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Mitreisende: Isolde und Lenja
Reisezeit: 05. bis 15. Juli 2019
Reiseziel: Norwegen, Møre og Romsdal Fylke

„Bernd, wie wird das ausgesprochen?“ - „Was denn?“ - Lenja zeigt mir ein Wort in ihrem norwegisch-englichen Sprachführer, den sie am Flughafen gekauft hat. - „Ssüpert!“ - „Ssüpert?“ - „Ja, das S wird im Norwegischen immer stimmlos gesprochen, und das U meistens wie Ü.“ - „Cool, am Ende vom Urlaub will ich auch ein bisschen Norwegisch können. Norwegen ist so toll!“ - „Finde ich auch, in Norwegen ist alles besser, die Natur, die netten Menschen, es gibt mehr Umweltschutz, einfach alles!“ Das sagt Isolde, meine Tochter, ganz in schwarz gekleidet. Sie hatte mich vor Monaten gefragt, ob wir nicht mal wieder eine richtige Wandertour machen können, zusammen mit ihrer Freundin Lenja. Beide sind vierzehn, gerne draußen und blicken den Widrigkeiten einer Woche im Fjell unerschrocken ins Auge.

Und jetzt geht es wirklich los. Im Zug nach Hamar lernen die beiden ihre ersten kleinen Sätze: „Hva heter du? - Warum stehen hier eigentlich keine Schimpfwörter drin, die braucht man doch auch!“ - „Nicht, wenn ihr mit mir wandert, wir machen alles ganz entspannt, ihr werdet sehen. Tafjordfjella ist eine tolle Gegend.“ - „Supert!“ - „Presis!“ Dann müssen wir auch schon aussteigen. Zuerst gehe ich einkaufen, wieder im Spar gegenüber vom Bahnhof, während die Mädchen das Gepäck bewachen und mehr Wörter lernen. „Was heißt denn Eis?“ - „is“ - „das ist ja einfach.“ Als ich nach zwanzig Minuten zurück bin, beladen mit Bixit, Kornmo, Blaubeermüsli, Käse und was man sonst alles braucht für acht Wandertage, ziehen sie los, um sich ihr Eis zu besorgen. Einfache Aufgabe. Kurze Zeit später, wir sind inzwischen auf eine Bank im Jernbanepark umgezogen, entern sie den 7eleven, um ihr neu erworbenes Norwegisch nicht gleich zu verlernen… und die Bäuche noch weiter herunterzukühlen: Frozen Yoghurt!

