[NO] Zwei lange Tage im Vossafjell

Einklappen

Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

  • pretium
    Erfahren
    • 05.10.2008
    • 128
    • Privat

    • Meine Reisen

    [NO] Zwei lange Tage im Vossafjell

    Tourentyp
    Lat
    Lon
    Mitreisende
    Es ist schon ein Jahr her, da habe ich hier im Forum ganz tolle Hilfe von Vinje erhalten für einen Kurzausflug ins Fjell bei Bergen. Ich war beruflich in der Ecke unterwegs und hatte nur zwei Tage Zeit. Der Plan war daher: Einen Tag reinwandern, in einer heimeliggen DNT hytte übernachten, und am nächsten Tag auf anderer Route wieder hinaus in die Zivilisation.
    Obwohl es also nur ein kurzer Trip war, und damit kaum für das Forum hier qualifiziert, war es so wunderbar und schön, dass ich mich mit einem Kurzbericht für die Hilfe bedanken möchte.
    Gleichzeitig war es aber auch eine Wanderung, bei der es am zweiten Tag ganz anders lief als gedacht und die mir nochmal verdeutlicht gemacht hat, dass im Ernstfall 2 Stunden Entfernung zur Zivilisation genauso kritisch sein können wie 20 Stunden. Aber der Reihe nach..


    Tag 1, 30. Oktober: Von Voss ins Fjell​
    Unsere Reise beginnt am frühen Morgen in Bergen. Begleitet werde ich von zwei Freundinnen aus Schweden, mit denen ich schon einzelne Mehrtagestouren unternommen habe. Für mich ist es die vierte Tour in Norwegen, die beiden waren zum ersten Mal im Fjell unterwegs. Generell habe ich also die meiste Erfahrung in unserer kleinen Gruppe, das wird am zweiten Tag noch wichtig werden.

    Mit der modernen Bergensbane fahren wir eine Stunde in Richtung Osten, in das kleine Örtchen Voss. Der Ort ist international bekannt für das sündhaft teure, gleichnamige Flaschenwasser. Das kommt zwar eigentlich in Vatnestrøm aus der Leitung - weil das aber nicht so gut von der Zunge geht, haben die findigen Investoren die Luxus-Brause eben Voss genannt. Der ort selbst ist klein, urig, und unspektakulär.

    Unser Ziel des Tages liegt ca 13 Wanderkilometer nördlich:
    die DNT-Hütte Tvinnestølen, malerisch gelegen zwischen den Seen 1047 und 1054. Es gibt im Prinzip zwei Möglichkeiten, Voss in Richtung der Hütte zu verlassen: Man kann direkt in Voss auf den Hangur steigen, oder man folgt dem östlichen Hang in Richtung Norden und steigt in Skulestadmo auf. Für uns sah der direkte Aufstieg am Hangur auf der Karte etwas nach Wanderautobahn aus, darum wählen wir Variante 2. Der Weg ist auch erstmal sehr schön – schlängelnd durch dichten Nadelwald, mit immer wieder wunderbaren Weitsichten nach Osten.
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211030_110425.jpg Ansichten: 0 Größe: 4,19 MB ID: 3165246
    Dichter Wald an den Hängen des Hangur...




    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211030_110435.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,39 MB ID: 3165247
    ... mit immer wieder ersten tollen Blicken in die Landschaft.



    In Skulestad haben wir dann plötzlich Alpenflair, im schlimmsten Sinne. Der Ort wird gerade massiv erweitert, eine Ski-Massenunterkunft reiht sich an die nächste. Was auf der Karte nach ein paar idyllischen Häusern am Hang aussah, entpuppt sich als Großbaustelle. Egal, es nützt nichts, wir kämpfen uns den Hang hinauf, und zwischendrin ist es dann doch auch immer mal wieder sehr schön, wenn der Wanderweg die Straße verlässt. Mehr und mehr kommt jetzt die Sonne raus, wir kommen gut vorran und die Stimmung ist gut. Empfehlen würde ich diese Route aber definitiv nicht.
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211030_112345.jpg Ansichten: 0 Größe: 1,42 MB ID: 3165248
    Die Baustelle erspare ich euch hier mal. Stattdessen: Ein Skihang.




    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211030_120229.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,91 MB ID: 3165249
    Der Wanderweg zweigt immer wieder vom Skihang ab und ist dann sehr schön.Caption



    Schnell sind wir über der Baumgrenze, und auch wenn der Weg unter uns noch ein breiter ist: je mehr von den roten Ts wir sehen, desto mehr stellt sich das Gefühl ein, im Fjell zu sein!
    Der Blick geht schon auf halber Höhe sehr weit.




