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    [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

    Tourentyp Wintertour
    Breitengrad 60.542496315
    Längengrad 22.186031341
    Alku kädessä, loppu Jumalassa

    Den Anfang hat man in der Hand, das Ende liegt bei Gott



    (Quelle: Wurst ist das beliebteste finnische Gemüse. Sprichwörter aus Finnland, Berlin 2014)



    Dieser Reisebericht ist Teil 4 der Trilogie: Torres in Finnland.
    Er handelt von einer Winterwanderung mit Rucksack, Zelt und Hackenporsche, von Schnee in Lappland und sonstigen finnlandtypischen Aktivitäten in der sonnenlichtarmen Jahreszeit.





    Oha.
    (Norddeutsche Panikattacke)

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    #2
    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

    17.10.2015

    Es ist Anfang Oktober, der Reisebericht meines Finnlandurlaubes im September ist fast fertig geschrieben. Der Alltag holt mich ein. Noch lange hin bis zur nächsten Tour.

    Ich beschließe, meinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Weg mit diesen nutzlosen Computerspielen auf dem Smartphone. Etwas Nützlicheres muss es sein. Werde ich jemals noch einmal nach Finnland fahren? Ich weiß es nicht. Jeden Tag ein neues Wort. Das hatte mir auf meiner Radtour gefallen. Ich bestelle bei meinem Buchhändler ein Finnischlehrbuch. Jetzt noch den passenden VHS Kurs dazu. Seit heute ausgebucht. Pech gehabt.
    Ich schlage das Buch auf und lese Seite 1. Aha. Auf Seite 2 angekommen, schlage ich das Buch wieder zu. Das lerne ich nie. Gibt es keine App, die man auch in der U-Bahn nutzen kann? Jeden Tag ein neues Wort. Auf meiner Radtour hatte das doch gut funktioniert. Gibt es.

    Anfang November wird es auf der Arbeit ruhiger. Jeden Morgen lerne ich nun ein paar finnische Vokabeln. Irgendwelche Sätze aus einer intuitiven App dazu. Mein Gehirn verknotet sich. Beginnender Wahnsinn, was ich da tue? Es kommt mir fast so vor. Nur eines beruhigt mich: Finnen können diese Sprache. Und bisher kamen sie mir ziemlich normal vor.
    Oha.
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      #3
      AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

      24.10.2015

      Die finnischen Vokabeln schaffen mich. Wieso tue ich mir das an? Andererseits: Wie wäre es, wenn ich nicht auf den Sommer warte, sondern mal wieder im Winter nach Finnland fahre?

      „Klappt doch eh nicht. Kenn´ ich schon. Lass es.“, sagt mein Gehirn. "Du brauchst Urlaub. Fahr in die Sonne." Mein Körper handelt gegenläufig. Ohne Nachzudenken wird der Rucksack vom Regal gezerrt. Schlafsack, Kocher, Mützen, Handschuhe, Daunenhose, Hüttenschuhe. Iceclaws und andere Notwendigkeiten. Eine Box mit Lebensmitteln steht bereit.
      Aber welches Zelt? Das Trollspiret ist mir mittlerweile zu schwer. Ich öffne meinen Kleiderschrank. Die zwei Kilozelte sind zu klein, die leichten Kuppelzelte haben zuviel Mesh und der Innenzelt-zuerst-Aufbau gefällt mir nicht. Querlieger mag ich im Winter sowieso nicht. Der Rest ist zu schwer. Ich brauche ein neues Zelt.


      Meine persönliche Variante des Dramas: „Liebling, ich habe nichts zum Anziehen“.
      Oha.
      (Norddeutsche Panikattacke)

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        #4
        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

        27.10.2015

        Das Zelt kommt. Die Auswahl war nicht schwer: Kein Tunnel, Längslieger, 130 breit, mindestens 1.00 Meter hoch, gerne mehr. Und lang genug. Unter 300 Euro. Da kommt nicht viel in Frage.

        Aufbau im Wohnzimmer: Die Innenmaße passen, der Rest ist filigran. Naja, für Winterzelten im Wald wird es reichen. Für Lappland mit größeren Schneemengen natürlich nicht, aber das habe ich auch nicht vor. Da gibt es Anfang Januar viel zuwenig Tageslicht.
        Das Gestänge ist dünn, die eingenähten Stängelchen müssten auch nicht sein, egal, der Aufbau ist okay. Im Sitzen anziehen geht auch. Hoffentlich ist der Plastiverbinder kältefest. Nur: Warum bauen die immer noch diese metallenen Dorne, die man ins Gestänge steckt, an ihre Zelte dran? Und das IZ kann man zwar ausclipsen, aber das Außenzelt anschließend nicht separat aufbauen? Was soll das? Dieses Bauprinzip habe ich schon bei meinem good old Space Explorer gehasst, haben die da ein Patent drauf? Später nähe ich ans Außenzelt eine Schlaufe ran (um das Gestänge einzustecken) und modifiziere den Eingang mit Zange (Aufbiegen) und Schnur (Gestängeverbinder am Eingang). Mit der Gefahr, das Metallstück mit dem Dorn zu verlieren. Getrennter Aufbau ist jetzt aber immerhin möglich. Ich solidarisiere mich in Gedanken mit khyal. Hoffentlich merkt er das nicht. Ich rede vom Vaude Taurus mit außenliegendem Gestänge und Clips. 1,7 kg. Die genaue Bezeichnung vergesse ich wieder: SUL XP 2P. Wie einfach. Sowas merkt man sich doch sofort. Aber der Preis war gut, es ist ein Schnäppchen.
        Oha.
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          #5
          AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

          07.11.2015

          Muss man eine Wintertour machen, weil man sich ein Zelt gekauft hat? Ich finde nicht. Wer weiß, ob im Januar das Wetter überhaupt passt. Die letzten Jahre fiel der Winter zu der geplanten Zeit im anvisierten Tourengebiet auch in Finnland aus.

          Ich packe den großen 95 Liter Rucksack wieder aus und stopfe alles in einen Golite Jam hinein. 3 kg weniger. Nicht schlecht. Und oben zieht man dann zu, damit man ja nichts wiederfindet. Praktisch, vor allem, wenn es schneit. Ich trage Probe. Nein. Das Tragesystem ist zu dünn. Nach der Tour bin ich noch eine ganze Zeit mit dem ganzen Zeug unterwegs. Ich packe wieder um. 2,5 kg weniger Zelt immerhin. Es wird schon gehen.

          Den Schlitten würdige ich keines Blickes. Das funktioniert im Januar nicht. Wie hatte ich mir im Schlamm einen Rollwagen gewünscht. Welchen soll ich nehmen? Den finnischen, rosa Rollwagen mit Glamourfaktor oder mein Lastentier von Andersen, das ich mir direkt nach meiner Klapprodeltour für die Stadt angeschafft hatte? Die Rollen sind stabiler, das System klappbar, das Gestell passt auf den Rucksack. Ich entscheide mich für den Andersen. Für Wasser, Futter und alles was schwer ist. Ich taufe ihn auf den Namen „Porsche“.

          Die Schneeschuhe. Ganz schön schwer. Ich finde in der Hülle ein nagelneues Paar Trekkingstöcke. Völlig vergessen, dass ich die damals gekauft habe. Ich glaube, nach dem Urlaub müssen wir reden! Aber schön, meine alten Stöcke lassen sich nicht mehr aufdrehen. Die Neuen kommen an den Rucksack dran.

          Noch sind zwei Monate Zeit. Zufrieden betrachte ich mein Werk. Es hat etwas Erhebendes, jeden Tag an einem gepackten Rucksack vorbeizugehen.
          Zuletzt geändert von Torres; 30.01.2016, 18:51.
          Oha.
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            #6
            AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

            17.11.2015

            Die langfristige Wettervoraussage lässt ahnen, dass der Winter ausfällt. Es bleibt frühlingshaft warm. Vielleicht reicht mir ja sogar ein Übergangsschlafsack. Bei Plustemperaturen kein Problem. Ich bestelle den MSR Windpro und Wintergas. Der Reactor ist zu unflexibel, ein anderer Topf soll mit. Dazu vielleicht ein Hobo. Holz gibt es dort ja genug.

            Der Stichtag für den Urlaubsbeginn steht fest: 06.01.2016. Aber bis dahin ist es noch etwas hin. Das Knäuel in meinem Gehirn lichtet sich ein wenig. Die finnische Sprache hat tatsächlich ein System.
            Oha.
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              #7
              AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

              22.11.2015

              Ich entscheide, meinen Januarurlaub im Süden zu verbringen. Drei Wochen Hotel und schlafen am Strand. Unvermittelt fängt es zu schneien an. Glücklich streife ich durch den nassen Schnee, die Schneeflocken brennen auf der Haut. Hamburg sieht plötzlich finnisch aus.





              Was hatte ich heute morgen gesagt? Ach, Schnee von gestern. Ich fahre nach Finnland.

              Ich setze mich an den Rechner und suche die alte Strecke von damals heraus. Von Raisio nach Yläne. Es ist die einzige Tour, die im Winter für mich machbar ist. Hier sind die Tage am längsten, die Temperaturen moderat und Ausstiege in die Zivilisation gibt es auch. Zudem sind die Wege markiert. Verlaufen muss ich mich im finnischen Wald nun wirklich nicht. Und der Weg ist definitiv kein Skigebiet. Die Wanderwege werden im Winter oft zu Loipen umfunktioniert und sind für Wanderer dann gesperrt. Das ist hier nicht. Auch das eine oder andere Haus steht am Weg. Falls alle Stricke reißen und mir das Wasser ausgeht. In Finnland weiß man ja nie.
              Oha.
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                #8
                AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                25.12.2015

                Weihnachten. Die Sonne lacht, es sind 15 Grad. In den Bäumen zwitschern die Vögel. Aus Finnland hört man von T-Shirt Wetter an Weihnachten. Die Wettervorhersage für Turku sagt leichte Minustemperaturen im neuen Jahr voraus. Am 6.1., meinem Abreisetag, um die – 11, am nächsten Tag dann schon wieder + 4 Grad. Ich wollte eigentlich die Fähre buchen, aber das bringt ja dann wohl nichts. Warten. Andere schauen auf die Börsenkurse, ich schaue auf den Wetterbericht.
                Oha.
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                  #9
                  AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                  02.01.2016

                  Wieder sitze ich vor dem Wetterbericht. Es hilft nichts. Kurz kalt, dann wieder eine Wärmeperiode. Wintertour? Das soll nicht sein. Mein Umfeld empfiehlt mir eine Kreuzfahrt und Urlaub auf den Kanarischen Inseln. Es gibt gerade ein gutes Sonderangebot. Der Gedanke daran lässt mich gähnen. Ich reiße mich zusammen und werde schwach. Dann eben Kreuzfahrt. Die Kreuzfahrt ist ausgebucht. Dann sollte das nicht sein. Das Hoffen geht weiter.


                  03.01.2016

                  Ich frage Inarijoen Peter (und R.) per PN, ob es sinnvoll wäre, nach Finnland zu kommen oder ob es klüger ist, die Kanarischen Inseln zu besuchen. Er meint, es wäre für Wintertouren in Finnland noch zu früh, auch wenn es im Süden jetzt kalt sein. Er empfiehlt Spanien. Die Antwort kommt erst am nächsten Tag. Zu spät.


                  04.01.2016

                  Ilmatieteen Laitos meldet für Donnerstag, den 07.01. (Ankunftstag) – 22 Grad und für die folgenden drei Tage Temperaturen um die – 17 Grad. Erst am Montag soll es wärmer werden und schneien. Die Plusgerade sind abgesagt. Das bedeutet, ich habe mit etwas Glück drei volle Tage. Ohne die Antwort von Peter abzuwarten, buche ich die Fähre.
                  Supi schärft mir ein, den Benzinkocher mitzunehmen. Ich weiß, unter Hochdruckeinfluss kann selbst in Turku unvermittelt – 40 Grad sein. Und es liegt wenig Schnee. Der Hobo fliegt raus, ich mag Hobos auf Tour eh nicht. Der Benzinkocher kommt rein. Außerdem kommt eine dritte Thermoskanne mit. Vielleicht muss ich Wasser beim Bauern holen, falls wirklich so wenig Schnee liegt. Die Schneeschuhe bleiben da, die brauche ich nicht. Ein Interrailticket am Bahnhof kaufen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

                  Ich bin aufgeregt. In der Stadt beginnt es zu schneien.
                  Oha.
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                  • qwertzui
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                    • 17.07.2013
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                    #10
                    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                    Schön, ein neuer Torres im Winter... Freu!

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                      #11
                      AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                      05.01.2016 – 06.01.2016. Anreise.

                      Es schneit es immer noch bei – 7 Grad. Unter meinen Füßen knirscht der Schnee. Ich werte das als gutes Omen. Der Porsche fährt wie Butter. Aber der Rucksack fühlt sich schwer an. Ich kann ihn schlecht aus- und anziehen. Also lasse ich ihn an, wenn ich mich setze und am nächsten Tag tut mir der Oberkörper weh.
                      Die Anreise zur Fähre verläuft im Gegensatz zu den ersten Malen unspektakulär. Am Bahnhof kaufe ich einem jungen Syrer mit seinem Geld eine Fahrkarte, der immer Buchen statt Büchen im Automaten eingibt und über den Fahrpreis von 139,00 Euro verzweifelt. Wer finnisch lernt, versteht das. Deutsch ist auch nicht leicht. Im Finnischen kommt es auf jeden Buchstaben an.
                      Im Zug sind nur normale Leute, ich sitze allerdings auch nicht im Radabteil. Im Terminal streift mein Blick das Wort „Sisäänkäynti“ (Eingang) und mein Hirn bildet reflexartig den Gegensatz „Uloskäynti“ (Ausgang). Das Vokabellernen scheint sich gelohnt zu haben. Ich bin gespannt.

                      Die Fähre ist pünktlich. Im Shuttlefahrzeug klappe ich Porsche zusammen und nehme ihn auf den Schoß. Das Auto ist zu klein für soviel Gepäck, die anderen haben riesige Koffer. Eine Familie Australien und ein russisches Ehepaar in meinem Alter. Mühsam verständigen wir uns auf Englisch. Die Frau an der Rezeption sagt immer "Selvä", okay. Das einzige Wort, was ich verstehe, aber ein Anfang. Die Kabine habe ich für mich alleine. Es sind nur wenige Fahrgäste auf dem Schiff.

                      Am nächsten Tag tanzt ein Paar auf Deck 11 finnischen Tango. Die Musik verbreitet eine ganz besondere Stimmung.





                      Ich besuche die Sauna und bekomme bald Gesellschaft, der ich auf finnisch zu erklären versuche, dass es zu schneien anfängt. „Wir können deutsch reden“, ist die Antwort, und das tun wir dann auch. Um festzustellen, dass wir uns blendend verstehen und es einige Parallelen gibt. Ein deutsch-finnisches Ehepaar. Sie leben mal in Norddeutschland, mal in Finnland und jetzt wieder seit einigen Jahren in Finnland. Sie sind in beiden Sprachen zu Hause. Outdoorer sind sie auch. Sie wandern gerne mit der Familie mit Kompass und Karte in Lappland. Die Frau, die im September im Nuuksio Nationalpark unter mysteriösen Umständen verschwunden war, wurde tot aufgefunden. Sie hatte sich anscheinend verlaufen. Obwohl man noch am gleichen Abend eine Suchaktion startete, konnte man sie nicht finden. Ihr Handy lag mit leerem Akku im Wald. Drei Wochen später wurde sie entkleidet auf einem Felsen entdeckt. Am Rande von drei Großstädten und nicht weit von einer Landstraße entfernt, war sie verhungert.
                      Wir verabreden, dass ich die beiden am Ende der Reise besuchen komme. Ich verspreche, ich melde mich.
                      Oha.
                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                        #12
                        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                        07.01.2016. Turku.

                        Die Ostsee ist eisfrei, als wir in Helsinki einlaufen. Schnee sieht man kaum. Das Terminal sieht dennoch vertraut aus.





                        Ich helfe der Familie aus Australien, Bus und Metro zu finden. Die Mädchen tragen Jeans und dünne modische Daunenjäckchen. Man sieht, wie sie frieren.

                        Im Bahnhof hole ich mir am Schalter eine Reservierung für den Zug, der Mann warnt, ich solle auf die Nummer des Gleises achten. Angestellte transportieren Weihnachtsschmuck und Weihnachtsbäume aus der Schalterhalle hinaus. Am Bahnsteig sind angenehme – 24 Grad und der Zug nach Turku fährt laut Tafel an Gleis 10. Ein Zug steht bereits da, und ich überlege einzusteigen. Aber die Hinweistafel am Anfang des Bahnsteigs bleibt schwarz, und eine Frau schaut zwar in den Zug hinein, bleibt aber draußen stehen. Der Zug setzt sich in Bewegung. Das war er nicht. Noch sieben Minuten bis zur Abfahrt. Meine Nasenhärchen sind zusammengefroren. Ich mag das Gefühl.

                        Ein älterer Mann betritt den Bahnsteig. Kein Zug in Sicht. Auf der großen Anzeigetafel steht der Zug weiterhin, am Bahngleis dagegen nicht. Ich werde unsicher. Die Frau eilt davon, und ich wende mich an den Mann. Er hat einen Stock und läuft gebückt. Englisch spricht er garantiert nicht. „Turku“?, frage ich, und hoffe auf Nicken oder Kopfschütteln. Er stößt zwischen den Zähnen ein paar unverständliche Worte hervor. Das hilft mir nun gar nicht. Ich frage noch einmal „Turku?“ und er hebt kurz den Kopf und stößt langsam und böse ein Wort hervor: „Myöhässä!“. Das Wort hebt sich in die Höhe, ballt sich zu einer stacheligen Kugel zusammen – einen Moment schimmert eine Erinnerung an DÖF durch: Hässlich, ich bin so hässlich... ich bin der Hass“ - vollzieht eine Schleife und prallt in mein Gehirn. Durchläuft ein paar Windungen. Kling. „Myohemmin= später“, sagt mein Kopf. Der Zug hat Verspätung. Ich starre den alten Mann an, der bereits weitergeschlurft ist. Ich kann es nicht fassen. Ich habe ihn verstanden.

                        Eine russische Familie versammelt sich, sie wartet ebenso auf meinen Zug. Immerhin taucht die Verspätung jetzt auf der Schautafel auf. Die Frist verrinnt. Der Zug kommt nicht. Ich entschließe mich, zurück in die Halle zu gehen, etwas wärmer ist es dort schon. Eine recht große Gruppe Fahrgäste steht hier, ratlos, wie ich. Der Zug ist rot markiert und blinkt. Ich spreche ein paar junge Mädchen an. Sie bekommen ihre Informationen von einem schlacksigen, hochgewachsenen, jungen Mann, ich schätze irgendwas mit Technik. Ja. Verspätet. Sein Akzent lässt mich aufhorchen. Deutscher. Myohässä. Er lacht. In Verspätung, das ist typisch finnisch. Er wurde von Nokia angelockt, ist aber rechtzeitig wieder abgesprungen. Jetzt arbeitet er in Helsinki. Der Zug ist mittlerweile vom Display verschwunden. Es ist die neue Anzeigetafel, erfahre ich, sie funktioniert noch nicht. Auf der alten Tafel ist der Zug noch da. Winterprobleme also nicht nur in Deutschland? Oh ja, sagt er, aber es ist besser geworden, die finnische Bahn hat viel dafür getan. Konsequent die Bäume an den Schienen abgeholzt und breite Schneisen geschlagen. Aber die Pendolinos sind gestrichen, sie kommen mit der Kälte nicht klar. Nein, nicht nur die Deutsche Bahn hat Probleme im Winter. Und dann noch ein Kopfbahnhof. Schnee? Es ist zu kalt, um zu schneien.


                        Mit 30 Minuten Verspätung kommt der Zug. Hoffentlich springt sein Auto zu Hause an. Ich wünsche Glück. Er steigt in Salo aus. Turku kommt, ich stehe im Gang. Ein Mann kommt gebückt auf mich zu, ich verstehe nur das Wort „Laukku“ (Koffer) und gehe ohne Nachzudenken zur Seite. Ich versperre das Schließfach. Klar.
                        In Turku sind nur noch – 22 Grad. Es kommt mir warm vor. „Nainen koiran kanssa“ spult mein Kopf ab (Frau mit Hund), als eine Dame mit Schoßhund an mir vorbeiläuft, während ich prüfe, ob der Schnee gut zu begehen ist.

                        Ohne Nachzudenken beginne ich zum Hostel zu laufen, obwohl ich weiß, dass ein Bus zum Hostel fährt. Es sind ungefähr 2,5 km. Die Luft ist so schön. Das Navi mache ich nicht an, keine Lust. Der Rucksack drückt auf die Knie – bei so einer Kälte ist er zu schwer. Da muss ich heute Abend endlich noch ein wenig umverteilen. Es kommen zu seinem Gewicht ja noch die Gewichte für Kleidung am Körper und die warmzuhaltende Elektronik in meinen Taschen hinzu.





                        Puutarhakatu. Gartenstraße. Wie banal dieser Straßenname plötzlich ist. Bin ich immer noch richtig? Ich stelle nun doch das Navi an. Richtig. Glutrot geht die Sonne unter. So müsste es jetzt die nächsten drei Wochen bleiben. Dann wäre ich glücklich.








                        Angeleuchtet von der Sonne steigt der Rauch in die Luft. Ach, schon dieser Moment hat sich gelohnt.





                        Die alte Jugendherberge, die sich näher an Infrastruktur befand, gibt es nicht mehr. Nur das Schiff ist geblieben, ich habe vorgebucht. Zwei Hostels in Turku lohnen sich anscheinend nicht.





                        Mit dem Bus fahre ich ins Zentrum. Plakate huschen an mir vorbei. Ein Optiker. Aha, Immoblilien. Bank. Baustelle. Ich mag das Wort „Rakennusmies“ (Bauarbeiter). Nein, hier geht es nicht um Asiaten, sondern um Kunden.

                        Der Bus Nr. 6. In der Businfo warte ich geduldig, um die Haltestelle zu erfahren. Viele Finnen sind erkältet. Jetzt noch zu Partioaitta. Vielleicht haben sie eine topographische Karte. Und ein Thermometer.
                        Das Einkaufszentrum. Ich kenne den Weg, aber meine Augen werden groß. Kengät (Schuhe). Das ist gar nicht der Name einer Kette. Jääkelö (Eis). Auch kein Firmenname. Es ist, als würde meine Umgebung plötzlich leben. Ein Kind, das lesen lernt. Beginnt, die Welt um es herum zu verstehen. Alles fühlt sich anders an.
                        Partioaitta verkauft mir eine topographische Karte, und das erste Mal erhält mein Weg einen Namen: Kuhankuonon Retkeilyreitistö. Ein Thermometer dazu, bitte. Wir haben nur eines mit Kompass. Okay.

                        Im Hostel bietet man mir Abendsauna an, weil es so kalt ist. Wieso kalt? Besser als Temperaturen um die 0 Grad.
                        Ich dusche in einer provisorisch wirkenden Dusche, neben mir die unverkleidete, metallene Bordwand. Ein unterdimensionierter Heizlüfter gibt alles, aber das reicht nicht. Nun ist mir doch kalt. Die Sauna schlage ich dennoch aus. Mein Schnellreis ist mikrowellengeeignet. Sachen gibt es. Auf einem Herd kochen kann man hier nicht. Nicht sehr ökologisch. Das Wetter scheint bis Samstag stabil zu bleiben. Dann wird es wärmer und bedeckt sein. Am Montag soll es schneien. Auf weitere Prognosen mag ich mich nicht verlassen.

                        Ich packe ein paar Sachen um. Ich bin gespannt, wie es wird. Gerne würde ich Kokemäki erreichen, da gibt es das nächste Hostel. Aber Stress machen werde ich nicht. Vielleicht setzte ich mich auch nur ein paar Tage in den Wald. Mehr braucht es in Finnland nicht. Porsche wird natürlich bremsen, aber alles tragen kann ich nicht. Der Rucksack wiegt nun 16 kg, der Wagen gesamt wohl ungefähr 10-12 kg mit Kamera und Wasser. Viel Zeug, aber Hütten gibt es hier nicht. Auf die Daunenhose, die fette Mütze und die fetten Handschuhe für Tiefsttemperaturen wollte ich aus Sicherheitsgründen nicht verzichten. Und alles Wichtige, also Handschuhe, Mützen, Batterien, Akkus habe ich doppelt und dreifach dabei.
                        Meinen Tagesschnitt kann ich nicht einschätzen, doch 70 km bis Yläne könnten in einer Woche zu schaffen sein. Wenn das Wetter passt. Wichtig ist mir aber vor allem eins: Weiter kommen, als beim letzten Mal. Ich will einfach nur wissen, wie der Weg an dieser Stelle weitergeht. Dann bin ich zufrieden.


                        Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2016, 10:42.
                        Oha.
                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                        • Ultraheavy
                          Alter Hase
                          • 06.02.2013
                          • 3186
                          • Privat


                          #13
                          AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                          Wirklich schön zu lesen.
                          Harre gespannt, wie es weitergeht.
                          Ich glaub, ich schlaf am Stock

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                          • rockhopper
                            Fuchs
                            • 22.04.2009
                            • 1239
                            • Privat


                            #14
                            AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                            "Am Bahnsteig sind angenehme – 24 Grad"

                            Hallo Torres, Respekt, dass Du diese Temperaturen aushalten kannst.
                            Wieder ein schöner Bericht, Danke!

                            VG rockhopper

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                            • Torres
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                              Liebt das Forum
                              • 16.08.2008
                              • 31757
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                              #15
                              AW: [FI]Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                              08.01.2016 12,2 km

                              Der Wecker klingelt um sechs. Ich ziehe Porsche vorsichtig in Richtung Küche, es gilt die hohen Stahlkanten in den Gängen zu überwinden. Dann folgt der Rucksack. Er ist zu groß für die Gänge, gestern bin ich prompt stecken geblieben, vorsichtig quetsche ich mich hindurch. Dann schleppe ich das Gepäck weiter in den Vorraum. Die Thermoskannen sind mit heißem Wasser aufgefüllt. Um kurz nach sieben bin ich beim Frühstück. Für einen jungen Mann sind die Türen mindestens 10 Zentimeter zu tief, die Decke möglicherweise auch. Er scheint das gewohnt zu sein und kompensiert es mit einem chronisch gebeugten Rücken. Das Frühstück ist köstlich und um acht eile ich davon. Gegen 9.00 Uhr wird es hell sein.





                              Der Bus Richtung Naantali steht bereit, aber es ist die Nr. 7, und ich weiß nicht, dass sie die gleiche Strecke fährt. Ich warte daher 15 Minuten auf die Nr. 6. Die Anzeigetafeln am Marktplatz zeigen – 17 und – 20 Grad. Ich stelle das Navi an und bitte den Busfahrer, mich Raisio Kaupunki rauszulassen. Raisio ist übrigens Partnerstadt von Elmshorn. Wir queren die Autobahn und die Haltestelle Kirkko erscheint. In der Nähe der Autobahn geht der Weg los. Schnell frage ich eine Frau auf englisch, ob man von hier aus auch Richtung Sportzentrum kommt. Sie nickt. Spontan steige ich aus.