Ihre iPhones, oder was man als vollwertige Jugendliche heute so braucht, wollten beide nicht mitnehmen, vermutlich hatten sie sich vorher abgesprochen. Danke, dass dieser Kelch an mir vorüber geht! („Schei*e, meine Powerbank ist leer, wir müssen sofort abbrechen!“) Lenja hat stattdessen einen E-Reader mit 26 Büchern dabei und Isolde die Fitnessuhr, damit sie ihre gelaufenen Schritte nebst Kalorienverbrauch im Blick hat. Der Bericht könnte auch heißen „Hill vs. Chill“ oder „der Berg kann bis morgen warten“, jedenfalls siegt der Kindle am Ende mit wesentlich mehr Betriebsstunden haushoch über den Schrittzähler. Soviel sei schon mal vorweggenommen.
Momentan sitzen wir aber noch im Zug nach Åndalsnes. Nur fährt der Zug nicht, er steht. Im Bahnhof von Bjorli. Und steht. Auf unbestimmte Zeit. Dann die Durchsage, die Strecke ist gesperrt, wir müssen in Busse umsteigen. Von den Einheimischen erfahren wir, dass es eine Bergrutschwarnung gibt. Schon wieder! Und auch diesmal wird es wohl eher Vorsicht sein als echte Gefahr, man nimmt es gelassen. Die Fahrt durch das Romsdal ist natürlich auch im Bus spektakulär - wer allerdings denkt, dass die Kinder sich ihre Nasen an der Scheibe plattdrücken, der irrt. Isolde schläft, Lenja liest, ich staune. So viel Neuschnee so tief im Tal, und das Anfang Juli, habe ich auch noch nicht gesehen. Ich hatte schon gelesen, dass es in den vergangenen Wochen kalt war und viel geschneit hat, und auch, dass es ab jetzt jeden Tag wärmer und sonniger wird. Wenn man denn unbedingt der Vorhersage glauben möchte. Trotz einschlägiger (gegenteiliger) Erfahrungen, besonders im Fjordland, hege ich keinen Zweifel, wir werden super Wetter haben. Ich kann es gar nicht erwarten, ins Fjell zu kommen, bin fast ein bisschen hibbelig. Die abgebrühten Jugendlichen sehen amüsiert darüber hinweg, hier kennt sie ja niemand, soll er sich doch aufführen wie ein Tourist.
Und sogar die Verspätung hält sich in Grenzen. Bestens gelaunt nehmen wir gegen zehn nach acht die Rucksäcke in Empfang und machen uns auf den Weg zum Campingplatz. Zuerst müssen wir aber noch einen Umweg über die Shell-Tankstelle kurz vor der Raumabrücke machen, wir brauchen zwei Liter Spiritus. Jetzt bekomme ich schon mal einen Vorgeschmack darauf, was mich morgen beim ersten Aufstieg erwartet. Mein Rucksack ist bis zur Kapazitätsgrenze beladen, denn die Vorräte sind ungleich verteilt und werden es auch bleiben. Gegen neun checken wir am Campingplatz ein und suchen uns einen Platz für die Zelte. Ich werde meine erste Nacht im neu erstandenen Akto verbringen, die Mädchen schlafen im Rejka Antao. Nach dem späten Abendessen hätte ich eigentlich allgemeine Abschlappung erwartet, aber sie wollen unbedingt noch im Fluss baden. Sollen sie machen, sind schließlich fast erwachsen. Und es wird ja nicht dunkel.
Wenn das so ist, kann ich mich auch noch meiner Lieblingsbeschäftigung widmen: Kaffee kochen. Mit diesem schlendere ich später ebenfalls zum Fluss, aber von den Mädchen keine Spur. Erst als ich gegen elf mit allen Verrichtungen fertig und längst bettreif bin, tauchen sie lachend, halb blaugefroren bei den Zelten auf. OK, die brauchen jetzt dringend einen heißen Kakao.
Samstag, 06. Juli
Eigentlich mag ich keine Campingplätze. Wenn man gerade einschlafen will, schleppt garantiert irgendeine Männergruppe ihre aus Deutschland mitgebrachte Bierkiste zur nächsten Picknickbank und fängt an zu grillen. Zum Glück nicht neben unseren Zelten. Aber es kehrt keine Ruhe ein. Endlose Tage … können auch anstrengend sein. Wahrscheinlich bin ich einfach zu empfindlich, zu wachsam. Sei‘s drum, die nächste Nacht wird besser. Mein Wecker klingelt um sechs, damit wir ganz sicher den Bus kriegen. Zeit genug, um ein letztes Mal mit warmem Wasser die Haare zu waschen. Jetzt ist es ganz still auf dem Platz, nur in der Toilettenanlage dröhnt Radio Norge in voller Lautstärke. Werde ich auch nicht vermissen. Nebel liegt über dem Tal, und wo er sich lichtet, leuchten die Berggipfel in der Morgensonne.