    Wir haben den ersten Bergrücken überwunden, und vor uns öffnet sich ein tiefes, weites Tal. Häuser sind hier nicht mehr zu sehen, man hat wirklich das Gefühl, nicht nur eine Stunde, sondern drei Tage von der nächsten SIedlung entfernt zu sein. Ich war schon auf wirklich vielen Wandertouren und im Rest der Welt, aber das ist wirklich einer der schönsten Ausblicke, die ich je hatte. Das Tal kommt so plötzlich, und es ist so surreal groß, schroff, unberührt. Auf Fotos kommt das gar nicht so richtig rüber - und ich merke gerade, dass ich gar nicht so recht ins Tal hineinfotografiert habe... Mea culpa.
    Wir folgen dem roten T. Im Hintergrund das tiefe Tal.




    Ein Blick nach unten. Rechts vom Ausschnitt bildet das Tal einen großen Kessel.




    Wir umrunden das Tal in einem großen Bogen und kreuzen dabei immer wieder über Bachläufe, die den Hang hinunterdonnern. Am Vortag hat es ordentlich geregnet, und manchmal müssen wir ein wenig suchen, um eine gute Stelle zum queren zu finden.

    Wir steigen nördlich aus dem Tal hinaus weiter auf und befinden uns in einer weiten, hügeligen Hochebene voller Seen und Bäche. Hier sehen wir erste (Rest-?) Schneefelder. Das Kreuzen der Bäche wird zunehmend zur Herausforderung, die Füße werden etwas nass.
    ​​
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211030_142719.jpg Ansichten: 0 Größe: 7,86 MB ID: 3165266
    Wasser gibt es immer und überall. Hier kommt man noch relativ leicht drüber.




    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211030_160252.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,38 MB ID: 3165267
    Hier ist es schon schwerer, dem Wanderweg zu folgen ohne nasse Füße zu bekommen.





    Kurz vor der Tvinnestølen-Hütte muss noch ein kleiner Felshügel überquert werden. Dieser ist mit folgendem Hinweisschild versehen:
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211030_172936.jpg Ansichten: 0 Größe: 1,97 MB ID: 3165268
    Warnhinweis kurz vor der Hütte. Wir denken uns nichts dabei.





    Dann sind wir da! Die Hütte ist wirklich sehr malerisch zwischen den beiden Seen gelegen. Direkt neben der Hütte wurde eine neue, deutlich größere Hütte gebaut; während die alte unverschlossen war (das haben wir extra noch in Bergen erfragt), ist die neue verrammelt. Ich bin aber sehr glücklich, dass wir die kleine, urige Hütte statt der modernen großen beziehen. Die haben wir an diesem Abend ganz allein für uns.

    Mittlerweile ist es draußen kalt geworden; wir heizen den Ofen ordentlich an, kochen Tee und bestaunen die Aussicht aus dem Fensterchen. Leichter Schneeregen setzt ein. Später gehe ich noch eine Runde Schwimmen. Die Stimmung den ganzen Tag über war gut und wurde auch von gelegentlichen Regenschauern oder feuchten Flussquerungen nicht getrübt. Da der Rucksack leicht und die Strecke nicht so lang war, mussten wir uns um die Zeit keine Gedanken machen. Meine Kameradinnen schlafen schnell ein, ich lese noch ein wenig im Hüttenbuch. God natt!
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211030_173229.jpg Ansichten: 0 Größe: 4,24 MB ID: 3165269
    Da ist sie! Tvinnestølen​


    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211030_174046.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,42 MB ID: 3165270
    Der wunderbare Ausblick auf See 1047

    Angehängte Dateien
    Zuletzt geändert von pretium; 14.11.2022, 01:31.

  • pretium
    Erfahren
    • 05.10.2008
    • 128
    • Privat

    • Meine Reisen

    #2
    Tag 2: Hoch und höher hinaus bis ins Dunkel der Nacht
    Wir wachen früh auf, aber es zieht uns noch nicht nach draußen. Kamin, Decken und eine Kanne Tee spenden noch behagliche Wärme, während draußen fortwährend leichter Regen niederpasselt. Stattdessen besprechen wir den Tagesplan: Wir wollen nach Westen zur Volahytta und von dort aus in Richtung Süden nach Bulken rauszuwandern. Das sind insgesamt ca 16 Wanderkilometer, zwar mit einem großen Berg dazwischen, aber nicht mehr Höhenmetern als am Vortag. Da wir insgesamt mehr Zeit haben als am Vortag und sich unsere Beine noch gut anfühlen, erscheint uns der Plan leicht machbar.
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_095017.jpg Ansichten: 0 Größe: 1,37 MB ID: 3165584
    Draußen kalter Regen, drinnen pure Behaglichkeit



