[IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

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  • Perc
    Erfahren
    • 10.04.2008
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    • Privat

    • Meine Reisen

    [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

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    Warme Worte

    Meine ersten zaghaften Schritte in Island fanden als Teil eines Trios im Juni 2010 statt. In der Wahl unseres Reiseziels waren wir wegen Vorsaison und noch nicht fahrender Busse etwas eingeschraenkt. Das ODS Forum hatte damals schon mit tollen Tipps geholfen, und wir waren so in der Lage, uns eine Tour fuer unsere etwas speziellen Beduerfnisse zusammenstricken zu koennen. Der Bericht zu jener Tour ist auch hier im Forum zu finden.

    Zwei Jahre spaeter waren wir dann bereit es noch einmal drauf ankommen zu lassen, und so startete eine weitere Planungssession im Forum. Kurz zusammengefasst wollte ich zusammen mit einem Freund den Laugavegur laufen, ohne ... tja ... den Laugavegur zu laufen.

    Ueber einige Wochen habe ich im Internet recherchiert und schliesslich einige Leute finden koennen, die Empfehlungen fuer Alternativrouten durch den Fjallabak Nationalpark aussprechen konnten. Die Route sollte in Landmannalaugar starten und Uebernachtungen bei Hattver und Strutslaug beinhalten, bevor es weiter ueber die Piste F210 auf den Laugavegur zwischen Hvanngil und Thorsmoerk gehen sollte.

    Die Hoffnung lag darin, so zumindest fuer einen Teil der Strecke die Schoenheit des Fjallabak Nationalparks abseits der Wanderautobahn geniessen zu koennen, ein Stueck Wuestenpiste mitzunehmen und wenn wir schon dabei sind gegen Ende dann nur noch entspannt und stressfrei den eigentlichen Laugavegur geniessen zu koennen. Das Beste aus allen Welten des Wanderns, sozusagen.

    Nachdem ich 2010 mit meiner Planung aufgrund von Zufaellen und zu ambitionierter Planung trotz einer schoenen Tour etwas auf die Nase gefallen war, stand nun ein zweiter Versuch an. Ich konnte nur hoffen, es dieses mal ein wenig besser hinzubekommen.

    Es war einmal ...

    Donnerstag, 9.8.2012 – Tag 1


    Sexy Anfahrt mit Hekla

    Die Zeltstadt bei Landmannalaugar gruesste uns nach einer – zumindest fuer Busverhaeltnisse - recht attraktiven Anreise als bizarre Mischung aus Everest Basecamp und Fluechtlingslager. So atemberaubend schoen die Landschaft drumherum sein mag, ist Landmannalaugar doch nur Mittel zum Zweck. Wir waren jedenfalls recht froh darueber, von hier direkt auf unsere erste Halbtagesetappe starten zu koennen.


    Noch nicht mal losgelaufen und schon kaputtes Material

    Aber was Rede ich schlecht ueber Landmannalaugar, schliesslich konnten wir uns vom Personal ein Set mit Werkzeug schnorren. Nach einer enorm fordernden Anreise per Flieger und Bus hatte sich Spits Rucksack naemlich ueberlegt, einfach einmal spontan auseinander zu fallen. Ein Glueck, dass uns das so frueh auffiel – der ganze Rucksack hing schief und war nicht vernueftig einzustellen. Zu einem spaeteren Zeitpunkt waer die Auswahl an Werkzeug deutlich geringer ausgefallen und Spit haette sein Handgepaeck in afrikanischer Manie auf dem Kopf balancieren duerfen. Schwein gehabt!


    Startschuss, go go go

    Wir waren direkt nach dem Startschuss sehr ueberrascht zu sehen, wie schnell der Zirkus in Landmannalaugar hinter uns fiel. Durch das Bett des Joekulgilskvisl Richtung Suedosten laufend liessen wir schon nach 15 Minuten die letzten Vorposten der Zivilisation hinter uns und waren ganz unter uns.
    Mit der Landschaft hingegen taten wir uns recht schwer – wenn ich heute darueber nachdenke, ist das immer noch der Fall. Waehrend ich hier sitze und schreibe und an diese unirdischen, erodierten Flusstaeler und Huegel denke, ueberkommt mich ein Gefuehl von ... von totaler Andersartigkeit. Es ist einfach so schwer in Worte zu fassen.


    Wandern wie ein Sir

    Ich wandere recht viel und mein Sinn fuer Groessen, Proportionen und Distanzen war hier vollkommen wertlos. Huegel wirkten doppelt so gross, wie sie waren. Distanzen schrumpften ploetzlich zusammen oder dehnten sich subjektiv in die Laenge. Kurz gesagt waren wir auf dem Planeten Island gelandet und in voelliger Ekstase. Was fuer ein wunderbares Land das alle bekannten Dimensionen zu sprengen scheint.


    Der erste Anstieg mit Blick zurueck auf Landmannalaugar


    Huegel No 1 bezwungen

    Die naechsten vier Stunden liefen wir auf dem Grat einer Huegelkette auf einem markierten Weg zum Skalli und von dort weiter nach Hattver. Vor der Reise hatte ich das Schicksal um wenigstens einen schoenen Tag mit ordentlicher Sicht gebeten und mein Wunsch wurde direkt auf jener ersten Etappe erfuellt. Die Reise liegt nun schon eine ganze Weile hinter mir und seit ich 2010 nach Neuseeland gezogen bin ... also sagen wir mal, dass ich ein wenig verwoehnt in Bezug auf attraktive Landschaft bin.


