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27.07.17
Die Entscheidung
Halleluja, was für eine Power!
Der Wind bläst mir wieder und wieder mit voller Wucht in den Rücken. Mehrmals konnte ich einen Sturz nach vorne nur mit großer Mühe verhindern. Immer noch besser, als wenn der Wind von vorne käme, denke ich unwillkürlich. Natürlich ist mir nicht entgangen, dass der Wind schon seit Stunden zum heftigen Sturm mutiert ist. Seit etwa 3 Stunden befinde ich mich auf dem Eis des Síðujökull, im äußersten Südwesten des gewaltigen Vatnajökull Gletschers. Ich habe endlich auf meinen GPS - Track zurückgefunden. Das war nötig geworden, da ich einen anderen Zugang auf die Eiskappe gewählt hatte, als es der vorgegebene Track auswies. Seit dieser Zeit jagen die sich zum Teil widerstrebenden Gedanken durch meinen Kopf. Es ist bereits 22.00 Uhr, und an dieser Stelle will ich mein Zelt für die Nacht errichten. Mitten auf dem Eis, aber das wusste ich bereits vorher. An einem ebenen Platz mangelt es auf diesem eher flachen Gletscher - Plateau nicht und rasch habe ich zwei mitgeführte Eisschrauben in in die frostige Oberfläche gedreht. Zwei Abspannleinen verknote ich fest und in Windrichtung mit den Schrauben, damit mir nicht gleich das Zelt im Stück davonfliegt. Der Wind fährt unverzüglich und in einer geradezu abnormen Gewalt unter die Zeltplane. In Sekundenschnelle haben sich gleich mehrere Abspannleinen aus den Befestigungsgummis gelöst und, ohne auch nur den Hauch einer Chance einzugreifen, haben sich die Leinen miteinander verdrillt und so sehr heillos ineinander verheddert, daß an ein Aufrichten des Zeltes und seiner Stangen nicht mehr zu denken ist.
Jetzt habe ich ein Problem. Der Tag war lang und anstrengend. Neben der physischen Belastung wurde insbesondere meine Geduld auf eine ganz besondere Probe gestellt. Wie viele Flussarme habe ich heute durchwatet und wie oft musste ich stehendes Wasser umgehen und über dem Gletscher ausweichen? Wie oft bin ich heute an der Wasserscheide, im Übergang zum festen Eis, immer wieder im Modder und Morast und bis zur Oberkante des Oberschenkels eingesunken? Ich weiss es nicht und habe auch nicht mitgezählt. Es hat sich jedenfalls gezogen und gezogen und…..viel zu lange gedauert.
Für den Fall, daß ich mein Zelt nicht errichten kann, will ich weiterlaufen, notfalls die ganze Nacht.
Vielleicht, so hoffe ich, lässt unterwegs der Sturm etwas nach, und ich kann doch noch mein Zelt aufstellen.
Ich habe seit vielen Stunden nur wenig gegessen und getrunken und sehne mich nach etwas Ruhe, einen heißen Tee und einer warmen Mahlzeit.
Urplötzlich erfasst mich eine Sturmböe, reißt mich aus meinen Gedanken und drückt mich schlagartig nach vorne auf das Eis. Im letzten Moment kann ich den drohenden Sturz gerade noch mit einem Ausfallschritt verhindern. Ich muss mich mit vollem Einsatz und meiner ganzen Kraft gegen den Sturm stemmen. Ich werde hier ordentlich gebeutelt. Unter diesen Umständen weitergehen? Es dämmert bereits stark. Wie dunkel wird es eigentlich auf dem Eis? Ich suche Argumente, um mich zum Weitergehen zu motivieren, mich überhaupt zu motivieren. Plan B erscheint mir irgendwie sinnlos, oder ist es nur meine Dehydrierung, die meine aufkommende Lustlosigkeit befeuert? Plan C, was für ein Plan war das noch mal? Es gibt keinen Plan C. Ein Zurück kommt für mich zu keinem Zeitpunkt in Frage: Noch einmal im Dunkeln durch die Wasserscheide, den Modder, die unzähligen Wasserläufe? Auf keinen Fall! Das wäre wirklich super - gefährlich.