Åndalsnes Camping
Die Mädchen sind erstaunlicherweise schon fertig, sie wollen so schnell wie möglich ins Fjell. Als die Zelte eingepackt sind, gibt es noch eine Runde Rosinenbrötchen, dann laufen wir die anderthalb Kilometer zur Bushaltestelle Setnes. Theoretisch hält der Bus auch nahe dem Campingplatz, auf der anderen Seite der Fußgängerbrücke Grøtta bru, aber darauf will ich es nicht ankommen lassen, und wir haben Zeit genug. Am Bahnhof Åndalsnes steigen noch einige asiatische Touristen zu, ja, es ist der Sightseeing-Express nach Geiranger, und schon nach kurzer Fahrt erreichen wir den ersten Fünf-Minuten-Fotostopp im Isterdal. Trollstigen – da geht es gleich hoch.

Trollstigen

Isterdalen
Wo sind denn die Kinder? „Isolde! Lenja! Es geht weiter!“ Klar, sie sitzen unten am Bach und hören nichts. Wasser zieht sie magisch an, wie ein Magnet die Nägel. Da vergessen sie alles. Man muss hinlaufen, den Bann brechen, damit sie sich wieder an ihre Mission erinnern. Und die heißt heute Morgen Bus fahren bis Øvstestølen. Bus? Was für ein Bus? Ach ja! Jetzt sind sie hellwach. Mit jeder Kehre wird die Aussicht ins Tal aufregender, die Autos und Menschen nur noch so klein wie Ameisen. Ganz oben haben wir zwanzig Minuten Aufenthalt. Leider hat das Café noch geschlossen, nur der Andenkenladen ist offen. „Braucht jemand einen Plastiktroll? Nein? Dann gehen wir lieber zur Aussichsplattform.“


Was für ein Morgen! Nebel kriecht die Berghänge hoch, es ist fast windstill, ein Tourstart wie aus dem Bilderbuch. Vorfreude kribbelt die Beine hinunter zu den Füßen. Am liebsten würde ich sofort loswandern, aber wir müssen noch mal zurück in den Bus. Der Fahrer wusste nicht, wo Øvstestølen ist, deshalb passe ich lieber mit auf. Langfjelldalen sieht auch richtig gut aus, jetzt noch am Bjorstadfjell vorbei, das nächste Quertal ist es. Endlich geht es los. Die Touristen winken zum Abschied, machen Fotos von uns, dann rollt der Bus wieder an, der nächsten Attraktion entgegen.
Wir steuern auf die nächstbeste Picknickbank zu und frühstücken die Reste vom Abendbrot. Mit leerem Magen kann man schlecht wandern. Leckeres norwegisches Grovbrød, Italiensk Salat, Schinken und Käse. Lenja füllt noch ihre leere Farris-Flasche. Den Wanderpfad müssen wir nicht lange suchen, der beginnt direkt auf der anderen Straßenseite.



Øvstestølen
Jetzt wird es spannend. Wie kommen die Mädchen mit den großen Rucksäcken klar? Sind sie beide trittsicher genug? Und natürlich: wie motiviert sind sie für den ersten Anstieg von 300 Höhenmetern? Der Anfang ist für alle mühsam, nur habe ich schon eine eingeübte Routine, langsam, mit möglichst gleichmäßigem Kraftaufwand, nicht zu oft stehenbleiben. Sehr bald zeigt sich, dass mein Trott überhaupt nicht zum jugendlichen Überschwang meiner Mitwanderer passt. Anfangs warten sie noch gelegentlich auf mich, später laufen sie einfach voraus. Meine Bitte, sie mögen doch wenigstens in Rufweite bleiben, verhallt ungehört in den Weiten des Litlelangdals.

