schön da unten!
          Hike My Hike, Damn it!
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          • Memento89
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            #6
            AW: [DE, CH, FR] Bodensee - Mittelmeer. Eine kleine Radtour nach dem Zivildienst

            @Uli: Vielen Dank! Ein kleiner Ratschlag zum Ventoux: Am besten nur sehr wenig Bares einpacken, sonst wird man am Süßigkeitenstand auf dem Gipfel arm
            Die Wanderung hört sich interessant an - werd ich mir auf jeden Fall mal vormerken!

            @Dogeared: Merci! Warst Du auch mit dem Radl unterwegs? Schön ist es definitiv, allerdings habe ich mit den Temperaturen dort meistens so meine Probleme. Mir ist's hier in Tübingen eigentlich schon zu warm Aber landschaftlich und von den Menschen her auf jeden Fall super!

            Viele Grüße,
            Frieder (der sich schon auf die katabatischen Winde in Grönland freut)
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