Ach ja, fällt mir ein, ich habe ja noch das Delorme. Mein Gerät für den Notfall. Ist das hier jetzt bereits ein Notfall? Ich sehe ( und fühle ) mich nicht in Gefahr, schon gar nicht in Lebensgefahr. Da ist auch kein Gefühl von Angst in mir. Es ist eher der Eindruck einer aufkeimenden Ausweglosigkeit. Mir wird sehr klar: Ich stecke fest und befinde mich in einer klassischen Sackgasse.
Dann bemerke ich es: Mir ist kalt und es wird schlimmer. Dabei ist die Luft selbst hier auf dem Eis gar nicht soo kalt. Es ist der Wind Chill Faktor, und der treibt die realen, vielleicht +5 Grad Celsius, gefühlt in den deutlichen Minusbereich. Meine Hände sind schon fast gefühllos geworden, obwohl ich sie zuletzt immer wieder in die Hosentasche gesteckt habe. An die Handschuhe komme ich nicht ran - sie liegen ganz unten im Rucksack. Die Kälte kriecht mir auch in die Beine und ganz besonders in die Füsse und die sind nass. Was mir tagsüber und in Bewegung wenig ausmacht - jetzt ist es ein Problem und es wird größer, weil auch meine Füße langsam gefühllos werden. Ich stehe hier auch schon fast eine Stunde mehr oder weniger auf der Stelle - kein Wunder also.
Das Delorme, das Delorme. Nimm doch das Delorme, dafür hast du es doch dabei. Mein Unterbewusstsein versucht mir den „ Rettungsgedanken ” wie einen „ Serviervorschlag ” schmackhaft zu machen, doch ich will nicht. Ich will nicht gerettet werden. Mir scheint das nicht angemessen genug. Wann ist, wann wird es angemessen sein? Ich quäle mich in meiner Ratlosigkeit, in meinem „ Abwägen ” der Möglichkeiten, die ich habe - im Angesicht meiner Ausweglosigkeit. Gibt es wirklich keinen anderen Weg aus diesem Dilemma? Ich bin jetzt wütend und schreie meine Wut in die Nacht hinaus. Erleichterung spüre ich nicht. Ich denke nur: Schon wieder gescheitert? Ja, gescheitert, auch diesmal.
Die Zeit ist nicht mehr. Stillstand. Sind da Geräusche? Wenn ja, ich höre sie nicht. Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein. Wie lange stehe ich schon hier? Viel mehr als eine Stunde? Eine Stunde…eine Stunde? Was ist eine Stunde? Mir ist kalt….so kalt. Wo bin ich hier und wie bin ich hier hergekommen? Was mache ich hier überhaupt? Das Leben, es könnte so anders sein. Mein Leben könnte so anders sein. Mir ist kalt…. Was ist mit mir? Das beginnende Delirium?
Mit brutaler Gewalt reißt mich eine gewaltige Sturmböe aus meiner Schockstarre, zurück in die Gegenwart. Diesmal gibt es genau zwei Möglichkeiten: Stürzen, oder mit dem Wind davonlaufen.
Ich stürze, jedenfalls so ein bisschen.
Als ich mich wieder aufgerichtet habe, fällt mein Blick auf den nächtlichen Sturmhimmel: Bedrohlich - dunkle Sturmwolken, eingetaucht in das rote Licht der untergehenden Abendsonne, die sich noch ein wenig abzeichnet. Bedrohlich, aber auch schön, schaurig - schön.
Bis hierher ist mir das alles sehr schwer gefallen: Das Beurteilen, das Abwägen. Es ist 23.04 Uhr.
Ich bin jetzt ganz klar.
Dann drücke ich den roten SOS - Knopf des Delorme Geräts.

