Brücke über den Grövlan
Was erlauben Rucksack!!! Zu schwer, viel zu klein, überall baumelt außen was. Kann ich gar nicht leiden. Dabei habe ich für 10 Tage Proviant und Brennstoff, rund 750 Gramm pro Tag. 17 kg ohne Wasser etwa. Coco trägt in Satteltaschen einen Teil ihres Futters und ihrer Ausrüstung, den Rest trage ich. Dazu die Bauchtasche für Karten, Handy, Kamera, 7-Zoll-Tablet, Powerbank, Kabelzeugs. Mir kommen Zweifel. 55+10 Liter (mein alter Gregory Maven) waren vielleicht doch etwas ambitioniert...? Und außerdem bin ich viel zu spät, es ist schon nach zwölf. Völlig wurscht, ich habe ja Urlaub! Dafür ist das Wetter ideal, nur ein paar dunkle Wolken ziehen schnell über die Berge. Windig ist es. Ich freue mich so!

Der grobe Plan: Grövelsjön, über das Salsfjellet nach Sylen – Grøtådalen - Reva - Bustvålen – Rogenstugan – Tandsjövålen – Slagufjället – Hävlingen - Långfjället – Grövelsjön.
Alles schön auf Wegen, na ja fast, und immer irgendwo ein Hütte in Reichweite.
Aber nach Kartenstudium mit Kristin habe ich mir mehrere Optionen offen gelassen. Schließlich habe ich keine Ahnung, wie schnell ich tatsächlich vorwärts komme und wie das Gelände ist. Vor allem das Grotadalen und weiter über Oasen nach Reva ist für mich ein Unsicherheitsfaktor. Das Gelände soll weglos sein, obwohl auf meiner Karte eine gepunktete Stecke eingetragen ist. Das kann, sagen sie hier, anspruchsvoll sein – aber was heißt das?
An Karten dabei: Outdoorkartan Blad 13 (wasserfest, 1:75000) und die Fjällkartan W51 (1:50000), letztere benutze ich dann aber kaum. Dazu auf dem Tablet via Komoot die ganze Region als offline-Karte. In der Kombination fühle ich mich am wohlsten, ich mag Papierkarten zur Orientierung, aber das kleine Tablet mit dem GPS hat sich öfter schon als sehr hilfreich erwiesen, wenn die Wegführung unklar ist und es mehrere Möglichkeiten gibt.
Also los! Aber kaum habe ich den Rucksack aufgesetzt und die ersten Schritte vom Parkplatz aus Richtung See gemacht, geht mir mein Hund durch. Coco flitzt begeistert durchs Gebüsch, und als nächstes sehe ich ein Dutzend Rentiere keine 100 Meter von der Sjöstugan eher unentspannt davonstieben. Coco lässt sich zurückrufen, aber ich schrumpfe auf Daumengröße – hoffentlich hat das keiner gesehen und ich kriege keinen Ärger.

