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„Ich weiß, ob das hier was für Dich ist, absolut ländlich, längst nicht Deinem verwöhnten Geschmack entsprechend.“
Hermann Löns, 1901
12. April 2024
Wieso geht es hier rauf und runter, wie es die Beskiden kaum besser können? Und warum war ich nicht im Sommer mit Sommerschlafsack und Leicht-Isomatte losgefahren, sondern mit "großem Gepäck" Mitte April? Nun war es zu spät.
Ein Jobwechsel hatte mir drei freie Tage beschert, eine gute Gelegenheit also, die To-Do-Liste etwas zu kürzen. Schon vor langem hatte ich mir den Heidschnuckenweg vorgenommen; zum Erwandern schienen mir aber zu viele lange öde Verbindungspassagen enthalten zu sein, so dass ich mich für das Fatbike entschied.
Was ich wohl übersehen hatte, dass gleich die Fischbeker Heide mein mit mageren sieben Gängen ausgestattetes Fatbike an die Grenze brachte. In echter Beskiden-Manier konturierte der Wanderweg nicht an den Höhenlinien entlang, sondern schnitt sie streckenweise mit größtmöglicher Brutalität in gerader Linie. Nicht nur ich war überrascht, sondern auch ein Pärchen mit Kinderwagen. Aber es ließ sich nicht leugnen, dass die Fischbeker Heide – ein langgestrecktes Trockental mit üppiger Besenheide-Population in der Senke – etwas hermachte.
Dafür bestätigte sich danach meine Prognose langer öder Verbindungsstrecken, die man sich natürlich auch als „Erholungsabschnitte“ schönreden kann. „Action“ gab es erst wieder in Langenrehm, wo sich ein Gastwirt diversen Krempel nach Art eines Freizeitparks in den Garten gestellt hatte. Unter anderem Dampflok der Baureihe 50 aus DDR-Beständen.
Kurz darauf folgte das „Großsteingrab Emsen“, von dem aber nicht mehr viel übrig war, weil die Steine als Baumaterial begehrt waren.
Bei der Abfahrt nach Emsen tat es plötzlich einen mächtigen Schlag am Hinterrad, und die ohnehin schon prekäre Bremsleistung meines China-Imports verringerte sich um die Hälfte. Nach eingehender Betrachtung war klar: Dieser Bremssattel war nicht mehr zu retten. Die Rückstellfeder drohte die Kappe bei nächstbester Gelegenheit wieder abzuwerfen. Der nächste Fahrradladen war in Buchholz. Ich ließ den Heidschnuckenweg Heidschnuckenweg sein, und begab mich auf kürzestem Weg nach Buchholz in der Nordheide, was ohne Schnörkel zum Glück nur neun Kilometer waren.
Den Fahrradhändler erreichte ich um kurz nach vier. Einen passenden Bremssattel hatte er, aber ihn zu montieren … wie wäre es nächste Woche? Mein Blick verriet ihm offenbar, dass ich das nicht für eine gute Idee hielt, und er bot mir dann an, dass ich mein Rad vor der Werkstatt selbst reparieren könnte, und dafür auch sein Werkzeug benutzen dürfte. Das erschien mir fair genug. Nachdem ich meinen kunstvoll angepassten Gepäckträger etwas verschoben hatte (dieser Arbeitsschritt dauerte am längsten), fand der neue Bremssattel auch genügend Einbauraum. Und, was soll ich sagen? Am Hinterrad ist seitdem tatsächlich eine ordentliche Bremsleistung zu verspüren. Für die Reifen gab es noch Dichtmilch, denn während meines Boxenstopps hatte sich auch noch Luft aus dem Vorderrad verabschiedet. 73 Euro ärmer und gut eine Stunde später verließ ich Buchholz wieder auf dem Heidschnuckenweg.
An mein geplantes Tagespensum von 50 bis 60 Kilometern war natürlich nicht mehr zu denken. Ich schaffte es noch zum Pferdskopf und zum Büsenbachtal, wo wieder etwas Heidelandschaft und ein kleines Moor aufgebaut worden waren.
Dann verschluckte der Wald mein Fahrrad, mein Zelt und mich selbst nach geradezu peinlich wenigen 35 Kilometern.
13. April
Der Morgen begrüßte mich mit blauem Himmel, so wie ich es für die „Königsetappe“ über den Wilseder Berg gebucht hatte. Aber erst einmal erwarteten mich lange Geraden durch den Wald. Aufheiterung bot nur ein Kamelhof, ausgerechnet am „Höckeler Weg“. Dit kannze Dir nich ausdenken.