                              Die Frau spricht etwas englisch und als ich ihre Zeitangabe auf finnisch übersetze, freut sie sich. Nun erklärt sie mir den Weg auf finnisch. Silta – sie guckt mich prüfend an. Ja, Brücke. Keine Autos. Eine Fußgängerbrücke. Vasemmalla. Sie zeigt nach rechts. Was denn nun. Vasemmalla ja oikealla. Sie lacht und überlegt. Erst rechts, dann links.

                              Trunken vor Glück, wieder jemanden verstanden zu haben, quere ich die Brücke. Ich biege die Rampe rechts ab, korrigiere aber nicht nach links, weil ich dann über den Rasen laufen müsste. Geradeaus ist besser zu fahren. Es ist ein Umweg. Egal. Ich bin sowieso langsam bei der Kälte. Der Schnee dämpft die Geräusche der Autos. Eine Frau starrt mich an, dann schaut sie weg. Ich merke, ich bin heute gut drauf. Die Straßen sind leer.








                              Die Abzweigung, ich kenne den Weg. Eine Bank. Da war ich damals schon müde. In meinem Ohr kreischt die Erinnerung an das Kratzen der Kufen des Schlittens auf dem schneelosen Asphalt. Wie anstrengend das war. Die Autobahnbrücke. Die Sonne geht auf. Ich bin mir sicher: Ich werde es schaffen.





                              Der Beginn des Weges. Erschreckend wenig Schnee. Viel zu wenig, um Wasser zu schmelzen. Da muss ich mit meinem Wasser haushalten. Die Sonne bricht sich durch die Bäume Bahn. Ein Traum. Stille. Es leuchtet.








                              Viel weniger Schnee, als beim ersten Mal.








                              Der Akku fängt zu meckern an. In der Kamera darf ich ihn nicht lassen. Es ist zu kalt. Immerhin weiß ich, dass er sich nicht entladen wird. Er muss nur wieder warm werden.

                              Noch einmal Akku herausholen. Bitte halte durch! Der Anblick ist einfach zu schön.





                              Es ist jetzt 10.10 Uhr.





                              Der erste Anstieg ist geschafft. Versehentlich dreht sich das Rädchen beim ersten Bild auf Motivprogramm.








                              Einfach ist der Weg nicht. Die Tritte im Schlamm sind überfroren. Es schließen sich enge Wurzelwege an. Steine liegen im Weg. Man muss schon sehr geschickt sein, wenn man einen Rollwagen zieht. Beim ersten Mal hatte der Schnee das Schlimmste überdeckt. Aber Porsche hält sich gut, nur selten bleibe ich hängen.





                              Die Baustelle von damals ist einer großen Tankstelle mit ABC Restaurant gewichen. Die Autoeinfahrten sind höllisch glatt. Den Anschlussweg finde ich sofort, ich kenne mich aus. Der Fluss, der beim ersten Mal sprudelte, ist gefroren.





                              Der Schlammweg, damals kaum zu überwinden. Schlangenlinien gehen muss ich dennoch, teilweise sind hohe Wurzeln oder Steine im Weg.





                              Der Hundefriedhof.








                              Für einen kurzen Moment fängt es zu schneien an. Oder sind es nur die Schneekristalle der Bäume?





                              Voller Vorfreude laufe ich weiter und bekomme einen Schreck. Die Grillhütte ist weg.





                              Genau hier hat sie gestanden.





                              Ich wollte in ihr eigentlich einen kleine Pause machen. Immerhin hatte ich in ihr schon übernachtet. Vandalismus oder Brand? Sie war in keiner Karte verzeichnet. Das war sie:





                              Die Kerbe im Baum gab es auch nicht.





                              Porsche ist genauso betrübt.








                              Also auf zum nächsten Schlammweg.





                              Durchgefroren diesmal. Man muss vorsichtig laufen, damit man nicht in einem Trittloch hängen bleibt und sich die Haxen bricht, aber mit Geduld geht es stetig voran. Porsche läuft laufstabil mit. Für die Bohlen ist er zu breit.


                              War ich hier schon einmal? Ich erinnere mich nicht.





                              So schön war es hier damals keinesfalls.





                              Der Felsen.





                              Wie klein die Treppe plötzlich wirkt. Beim ersten Mal schien sie unüberwindlich. Der Rucksack war schwerer, der Schlitten auch, und ich musste die Sachen getrennt die vereiste Steigung hochziehen. Heute kein Problem.





                              Schnell das Plateau erreicht. Die Sonne blinzelt durch die Bäume.





                              Kleine Wege schließen sich an. Vorsichtig. Die Steine, Büsche und Baumtriebe bringen Porsche gerne zu Fall. Das Kratzen der Kufen vermisse ich nicht.














                              Wieder ein schwieriger Weg. Wurzeln sind zu überwinden, Porsche zerrt an meinem Handgelenk. Man kann ja nicht einfach nur ziehen. Man muss die Höhenunterschiede und Hindernisse mit der Hand ausgleichen. Ich bin dennoch zufrieden.





                              Hier Eis herauszuhacken, um Wasser zu schmelzen ist sicherlich eine interessante Aufgabe. Spaziergänger vor mir haben eine Trittspur hinterlassen. Ich bin froh, sie zu haben. So kann ich derartige Hinternisse einfacher umlaufen. Und muss nicht ständig nach den Markierungen schauen.





                              Auf dem Hügel angekommen, lade ich an der Sitzgruppe ab. Hatte ich hier damals den jungen Mann getroffen?





                              Pause.


                              Die Wegmarkierung, die mich begleitet.





                              Sonne.





                              Abgrund.





                              Der Himmel.





                              Talvi. Winter.





                              Am liebsten würde ich hier bleiben. Es ist jetzt fast halb eins. Damals sah es hier oben übrigens so aus:








                              Auch wenn die Kamera damals schlechter war: Es war eine Mischung aus Schnee, Wolken und Dunst. Heute habe ich dagegen wirklich Glück mit dem Wetter. Und erfreue mich an dem Anblick.


                              Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2016, 14:05.
                              Oha.
                              (Norddeutsche Panikattacke)

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                              • evernorth
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                                • 22.08.2010
                                • 1835
                                • Privat


                                #16
                                AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                Sehr schön - gefällt mir gut.
                                Bin gespannt, wie es weitergeht.
                                My mission in life is not merely to survive, but to thrive; and to do so with some passion, some compassion, some humor and some style. Maya Angelou

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                                • Torres
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                                  Liebt das Forum
                                  • 16.08.2008
                                  • 31757
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                                  #17
                                  AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                  Weiter geht es. Ich schultere den Rucksack. Auf mein Navi verlassen kann ich mich jetzt nicht mehr, der heruntergeladene Track weicht vom offiziellen Weg ab. Aber das weiß ich ja schon. Verlaufen kann man sich nicht, der Weg ist gut markiert, und an die kritischen Stellen erinnere ich mich.


                                  Der hohe Stein mit dem Aussichtsturm kommt in Sicht. Ein Foto mache ich nicht. Hier ein Foto von damals:





                                  Frohgemut schreite ich darauf zu. Die Füße haben Halt. Denke ich. Als ich in der Mitte an der steilsten Stelle bin - den rettenden Scheitel schon vor Augen - zieht Porsche an mir mit aller Kraft. Zuviel Kraft. Ich rutsche ab. Langsam, aber stetig. Was für ein dämliches Gefühl. Wie gut, dass ich die Bergsteigerhose aus Event und die Baumwollmischjacke als äußerste Schicht trage. Sie sind abriebfest. Nur meine Handschuhe lassen etwas Gummi am Felsen zurück. Und gut, dass das niemand gefilmt hat.


                                  Nun denn. Dann also wieder außen herum. Der schmale Weg funktioniert nicht, aber damals bin ich auch weitläufig ausgewichen. Kurz darauf sehe ich die Wegmarkierung an einer Treppe. Da kommt der Weg von dem Stein aus also wieder herunter. Habe ich die Treppe damals nicht gesehen? Ich stelle Porsche ab und beginne, die Treppe hinaufzugehen. Als ich oben ankomme, wird es wieder steil, und ich stelle fest, dass ich den Rucksack nicht abgenommen habe. Wie doof ist das denn! Auf den Knien krieche ich weiter. Ein traumhafter Anblick belohnt mich. Den Rucksack abzunehmen, traue ich mich jetzt nicht. Schnell kann er in irgendeine Schlucht abrutschen, und ich finde ihn nicht mehr.

                                  Munter erklimme ich die Treppen des Aussichtsturms und werde für meine Blödheit bestraft: Ich bleibe nämlich stecken. Der Rucksack ist zu breit. So bleibt mir der richtige Weitblick verwehrt, und ich fotografiere durch die Streben:














                                  Mühsam parke ich wieder aus. Ein Jugendlicher in Sportschuhen taucht unvermittelt auf, kaum nimmt er mich zur Kenntnis. Er blickt auf die Uhr, drückt einen Knopf und hüpft in schnellen Schritten die steile Seite des Hügel hinab, als wäre er im Flachland. Ich bin neidisch. Bis zum Abend wird er die einzige menschliche Begegnung an der Strecke bleiben.







                                  Ich dagegen rutsche den Felsen in Richtung Treppe hinab.







                                  Der Aussichtsturm.







                                  Da unten steht Porsche.







                                  Mittlerweile ist es 13.00 Uhr. Der folgende Weg ist steil, sehr eng und der Rollwagen kippt ein paar Mal um, weil er an den Felsen hängen bleibt. Obwohl ich heimlich links und rechts schaue: Meine damals hier verlorene Karte finde ich nicht.
                                  Als es fast geschafft ist, bekomme ich eine sms von R. und Inarijoen Peter. Gut läuft es, schreibe ich. Meinen damaligen Zeltplatz werde ich bald erreichen. Und stehe kurz darauf an dem Feldweg.


                                  Damals.





                                  Heute.





                                  Beschwingt laufe ich die Straße entlang. Zwei kleinere Waldstücke lasse ich aus. Das ist mir jetzt zuviel Gemurkse auf den engen Wegen mit Porsche. Im Geiste höre ich erneut das Kreischen des Schlittens auf dem Asphalt. Was das für Kraft gekostet hatte. Die Sonne strahlt. An einer Einmündung setze ich mich kurz hin. Es sind Bienenkästen. Vielleicht keine gute Idee. Ich laufe weiter.

                                  Die Abzweigung. Irgendwas ist hier verboten, ich kann das Schild zur Hälfte lesen. „Tut mir leid, ich kann leider kein Finnisch, ich konnte es nicht verstehen.“, sage ich zu einem imaginären Gesprächspartner. Aber niemand hält mich auf. Die Kreuzung, an der die Möhren lagen. Es wird kälter, die Sonne zieht sich zurück.
                                  Auf einem Plateau am Feldweg mache ich kurz Pause, ich muss endlich mal etwas essen. Ich trinke ein wenig und esse Brot und tiefgefrorene Amerikan Pastilleja von Fazer. Süchtigmachende Schokolinsen. Als ich die Packung zurückstecke, geht sie kaputt und die Schokolinsen fallen krachend in die Essenstüte. Ich hasse das. Aber es ist zu kalt, um sich zu ärgern. Solange es nicht taut, ist das kein Problem.

                                  Weiter. Das Aufstehen fällt schwer. Die Kälte zieht in Windeseile in die Knochen. Wieder erinnere ich mich. Hier habe ich meinen Handschuh verloren und am nächsten Tag wiedergefunden. Gleich kommt die Kurve und anschließend geht es rechts rein. Und dann erstarre ich. In dieses Waldstück ist ein Sturm hineingekracht. Ich erkenne nichts, aber auch gar nichts, wieder.





                                  Da oben, wo die Sonne hinleuchtet, muss der geschützte Stellplatz gewesen sein. Er war an einem Hang. Auf der linken Seite ahnt man den Wegweiser. So sah der Eingang damals aus:





                                  Der Bauernhof. Den erinnere ich noch.





                                  Alles andere ist nicht.





                                  Ich biege in den Weg ein, das Flüsschen ist noch da. Aber der Weg hat sich völlig verändern. ist nicht mehr zu erkennen. Keine Steine, kein Anstieg an den Seiten. Flach. Immerhin. Ich bin weiter als beim ersten Mal und das in der Hälfte der Zeit. Mein Minimalziel habe ich erreicht. Schwungvoll wandere ich den Waldweg entlang. Schön ist es hier, aber nicht spektakulär. Mit etwas Geschick gut gangbar. Mit Schlitten nicht.

                                  Nach vielleicht einer halben Stunde komme ich an eine kleine Kreuzung mit Sitzbank und wittere meine Chance.
                                  Auf der Bank liegt Schnee. Kostbarer Schnee. Trinkwasser. Am besten ist es, wenn ich ihn gleich schmelze. Also werde ich hier übernachten. Vorsichtig sammele ich den Schnee ein. Es ist kurz nach drei. Um vier Uhr wird es dunkel.





                                  Das Zelt stelle ich neben dem Querweg auf. Die Heringe klemme ich locker unter die Flechten, damit das Zelt nicht ganz zusammenfällt. Belasten lassen sie sich natürlich nicht. Ich denke an die Tunnelfans, die in diesen Situationen so gerne Steine zum Beschweren empfehlen. Steine gibt es hier genug. Nur der Kran, sie zu bewegen, fehlt mir noch. Das Zelt an Bäumen zu befestigen wäre vermutlich die bessere Idee. Ich liege allerdings gerne flach und nicht in verblocktem Gelände. Man kann ja nicht die ganze Lichtung mit meterlangen Abspannleinen sperren.

                                  Mittlerweile habe ich die Isomatte befreit und nutzte die Aufpumphilfe, die ich mir in Ermangelung von Bastelzeit zugelegt hatte. Und kriege sie nicht in Gang. Die Luft pumpt überall hin, nur nicht in die Matte. Entnervt blase ich mit dem Mund auf. Das ist mir zu blöd.





                                  12,2 km habe ich heute geschafft. Eine Adresse mit Hausnummer hat der Platz hier sogar auch. Suchradius vermutlich 3 bis 4 Kilometer im Durchmesser. Ich beschreibe den Platz in meiner Sicherheits-SMS lieber konkreter.

                                  Ich stelle den Kocher an und schmelze den Schnee. Mal wieder justiere ich den Topf nicht richtig (Lamellentopf Eta Pack Lite), der Topf kippt ab und kostbares Wasser landet auf den Felsen. Nicht viel, Gott sei Dank. Mit dem Löffel hebe ich Schnee von Felsen ab, um den Verlust zu ersetzen, aber viel bringt das nicht. Es landen zu viele Pflanzenbestandteile im Korb, das Wasser ist schon bitter genug. Endlich sind die Nudeln gar, und gierig trinke ich das Wasser. Hinter dem Zelt höre ich einen hechelnden Hund. Na klasse, ich stehe wohl mitten am Hauptwanderweg hier. Ein Mann ruft dem Hund irgendetwas zu. Ich warte innerlich angespannt darauf, dass die beiden am Zelt vorbeilaufen, aber nichts passiert, und so habe ich die beiden schon vergessen, als plötzlich unvermittelt ein Mann neben mir steht und ohne Gruß barsch etwas auf Finnisch sagt.

                                  Ich erschrecke mich und überlege schuldbewusst, ob man hier wildzelten darf. Darf man. Es muss etwas anderes sein. Mein Gehirn ist entweder in der Kälte oder bei der Nahrungsaufnahme verglüht, und so reicht es zwar noch für „Ei“ (Nein), was er aufmerksam zur Kenntnis nimmt (weil er denkt, dass es die Antwort auf seine Frage ist und das wäre sie sogar auch, wenn ich sie verstanden hätte), dann folgt aber von meiner Seite aus eine völlige Vergewaltigung der finnischen Grammatik, als ich mit puhua, suomeksi und englatia ihm mitzuteilen versuche, kein Finnisch zu sprechen. Irritiert und etwas mitleidig schaut er mich an, während ich weiter meine Nudeln schlürfe. Die werden sonst kalt. Er lenkt den Blick in die Ferne in Richtung der Sitzbank und quetscht „dog“ zwischen seinen Zähnen hervor. Was heißt Hund auf Finnisch? Es fällt mir nicht mehr ein. Vermutlich gut so. Jetzt eine Übersetzung oder auswendig gelernte Sätze zu plappern, passt wohl nicht zum Anlass. Er sucht den Hund.
                                  Einen Moment lauschen wir gemeinsam und schauen in Richtung der Sitzgruppe hin. Stille. Absolute Stille. Hier ist nichts. Unvermittelt dreht er sich um und verschwindet lautlos. Ich schaufele den Rest der Nudeln und des Wassers in mich hinein. So ist das eben in Finnland.

                                  Als ich in den Schlafsack krieche, ist es dunkel. Wie üblich lasse ich die lange Unterwäsche an und weiß, dass es etwas dauern wird, bis mir warm wird. Um recht schnell zu merken, dass ich noch nie so gefroren habe, wie hier. Die Matte, vielleicht? Ich hatte die Downmat zu Hause gelassen, der Nervenkrieg, ob sie hält, war mir zuviel. Es ist eine Prolite women plus 3,8 (R-Wert 4,2), natürlich short. Man will ja Gewicht sparen (ne, die war im Angebot). Am Fußende des Schlafsackes sind alle möglichen Dinge drin, und ich habe das Gefühl, es sind perfekte Kälteleiter. Mein Puma ist 2.00 Meter lang, das passt zu einer 1.68 langen Matte natürlich gut. Die Evazote darunter spüre ich kaum. Verzweifelt nehme ich Rückenlage ein, aber helfen tut hier einfach nichts. Im Nachhinein fehlte mir wohl der isolierende Schnee, denn ich liege auf blankem Fels. Mein Thermometer zeigte vorhin irgendetwas um – 16 Grad Außentemperatur, im Zelt ist es sicherlich wärmer. Ich fluche. Ich glaube, ich bin zu alt für so einen Mist.

                                  An der Zeltwand sammelt sich das Eis, am Mesh des Eingangs sowieso. Einen Moment sehne ich mich nach meinem robusten, rotgelben Trollspiret zurück, aber es zu holen, ist etwas weit. Vermutlich ist das eh nur Psychologie. Kalt ist eben kalt. Dann fangen auch noch Krämpfe in den Beinen an, und ich weiß, morgen früh bin ich tot. Warum sind Leute eigentlich auf Wintercampen so wild? Etwas Bescheideneres als das hier gibt es wirklich nicht. Ich kann Hüttentourengeher gut verstehen. Das nächste Mal werde ich eine Klappsauna mitnehmen. Wieso gibt es sowas eigentlich noch nicht? Inarijoen Peter wird mir später ein Zeltsaunamodell empfehlen. Nur 33 kg. Das ist so gut wie nichts.

                                  Endlich reicht meine innere Heizung aus, den Puma zu erwärmen. Als ich einschlafe, ist es wohl so gegen neun oder zehn Uhr. In der Nacht ist mir mollig warm, und als ich kurz herausgehen muss, sehe ich die Sterne.
                                  Zuletzt geändert von Torres; 31.01.2016, 15:45.
                                  Oha.
                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                  • OttoStover
                                    Fuchs
                                    • 18.10.2008
                                    • 1076
                                    • Privat


                                    #18
                                    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                    Thank you for a very amusing story, and also for the nice pictures you have taken. Everything is so typical finnish. Im looking forward for the continuation.
                                    Otto
                                    Ich lese und spreche Deutsch ganz OK, aber schreiben wird immer Misverständnisse.
                                    Man skal ikke i alle gjestebud fare, og ikke til alle skjettord svare.

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                                    • Torres
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                                      Liebt das Forum
                                      • 16.08.2008
                                      • 31757
                                      • Privat


                                      #19
                                      AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                      09.01.2016 12,2 km

                                      Ich habe die Wecker in Handy und Uhr gestellt, um aufzuwachen. Wenn mich das Tageslicht weckt, wird es zu spät sein. Um 6.00 Uhr klingelt der erste, um 7.00 Uhr stehe ich auf. Obwohl alles seinen Platz hat, ich nicht frühstücke und jeder Handgriff routiniert sitzt, dauert es zwei Stunden, bis ich abmarschbereit bin. Ich weiß nicht, wo die Zeit immer bleibt. Durch die Bäume dringt Tageslicht.
                                      Ich laufe los, ein finnisches Brötchen mit La vache kiri in der Hand. Es schmeckt wie Pappe. Der Käse friert. Aber Müsli bekäme ich jetzt überhaupt nicht runter. Und Kahvi trinke ich nicht.

                                      In einer Senke blicke ich auf den Bauernhof, den ich am zerstörten Wald das erste Mal fotografiert hatte. Mein Weg hatte ihn in einer großen Schleife umkreist.








                                      So sieht der Weg aus, den ich gerade gekommen bin.





                                      Die Brücke ist morsch. Eine einsame Fußspur, die mich fast den ganzen Tag begleiten wird, zeigt mir den Umweg. Ich bin dem Verursacher sehr dankbar. Nicht immer ist der Weg eindeutig.





                                      Eine Straße. Glutrot geht die Sonne auf.





                                      Ich habe allerdings kurz zuvor eine Markierung übersehen, der Abgleich mit dem Navi ist hilfreich. Ich wende. Der Weg führt an dem Haus hinter den Feldern vorbei. Still und scheinbar unbewohnt. Nach Wasser fragen lohnt sich nicht. Ich habe noch genug. Und man will an einem Samstagmorgen auch nicht stören.





                                      Ein hübscher Wald und ein Bohlenweg.








                                      Ausweichen auf überfrorenen Schlamm kann ich hier nicht. Die Bäume stehen zu eng. So muss ich Porsche tragen. Sein Radstand ist zu breit. Ich überlege, ob es besser gewesen wäre, den finnischen Wagen mitzunehmen. Er ist schmaler (Ich habe nachgemessen: 13,5 cm schmaler). In dieser Situation hilft der Gedanke natürlich wenig.
                                      Einige Bohlen sind morsch, andere zerbrochen. An einigen Stellen hilft nur eine Balletteinlage. Ich möchte hier kein Risiko eingehen. Mitsamt Rucksack, Kleidung und Porsche bin ich ziemlich schwer. Ich bin mir nicht sicher, ob die Konstruktion auf solch ein Übergewicht ausgelegt ist. Nach geschätzt zehn Minuten ist der Weg dann aber schon zu Ende. Schneller als gedacht. Und es ging erstaunlich gut.

                                      Pferdespuren auf dem Weg. Hevonen (Pferd), meldet mein Gehirn. Hevonenkengät (Pferdschuhe) heißt das, werde ich später lernen. Der Weg ist völlig vereist, als wäre hier ein Wasserrohr gebrochen, und der Bereich am Rand ist durch Bauschutt versperrt. Bevor ich mich durch die Büsche schlage, um auch dort spiegelglattes Eis elegant zu überwinden, mache ich Fotos von der Wiese vor mir. Im Sommer ist es hier bestimmt sehr schön.








                                      Der Akku meckert wieder. Diese Ecke ist ein Kälteloch. Dennoch krame ich ihn erneut heraus, als ich die Pferde sehe.





                                      Erwartungsvoll schauen sie mich an.





                                      Kurz darauf kommt der alte, zerknitterte Bauer auf einem kleinen Trecker mit dem Futter angefahren. Ihre Aufmerksamkeit galt also nicht mir. Sie wollten das Futter. Mein Ego ist angeknackst. 11.37 Uhr. Die Sonne scheint so schön.





                                      Ein Bushäuschen. Schlagartig fühle ich mich in die Zivilisation zurückversetzt. Ich kam mir gerade so einsam vor. Ist es wirklich kameraüberwacht? Rechts von mir steht dunkel und abweisend ein Haus.





                                      Blick zurück zu den Wegweisern hinter mir. Noch ungefähr 3 km bis zum nächsten Laavu (Kerva), stand darauf, wenn ich mich richtig erinnere.





                                      Vor mir liegen schneebestäubte Felder. Ich mag dieses Gefühl der Weite.





                                      Die Sonne hinter mir fühlt sich an, als würde sie wärmen. Einen Moment stelle ich mir vor, ich käme gerade aus der Sauna und säße nach dem abkühlenden Spaziergang im Schnee im Bademantel auf der Veranda, die Sonne wärmend im Gesicht. Vor mir ein Gläschen Champagner. Das hätte doch Stil. Vielleicht mache ich ja bald mal Urlaub. Der Gedanke gefällt mir gut.

                                      Als ich wieder den Wald betrete, ist es, als hätte jemand Licht und Heizung ausgeschaltet. Dunkel. Feucht. Wärmer. Anderer Schnee. Eng. Kein Glitzer mehr.





                                      Der Weg wurde durch Pferde und Menschen tief durchpflügt und ist dann gefroren. Ich stöhne. Ein Premiumwanderweg wäre jetzt schön.








                                      Das Saunabild rückt in unendliche Ferne. Himmel und die Sonne scheinen weit weg zu sein.








                                      Wieder eine kaputte, morsche Brücke. Hier einzubrechen, würde weh tun.





                                      Mit viel Kraft kämpfe ich mich stattdessen – wie die anderen vor mir – über den gefrorenen Schlamm an der vereisten Wasserstelle.





                                      Bin ich noch richtig? Die Fußspur hilft. Einmal biege ich zwischen den Bäumen falsch ab, merke es aber bald, weil die Tritte verschwunden sind. Glück gehabt. Ist man erst einmal zu weit, ist der Weg schwer wiederzufinden. Das Navi ist hier nutzlos, weil mein Track und die Markierung voneinander abweichen, und die Osm Karte den Weg nicht verzeichnet hat. Die topographische Karte ist auch nur hilfreich, wenn man weiß, wo man gerade ist. Hilfe rufen ist im finnischen Wald übrigens schwierig. Die Bäume schlucken den Schall.

                                      Der Shelter Kerva kommt in Sicht. Dunkel, feucht. Eine schmutzige Bettdecke in der hinteren linken Ecke, ich mag sie nicht fotografieren. Ein Müllbeutel. Papier. Ein paar wenige Scheite Holz. Romantisch ist es hier schon einmal nicht. Im Sommer ist der Platz sicherlich auch noch von Millionen von Stechmücken übersät, die in den derzeit überfrorenen Flüssen brüten. Mich schaudert.
                                      Aber auf der nur halbherzig freigeräumten Bank liegt noch etwas Schnee. Den muss ich nutzen. Vorsichtig sammele ich ihn ein. Und beginne zu kochen.





                                      Erst jetzt fällt mir auf, dass ich die falschen Nudeln mitgenommen habe. Die Nr. 5. Statt Nr. 1. Die Dickeren dauern doch viel zu lange. Zu spät. Natürlich gibt es zu den Nudeln Parmesankäse.





                                      Ich versuche, an den herumliegenden Baumstämmen in der Umgebung noch etwas Schnee zu sammeln. Mehr Aufwand als Ertrag. Immerhin gewinne ich mehr als einen Liter. Das reicht für heute Nachmittag. Ich fülle meine Wasservorräte auf.