    Ice, ice baby


    Unser Ausblick fuer Stunden

    Nichts, was ich in den Jahren in Neuseeland gesehen habe, haette mich auf den Blick vorbereiten koennen, den wir auf das Tal bei Hattver bekamen. Bis zum heutigen Tag ist jenes Tal mit seinen Huegeln, die so sehr an geschmolzenes Karamell erinnern, fuer mich der schoenste Ort, den ich je das Glueck hatte sehen zu duerfen.


    Toffee Mountains

    Ich koennte hier endlos weiterreden und das Bild wuerde den Gesamteindruck dennoch unzureichend vermitteln. Hattver wird fuer immer einen Platz in meinem Herzen haben. Was fuer eine herzzerreissend schoene Landschaft. Keine vier Stunden in diesen Trip hatte das Schicksal schon geliefert. Danke!


    Abstieg in das Tal aus Karamell


    Runter, runter, runter


    Gratwanderung

    Als wir uns von diesem emotional positiven Schock erholt hatten, stiegen wir schliesslich Richtung Hattver ab und fanden nach einiger Sucherei schliesslich die online angepriesene Wiese. Dazu sei gesagt, dass ich mir bewusst bin, dass wildes Zelten im Fjallabak eigentlich verboten ist. Diverse Quellen versicherten mir aber, Camping wuerde aufgrund des Mangels an Alternativen bei Hattver jedoch toleriert. Es gibt sogar registrierte Tourbetreiber und Wandervereine, die hier mit dem Segen der Parkverwaltung zelten. ‘Leave only your footprints’ ist fuer die Meisten hier sicher Teil der eigenen Outdoorphilosophie, und so haben wir’s natuerlich ebenfalls gehandhabt.


    Farbschock

    Nach einer leckeren gefriergetrockneten Mahlzeit konnte ich schliesslich ueber all die kleinen Wunder nachdenken, die wir auf dieser kurzen Etappa schon hatten erleben duerfen. Zischende, geothermal aktive Spalten, ein geschmolzenes Tal, unnatuerliche Farbkontraste und nicht zuletzt ein unvergleichliches Gefuehl von erhebender und erhabener Einsamkeit. Das mag alles etwas dramatisch klingen, aber mein Gott, was fuer ein Land. Sonst bin ich eigentlich nicht so ruehrselig.


    Hotel Hattver

    Abseites poetischer Gefuehleduselei hatte Spit leider mit ganz irdischen Problemen in Form von Blasen an den Fuessen, Schmerzen in den Beinen und Erschoepfung zu kaempfen. Die Gelegenheiten sich in den Grosstaedten der rheinischen Tiefebene auf solch einen Trip vorzubereiten, sind ja leider etwas beschraenkt.


    Weiss jemand, wie die Pelzblumen heissen?

    Mit Hoffnung auf baldige Verbesserung schlummerten wir schliesslich friedlich zum Plaetschern des Joekulgilskvisl ein.


    Wie immer: Pasta a la Chef


    .... to be continued
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    Landschaftsfotografie aus Neuseeland und dem Rest der Welt

  • dingsbums
    Fuchs
    • 17.08.2008
    • 1503
    • Privat

    • Meine Reisen

    #2
    AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

    Zitat von Perc Beitrag anzeigen

    Weiss jemand, wie die Pelzblumen heissen?
    Wollgras. Und ich kann mich daran nie sattsehen, bin immer wieder begeistert. Schöner Start, freue mich auf den weiteren Bericht.

    Kommentar


    • BohnenBub
      Erfahren
      • 15.09.2012
      • 294
      • Privat

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      #3
      AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

      Sehr attraktive Ecke!

      Kommentar


      • Atze1407
        Fuchs
        • 02.07.2009
        • 2425
        • Privat

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        #4
        AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

        Ich weiss bisher eigentlich nicht so richtig, was den Leuten immer so in den Norden Europas treibt. Aber wenn ich mir diese Fotos von dieser Landschaft ansehe, kann ich es so langsam verstehen. Es sind wunderschöne Aufnahmen. Ich glaube, ich muss da wohl auch mal hin, um mich vom Virus der Einsamkeit sowie der Schönheit Islands und generell Skandinaviens anzustecken lassen, und um es zu verstehen.

        Ich hoffe es geht hier bald weiter.

        LG
        Atze
        Wenn du den Charakter eines Menschen kennenlernen willst, gib ihm Macht.
        Abraham Lincoln

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        • BohnenBub
          Erfahren
          • 15.09.2012
          • 294
          • Privat

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          #5
          AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

          Zitat von Atze1407 Beitrag anzeigen
          Ich glaube, ich muss da wohl auch mal hin, um mich vom Virus der Einsamkeit sowie der Schönheit Islands
          Einsam ist es da nun leider gerade nicht. Wunderschön aber ohne jeden Zweifel.