Daran muss ich mich erst noch gewöhnen, schließlich bin ich dafür verantwortlich, dass den Kindern nichts passiert. Allerdings ist der Pfad gut ausgetreten und kaum zu verfehlen. Obwohl die Route nicht mehr erhalten wird, sind immer noch ältere Markierungen erkennbar. In dem Tempo werden sie nicht lange durchhalten, denke ich, und genau so ist es. Nach einer Stunde und 250 Höhenmetern haben sie einen Felshügel mit Zugang zum Bach zum Pausenplatz erkoren. Nur kurz verschnaufen und einen Müsliriegel einwerfen. Schön ist es hier, ich bin damit zufrieden. Wenn ich an die letzte Tour mit Isolde vor zwei Jahren im Dovrefjell denke, da musste ich ihr anfangs ständig gut zureden, die ersten Höhenmeter waren qualvoll. Das ist heute ganz anders, sie ist viel sportlicher geworden, und beide hüpfen unglaublich trittsicher über die Steine. Langsam entspanne ich mich, suche mir ein windgeschütztes Plätzchen in der Beerenheide.
Eine halbe Stunde später lassen sich erste Anzeichen erkennen, wie der Hase auf dieser Tour läuft. Lenja liest, Isolde schläft. Beide sind keinesfalls gewillt, sich zum Weitergehen motivieren zu lassen. Mein diesbezüglicher Antrag wird rundheraus abgelehnt. Noch eine halbe Stunde. Mindestens! Sie sind total entspannt und glücklich – was soll ich da machen? Jeder soll sich erholen können, das war von Anfang an die wichtigste Regel. Alles andere wird gemeinsam beschlossen.


Danach laufen wir noch ein Stück weiter bis zum See auf 834m. Inzwischen sind Wolken aufgezogen, aus denen der eine oder andere Nieseltropfen fällt. „Hier wollen wir noch eine Pause machen“ sagt Isolde. „Aber die letzte Pause ist doch nicht mal eine Stunde her“ - „Das wird jetzt die richtige Pause!“ - „Na gut, Hauptsache wir schaffen heute noch was. Ist sowieso Zeit fürs Mittagessen.“ Vielleicht hätte ich doch nicht gegen den aufkommenden Regen das Zelt aufbauen sollen, nach dem Essen schlafen die beiden nämlich tief und fest. Es sei ihnen gegönnt, sie haben ein anstrengendes Schuljahr hinter sich. Später wecke ich sie mit einem Heißgetränk, das wird sie aufmuntern.
So richtig viel Regen war das nicht. Das Zelt ist schon längst getrocknet, als nach drei (!) Stunden alle ihren Chai latte geschlürft haben und zumindest theoretisch zum Weitergehen bereit sind. „Nein, Isolde, wir können nicht hierbleiben, am nächsten See finden wir sicher einen coolen Zeltplatz. Vielleicht könntest du auch später weiterlesen, Lenja. Darf ich jetzt bitte das Zelt abbauen?!“ Nee, ich bin nicht ungeduldig. Höchstens ein bisschen. Für mich passt die Balance zwischen Wandern und Herumgammeln noch nicht so ganz. Oder ich bin noch nicht richtig im Urlaubsmodus angekommen. Sobald wir gestiefelt und gespornt sind, zischen die Grazien auch schon los. Mit der Balance haben sie offenbar keine Probleme.

Litlelangdalen (das einzige Foto des Nachmittags)
Der Pfad steigt weiter mehr oder weniger sanft an und quert dabei mehrere Bäche aus einem Hochtal, alle bequem über Steine zu bewältigen. An der kleinen Hütte Osten stoße ich wieder zur Gruppe. Sie ist verschlossen (also die Hütte, nicht die Gruppe), aber an der Wand hängt ein Metallkasten mit einem Tourbuch. Wir laufen noch weiter bis zum Litlelangdalsvatnet und haben Glück. Direkt am Seeufer sieht es ziemlich eben aus, könnte ein guter Zeltplatz sein. Für zwei Zelte dicht beieinander gibt es ja nicht überall was. Also verlassen wir den Pfad und sehen uns das aus der Nähe an. Passt! Über den Nachmittag ist das Wetter immer ungemütlicher geworden, ein kräftiger Westwind treibt dicke Wolken heran, die sich an den Bergen stauen und dabei ein wenig Ballast abwerfen.
Als die Zelte stehen, darf ich mich zuerst im See waschen, dann kann ich schon mal was zum Aufwärmen kochen, während die Mädchen ungestört baden. Sie brauchen erstaunlich lange, anscheinend haben sie sich gestern schon so abgehärtet, dass ihnen das eiskalte Wasser nichts ausmacht. Die Schneefelder reichen hier bis hinunter an den See, dazu ist die Bergwand gesprenkelt mit unzähligen kleinen Neuschneeflecken. Sieht gar nicht aus wie Juli. Während ich so mit meinem Kaffee in der Apsis sitze und auf weitere Bestellungen warte, beschleicht mich kurz ein unwirkliches Gefühl, danach breitet sich wohlige Zufriedenheit aus. Wir sind auf Tour, die Kinder sind fröhlich, bisher hat alles bestens geklappt.