                                      Unvermittelt steht eine junge Frau mit einem großen Norwegerpferd am Weg, während ich die Nudeln umrühre. Ich habe die beiden nicht gehört. Das Pferd ist größer als sie. Hei hei, ruft sie. Heißt das nicht tschüß? Im Reflex rufe ich auch Hei hei. Das Pferd glotzt mich fluchtbereit an. Die Augen voller Panik. Anscheinend ist es noch jung. Ich verhalte mich ruhig. Mit Pferden kenne ich mich aus. Als es merkt, dass keine Gefahr droht, gehen beide lautlos weiter. Gerne hätte ich ein Foto gemacht, aber das Einlegen des Akku dauert zu lange, und das Pferd hätte dann auch gescheut. Im Sommer ist vieles einfacher.

                                      In der Ferne steht ein Klohäuschen. Ich gehe nicht hin. So weiß ich nicht, ob hier eine oder zwei Türen sind. Dennoch, zur Info: N ist Frau und M ist Mann.


                                      Oha.
                                      (Norddeutsche Panikattacke)

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                                      • Torres
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                                        • 16.08.2008
                                        • 31757
                                        • Privat


                                        #20
                                        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                        Der Himmel leuchtet immer noch. Ein paar weniger Bäume in Bodennähe wären schön. Es ist jetzt 13.00 Uhr. Die Zeit verrinnt.








                                        Zehn Minuten später befinde ich mich in einem Märchenwald.





                                        Kalt hier, der Weg völlig zerstört. Aber es ist still und traumschön.








                                        Die Kristalle an den Pflanzen leuchten. Fotografieren kann ich das nicht.





                                        Eine Kreuzung. Wo ist die Markierung hin? Begangen ist der Weg in alle Richtungen. Geradeaus der Weg ist extrem schmal. Die Karte hilft nicht weiter. Ich weiß nur, dass ich mich rechts halten muss. Auf gut Glück biege ich rechts ab. Fröhlich summe ich vor mich hin. Schön hier. Ein kleiner, zugefrorener Teich. Bis ich merke, dass ich nur rechts abbiegen kann. Ein paar Meter wage ich mich noch hoffnungsvoll weiter, aber ich laufe im Kreis. Verdammt. Jetzt Querfeldein über Felder zu laufen, muss nicht sein. 20 Minuten kostet der Umweg, das ist bei meinem Zeitfenster viel.

                                        Ich biege in den schmalen Weg ein und stöhne. Extrem schmal. Diese kleinen, dünnen, fiesen, drahtigen Baumsprösslinge, die man kaum sieht, und die unvermittelt hochschnellen, werfen zweimal Porsche um. Baumstämme liegen quer, die ich mühsam überklettern muss, und am Ende stoße ich nicht nur auf eine laute Zweige-an-Straßen-Abschschnippel-Maschine, die ich erst abwarten muss, damit ich mich nicht vor den Augen des Fahrers blamiere, sondern auch ein steiler Abhang, den ich nur sehr vorsichtig hinuntersteigen kann. Für diese – nachgemessenen - 424 Meter brauche ich noch einmal fast 20 Minuten.

                                        Zügig laufe ich nun einen Feldweg entlang. Ein Auto voller junger Männer wartet mit laufendem Motor am Straßenrand, ein zweites Auto voller junger Männer kommt hinzu. Samstagnachmittagsklönschnack auf Finnisch. Was sie sagen, kann ich leider nicht verstehen. Mich würdigen sie keines Blickes.
                                        Ich biege rechts in die Landstraße ein. Der Ort heißt Inkinen. Schnell habe ich das Gefühl, ich laufe mir die Füße platt. Eine Bushaltestelle gibt es hier auch. Es ist viel los hier, mir begegnen drei Autos und eine Fußgängerin, die mir grußlos entgegenkommt. An den Häusern sieht man niemand.

                                        Bald biege ich unter den Augen eines weiteren Fußgängers in einen steilen Forstweg ein. Und keuche. Grober Schotter. Das hat mir noch gefehlt. Hier müsste ich auch das Fahrrad schieben. Ich kann diesen Belag nicht leiden. Porsche macht der Weg nicht viel aus, aber handgelenkschonend ist das Gerüttel nicht und meine Motivation sinkt etwas. Ratter, ratter, ratter. Schnee auf dem Weg wäre zur Abwechslung mal gut. In kurzen Abständen stehen Hochsitze herum. Hinter mir geht die Sonne unter.





                                        Ich muss die Kamera austricksen, damit sie endlich die Sonne fotografiert.





                                        Es ist jetzt bereits 15.20 Uhr. Wäre es zwei Stunden länger hell, würde ich einfach weiterlaufen (was sich gelohnt hätte). Der Weg muss ja irgendwann enden. Aber ich weiß, mir bleibt nicht sehr viel Zeit. Der Wald neben mir ist zum Zelten nicht geeignet. Uneben, verblockt, dazu die Hochsitze. Ich bräuchte wieder ein Plateau. Wie gestern.

                                        Mein Navi zeigt an, dass hier der höchste Punkt eines Hügels ist. Den nächsten Scheitelpunkt würde ich wahrscheinlich nicht mehr im Hellen erreichen. Ich schaue nach oben. Da ist ein Plateau. Und mit dem Wegweiser an dieser Stelle kann ich meine Position gut beschreiben. Schon bin ich an der einzigen begehbaren Stelle über den Graben gesprungen und arbeite mich den Abhang hoch.

                                        Eine ebene Stelle zu finden, ist dennoch nicht einfach. Ich muss schon recht weit nach oben gehen. Ein kleiner, flechtenbedeckter Fleck. Bin ich froh, diesen Zelttyp dabei zu haben. Der Eingang geht nach vorne raus. Keine Lust, bei einem Querlieger im Halbschlaf aus dem Zelt zu steigen und den Abhang herunterzufallen. Höhenunterschiede bin ich nicht gewohnt.





                                        Auf den Bildern sieht der Hang so flach aus. Dabei ist er glitschig, steinig und abschüssig.








                                        Die Heringe werden wieder provisorisch von den Flechten gehalten. Schnell wird es dunkel, die Kamera verstärkt den Schein der untergehenden Sonne. In Wirklichkeit ist es schon recht finster. Mein Thermometer zeigt – 12 Grad.











                                        Und dann taucht auf einmal der Fisch auf. Ein Zeichen?





                                        Ich schlüpfe in den Schlafsack. Der Rucksack liegt diesmal auf der anderen Seite des Zeltes (Hanglage), und das kommt mir wesentlich wärmer vor. Die Temperatur ist aber auch gestiegen, aber ob die drei Grad soviel ausmachen, weiß ich nicht. Zwar friere ich anfangs im kalten Schlafsack erneut, aber das geht recht schnell vorbei. Den Fußraum polstere ich diesmal mit meiner Softshellhose ab, und schnell werden die Füße, die wie gestern in dicken Woolpowersocken stecken, warm. Rucksack und Zelt vereisen sofort, aber das stört nicht. Die Aufpumphilfe der TAR hat diesmal auch funktioniert. Mein Hals kratzt von den Flechtenresten im Wasser, und ich huste. Ein bitterer Geschmack. Alle lassen sich nicht immer entfernen. Sind die Flechten giftig? Nein, werde ich später lesen. Man machte früher sogar Brotmehl daraus.

                                        In der Nacht blinken wieder die Sterne, als ich mich neben das Zelt stelle. Als ich nach oben schaue, passe ich eine Sekunde nicht auf, und mir rutscht der linke Fuß weg. Nichts passiert. Dennoch bin ich geschockt. Was wäre, wenn ich ausgeglitten wäre und den Abhang heruntergefallen wäre? Gegen einen Baum geprallt wäre und mit gebrochenem Bein hilflos im Gebüsch läge? Zwar wissen immer zwei Leute, wo ich bin, aber bis sie merken würden, dass etwas passiert ist, wäre ich erfroren. Mein Handy ist im Zelt. Wie lange dauert es, bis man bei um die – 12 Grad erfriert? Ich werde im Winter nicht mehr ohne Handy vor die Tür gehen. Und in Zukunft eine warme Jacke mitnehmen, selbst wenn ich nicht friere. Und Handschuhe.
                                        Zuletzt geändert von Torres; 01.02.2016, 20:17.
                                        Oha.
                                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                                          • 16.08.2008
                                          • 31757
                                          • Privat


                                          #21
                                          AW: [FI]Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                          10.01.2016 11,5 km

                                          Es ist Sonntag, und ich verschlafe. Ich habe wild von Abhängen geträumt. Als ich wach werde, ist es schon halb acht.
                                          In der Rekordzeit von 1,5 Stunden packe ich, aber ich bin ziemlich müde. Morgen soll es schneien. Ein Ruhetag wäre gut, aber den kann ich mir nicht leisten. Ein paar Bisse Brot. Mühsam steige ich den Abhang hinunter. Hier sieht wirklich alles gleich aus. Wären nicht meine Spuren im Schnee, ich würde die Ideallinie nicht mehr finden.

                                          Am Weg angekommen, sehe ich einen älteren Mann mit Trekkingstöcken aus Richtung Landstraße auf mich zukommen. Ob er gesehen hat, wo ich herkomme? Er grüßt und beginnt ein Gespräch, aber mein Finnisch ist gerade entfleucht. Wir radebrechen ein wenig auf Englisch, aber ich bin unkonzentriert. Meine linke Hand ist leer. Wo ist mein Trekkingstock?

                                          Als er außer Sichtweite ist, wühle ich mich wieder den Hang hinauf. Gut sichtbar steckt der Stock, wo ich ihn gestern platziert habe. Wieso habe ich ihn heute morgen nicht gesehen? Also wieder den Abhang herunter. Der nächste Wanderer kommt. Auch er grüßt. Eine kommunikative Gegend hier. Der erste Wanderer kommt zurück. Wieder ein paar Worte. Dann der Zweite. Und schon ist es 10.00 Uhr.












                                          Ich versuche Gas zu geben, aber so richtig komme ich nicht in Schwung. Der Belag nervt mich. Ich fotografiere ein bisschen herum.











                                          Endlich endet der grobe Schotter. Der Energieschub bleibt aus.





                                          Wieder sehen die Bäume märchenhaft aus.





                                          Ich mache am Wegesrand eine kleine Pause. So richtig LNT ist das nicht, was ich mache, aber wo soll man hier graben? Der Boden ist tief gefroren. Ich trinke eine halbe Kanne von meinem kostbaren Nass. Das Wasser in der normalen Thermos ist mittlerweile kalt.


                                          Bald darauf befinde ich mich an einer weitläufigen Fläche. Sie gefällt mir.








                                          Langsam geht die Sonne auf und der rötliche Schein spiegelt sich an den Bäumen.





                                          Noch einmal ein Blick zurück.





                                          Und dann geht die Sonne auf.





                                          Ich brauche etwas, um zu merken, dass die Sonne, die ich aufgehen sehe, nur eine Reflexion ist. Die wahre Sonne ist viel tiefer.








                                          Regungslos bleibe ich stehen und schaue zu.





                                          Und dann hat sie es endlich geschafft. Es ist, als würde ich plötzlich von ihr durchflutet. Wärme. Energie. Leben.





                                          Frohgemut laufe ich los und merke, dass ich plötzlich extrem lichtempfindlich bin. Habe ich zuwenig gegessen und getrunken? Gut möglich. Ein paar Meter weiter kreuzen sich Wege, in der Ferne hört man Menschen rufen. Hier hätte ich gestern übernachten sollen. Hier ist es schön.
                                          Mein Blick fällt auf einen Holzstapel. Er ist mir einer riesigen Plane überdeckt. Ein paar Holzstämme davor. Der ideale Rastplatz. Eine Moment überlege ich, ob die Plane vielleicht verseucht sein könnte, aber dann ist mir das völlig egal. Ein riesiges Reservoir sauberen Schnees. Ich muss ihn nur abstreifen. Innerhalb von Sekunden ist mein Behältnis voll.

                                          Ich drehe den Kocher auf und koche Schnellreis mit Salami, Nüssen, Suppe und Käse. Die Sonne ist hinter den Bäumen verschwunden. Ich hoffe, sie kommt bald wieder hervor. Ich koche Wasser und fülle die Thermoskannen auf. Das Wasser in der Thermos Light und Compact ist immer noch heiß, ich koche es dennoch auf. Von dem Wasser, das übrig ist, gönne ich mir einen heißen Kakao. Meine Batterien sind wieder voll. Hier habe ich bereits wieder zusammengepackt.





                                          Ich fröstele ein wenig, als ich den Rucksack aufziehe und hoffe auf die Sonne, muss aber feststellen, dass sie inzwischen von Wolken verdeckt wird.








                                          Es ist jetzt 12.20 Uhr. Ich bin spät dran.

                                          Eine Frau bleibt stehen, und wir tauschen belanglose Worte auf Englisch aus. Sie läuft los. Ihr Rucksack wippt auf ihren Schultern, und ich versuche zu folgen. Auf flacher Strecke geht das noch ganz gut, aber als es steiler wird, bekomme ich die Beine nicht mehr hoch. Zwei junge Männer kommen uns flink entgegen. Kein Gepäck.

                                          Ich gebe alles, aber ich habe keine Kraft mehr. Selbst meinen Armen fehlt der Saft. Was ist das? Ich habe doch genug gegessen. Getrunken habe ich auch. Ich mache einen kurzen inneren Check. Müdigkeit? Nein, ich bin absolut fit. Es fühlt sich an, als wäre ich steif? Ein Hexenschuss ist etwas anderes, aber ein wenig kommt es mir vor, als wäre ich verhext.

                                          Unter dem Vorwand, zu fotografieren, bleibe ich vor einem Hindernis stehen. Ein Blick zurück zur Sonne, die Männer schauen von unten herauf und der in der grünen Jacke gestikuliert wild und redet über mich. Ich kann das sehen. Der andere zuckt die Schultern. Ich bin mir sicher, sie werden wieder kommen. Und dann gibt es eine Predigt, wollen wir wetten? Manche Leute sind so unentspannt. Ein Blödmann, denke ich.





                                          Vor mir ist der Himmel noch blau. Aber rechts von mir färbt sich der Himmel bereits grau. Die Kamera filtert noch Farbelemente heraus. Für das Auge sind sie nicht zu sehen.








                                          Wieder ein paar Schritte. Und plötzlich fällt mir etwas ein. Der Bauer. In seinen Knochen spürt er, wenn das Wetter wechselt. Oder der alte Seemann, den sein Holzbein warnt. Das ist die Erklärung: Das Wetter schlägt um. Es ist wärmer geworden. Mein Thermometer zeigt nur noch knapp – 7 Grad. Die Feuchtigkeit nimmt zu. Ich fluche über das Alter. Mit zwanzig lacht man da nur.

                                          Ich kämpfe mich weiter den Abhang hoch und versuche einen agilen Eindruck zu machen. Porsche bewege ich seit gestern elegant, ich weiß genau, wo er durchpasst und was ihn umwirft. Er ist kein Problem. Das Problem bin ich. Daher verschätze ich mich jetzt doch zwei oder dreimal und Steine werfen ihn um. Mir fehlt die Kraft, ihn zu halten. Mein Tagesrucksack wird ein paar böse Löcher davontragen. Auf den Fotos sieht das hier flach und einfach aus, aber die ganze Umgebung besteht aus Felsen. Die Gräser an den Rändern täuschen, es gibt keinen Waldboden, sondern nur bewachsenen Stein. An einigen Stellen muss ich Porsche tragen, weil der Weg zu schmal ist. Baumstämme sind zu überwinden. Man braucht auch ohne Wagen Geschick, um durchzukommen. Festgehalten habe ich das nicht. Wenn es schwierig wird, fotografiere ich nicht.

                                          Eine Steingruppe gefällt mir, und ich bleibe stehen, obwohl ich eigentlich Gas geben wollte, um den Herren zu entgehen.





                                          Mein Instinkt hat mich nicht getrogen. Sie sind kurz hinter mir und überholen jetzt. Und ich hatte Recht. Der eifrige Typ sucht ein Gespräch. Erst redet er Finnisch. Als ich „English please“ sage, schaltet er auf Englisch um. Mit diesem Wagen käme ich nicht weiter. Er kennt sich hier aus. Das Gelände ist viel zu schwierig.
                                          Ich warte geduldig, was er zu sagen hat. Der andere Mann guckt mit einem leichten Grinsen in die Ferne. Ich solle umkehren, erfahre ich. Durch den Kangenmiekka NP käme ich mit dem Wagen nicht durch. Ich kenne das englische Wort für die Holzwege nicht und sage „Bohlen“. Er nickt, Planks. Gleich kommen auch welche. Er wirkt besorgt. Alleine könnte ich das natürlich schon, sagt er plötzlich, und bemüht sich etwas freundlicher zu sein. Nur mit dem Wagen nicht. Er weiß nicht, dass ich Schwierigkeiten vorausgesehen habe: Der Wagen ist klappbar und kann am Rucksack befestigt werden. Der Tagesrucksack käme dann vorne vor den Körper. Kalkuliert war, dass auf der Mitte der Strecke ein Teil des Essens gegessen ist und auch weniger Benzin im Rucksack ist. Gäbe es mehr Schnee, wäre auch der Wasservorrat leichter.

                                          „Ich bin in Raisio gestartet,“ sage ich unvermittelt. „Dies ist der dritte Tag, zwei Übernachtungen im Zelt.“ Einen Moment sagt er gar nichts, sein Blick geht in die Ferne. Anscheinend geht er im Geist die Wegführung durch. Der andere Typ grinst nun breiter und schaut ihn neugierig an. Er wohne hier nur 3 km entfernt und wäre auf diesen Wegen ständig unterwegs, versucht er die Deutungshoheit zurückzuerlangen. Er kenne hier jeden Fleck.
                                          Ich beschließe, die Strategie zu wechseln und seinen Standortvorteil zu nutzen. Ich zeige ihm auf der Karte das Symbol des Busses am Eingang des Kangenmiekka Nationalparks. An dieser Stelle hätte ich nämlich die Möglichkeit des Ausstiegs, danach für zwei Tage nicht mehr. Gibt es diesen Bus überhaupt? Ja, den gibt es. Eifrig beugt er sich über die Karte und zeigt mir eine Abkürzung durch einen Ort. Hier gibt es ebenfalls eine Bushaltestelle. Wieso diesen Umweg hier durch schwieriges Gelände gehen und dann noch die Landstraße entlang entlang laufen. Das sind insgesamt 5 km, da hat er natürlich Recht. Vor allem die 1,8 km lange Schleife an der Landstraße kann man sich eigentlich ersparen. Das ist verlorene Zeit. Immerhin ist es schon spät.

                                          Ich werde konkret: Mein Problem ist nicht die Strecke. Mein Problem ist das Wetter. Morgen solle es schneien. Ob er etwas darüber wisse. Er schaut verblüfft. Nein, davon weiß er nichts. Und fährt der Bus auch am sonntags? Er stutzt und sagt dann selbstüberzeugt: „Ja. Das tut er“. So etwas ist immer der heikelste Teil, die meisten Leute wissen das in Wirklichkeit nicht. Bis in die Abendstunden? „Aber sicher“. Das kann gar nicht anders sein. Ich lasse mir noch einmal die Abkürzung auf der Karte zeigen. Noch habe ich nichts entschieden. Aber es ist gut, Bescheid zu wissen. Versöhnlich verabschieden wir uns.





                                          Der Himmel ist grau geworden. Unsicherheit schleicht sich in meine Gefühle ein. Das Gespräch zeigt Wirkung. Falls die Strecke wirklich schwieriger wird, ist ein Wintereinbruch nicht zu unterschätzen. Auf mein Zeltchen verlassen kann ich mich nicht. Das macht Abwettern schwierig. Dabei habe ich schon 30 km von 70 km hinter mir. Da hört man nicht einfach auf. Aber irgendetwas gefällt mir hier nicht. Dass es nicht mehr so weit ist, ist kein Argument. Ich packe die Kamera weg. Leichter wird das Gelände nun nicht. Im Gegenteil. Immer wieder bleibe ich kurz stehen und stelle mir frische Schneefälle vor, welche die Steine und Wurzeln verdecken. Ideal wäre das nicht.

                                          Eine Lichtung mit einem Feuerplatz taucht auf. Noch heute morgen wäre ich hier fröhlich herumgehüpft. Jetzt ist meine Stimmung gedämpft. Die Bäume wirken fast schwarz-weiß. Nur am Horizont leuchtet noch ein unnatürlicher, rosiger Schein.





                                          Das Essen hat Durst gemacht, und ich leere die dünnwandigere Thermos. Das Wasser ist sehr heiß. Nachdenklich schaue ich die Umgebung an.





                                          Der Schnee hat sich durch die Wärme verändert. Ich versuche, die Eiskristalle zu fotografieren, aber so zackig, wie gestern, sind sie nicht mehr.








                                          Ich sehe mir noch einmal die Karte an und überdenke meine Optionen. Schneit es ausgiebig, kann es sein, dass ich den Weg nicht mehr finde. Es kann rutschig sein, wenn sich Neu- und Altschnee nicht verbinden. Und kaputte Brücken, kaputte Bohlen und Abgründe sind nicht mehr zu sehen. Schneit es wenig, fehlt weiterhin das Wasser. Und muss ich länger abwettern, reicht mein Essen nicht.

                                          Der Wald, der vorgestern so erhaben wirkte, zeigt sich freudlos und kahl.











                                          Eine Welt in Monochrome.





                                          Naja. Immer noch nicht ganz.





                                          Ich beschließe, die Entscheidung an der Abzweigung zu treffen und trete aus dem Wald.
                                          Oha.
                                          (Norddeutsche Panikattacke)

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                                            • 31757
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                                            #22
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                                            Als ich die flauschigen Pflanzen sehe, muss ich lächeln. Schäfchenwolle.





                                            Erneut ein Zauberwald.








                                            Der angekündigte Bohlenweg. Kein Problem. Auf einem Rad balanciere ich Porsche vor mir her. An meinen Fähigkeiten brauche ich nicht zu zweifeln.








                                            Und dann stehe ich plötzlich in offenem Gelände. Ein Moor. Oder Sumpf. Rehtsuo heißt das Gebiet.





                                            Der Wind hat aufgefrischt. Schön ist es hier.





                                            Und gleichzeitig beschleicht mich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Nein, das gefällt mir nicht. Mit Küstenwetter kenne ich mich aus. Mit dem Wetter stimmt etwas nicht. Der nächste Ausstieg wäre erst in zwei Tagen. Nein, das gefällt mir nicht. Es scheint, als sängen die Moorgeister: „Lass das“. Zu Hause würde ich mich in Sicherheit bringen.





                                            Wieder geht es einen wurzeligen Hügel hinauf, und das erste Mal rutsche ich aus. Glatt sind die Wurzeln geworden. Ich passiere eine Holzkonstruktion. Ich schaue nicht genau hin, es ist wohl ein Laavu. Dunkel die Stelle und kalt. Wirklichen Schutz bietet das hier alles nicht.

                                            Die Abzweigung kommt, und ich schaue nach links. Hier geht es jetzt weiter.





                                            Noch ein kurzes Ringen, aber die Argumente liegen auf dem Tisch. Bei meinem heutigen Schnitt, komme ich nicht mehr weit. Wenn hier sonntags ein Bus fährt, dann jetzt. Ich biege in die Abkürzung ab.





                                            Bald ist der Wald zu Ende. Ein Hof. Lichterbögen in den Fenstern. Ein Nutzwald, bestehend aus hohen Fichten. Ein Auto kommt mir entgegen. Der Fahrer starrt mich an, einen Moment sieht es aus, als wolle er bremsen. Aufgeschichtete Baumstämme. Am Horizont ein schmaler, rötlicher Schein. Der Streifen läuft den gesamten Horizont herum. Es wirkt, als sagten die Geister erneut: Bye, bye und pass auf Dich auf.

                                            Die Dreieckskreuzung, von der der Mann sprach. Ich halte mich rechts. Wieder ein Haus. Ein Mann trägt den Weihnachtsbaum in den Garten. In den Fenstern brennt das Licht. Es sieht nach Familie, Wärme und Behaglichkeit aus. Ich sehne mich nach einer Sauna.

                                            Hinter dem Haus beginnen weitläufige Felder. Noch immer sieht man den Streifen in der Ferne, aber nun weht ein scharfer, eiskalter Wind. Ich schließe meine Jacke und schlinge mir den Schal um den Hals.

                                            Ich überlege, ob ich enttäuscht bin. Nein. Damit musste ich rechnen. Es ist ein großer Unterschied, ob man abbricht, weil man nicht weiter kann, oder ob man abbricht, weil man es will. Ich breche ab, weil ich es will. Urlaub soll Spaß machen und nicht in einen Überlebenskampf ausarten. Einen Moment überlege ich, ob ich den schmalen Streifen rosafarbenen Lichts fotografiere. Aber zur Tour gehört dieser Teil jetzt nicht mehr dazu.

                                            Kurz nach 15.00 Uhr stehe ich an der Bushaltestelle. Der Bus fährt immer auf 36. Ich setze mich hin. Ein schönes Gefühl, zu sitzen. Meine Knochen sind immer noch steif. Vor mir das Nichts einer flachen Landschaft. Ab und zu ein Auto. Wochenendverkehr.
                                            Nach zehn Minuten fällt mir auf, dass ich nicht geschaut habe, ob der Bus auch sonntags fährt. Ich kratze das Eis von der Scheibe. Es ist ein Vorteil, dass man im Tourmodus sein Schicksal regungslos hinnimmt, wo man sonst zu Wutausbrüchen geneigt hätte. Der letzte Bus fuhr Samstag um 14.02 Uhr. Sonntags fährt der Bus nicht. Die dritte Kategorie ist irgendetwas wie „Helpdag“, wenn ich mich richtig erinnere, was auch immer das ist.

                                            Ich packe den Rucksack emotionslos wieder auf die Schultern. Und laufe die 2,5 km zurück. Der Wind ist noch schärfer geworden, und ich friere richtig. Der Weg zieht sich. Vorhin erschien er mir flach. Nun steigt er ganz leicht an. Als ich an dem Haus mit dem Tannenbaum ankomme, überlege ich, warum ich nicht die Landstraße weitergegangen bin. Am Eingang zum Kangenmiekka Nationalpark fährt der Bus auch und zelten kann man da ebenso. Die Antwort wird ein Geheimnis bleiben. Ich hätte 1,5 km eingespart.





                                            In dem lichten Fichtenwaldstück sehe ich weit hinten umgekippte Bäume und überlege, ob ich mich dahinter verstecken kann. Mit Porsche kämpfe ich mich zu den Bäumen durch, dahinter ist aber keine Erde, sondern riesiges Kieselgestein. Ohne Porsche suche ich weiter, überall sind Baumwurzeln, übereiste Flächen und Gehölz. Dann setzt mein Verstand wieder ein, und ich weiß, hier komme ich im Notfall nie wieder raus. Also schnappe ich mir Porsche und zerre ihn zur Straße zurück.

