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Wo das Südland ganz im Norden liegt
Episode I:
- Auf dem Sutherland-Trail nach Norden -
„Ye've to 'rry!“ „Sorry?“ Ich zeige ratlos auf meine Ohren. „Ye've to 'rry!“ Wieder nichts verstanden. Ich zeige noch einmal auf meine Ohren. „You - have - to - hurry!“ drang jetzt durch das Sicherheitsglas des Fahrkartenschalters im Bahnhof Glasgow Queen Street. Oh ja. Da wäre ich nie drauf gekommen. Dank des Pantomimespiels war es jetzt statt drei nur noch zwei Minuten vor Abfahrt des Zuges in Richtung Inverness. Schnell die Bahnsteigsperren passiert, ohne sie mit der Schrankwand umzureißen, und dann in den Zug. Doch statt des für mich Sekundenfuchser üblichen „Plopp“ der Türen unmittelbar hinter mir passiert gar nichts. Erst mit drei Minuten „Verspätung“ fährt der Zug ab.
Dass wir ihn überhaupt bekommen haben, grenzt an ein Wunder, denn zwischen dem Empfang des letzten Gepäckstücks am Flughafen Glasgow und der Abfahrt des Zuges lagen nur 32 Minuten. Sicher, wir hätten auch später noch eine Fahrmöglichkeit gehabt... aber lieber früher als später!
Beim Umsteigen in Perth teste ich unfreiwillig die Lernfortschritte von Frau November beim Sekundenfuchsen. Der Anschluss nach Inverness ist nämlich laut Anzeige 17 Minuten verspätet. Macht genug Zeit, um einen Geldautomaten aufzusuchen, denke ich mir. Als ich zum Bahnhof zurückkehre, sehe ich eine hektisch gestikulierende Frau November in der Tür stehen. Wieso, es sind doch noch 12 Minuten übrig? Weit gefehlt! sagt die Anzeige. Die Verspätung ist auf acht Minuten geschrumpft. Wo gibt es denn so etwas! (In Deutschland jedenfalls nicht...) Diesmal klappt es mit dem Last-Minute-Einsteigen schon besser, aber Frau November ist nicht wirklich amüsiert. Ich sehe ein, dass sie nicht aus Sekundenfuchser-Material gebaut ist.
In Inverness wartet das SYHA-Hostel auf uns. Es ist das einzige Hostel der Stadt, dessen Rezeption auch bis 2 Uhr morgens besetzt gewesen wäre - bei „Verzögerungen im Betriebsablauf“ wäre ein Einchecken auch später möglich gewesen. Dass das Einchecken hier nur gefühlte zwei Minuten dauert, wissen wir aber erst nach der Erfahrung auf der Rückreise zu schätzen.
Am nächsten Morgen stehen wir schon um kurz vor acht Uhr vor dem Morrisons am Eastgate. Letzte Einkäufe sind zu erledigen: Kekse („McVities Digestives Dark Chocolate“), Snickers für mich, Obst für Frau November, Käse und zwei noch gefüllte PET-Flaschen für beide. Die Vorräte sollen für sechs Tage reichen. Das macht allein 2,4 kg Kekse.
Nein, dieser MacBrayne-Oldtimer ist nicht unser Bus. Aber ein guter Anlass, sich an die alte schottische Weisheit bezüglich der Reederei MacBrayne zu erinnern:
The Earth belongs unto the Lord,
And all that it contains.
Except the Kyles and the Western Isles,
For they belong to MacBrayne's
Wir schlendern um die Ecke zum Busbahnhof. Um 8.50 Uhr fährt wie gehabt der Bikebus von Inverness nach Durness. Kurz nach halb neun schleicht in der Tat ein weißer Mercedes Sprinter von D&E Coaches mit getönten Scheiben und Fahrradanhänger auf den Hof. Der Fahrer macht nicht gerade einen hochmotivierten Eindruck, und seine Laune bessert sich auch nicht, als außer uns beiden noch ein Radfahrer mitgenommen werden möchte. Als noch Tim Dearmans roter Bus fuhr, war die Atmosphäre immer freundlich. Aber seien wir froh, dass es die Linie überhaupt noch gibt. Das war im Frühjahr noch sehr fraglich - Tim Dearman war nämlich in den Ruhestand gegangen, ohne dass ein Nachfolger feststand.