    Wir packen unseren Kram zusammen und gerade als wir losmarschieren wollen, wird aus dem Regen Schnee. Es ist großartig! Wir brechen auf in ein dichtes Gestöber aus großen Flocken - nicht so viel, dass wir nichts mehr sehen können, aber gerade genug, um die Landschaft weiß zu überpudern. Der Aufstieg fort von der Hütte, der entlang einer Steilkante verläuft, ist indes ein sehr rutschiger, und wir müssen an Warnschild vom Vortag denken. Selbst bei nur wenig Schnee ist der Fels so schmierig, dass wir über die montierten Ketten sehr dankbar sind.
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_100115.jpg Ansichten: 0 Größe: 5,62 MB ID: 3165585
    Aufstieg weg von der Hütte im herrlichen Schneegestöber



    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_100252.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,00 MB ID: 3165586
    Ein letzter Blick zurück zur Hütte



    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_101257.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,67 MB ID: 3165587
    Wandern durch die bepuderte Landschaft



    Die nächste halbe Stunde laufen wir durch ein dichtes Schneetreiben. Am Ufer von See 960, der so groß ist, dass er sich einen Namen – Piksvatnet – verdient hat, reißt der Himmel dann auf und taucht die schneebepuderte Landschaft um uns herum in gleißendes Licht. Obwohl es jetzt immer wieder kleine Regenschauer gibt, ist die Stimmung gut. Der Wanderweg führt uns etwas den Hang hinauf und in der Ferne können wir bereits die Sommerbrücken oberhalb der Volahytta sehen, die wir queren müssen.
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_103413.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,23 MB ID: 3165588
    Sonne und Schnee am See 960 aka Piksvatnet​



    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_112103.jpg Ansichten: 0 Größe: 2,42 MB ID: 3165589
    Kurzer Aufstieg bevor es runter zur Volahytta​ geht, die hinter dem Hügel hervorlugt.



    Als wir die erste der beiden Brücken erreichen, zeigt sich mein erster Planungsfehler. Da mir von der Touristinformation bestätigt wurde, dass die Hütten noch offen sind, bin ich ganz natürlich davon ausgegangen, dass dann auch die dazugehörigen Brücken noch draußen sind. Oder mir direkt gesagt wird, wenn es nicht so ist.. Tatsächlich steht nur noch das hölzerne Gerüst, die Planken sind bereits abgebaut. Der Fluss unter der Brücke fließt zwar langsam, es ist aber kalt und das Wasser tief. Nach kurzer Überredungsarbeit wagen wir uns auf das Gerüst und queren sicher.
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_112826.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,33 MB ID: 3165590
    Rückgebaute Sommerbrücke - der einzige Weg über den Fluss


    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_113303.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,71 MB ID: 3165591
    Mit etwas Mut gut passierbar



    Kurz darauf erreichen wir die Volahytta, die wir offen vorfinden. Da der Regen mittlerweile immer stärker wird, beschließen wir, uns im Aufenthaltsraum aufzuwärmen und Vesper zu machen. Die Hütte besitzt eine große Fensterfront und ist top ausgestattet, mit einer ganzen Küchenzeile (mit Weingläsern!) und einem vollen Vorratsschrank (ohne Wein). Es gibt ja immer wieder Fotoserien aus norwegischen Gefängnissen, die schöner und moderner sind als so manches deutsches Reihenhaus. Das gilt definitiv auch für diese DNT-Hütte. Der Ortsverein hat sich hier wirklich sehr viel Mühe gegeben.
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_125138.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,63 MB ID: 3165592
    Volahytta​ mit Waserfall, den es noch zu queren gilt



    Doch bei aller Heimeligkeit, es nützt nichts. Wir müssen weiter. Wir verlassen die Hütte in Richtung Süden und müssen abermals einen Wasserlauf über abgebaute Sommerbrücken queren. Hier ist das Wasser so tief und strömt so schnell, dass Waten definitiv keine Alternative ist.
    Hier fließt das Wasser schon wesentlich schneller