                                            Am Waldrand finde ich ein verlassenen Grundstück, ein Gemäuer, das wie ein Tor wirkt, steht hier. Ich stelle mich in der Nähe der Mauer auf, unter einem tiefhängenden Busch. Sollten Menschen hier in der Nacht herumlaufen, so laufen sie wohl eher nebenan durch. Es ist jetzt bereits dunkel.

                                            Das Zelt ist schnell aufgebaut, die höheren Temperaturen machen sich bemerkbar. An einer Stelle gehen sogar Heringe in den Boden rein. Ich stehe wohl diesmal auf Waldboden und nicht auf Fels. Ein Foto vom Zelt, beleuchtet von der Stirnlampe. Draußen ist es bereits stockdunkel. Es ist jetzt 16.35 Uhr. Mein Thermometer zeigt - 5 Grad.





                                            Innenansicht. Porsche kommt später wie immer in die Apsis.





                                            Inarijoen Peter schickt mir eine Nachricht, am Mittwoch gäbe es Sturm. Das wundert mich nicht. Die Vorzeichen sind schon da. Ein paar Minuten später erschrecke ich mich. Schnee klatscht auf mein Zelt. Es schneit aber nicht, es sind die Schneereste, die der Wind von den Bäumen fegt. Der vereiste Rucksack neben mir taut, an der Zeltwand bildet sich Kondens.

                                            Der Wind nimmt zu und die Bäume beginnen unheilvoll zu rauschen. Das Geräusch mag ich nicht. Bei uns gibt es nicht so viele Bäume und wenn sie so laut sind, wird es ernst. Das Zelt steht regungslos, obwohl es nicht richtig befestigt ist, anscheinend habe ich einen windgeschützten Platz gefunden. Ich stopfe Ohrstöpsel in meine Ohren. Nach der Stille der letzten Tage, bin ich diesen Krach nicht mehr gewohnt.
                                            Oha.
                                            (Norddeutsche Panikattacke)

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                                              #23
                                              AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                              11.01.2016 2,5 km

                                              Ich habe tief geschlafen und wache erholt gegen 7 Uhr auf. Sofort kristallisiert sich ein neuer Plan. Ich könnte jetzt das fehlende Stückchen Weg von gestern noch laufen und steige dann an der Landstraße in den Bus. Vielleicht bestätigt sich meine Sorge ja nicht. Ein guter Plan. Eifrig ziehe ich mich an und packe.

                                              Kaum stehe ich vor dem Zelt, weiß ich, dass ich hier weg muss. Finster und kalt steht der Wald vor mir. Was gestern noch gnädig aussah, wirkt heute gefährlich und kalt. Der Schnee in den Bäumen ist verschwunden und immer noch rüttelt der Wind. Meine Alarmglocke schlägt an. Das Gestänge ist beschlagen, und als ich es ohne Handschuhe anfasse, kleben die Finger fest. Gestern und vorgestern ist mir das nicht passiert, aber gut, sich noch einmal daran zu erinnern. Ich ziehe Handschuhe an.


                                              Zeltspuren.





                                              Das geheimnisvolle Grundstück.





                                              Das Tor. Vermutlich nur eine Hauswand.









                                              Der erste Hof.





                                              Einer der so gefährlichen Tritte. Der Weg ist schmal und neben dem Bäumchen geht es tief herunter.





                                              Links und rechts fließt ein Fluss, an einigen Stellen taut er gerade auf.





                                              Der rosa Schimmer wurde durch einen dunkelgraue Schicht ersetzt. In den Wald rechts wollte ich ursprünglich gehen.








                                              Scharf weht der Wind über die Felder. Ich schätze ihn auf 15 km/h. Der Wetterbericht sagt später: 17 km/h. Ich ziehe erneut meine Jacken zu und stecke die Hände in die Tasche. Es ist unangenehm kalt.





                                              Den Bus um 10.36 Uhr sehe ich in in der Ferne fahren. Das macht mir nichts. Ich habe Zeit. Hauptsache, der Bus fährt überhaupt.

                                              Um 11.02 Uhr sitze ich an der Bushaltestelle. Den Rucksack stelle ich neben mich und sofort wird mein Rücken eiskalt. Die letzten Tage habe ich nicht so gefroren. Bald ist es vorbei. Regelungslos sitze ich an der Straße. Hier ist wirklich das absolute Nichts.








                                              Alle zehn Minuten fährt ein Auto vorbei. Und zweimal auch ein Bus.





                                              Der Wind nimmt Fahrt auf. In kleinen Streifen weht der Schnee die Straße entlang. Eine Schneeautobahn. Ich denke an meine WAI Fahrradtour auf Sylt. So war das damals auch.


                                              Der Bus kommt. Fahrtziel Kauppatori. Ich kenne Finnland mittlerweile so gut, dass ich ahne, dass damit der Marktplatz von Turku gemeint ist, frage aber dennoch nach. Ja. Der Bus fährt nach Turku. Der Fahrer spricht nur finnisch. Regionaltarif. 3 Euro.
                                              Der Bus ist fast leer und auch später steigen nur wenige Fahrgäste ein. Die Straßen sind relativ leer. Genau um zwölf Uhr fängt es zu schneien an, aber es ist kein schöner Schnee. Kleine spitze Schneekristalle fliegen waagerecht auf die Menschen zu und ballen sich in den Straßen zu Schneebändern, die vor und neben den Autos herfliegen.

                                              Ich steige Kauppatori aus, der Wind rüttelt die Wartenden durch, und eine Frau verliert fast ihren Hut. Ich finde meine Handschuhe nicht, habe ich endlich etwas verloren? Nein, habe ich nicht. Aber vorerst muss ich die Ersatzhandschuhe anziehen. Alte Frauen tasten sich vorsichtig über den Platz, eine ältere Dame schaut mich mit meinem Rucksack mitleidig an. Die Übergänge an den Straßen sind glatt und der Schnee fühlt sich an, wie Stecknadeln auf der Haut. Die Autos fahren langsam und bremsen verzögert. Die Frau von der Touristeninfo ruft beim Hostel an, und ich erfahre, dass ich vorzeitig einchecken darf. Das alte Zimmer bekomme ich leider nicht. Der Bus 1 hat Verspätung, das macht einen jungen Mann äußerst nervös.

                                              Im Hostel gibt es Lounas (Lunch) für 9.70 Euro, und ich stürze mich darauf. Kartoffeln, Nudeln, Püree, Fisch, Hühnchen, Salat. Ein Stück Kuchen. Milch. Mein Körper entspannt sich. Die Damen an der Kasse bekommen die Kassenrolle nicht gewechselt, und irgendwann kann ich nicht mehr zuschauen und erkläre ihnen, wie das geht. Vor der Tür stürmt es. Die dünnen Schneeflocken fliegen waagerecht an den Bullaugen vorbei.
                                              Ich dusche heiß und wasche eine Maschine durch. Viel schneller als gestern ist es dunkel. Der Schnee bleibt nicht liegen. Mein Wasser hätte nicht gereicht. Und ob das Zelt wohl ohne Befestigung stabil geblieben wäre?

                                              Die Wettervorhersage verheißt keine Änderung. Ich überlege, übermorgen zu Inarijoen Peter und R. zu fahren. Aber erst einmal gehe ich schlafen. Wärme. Ein Genuss.





                                              Es schneit und windet die ganze Nacht. Im Raum Helsinki tobt ein Schneesturm. Viele Züge fallen aus.
                                              Oha.
                                              (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                #24
                                                AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                12.01.2016. Ruhetag.

                                                In einem geheizten Raum zu schlafen, ist wunderbar, wenn draußen Sauwetter tobt. Am Abend hatte ich den Zwischenstopp bei Peter und R. schon festgemacht, von da aus ist es nicht so weit bis Lappland. Ods grätscht mir dazwischen. Ob ich gaaanz zufällig in den nächsten drei Tagen in Rovaniemi wäre? Nö, eigentlich nicht. Aber war die fixe Idee eines Treffens in Rovaniemi damals nicht der Ausgangspunkt für meine erste Tour nach Finnland? Entstanden am Lagerfeuer einer MV, mit dem Hintergedanken, Iglus zu bauen? Und überhaupt, Berlin ist ganz schön weit, da bietet sich doch Lappland für ein Treffen förmlich an, oder? Morgen Hämeenlinna, übermorgen Rovaniemi? Dann bliebe für beide Etappen ein halber Abend. Ziemlich knapp. Ich bin erleichtert, als sich Inarijoen Peter und R. verständnisvoll zeigen. Wir schieben meinen Besuch nach hinten.
                                                Ich buche das gleiche Hotel, wie die beiden. Es frisst meine Reserven, aber ich gönne mir das jetzt mal. Das Hostel liegt zu weit weg.

                                                Mittagessen. Auf Tour habe ich nichts herunterbekommen, jetzt stopfe ich Nahrung in mich hinein. Da muss ich beim nächsten Mal etwas ändern. Noch weiß ich allerdings nicht, wie. Aber es ist ein Schwachpunkt. Dankbar füllt mein Körper die verlorenen Kalorien wieder auf.

                                                Immer noch fliegt der Schnee waagerecht, Schmuddelwetter bei – 7 Grad. Ich wollte eigentlich spazieren gehen, aber bei dem Gedanken friere ich. Ich nehme den Bus zum Bahnhof, um einen Platz im Zug zu reservieren. Die Finnen bestehen sehr konsequent auf ihrer Platzreservierung, das kann man nur mit einer Platzreservierung kontern. Während der Wartezeit betrachte ich Plakate. Fünfzig Prozent der Worte verstehe ich. Es ist eigentlich nur die Kunst, die Grundform der Worte herauszufinden oder zu suchen, aus welchen Einzelworten die längeren Worte zusammengefügt sind. Dann kann man sich schon vieles erklären.
                                                Die Frau am Schalter behauptet, kaum Englisch zu sprechen, daher werfe ich keck ein paar finnische Brocken ein. Wir lachen, und ihr Englisch wird exzellent. Die meisten Züge werden morgen wieder fahren, der Anschlusszug in Oulu nicht. Sie bucht mir ab Tampere den IC. Ich bekommen einen Platz am Eingang wegen des Gepäcks.

                                                An der Bushaltestelle beobachte ich einen mutigen Radfahrer, der aufgrund der Böen Schlangenlinien fährt, und die von mir so gefürchteten Schneepflugrallyefahrer. Ein Auto fährt einen großen Holzleuchturm auf der Ladefläche spazieren, aber bis ich den Akku aus der Jacke gekramt habe, ist er schon weg. Der Schneeflugfahrer nicht.





                                                Am Marktplatz fällt mir der Kontrast zu letzter Woche besonders auf. Fröhlich und gelöst die Menschen damals. Heute will hier jeder nur weg.





                                                Später lässt der Wind etwas nach. Ein wenig Schnee bleibt liegen. Ich mache Fotos für die Challenge, schicke sie aber nicht ab.





                                                Das Hostel.





                                                Hübsch.








                                                Jeden Tag ein neues Wort.





                                                Blick auf den Fährhafen und die Burg.





                                                Auf dem Oberdeck ist im Sommer Gastronomie mit Blick auf den Fluss.





                                                Ich kuschele mich in meine schmale Koje. Ich hätte auch den Nachtzug um 21.30 Uhr nehmen können. Ich weiß. Aber ich möchte noch einmal eine Nacht richtig durchschlafen können. Ohne Ruckeln und Krach. Mein Körper braucht das.
                                                Oha.
                                                (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                  #25
                                                  AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                  13.01. - 14. 01.2016 Ounasvaara (Rovaniemi). Urban Outdoor.

                                                  11 Stunden Zugfahrt liegen vor mir. Immerhin hat die Bahn hier W-Lan. So surfe ich auf ods. Und suche zukünftige Wanderwege heraus. Ich! Und Wandern!
                                                  Das Wetter im Süden stabilisiert sich. Am Wochenende sind Sonne und tiefere Temperaturen wieder zurück. Ich könnte meine Tour nun fortsetzen. Zu spät. Es gibt kein Zurück.
                                                  In Tampere habe ich eine Stunde Aufenthalt. Auf dem Bahnsteig weht ein eisiger Wind. Ich esse in der Bahnhofspassage Lounas, die darin enthaltene Pizza lockt mich, von der derMac meinte, sie sei in Finnland gar nicht schlecht. Er hat Recht.

                                                  Tampere, diese junge, fröhliche, beschwingte Stadt im Winter. Die meisten Fahrgäste verstecken sich neben der Rolltreppe. Was für Weicheier!








                                                  Um 19.50 Uhr komme ich in Rovaniemi an. Die anderen haben sich in Ounasvaara einquartiert, da kommt man nur mit einem einstündigen Fußmarsch hin. Öffis gibt es nicht. Ich nehme ein Taxi.

                                                  Die Unterkunft ist dem Preis entsprechend nobel und im Bad befindet sich eine Sauna. Im Zimmer ein vernünftiges Bett. Gegen die Hostelbetten ein Palast. Unsere Appartements liegen nebeneinander, ich hatte bei der Buchung erklärt, dass wir uns kennen. Das ist natürlich nett. Ein paar Asiaten rennen hektisch mit einer Pulka herum und ziehen sich gegenseitig. Fällt jemand herunter, folgt großes Gelächter. Die Temperatur habe ich vergessen. Waren es – 16 Grad? Oder – 18 Grad? Auf jeden Fall wieder eine angenehme Temperatur. Meinen Beinen geht es bestens. Und es liegt tiefer Schnee. Was braucht man mehr? Nordlichter vielleicht, aber der Index steht auf 1. Wenig Chance.

                                                  Klopf, klopf. Und schon ist ods Treffen. Die Welt ist eben ein Dorf.





                                                  Am Morgen ist der Schnee noch da.





                                                  Wir treffen uns beim Frühstück. Dann geht es mit dem Taxi nach Rovaniemi hinein. Man will unbedingt einen Smartphonescreenshot von dem Bild der Livewebcam des Lordi Squares machen, um zu demonstrieren, dass man in Rovaniemi war. Ungläubiges Starren. Die webcam ist kaputt. Aber Ihr wart da. Das ist der Beweis!





                                                  Ich buche in der Touristeninfo das Hostel in Kiilopää und lasse mir einen Busfahrplan geben. Das Wetter ist rauh und windig, und so suchen wir uns erst einmal ein Kahvila (Café). Dann gehen wir ins Museum, das Arcticum. Wenn es schon keine Nordlichter am Himmel gibt, dann eben in der Vorführshow.

                                                  Am Abend ziehen wir uns in unsere jeweiligen Gemächer zurück, und saunieren ausgiebig. Traumhaft, nach der Sauna nur mit Handtuch bekleidet im Schnee herumzuspazieren. Vielleicht sollte man Schnee in Deutschland auch mal einführen?





                                                  Der Abend klingt bei Gesprächen aus.
                                                  Oha.
                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                    #26
                                                    AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                    15.01.2016. Kiilopää.

                                                    Auf nach Lappland.

                                                    Ich löse das Busticket und kann das Gepäck bis zur Abfahrt abstellen. Bei Intersport erstehe ich für 19.90 Euro lange Kunstfaserwäsche im Abverkauf. Da ich Gewicht sparen wollte, habe ich keine Reservehose dabei. Im einem Mehrbettraum ist so etwas aber nützlich. Die Verkäuferin fragt nach meiner Kundenkarte, ich antworte auf Englisch und erkläre ihr, ich hätte sie verstanden. Habe ich auch.

                                                    In einer Bäckerei erstehe ich Voisilmäpullat, das Wort habe ich mir natürlich gemerkt. Das Thema der Challenge sind Wildtiere. Etwas Besseres finde ich gerade nicht. Die Vögel in den Bäumen sind zu weit weg.





                                                    Der Bus ist fast leer. Der Busfahrer fährt zügig auf dem gefrorenen Boden, um seinen Fahrplan einzuhalten. Das Eis knirscht, Nebel zieht über die Straße, aber das schreckt ihn nicht. Er überholt alle, die vor ihm sind. Ich hoffe, der Fahrer macht das öfter. Zusehen erspare ich mir schnell.





                                                    In Sodankylä habe ich wieder 15 Minuten Aufenthalt, da die Pakete eingeladen werden müssen. Durch die Dunkelheit geht es weiter.

                                                    Um kurz vor sieben bin ich vor Ort. Die Luft ist klar. Es sind – 26 Grad. Meine Nasenhärchen kleben. Endlich wieder angenehmes Wetter. Endlich nicht mehr frieren. Ich checke in der Fjell Station ein. Das Hostel ist ein paar Meter weiter.





                                                    Der Raum ist einfach, aber ich bin alleine. Vom Zimmer aus sieht man die beleuchteten Loipen. Ich gehe noch ein bisschen draußen spazieren. Dieses Wetter hätte ich mir für meine Tour gewünscht. Ein paar Holländer legen sich an einer Hütte in den Schnee und machen Fotos mit Selbstauslöser. Ich biete an, sie zu fotografieren, und sie freuen sich.
                                                    Kurz danach sehe ich sie in der Hostelküche auf dem Gang wieder. Sie feiern Abschied. Sie wohnen im Hotel, und in ihren Zimmern ist Alkoholkonsum anscheinend nicht erwünscht. Ihre Kleidung legen sie in einen riesigen Kühlschrank. Es ist ein Trockenschrank, werde ich später erfahren. Sachen gibt es!

                                                    Ich freue mich auf die nächsten Tage. Endlich Schnee. Und endlich kalt.
                                                    Oha.
                                                    (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                      • 16.08.2008
                                                      • 31757
                                                      • Privat


                                                      #27
                                                      AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                      16.01.2016. Schneeschuhe. 4 km.

                                                      Ich entscheide mich für Schneeschuhe. Im Keller ist der Verleih. 15.00 Euro. Wieso ich keine Ski leihen will? Weil ich nicht Skifahren kann. Das kann man ja ändern. Ich zweifele. Wieso wollen einen die Leute immer auf diese glitschigen Dinger zwingen? Ich verspreche, es mir zu überlegen.

                                                      Meine Riesenschlappen nennen sich Wilderness. Das klingt vielversprechend. Noch besser als Expedition. Die liegen zu Hause.
                                                      Man hat mir erklärt, wo man entlang gehen kann, und ich habe nichts verstanden. So latsche ich erst einmal mit entsprechendem Respekt durch das Tor des Urho-Kekkonen-Nationalparks. Das steht nämlich neben dem Eingang der Station. Der Nationalpark beginnt direkt nebendran. Schlau wie ich bin, habe ich meine Daunenhose, eine Thermoskanne mit heißem Wasser und meinen Gaskocher dabei. Letzteren würde ihn gerne mal testen.

                                                      Schlapp, schlapp, schlapp. Der Bewegungsablauf ist schon bemerkenswert. Wären sie nicht so hilfreich, käme ich mir recht blöd vor. Nach rechts knickt eine gespurte Loipe ab, und ich entscheide mich, dem vereisten und verschneiten Richtungspfeil, der vermutlich einen Wanderweg markiert, geradeaus zu folgen. Mal schauen, was das bringt. So richtig Querfeldein möchte ich nicht gehen. Ich bin alleine. Den Nationalpark darf man nicht unterschätzen. Was ich nicht im Sommer kenne, möchte ich im Winter nicht begehen. Ich bin mehr der Sicherheitstyp. Und umso mehr ich Finnland kenne, umso vorsichtiger werde ich.

                                                      Es ist bewölkt bei ca. - 26 Grad. Das exakte Thermometer entdecke ich erst am Abreisetag und verlasse mich auf die Voraussage Saariselkä. Schon nach ein paar Metern ist klar, dass
                                                      a) Schneeschuhgehen anstrengender ist, als wandern und
                                                      b) ich am liebsten jeden einzelnen Baum fotografieren würde, weil er so schön ist. Ich hoffe, ich kriege das in Griff. Natürlich nicht. Ich bitte um Nachsicht.





                                                      Suomen Latu Fjällzentrum. Es wird von dem Verein Suomen Latu betrieben. Klick





                                                      Das Motto der Fotochallenge heißt diesmal „Winterliche Wildtiere“. Ich sehe überall Tiere.





                                                      Tierkonferenz.





                                                      Apina. (Affe).





                                                      Meine Spuren im Schnee.





                                                      Auch hier tückische Fallen. Anscheinend stehe ich auf einer Brücke.





                                                      Diese Stille.





                                                      An einem Wegweiser ohne Namen biege ich links ab. Der Weg ist markiert. Er führt bergauf. Da ich spuren muss, bin ich über Fotopausen dankbar. Aber ich habe ja Zeit.





                                                      Die Bäume werden weniger.





                                                      Alles sieht gleich aus. Warum die Bilder mal blau und mal realistisch weiß werden, weiß ich nicht.


                                                      Der erste Haltepunkt.





                                                      Windig ist es hier. Und kalt. Ich schalte interessehalber die typographische osm Karte Finnland an. Sie funktionierte bisher nie, aber hier verfügt sie anscheined über offizielles Kartenmaterial. Ich bin erstaunt. Und der Weg ist verzeichnet: Ich besteige gerade den Kiilopää. Das motiviert mich. Weiter.





                                                      Die Sicht ist schlecht, aber da man die Wegweiser gut sehen kann, sehe ich mich abgesichert. Das Navi habe ich auch noch. Beim ersten Mal hatte mich in einer derartigen Situation ein wenig Furcht übermannt. Jetzt kann ich schon besser damit umgehen. Die klaren Kontraste sieht übrigens nur die Kamera. Ich nicht. Die Markierung ist dagegen gut zu sehen.








                                                      Der Boden ist steinhart. Unter den Schneeschuhen knirscht er. Ich verspüre Durst. Immer wieder setze ich ab. Bergauf ist nie meine Stärke. Und gleiten tun Schneeschuhe ja nun auch nicht. Dann kommt mein Ziel in Sicht.





                                                      Das „Gipfelkreuz“. Der Kiilopää ist 546 Meter hoch. Darf ich jetzt im Alpinfaden posten? Der Weg ginge jetzt wohl noch ein paar Meter weiter, hört aber dann auf. Ich belasse es dabei.





                                                      Der Ausblick ist großartig. Ich mache eine Rundumaufnahme.














                                                      Der Wind weht sehr frisch hier oben, man kann das nicht sehen, weil es keine Referenzpunkte gibt. Später erfahre ich, dass es auf den Tunturis wärmer ist, als im Tal. Davon kann ich nichts merken. Immerhin überrascht mich meine Jacke. Ich hätte nicht gedacht, dass sie selbst bei dieser Temperatur so zuverlässig warm hält. Die Schuhe sind sowieso perfekt, obwohl ich nur Sommersocken, Plastiktüte und eine etwas dickere Socke anhabe. Keine fetten Woolpower oder so. Erfreulich.





                                                      Mein Durst ist unerträglich geworden. Ich hole die Thermoskanne, die ich extra gut innen und außen abgetrocknet hatte. Sie geht nicht auf. Ich habe es geahnt. Ich stecke sie kurz unter die Jacke, aber davon wird mir nur kalt. Es hilft nichts. Kurz ziehe ich den linken Handschuh aus. Sie geht auf. Handschuhe wieder an. Allein dieser Moment und das nun folgenden Festhalten der Kanne, um zu trinken, reichen aus, um meine Finger auskühlen zu lassen. Gierig trinke ich das Wasser, gut einen halben Liter, dann packe ich die Kanne wieder weg. Meine Fingerspitzen brennen und meine Motivation, jetzt einen Kocher zu testen, sackt gegen Null. Es gibt auch keinen Platz, wo man ihn hinstellen könnte. Keinen Windschutz. Und mich ungeschützt in den Schnee zu setzen, finde ich bei diesem Wind auch nicht sehr schlau.

                                                      Meine Finger brennen nun wie Feuer. Wie ein Kind nehme ich sie kurz zwischen die Beine, aber das bringt nichts. Das einzige, was hilft, ist Bewegung. Kurze Zeit später ist alles wieder gut.

                                                      Der Abstieg geht natürlich leichter. Einen Moment überlege ich, ob Rentierpisse auch zum Thema winterliche Wildtiere gehört. Aber vielleicht war es ja auch ein anderes Tier.





                                                      Traumschön hier. Wenn man weiß, wo man ist. Ich bin meinem Navi dankbar. Und dem, der die Wege markiert.





                                                      Die Sicht bessert sich. Das Fjällzentrum kommt wieder in Sicht.





                                                      Und die ersten Bäume.





                                                      Kunstwerk.





                                                      Und dann passiert das, was ich hier oben immer so faszinierend finde. Ein ganz schmaler Streifen, kaum zu sehen.





                                                      Der Streifen wird größer.





                                                      Auf der gegenüberliegenden Seite taucht ein verschneiter Berg auf.





                                                      So schnell wie das Wetter schlecht werden kann, wird es manchmal auch wieder gut. Es ist jetzt 14.43 Uhr. Die Sonne ist längst untergegangen, sie zeigt sich derzeit nicht viel länger als eine halbe Stunde. Vor zehn Tagen sah man sie hier noch gar nicht. Aber ihre Strahlen sind dennoch noch da.





                                                      Hätte ich das oben schon gewusst, ich wäre länger geblieben.





                                                      Aber das weiß man nicht vorher.





                                                      Schön, dass ich noch ein paar Tage bleibe.





                                                      Das Ende des Ausflugs. Jetzt kratze ich auch mal das Schild frei.





                                                      Es ist jetzt 15.21 Uhr. Gleich wird es dunkel. Ich habe 3,5 Stunden gebraucht. Offiziell rechnet man für den Weg 2 bis 2,5 Stunden. Aber ich habe natürlich auch ziemlich viel getrödelt.





                                                      Im Vorraum des Hostels ist es so kalt, dass der Schnee, der von den Schuhen fällt, nicht taut. Wie kalt es ist, weiß ich nicht. Die Tür ist auf und isoliert wirkt der Raum auch nicht. So stelle ich schnell mal den Gaskocher an. Die Kartusche ist auf jeden Fall gut durchgekühlt, sie hatte ich ja im Rucksack.

                                                      Der Kocher geht unverzüglich an.





                                                      Aussagekräftig ist das nicht. Aber es macht Spaß. Einen Moment überlege ich, mir einen Platz vor der Tür zu suchen. Aber eine Sitzgruppe gibt es dort nicht. Und mitten auf der Straße? Das bringe ich dann doch nicht. Und weil es auf der Sitzbank auch ein wenig kühl ist, verziehe ich mich in die geheizte Küche.


                                                      Fröhlich begebe ich mich zur Sauna. Zelten? Ja, hätte ich schon Lust zu. Aber dieses ganze Gerödel. Dieses Packen. Diese Umsicht. Keinen Fehler machen. Dieses Frieren. Ich mache es mir jetzt gerne auch einfach mal gemütlich.
                                                      Ich denke an die Frauen aus dem Lapplandthread. Es geht nichts über eigene Erfahrung. Allein das Erlebnis auf dem Kiilopää würde bei mir dafür sorgen, als Newbie meine Pläne außerhalb der Saison gut zu überdenken. Und ich komme mit Kälte eigentlich ziemlich gut klar.
                                                      Oha.
                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                      Kommentar


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                                                        • 16.08.2008
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                                                        #28
                                                        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                        17.01.2016. Langlauf 3 km. Wandern 4 km.