Um zwölf Uhr steigen wir in Lochinver aus. Ich baue die Schubladen an die Schrankwand an, schichte die Kekse noch einmal um und dann geht es los.
Vor uns liegt jetzt...
Der Sutherland Trail
Der Sutherland-Trail stückelt existierende Wege durch Sutherland zu einer Gesamtstrecke von gut 110 km zusammen; davon verlaufen ca. 25 km über Asphalt und sieben km durch wegloses Gelände. Kalkulierte Laufzeit sind fünf Tage. Sutherland ist die nordwestlichste Region der Highlands und heißt wörtlich übersetzt so viel wie "Süderland". Das klingt erst dann dann logisch, wenn man weiß, dass die Bezeichnung von den Wikingern verliehen wurde, für die dieser Teil der Welt im Süden lag.
Cameron McNeish, ein bekannter schottischer Bergsport-Journalist, hat diese Route von Lochinver nach Tongue als Spin-Off eines Filmauftrages entworfen. Die BBC wollte von ihm einen Dokumentarfilm über Sutherland haben; er hat der BBC dann plausibel machen können, dass er zur Annäherung an das Thema erst mal eine Wanderung durch das zu dokumentierende Gebiet unternehmen muss. Beneidenswert! OT: Ich werde meinem Chef lieber nicht vorschlagen, dass ich zur Annäherung an die Problematik der Neubaustrecke Ulm-Wendlingen auf Firmenkosten eine Wanderung über die schwäbische Alb unternehmen muss. Da er von meinem Hexenstieg-Abenteuer gehört hat, wird er sicherlich entgegnen, dass ich dann trotzdem am nächsten Morgen im Büro sein kann.
Gleich hinter Lochinver begrüßte uns blühender Ginster mit seinem charakteristischen Kokos-Geruch. Dahinter der Suilven, der vorne ebenso überraschend aus der Hochebene herauskommt wie er hinten verschwindet.
Hinter der Glencanisp Lodge wird aus der Straße schlagartig ein rumpeliger Track, der nur von Geländefahrzeuges des Schlages Argocat & Co („Es ist lauter als es schnell ist“) uneingeschränkt befahren werden kann. Die Zeiten, da ein Track mindestens Landrover-tauglich war, sind wohl vorbei. Andererseits: Für Argocats werden auch heute dort Tracks angelegt, wo es früher nur einen Pfad gab.
Rund zwei Stunden nach der Abreise aus Lochinver erreichen wir unser erstes Zwischenziel, die Schuhlack-Bothy*. Herr Elch, unser treuer stummer Begleiter, staunt über die Landschaft und genießt den Sonnenschein, während ich meine ersten Kekse der Tour esse.
*) Nach bekannter Manier werde ich die Namen von Bothys verballhornen. Wer unseren Weg auf den OS-Karten verfolgt, wird die Bothys sicher identifizieren können. Wer das nicht schafft, sollte sich einen Wanderurlaub in Schottland sowieso sehr genau überlegen.
Heldenhaft widerstanden wir der Versuchung, in der Sonne hocken zu bleiben und uns abends in der Bothy einzuquartieren. Wir ließen den Suilven hinter uns,
bewunderten mystische Steinlegearbeiten am Loch na Gainimh
und stolperten noch weiter bis Lochan Fada. Dort sahen wir die Zeit und den Platz gekommen, unsere Kikeriki-Kathedrale - auch bekannt als „Hühnerstall“- aufzubauen.
Am Abend stellen wir fest, dass Frau November besondere Anziehungskraft auf die örtliche Fauna ausübt: Mit rund 20 Zecken liegt sie gegenüber meinen vielleicht fünf Zecken deutlich in Führung. Besonders beliebt sind die ganz kleinen braunen „Babyzecken“ von vielleicht 1,5 mm Körperlänge. Sie beißen sich zwar nicht so gut fest wie ihre größeren schwarzen Artgenossen, aber sind dafür viel schlechter zu erkennen. Das gegenseitige Entzecken sollte in den kommenden Tagen zum allabendlichen Ritual werden. Die letzte „Babyzecke“ habe ich übrigen am Tag nach der Rückkehr auf meinem Fuß gefunden. Wahrscheinlich hatte sie sich in der Schmutzwäsche versteckt, die mir beim Beladen der Waschmaschine heruntergefallen war.