Dann stehe ich an der Brücke über den Grövlan - und damit mitten in dem Bild, das ich seit einem halben Jahr als Hintergrund auf meinem Rechner habe. Irgendwer hat mich vom Schreibtisch in diese Szene gebeamt. Hat was. Ist aber schon schräg.
Also ´rüber über die Brücke – und dann aufwärts. Den Weg bin ich vor zwei Tagen schon zum Kennenlernen hochgelaufen Richtung Sjohøgda, aber die anvisierte Besteigung habe ich auf halber Strecke, weglos verloren im Geröll und fast weggeblasen, abgebrochen.
Der Rucksack fühlt sich gut an, nichts drückt, zwickt oder quietscht. Nur wackelt viel außen dran. Dafür krieche ich nur bergauf. Macht mir aber gar nichts. Ich habe mir fest vorgenommen, mich völlig frei zu machen von Kilometerzählerei und festen Zielvorgaben. Ich habe Urlaub, genug Puffertage und bleibe, wo es mir gefällt. Nichts müssen. Und wenn ich merke, hier ist es gar nichts für mich, drehe ich um. Das ist der eigentliche Plan: Irgendwohin, wo es schön ist. Zelt aufbauen, an der Ausrüstung freuen. Und einfach da sein.
Das ist ein echtes Problem. Denn schon auf den ersten zwei Kilometern aufwärts sind die Versuchungen unverschämt. Das ist es traumhaft! Und da! Und dort noch besser – ein Zeltplatz schöner als der andere, sichtlich gut eingelegen, mit Wasseranschluss und Panoramablick...wer will denn da schon vorbeigehen?
Nicht doch hier bleiben?
Das kann ja heiter werden. Ich fange Diskussionen mit mir an, dass das doch auch toll wäre, einfach jeden Tag mal ein, zwei Kilometer weiter – reicht doch auch?
Nix da. Es geht über den Grenzzaun und rauf aufs Salsfjellet. Die Landschaft ändert sich. Es wird steinig. Windig. Wo kommen eigentlich all die Steine her? Steine, soweit das Auge reicht. Da oben bläst es mir ganz schön entgegen. Ich marschiere vor mich hin und grüble, wo man hier überhaupt ein Zelt aufbauen könnte, wenn man müsste.
Wo kommen die ganzen Steine her?
An der Abzweigung Linnesweg/Richtung Svukuriset kommt mir ein Pärchen entgegen, die ersten Rucksackwanderer, die ich treffe! Wir wechseln ein paar englische Brocken, woher, wohin, ich rufe den Hund - „ach, du bist Deutsche!“ Na dann. Sie haben da irgendwo weit hinten in der Steinwüste unterhalb vom Forbogen das Zelt aufgebaut, keinen geschützten Platz gefunden. „War es nicht ziemlich windig?“ frage ich. Ja, ziemlich, bestätigt er, aber alles gar kein Problem. Sie verzieht das Gesicht, sagt nichts. Ah ja..


Coco und ich suchen uns weiter den Weg durch die Steine. Nicht einfach, einen windgeschützten Platz für ein Päuschen zu finden, es wird dann eine kleine Bachsenke, wir schmeißen alles von uns.
Coco ist sichtlich froh, dass ich ihr die Taschen mal abnehme, und beginnt eine Wälzorgie. Herrlich ist es hier. Allmählich kommt im Osten tief unten wieder der Grövelsjön in Sicht, der Weitblick darüber hinweg ist fantastisch.
Grövelsjön, unten am Nordufer Sylen, im Hintergrund Grothogna
Aber nach Sylen runter kommt die erste kleine Bewährungsprobe. Der Wald ist toll, aber das Gelände wird blockiger, steiler. Stöcke und Leine verheddern sich, die Leine bleibt hängen, der Hund muss warten und ist genervt, ich bin genervt, weil ich über Stöcke und Leine stolpere. Der Abstieg nimmt und nimmt kein Ende. Sind dann nicht mal 300 Höhenmeter, kommt mir vor wie das Dreifache.