In Handeloh nutzte ich den örtlichen Discounter, um meine Vorräte aufzustocken und mir ein zweites Frühstück zu verschaffen. Hier begegnete ich auch zum ersten Mal einer Ausschilderung für den Nord-Süd-Trail. Dass ich von der gewählten Route wenig halte, habe ich hier im Forum ja schon kundgetan, aber von Marketing verstehen die Initiatoren etwas.
Der folgende Wegabschnitt durch das Seevetal konnte sich sehen lassen, der Weg nach Wesel weniger.
Die Schleife an der Weseler Heide schenkte ich mir, um lieber schnell am Einstieg ins klassische Heide-Kerngebiet rund um den Wilseder Berg zu sein. Dort, in Undeloh, gab es erst mal eine Heidschnucken-Bratwurst. Nun, wie soll ich es sagen … sie schmeckte wie eine Bratwurst eben schmeckt.
Hinter Undeloh machte sich das Fatbike bezahlt, jedenfalls dann, wenn man den befestigten Fußweg verlassen und auf die sandigen Wirtschaftswege ausweichen musste. Dafür gab es reichlich Gelegenheit, denn obwohl bestenfalls Vorsaison war, waren doch allerhand Grüppchen und Gruppen zu Fuß unterwegs.
Die Wege zum Wilseder Berg, dem höchsten Berg in der Lüneburger Heide (169 Meter), waren dann wieder befestigt und sogar als Radroute ausgewiesen. Nun ja, wenn man unempfindlich gegen Kopfsteinpflaster und Schotter ist…
Der Gipfel selbst zeichnet sich durch erhöhte Gravitation aus, die nicht nur mich, sondern auch einige andere Gäste dazu zwang, sich für eine halbe Stunde niederzulegen.
Hinter Niederhaverbeck begegnete ich einem äußerst gesprächigen Heidschnuckenschäfer, der sich einen Spaß daraus machte, die vorbeikommenden Touristen nach der Zahl der Tiere in seiner Herde zu befragen und sie dann mit der richtigen Zahl zu verblüffen. Auch ich lag mächtig daneben. 800 Schafe und ein paar Ziegen waren es, nicht 250. Interessant war auch, was er über das Verhalten der Wölfe erzählte: Wenn die Schafe hinter einem Elektrozaun gesichert sind, treiben die Wölfe die Schafe solange hin und her, bis die ersten Schafe den Elektrozaun niedertrampeln. Er selbst hatte noch keine Verluste, aber seine Schafe waren nachts aber auch immer im Stall.
Nach Bispingen schlug ich dann wieder eine Abkürzung an der Straße ein und konnte so das zweifelhafte Schneevergnügen „Snow Dome“ direkt an der Autobahn bewundern.
Dafür ersparte ich mir den offiziellen Weg am Heidepark Soltau vorbei und steuerte auf den Campingplatz Moränasee zu, wo ich von gut gelaunten Besitzern begrüßt wurde. Ich war der einzige Gast mit Zelt, und es war wunderbar ruhig, jedenfalls für Menschen, die sich das Rauschen der Autobahn weghören können. Der Campingplatz verblüffte darüber hinaus mit einer Nasszelle, die auch gut als Wohnzimmer hätte durchgehen können. Erwähnte ich schon, dass meine Reiseberichte zu einem erheblichen Teil im Badezimmer entstanden sind?
14. April
Die abendliche Inventur von „Soll“ und „Ist“ hatte mir erbarmungslos klar gemacht, dass ich nach der desaströsen Kilometerbilanz des ersten Tourtages keine Chance mehr hatte, am dritten Tag stressfrei den Endpunkt Celle zu erreichen. Und eine Urlaubsverlängerung war nicht drin. Der Plan war, möglichst heidschnuckig den Bahnhof Unterlüß anzusteuern.
Am Löns-Stein konnte man nachlesen, dass sich der hochdekorierte Heidedichter im Privaten auch mal abfällig über die Gegend geäußert hat – von dort stammt der Prolog zu diesem Reisebericht. Rund um den Löns-Stein hatte ich auch die letzte Begegnung mit der typischen Besenheide.
Höhepunkt des Tages war der Weg von Müden nach Hermannsburg, der über einige Zeit direkt am kleinen Flüsschen Örtze entlangführt. Es war zwar noch kein T-Shirt-Wetter, aber die sandigen Flussschleifen ließen erahnen, dass hier im Sommer gut baden war.