Technische Daten: 14,6 km in 5h 45'
5. Juni
Der neue Tag sieht uns geruhsam aufstehen, schließlich ist Sonntag. Für Frühstückseier und Brötchen reicht es aber nicht, dafür herrscht wieder Kaiserwetter. Heute wird es richtig „hart“: Schon nach einem Kilometer verlassen wir den Pfad nördlich von Lochan Fada - der sich dort sowieso bald verliert - und krabbeln über die Südostflanke des Canisp Richtung A 837. Erstaunlicherweise bleiben uns Torfabbruchkanten („peat hags“) und Matschlöcher („bogholes“ erspart, stattdessen geht es über eine steinige Hochebene mit spärlichem Gras- und Heidebewuchs.
Am höchsten Punkt begrüßt uns ein unsichtbarer „Meckervogel“ mit langgezogenen Piepsern. Es dauert eine Weile, bis wir ihn endlich entdecken. Das hilft uns aber auch nicht weiter - keiner von uns beiden kennt ihn.
Unterdessen lässt der Himmel unsere Erwartungen an das Wetter Achterbahn fahren. Immer wieder tauchen sichere Anzeichen für eine herannahende Regenfront auf, wie Cirren oder sogar „Riffelwölkchen“, nur um kurz darauf wieder zu verschwinden. Was sagen dazu die Poeten vom Mountain Weather Information System? „An unusually contorted cold front with pockets of warm air...“ Warme Luft haben wir nicht, aber ich bin sicher der letzte, der sich darüber beschwert.
Blick vom Fuß des Canisp Richtung Inchnadamph
Der Masterplan sieht vor, den Loanan River auf einer Brücke bei Stronchrubie zu queren. Diese Brücke - vermutlich bestenfalls ein Steg - ist in einigen Ausgaben der OS-Landranger-Karten eingetragen, in anderen nicht. Im Internet wurde die Existenz der Brücke in Frage gestellt. Auch wir konnten bei der Vorbeifahrt mit dem Bus in dem verhügelten Gelände keine Brücke ausmachen. Wohl aber sahen wir eine deutlich zunehmende Wasserführung des Loanan ab der Einmündung des Allt nan Uamh. Wir beschließen daher, auf Nummer Sicher - und vor allem auf Nummer Einfach - zu gehen und den Loanan oberhalb der Einmündung zu queren und lieber eineinhalb Kilometer Straße mehr zu laufen.
Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Beim letzten Sprung ans Ufer erwische ich mit dem rechten Bein „böses Gras“ und versinke bis zu den Waden im Matsch. Die Gamaschen machen sich wieder einmal bezahlt: Es ist nur „Wasser“, das sich durchquetscht, nicht brauner Flüssigtorf. Frau November ist beeindruckt, und ein wenig Schadenfreude sei ihr an dieser Stelle gegönnt. Zum Glück ist die Gerechtigkeit eine auf Ausgleich bedachte Gottheit...
Am Parkplatz bei Inchnadamph machen wir erst einmal Pause. Unsere Hoffnung, im Hotel ein Eis (Frau November), eine fettige Hauptmahlzeit (ich) und bequem Leitungswasser (wir beide) zu bekommen, wird von den restriktiven Öffnungszeiten für Non-Residents zunichte gemacht.
Wir schlendern über die Straße hinüber nach Alt-Inchnadamph und sehen, dass die „Wiese der Hirsche“ nicht ohne Grund so heißt. Neugierig werden wir gemustert, wie wir die Gruft der McLeods und die alte Kirche fotografieren. Der alte Burgring hingegen lässt sich vom Boden aus nur erahnen, aber nicht wirklich erkennen.
Die Kirche von Inchnadamph
Die Gruft der McLeods ("Es kann nur einen geben!")
Nachdem wir uns lange genug herumgedrückt haben, nehmen wir den Aufstieg in die Assynt-Berge in Angriff. Gerne würde ich was von „kurz und schmerzlos“ schreiben, aber dafür sind meine Keksvorräte noch nicht genug geschrumpft. Für Aufheiterung sorgt nur eine überdachte Pausenbank, bei der das „Dach“ so niedrig hängt, dass nicht einmal meine Schrankwand darin aufrecht sitzen kann.