          Kommentar


          • evernorth
            Fuchs
            • 22.08.2010
            • 1839
            • Privat

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            #6
            AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

            Da habt ihr euch ja eine feine Ecke in Island ausgesucht.
            Feine Gratwanderung - das gefällt mir gut.
            Hach, ich könnte schon wieder losfahren.....Island...ich komme sicher
            noch einmal wieder.
            My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

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            • Perc
              Erfahren
              • 10.04.2008
              • 119
              • Privat

              • Meine Reisen

              #7
              AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

              Zitat von BohnenBub Beitrag anzeigen
              Einsam ist es da nun leider gerade nicht. Wunderschön aber ohne jeden Zweifel.
              Wir haben die ersten 2,5 Tage niemanden gesehen, von einer Huette mal abgesehen. Sobald man allerdings auf die F210 oder den Laugavegur stoesst, sieht das natuerlich anders aus. Aber dazu in den naechsten Tagen mehr

              Zitat von dingsbums Beitrag anzeigen
              Wollgras. Und ich kann mich daran nie sattsehen, bin immer wieder begeistert. Schöner Start, freue mich auf den weiteren Bericht.
              Danke, macht Sinn, der Name
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              • Holzfuss
                Gerne im Forum
                • 09.04.2013
                • 57
                • Privat

                • Meine Reisen

                #8
                AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                Wirklich schöne Fotos!

                Ich kanns kaum erwarten wieder nach Island zu fahren...

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                • peter-hoehle
                  Lebt im Forum
                  • 18.01.2008
                  • 5175
                  • Privat

                  • Meine Reisen

                  #9
                  AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                  Danke für den schönen Anfang.
                  Die Bilder sind wunderschön.
                  Da bekommt man gleich Fernweh.

                  Gruß Peter
                  Wir reis(t)en um die Welt, und verleb(t)en unser Geld.
                  Wer sich auf Patagonien einlässt, muss mit Allem rechnen, auch mit dem Schönsten.

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                  • Perc
                    Erfahren
                    • 10.04.2008
                    • 119
                    • Privat

                    • Meine Reisen

                    #10
                    AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                    Vielen Dank an euch alle, weiter geht's:

                    Freitag, 10.8.2012 – Tag 2

                    Vor uns lag die Bestie. Der Tag, auf den der Grossteil der Vorplanung entfallen war. Die Frage war: Wie zum Teufel kommt man von Hattver hinunter zum Strutslaug? Ich habe zu dieser Frage keinerlei deutsch- oder englischssprachige Tourenberichte finden koennen, keine Infos in Wanderbuechern und nur den freundlichen Hinweis aus dem ODS Forum, sehr vorsichtig mit der Annahme zu sein, eine gestrichelte Linie auf der Karte bedeute, dass es dort auch tatsaechlich so etwas wie eine bewiesene Route gaebe.


                    Flussbettrallye am fruehen Morgen

                    Irgendwann habe ich einen franzoesischsprachigen Reisebericht finden koennen, der eine Route auf eben jenem Abschnitte beschrieb. In Ermangelung von Franzoesischkenntnissen habe ich mit einer Holterdipolter Uebersetzung von Google Translate arbeiten muessen, was letztlich aber gut genug war. Ich fand dann irgendwann auch einen anderen Deutschen, der ein paar Worte beisteuern konnte.

                    Die Routenbeschreibung der Franzosen war leider sehr vage, weshalb ich kurzerhand mit dem Autor Kontakt aufnahm. Was dann folgte, schien zunaechst recht amuesant. Man bat mich naemlich einen kleinen Aufsatz ueber meine Wandererfahrung, Fitness, Erfahrung mit Routenfindung und einige andere Dinge zu schreiben. Wie man mir dann schnell erklaerte, hatte die Bitte einen durchaus ernsten Hintergrund.

                    Als die Gruppe des Autors in der Region unterwegs war, stiess er zufaellig auf eine kleine Wandergruppe nebst Bergfuehrer. Die gefuehrte Gruppe befand sich auf einer Hattver – Strutslaug Querung und war so freundlich, die Franzosen mitzunehmen.

                    Wie die Jungs erzaehlt bekamen, sollen die Probleme wohl schon mit der Querung des Joekulgilkvisl starten. Dabei sind Wetter (Regen = Querung nicht moeglich), zuviel Sonne (Schmelzwasser = Querung nicht moeglich) und die generelle Tendenz der Region zu beruecksichtigen, sich in recht ueberschaubaren Zeitraeumen massiv zu veraendern. Die Karten bilden die Vielzahl an kleinen Taelern mit Haupt- und Nebenlaeufen im Massstab 1:100k nur unzureichend ab. Hinzu kam, dass der Autor schon einmal ein GPS Log weitergereicht hatte. An einem Tag mit schlechtem Wetter konnte der Empfaenger des Logs dann die vermeindliche Furt nicht finden. Er querte letztlich an der falschen Stelle und stieg auf einen beliebigen Huegel. Der arme Kerl segelte daraufhin dutzende Meter auf seinem Hosenboden nach unten und entschied, es doch besser bleiben zu lassen.

                    Wie sich spaeter herausstellte, war das eben jener Deutsche, mit dem ich zuvor schon gesprochen hatte. Unser franzoesischer Autor hatte also kurz gesagt keinerlei Beduerfnis an einem menschlichen Drama Schuld zu sein. Deshalb die kleine Befragung.