    Die Querung ist hier aber fast schon Routine



    Ab hier geht die wanderung kontinuierlich bergauf. Ich habe wirklich eine wunderbare Zeit, aber meinen Mitwanderern drückt der immer wieder einsetzende Regen aufs Gemüt. Das macht sich in der Reisegeschwindigkeit bemerkbar. Die reduziert sich immer wieder, und es gibt mehr und mehr Snackpausen. Das ist für mich etwas überraschend, da wir alle drei relativ sportliche Wanderer sind, und auch noch gar nicht so lange unterwegs. Es ist ein rein psychischer Effekt. Die Stimmung ist zwar insgesamt noch gut, aber es ist eben etwas zäh.
    Bergauf wird die Aussicht wieder mit jedem Schritt besser. Links die Volahytta​, rechts die zuerst passierte Brücke



    Behäbig geht es weiter, und wir können am Horizont nun zum ersten Mal den geplanten Höhepunkt unserer Tour sehen, den Gipfel Volafjellet. Von der (komplett verrammelten) Hüttensiedlung Vola haben wir zwei Optionen: Den Weg über den Gipfel, oder einen Umweg über den westlich gelegenen Pass.
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_140101.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,88 MB ID: 3165599
    Der Gipfel des Volafjellet​ mit dem östlich gelegenen Pass



    Die Entscheidung fällt mir nicht leicht. Wir sind wesentlich später in Vola angekommen als geplant. Der Umweg über den Pass wäre deutlich länger, was wiederum Zeit kosten würde. Ich verbringe lange Minuten damit, Höhenlinien zu zählen. Der Gipfelpfad hat auf meiner Karte rund 100 Höhenmeter mehr als der Pass. 100 Höhenmeter, die sich auf mehrere Kilometer verteilen, also nicht zu steil wären. Hinzu kommt, dass der Passweg in der Karte kleiner ist als der Weg über den Gipfel, und wir konnten schon am Vortag kleinere Abzweigungen auf der Karte nicht immer im Gelände sehen. Andererseits: Im Neuschnee über den Berg ist auch nicht ideal. Sturm ist aber keiner vorausgesagt. Ich wäge ab und wäge ab und wäge ab, habe bei beiden Möglichkeiten Bauchschmerzen. Umdrehen ist keine Option, hier bleiben auch nicht. Wir müssen weiter, und auf dem Papier ist es auch gar nicht mehr so weit.

    Das Ganze ist etwas absurd: Wir sind keine 8 Kilometer von der Hauptstraße entfernt, das Wetter ist stabil und nicht zu schlecht, das Gelände sehr gut belaufbar. Trotzdem fühlt es sich an, als müsste ich mich zwischen Caradhras und Khazad-dûm entscheiden. Die große Unbekannte in der Gleichung ist unsere Reisegeschwindigkeit, mit der ich nicht zufrieden bin. Ich entscheide mich, auf mein Bauchgefühl zu vertrauen: Wir gehen über den Berg. Und ich mache der Gruppe klar: Wir müssen etwas den Hintern hoch kriegen.

    Es geht also weiter bergauf, und die Aussicht wird immer spektakulärer. Der Himmel über uns klart jetzt vollkommen auf und ich fühle mich wieder prima, jetzt, wo wir eine Entscheidung getroffen haben. Ich habe Spaß, meine Mitwanderer sind gut drauf, nur eines: Die Worte sind in den Wind gesprochen, wir kriegen das verflixte Tempo nicht gesteigert. Gut zureden hilft für wenige Minuten, dann wird hinten wieder gebummelt. Es ist ein stetiges Vorwandern, auf die Nachhut warten, gut zureden, ein Stück gemeinsam gehen, versuchen, den Abstand nicht zu groß werden zu lassen.

    Mittlerweile ist später Nachmittag, und es wird klar: Wir werden nicht vor Sonnenuntergang aus den Bergen herauskommen. Ich kommuniziere das ehrlich, was die Stimmung dann doch merklich drückt. Meine Mitwanderer sind es nicht gewohnt, im Dunkeln zu wandern; sie machen sich ernsthafte Sorgen, dass wir vielleicht die Nacht auf dem Berg verbringen müssen. Ich kann ihnen nur versichern, dass ich weiß, was wir hier tun, es nicht gefährlich ist, und es eben gerade länger dauert als geplant, wir es aber sicher zur Straße schaffen werden. Aus Rücksicht auf die allgemeine Stimmung höre ich auf, zu fotografieren. Darum, hier ein letztes Foto mit wunderbarem Ausblick:
    Klicke auf die Grafik für eine vergrößerte Ansicht  Name: 20211031_151205.jpg Ansichten: 0 Größe: 3,42 MB ID: 3165600
    Wir sind mittlerweile oberhalb der Schneegrenze. Der Schnee ist aber nie mehr als ein paar Zentimeter hoch



    Es ist wirklich schade, dass es vom Rest der Wanderung keine Fotos mehr gibt – den Gipfel des Volafjellet erreichen wir im Sonnenuntergang und haben einen großartigen Rundumblick. Wir verzichten aber auf eine Pause und machen uns direkt an den Abstieg um noch so viel Resttageslicht wie möglich zu nutzen.