Wahre Größe zeigt sich darin, auch mal auf die Benutzung einer Brücke zu verzichten!
Am späten Nachmittag legt das Wetter noch einmal richtig auf: Die sehr nordskandinavisch anmutende Felslandschaft wird bestens beleuchtet; die Fernsicht ist überwältigend. Nach dem ersten Pass beschließen wir, für heute Schluss zu machen. Erstaunlicherweise findet sich in dieser Steinwüste sogar ein netter glatter Stellplatz für den Hühnerstall. Ein rabiater Wind hält die Midges flach, die mich hier 2009 ganz schön genervt haben.
Technische Daten: 18,9 km in 9h glatt
6. Juni
In der Nacht knattert der Hühnerstall laut vor sich hin. Verursacher ist nicht eine Oma, die drin Motorrad fährt, sondern der Wind draußen. Wahrscheinlich vertragen sich die „Unusually contorted cold front“ und die „Pockets of warm air“ nicht so gut. Erst nachdem mein MP3-Player Amy Macdonald laut dagegen ansingen lässt, finde ich Schlaf, der aber schon gegen fünf Uhr vom jetzt einsetzenden Regen unterbrochen wird.
Meine Hoffnung, dass wir den Regen einfach ausschlafen können, zerschlägt sich. Gegen zehn Uhr brechen wir das Zelt ab und laufen los. Der Pfad hat sich streckenweise in einen Bach verwandelt, die Bäche sind zu kleinen Flüssen angeschwollen. Frau November könnte eigentlich ihre neuen Lundhags endlich in artgerechter Weise nutzen, stützt sich aber doch lieber auf ihre Stöcke und balanciert über den Fluss. Ich kann da gar nicht hingucken! ...was aber zum Teil auch an der Kamera liegt, die ich schussbereit für den Fall der Fälle vor dem Auge habe. Der Fall bleibt dann aber aus. Allerdings kann Frau November auch nicht zugucken, wie ich mich so ganz ohne Stöcke von Stein zu Stein schwinge. Aber sie geht ebenfalls leer aus.
Diese WolkenFetzen!
Schließlich schwenken wir auf den Pfad ein, der uns wieder zurück zur Straße bringt.
2009 war die Sicht besser, aber die Temperatur unerfreulicher:
Inzwischen macht der Regen auch schon gelegentlich Pause, aber zum Auspellen reicht es nicht. Kurz nach letzten Bachquerung verliere ich den Pfad, aber das macht auch nichts, denn die vor uns liegende Kreuzung mit der Straße besuche ich jetzt schon zum dritten Mal.
Vor uns liegen acht Kilometer Landstraße. Zum Glück nicht an einem Stück, denn bei Kilometer 4,5 ist ein Boxenstopp im „Tea Room“ in Unapool fällig. Kuchen und Torte, Kaffee und Tee - und nebenan das Weh-Zee bzw. der "Erholungsraum", wie es im prüden Großbritannien heißt. Hier füllen wir unbürokratisch unsere Wasservorräte auf, denn auf dem kommenden Abschnitt überwiegen moorige Fließgewässer.
Doppeldeutige Werbung beim Tea Room
Als wir den Tea Room verlassen, wird es draußen langsam freundlich. Damit ist das Hauptargument zugunsten eines ausgiebigen Besuches im Restaurant des Kylesku Hotels einen Kilometer weiter entfallen. Dafür überrede ich Frau November, zur Übernachtung die Kleinod-Bothy anzusteuern. Stabil sieht das Wetter nämlich nicht aus, und auch der Mountain Weather Information Service, den ich in einem seltenen Moment mit Mobilfunknetz-Kontakt konsultiert hatte, machte keine Hoffnung auf eine solide Schönwetterlage. Der Haken an der Kleinod-Bothy ist, dass sie unter dem Strich in einer Sackgasse liegt und für uns zwei Mal je vier "überflüssige" Kilometer bedeutet. Kein Akt für einen bekennenden Kilometerfresser wie mich, aber bei Frau November bedarf etwas mehr Überzeugungsarbeit.