                    Als ich den Test dann irgendwann bestanden hatte, musste ich noch ein Versprechen abgeben: Eben jene Strecke nicht an Dritte weiterzugeben. Wie er erfuhr sei die Region oekologisch sehr empfindlich und wuerde keine Massen an Durchreisenden verkraften. Unser Island soll schoen bleiben usw.
                    So versprach ich im Austausch gegen Informationen die genaue Streckenfuehrung fuer mich zu behalten. Bitte habt also Verstaendnis, wenn der Streckenverlauf nur sehr vage beschrieben ist. Ehrlich gesagt war auch ich letztlich nicht im Stande, die Strecke nachzulaufen und musste mich auf mein eigenes Urteil verlassen. Ich bin sicher, dass es der naechsten Gruppe dort nicht anders ergehen wird. Bei allem anderen als idealen Bedingungen wuerde ich empfehlen es besser sein zu lassen.


                    Das Bild schlaeft unter dem Titel 'Gates of Moria' auf meiner Festplatte

                    Vor uns lag an jenem zweiten Tag eine recht lange Etappe von geschaetzten 15km, mehrere Flussquerungen und etliche Auf- und Abstiege in absolut unzureichend kartografiertem Gelaende. Nach einem recht spaeten Start in den Tag liefen wir ein Stueck an einem der vielen Fluesse entlang und starteten mangels Publikum eine sexy Unterhostenparty mit einer Vielzahl an amuesanten Querungen. Der Wasserstand war am Morgen mangels Regen und vor der nachmittaeglichen Schmelze niedrig genug um gut durch das knietiefe Wasser zu waten.

                    Damit waren dann auch die Alternativplaene B und C hinfaellig, die verschiedene Routen ohne Querungen zurueck zum Laugavegur beinhalteten.


                    Hier sieht man ganz wunderbar, warum wir so oft durch's Wasser durften

                    Haetten wir bei den Querungen an jenem Tag ein Publikum gehabt, es haette sich beschaemt abgewandt oder vor Lachen weggeschmissen. Zwei Deutsche in Unterhosen, die schreiend durch’s Wasser waten. Die ersten fuenf Sekunden waren meist ueberraschend warm. Danach wurde das Wasser graduell eisiger und die Zehen zunehmend tauber. Auf der anderen Seite angekommen dachten wir dann immer, dass unsere Beine jetzt nun aber wirklich schmerzhaft kalt seien.

                    Wir haetten nicht weiter daneben liegen koennen.

                    Denn so richtig fies wurde es erst ein paar Sekunden nach Landgang. Scheinbar braucht das Nervensystem ein paar Sekunden um mit dem Schock klar zu kommen oder etwas in der Art. Ich bin kein Arzt. Ich kann nur sagen, wie es sich anfuehlte. Es folgte eine Welle eisigen Schmerzes in den Beinen, die uns jedes Mal laut aufschreien liess. Das wiederum animierte den jeweils Anderen zu boesartig hysterischem Gekicher – wohlwissend dass man selbst kurz darauf faellig war.

                    So ging es dann die naechsten 1-2 Stunden. Unterhosen, Schmerzensschreie, hysterisches Gekicher voller Schadenfreude. Dazu gibt es uebrigens ein wunderbares Video, das ich jedoch nicht posten werde. Ich bin nicht wild darauf den Rest meines Lebens ueber meine Schulter schauen zu muessen.


                    Gipfelstuermer

                    Der Stimmung wurde dann etwas durch die zu erwartenden Probleme mit der Streckenfuehrung getruebt. Von der beworbenen knoecheltiefen Furt war auf der gespeicherten Koordinate nichts zu sehen und der Fluss hatte seit der franzoesischen Expedition sein Bett scheinbar so drastisch veraendert, dass wir etliche Male queren mussten. Der Fluss wandt sich von linker Steilwand zu rechter Steilwand. Wir hatten keine Chance umher zu laufen.


                    Wind so: Pust, pust!

                    Waehrend dies nur unangenehm war, war es weit bedenklicher, dass ich die zwei bis drei Seitentaeler auf der Karte absolut nicht mit dem halben Dutzend Taelern auf dem harten Boden der Realitaet in Einklang bringen konnte. Wir waren mit der Absicht aufgebrochen uns sklavisch an die empfohlenen Furten und Anstiege zu einem weiten Hochtal zu halten. Rueckblickend haette ich mir die ganze Vorbereitung dann auch sparen koennen. Die Landschaft dort veraendert sich tatsaechlich so schnell, dass selbst die Ranger ihre Probleme bei der Navigation haben, wie man mir spaeter erzaehlte.


                    Spit so: Lach, lach

                    Irgendwann reichte es mir dann und wir entschieden auf den naechsten Huegel zu steigen um eine bessere Uebersicht zu bekommen. Zu unserem Glueck war es ein klarer Tag mit guter Sicht und so konnte ich mit etwas Kartenarbeit irgendwann am Horizont eines unserer Etappenziele ausmachen. Das Problem war nur, dass wir, um dort hinzugelangen, mehrere Huegel und Taeler mit Fluessen zu queren hatten. Was fuer ein Labyrinth!


                    Einer bezwungen, 89 to go

                    Navigatorisch hatten wir von nun an keine Probleme mehr, aber wir brauchten fuer jenen Teilabschnitt ein vielfaches der veranschlagten Zeit. Spit hatte immer noch Probleme mit seinen Beinen und das staendige auf und ab half nicht eben dabei, die Situation zu verbessern.