                                                        Es ist Sonntag, und ich beschließe, dass dies ein guter Tag ist, aus dem Leben zu scheiden. Ich leihe Skier aus.





                                                        Madame ist begeistert. Madame ist gebürtige Französin, die in Karelien lebt und im Winter im Kiilopää arbeitet. Sie erklärt mir, wo die flache Anfängerstrecke liegt. Morgen gibt es einen Skikurs. Ein Vogel bearbeitet einen Meisenknödel, ich erfahre, dass es ein Kuukkeli ist. Ein Unluckybird, übersetzt Madame. Später lerne ich: Es ist ein Unglückshäher. Klick. Rot leuchten die Federn, als er davon fliegt.





                                                        Der ältere Finne, der sich um die Technik kümmert, spricht ein sehr gutes, fast akzentfreies Deutsch. Er spricht mir Mut zu. Die geliehenen Schuhe sitzen besser, als die beim letzten Mal, das macht Hoffnung. Todesmutig mache ich mich auf den Weg. Und die Kulisse könnte nicht großartiger sein.





                                                        Die Anfängerloipe ist an der Loipe, die ich von meinem Schlafraum aus sehe. Inarijoen Peter wird mich tatsächlich an diesem Tag auf der webcam entdecken. Skandal. Erfreulicherweise nur als Standbild und nur ganz klein. Die neue Technik ist wirklich fatal. Kann man nicht mehr ungestört sich die Beine brechen gehen? Wie bereits letzten Sonntag sind heute wieder Einheimische unterwegs, alle halbe Stunde gibt es eine Begegnung.

                                                        Die Jugendherberge von der Loipe aus.





                                                        Die Bindung muss manuell geöffnet und geschlossen werden, und so brauche ich erst einmal eine gute Viertelstunde, bis ich die Dinger überhaupt an den Füßen habe. Ich stütze mich an einem Wegweiser ab. Die Skier haben in der Mitte Felle. So rutschig sind sie also gar nicht.
                                                        Nicht mit dem Oberkörper nach hinten fallen, hatte Madame gemahnt. Ich beherzige den Rat. Im Rucksack wieder ein warmes Getränk. Eine Skitour wird heute durch Snowboardwandern zum Kiilopää ersetzt. Es sei zu kalt. Ich bin verwundert, im Wetterbericht stand – 28. Tatsächlich sind es vor Ort wohl (wenn ich die Abweichung der nächsten Tage vergleiche) – 32 oder - 33 Grad und in den Tälern geht es stramm in Richtung - 40 Grad. Das weiß ich aber nicht, und so verhalte ich mich mal wieder antizyklisch. Meine Nasenhärchen kleben, meine Wangen glühen, die Atemluft am Schal gefriert. Aber besonders frisch finde ich es nicht. Mir geht es gut.





                                                        Ich gewöhne mich an den Bewegungsablauf. Es ist eigentlich eher Gehen, was ich mache, Gleiten traue ich mich noch nicht. Aber nach einem halben Kilometer merke ich, dass ich langsam Gefühl bekomme. Eine Dame überholt mich, ein Mann kommt mir entgegen, und ich kopiere ihren Stil. Ah. So geht das.





                                                        Leider kann ich mal wieder die Finger nicht von der Kamera lassen und bleibe öfter stehen. Das liegt sicherlich einmal an der Kälte, die mich herunterbremst, aber auch an dem, was ich sehe. Nein, Signore Ronaldo., natürlich ist Gran Canaria schön. Aber diese unglaubliche Kulisse, diese Stille, dieses Zurückgeworfen werden auf einen selbst, diese völlige Abwesenheit sichtbarer Veränderung – selbst der Himmel verändert sich nur in Zeitlupe, als bliebe die Erde stehen - nein, das findet man einfach nur hier.

                                                        Der Kiilopää hinter mir.





                                                        Das bin ich.





                                                        Ach diese strubbeligen Nadeln.





                                                        Und bei diesem Anblick könnte ich mir einen Stuhl nehme und einfach zusehen.





                                                        So etwas ist dagegen weniger schön. (Edit: Erklärung: Der gespurte Weg scheint über eine Brücke zu gehen - da geht es an der Kante schön runter und die Loipe verschwindet kurz.)





                                                        Dieses rosa.





                                                        Ich bin eigentlich ganz gut dabei und schaffe es sogar ab und zu, die Skier gleiten zu lassen. Meine Hose entpuppt sich als etwas kühl, aber mit Bewegung geht es. Morgen werden ich aber meine Daunenhose anziehen. Ein Päärchen kommt mir entgegen, sie in der Loipe, er im Sprint nebenher. Neidisch. Eine Hütte, ich würde gerne mal gucken, aber mit den riesigen Dingern an den Füßen geht das wohl nicht.

                                                        Nun geht es bergab, ich könnte jetzt gleiten, aber mein Gehirn blockiert komplett. Die Stürze beim ersten Mal in Saariselkä sind noch in meinem Gedächtnis und damals war der Schnee nicht so hart. Ich überlege. Mit dem Hintern zu bremsen kommt mir auf diesem bretterharten Schnee komisch vor, das geht auch gar nicht mit meinen Knien. Abschnallen? Vermutlich geht das jetzt auch ein paar Kilometer so weiter. Durch Wald.
                                                        Ich drehe um. Keine Experimente, wenn ich alleine bin. Die Magedeburger, die ich gestern kennengelernt habe, werden mir später erzählen, dass sie die Skier auch schon mal abschnallen, wenn es zu tief heruntergeht. Das müsste ich dann wohl ständig tun, Finnland ist definitiv nicht flach.

                                                        Ich wende. Und werde für meine Verhältnisse jetzt sogar recht schnell. Wenn nicht immer diese Fotos wären.





                                                        Der Ahopää. Er gibt dem Hostel seinen Namen.





                                                        Auch hier können Gewässer offen sein.





                                                        Der Mond über dem Kiilopää. Es ist jetzt zwanzig nach zwölf.








                                                        Ich wäre jetzt gerne auf dem Kiilopää, von dort kann man die Sonne sehen. Ich befinde mich dafür zu tief im Tal. Die Magdeburger werden später von der Sonne schwärmen. Ganz knapp haben sie sie noch gesehen.





                                                        Ich gleite jetzt schon relativ gut. Haltungsnoten sollte man mir allerdings wohl nicht geben. Als ich an meinem Aussichtspunkt bin, wende ich wieder, fahre aber nur noch eine kleine Runde. Meine Wangen brennen und das rechte Augenlid fängt an zu jucken. Es fühlt sich an, als hätten sich Pusteln gebildet, ein wenig ist es geschwollen. Meine Beine fühlen sich jetzt auch leicht ausgekühlt aus, es ist wohl tatsächlich kälter als gestern. Ich beschließe, für heute Schluss zu machen, auch wenn ich nur knapp zwei Stunden unterwegs war.

                                                        Als ich wieder am Hostel bin, bin ich zufrieden. Wackelig bin ich auf Skiern zwar immer noch. Aber nicht einmal umgefallen. Und gegen Ende hatte ich die Skier sogar kurz vergessen und bin intuitiv geglitten. Mal sehen, vielleicht mache ich morgen wirklich noch den Skikurs.

                                                        Als ich mich im warmen Zimmer befinde, merke ich, dass ich doch ganz schön erschöpft bin. Die Kälte macht mich müde. Ich mache jetzt einfach mal Urlaub. Und für einen Moment lege ich mich hin. Aus dem Moment wird eine halbe Stunde, und als ich mehr beiläufig aus dem Fenster gucke, kommen doch Rentiere auf der Loipe angetrabt. Wo ist die Kamera? Meine Kamera beschlägt, als ich sie aus der kalten Tasche nehme. Ich reiße das Fenster auf.





                                                        Das Ergebnis enttäuscht mich. Viel zu klein. Mein Tele fehlt mir schmerzlich. Aber das war mir zu schwer.
                                                        Und schon wieder stürze ich aus dem Haus. Rentiere fotografieren. Es ist 13.09 Uhr.
                                                        Zuletzt geändert von Torres; 04.02.2016, 19:41.
                                                        Oha.
                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                          • 30.05.2007
                                                          • 3996
                                                          • Privat


                                                          #29
                                                          AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                          Ein echter Torres und dann auch noch mit Schnee...Ein Traum.
                                                          Ich stimme Dir zu, diesen Schnee sollte man auch mal in HH einführen. (Bei mir blühen die Rosen auf der Terrasse.)
                                                          So möchtig ist die krankhafte Neigung des Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugnis wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen.
                                                          A. v. Humboldt.

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                                                            Erfahren
                                                            • 27.11.2013
                                                            • 430
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                                                            #30
                                                            AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                            Hach, dieses traumhafte Licht des nordischen Winters! Wie ich das liebe!
                                                            Auch wenn ich nicht ganz nachvollziehen kann, warum man sich mit einem "Hand-Porsche" durch den finnischen Wald quält, mit den Langlauf-Teil kann ich mich voll und ganz identifizieren Weiter so und danke für die schönen Bilder!
                                                            Gruß, oesine

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                                                              Freak

                                                              Liebt das Forum
                                                              • 16.08.2008
                                                              • 31757
                                                              • Privat


                                                              #31
                                                              AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                              Auch wenn ich nicht ganz nachvollziehen kann, warum man sich mit einem "Hand-Porsche" durch den finnischen Wald quält,
                                                              Du kennst den finnischen Wald anscheinend. . Klar, einfach war das nicht, gerade wenn es nur kleine, schmale Pfade zwischen den Felsen sind. Aber eine Qual war das auch nicht. Es gab halt sehr komplizierte Stellen und dann wieder sehr einfache Stellen, wo das alles kein Problem war. Immerhin besser, als 28 kg Gewicht auf den Schultern bzw. den Knien zu tragen. Das ging dann an schwierigen Stellen mal eine Zeitlang, aber die ganze Zeit hätte ich das nicht tragen wollen. Ich bekomme den Rucksack bei zu hohem Gewicht auch einfach nicht mehr auf die Schultern drauf. Und ich war auch ganz froh, den Benzinkocher nicht neben den Klamotten zu haben.

                                                              Ich würde jetzt allerdings beim nächsten Mal auch gut 4 kg weniger Kleidung und Kleinkram mitnehmen. Man kann hier halt so schlecht seine Sachen testen. Die Daunenhose war zwar in Lappland sehr angenehm, aber wirklich notwendig war sie nicht. Die dicke Mütze habe ich gar nicht gebraucht. Den Wagen würde ich im Winter dennoch - gerade, wenn so wenig Schnee liegt - wieder mitnehmen. Es ist schon eine große Erleichterung, wenn man mal den Schal oder irgendetwas anderes draufpacken kann. Am Ende kamen noch Bücher hinzu - das hätte ich mit dem Rucksack alleine nicht mitnehmen können.

                                                              mit den Langlauf-Teil kann ich mich voll und ganz identifizieren
                                                              Ich arbeite daran, dass das bei mir irgendwann auch so wird. . Dann allerdings nur Tagestouren, die Tage sind einfach zu kurz. Denn in der winterlichen Hauptsaison habe ich leider keinen Urlaub. Ich wollte aber gerne auf Tour gehen und da bleiben eben nur solche Improvisationen im Süden Finnlands übrig. Es sei denn, ich verzichte auf Sicherheit, was ich aber nicht wollte. Dazu sind im Januar die Wetterkapriolen zu groß.

                                                              Hach, dieses traumhafte Licht des nordischen Winters! Wie ich das liebe!
                                                              Ich auch.

                                                              @all
                                                              Danke für die netten Kommentare bisher. Rosen auf der Terrasse, ähm ja. In Finnland ist das Wetter allerdings auch gekippt, zwischenzeitlich waren sogar in Lappland kurzzeitig - 1 Grad und im Süden Finnlands bewegten sich die Temperaturen streckenweise zwischen + 3 und - 1 Grad. Erst jetzt scheinen die Temperaturen wieder anzuziehen.
                                                              Oha.
                                                              (Norddeutsche Panikattacke)

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                                                                • 15.10.2007
                                                                • 16106
                                                                • Privat


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                                                                AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                Ich fand das Licht bei meinem kurzen Aufenthalt da oben auch sehr besonders. Das hast du schön eingefangen

                                                                Gab's denn noch Nordlichter? Am 20.1. soll die Aktivität ja recht hoch gewesen sein.
                                                                Arrivederci, farewell, adieu, sayonara WAI! "Ja, wo läuft es denn? Wo läuft es denn hin?"

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                                                                  Freak

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                                                                  • 16.08.2008
                                                                  • 31757
                                                                  • Privat


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                                                                  AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                  Ich weiß es nicht. Ich bin an dem Tag (war das nicht der 20.1.?) mit der größten Aktivität abgereist. Als ich die Werte sah, war ich etwas geknickt, da wollte ich aber nicht mehr alles umorganisieren. Eine Garantie ist das ja nicht. Es war abends immer ziemlich diesig und in Rovaniemi war auch keine klare Luft.

                                                                  Wer an diesem Abend einen Nachtflug hatte, dürfte Glück gehabt haben.
                                                                  Oha.
                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                  Kommentar


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                                                                    Freak
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                                                                    • 11888
                                                                    • Privat


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                                                                    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                    Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                    Warum sind Leute eigentlich auf Wintercampen so wild? Etwas Bescheideneres als das hier gibt es wirklich nicht.
                                                                    Zumindest ich bin auf das Zelten bei Kälte nicht sooo wild. Aber:

                                                                    Aber diese unglaubliche Kulisse, diese Stille, dieses Zurückgeworfen werden auf einen selbst, diese völlige Abwesenheit sichtbarer Veränderung – selbst der Himmel verändert sich nur in Zeitlupe, als bliebe die Erde stehen - nein, das findet man einfach nur hier.
                                                                    Dafür nehm ich das halt in Kauf und wenn es einfach nur kalt und sonst gutes Wetter ist, stört die Kälte auch nicht so. Und wen grad eine Hütte rumsteht kann man die auch nehmen. Das tollste Licht gibt es IMO aber nur zu den Zeiten wo die Sonne sehr flach steht.

                                                                    Mac

                                                                    PS: freut mich, dass die Pizza gut war

                                                                    Kommentar


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                                                                      • 12506
                                                                      • Privat


                                                                      #35
                                                                      AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                      Nur ein Wort: <bibber...!>

                                                                      Toller Bericht, danke! Ich les ja auch gern über Dinge, die ich Langweiler im Leben nicht unternehmen wollen würde...

                                                                      Kommentar


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                                                                        • 31757
                                                                        • Privat


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                                                                        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                                        Was ich nun tue, bitte ich, nicht nachzumachen. Das tut man nämlich nicht. Ich habe es auch nicht böswillig getan. Ich wusste das einfach nicht. Ich laufe nämlich zwischen den Skispuren in Richtung der Rentiere. Weil ich denke, wie praktisch: Das ist extra für Fußgänger. Nein, es ist die Steig- und Bremszone der Skifahrer. Asche über mein Haupt. Madame Sabrina wird uns am nächsten Tag darauf hinweisen. Finnen reagieren da sehr, sehr ungehalten drauf. Und ich schäme mich.


                                                                        Nun stürze ich also aus dem Hostel, um den Rentieren näher zu kommen. An sich hatte ich vor, mich anzuschleichen. Das ist ein sinnloses Unterfangen. Der Schnee ist so bretterhart, dass jeder Schritt eine kleine Explosion darstellt. Krutsch, krutsch, krutsch. Zunächst arbeite ich mich im Laufschritt vor. Ziemlich anstrengend, immer wieder sinkt man doch gute 8-10 cm ein. Ich komme mir vor, als würde ich durch Wasser laufen. Da muss man auch immer die Beine so weit hochziehen. Zwei Koreanerinnen sind ebenfalls in Richtung der Rentiere gegangen, kehren aber um. Sie haben nur leichte Schuhe am Fuß und sind gerade erst angekommen.

                                                                        Ich arbeite mich nun langsamer vor, um die Tiere nicht zu erschrecken. Vermutlich der gleiche Effekt wie im Kino, wenn jemand versucht, einen Bonbon leise zu öffnen. Immerhin habe ich auf den Anfängerstreifen, der sich wie eine Pausenspur ein Stück neben der Loipe befindet, eingefädelt und bin nun fast auf ihrer Höhe. Das kann jetzt nur das Fotos meines Lebens werden. Denke ich. Verdammt. Sie haben mich entdeckt. Und das Schlimmste: Das Kamerarädchen hat sich verstellt. Die Kamera steht nicht auf Automatik, sondern auf P, und da ich das nicht weiß, stimmt die Helligkeit natürlich nicht. „P wie Profi, klar", seufze ich, als es mir endlich auffällt. Ich habe die Fotos jetzt nachträglich notdürftig aufgehellt.


                                                                        Beobachter.





                                                                        Jetzt werde ich als Störenfried wahrgenommen.








                                                                        Ja, würde mir auch nicht gefallen, beim Essen gestört zu werden.





                                                                        Tschüß.





                                                                        Ich wende und laufe storchenartig wieder zurück. Dieses krachende Geräusch ist unbeschreiblich. Ganz schön laut in dieser Stille. Und dann halte ich wieder an. Bestimmt eine Minute.





                                                                        So richtig Lust, wieder ins Hostel zu gehen, habe ich nicht. An der Weggabelung sehe ich ein paar menschliche Spuren und spontan folge ich ihnen. Vielleicht ist das ein Weg für morgen. Schon stoße ich auf eine Grillhütte und einen Kinderspielplatz. Einen Moment erscheint vor meinem geistigen Auge das herbstliche Finnland. Wunderschön wird es hier dann sein, im Geiste höre ich das Lachen der Kinder.

                                                                        Ich weiß nicht mehr, warum ich an dieser Stelle den Schneeschuhweg nicht finde, der hier losgeht. Schaue ich nicht richtig? Denke ich, der Weg läuft in die falsche Richtung? Oder lag es an den Fußspuren?
                                                                        Es ist müßig, darüber nachzudenken. Ich entscheide mich also, zurückzugehen. Als ich wieder an der Loipe bin, finde ich, dass ein kurzer Spaziergang nicht schaden kann, und so laufe ich bergauf, in dem Glauben, das hätten die Spaziergänger von gestern auch getan. Und warte auf eine Abzweigung in einen Wanderweg. Im Sommer müsste hier eigentlich eine sein. Es kommt aber keine. Und so verfestigt sich in meinem Kopf der Gedanke, dass der Mittelteil der Loipe bestimmt für Spaziergänger ist.





                                                                        Lange laufen will ich nicht, denn es ist doch mittlerweile auch für mich merklich kalt. Daher nehme ich mir vor, nur bis zur nächsten Kurve zu gehen. Der Mond wurde fein säuberlich in der Mitte geteilt.





                                                                        Auf der anderen Seite leuchtet in allen möglichen Rottönen ein Streifen.





                                                                        Nun sieht man auch schon ein bisschen von den Hügeln drumherum, und so laufe ich einfach weiter. Nur ein kleiner Blick auf den Sonnenuntergang. Das würde mir schon reichen.





                                                                        Auch auf der Gegenseite ein leichtes rosa.





                                                                        Soll es Rentiere abschrecken? Es erinnert mich an Perlenvorhänge, ist aber aus dickem Kunststoff.








                                                                        Die Luft ist kalt, und ich gehe langsam. Mein Akku meckert die ganze Zeit. Aber mit jedem Schritt wird die Landschaft schöner, das Licht breiter. Und so laufe ich weiter. Sollten sich die folgenden Fotos nun wiederholen, so bitte ich um Nachsicht. Es fällt so schwer, sich zu entscheiden.


                                                                        Upps.





                                                                        Ich war gerade dabei, Rentierknödel zu fotografieren und hatte angehalten. Nur nicht bewegen. Eine Familie?





                                                                        Die Rentiere laufen langsam auf mich zu. Dann stoppen sie. Wir schauen uns an. Wo zur Hölle ist mein Tele? Zu Hause.





                                                                        Nein, ich bestehe den Test nicht. Sie kehren um.





                                                                        Kurze Zeit später schauen noch einmal ganz kurz das Jungtier und das Tier mit dem roten Band - die Mutter? - um die Ecke. Sie scheinen zu hoffen, dass ich jetzt weg bin. Um ganz schnell wegzulaufen, als sie sich ertappt wissen. Eine witzige Situation, auch wenn sie mir etwas leid tun. Sie wohnen schließlich hier. Wiedersehen werde ich sie nun leider nicht mehr.





                                                                        Der Himmel leuchtet in Pastellfarben.








                                                                        Und nun sehe ich auch den Kiilopää hervortreten.





                                                                        Auf der anderen Seite geht immer noch die Sonne unter. Es ist nun 14.30 Uhr.





                                                                        Die Baumgrenze ist erreicht.

                                                                        Und das ist der Moment, wo ich denke: Wie macht der Himmel das?





                                                                        Und es fühlt sich an, als würde ich die Welt zum ersten Mal erleben.





                                                                        Weite und Stille.





                                                                        Selbst vor mir spiegelt sich noch der Schein des Sonnenlichtes.





                                                                        Und wieder der Mond.





                                                                        Die letzten Schritte zum Scheitelpunkt sind mühsam. Es muss kälter geworden sein. Oder feuchter. Oder ich bin müde. Das Atmen fällt schwer.





                                                                        Und dann gibt die vermeintliche Senke den Blick auf die Wälder im nächsten Tal frei.





                                                                        Welch ein Anblick.


                                                                        Während sich auf der gegenüberliegenden Seite der Kiilopää dem Vesuv gleich aus dem Dunst erhebt. Den Wanderwegweiser sehe ich erst jetzt, vielleicht verläuft da der Schneeschuhweg.





                                                                        Der Akku blinkt gelb, und immer denke ich, es ist das letzte Foto. Ich sollte ihn zum Aufwärmen in die Tasche stecken. Aber ich kann nicht anders. Ich muss diese Momente festhalten. Der Ersatzakku ist auf dem Zimmer. Sonst hatte ich ihn immer dabei. Nur nicht heute. So ist das ja immer.





                                                                        Und dann ist der Scheitelpunkt des Weges erreicht, rechts neben mir der Gipfel des Ahopää. Und vor mir liegt irgendwo Saariselkä. Erst Lanila, dann Saariselkä.





                                                                        Vermutlich auch der Kaunispää. Der „schöne Kopf“, wie ich nun weiß. Aber solange kein Licht brennt, lässt sich die Position der Orte nicht erkennen.

                                                                        Ich wende. Es ist 14.50 Uhr. Ein leichter Wind weht. Es ist frostig. Den Temperaturcheck erinnere ich nicht. - 26 Grad bestimmt. Ich muss mich unbedingt bewegen, meine Beine sind zu kalt. Oder jetzt fliegen. Wie ein Vogel. Und frei.





                                                                        Ach, nur noch ein Foto.





                                                                        Nur noch ein letztes.





                                                                        Die Kamera geht aus. Akku wegpacken.

                                                                        2 Minuten später: Testtesttest. Unrasiert, dieser Hang. Klick.





                                                                        Klock. Die Kamera ist wieder aus. So laufe ich nun endlich los und das ist auch recht gut. Meine Hände sind kalt, meine Beine durcheist, mein Atem an den Wangen gefroren. Skispuren im Mittelbereich der Loipe, später werde ich erfahren, dass es die Magdeburger waren. Sie waren nach Saariselkä gefahren. Die scharfe Luft brennt auf der Haut. Ich habe nichts zu Trinken mit, ich wollte doch nur schnell das Foto der Rentiere machen.
                                                                        Zehn Minuten lang behalte ich die Nerven und greife nicht nach meinem Akku. Dann kann ich nicht mehr. Wieder lege ich ihn in die Kamera ein. Grünes Licht, sagt der Akku. Wie fein.

                                                                        Hatte ich das Motiv schon?





                                                                        Und das hier? Waaah.!





                                                                        Die Farben sind diesmal keine Übersteuerung der Kamera. Nein, sie sind so. Ich kann es selbst kaum fassen. Es ist, als würde der Sonnenuntergang jetzt erst richtig beginnen. Habe ich sonst das Problem, dass die Kamera Sonnenuntergänge „verkitscht“, muss ich sie jetzt dazu bringen, dieses Farbspektrum tatsächlich aufzunehmen.

                                                                        Das Rentiergitter. Das Licht ist jetzt schon schlechter. Den Bildern vom Mond fehlt der Kontrast. Er wird unscharf. Die Dunkelheit senkt sich.

                                                                        Dafür wird der Himmel auf der anderen Seite noch röter. Es ist jetzt 15.20 Uhr.





                                                                        Wirklich. Das ist keine Bearbeitung. Hier noch einmal ohne Zoom.





                                                                        Nun tauche ich wieder in den Wald ein. Als ich um 15.32 Uhr an der Fjällstation ankomme, ist es dunkel. Es sind neue Gäste gekommen. Die meisten sind Holländer. Ein paar Finnen.








                                                                        Ich bin durchgefroren und setze ich mich in die in dieser Jahreszeit viel zu große und damit ungemütlich wirkende Sauna im Hauptgebäude. Dann koche ich eine große Portion Reis mit Nüssen und Käse. Und friere innerlich immer noch. Vor einer Woche hatte ich den Zeltplatz an den Häusern gesucht. Es kommt mir vor, als wäre es ewig her. Früh gehe ich zu Bett. Die Kälte macht so müde. Ich hoffe, es sind heute keine Nordlichter zu sehen.

                                                                        In der Nacht schneit es. Der Schnee verbirgt gnädig meine Spuren und als morgens frisch gespurt wird, sind sie getilgt, als wäre nichts geschehen.
                                                                        Oha.
                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                        Kommentar


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                                                                          • 13981
                                                                          • Privat


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                                                                          AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                          Zitat von Torres Beitrag anzeigen
                                                                          Soll es Rentiere abschrecken? Es erinnert mich an Perlenvorhänge, ist aber aus dickem Kunststoff.
                                                                          Richtig erkannt. Die Rentiere nehmen das nicht als Durchlass im Zaum wahr. Findet man ab und zu als Durchlass in Rentierzäunen, da muss man nicht damit rechnen, dass die Wanderer zu faul sind den Durchgang wieder zu schliessen... Bei einer Loipe ist es wohl der einzig praktikable Weg.

                                                                          Gruss
                                                                          Henning
                                                                          Es gibt kein schlechtes Wetter,
                                                                          nur unpassende Kleidung.

                                                                          Kommentar


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                                                                            Freak

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                                                                            • 31757
                                                                            • Privat


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                                                                            AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                            Vielen Dank für die Info.

                                                                            Ich bin im ersten Moment auch darauf reingefallen und dachte, es sei ein Tor. Aber da die Loipe nun mittendurch ging, war es unlogisch, dass der Weg hier zu Ende ist. Ich bin dann trotzdem sehr vorsichtig hindurch, weil ich mir vorstellte, es wäre vielleicht Metall. Dabei ist es relativ leichter Kunststoff. Schwer genug, um hängen zu bleiben, aber leicht genug, dass man sich nicht verletzen kann.