Hinter Hermannsburg folgte ich noch ein Stück dem Heidschnuckenweg, in Misselhorn wechselte ich dann aber auf die Straße nach Unterlüß. Die übrigens durchgängig von einem separaten Radweg begleitet wird.
Mit dem Metronom-Regionalexpress war ich dann eine Stunde später in Hannover.
24. August 2024
Ein erneuter Aufenthalt in Hannover verschaffte mir die Gelegenheit, das Thema „Heidschnuckenweg“ abzuschließen. Diesmal war das „Reserverad“ am Zug, ein mittelgutes Trekkingrad zweistelligen Alters.
Der Metronom brachte mich pünktlich (!) wieder nach Unterlüß, wo ich diesmal dem offiziellen Heidschnuckenweg folgte. Der oszillierte bis zur Misselhorner Heide auf Waldwegen um die große Landstraße zwischen Hermannsburg und Unterlüß, war aber selbst mit meinem mittelguten Trekkingrad passabel zu befahren.
Natürlich besuchte ich den Gauß-Stein ein paar Meter abseits. Wer auf unterhaltsame Weise erfahren will, warum Carl-Friedrich Gauß so wichtig war, sollte „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann oder den zugehörigen Spielfilm sehen. Der „Gauß-Stein“ war eine der Stationen für die Landesvermessung; den heutigen dichten Wald rundum gab es 1828 ganz offensichtlich noch nicht.
Der scheinbare Umweg zwischen Neu-Lutterloh und Lutterloh brachte dann die erste Berührung mit „Heide“ – zwar nur ein kleines Areal, aber in August-typischer Blüte. Das hatte ich bei der Terminplanung nicht im Auge gehabt.
Spätestens bei der Annäherung an den Wanderparkplatz Misselhorner Heide wurde mir aber klar, dass ich zwar die schönste Reisezeit für die Lüneburger Heide erwischt hatte, aber eben auch die Hauptsaison, wie es haupter kaum geht. Die Misselhorner Heide ist zwar im Grund nur ein 100 bis 200 Meter breiter, aus dem Wald ausgestanzter Heidestreifen, aber eben auch eine der wenigen Heideflächen südlich von Soltau. Dementsprechend war der Andrang. Zum Glück ist der Homo migrans automobilis vulgaris ein eher fußlahmer Geselle, der nach dem Erreichen eines instagrammatikalischen Ortes wieder den Rückweg antritt.
Ich begegnete im weiteren Verlauf des Tages neben einigen Tageswanderern auch bestimmt zwei Dutzend Schrankwanderern, und das trotz ungeeigneter Temperaturen von leicht über 30 Grad. Als Radfahrer blieb ich auf den Abschnitten, die nicht zugleich Radroute waren, aber allein. Selbst die Pedelec-Mountainbiker scheuten sich anscheinend davor, ihren Rädern artgerechtem Auslauf zu gewähren.
Nach der Misselhorner Heide folgte ein ereignisarmer Ritt auf schnurgeraden Forstwegen bis zum Angelbecksteich. Das für diese Gegend völlig untypische Gewässer ist ein Kind des großen Waldbrands in der Lüneburger Heide 1975 und im Grunde als Löschteich angelegt worden. An den Waldbrand selbst erinnert ein Gedenkstein auf der Heidefläche oberhalb des Teichs.
Einer der wenigen Bäume, der den Waldbrand 1975 überlebt hat.
Die letzten 30 Kilometer sind eigentlich keine Erwähnung wert. Auf öden Wald- und Feldwegen geht es ziemlich direkt nach Celle, immerhin bis zum Bahnhof mit relativ geringem Asphaltanteil. Dann schließt sich noch der Abschnitt bis zum Schloss an, der naturgemäß durch die Stadt führt.
Eher ein Schmunzeln zauberte mir der Blick von der Brücke über die Aller auf die Justizvollzugsanstalt Celle auf die Lippen. Das „Celler Loch“ von 1978 war eine der großen Räuberpistolen rund um die RAF. Dass es inzwischen sogar ein Denkmal einer zur Selbstironie fähigen Justizverwaltung gibt, habe ich aber übersehen.
Die Rückfahrt trat ich mit einem Retro-Express an.
Fazit: Wer wegen der Heide den Heidschnuckenweg wandern will, sollte im Norden beginnen. Bei einem Start in Celle würde sich auf den ersten 30 Kilometern Frust breitmachen. Und wer sich wirklich nur für die Heidelandschaft interessiert, kann eigentlich schon in Soltau, spätestens aber in Hermannsburg Schluss machen.
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