- to be continued -
Die Entscheidung
Halleluja, was für eine Power!
Der Wind bläst mir wieder und wieder mit voller Wucht in den Rücken. Mehrmals konnte ich einen Sturz nach vorne nur mit großer Mühe verhindern. Immer noch besser, als wenn der Wind von vorne käme, denke ich unwillkürlich. Natürlich ist mir nicht entgangen, dass der Wind schon seit Stunden zum heftigen Sturm mutiert ist. Seit etwa 3 Stunden befinde ich mich auf dem Eis des Síðujökull, im äußersten Südwesten des gewaltigen Vatnajökull Gletschers. Ich habe endlich auf meinen GPS - Track zurückgefunden. Das war nötig geworden, da ich einen anderen Zugang auf die Eiskappe gewählt hatte, als es der vorgegebene Track auswies. Seit dieser Zeit jagen die sich zum Teil widerstrebenden Gedanken durch meinen Kopf. Es ist bereits 22.00 Uhr, und an dieser Stelle will ich mein Zelt für die Nacht errichten. Mitten auf dem Eis, aber das wusste ich bereits vorher. An einem ebenen Platz mangelt es auf diesem eher flachen Gletscher - Plateau nicht und rasch habe ich zwei mitgeführte Eisschrauben in in die frostige Oberfläche gedreht. Zwei Abspannleinen verknote ich fest und in Windrichtung mit den Schrauben, damit mir nicht gleich das Zelt im Stück davonfliegt. Der Wind fährt unverzüglich und in einer geradezu abnormen Gewalt unter die Zeltplane. In Sekundenschnelle haben sich gleich mehrere Abspannleinen aus den Befestigungsgummis gelöst und, ohne auch nur den Hauch einer Chance einzugreifen, haben sich die Leinen miteinander verdrillt und so sehr heillos ineinander verheddert, daß an ein Aufrichten des Zeltes und seiner Stangen nicht mehr zu denken ist.
Jetzt habe ich ein Problem. Der Tag war lang und anstrengend. Neben der physischen Belastung wurde insbesondere meine Geduld auf eine ganz besondere Probe gestellt. Wie viele Flussarme habe ich heute durchwatet und wie oft musste ich stehendes Wasser umgehen und über dem Gletscher ausweichen? Wie oft bin ich heute an der Wasserscheide, im Übergang zum festen Eis, immer wieder im Modder und Morast und bis zur Oberkante des Oberschenkels eingesunken? Ich weiss es nicht und habe auch nicht mitgezählt. Es hat sich jedenfalls gezogen und gezogen und…..viel zu lange gedauert.
Für den Fall, daß ich mein Zelt nicht errichten kann, will ich weiterlaufen, notfalls die ganze Nacht.
Vielleicht, so hoffe ich, lässt unterwegs der Sturm etwas nach, und ich kann doch noch mein Zelt aufstellen.
Ich habe seit vielen Stunden nur wenig gegessen und getrunken und sehne mich nach etwas Ruhe, einen heißen Tee und einer warmen Mahlzeit.
Urplötzlich erfasst mich eine Sturmböe, reißt mich aus meinen Gedanken und drückt mich schlagartig nach vorne auf das Eis. Im letzten Moment kann ich den drohenden Sturz gerade noch mit einem Ausfallschritt verhindern. Ich muss mich mit vollem Einsatz und meiner ganzen Kraft gegen den Sturm stemmen. Ich werde hier ordentlich gebeutelt. Unter diesen Umständen weitergehen? Es dämmert bereits stark. Wie dunkel wird es eigentlich auf dem Eis? Ich suche Argumente, um mich zum Weitergehen zu motivieren, mich überhaupt zu motivieren. Plan B erscheint mir irgendwie sinnlos, oder ist es nur meine Dehydrierung, die meine aufkommende Lustlosigkeit befeuert? Plan C, was für ein Plan war das noch mal? Es gibt keinen Plan C. Ein Zurück kommt für mich zu keinem Zeitpunkt in Frage: Noch einmal im Dunkeln durch die Wasserscheide, den Modder, die unzähligen Wasserläufe? Auf keinen Fall! Das wäre wirklich super - gefährlich.