                                                                            Übrigens:

                                                                            Zitat von Torres:
                                                                            Sonntags fährt der Bus nicht. Die dritte Kategorie ist irgendetwas wie „Helpdag“, wenn ich mich richtig erinnere, was auch immer das ist.
                                                                            Heute war das gesuchte finnische Wort in meiner Vokabelapp: Pyhäpaivä. Feiertag. Ich habe es umgehend wiedererkannt. Der schwedische Begriff ist "Helgdag".
                                                                            Oha.
                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                            Kommentar


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                                                                              • 31757
                                                                              • Privat


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                                                                              AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                                              18.01.2016. Skikurs

                                                                              Ich werde die Skier zurückgeben. Als ich im Dunkeln verschlafen und unkonzentriert beim Gang zum Frühstück den tanzenden Schneeräummaschinen ausweiche, steht mein Entschluss fest. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren. Heute nicht.





                                                                              Der deutschsprechende Finne schaut mich betrübt an. Ich solle doch mitmachen, das wäre gut. „15,00 Euro“ sagt er. „Für den Kurs“, frage ich. „Nein, für die Ski“. Das ist günstiger als gestern. „Und der Kurs?“. „Der kostet doch nichts“. Ach.
                                                                              Beim ersten Mal hatte ich 50,00 Euro oder mehr ausgegeben. Ich begreife, dass auf dem Zettel, den ich beim Einchecken erhielt, keine teuren Touriangebote, sondern vom Fjällzentrum organisierte Freizeitangebote drauf sind. Chancen soll man wahrnehmen. Also leihe ich mir die Skier von gestern wieder aus.

                                                                              Die Gruppe besteht aus einer holländischen Familie – Ehepaar und Sohn mit Frau -, den zwei Koreanerinnen und mir. Madame schaut scharf auf meinen Rucksack, aber das Wasser muss mit. Den Durst kann ich nicht ertragen, den man bekommt, wenn es so kalt ist. Heute ist es allerdings wärmer. Bedeckt, bei – 24 Grad. Die Daunenhose kann dennoch nicht schaden, so falle ich weich.

                                                                              Vorsichtig laufen wir am Rand der Loipe zur Gabelung von gestern. Aufstellen. Schuhe einhaken. Man muss die Bindung von Hand schließen – das finde ich immer noch nicht einfach. Die verschiedenen Abschnitte der Loipe. Gleiten und skaten. Niemals in der Loipe spazierengehen. Da werden Finnen richtig böse. Zwei Holländerinnen wollen gerade die Loipe, die ich gestern gewandert bin, begehen. Nichts da. Das sind keine Wanderwege. Madame ist zur Stelle. Sie drehen um.





                                                                              Langsam rutschen wir zum Anfängerstreifen. Die Knie so, den Oberkörper so, die Schultern so. „Was machst Du mit den Stöcken??? Nach hinten!“ Ich habe mir irgendwann beim Wandern angewöhnt, die Stöcke dafür zu nutzen, die Schlammtiefe zu testen. „Nach hinten, Du sollst Dich abstützen!“. Und ich dachte, ich hätte Erfahrung. So kann man sich täuschen.





                                                                              Zu meiner großen Erleichterung bin ich – im Gegensatz zum ersten Mal – diesmal nicht unter den Umfallenden.





                                                                              Den Vater erwischt es besonders stark. „Mit zwanzig bin ich Abfahrt gefahren“, erklärt er später. „Da habe ich keine Sekunde nachgedacht, was ich mache. Einfach Gas geben und irgendwie herunterfahren. Kein Problem.“ Er stand schon länger nicht mehr auf Skiern. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir das Gefühl gibt, dass Skifahren schwierig ist. Endlich mal jemand anders, und nicht mehr ich. Meine Bewegungen sind nun flüssiger, und ich gleite. R. wird später beim Anblick eines Fotos sagen: Das sieht ja schon richtig gut aus. Naja.





                                                                              Knie etwas eindrehen. Einen Ski hochklappen. Funktioniert. Einen Ski aus der Loipe nehmen, zur Seite drehen. Funktioniert. Nicht so stark, eher den Schnee wegschieben. Mit beiden Beinen. Schneepflug. An die Beine denken. Schwierig. Aber funktioniert. Zumindest im Flachen. An Abhänge möchte ich nicht denken. Madame bewundert meine Daunenhose, günstig damals beim Yeti Sonderverkauf erworben. Ihre Hose dürfte nicht so warm sein. Es sind die Momente, wo man wieder einmal merkt, wie stark der ods Einfluss ist. Perfekt ausgerüstet, obwohl in Deutschland fast nie Winter ist.

                                                                              Nun geht es an den winzigen Hang an der Gabelung. Er ist lächerlich. Abfahren mit Schneepflug. Alle gucken zu. Ein Ski rutscht weg. Poff. Mal wieder. Unter Anleitung von Madame steige ich ab.

                                                                              Die Holländer haben noch etwas vor (Schneemobilfahren) und bestehen auf dem Ende. Madame bricht ab. Schade. Sie hätte sicherlich noch länger gemacht, und ich hätte am Abhang noch einmal üben können. Als ich ins Gespräch vertieft mit dem Holländer zurückfahre, vergesse ich völlig, dass ich auf Skiern stehe. Es guter Anfang, dessen bin ich mir bewusst.


                                                                              Kurz nach drei Uhr gehe ich dann noch einmal los. Gerade kommt eine Familie aus dem Nationalpark zurück. Die Kinder stehen wackelig auf den Skiern, das hält sie aber nicht davon ab, ganz selbstverständlich durch die Gegend zu fahren. Diese Unbekümmertheit hätte ich gerne wieder.





                                                                              Bis ich die Skier an den Füßen habe, dauert es ewig, die zweite Bindung geht nicht zu oder der Schuh rutscht immer raus. Schließlich ziehe ich die Schuhe im Liegen an.





                                                                              Ein wenig übe ich am Anfängerstreifen. Aber alleine macht das wenig Spaß. So kehre ich langsam zurück.






                                                                              Ob es wohl Nordlichter gibt? Der Himmel zieht sich zu.

                                                                              Mit dem Bus aus Rovaniemi ist Japan angekommen und geht zunächst auf das falsche Klo. Die Daunenkleidung ist urban und völlig unterdimensioniert. Eine Verständigung mit Englisch funktioniert rudimentär. Schnell räume ich meine Sachen auf einen Haufen, ich hatte mich ganz schön ausgebreitet. Japan bleibt 9 Tage. Nordlichter anschauen.

                                                                              Am Abend steht Finnisch für Anfänger auf dem Programm. 5 Holländerinnen, der Magdeburger und ich. Madame unterrichtet. Ein wenig Länderkunde. Hei. Moi. Hei hei. Moi moi. „Welches Wort kennt ihr bereits?“ – Erfragt sind Worte, die dem Deutschen/Englischen gleich oder ähnlich sind. „Poro (Rentier)“, sagt der Magdeburger. Ein kurzer Hinweise zur Aussprache, am Rande der Hinweis, wann ssa zu ssä wird. Die Holländerinnen kichern verlegen. Sie sind wohl nur da, weil es im Programm steht. Vorlesen. „Welches Wort habt ihr heute gelernt?“, fragt Madame zum Schluss. „Poro (Rentier)“, sagt der Magdeburger. Die beiden kennen sich schon. Ein running-gag.

                                                                              Madame kündigt Nordlichter an. Es ist bitterkalt geworden, aber über dem Mond und den Sternen liegt ein Schleier. Der Magdeburger läuft suchend durch die Kälte, aber ich setze mich ins Restaurant. Als ich ihn auf dem Rückweg erneut treffe, erkenne ich ihn erst nicht. Er ist völlig vermummt. Blick in den Himmel. Aber man sieht nichts. Auch Japan läuft kurz nach draußen, aber in den dünnen Stadtdaunen ist es viel zu kalt. Die Koreanerinnen versuchen ihr Glück, sie sehen aus, als gäbe es Smogalarm, den Mund vor der kalten Luft geschützt. Mache ich etwas falsch? Mein Mund ist frei.





                                                                              Mit Japan schaue ich vom Fenster aus noch einmal hoffnungsvoll in den Himmel. Stattdessen sehen wir ein Paar, das auf der Loipe herumläuft und seine Taschenlampe ausprobiert. Dabei ist der Schnee doch hell genug und der Lampenschein blendet nur. Es wirkt wie eine Lasershow. Hoch in die Bäume, in jede Ecke. Bloß nichts übersehen. Was für Deppen. Lichtverschmutzung.

                                                                              Gegen halb elf geben wir auf. Schlaf ist wichtig. Bisher sind Nordlichter immer zu mir gekommen. Wenn ich in diesem Jahr keine sehe, dann ist das eben so.
                                                                              Oha.
                                                                              (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                              Kommentar


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                                                                                • 31757
                                                                                • Privat


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                                                                                AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                                                19.01.2016 5,1 km

                                                                                Meine Beine fühlen sich gut an. Der Skikurs war ein voller Erfolg. Trotzdem gebe ich die Skier zurück. Alleine eine längere Strecke zu fahren, ist mir zu gefährlich, und die Anfängerstrecke kenne ich ja nun. Ich beschließe, zu wandern. Spontan entscheide ich, keine Verlängerungstag mehr zu nehmen. Mir läuft die Zeit davon. Ich wollte doch soviel noch sehen und Besuche machen. Ich kündige mich bei Inarijoen Peter und R. an. Einen Moment später überlege ich, ob das ein Fehler war. Aber das weiß man ja nie. Es fühlt sich richtig an. Ein Flugzeug hat am Morgen Kreise gemalt.





                                                                                Der Skibus kommt. Die Holländer fragen, ob ich nicht nach Saariselkä fahre. Die Jungen fahren mit Skiern, die Eltern mit dem Bus. Ich verneine. Nein, da gibt man nur Geld aus. Mit Skiern über den Ahopää. Das traue ich mir nicht zu. Und Saariselkä kenne ich schon. Es wäre ein verlorener Tag. Ich bin lieber Outdoor.








                                                                                Im Grunde gibt es nur einen Wanderweg in dieser Region. Er führt zunächst an der Hauptstraße entlang. Das klingt dramatisch, aber mehr als zwei Autos treffe ich nicht. Menschen sowieso nicht.





                                                                                Es ist wieder sehr kalt. Ich hatte am Morgen, als ich nach dem Frühstück mit den Magdeburgern sprach, meine Jacke aufgelassen – mir war einfach nicht kalt. Madame schaute mich scharf an. Offene Jacke? Keinen Schal? „Wir haben – 31 Grad!“
                                                                                Oh, dachte ich, und sagte: „Okay. Ich gehe gleich rein“, und redete weiter. Es war der Moment, wo ich begriff, dass die vor Ort gemessene Temperatur und der Wetterbericht ( - 24 Grad) nichts miteinander zu tun haben. Nun muss ich schmunzeln. Sechs oder sieben Jahre war ich alt. Es war Winter. Und ganz schön kalt. Wir waren vier oder fünf Kinder: „Wenn ich groß bin, fahre ich im Winter nach Spanien.“ „Ich ziehe nach Afrika.“ „Ich will nach Italien.“ „ Ich ziehe dahin, wo es warm ist.“ Nun bin ich dran: „Ich ziehe dahin, wo es kalt ist. In die Antarktis. Ich kann Hitze nicht leiden.“ Und alle starrten mich an.

                                                                                Der Wanderweg ist auch ein Radweg. Man sieht es an den typischen Steigungen.








                                                                                Ein Hügel. Ich muss ackern, um den kurzen, knackigen Anstieg zu bewältigen. Ein guter Zeltplatz.








                                                                                Das Schild.





                                                                                Wieder diese Stille. Kleine Punkte auf dem Schnee.





                                                                                Links neben mir ahne ich die Sonne. Verdammt. Kann mal jemand die Bäume wegnehmen?





                                                                                Auch von hier ist sie nicht zu sehen.





                                                                                Okay, ein bisschen. Mit Abdunkeln geht es.





                                                                                Immer noch nichts.





                                                                                Ich habe nun die Chance, Richtung Kakslauttanen zu laufen, aber das erscheint mir zu weit. Den Weg müsste ich komplett wieder zurück. Nur hier ist ein Rundweg. Ich verzichte. Und verpasse – 38 Grad, wie mir die Magdeburger später berichten.





                                                                                Die Sonne ist nun hinter mir. Dichter Wald dazwischen. Oder etwa nicht?








                                                                                Ein paar Meter weiter drehe ich mich wieder um und diesmal ist die Lücke groß genug.





                                                                                Eine richtige Kontur bekommt sie auf dem Foto leider nicht.





                                                                                Ich fotografiere, bis der Akku gelb blinkt. Es ist jetzt 13.00 Uhr. Die ganze Zeit habe ich mich nicht bewegt. Ich muss ich mich aufwärmen. Und nehme Abschied.





                                                                                Auch ohne Sonne ist es hier schön.











                                                                                Viel zu schnell bin ich wieder an den Häusern angekommen. Die doppelte Wegstrecke wäre schön gewesen. Bei Schnee sehen die Bauten sogar romantisch aus.





                                                                                Als ich an der Straße ankomme, stehe ich unvermittelt vor einem Rentier. Fassungslos schauen wir uns beide an. Man erwartet keine Begegnungen hier. Lautlos dreht es sich um und läuft die Straße entlang. Ich krame verzweifelt nach meinem Akku.





                                                                                Ich fühle mich mit ihm verbunden. Einsam läuft es nach rechts. Und einsam laufe ich nach links.





                                                                                Der Mond ist wieder aufgegangen. Er ist größer geworden.





                                                                                Die Eisblumen im Eingangsbereich.





                                                                                Ich mache den Proviant für morgen fertig. Ein merkwürdiges Gefühl. Hätte ich besser doch noch ein paar Tage angehängt? Am Donnerstag nachmittag ist Pfannkuchenbraten. Und anschließend ein Kurs in Orientierung. Am Wochenende lehrt Madame Nordlichter fotografieren. Das hätte mich natürlich interessiert. Ich wette, Nordlichter sind morgen zu sehen. Genau zu meiner Abfahrt.

                                                                                Bleiben? Und dann? Es gibt nichts mehr zu tun, wenn man nicht Ski fahren kann. In einer Woche muss ich pünktlich in Helsinki sein. Und die Besuche sind mir wichtig. Ich vertreibe die Gedanken und melde mich für die Schneeschuhtour „Mond und Sterne“ am Abend an.





                                                                                Die Schneeschuhtour ist kostenlos. Fast alle Holländer sind dabei, zwei Finnen und die Koreanerinnen. Außerdem der Magdeburger. Er läuft vor mir.
                                                                                Madame stiefelt voran, und mir bricht unverzüglich der Schweiß aus. Wenn das so weiter geht, halten das meine Knie nicht aus. Dieses Tempo bin ich nicht gewohnt. Ich laufe normalerweise langsam und ausdauernd. Nicht sportlich und schnell. Ich interveniere. Madame meint, sie sei doch gar nicht schnell, und ich biete an, nach hinten zu gehen, um niemanden der anderen zu behindern. Aber niemand will nach vorne. Ich brauche etwas Zeit, bis ich merke, dass die anderen noch langsamer sind, als ich und ganz froh sind, dass ich etwas bremse. Schau mal einer an.

                                                                                Wir stiefeln den Weg in Richtung Kiilopää hoch. Ich komme jetzt besser in Schwung, und Madame ist auch ein wenig langsamer geworden. „Es geht nur bis zum ersten Pfeiler“, sagt der Madgeburger. Das beruhigt mich. Das ist nicht so weit.





                                                                                Am Pfeiler bleiben wir tatsächlich stehen. Madame winkt uns ein Stückchen weiter, dort ist eine Senke. „Kommt aus dem Wind raus“, ruft sie. Ich bleibe dagegen stehen. Ich will ungestört fotografieren. Welcher Wind, frage ich mich. Zu Hause ist das bisschen Luft doch ganz normal. Und stört nicht.

                                                                                Ich probiere ein wenig mit der Kamera herum. Ein Stativ kann ich nicht aufbauen, und habe auch nur ein Kleines für den Notfall mit. Aber immerhin bekomme ich diesmal überhaupt ein Bild auf das Foto. Das mag angesichts der schlechten Qualität merkwürdig erscheinen. Aber bisher waren diese Fotos immer rabenschwarz. Anscheinend habe ich langsam die Bedienung meiner Kamera kapiert.





                                                                                Ein bissschen merke ich den Wind dann doch. Meine Hand wackelt mehr, als ich will. Vor allem wird sie kalt.





                                                                                Madame erklärt uns die Sternbilder. Wir erfahren, wie man bestimmen kann, wo Norden ist und an welcher Stelle man Nordlichter sehen kann. Gestern gab es einen leichten Schimmer. Zwei Holländerinnen erzählen davon. Heute leider nichts. Das hier sind keine. Es ist Smog, angeleuchtet von den Lichtern Saariselkäs.





                                                                                Ein letztes Foto noch.





                                                                                Und wieder horche ich in mich hinein: War die Entscheidung richtig? Ja. Sie war richtig. Die Sterne zu sehen, ist wunderbar. Ein schöner Abschluss. Es muss nicht immer Lametta sein.
                                                                                Oha.
                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                Kommentar


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                                                                                  • 31757
                                                                                  • Privat


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                                                                                  AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                                                  20.01.2016. 2 km

                                                                                  Leise packe ich, um Japan nicht zu stören. Um 10.00 Uhr muss ich mein Bett geräumt haben. Beim Frühstück setze ich mich zu den Magdeburgern. Bekannte von ihnen sind gestern angereist. Zuwenig Selbstbewusstsein kann man dem Ehepaar nicht vorwerfen, und ich frage mich, ob die Magdeburger sie so bereits kennengelernt haben. Bald wird mir das zuviel. So fotografiere ich Meisen und Eichhörnchen durchs Fenster.








                                                                                  Eine Gruppe Skifahrer zieht mit Pulka los. Wie gerne würde ich folgen.





                                                                                  Mein Bus fährst erst um 14.00 Uhr. So setze ich mich in die Lobby. Die Nordlichter-App meldet eine hohe Aktivität. Noch könnte ich etwas ändern. Und bleiben. Aber irgendetwas blockiert mich. Sonst würde ich es tun.
                                                                                  Neue Gesichter. Ein Schweizer. Er hat sich in der Jugendherberge einquartiert und scheint Kontakt knüpfen zu wollen. Vielleicht hat er bei den alleinreisenden Holländerinnen Glück. Hoffnungsfroh lächelt er. Viele Gäste grüßen mich, und das ist das endgültige Signal: Das wird mir jetzt alles zu eng. Ich muss hier weg.

                                                                                  Ich vertrete mir ein wenig die Beine. Die Grillhütte Maahinen. :-)








                                                                                  Der Skibus lädt seine Gäste ein. Die Bekannten der Magdeburger sind empört, irgendein Bus kommt nicht. Ich sehne mich nach finnischer Gelassenheit. Und so laufe ich los. Ohne nachzudenken.








                                                                                  Der Weg, den die Schneeschuhe gestern hinterlassen haben, ist noch da. Es ist kein Schnee gefallen.








                                                                                  Am Himmel bilden die Wolken und die Sonne Wellen. Tagesnordlichter. Und wieder denke ich: Wie macht der Himmel das?








                                                                                  Der Schein der Sonne färbt den Schnee.





                                                                                  Und dann merke ich plötzlich: Sie geht auf! Ich beginne zu rennen, die Kuppe scheint nur ein paar Schritte vor mir, und poff, mein rechter Fuß versinkt 15 cm in der Tiefe. Weiter, wieder breche ich ein, und wieder, und dann kann ich sie bereits sehen. Das Bild wird unscharf.





                                                                                  Aber sie ist es. Die Sonne. Weiter, weiter.





                                                                                  Nein, wärmen tut sie nicht. Aber trotzdem ist die Welt um mich herum plötzlich eine andere.








                                                                                  Auf der gegenüberliegenden Seite Schleifchen.





                                                                                  Der Punkt, an dem wir gestern Sterne beobachtet haben.





                                                                                  Und schon zieht sich die Sonne wieder zurück.





                                                                                  Der Ahopää.








                                                                                  So lange schon her.





                                                                                  Und hier der Weg zum Kiilopää. War ich wirklich jemals da?





                                                                                  Zeit zu gehen.











                                                                                  Sind das Geister? Oder winkt der Himmel mir zu?





                                                                                  Die borstigen Bürsten werden ich vermissen.





                                                                                  Und dann ist die Sonne verschwunden.





                                                                                  Und mit ihr gehen die Geister ihren Weg.








                                                                                  Noch einmal ein Blick zu den schlafenden Tieren.








                                                                                  Eine Schneeschuhgängerin hat den Pfeiler erreicht. Ganz alleine bin ich jetzt nicht mehr.





                                                                                  Wieso muss ich andauernd die gleichen Fotos machen?














                                                                                  Ein paar Schneeflocken fallen vom Himmel. Kleine, winzige Flocken. Kaum zu sehen. Der Blick zurück.











                                                                                  Vorbei.








                                                                                  Eis klebt wieder an meinen Wangen.





                                                                                  Die Magdeburger laufen mit ihren Skiern zur nächsten Loipe. Ein letztes Mal Abschied nehmen. Sie bleiben noch eine Woche.





                                                                                  Noch immer könnte ich meine Entscheidung ändern. „Sie haben viel gemacht“, hatte der Finne verständnisvoll gesagt, als ich mich verabschiedete. Ich müsse zur Ruhe kommen, hatte ich – ehrlich mir selbst gegenüber - zur Begründung für meine Abreise angefügt, und er hatte genickt.





                                                                                  Ich hole mein Gepäck. Der Schlüssel. Ich habe ihn immer noch in der Tasche. Beinahe hätte ich ihn vergessen. Einige Holländerinnen surfen im Internet. Der Aktivitätsdrang der ersten beiden Tage ist erlahmt. Wie es im Februar wohl den Frauen ergeht, die ohne Erfahrung eine Wintertour durchführen wollen und die ersten Tage üben wollen?





                                                                                  Und dann stelle ich mich vor der Tür in die Kälte und warte auf den Bus. Ich friere ja nicht. Nicht bei dieser Temperatur. Irgendetwas um – 28 Grad. Pünktlich kommt er den Berg hinauf.





                                                                                  Ich packe meinen Rucksack und Porsche in das Gepäckfach. Dann gehe ich zum Fahrer. Ich stelle den Fuß auf die Treppe und in dem Moment ist Japan neben mir, - extra angerannt gekommen, - und winkt und sagt: „Auf Wiedersehen“. „Heute ist ein guter Tag für Nordlichter“, sprudelt es aus mir heraus, „viel Glück!" Und einen Moment merke ich, dass ich tief gerührt bin und will doch nicht weg. Ich gebe mein Ticket beim Busfahrer ab, und das Gepäckfach wird zugeklappt. Mit einem zischenden Geräusch schließen sich die Türen. Vorbei.
                                                                                  Oha.
                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                  Kommentar


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                                                                                    Gerne im Forum
                                                                                    • 21.04.2014
                                                                                    • 64
                                                                                    • Privat


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                                                                                    AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                                    So jetzt muss ich mich doch mal bedanken für den schönen Bericht, der mir seit Tagen das Frühstück versüßt.
                                                                                    Finnland ist ja wunderschön im Winter.
                                                                                    Tadle nicht den Fluss, wenn Du ins Wasser fällst.

                                                                                    Kommentar


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                                                                                      Liebt das Forum
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                                                                                      • 31757
                                                                                      • Privat


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                                                                                      AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                                                      Der Bus kratzt über die vereisten Straßen. Fußgänger laufen die Straße nach Kiilopää hoch. Wieso auf der Fahrbahn? Da hinten verläuft doch der Wanderweg! Rausspringen und mitteilen geht natürlich nicht.





                                                                                      Der Bus rast durch die verschneite Landschaft. Ob es heute wohl Nordlichter gibt? Der Himmel ist bewölkt. Madame hatte noch gefragt, ob ich den Nachtflug nehme. Vom Flugzeug aus sind Nordlichter besonders schön. Als ich verneine, sagte sie „Schade“. Ein älterer Finne steigt ein. Seine Beine sind zu lang. Umständlich zieht er sich die Gummistiefel aus und die Innenschuhe wieder an. Eine ältere Finnin kann kaum zuschauen, am liebsten würde sie helfen.





                                                                                      Ich verspüre das Bedürfnis, nach Turku zu fahren und meinen Weg weiterzulaufen. Ruhe. Stille. Mein Zelt. Zu spät. Das Zeitfenster ist vorbei. Am Wochenende wird es wärmer werden und nächste Woche soll es tauen. Seen und Felder fliegen an mir vorbei. Parallel zur Straße verläuft eine Skispur.








                                                                                      Ein Bus kommt von vorne und blinkt. Auf Scheibenhöhe treffen sich die Busfahrer und rufen sich etwas zu. Das Wort für „Mädchen“ verstehe ich. Eine junge Frau entsteigt dem Bus, läuft über die Straße und steigt in unseren Bus ein. Man kennt sich. Ein Auto bremst am Straßenrand. Der Bus hält daneben. Tür auf, Paket hinein, kiitos und unverzüglich weiterfahren.





                                                                                      Die Sonne, die im Norden schon längst untergegangen ist, ist noch einmal zu sehen, aber der Halt in Sodankylä lässt es dunkel werden. Beim meiner ersten Reise kam sie in Rovaniemi noch einmal heraus, aber anscheinend war das zeitlich später, denn diesmal sieht man nur noch einen schmalen roten Streifen.






                                                                                      In Rovaniemi ist der Himmel wolkenfrei. Aber Dunst liegt in der Luft. Die Temperaturstation am K-Markt zeigt – 32 Grad.
                                                                                      Ich steige am Bahnhof aus. Um 21.15 Uhr fährt der Nachtzug, das erspart mir eine teure Übernachtung. Die Kabine kostet nur um die dreißig Euro, die Jugendherberge das Doppelte. Dazu der Zeitverlust. Der Schnee knirscht unter meinen Füßen. Und dann bekomme ich einen Schreck: Der Schalter ist geschlossen.

                                                                                      Immerhin haben sie einen Mann an einem Tisch postiert. Übergangslösung. Die analoge Zeit ist vorbei. Kaufen Sie ihr Ticket am Automaten oder per Handy. Das große Plakat ist leicht zu verstehen. Soviel Finnisch kann ich schon.
                                                                                      Der Mann begleitet mich zum Automaten, aber es ist das gleiche Problem, wie im September mit den Radtickets. Die Automaten können keinen Reservierungsstatus einsehen. Er telefoniert. Dann holt er Zettel. Der falsche Zug nach Helsinki. Ich brauche eine Reservierung für den Nachtzug. Wieder Telefonate. Es gibt genügend Plätze. Es reserviert der Schaffner. Interrailtickets sind im System anscheinend nicht vorgesehen. Ohne Ticketkauf gibt es auch kein Bett.

                                                                                      Ich packe meinen Rucksack in ein großes Schließfach. Porsche nehme ich mit. Für das noch größere Paketfach habe ich nicht genügend Kleingeld. Es würde 6 Euro kosten. Das Geld gibt es nicht zurück. Ich habe Hunger auf Hühnchen und möchte R. noch ein Geschenk kaufen. Ich weiß auch, wo. Ich eile durch die kalte Luft. Es ist feucht. Keine glitzernden Sternchen. Ob es heute Nordlichter gibt? Bestimmt. Aber sind sie auch zu sehen? Die Abgase schimmern rötlich.