    Der Abstieg führt uns über Geröllfelder, der Weg ist hier, wie ja meist in Norwegen und in jeder anderen Situation auch ganz wunderbar, nicht als solcher zu erkennen. Stattdessen suchen wir Steinmännchen mit rotem T. Das wird bei einsetzender Dunkelheit etwas anspruchsvoller als uns in dieser Situation lieb ist, aber wir finden sie alle und steigen langsam, aber stetig ab. Die Gedanken in der Gruppe, für welches Tier wir heute Nacht als Nahrung dienen werden, weichen so langsam den Überlegungen, was wir denn selbst alles verspeisen werden, wenn wir erstmal wieder in der Zivilisation sind.

    Nach 700 Höhenmetern bergab erreichen wir eine (sehr sehr sehr langweilige!) Forststraße, die uns in Serpentinen bis hinunter nach Bulken bringt. Über uns ist der Himmel dunkel, klar, voller Sterne. Wir erwischen den letzten Bus nach Voss, überfallen noch eilig den örtlichen Pizzabäcker, und setzen uns dann in den Zug zurück nach Bergen.


    Epilog
    Ganz schön viele Worte, ganz schön viel Aufregung für eine kleine, schöne, feine Wandertour. Zur Strecke selbst: Großartig! Dafür liebe ich Norwegen, dass ich einfach eine Stunde mit dem Zug rausfahren und dann so eine unglaublich wilde, ursprüngliche Natur genießen kann. Der erste Teil durchs Skigebiet war etwas deppert, aber die restlichen Wanderwege waren teils atemberaubend. Die Hütte lag wunderbar, und mit dem Puderzucker-Schneefall war auch das Regenwetter (für mich) gut erträglich.

    Trotzdem muss ich mich, ob des Abstiegs im Dunkeln, natürlich fragen: Was habe ich falsch geplant. Die Tourplanung lag vollständig in meiner Hand, die Entscheidungen habe allesamt ich getroffen – autokratisch, meine Mitwanderer haben mir da einfach vertraut. Der Weg über den Berg hat in der Situation nach reiflicher Überlegung Sinn gemacht. Jetzt, hier beim Aufschreiben, merke ich, dass ein Außenstehender beim Lesen des Abschnittes wohl energisch mit dem Kopf schütteln mag.

    Die Streckenlänge und Entfernung für eine Zwei-Tagestour mit leichtem Gepäck geht für sportliche Leute absolut in Ordnung. Kein Teil des Weges war gefährlicher als eine Wanderung durch den Harz. Das war, denke ich, nicht das Problem.
    Stattdessen war ich einfach überrumpelt davon, dass auf einmal aus meiner Sicht grundlos gebummelt wurde. Das ist ein Phänomen, dass ich in über zehn Jahren Langstreckenwandern mit vielen verschiedene Leuten noch nie erlebt habe. Meine Mitwanderer dieser Tour kannte ich seit vielen Jahren, war mehrfach (auch über mehrere Tage) mit ihnen wandern. Ich hätte sie nicht auf so eine Tour mitgenommen, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass sie das 100%ig ohne jeden Zweifel schaffen können. Denn wenn etwas passiert, ist es ja tatsächlich sehr egal, ob man 2 oder 20 km von der rettenden Zivilisation entfernt ist.

    Nach der Tour haben wir das Geschehene besprochen. Große Erkenntnisse blieben dabei aus; es ging an diesem Tag einfach nicht schneller. Solche Tage gibt es, das muss man und ich wohl einfach im Hinterkopf behalten. Bei einer 2-Wochen-Tour kann man da dann einfach einen eingeplanten Ruhetag verbraten - bei einer 2-Tage-Tour ist das natürlich nicht möglich. Diesbezüglich kann ich hier also kein befriedigendes Fazit ziehen, außer dieses: Es war, trotz der Unwegsamkeiten, eine ganz wunderbare kleine Tour. Danke ans Forum und an Vinje für die Hilfe beim Planen.
    Angehängte Dateien
    Zuletzt geändert von pretium; 15.11.2022, 04:50.

    Kommentar

    Lädt...
    X