                    Irgendwann kamen wir dann bei den blauen Bergen von Prengsli vorbei. Was fuer total abgefahrene Farben! Leider waren wir in den Mittagsstunden dort und die Sonne war so grell, dass wir keine vernuenftigen Fotos hinbekommen haben. Schade!


                    Blaugruen

                    Vor dem Aufstieg in Richtung besagten Hochtals lag noch ein letztes Hindernis vor uns – der reissendste Bach von allen. In einem Tal das von zwei engen Felswaenden begrenzt war, blieb uns nur ein Abschnitt von vielleicht 100m fuer die Querung. In ein recht enges Bett gezwungen, hatte der Bach sich tief eingegraben und schaeumte angriffslustig vor sich hin. Ich erlaubte mir hier auf der Suche nach alternativen Querungsmoeglichkeiten den Spass, zurueck auf einen der Huegel zu klettern. Oben angekommen fand ich dann statt einer besseren Stelle fuer eine Querung etwas ziemlich eigenartiges.


                    Kurz bevor das Bein verschwand

                    Mein linkes Bein verschwand ploetzlich an einer Stelle, die genau so nach vertrockneten Steinchen aussah, wie die 20 Quadratkilometer drumherum. Als ich mich befreit hatte, klebte eine eiterartige, klebrige, weiss-gelbe Masse an meinem Bein. Man stelle sich vor, man tauche sein Bein in einen Dany mit Sahne, Geschmacksrichtung Vanille. So sah mein Bein aus. Ich habe absolut keine Ahnung, was mir da passiert ist, und ein Teil von mir hofft, es niemals zu erfahren.


                    Kunstrasen

                    In Ermangelung von Alternativen entschieden wir uns dann an der am wenigstens furchteinfloessenden Stelle zu queren. Ich startete nur mit meinen Stoecken bewaffnet auf einen Erkundungstrip. Die Querung war grenzwertig, mit schaeumendem Wasser bis zum Oberschenkel und starken Unterstroemungen, die recht unsanft an meinen Fuessen zogen. Mit ein wenig Vorsicht, drei Punkten Kontakt zu jeder Zeit, Gesicht stromaufwaerts und in einer diagonalen Linie querend war es dann doch irgendwie machbar.

                    Spit, der zu diesem Zeitpunkt seinen Leistungszenit schon hinter sich gelassen hatte, brach seinen Querungsversuch schliesslich ab. Uns trennen ein paar vertikale Zentimeter und bei recht wildem Wasser kann das schon den Unterschied zwischen ‘unangenehm’ und ‘bin ich lebensmuede oder wie?’ ausmachen. Bei einem zweiten Versuch kamen wir dann als Tandem im Einhakverfahren recht stabil rueber. Wir hatten letztlich Glueck. Haette das Wasser 10cm hoeher gestanden, haetten wir doch auf Plan B zurueckgreifen muessen.


                    Farbwechsel

                    Als wir dann nach dem uns langsam so vertrauten Trocknungsritual schliesslich auf den Gegenhuegel kletterten, fing der Wind an deutlich aufzufrischen. Wir hatten das staubige Labyrinth hinter uns gelassen. Vor uns lag nun weites, offenes Terrain entlang breiter, staendig sanft ansteigender Bergruecken. Sandige Farbtoene wichen langsam dem Pechschwarz erkalteter Lava. Ein paar dunkle Wolken zogen auf, Windboen peitschten Sand in unsere Augen. Von tanzenden Staubteufeln gejagt schalteten wir mit Sonnenbrille und Tuechern verhangen auf Beduinenmodus.


                    Steife Brise

                    Als wir schliesslich auf einem mossbewachsenen Hochtal den Mittelpunkt der Etappe erreicht hatten, fuehlte Spit sich ziemlich ausgelutscht. Kein Wunder, schliesslich hatte jene Haelfte so lange gedauert, wie ich fuer die gesamte Strecke veranschlagt hatte. Wir sprachen kurz darueber, dort einen unserer Reservetage einzubauen und es gut sein zu lassen, aber Spit wollte vom Ehrgeiz gebissen weiterlaufen. Harte Sau! Mein Akku mag ein wenig laenger laufen, aber wenn er leer ist, hab ich keinen Bock mehr.


                    Neongruene Mossbetten. Boing Boing

                    An jenem Punkt war Navigation kein Problem mehr, man konnte zu jedem Zeitpunkt die naechsten 1-2 Stunden deutlich vor sich sehen. Der Mangel an weiteren Ueberraschungen wurde durch ein Uebermass zu bewaeltigender Laufstrecke ausgeglichen. Es ging hoeher und hoeher das Tal hinauf. Schwarze Haenge, leuchtend gruenes Moss, verrueckte kleine braun-rote Quellen die hier beginnen und dort versacken. Einfach ein generelles Uebermass an Farbkontrasten, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte.


                    Komisches Zeug blubbert aus dem Boden

                    Etwa neun Stunden in unseren Tag waren wir schliesslich am hoechsten Punk an einem schwarzen, ausgetrockneten See angekommen. Vor uns lagen etliche zu durchquerende Taeler. Die Szenerie wurde nun entgueltig von schwarzem Lavageroell mit einigen gruenen Farbtupfern dominiert und setzte damit den Standard fuer die folgenden Tage.