Aber wir bereuen den Abstecher nicht. Erst denken wir an einen großen Fisch, der da unten im „Fjord“ immer wieder herumplantscht, ohne sich wirklich sehen zu lassen. Dann höre ich Atemzüge und sah für einen Moment ein Stück Tier aus dem Wasser ragen. Aha: Ein Seehund oder etwas ähnliches. Die Viecher sind ja so wenig scheu, dass sie sich sogar im Hafen von Ullapool rumtreiben. Aber dann ragt einmal eine Flosse aus dem Wasser. Eine graue Rückenflosse. Und obwohl ich Bio nach der 12. Klasse abgewählt habe, ist mir klar: Wenn es atmet, ist es kein Hai, sondern ein Delfin. Flippaaahh!
Wir nutzen die Abendsonne, um all den nassen Kram zu trocknen, den Hühnerstall eingeschlossen. Als ich ihn wieder zusammenpacke, merke ich doch einen deutlichen Gewichtsunterschied. Leider lässt ausgerechnet jetzt der Wind nach und es wird ausgesprochen midgig. Die Bothy kann in dieser Nacht ihre Vorteile voll ausspielen.
Technische Daten: 22,1 km in 8 h 10'
7. Juni
Was will das Landungsboot da draußen? Ist das Philadelphia-Experiment wieder einmal aus dem Ruder gelaufen? Wir haben doch den 7. Juni 2011, nicht den 6. Juni 1944! Und sind auch nicht in der Normandie. Aber ich kann mich bald entspannen. Montys Enkel holt bloß einen Bagger ab.
Herr Elch schaut unterdessen skeptisch in den Nieselregen vor dem Fenster. „Da hätte ich gleich im Sarek bleiben können“, murmelt er vor sich hin. Irgendwann werden wir ihm sagen müssen, dass er nicht aus Schweden kommt, sondern aus China und lediglich in einer schwedischen Pflegefamilie in Berlin-Tempelhof gelebt hat, bis wir ihn adoptiert haben.
Durch Nieselregen schleichen wir zurück bis zu dem Abzweig, der uns über den Bealach nam Fiann (400 m) nach Achfary bringen soll. 400 Meter hört sich nicht so schlimm an. Aber wir starten bei etwa 2,50 m über dem Meeresspiegel. Zum Glück hört genau jetzt der Regen auf, so dass ich unser wertvolles Wasser nicht ins Innere meiner Goretex-Jacke vergeuden muss.
Mein Autopilot kennt den Weg, immerhin bin ich diesen Aufstieg schon einmal gelaufen und den Kammweg sogar zwei Mal. Insofern versetzt mich die Hausruine auf dem Scheitelpunkt nicht so in Entzücken wie Frau November. Obwohl ich gerne zugebe, dass es sich um die ästhetisch ansprechendste Trockenmauer-Ruine handelt, die ich kenne.
Hier hat sich jemand beim Einpassen der Steine extrem viel Mühe gegeben.
Wie gewonnen, so zerronnen: Binnen einer dreiviertel Stunde haben wir den Großteil der 400 Höhenmeter wieder verloren.
Festhalten an alten Werten oder Armut? frage ich mich angesichts eines gar nicht oldtimermäßig gepflegten Austin Minor.
Wahrscheinlich ist es eher Armut. Denn eigentlich ist Achfary berühmt für das Brechen von Traditionen. Hier steht die einzige schwarze Telefonzelle des Königreichs - so wird jedenfalls behauptet. Die Telefonzelle ist auch die einzige öffentliche Einrichtung außer dem Briefkasten. Ansonsten ist Achfary nämlich ein einziger großer Gutshof. Selbst der Kindergarten scheint eine Privatveranstaltung des Reay Estate zu sein.
Unter einem Stalldach bei Lone machen wir Pause und warten einen durchreisenden Regen ab. Frau November entdeckt in einer Ecke ein wildes Hühnernest mit fünf Eiern, aber ohne Henne. Tja, wenn man nur wüsste, wie lange die Eier dort schon liegen? Wir entscheiden uns gegen eine Bereicherung des Speiseplans. Keiner von uns beiden will das Risiko eingehen, beim Frühstück in einen sauren Schnabel zu beißen.
Das Wort "Hochmoor" bekommt hier eine völlig neue Bedeutung.