                                                                                      Menschen eilen an mir vorbei. Das Atmen fällt nicht leicht. Die Luft ist anders, als im Norden Lapplands. Vielleicht ist das Smog. Knirschend und mit langem Bremsweg halten Autos an den Fußgängerüberwegen an. Die Radwege sind verdeckt. Porsche rollt problemlos durch den Schnee.
                                                                                      Die Buchhandlung in der Einkaufspassage. Ich hatte bereits ein Buch ausgesucht. Aber das hier ist viel schöner. Das kaufe ich. Der Supermarkt. Unter den abgepackten warmen Gerichten gibt es noch gegrilltes Hühnerbein. Genau das Richtige. Ich kaufe es.

                                                                                      Autoverkehr. Einkaufshektik. Nach den letzten Tagen ungewohnt. Wäre es stiller, würde ich spazierengehen. In Kiilopää wäre ich jetzt stehen geblieben und hätte in den Himmel gestarrt. Ich wünsche mich zurück. Zu hektisch und zu voll ist es hier.

                                                                                      Ich biege in die Fußgängerbrücke ein und mir fällt ein, dass es nicht kultiviert ist, im Bahnhofswartesaal Hähnchen zu essen. Das riecht doch. Außerdem ist das Huhn bis dahin kalt. So fege ich etwas Schnee von einer Bank und esse. So richtig warm ist das Fleisch schon jetzt nicht mehr, die paar Meter Fußweg haben gereicht, es abzukühlen. Trotzdem tut die Mahlzeit gut. Ein paar Passanten sehen mich, laufen aber weitläufig vorbei. Ob sie mich für einen Penner halten? Als Outdoorer wird man schon mal falsch verstanden. Ich glaube aber, es ist ihnen egal. Meine Fingerspitzen sind jetzt eiskalt und beginnen zu brennen. Ich wische die fettigen Finger mit Toilettenpapier ab. Es befindet sich im kleinen Rucksack. Einen kurzen Moment überlege ich, ob ich Schnee schmelzen soll. Aber das wäre hier nun doch übertrieben. Ich muss mich einfach nur bewegen. Die dicken Handschuhe sind im Schließfach. Immerhin. Ein Hühnerbein-Picknick auf einer Parkbank mitten in der Stadt bei ca. – 30 Grad ist auch für mich eine Premiere. Erinnerungsfoto an die Bank.





                                                                                      Ich laufe zum Bahnhof zurück. Bald ist die Hand, die Porsche zieht, warm. Kurz darauf auch die andere. Soll ich noch spazierengehen? Ich weiß nicht, wo. Ein paar Minuten bleibe ich noch draußen stehen. Die Lichter der Supermärkte leuchten irreal in der Ferne. Die Luft wird feuchter. Das Bild wird unscharf.





                                                                                      Dann heißt es warten. Zwei Stunden noch bis zur Abfahrt. Ein Trupp Japaner. Riesige Kameras mit Tele und Stativ. Der Zug nach Helsinki ist da. Die Halle leert sich.
                                                                                      Eine Familie erscheint. Die asiatischen Großeltern erblicken die Anzeigetafeln und lamentieren lautstark in ihrer Muttersprache herum. Grande Katastrophe. Man könnte denken, es wäre jemand gestorben. Der finnische Schwiegersohn versucht mehrfach leise auf Englisch zu erklären, dass der Nachtzug auf beiden Anzeigetafeln steht, weil er erst aus Kemijärvi (an)kommt (Saapuminen) und dann nach Helsinki (ab)fährt (Lähtö). Sinnlos. Sie hören gar nicht zu. Das Enkelkind tobt derweil plappernd auf den Bänken herum. Lapsenlapsi. Kindeskind. Kurz schließe ich die Augen. Ich will nicht nach Hause. Angst vor der Großstadt. In Kiilopää war es so wunderbar still.
                                                                                      Das Mädchen entdeckt nun die Gepäckaufbewahrung und beginnt unter dem stolzen Blick der Mutter, die schweren Stahltüren der Fächer aufzureißen und zuzuschlagen. Ich beschließe, meine deutschen Wurzeln zu pflegen und bitte auf Englisch (innerlich bereits auf die in meiner Heimatstadt übliche Diskussion über Kinderfeindlichkeit wartend) höflich um Ruhe. Zu meinem Erstaunen dirigiert der Finne die beiden nun zügig nach draußen, und sie überlassen die Großeltern ihrem Schicksal. Ruhe kehrt ein. Ich bin ihm so dankbar. Noch gut eine Stunde. Ich greife nach meinem in Turku erworbenen finnischen Buch in deutscher Sprache, doch das macht den Abend nicht besser. „Bonbontag“. Markus Nummi. Vernachlässigte, misshandelte Kinder. Ein Sozialthriller. Harter Tobak. Gut geschrieben.

                                                                                      Um halb neun wedelt der Schaffner mit einem Stapel Papier, den er ausgedruckt hat, und ich kann mein Schlafplatzticket kaufen. Ich verweise auf mein Gepäck und erhalte eine der großen Kabinen am Eingang.

                                                                                      Der Zug hat eine halbe Stunde Verspätung. Ich stelle mein Gepäck neben mein Bett und erfahre, diese Kabine sei bereits gebucht, Einzelkabine, vor zehn Minuten reserviert, man müsse die ganze Nacht arbeiten, so geht das nicht. Schnell zeigt sich, dass ich richtig bin. Der Waggon stimmt nicht. Wir lachen. Ich verlasse meine Kabine und bekomme sie anschließend nicht mehr auf. Ein Mann gibt den richtigen Tipp: Man muss die Karte fest hineindrücken. Ich schaue noch einmal zum Fenster hinaus. Wenn es Nordlichter gibt, vom Zug aus sehe ich sie nicht. Vorbei. Es ist vorbei. Schon fliegen wir durch die sternenklare Nacht.

                                                                                      In der Nacht schlafe ich schlecht. Der Zug ruckelt über die vereisten Gleise. Immer wieder werde ich wach. Drei Tage später wird mich eine Finnin fragen, ob sich Züge rund oder eckig vorwärts bewegen. Die Frauen waren sich einig, dass sich die Züge eckig vorwärts bewegen. Nur ein Ingenieur war dagegen. „Die Räder sind rund, aber fahren tut er eckig“, sage ich bestimmt, und zeige die Bewegung mit der Hand. Sie lacht und nickt. Der Ingenieur ist noch niemals Zug gefahren.
                                                                                      Zuletzt geändert von Torres; 15.02.2016, 21:10.
                                                                                      Oha.
                                                                                      (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                      Kommentar


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                                                                                        • 31757
                                                                                        • Privat


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                                                                                        AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                                                        21.01.2016 Hämeenlinna

                                                                                        Fünf Wecker klingen im fünf Minutentakt und um 6.18 Uhr kommt auch noch eine sms des automatischen Weckdienstes Hämeenlinna - also von R. und Peter. Das reicht, um wach zu werden. Kurz vor sieben stehe ich an der Zugtür. Aulanko. Die Fahrradbrücke mit dem Lummiko, das ein Orava ist. Die Burg. Um 7.04 Uhr steige ich in Hämeenlinna aus dem Zug. Der selbsternannte Chauffeur Peter holt mich ab, und ich bin ihm dankbar. Ebenso R., die Frühstück zaubert. Von ihr bekomme ich sogar ein Geschenk. Es ist fast täglich im Einsatz. Vielen herzlichen Dank!

                                                                                        Ich will jetzt endlich einmal Hämeenlinna kennenlernen, aber anscheinend besteht es nur aus Einkaufspassagen, die teilweise einen erschreckend hohen Leerstand aufweisen. Alte Bausubstanz gibt es wenig. Intersport hat aufgrund eines Besitzerwechsels Ausverkauf, aber wir haben alles. Nur Skier könnte ich brauchen. Die kaufe ich jetzt aber nicht. Ich bleibe tapfer. Ein Blick auf den Marktplatz.





                                                                                        Vögel füttern verboten.





                                                                                        Wir fahren zum Aulanko Nationalpark. Für mich eine Überraschung. Ich bedauere, mir bei meiner Radtour nicht mehr Zeit genommen zu haben, die Umgebung zu besichtigen.


                                                                                        Der lichte Wald.





                                                                                        Tempelähnliche Gebäude.





                                                                                        Der Aulanko Nationalpark ist ein Park im englischen Stil, der 1883 von Colonel Hugo Standertskjöld erworben und zwischen 1883 bis 1938 errichtet wurde. Heute ist er in öffentlichen Besitz übergegangen. Sibelius soll sich hier die Inspiration für Finlandia geholt haben. 400.000 Besucher zählt er jährlich.

                                                                                        Der Sonne zu begegnen, ist ein merkwürdiges Gefühl nach den Tagen im Norden. Sie ist so anders. Ganz anders, als in Lappland. So hell, so groß und so strahlend. Fremd.





                                                                                        Inarijoen Peter bleibt an einem Schild stehen. Hier befand sich vor 8000 Jahren die Küstenlinie des Yoldia Meeres. Laienhaft erklärt entwickelte sich zwischen 10.000 und 8.000 v. Chr. durch das Abtauen der bis zu 3 km dicken Eissicht Skandinaviens der Baltische Eisstausee, der infolge seines Meeresspiegelanstieges eine Verbindung zur Nordsee erhielt. Der See wurde dadurch zum salzhaltigen Yoldia-Meer. Als in der Folge des Abschmelzens der Gletscher die Landmasse anstieg, wurde die Verbindung zur Nordsee gekappt und das Yoldia Meer wieder zu einem Süßwassersee, dem Ancylussee (7500-6000 v. Chr.), dessen Küstenlinie ebenfalls in diesem Nationalpark mit einem Schild ausgewiesen wird. Es folgte wieder ein Meer, bis in neuerer Zeit die Ostsee, wie wir sie kennen, entstand, die weiterhin stetigen Veränderungen unterliegt. Quelle wikipedia.





                                                                                        Die Bäume kommen mir wie ein Feuerwerk vor.








                                                                                        Der Aussichtsturm. 100.000 Menschen besteigen ihn jedes Jahr.





                                                                                        Am liebsten würde ich jeden Sonnenstrahl fotografieren. Aber Peter ist etwas ungeduldig. Ich kann ihn verstehen. Es ist furchtbar, mit Fotojunkies spazieren zu gehen.





                                                                                        Eine Aussichtsplattform.





                                                                                        Der Löffel. Lusikkaniemi.





                                                                                        Winzig wirkende Skifahrer drehen ihre Kreise auf dem See. Hier würde mir Langlaufen Spaß machen. Alles so schön flach.





                                                                                        Diese endlosen Wälder. Man müsste viel mehr Zeit haben. Ich hoffe, ich kann am Wochenende noch einmal wandern.





                                                                                        In der Ferne hört man den Militärstützpunkt Parola. Da war doch was. Der Wanderweg zum See. Zu beschwerlich heute. Auch den Turm besteigen wir nicht. Geschlossen. Ebenso die Gastronomie.





                                                                                        Ich bringe Peter dazu, mich zum Campingplatz zu fahren. Ich möchte einfach einmal sehen, wie die Gegend im Winter aussieht. Auch Peter fährt erst am Schild vorbei, das beruhigt mich. Die Einfahrt ist wirklich kaum zu sehen. Blick vom Parkplatz aus auf den Platz.





                                                                                        Friedlich wirkt die Freitreppe des Restaurants bei Schnee.





                                                                                        Da unten am See stand ich im Herbst mit meinem Zelt. Am liebsten würde ich noch einmal hingehen. Es sind um die - 13 Grad. Man könnte den See betreten. Aber R. wartet. Wir wollen zurück.





                                                                                        Als wir zurückfahren, weht der Schnee auf die Straße.








                                                                                        Glutrot geht um zehn vor vier die Sonne unter. Selbst um halb fünf leuchtet der Himmel noch. Die Tage werden länger.





                                                                                        Zum Abendessen gibt es Raclette (tämä ruoka oli herkullista!). Wir schauen meine Bilder an, und ich erfahre, dass man mich via webcam beobachtet hat, als ich Skifahren war. Das Fernsehen berichtet von platzenden Wasserleitungen. Anscheinend war es in Südfinnland schon lange nicht mehr so konstant und lange kalt.
                                                                                        Natürlich diskutieren wir auch über die Gefahren von Wintertouren, und ich höre die Geschichte von zwei älteren Finnen, die nicht zum ersten Mal in Lappland an der russischen Grenze auf Wintertour waren und bei einem Wettereinbruch zur letzten Hütte umkehren wollten. Einer von ihnen hatte einen Schwächeanfall und ist gestorben, den anderen konnte man retten. Da nutzte auch die Erfahrung nichts. Ob sie zu spät umgedreht sind oder Warnungen missachtet haben, ich weiß es nicht. Harmlos ist Lappland nicht, auch wenn die kleinen Bürstchen so putzig sind. Ein Schweizer Ehepaar wurde bei Saariselkä von einem Schneesturm überrascht. Sie hatten sich kurz neben die Loipe gestellt, um auszuruhen und konnten anschließend den Weg nicht mehr finden. Die beiden wurden gerettet. Ich frage Peter, warum er so etwas nie im Forum postet. Er winkt ab. Die Leute müssen das selber wissen.

                                                                                        Am Mittag hatte ich bereits die Jugendherberge in Pori gebucht. Ich will noch einmal ans Meer. Dabei liegt Pori gar nicht am Meer, sagte Peter. Sondern zwanzig Kilometer entfernt. Ich hatte trotzdem gebucht. Jemand hatte mir im September erzählt, Pori sei hübsch. Schon damals hatte ich es sehen wollen. So ist es mit der Erfahrung. Nur wenn man sie selber macht, taugt sie.
                                                                                        Oha.
                                                                                        (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                        Kommentar


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                                                                                          Lebt im Forum
                                                                                          • 22.08.2008
                                                                                          • 8843
                                                                                          • Privat


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                                                                                          AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                                          Wieder mal ein typischer Torres Bericht.
                                                                                          Und ein neues Fahrzeug ist dir mit deinem Porsche auch eingefallen.
                                                                                          Du kannst reisen so weit du willst, dich selber nimmst du immer mit.

                                                                                          Kommentar


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                                                                                            Freak

                                                                                            Liebt das Forum
                                                                                            • 16.08.2008
                                                                                            • 31757
                                                                                            • Privat


                                                                                            #46
                                                                                            AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                                                            22.01.2016 Pori

                                                                                            Am Morgen färbt die Sonne den Himmel rosarot. Zum Frühstück gibt es von R. selbst eingelegten Lachs. Der Geschmack ist unvergleichlich. Danke schön. Ich darf sogar für die Reise ein wenig mitnehmen. Gegen Mittag heißt es Abschied nehmen. Peter bringt mich zur Bahn. Auch dieser Bahnhofsschalter ist für immer geschlossen worden. Unglaublich.

                                                                                            Der Zug hat Verspätung. So warten wir in der Halle. Normalerweise würde ich längst auf den Bahnsteig gehen, sicher ist sicher, denn der Zug fährt nicht auf dem Gleis vor dem Gebäude, sondern am Bahnsteig gegenüber. Aber Peter vertraut der Anzeigetafel. 10 Minuten Verspätung. Zwanzig Minuten. Wir warten. Noch einmal 5 Minuten. Die ersten Leute verlassen die Halle. Nun steigt meine Nervosität. Erneut kommt eine Durchsage, ich stocke noch einmal, laufe dann aber einfach los, ohne sie richtig anzuhören. Mein Nervenkostüm ist für so etwas zu schwach.

                                                                                            Der Aufzug bringt uns nach unten. Einen kurzes Stück Unterführung. Der nächste Aufzug. Er scheint in der Mitte stecken geblieben zu sein. Im Augenwinkel sehe ich Menschen die Treppe hinunter kommen. Was das heißt, weiß ich instinktiv. Augenblicklich vergesse ich alles um mich herum. Porsche an der Hand stürme ich die Treppe hinauf. Klack, klack, klack. Ein eingespieltes Team. Der Zug. Drei Minuten zu früh. Abfahrtbereit. Ich schlittere auf die nächste Tür zu. Der Schaffner steht im Weg. „Tampere?" fragt der Schaffner. „Kyllä". Er macht die Tür frei. In Sicherheit. Das war knapp.
                                                                                            Erst jetzt fällt mir Peter wieder ein. Oh je, wie peinlich. Er steht auf der anderen Seite der Tür. Er erklärt dem Schaffner, ich bräuchte eine Reservierung. Der Schaffner nickt und versteht doch nicht ganz. Er hat anderes im Kopf. Für Abschied ist es nun zu spät. Schon setzt sich der Zug in Bewegung. Wir verabschieden uns per sms.

                                                                                            Das schöne Wetter weicht deprimierendem Grau-in-Grau. Umsteigen in Tampere. Noch kann man die Seen betreten. In ganz Finnland soll es morgen wärmer werden. In Pori sind nur – 4 Grad. Ob die Weiterfahrt nicht doch ein Fehler war?





                                                                                            Der Zug ist alt. Zwischen den Sitzen ist viel Platz. Nokia. Der Campingplatz war im September so schön. Kokemäki. Hier sollte meine Tour enden. Immer noch sehr wenig Schnee. Im Wald so gut wie keiner. Das Wasser hätte nicht gereicht. Einen kurzen Moment zeigt sich die Sonne. Ein kleiner Gruß aus der Ferne. Natürlich. Ich komme wieder. Irgendwann.
                                                                                            Die Landschaft ist so leer. Der Bahnhof von Kokemäki scheint verrammelt zu sein. Auf den Fenstern klebt Pappe.











                                                                                            In Pori ist wieder alles grau. Eine Baustelle. Einbrechende Dunkelheit kündigt sich an. Einen Bus ins Zentrum gibt es nicht. Egal. Ich wollte die zwei Kilometer sowieso laufen. Menschen schauen mich an, als würden sie sich fragen, was ich hier wolle. Das frage ich mich auch. Die Stadt wirkt abweisend, wie finnische Städte eben wirken können. Ich laufe irgendwelche größeren Straßen entlang. Der kürzeste Weg laut Navi. Ein zweites Turku ist Pori nicht. Radfahrer überholen mich. Hier ist es flach. Der Fluss kommt in Sicht, die Hauptstraße verläuft parallel. Natur sehe ich keine. Ein paar trostlose Bäume. Es liegt kaum Schnee. Ich bekomme schlechte Laune.

                                                                                            Das gelbe Hostel, in traditionellem Baustil gebaut, liegt in der Nähe einer Hauptstraße, umgeben von neu errichteten Wohntürmen mit Flussblick. Die Häuser wirken seelenlos und teuer. Ich fühle mich unwohl. Ich will hier weg.

                                                                                            Im Hostel umfängt mich Wärme, und ich weiß sofort, dass es mir hier gefällt. Aber so schnell schüttelt man das Unwohlsein der letzten Kilometer nicht ab. Die Dame am Empfang spricht ein wenig englisch. Die Verständigung ist holprig und ein bisschen tut sie mir leid. Konsequent erkläre ihr, dass ich mir hier mehr Natur vorstellt habe und nur eine Nacht bleiben werden, obwohl ich zwei Nächte vorgebucht hatte. Gleichzeitig fühle ich mich schlecht. Das Hostel ist gemütlich und liebevoll eingerichtet. Es hat Seele. Schon lange war ich nicht mehr an so einem netten Platz. Ein wenig britisch, dazu gibt es eine Sauna und im Flur kann man sich Pantoffeln anziehen. Sie nickt. Wenn ich bleibe, bleibe ich. Wenn nicht, bin ich morgen früh fort.

                                                                                            Ich beziehe das Einzelzimmer, es hat sogar einen eigenen Kühlschrank. Ich ziehe den Stecker. Er ist mir zu laut. Ich schreibe den Bekannten von der Fähre eine sms, um mich zu verabreden. Dann beschließe ich, mir Pori anzuschauen. Der Fluss. Im Hintergrund die modernen Häuser. Die Autos an der Straße dröhnen.





                                                                                            Der Kokemäenjoki ist noch nicht einmal zugefroren. Viel zu warm hier. Immerhin. Es führt ein Weg am Fluss entlang. Kraks, ich habe mich zu weit vorgewagt. Das Eis bricht ein, als ich fotografiere. Tief ist es hier nicht. Vermutlich ein Strand.





                                                                                            Der Himmel ist bedeckt. Das färbt die Lichter gelblich. Am anderen Ufer glänzt noch die Weihnachtsbeleuchtung.





                                                                                            Ein Türmchen. Wie nett. Meine Laune hebt sich.





                                                                                            Sommergastronomie.





                                                                                            Lichtspiele.





                                                                                            Ein Einkaufszentrum auf der anderen Seite. Vermutlich war das früher einmal eine Fabrik. Puuvilla heißt Baumwolle.





                                                                                            Wieder das Türmchen.





                                                                                            Bausubstanz im Stil von Altbauten statt finnischer Zweckarchitektur.





                                                                                            Und dann tatsächlich eine große, klassische Kirche. Fast fühle ich mich wie in Italien. Ich stelle mich auf die Straße. Vorsicht. Aufpassen, dass einen die Autos nicht anfahren. Finnen sind so etwas nicht gewöhnt.





                                                                                            Erbaut 1863. Sie fasst 2000 Personen. Im Sommer wird es hier sehr schön sein. Einen Moment schaue ich nach einer Bank. Wenn es nur nicht so feucht-kalt wäre. Entspannung macht sich breit.








                                                                                            Ich streife etwas durch die Innenstadt, aber sie gleicht den anderen Innenstädten Finnlands. S. wird später erklären, dass es sich nicht lohnt, finnische Städte zu besuchen. Das einzig Bedeutende, das Finnland hat, ist die Natur. Mit meinem Besuch in Pori beginne ich, das zu begreifen.








                                                                                            Das Rathaus. Hier gehört das Türmchen hin. Der Baumeister war Carl Friedrich Engel, geboren 1778 in Berlin, gestorben 1840 in Helsinki. Ein Studienfreund von Karl Friedrich Schinkel.






                                                                                            Ein russisches Paar fotografiert und wandert weiter in den Park. Und dann reicht es mir auch mit der Architektur.





                                                                                            Ich laufe zurück. Ein paar Jugendliche werfen aus voller Fahrt ihre Fahrräder in den Schnee und albern am Ufer herum. Das offene Wasser scheint interessant zu sein.





                                                                                            Ich bleibe ein wenig am Ufer des Flusses stehen. Zeit für Selbstgespräche. Das Meer ist weit. Aber vor mir ist eine Insel. Man könnte in den Parks spazierengehen. Ob ich noch einen Tag bleibe? Aber nicht im Winter. Und nicht, wenn es taut. Morgen soll es noch wärmer werden. - 1 Grad. Wenn man aus Lappland kommt, kann man das nicht. Und die Wanderwege sind jetzt Loipen. Aber vielleicht ist es dort trotzdem schön?
                                                                                            Noch eine kleine Runde durch den Schnee. Wieder der Blick auf den Fluss. Das Hostel ist so nett. Ich beschließe, ich entscheide mich morgen.

                                                                                            Eine sms geht ein. S. schreibt, sie hätten morgen Abend Zeit. Ich sei herzlich zum Essen eingeladen. Eine Freundin und ein Bruder kämen auch. Erfreut sage ich zu.

                                                                                            Die Entscheidung ist gefallen. Ich koche eine Kleinigkeit und mache in der Küche Bekanntschaft mit einem polnischen Pärchen. Später muss ich die Dame vom Hostel anrufen, weil die Polin ein Problem hat. Als sie mich nicht richtig versteht, wende ich erfolgreich meine rudimentären Finnischkenntnisse an. Zu Hause werden wir noch mailen, es geht um die Angaben in der Hostel-App, ich konnte unerwartet helfen, und sie bedankt sich. Eine schicksalhafte Begegnung, wie mir scheint. Am nächsten Tag schreibe ich etwas Nettes in das Gästebuch. Am Hostel lag es nicht.


                                                                                            Zuletzt geändert von Torres; 17.02.2016, 21:55.
                                                                                            Oha.
                                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                            Kommentar


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                                                                                              Freak

                                                                                              Liebt das Forum
                                                                                              • 16.08.2008
                                                                                              • 31757
                                                                                              • Privat


                                                                                              #47
                                                                                              AW:[FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntnisse

                                                                                              23.01.2016 Espoo

                                                                                              Es ist Samstag. Kurz vor neun mache ich mich auf den Weg. Die Stadt schläft. Nur ein paar Hundebesitzer sind zu sehen. Mein Navi brauche ich nicht mehr. Der Stadtplan ist im Kopf.





                                                                                              In die Bäume hat jemand Zweigbüschel gehängt. Sie sehen aus wie Vögel.





                                                                                              An den Straßenrändern leuchtet gelb die Hundepisse. Man fragt sich, ob das hier nicht schon ein Kunstwerk ist. Was bei Tauwetter wohl bald so alles zu Tage kommt.





                                                                                              Auch Pori hat keinen Ticketschalter mehr. Den IC ab Tampere hätte ich gerne reserviert. Der Zug steht bereits da. Einen Moment bin ich unsicher, ob ich einsteigen soll. Aber andere Züge fahren hier nicht. Freie Platzwahl. Ein Pärchen nimmt ein halbe Stunde lang zärtelnd Abschied.

                                                                                              Hübsch.





                                                                                              Kurz vor Tampere leuchtet ein kleiner rosa Streifen am Horizont. Ich erinnere mich an den Radweg zwischen den beiden Seen. Sommer. Eine andere Welt.
                                                                                              Der Schnellzug nach Helsinki füllt sich, und ich werde von meinem Sitz gescheucht. Mein Rucksack darf stehenbleiben. Ich nehme auf der anderen Seite des Ganges Platz. Zwischen den Schultergurten unterhalten wir uns nett. Ein Paar hat im Bordrestaurant Freude getankt und amüsiert sich über den Ortsteil Töölö. Humalainen. Gestern hatte ich wieder Vokabeln gelernt.





                                                                                              In Helsinki sind – 3 Grad. Ich schließe mein Gepäck für sechs Euro in ein Gepäckfach im Keller ein. Nur das Gestell von Porsche passt nicht hinein. Acht Euro Kleingeld für ein größeres Gepäckfach habe ich nicht. Das Geschäft dürfte rentabel sein. Fast alle Gepäckfächer sind voll.
                                                                                              In Kampin Keskus suche ich den Fahrplan der Buslinien nach Espoo heraus. Menschenmassen schieben sich durch die Gänge. Koffer versperren den Weg. Das bin ich nicht mehr gewohnt. Mit Grauen denke ich an zu Hause. Da ist noch viel voller.
                                                                                              Ich setze mich in der Nähe des Bahnhofes in ein Café und lese mein Buch weiter. Als ich in Richtung Gepäckfach gehe, werden Erinnerungen an Lappland wach. Der Himmel. Da war doch etwas.