Ach ja, fällt mir ein, ich habe ja noch das Delorme. Mein Gerät für den Notfall. Ist das hier jetzt bereits ein Notfall? Ich sehe ( und fühle ) mich nicht in Gefahr, schon gar nicht in Lebensgefahr. Da ist auch kein Gefühl von Angst in mir. Es ist eher der Eindruck einer aufkeimenden Ausweglosigkeit. Mir wird sehr klar: Ich stecke fest und befinde mich in einer klassischen Sackgasse.
Dann bemerke ich es: Mir ist kalt und es wird schlimmer. Dabei ist die Luft selbst hier auf dem Eis gar nicht soo kalt. Es ist der Wind Chill Faktor, und der treibt die realen, vielleicht +5 Grad Celsius, gefühlt in den deutlichen Minusbereich. Meine Hände sind schon fast gefühllos geworden, obwohl ich sie zuletzt immer wieder in die Hosentasche gesteckt habe. An die Handschuhe komme ich nicht ran - sie liegen ganz unten im Rucksack. Die Kälte kriecht mir auch in die Beine und ganz besonders in die Füsse und die sind nass. Was mir tagsüber und in Bewegung wenig ausmacht - jetzt ist es ein Problem und es wird größer, weil auch meine Füße langsam gefühllos werden. Ich stehe hier auch schon fast eine Stunde mehr oder weniger auf der Stelle - kein Wunder also.
Das Delorme, das Delorme. Nimm doch das Delorme, dafür hast du es doch dabei. Mein Unterbewusstsein versucht mir den „ Rettungsgedanken ” wie einen „ Serviervorschlag ” schmackhaft zu machen, doch ich will nicht. Ich will nicht gerettet werden. Mir scheint das nicht angemessen genug. Wann ist, wann wird es angemessen sein? Ich quäle mich in meiner Ratlosigkeit, in meinem „ Abwägen ” der Möglichkeiten, die ich habe - im Angesicht meiner Ausweglosigkeit. Gibt es wirklich keinen anderen Weg aus diesem Dilemma? Ich bin jetzt wütend und schreie meine Wut in die Nacht hinaus. Erleichterung spüre ich nicht. Ich denke nur: Schon wieder gescheitert? Ja, gescheitert, auch diesmal.
Die Zeit ist nicht mehr. Stillstand. Sind da Geräusche? Wenn ja, ich höre sie nicht. Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein. Wie lange stehe ich schon hier? Viel mehr als eine Stunde? Eine Stunde…eine Stunde? Was ist eine Stunde? Mir ist kalt….so kalt. Wo bin ich hier und wie bin ich hier hergekommen? Was mache ich hier überhaupt? Das Leben, es könnte so anders sein. Mein Leben könnte so anders sein. Mir ist kalt…. Was ist mit mir? Das beginnende Delirium?
Mit brutaler Gewalt reißt mich eine gewaltige Sturmböe aus meiner Schockstarre, zurück in die Gegenwart. Diesmal gibt es genau zwei Möglichkeiten: Stürzen, oder mit dem Wind davonlaufen.
Ich stürze, jedenfalls so ein bisschen.
Als ich mich wieder aufgerichtet habe, fällt mein Blick auf den nächtlichen Sturmhimmel: Bedrohlich - dunkle Sturmwolken, eingetaucht in das rote Licht der untergehenden Abendsonne, die sich noch ein wenig abzeichnet. Bedrohlich, aber auch schön, schaurig - schön.
Bis hierher ist mir das alles sehr schwer gefallen: Das Beurteilen, das Abwägen. Es ist 23.04 Uhr.
Ich bin jetzt ganz klar.
Dann drücke ich den roten SOS - Knopf des Delorme Geräts.
- to be continued -
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