Als der Regen vorbei ist, treten wir den Aufstieg an. Moment: Ist das nicht total bescheuert, was wir hier machen? Erst runter und dann auf der anderen Seite des Tales wieder rauf? Ganz schön blödes Hobby. Zum Glück finden wir uns bald in einem U-förmigen Tal mit mäßiger Steigung wieder. Gegen halb fünf entdecke ich zufällig den idealen Stellplatz - eine trockene und recht hohe Sandbank am Abhainn an Loin. Halb fünf ist eigentlich ein bisschen früh, aber unser Mindestpensum von 20 km ist erledigt.
Technische Daten: 20,9 km in 7h glatt.
Wir bauen also den Hühnerstall auf und kriechen hinein - keine Sekunde zu früh, denn jetzt setzt Dauerregen ein, der bis in den frühen Morgen anhält. Es regnet so stark und ausdauernd, dass ich einmal nachts hinausgehe, um den Wasserstand im Fluss und auf der Wiese zu kontrollieren. Es soll ja - so wird in Forumskreisen erzählt - schon einmal Zelte mit fließend kaltem Wasser in der Apsis gegeben haben.
8. Juni
Am nächsten Morgen sieht es aus, als wäre nichts gewesen. Nur einzelne Nebelbänke kriechen über die Bergkämme. Der deutliche gestiegene Wasserstand im Fluss verrät aber, was nachts los war. Zum Glück hatte ich schon bei der Wahl des Platzes darauf geachtet, dass es in unmittelbarer Nähe einen Steg gibt. „Brücke“ wäre etwas übertrieben für dieses Konstrukt aus Brettern, das vermutlich nur für die notorisch wasserscheuen Schafe errichtet worden ist.
Heute steht als erstes der Pass Bealach na Feithe (450 m) auf dem Programm. Anders als die OS-Karte suggeriert, handelt es sich nicht um einen Pfad, sondern einen mittelprächtigen Landrover-Track. Die Steigung ist allerdings authentisch und wird durch kleine Serpentinen nur leicht gemindert. Warum muss eigentlich genau jetzt die Sonne derart heiß herunterbrennen? Und warum schiebt sich genau in dem Moment, als wir die Passhöhe erreichen, eine Wolke vor die Sonne?
Blick zurück in Richtung Achfary und Ben Stack
Trotzdem genießen wir Stille und Aussicht. Und finden Zeit uns zu wundern, warum der Track genau auf der Passhöhe mit einem Schlag aufhört und in einen Pfad übergeht. Na klar, anderer Landbesitzer, sagt die schottische Wegelogik. Die deutsche Wegelogik fragt hingegen, wo der Sinn einer Verbindung zwischen Punkt A und Punkt B ist, wenn die Verbindung ab einem Punkt C nicht durchgehend nutzbar ist und am Punkt C weder Ursprung noch Ziel für irgendwelche Verkehre erkennbar ist.
Blick nach vorne Richtung Gobernuisgeach Lodge und dem äußerst fantasievoll benamsten Strath More ("Großes Tal")
Aber wir sind froh, dass es den Weg überhaupt gibt. Am Talboden beobachten wir, wie ein Rudel Hirsche am Gras zwischen zahlreichen Torfabbruchkanten herumknabbert. Da ist es hier oben doch deutlich bequemer.
Als wir ein Wäldchen erreichen, geht der Pfad allmählich wieder in einen Track über. Rechtzeitig zum Magenknurren erreichen wir den Eingang zur Gobernuisgeach Lodge und machen es uns auf der letzten Böschung vor dem Tor bequem.
Erstaunt beobachten wir die seelenruhig äsenden Hirsche auf der großen Wiese im Gelände der Lodge. Auch die Ankunft des Postautos scheint sie nicht zu irritieren.
Als wir anschließend durch das Gelände der Lodge wandern, werden wir eher neugierig als misstrauisch bestaunt. Offensichtlich fühlen sich die Hirsche hier vor den üblichen Nachstellungen sicher. Ob es in der Badewanne auch warmes Wasser gibt? (Ja, aber nicht aus einer Mischbatterie, sondern nach britischer Sitte aus zwei getrennten Wasserhähnen!)
Für uns folgen jetzt fast 12 km „Fußreise“, also Wandern auf Asphalt. Zum Glück hält sich der Autoverkehr sehr in Grenzen. Bis zur Einmündung in die „Hauptstraße“ werden wir gar nicht belästigt. Und auch die „Hauptstraße“ - immerhin die einzige direkte Verbindung zwischen Loch Hope und dem Binnenland - entpuppt sich als asphaltierter Wirtschaftsweg, jedenfalls nach deutschen Maßstäben. Vielleicht alle 30 Minuten kommt ein Auto vorbei.