                                                                                              Der Abend ist sehr nett. M. kocht wunderbar, ein echter Genuss. Und alle verstehen und sprechen deutsch, das hilft mir sehr. Ich erfahre, dass die Menschen in Westfinnland – also dort, wo ich auf meinem Rad vergeblich die Menschen gegrüßt hatte - wortkarg sind. Während die Menschen in Karelien das Gegenteil sind: Viel reden und viel lachen. Vielleicht muss ich doch einmal nach Karelien fahren.

                                                                                              Und zwischendrin denke ich, der Abend ist ein Wunder. Man sitzt in einer finnischen Familie, die Gespräch sind nett und alles scheint so alltäglich, obwohl man gar nicht nebenan wohnt, sondern lediglich auf der Durchreise ist. Eine Laune des Schicksals. Anders, als es bei Peter und R. der Fall war, wo man sich bereits aus dem Forum kannte. Hier saß man auf einem Schiff zusammen in der Sauna. Und drei Wochen später öffnen sich die Türen. Ohne viel zu fragen. Ich meine, ich könnte ja ein Verbrecher oder ein Massenmörder sein. Oder verwirrt.
                                                                                              Ich weiß. Ich lese zu viele Bücher. Leena Lehtolainen ist übrigens zu empfehlen. Aarto Paasilinna sowieso.



                                                                                              24.01.2016 Helsinki


                                                                                              Zum Frühstück sind alle wieder versammelt. M. hat eine riesige Auswahl Brot und Käse besorgt. S. zeigt Bilder von der letzten Familienwanderung. Im Dreiländereck im Norden Finnlands. Mitsamt der Kinder. Das Akto von L. erkenne ich sofort. Den Fjällräven Tunnel leider nicht. Mist. Vor zwei Jahren hätten mich die Bilder der Landschaft vielleicht noch gelangweilt. Doch meine Reisen haben mich verändert. Aufmerksam registriere ich die Eigenheiten der Tour. Navigieren lernt man in Finnland sogar in der Schule, werde ich später lernen.

                                                                                              Es beginnt zu schneien. Dicke Flocken. Gegen Mittag ist Schneeschippen angesagt. S. lädt mich für morgen zu einem Saunaabend bei der finnischen Saunagesellschaft in Helsinki ein, zu der nur Mitglieder und ihre Gäste Zutritt haben. Ich bin überrascht und sage gerne zu.

                                                                                              Porsche rollt zuverlässig durch den hohen Schnee. Zwar sammelt sich der Schnee nun an der unteren Kante. Aber das stört nicht. Nur der menschenleere Bus wird beim Tauvorgang ziemlich nass.








                                                                                              Ein Skifahrer mit Kitesegel.





                                                                                              Helsinki. Ich hebe Porsche an den Ampeln über knöchelhohen Sulzschnee. Wie schnell blütenweißer Schnee zu Schmutz wird.





                                                                                              Dann warte ich auf die Straßenbahn. Hier hat man den Schnee entfernt.





                                                                                              Ich steige eine Haltestelle zu früh aus. Es ist die Haltestelle, an der beide Linien halten, ich hatte den Namen noch in Erinnerung. Der Schnee ist hoch und teilweise muss ich den aufgeschütteten Schneebergen umständlich ausweichen. In Gedanken und vor Freude, wieder Schnee unter den Füßen zu haben, laufe ich einfach geradeaus weiter. Als ich merke, dass ich die Abzweigung verpasst habe, wende ich, und schlage mich in Umwegen wieder durch Schneeberge hindurch. Nur um festzustellen, dass die andere Linie geradeaus fährt und an einer Querstraße hält. Die Querstraße. Die hatte ich völlig vergessen. Ich war also eben schon fast da.

                                                                                              Ich checke im Hostel ein und beziehe mein Zimmer. Es sieht aus, wie eine Zelle im Gefängnis. Nackt und stillos. Ich wasche die Wäsche in der Waschküche und begebe mich in die Sauna. Durch Lautsprecher ertönt Schneeknirschen unter Schuhen und irgendwelche anderen pseudofinnischen Waldgeräusche. Ich werde fast wahnsinnig. Ein Ort der Ruhe, dachte ich.

                                                                                              Ich koche etwas und versuche, mich an meiner neuen Unterkunft zu erfreuen. Es gelingt nicht. Es geht abwärts. Das Ende des Urlaubes naht.
                                                                                              Zuletzt geändert von Torres; 18.02.2016, 21:59.
                                                                                              Oha.
                                                                                              (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                              Kommentar


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                                                                                                • 31757
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                                                                                                25.01.2016

                                                                                                Das Wetter ist trüb. - 1 Grad sagt der Wetterbericht. Vor meinem Fenster bleibt ein LKW, der das Hostel beliefert, stecken. Der Räumdienst muss ihn befreien. Am Kauppatori Salutorget ist Markt, windig ist es und kalt. Ich kaufe kleine Souvenirs für zu Hause. Die Zahl der Touristen ist überschaubar.

                                                                                                Der weiße Dom. Mit Zar Alexander II.





                                                                                                Langsam gehe ich die Treppen hoch. Zu feucht hier. Meine Beine machen wieder schlapp. Wo soll das bloß enden. Glockengeläut. Es ist gleich zwölf.








                                                                                                Ich setze mich in eine der Bänke. Vorne stehen ein paar Stühle im Halbkreis. Sechs Menschen haben Platz genommen. Im Inneren ist der Dom schmucklos. Ich hatte mehr Pracht erwartet. Protestantisch. Der Dom wurde von Carl Ludwig Engel entworfen.

                                                                                                Der Pastor kommt, und ich befinde mich inmitten einer finnischen Andacht mit liturgischen Gesängen. Ein paar Worte verstehe ich schon. Mit dem Handy mache ich heimlich ein Foto.





                                                                                                Die halbe Stunde Ruhe hat gut getan. Als ich den Vorplatz wieder betrete, bin ich ein wenig orientierungslos. Spazierengehen? Soll ich die Ice Claws holen? Ach was, ich werde sie nicht brauchen. Es beginnt doch zu tauen. Die Touristeninformation konnte die Sicherheit auf dem Eis nicht garantieren.


                                                                                                Ich nehme die nächste Straßenbahn zum Museum am Bahnhof. Der Bahnhof.





                                                                                                Es ist Montag, das Museum hat geschlossen. Welche Überraschung. Ich laufe ziellos durch die Fußgängerzonen. Eisstückchen fallen von den Dächern. Eiszapfen schmelzen. Ein paar Männer mit Nikolausmütze spielen sentimentale Lieder auf dem Xylophon.





                                                                                                Spontan steige ich in die Straßenbahn 4 ein, die in Gegenrichtung zum Hostel nach Munkkiniemi fährt. Mal schauen, wo sie mich hinbringt. Zu meinem Erstaunen kenne ich Teile der Strecke schon. Links hinter den Häusern ist das Sibelius Memorial. Und hier bin ich im September mit dem Fahrrad herumgeirrt. Und kenne ich das hier nicht von meiner Winterradtour? Sicher bin ich mir nicht. Aber das muss hier irgendwo sein. Stimmt, mein Radweg war damals nicht weit davon, sehe ich auf dem alten Track. Hier funktioniert Rodeln noch.





                                                                                                Irgendwann vermute ich die Endhaltestelle und steige aus. Stille. Schnee. Ein See. Die Ice Claws. Verdammt. Ohne sie will ich nicht auf das Eis gehen. Zu riskant.





                                                                                                Der Schnee ist tief. Ein paar Spaziergänger.





                                                                                                Die Sonne.





                                                                                                Urban Outdoor.





                                                                                                Ich folge einer Frau mit Hund vorsichtig auf den See. Man sieht schon erste Taustellen. Ich weiß nicht, wie dick das Eis wirklich ist. Daher mag ich mich nicht so weit entfernen.








                                                                                                So bleibe ich einfach nur stehen und genieße.





                                                                                                Und spiele an der Kamera herum.











                                                                                                Ich laufe noch ein wenig den Weg entlang, dann kehre ich um und setze mich in das Café. So etwas tue ich sonst nie. Aber es fühlt sich finnisch an. Die Finnen haben den höchsten Kaffeekonsum weltweit mit 11.4 kg pro Kopf. Gefolgt von Schweden. Deutschland liegt mit 6,3 kg pro Kopf noch hinter dem Libanon und Kanada auf Platz 10. Ich bestelle wie üblich Kakao.

                                                                                                Entspannt schaue ich zum Fenster hinaus. Das war der Sinn der Reise. Sich auflösen in der weißen Weite. Und zur Ruhe kommen.





                                                                                                Eine perfekte Welle.





                                                                                                Im laublosen Gebüsch sitzen kleine Vögel und denken, ich sehe sie nicht. Verdammt, wo ist nur mein Tele.








                                                                                                Auf die Idee, dass ich den Parkplatz kenne, komme ich nicht. Genau hier bin ich an meiner ersten Wintertour vorbei geradelt. Etwas später kommt die Brücke, auf der ich die Brille verloren habe. Da war ein Park. Nachträglich ärgere ich mich sehr.
                                                                                                So stapfe ich den Umweg zurück und stelle mich wieder an der Straßenbahnhaltestelle an. Sie fährt vor meiner Nase fort. Ein Foto von der schneebedeckten Mauer.





                                                                                                Die nächste Bahn kommt. Die Sonne auch. Ich eile zurück. Das Café.





                                                                                                Winterstimmung.





                                                                                                Wasser.





                                                                                                Kivi lumen alla.





                                                                                                Puut.








                                                                                                Und morgen wird alles vorbei sein. Es wird tauen.









                                                                                                Einen Moment lang mache ich in der Sonne noch die Augen zu. Dann laufe ich den Umweg zurück. Steil geht es einen Abhang hoch. Meine Beine. Es ist zu warm hier.

                                                                                                Die Straßenbahn rattert zurück. Eine Hundeskulptur mit Warnweste steht angeleint vor einem Hundegeschäft. Täuschend echt. An der Kreuzung ist die Ampelanlage ausgefallen. Armer Kerl.





                                                                                                Ich wandere noch ein wenig durch die Straßen. Das Wetter ist so schön.








                                                                                                Absperrungen warnen vor Eis- und Schneebrettern, die von den Dächern fallen.





                                                                                                Ein Kran nimmt Holzplatten an.





                                                                                                Ich finde einen Führer über die finnischen Nationalparks. Mein Nationalpark ist auch darin. Natürlich steht auch alles im Internet. Aber das Buch gefällt mir besser. 13.00 Euro. 27.00 Euro heruntersetzt.





                                                                                                Der Himmel ist blau geworden. Ein großer Vogel schwebt in der Ferne, aber ein Foto gelingt mir nicht.





                                                                                                Ich steige in den Bus ein, um zur Sauna zu fahren. Ein Szenestadtteil. Einen Moment muss ich überlegen, was das weiße Ding im Vordergrund ist.





                                                                                                Verkehrsstau. Berufsverkehr. Hier war ich noch nie. Hafenanlagen. Ein Kreuzfahrtschiff. Vororte. Der Bus wird langsam leer. Ich steige an der richtigen Haltestelle aus. Es sind wieder leichte Minustemperaturen. Finnische Zweckarchitektur. Ich vermute, von innen sind die Wohnungen traumhaft.

                                                                                                Ich laufe den einsamen Weg zur Sauna hinunter. Ich bin eine Stunde zu früh. Ein dunkler Himmel und die Lichter der Großstadt. Ein merkwürdiger Kontrast.








                                                                                                Die Luft riecht nach Rauch.





                                                                                                Ich erklimme einen kleinen Hügel. Der Schnee ist tief. Neben mir rauscht die Schnellstraße. Will ich wirklich wieder nach Hause fahren?





                                                                                                S. kommt und nun muss alles recht schnell gehen. Es gibt eine Vielzahl von Saunen. Sie auszuprobieren, kostet Zeit. Es sind keine elektrischen Saunen, wie zumeist in Deutschland, sondern Holzsaunen und traditionelle finnische Rauchsaunen, bei denen mittags die Steine mit Holzfeuer erhitzt werden, welche dann stundenlang die Wärme abgeben.
                                                                                                S. zeigt auf einen Korb. Hier kann man Birkenzweige kaufen, mit denen der Körper geschlagen wird, um die Blutzirkulation zu erhöhen. Ich bekomme einen Saunahut aus Filz geliehen, der vor Hitze und Kälte schützt und wirklich gut tut. S. lacht über die deutschen Saunasitten, wo ein zertifizierter Saunameister den Aufguss vornimmt, dramatisch sein Handtuch schwenkt und womöglich Hausverbot ausspricht, wenn man ohne ihn einen Aufguss vornimmt. Hier ist eine der wichtigsten Regeln, dass man beim Betreten einer Sauna die Anwesenden fragt, ob man einen Aufguss (löyly) machen soll. Und die Antwort ist in der Regel: „Ja“. Das merke ich schnell. Da sehr viel los ist, kommt ständig jemand hinein und jedes Mal gibt es einen Aufguss. Und immer denke ich, wärmer geht es nicht und es geht doch noch wärmer. Obwohl ich mich als empfindlich einschätze, kann ich gut atmen. Normalerweise muss ich nach Aufgüssen sehr bald hinausgehen, weil mir schwindelig wird. Eine echte Sauna ist mit einer Elektrosauna eben nicht zu vergleichen. In die Hände zu atmen, hilft übrigens auch, wenn es zuviel ist, erfahre ich.

                                                                                                Hinter dem Haus ist ein Steg und am Ende des Steges ist ein Wasserloch im Eis. Das Gewässer ist der Finnische Meerbusen, eine langgestreckte Bucht der Ostsee. Mich schaudert. S. läuft vor, spricht ein paar finnische Beschwörungen oder Gebete, die ich nicht verstehe, zählt auf finnisch bis drei, tunkt unter und läuft schnell wieder hinauf. Ich mache es nach, nein, nicht die Beschwörungen, aber auch ich tunke ganz schnell unter und laufe sofort wieder hoch. Dann sitzen wir auf der Bank, schauen auf die Bucht, und ich entscheide, ich hätte mir das schlimmer vorgestellt. So kalt ist das gar nicht. Bei den nächsten Malen schwimme ich sogar zwei Züge.

                                                                                                Wir essen noch eine Kleinigkeit. Dann heißt es Abschied nehmen. Und ich bedanke mich sehr herzlich. Das war ein tolles Erlebnis.

                                                                                                Auf der Heimfahrt fahren riesige LKW den Schnee ab. Es ist jetzt knapp 0 Grad.





                                                                                                Als ich R. und Peter später schreibe, was ich erlebt habe, und dass ich sozusagen in der Ostsee geschwommen bin, fragt mich R., wieviele Wodkas ich davor getrunken hätte. Ich weise das weit von mir. Und lerne ein neues finnisches Wort: „ankyräkänissä“. Stockbesoffen.
                                                                                                Oha.
                                                                                                (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                Kommentar


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                                                                                                  Freak

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                                                                                                  • 31757
                                                                                                  • Privat


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                                                                                                  26.01.2016

                                                                                                  Die Party ist vorbei. Es taut. In den Bahnen schnieft und hustet es. Der Boden ist glatt. Der Schnee taut und verwandelt sich in Eis, das von Wasser bedeckt ist. Ich wollte in den Kaivopuisto im Süden Helsinkis gehen. Bei diesem Wetter hat das keinen Sinn. Eine Zugfahrt nach Porvoo erspare ich mir ebenfalls. Eine Fahrt hätte ich mit meinem Interrailticket noch übrig. Bei diesem Tauwetter macht das keinen Spaß. Der Felsendom. Da schlittere ich jetzt auch nicht hin. Regenschirme prägen das Stadtbild.





                                                                                                  Auf den Straßen ist nicht nur Matsch, sondern am Bordstein staut sich zwischen den hohen Schneeresten das Wasser. Eine echte Outdoorleistung an manchen Stellen, Straßen zu überqueren, weshalb ich das auch nur aus der Ferne fotografieren. In diese Brühe muss man jetzt nicht fallen.








                                                                                                  Wie schnell das Eis brüchig wird.





                                                                                                  Ich gehe die Esplanade entlang. In einem Laden hinterlässt mein Poncho einen Sturzbach. Ganz umsonst habe ich ihn also nicht mitgeschleppt. Ein Tannenbaum lässt die Zweige hängen. Das Tauwasser drückt sie nach unten.








                                                                                                  Ich suche noch Geschenke, und als ich ein Geschäft verlasse, fällt mir Schnee, der auf dem Dach lag, auf den Kopf. Autsch. Einen Moment bin ich benommen. Jeden Winter kommen in Finnland Menschen dadurch zu Tode.

                                                                                                  Ich beschließe, dem Tag etwas Gutes abzugewinnen und besuche das Ateneum. Eine Sonderausstellung mit Fotos von Henri Cartier-Bresson (1908-2004), einem der Mitbegründer der Fotoagentur Magnum. Fast 300 Fotos sind ausgestellt. Sie stammen vor allem aus den dreißiger bis fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Es sind berührende Fotos dabei. Und Interessante. Foto von berühmten Persönlichkeiten. Fotos aus fernen Ländern.
                                                                                                  Die Ausstellung ist gut besucht. Und ich mache mir so meine Gedanken. Betrachte ich mir die wenigen Bilder aus dem Vor- und Nachkriegsdeutschland, so sehen die Menschen aus wie Fremde: Schmal und knochig, aber auch mit Mondgesichtern. Gezeichnet durch Mangelernährung und Armut. Dunkle Gesichter. Von kleinem Wuchs. Kein Vergleich mit den heutigen Kindern des Wohlstands. Am meisten berührt mich das Foto italienischer Kinder, die in den Trümmern der Häuser einen Jungen mit Krücken verspotten. Tränen stehen ihm in den Augen.

                                                                                                  Noch stärker frage ich mich aber, ob diese Form der Straßenfotografie heute noch möglich sei. Das Recht am eigenen Bild. In seinen Bildern spiegelt sich Privatheit. Es sind Bilder aus einer Zeit, wo Menschen noch stolz posiert haben, wenn sie fotografiert wurden. Oder es gar nicht bemerkten. Sie womöglich gar nicht wussten, was gerade passierte. Und heute, in der Zeit der Smartphones und Selfies? Mittlerweile wissen selbst Dorfbewohner in fernen Regionen, dass mit Bildern Geld verdient werden kann. Musste er sich damals das Einverständnis der Fotografierten holen? Oder besser: Tat er es? Müssten heute die Abgelichteten entlohnt werden, wenn sie zustimmen und das Bild berühmt wird? Muss man vor dem Ablichten Verträge schließen? Ist das dann noch Straßenfotografie?


                                                                                                  Wie grausam sieht diese Stadt plötzlich aussieht. Tauwetter ist so frustrierend.





                                                                                                  Immer noch kämpfen Räumfahrzeuge mit dem Schnee.





                                                                                                  Ich koche mir Reis mit Nüssen in Hostelküche. Und packe. Morgen geht es zurück.




                                                                                                  27.01.2016 Abreise


                                                                                                  Ich muss mein Zimmer um 10.00 Uhr räumen und verlasse es kurz vor zehn. Wo ist der glitzernde Traum bloß hin.





                                                                                                  Hässlich.





                                                                                                  Kein Schnee, sondern Regen.





                                                                                                  Vorbei die Pracht. Vorbei.





                                                                                                  Wo vorgestern noch Touristen eine dicke Schneedecke heruntergerutscht sind, zeigen sich schmutzig-graue Treppen.





                                                                                                  Ich fahre mit der Straßenbahn zur Metro in Richtung Vuossari. Ich achte nicht auf das Fahrtziel und fahre zu weit. Ich hatte vergessen, dass sich die Strecke teilt. Ich habe genug Zeit, fahre entspannt zum Kreuzungspunkt zurück und steige in die richtige Bahn. Der Anschlussbus steht schon bereit. Trüb sehen die Seitenstraßen aus. Ich denke an meine Fahrradtour. Das ist alles so weit weg.

                                                                                                  In der Wartehalle wartet ein älteres deutsches Ehepaar. Ansonsten ist kaum etwas los. Die Fähre scheint fast leer zu sein.

                                                                                                  Ich beziehe meine Einzelkabine. Das Wetter ist diesig und feucht.





                                                                                                  Wie strahlend die Abfahrt doch im September war.





                                                                                                  Kurz vor Abfahrt des Schiffes schickt S. eine sms: „Das ist wohl der richtige Zeitpunkt, Finnland zu verlassen! Gute Fahrt!“

                                                                                                  Zu diesem Zeitpunkt bin ich gerade in der Sauna, und vermisse die Rauchsauna von vorgestern sehr. In der Nacht bekomme ich Halsweh. Fast zwei Wochen werde ich außer Gefecht sein.






                                                                                                  Nach meiner Abreise bleibt es in Südfinnland warm bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. In Lappland sind am Abreisetag – 7 Grad. Ilmatieteen laitos wird später zusammenfassen, dass dieser Januar in Südfinnland der kälteste Januar seit 2010 und in Lappland der kälteste Januar seit 2003 war. Allerdings war er zweigeteilt: In den ersten drei Wochen war es kalt, dann wurde es warm. Die kälteste Temperatur gab es am 07. Januar 2016 in Munio bei – 41,2 Grad. Da war ich gerade auf der Hinfahrt. Die wärmste Temperatur gab es am 30. Januar mit 6,5 Grad auf Hammerland-Märket zwischen den Aland Inseln und Schweden. Da war ich bereits wieder zu Hause. Einige Regionen Südwestfinnlands waren schneefrei, während es in Lappland 70-80 cm Schnee gab.
                                                                                                  Im Februar sinkt die Temperatur in Lappland ebenfalls auf Minus – 1 Grad. Die tiefen Temperaturen, die ich so liebe, sind erst einmal vorbei.


                                                                                                  Und so habe ich unter dem Strich gesehen bei dieser Reise wirklich Glück gehabt. Die Wanderung im Wald, den Himmel in Lappland und all die Erkenntnisse, Erlebnisse und Begegnungen kann mir niemand mehr nehmen.





                                                                                                  Oha.
                                                                                                  (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                  Kommentar


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                                                                                                    • 57


                                                                                                    #50
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                                                                                                    Der schöne Bericht geht zu Ende, schade. Ist wie Tauwetter ohne Frühling.
                                                                                                    Danke für den wunderbaren Schnee.

                                                                                                    Kommentar


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                                                                                                      Erfahren
                                                                                                      • 25.04.2013
                                                                                                      • 293
                                                                                                      • Privat


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                                                                                                      AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                                                      Vielen Dank für diesen sehr angenehm zu lesenden, ehrlichen und herrlich unaufgeregten Bericht. In vielem habe ich mich selbst wiedergefunden und auch die Orte und Bilder waren größtenteils nicht unbekannt. Allerdings ist die Gegend um Saariselkä vermutlich der Teil Nordfinnlands, den ich am wenigsten kenne. Dort war ich vor etlichen Jahren ausnahmsweise ein paar Tage mit dem Fahrrad unterwegs und bin zwischendurch kurz auf den Kaunispää gestiegen. Vielleicht schaffe ich es in den kommenden Jahren ja mal wieder in die Ecke.

                                                                                                      Interessiert habe ich auch deine Beobachtungen zur finnischen Sprache verfolgt. Wie banal der Inhalt mancher scheinbar willkürlicher Buchstabenaneinanderreihung plötzlich wird, wenn man einzelne Teile davon isolieren, identifizieren und vielleicht sogar verstehen kann. Das geht mir zwar bei allen Fremdsprachen so, allerdings gibt es gefühlt im Finnischen besonders viele und lange Komposita und ohne Vorkenntnisse kann man sich abgesehen von Lehnwörter wie pankki, banaani oder sitruna kaum etwas erschließen.

                                                                                                      Das Skilaufen ist übrigens gar nicht so schwer und sollte mit ein bisschen Übung ganz ordentlich klappen. Zumalso lange es so kalt ist, dass man nur mit Schnee zu tun hat. Wenn dann später, meist so ab Mitte März, die Oberfläche regelmäßig antaut und dann vereist, wird es ungleich schwieriger, weil man höhere Geschwindigkeiten erreicht, schlechter bremsen kann und Stürze auch noch mehr weh tun. Dafür bildet sich dann aber auch häufig eine feste Kruste auf dem Schnee auch abseits der Loipen, so dass man dort wunderbar skaten und manchmal auch ohne Schneeschuhe etc. herumlaufen kann...

                                                                                                      Vielen Dank für's Mitnehmen! Ich freue mich schon auf deinen nächsten Bericht!

                                                                                                      Kommentar


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                                                                                                        • 79
                                                                                                        • Privat


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                                                                                                        AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                                                        Ein Genuss.

                                                                                                        Ein typ. Torres eben.

                                                                                                        Kommentar


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                                                                                                          Erfahren
                                                                                                          • 09.12.2013
                                                                                                          • 222
                                                                                                          • Privat


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                                                                                                          AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                                                          Danke für den tollen Bericht. Du hast eine ganz besondere Art zu schreiben - ich mag sie sehr.
                                                                                                          “Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.”

                                                                                                          (Antoine de Saint-Exupéry, französischer Schriftsteller, 1900 – 1944

                                                                                                          Kommentar


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                                                                                                            Freak

                                                                                                            Liebt das Forum
                                                                                                            • 16.08.2008
                                                                                                            • 31757
                                                                                                            • Privat


                                                                                                            #54
                                                                                                            AW: [FI] Wie macht der Himmel das? - Drei Tage Wintertour und andere Erkenntniss

                                                                                                            Jetzt muss ich mich doch mal für die netten Kommentare bedanken, die mittlerweile geschrieben wurden. Schön, dass Euch meine Reise bzw. der Bericht dazu gefallen hat. Wenn ich einen Reisebericht fertig geschrieben habe, dauert es immer etwas, bis ich wieder geerdet bin und dann fällt mir erst einmal nichts mehr ein. Ich hatte mir keine Notizen gemacht und es war, als hätte ich die Reise ein zweites Mal durchlebt.

                                                                                                            Am Skifahren werde ich dran bleiben, ich habe neulich sogar versucht, meinen Arzt von Langlaufen zu überzeugen. . Danke für die ausführliche Schneebeschreibung, sompio. Schade, dass es derzeit kaum noch schneereiche Winter in Deutschland gibt. Am besten lernt man so etwas, wenn man es vor der Haustür ausprobieren kann.

                                                                                                            Gestern habe ich übrigens gelesen, dass jemand mit einer 70 kg schweren Waschmaschine 1200 km durch Deutschland gewandert ist. Es gibt also noch Spiel bei der Wahl neuer Begleiter. Auch wenn mir im Moment eine zündende Idee fehlt. Klick

                                                                                                            @supi
                                                                                                            Als ich bei R. war, wurde mir lachend das Wort "Dschaiweskeile" als Beispiel missglückter Aussprache finnischer Worte präsentiert. Ich habe echt auf dem Schlauch gestanden. Selbst als mir die Auflösung genannt wurde, konnte ich mir nicht erklären, wie man das Wort so aussprechen kann. Erst als ich an Kylie Minogue dachte, wurde es klarer. Gemeint ist die siebtgrößte finnische Stadt.
                                                                                                            Oha.
                                                                                                            (Norddeutsche Panikattacke)

                                                                                                            Kommentar