Brücke über den Grøvelåa - alles von uns schmeißen...
Endlich unten. Als ich die Brücke über den Grøvelåa passiere, will ich gleich danach direkt am Wasser alles fallen lassen – aber da lacht er mich aus einiger Entfernung unwiderstehlich an und ich strahle über alle Backen zurück: mein erster Lagerplatz, eine Wiese ein kleines Stück von der Brücke entfernt, ein bisschen Buschwerk, sogar mit kleiner Feuerstelle. Leider ist die Tabu, es herrscht Feuerverbot in ganz Schweden. Es ist gerade mal 17 Uhr durch, nur neun Kilometer habe ich zurückgelegt. In knapp 3 Stunden reiner Gehzeit. Unterwegs war ich knapp fünf Stunden, aber die Uhr ist gnadenlos und stoppt sofort, wenn ich stehenbleiben. Bescheiden. Aber in den Tagesnotizen steht: „Wurde Zeit. Merke jetzt die Anstrengung.“
Das da hinten links isser doch!
Ein Pärchen ist gerade am zusammenpacken, sie haben Pause gemacht, wollen noch drei Stunden weiter. Wir wechseln ein paar englische Brocken, ich rufe Coco, „Ach, du bist Deutsche...!“ -...samesame. Sie kommen durch das Grøtådalen und überbringen mir schlechte Nachrichten von meinem geplanten Weiterweg. Von Reva bis Oasen haben sie zum Teil in einer Stunde gerade mal einen Kilometer geschafft, der Weg sei zum Teil nicht auffindbar, sie haben sich verlaufen, die Strecke sei sumpfig, voller Wasserlöcher, und es sei recht mühsam, vorwärtszukommen, die Schuhe nicht mehr trockenzubekommen. Auch den Weg durchs Grotadalen fanden sie rutschig, die Wegfindung nicht einfach.
Ich komme ins Grübeln und berichte von meinen Bedenken – ich bin ja Frischling hier, habe den schweren Rucksack, den Hund an der Leine und bin nicht so sehr aufs Steigen über rutschige Blöcke aus...Wenn ich zu lange brauche bis zur Skebrodstugan, komme ich in das Regengebiet, das am Donnerstag ankommen soll. Das wollte ich eigentlich in einer Hütte abwettern. Aber zwischen Oasen und Reva soll es außer einer Jagdhütte keine Zeltmöglichkeit geben, und im Regen weglos im Sumpf unterwegs sein...? Hmmm...
Wir verabschieden uns, ich baue meine Behausung auf. So lange habe ich auf diesen Moment gewartet. Nach dem Essen lümmele ich draußen auf meinem Chairkit herum. Beim Rucksackpacken hatte ich ihn noch in der Hand, 550g Mehrgewicht, ja oder nein? Bin ich happy, dass ich das Teil mitschleppe!

Coco ist völlig platt, will kaum was fressen und streckt alles von sich. Bisschen Massage, Pfotenpflege. Sieht gut aus. Ihre Satteltaschen sind noch gut gefüllt, und die Blockfelder waren auch für sie anstrengend. Große rote Ameisen treiben uns ins Zelt, um acht schon liege ich im Schlafsack. Es ist warm, bis auf das Rauschen des Bachs und ein paar Windböen umgibt uns Stille. Kein Mensch, kein Zivilisationsgeräusch. Wie hab ich mich danach gesehnt. Aus dem schwarzen Hundeknäuel, das warm an meine Beine drückt, kommt ab und zu ein tiefer Schnaufer. Ich bin so gerne in meinem Zelt da draußen. Endlich hier! Route? Mach ich morgen.
Da kommen wir her - Blick zurück aufs Salsfjellet
Erkenntnis des Tages: 500 g Mehrgewicht sind gar nix gegen den ChairKit-Luxus!
Dienstag, 27.8. Brücke Grøvelåa - Hävlingen
Die erste Nacht gut verbracht. Aber der Entschluss steht fest: Ich muss endlich auf einen Quilt wechseln. Mein Schlafsack ist ja schon extra Seitenschläfer-eiförmig, aber ich muss nachts die Beine seitlich wegstrecken, sonst bin ich morgens gerädert. Fühle mich wie in einer Zwangsjacke, wenn der Schlafsack ganz zu ist. Das Zelt ist außen nass und bracht eine Weile zum Trocknen.
Die Diskussion mit mir beim Frühstück über die Route endet schon am zweiten Tag mit der Schisser-Entscheidung, dass ich erstens Frischling bin und zweitens Respekt haben darf. Deshalb plane ich um, obwohl das bedeutet, dass ich leider die große Rogenumrundung und auch das Grøtådalen verpassen werde, von dem Andrea2 so geschwärmt hat. In zwei Tagen wäre das kritische Gebiet in meinem Tempo nicht zu schaffen, und ich will nicht stressen und nichts riskieren. Ein bisschen enttäuscht bin ich aber schon von mir.

Also soll es über Hävlingen Richtung Rogen gehen, dann erreiche ich auf jeden Fall eine Hütte, in der ich notfalls den Regen aussitzen kann. Um 10.45h sind wir abmarschbereit. Für mich Murmeltier (Gruß an die Lerchen

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