Highlight von Strath More ist Dun Dornagail, ein sogenanntes Broch. 2000 Jahre ist die Ruine des Wehrturms alt. Das ist kaum zu glauben, wenn man das sorgfältig gefügte Mauerwerk mit den grob behauenen Steinen der Bauernhäuser aus der Zeit der Clearances vergleicht.
Landschaftliche Dominante des Tals ist aber Ben Hope, der nördlichste Munro. Deutlich ist die Erosionsschneise der Munroisten Richtung Gipfel zu erkennen. Uns betrifft das nur insofern, als nördlich des Wanderparkplatzes der Verkehr merklich zunimmt. Es ist ja jetzt auch schon früher Nachmittag, die Munroisten fahren nach dem Abhaken dieses Gipfels zurück in ihre Basislager. Mögliche Stellplätze für den Hühnerstall sind rar, eigentlich nur im Bereich des Wanderparkplatzes. Aber eigentlich wollen wir das Kapitel Asphalt erst noch abschließen und auch den Dunstkreis der Straße hinter uns lassen.
Unser Ziel ist der Beginn des „Moine Path“, der den Fuß von Ben Hope nördlich umrundet. Kurz vor dem Abzweig tanken wir noch Wasser. Frau November wird hier zum ersten Mal ernsthaft mit dem blutrünstigsten Raubtier der schottischen Highlands konfrontiert - Culicoides punctatus. Zum ersten Mal kommen unsere Midgenetze zum Einsatz.
Wir sind froh, als wir endlich wieder loslaufen können. Ganz unzweifelhaft war der Moine Path ganz früher mal ein geschotterter Ochsenweg, sogar luxuriös ausgestattet mit seitlichen Entwässerungsgräben. Heute ist er dick überwachsen, und kaum begangen.
Die Suche nach einem Stellplatz gestaltet sich schwieriger als erwartet. Entweder ist die Heide zu struppig, der Boden zu steinig oder - am häufigsten - alles zu nass. Wahrscheinlich ist es auch nicht angemessen zu verlangen, dass der „Moine Path“ seinen Namen zu Unrecht trägt: Das gälische „moine“ bedeutet nämlich "Torf". Und die Stellen an den Bächen, die ich auf der Karte als potenzielle Hotspots für nette Sandbänke ausgemacht hatte, sind für komfortablen Schlaf viel zu abschüssig.
Ich gucke ratlos in die Umgebung, Frau November guckt müde nach unten. „Und wenn wir uns jetzt auf den Weg stellen?“, fragt sie. „Hier kommt heute keiner mehr vorbei.“ Ich ergänze: „Und so wie es aussieht, morgen und übermorgen auch nicht.“
"Boys, keep off the moors, stick to the roads - hütet euch vor dem Moor, bleibt auf dem Weg!"*
Aber letztendlich sind die einzigen bisswütigen Tiere, die in der Nacht vorbeikommen, die Midges. Wir haben das erste Mal richtigen "Midgealarm", in der Apsis lauern die Blutsauger auf Frischfleisch. Dank unserer überdimensionierten Kathedrale können wir aber auch im Innenzelt kochen.
Technische Daten: 26,7 km in 8h 40'
9. Juni
Wie in der Nacht zuvor regnet es kräftig; am Morgen ist aber wieder alles gut. Wir starten zu unserer letzten Etappe. Die Landschaft nördlich von uns ist sehr eintönig; Moor und Heide nur ringsum. Südlich erhebt sich das Ben-Hope-Massiv, über das sich beständig drohende Wolken zu uns hinüberwälzen, um kurz darauf zu zerfallen.
Kurz vor der Kinloch Lodge biegen wir ungewollt nach links ab und entdecken ein offenstehendes Haus, das mit seiner spartanischen Innenausstattung an eine Bothy erinnert, aber über eine funktionierende elektrische Beleuchtung verfügt.
Unser unbeabsichtigtes Abbiegen erweist sich als goldrichtig, denn der Weg über das Gelände der Kinloch Lodge ist kein Right of Way.