                    Namenloses Hochtal: Blick zurueck zum Fjallabak

                    Eine Stunde spaeter war dann auch mein Akku leer. Der staendige Wind, nassgeschwitzte Kleidung unter der unverzichtbaren Windjacke und der Mangel an einer ordentlichen, ausgedehnten Mittagspause hatten ihre Spuren hinterlassen.


                    Holmsabotnar

                    Es war mir ein Raetsel, wie Spit es so weit geschafft hatte, da er schon vor etlichen Stunden an jenem Punkt angekommen war. Fuer eine ganze Weile war er erstaunlicherweise richtig gut drauf. Irgendeine Druese hatte alle Pforten geoeffnet.


                    Der hoechste Punkt des Tages am linken Bildrand

                    Wir hatten nur noch unser Etappenziel vor Augen und rannten wie Zombies in den immer staerker auffrischenden Wind. Die letzte Stunde konnten wir zum Glueck einem Trampelpfad folgen und waren wenigstens nicht kognitiv gefordert. Nicht, dass da noch viel zu holen gewesen waere.


                    Sydri-Oefaera


                    Formen und Farben wohin das Auge blickt

                    Nach fast 12h auf der Piste, irgendwas zwischen 18 und 21km Strecke, zig schmerzhaften Bach- und Fluessquerungen und nicht unerheblichen navigatorischen Herausforderungen kamen wir schliesslich kurz vor Sonnenuntergang mit unseren Kraeften am Ende am Strutslaug an.


                    Der suesse Duft des Sieges: Spit wittert unser Etappenziel


                    Letztes Hindernis

                    Vom Rest weiss ich nicht viel zu erzaehlen. Zeltaufbau. Essen. Schlafen. Grundbeduerfnisse befriedigen. Kein Raum mehr fuer etwas anderes.


                    Geschafft. In jeglicher Hinsicht.
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                    Landschaftsfotografie aus Neuseeland und dem Rest der Welt

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                    • Ruckie
                      Anfänger im Forum
                      • 23.10.2011
                      • 21
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                      • Meine Reisen

                      #11
                      AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                      Danke schon mal für deinen Bericht. Er verkürzt mir die Zeit und steigert die Vorfreude. In 7 Wochen geht es endlich los.

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                      • Chouchen
                        Freak

                        Liebt das Forum
                        • 07.04.2008
                        • 20009
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                        • Meine Reisen

                        #12
                        AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                        Ich gebe zu, ich habe den Text bisher nur überflogen und hauptsächlich die Bilder angesehen. Die sind aber erste Sahne!
                        "I pity snails and all that carry their homes on their backs." Frodo Baggins

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                        • Perc
                          Erfahren
                          • 10.04.2008
                          • 119
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                          • Meine Reisen

                          #13
                          AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                          Danke, das ist lieb.

                          Falls euch meine Fotos gefallen, findet ihr hier und hier mehr. Inhaltlich findet ihr da ueberwiegend Landschaftsfotografie aus Neuseeland. Wuerde mich freuen, wenn ihr mich besucht.
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                          Landschaftsfotografie aus Neuseeland und dem Rest der Welt

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                          • evernorth
                            Fuchs
                            • 22.08.2010
                            • 1839
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                            • Meine Reisen

                            #14
                            AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                            Wunderbar - Es geht weiter! Fein, fein.
                            Gute Schreibe ( ein Mann des Wortes, hört, hört ) und sehr eindrückliche Fotos.
                            Tracks of Memory....echt beglückend.
                            My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

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                            • Holzfuss
                              Gerne im Forum
                              • 09.04.2013
                              • 57
                              • Privat

                              • Meine Reisen

                              #15
                              AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                              Sowohl die Fotos hier als auch die aus Neuseeland machen einfach nur Lust den Rucksack zu packen und loszugehen.

                              Freue mich schon auf mehr!

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                              • BohnenBub
                                Erfahren
                                • 15.09.2012
                                • 294
                                • Privat

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                                #16
                                AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                                Der blaue Fels ist ja stark. Ich habe so ein dumpfes Gefühl, dass mich die Ecke in den kommenden Jahren zu sehen bekommt - unsere letztjährige Routenführung lief da ja ganz knapp dran vorbei soweit ich das jetzt nur anhand der Namen und der Erinnerung erkennen kann. Klasse.

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                                • Dieter

                                  Dauerbesucher
                                  • 26.05.2002
                                  • 533
                                  • Privat

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                                  #17
                                  AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                                  Hallo,

                                  Danke für diesen tollen Bericht. Gut beobachtet, vernünftig beurteilt und spannend geschrieben. Weiter so!

                                  Als Ergänzung hier ein atemberaubendes, sphärisches Luftbildpanorama, aufgenommen aus einem Hubschrauber in Position ziemlich genau über dem "blauen Fels" oder wie die Isländer ihn nennen dem "græni hryggurin":

                                  http://www.airpano.ru/files/Iceland-Fjallabak/2-2

                                  Das Bild zeigt nicht nur die wirklich einzigartige Schönheit dieser Landschaft, sondern auch deren Unübersichtlichkeit.

                                  Dieter

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                                  • MatthiasK
                                    Dauerbesucher
                                    • 25.08.2009
                                    • 923
                                    • Privat

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                                    #18
                                    AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                                    Mündet der Weg in diesem Delta unterhalb der "Toffee Mountains" wieder in den Laugavegur? Bin dort mal langgelaufen konnte aber dann keine Markierungen mehr sehen und hatte keine Karte, somit hab ich wieder umgedreht. Würde mich interessieren wie es da weitergeht!
                                    3000 Kilometer zu Fuß durch die österreichischen Alpen

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                                    • Perc
                                      Erfahren
                                      • 10.04.2008
                                      • 119
                                      • Privat

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                                      #19
                                      AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                                      Zitat von Dieter Beitrag anzeigen
                                      Hallo,

                                      Danke für diesen tollen Bericht. Gut beobachtet, vernünftig beurteilt und spannend geschrieben. Weiter so!

                                      Als Ergänzung hier ein atemberaubendes, sphärisches Luftbildpanorama, aufgenommen aus einem Hubschrauber in Position ziemlich genau über dem "blauen Fels" oder wie die Isländer ihn nennen dem "græni hryggurin":

                                      http://www.airpano.ru/files/Iceland-Fjallabak/2-2

                                      Das Bild zeigt nicht nur die wirklich einzigartige Schönheit dieser Landschaft, sondern auch deren Unübersichtlichkeit.

                                      Dieter
                                      Vielen Dank Dieter, wenn man dich in Bezug auf Island unterhalten kann, will das sicher was heissen :-)

                                      Das verlinkte Bild ist der pure Wahnsinn. Ich kann exakt den Weg nachvollziehen, den wir gegangen sind. Ich kann fast den Schotter unter meinen Fuessen knirschen hoeren. Von oben sieht es uebrigens recht einfach aus Ich bin nur froh, dass der Fluss am Fusse des blauen Felsens nicht so viel Wasser gefuehrt hat wie im Bild.

                                      Zitat von MatthiasK Beitrag anzeigen
                                      Mündet der Weg in diesem Delta unterhalb der "Toffee Mountains" wieder in den Laugavegur? Bin dort mal langgelaufen konnte aber dann keine Markierungen mehr sehen und hatte keine Karte, somit hab ich wieder umgedreht. Würde mich interessieren wie es da weitergeht!
                                      Es gibt in der Gegend hier und da Trampelpfade, aber von einem Weg mit Markierungen wuerde ich da nicht reden. Selbst die Wege, die auf meiner Karte eingezeichnet waren, existierten zu weiten Teilen nicht. Genau davor hatte Dieter damals auch gewarnt. Von daher hab ich bei der Planung so getan, als sei da ueberhaupt nichts eingezeichnet. Da draussen musst du irgendwie alleine klar kommen koennen.

                                      Richtung Laugavegur ist kein Weg eingezeichnet. Wenn du immer stur nach Westen die Flusstaeler hinauflaufen wuerdest, kaemst du irgendwann auf den Laugavegur. Ob das aber moeglich ist, ist die andere Frage. Das Gelaende ringsum sieht auf der Karte sehr steil aus. Wo die Fluesse durch Engstellen laufen, sieht es sicherlich nicht gut damit aus, drumherum zu klettern. Ich waere da sehr vorsichtig.

                                      Meine erste Wahl waere es von den Toffee Mountains wieder hoch zum Skalli zu laufen und von dort aus nach Nord/Nordwest. Auf meiner Karte sind da Wege eingezeichnet und das Gelaende sieht auf der Karte wesentlich gemaessigter aus als im Tal. Das war jedenfalls mein Plan B.
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                                      • Perc
                                        Erfahren
                                        • 10.04.2008
                                        • 119
                                        • Privat

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                                        #20
                                        AW: [IS] Fjallabak & Laugavegur - die Odyssee

                                        Samstag, 11.8.2012 – Tag 3

                                        Betreibe ich Geschichtsfaelschung, wenn ich unsere Selbstportraits vom vorangegangenen Abend unterschlage? Vermutlich. Wir sahen grausam aus, am Ende mit der Welt in Spits Fall, ich war ‘nur’ angeschwollen und hatte Rueckenschmerzen.

                                        Manche Leute haben eine eigenartige Vorstellung von Spass. Wir scheinen in die Kategorie zu gehoeren. Was soll’s, das war vermutlich der beste Tag, den ich beim Wandern je hatte. Nicht, dass ich die Schmerzen als solche geniessen wuerde, aber irgendwie waren die eindruckvollsten Erlebnisse immer mit ein wenig Schmerz verbunden – oder ‘verdient’ ist hier vielleicht das bessere Wort. Die haertesten Touren sind mir und meinen Freunden oft am lebhaftesten in Erinnerung geblieben. Hier draussen verdient man sich seine Erlebnisse koerperlich, fuer mich ein befreiender Gegensatz zu meinen sonstigen existenziellen Problemen, die sich durch den Gang ins Buero und den Supermarkt einfach beheben lassen.

                                        Am dritten Tag wachten wir recht frueh auf, weil wir eine recht lange Strecke von 20km durch die Wueste zu bewaeltigen hatten. Es war bewoelkt, nieselig und weder am Morgen noch am Vorabend hatten wir Zeit, die heissen Quellen zu geniessen. Was fuer eine Verschwendung. Hinzu kam, dass wir einen Bekannten von mir am Abend auf dem Laugavegur treffen wollten. Im Urlaub durch die Gegen hetzen war eigentlich nicht Teil des Plans gewesen.


                                        Keine heissen Quellen fuer uns. Sorry!