Hier beginnt unsere letzte Fußreise auf der Straße nach Tongue. Noch einmal müssen wir einen kleinen Bergrücken überwinden, bevor die Landschaft endgültig in Landwirtschaft übergeht. Wir durchqueren die Südvorstadt von Tongue, bevor wir das Zentrum dieser pulsierenden Großstadt erreichen: 2 Läden, 2 Hotels, mehrere Bed & Breakfasts, ein Postamt, eine Polizeistation und eine Tankstelle mit 2 Zapfsäulen! Nur die Siegessäule für die Absolventen des Sutherland Trail fehlt. Da müssen wir dann eben improvisieren.
Nach den Siedlungen der letzten Tage, die selten aus mehr als ein paar Wohnhäusern bestanden, kommt uns Tongue wie eine Metropolregion vor. Im örtlichen „Spar“ staunen wir, was es alles zu kaufen gibt - und nehmen natürlich viel zu viel Essen mit, bevor wir dann in Richtung Youth Hostel weitertapern. Dort werden wir sehr freundlich aufgenommen, bekommen sogar noch einen Private Room und entsorgen erst einmal die Kruste der letzten Tage.
Das Abendessen verpassen wir uns im Ben Loyal Hotel. Das haben wir uns verdient.
Ben Loyal im Abendlicht
Technische Daten: 21,4 km in 7h 30'
Sutherland Trail gesamt: Ca. 115 km (ohne Abstecher, aber mit „Umweg“ bei Stronchrubie) in sechs Tagen.
10. Juni
Am nächsten Morgen lassen wir es ganz ruhig angehen. Heute müssen wir nur nach Talmine auf der anderen Seite der Bucht. Dort fährt am frühen Nachmittag unser Bus nach Durness.
Auch andere lassen es ruhig angehen. Die Brücke im Zuge des Damms über den Kyle of Tongue wird saniert. Und damit eventuell ins Wasser gestürzte Bauarbeiter schnell gerettet werden können, liegt ein ständig besetztes Rettungsboot in Bereitschaft. Heute fallen aber nur ganz wenige Bauarbeiter ins Wasser, und so hat der Seenotretter genügend Zeit, das Mittagessen aus dem Wasser zu ziehen.
Ebenfalls ruhig angehen lassen es die Robben, die sich auf den Sandbänken bräunen.
Am Dorfladen von Talmine machen wir Stopp. Hier soll der Bus abfahren, was uns die Verkäuferin auch bestätigt. Noch fast zwei Stunden sind zu überbrücken. Genügend Zeit für uns, es ruhig angehen zu lassen. Wir setzen uns an den Picknicktisch vor dem Laden, mümmeln an frisch erworbenen Keksen herum und machen ein wenig Kartenvorschau für die nächsten Tage.
Allerdings bin ich nicht wirklich für das Ruhig-Angehen-Lassen gemacht. Nach einer halben Stunde breche ich zu einer Tour durch den Ort auf. Erstaunlich, wie lange man sich selbst mit einem derartig kleinen Dorf beschäftigen kann. Die Dorfkirche ist unspektakulär, das Schiffswrack unten am Strand nicht.
Schließlich ist es Zeit für die Abfahrt. Dass es die Linie überhaupt gibt, verdanken wir nämlich dem langjährigen Busfahrer für die Schülerlinien von Kinlochbervie - der wohnte nämlich in Talmine. Da bot es sich an, die sonst anfallenden Leerfahrten noch zu verkaufen. Für einen Umweg von 8 km nach Tongue reicht das Verkehrsbedürfnis Richtung Durness offenbar nicht: Wir beiden sind die einzigen zahlenden Fahrgäste. Weil auch ansonsten nur Schüler und Rentner und damit praktisch keine zahlenden Fahrgäste mit diesen Bussen unterwegs sind, gibt es keine Fahrkartenterminals, sondern handschriftlich ausgefüllte „Emergency tickets“. Wir zahlen jeder drei Pfund für fast 50 km. Leider soll der Busfahrer unlängst gekündigt haben. Damit steht die Linie Talmine-Durness wohl auch auf der Kippe.
Gegen drei Uhr nachmittags erreichen wir Durness und quartieren uns im "Lazy Crofter" ein. Damit ist die Reise nach Norden beendet, und wir stellen den Kalender für den Weg nach Süden wieder auf Null.
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