                                        Spit, der am Vortag mindestens 10km auf seinem Zahnfleisch zurueckgelegt hatte, zog am Morgen mit Todesmut von dannen, um schon nach 20 Minuten die Notbremse ziehen zu muessen. Er hatte am Vortag seine Reserven vollkommen aufgebraucht und hatte nun nichts mehr, woraus er noch schoepfen koennte. Die Beine machten einfach nicht mehr mit. Seine Temperaturempfinden schwankte zwischen Kaelte und Schweissausbruch, manchmal innerhalb von zwei Minuten.

                                        Er versuchte es noch ein Stueckchen in Halbschritten aber nach kurzem Kriegsrat beschlossen wir unsere Verabredung sausen zu lassen und einen unserer Ruhetage einzuschieben. Wir hatten die Option auf einen feuchtkalten Tag im Zelt direkt wo wir standen und einer gemuetlichen, warmen Nacht in einer Huette einige Kilometer voraus.


                                        Der erste Huegel des Tages: Spit auf der Suche nach etwas Waerme

                                        In Aussicht auf etwas Waerme entschieden wir uns fuer den etwas laengeren Weg, was auch direkt die Folgeetappe am naechsten Tag verkuerzte. Im immer wieder aufkommendem Regen und dichtem Nebel navigierten wir mit Karte, Kompass und GPS Richtung Strutursskali. Zu der Huette, die ich in meiner schlauen Liste unter ‘FUER NOTFAELLE’ eingetragen hatte, gab es nicht viele Infos. Es hiess, es sei eine private, nicht an irgendeine Vereinigung angeschlossene, vor einigen Jahren errichtete Huette. Ich konnte nur hoffen, vom Internet nicht angelogen worden zu sein.


                                        Abkuerzung

                                        Wir pfuschten uns die naechsten zweieinhalb Stunden ueber einige kleine Huegel (armer Spit), an kleinen Bachbetten entlang ueber schwarze Lava und durch weite Taeler, die mit einer dicken Moosdecke bewachsen waren. Die Landschaft bei diesem Wetter als gespenstisch zu bezeichnen, taete ihr unrecht. Mystisch duerfte das passendere Adjektiv sein. Alleine in seiner kleinen Blase aus Waerme unter ein paar Lagen Stoff durch diese abstrakte, nicht eben lebensfreundliche Maerchenlandschaft zu laufen, vermittelt Verstaendnis fuer die Urspruenge der islaendischen Sagenwelt. Man stelle sich vor in einer gar nicht so weit entfernten Vergangenheit auf einem Gehoeft im Hinterland zu ueberwintern. Kein Wunder, dass die Islaender ein so ueberdurchschnittlich kreatives Volk sind. Welche andere Wahl hatten sie auch?


                                        Betten aus Moos

                                        Jeder Schritt hinaus wird auch zu einem Schritt in sich hinein. Wo sonst kann man mit seinen Gedanken derart alleine sein? Um uns herum wechselte das Gelaende wild zwischen spitzen Bergkegeln, welligen moosbewachsenen Taelern und der schwarzen Totenstille von Lavageroell. Crunch, crunch, crunch.

                                        Bevor ich in Versuchung geraten konnte, mich fuer ein Studium der Philosophie einzuschreiben, tauchte ploetzlich am Fusse des Strutur die Huette aus dem Nebel auf. Zur allgemeinen Erleichterung aller Beteiligten stand ein Auto vor der Tuer. Lustig, wie die Aussicht auf etwas sonst so wenig beachtetes wie Waerme und ein Dach ueber dem Kopf unsere schweren Schritte befluegeln konnte.


                                        Strutur

                                        In der Huette trafen wir auf eine norwegische Reisegruppe. 18 Veterinaere. Nach etwas Warterei auf den Huettenwirt bekamen wir dann die letzten beiden Kojen zugewiesen und der Tag war gerettet. Wir hatten noch einen angenehmen Tag, unterhielten uns mit interessanten Leuten aus fremden Laendern und nahmen noch ein paar Routentipps mit auf den Weg. Sogar etwas frisches Essen konnten wir schnorren. Gegrilltes Lamm und Kartoffeln. Was will man mehr? Eine Dusche waere noch schoen. Die gab's lustigerweise sogar in einem Schuppen. Ich hatte ein wenig Sorge, mich mit der recht abenteuerlichen Konstruktion versehentlich in die Luft zu sprengen. Was soll's, Loeschwasser war ja genug vorhanden. Anschliessend fuehlte ich mich wieder wie ein Mensch.


                                        Bett, Dusche

                                        Leider sollte die Nacht wieder etwas unruhig werden. Spit verbrachte die Haelfte des Tages und die gesamte Nacht im Koma, waehrend ich bis vier Uhr morgens vom laut vor sich hinplaerrenden Radio wachgehalten wurde. Mir war schleierhaft, wie man so ruecksichtslos sein konnte, und wieso zur Axt man die halbe Nacht Wetterberichte oder was-weiss-ich durchgeben muss. Mein Hirn schlief scheinbar schon, sonst waere mir vielleicht aufgefallen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte ....


                                        Darth Vader's Kolumne ueber Kim Jong Il.
                                        Zuletzt geändert von Perc; 03.05.2013, 07:31.
                                        www.lightforge.co.nz
                                        Landschaftsfotografie aus Neuseeland und dem Rest der Welt

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