Litlelangdalsvatnet am nächsten Morgen
Reisezeit: 05. bis 15. Juli 2019
Reiseziel: Norwegen, Møre og Romsdal Fylke

„Bernd, wie wird das ausgesprochen?“ - „Was denn?“ - Lenja zeigt mir ein Wort in ihrem norwegisch-englichen Sprachführer, den sie am Flughafen gekauft hat. - „Ssüpert!“ - „Ssüpert?“ - „Ja, das S wird im Norwegischen immer stimmlos gesprochen, und das U meistens wie Ü.“ - „Cool, am Ende vom Urlaub will ich auch ein bisschen Norwegisch können. Norwegen ist so toll!“ - „Finde ich auch, in Norwegen ist alles besser, die Natur, die netten Menschen, es gibt mehr Umweltschutz, einfach alles!“ Das sagt Isolde, meine Tochter, ganz in schwarz gekleidet. Sie hatte mich vor Monaten gefragt, ob wir nicht mal wieder eine richtige Wandertour machen können, zusammen mit ihrer Freundin Lenja. Beide sind vierzehn, gerne draußen und blicken den Widrigkeiten einer Woche im Fjell unerschrocken ins Auge.

Und jetzt geht es wirklich los. Im Zug nach Hamar lernen die beiden ihre ersten kleinen Sätze: „Hva heter du? - Warum stehen hier eigentlich keine Schimpfwörter drin, die braucht man doch auch!“ - „Nicht, wenn ihr mit mir wandert, wir machen alles ganz entspannt, ihr werdet sehen. Tafjordfjella ist eine tolle Gegend.“ - „Supert!“ - „Presis!“ Dann müssen wir auch schon aussteigen. Zuerst gehe ich einkaufen, wieder im Spar gegenüber vom Bahnhof, während die Mädchen das Gepäck bewachen und mehr Wörter lernen. „Was heißt denn Eis?“ - „is“ - „das ist ja einfach.“ Als ich nach zwanzig Minuten zurück bin, beladen mit Bixit, Kornmo, Blaubeermüsli, Käse und was man sonst alles braucht für acht Wandertage, ziehen sie los, um sich ihr Eis zu besorgen. Einfache Aufgabe. Kurze Zeit später, wir sind inzwischen auf eine Bank im Jernbanepark umgezogen, entern sie den 7eleven, um ihr neu erworbenes Norwegisch nicht gleich zu verlernen… und die Bäuche noch weiter herunterzukühlen: Frozen Yoghurt!

Ihre iPhones, oder was man als vollwertige Jugendliche heute so braucht, wollten beide nicht mitnehmen, vermutlich hatten sie sich vorher abgesprochen. Danke, dass dieser Kelch an mir vorüber geht! („Schei*e, meine Powerbank ist leer, wir müssen sofort abbrechen!“) Lenja hat stattdessen einen E-Reader mit 26 Büchern dabei und Isolde die Fitnessuhr, damit sie ihre gelaufenen Schritte nebst Kalorienverbrauch im Blick hat. Der Bericht könnte auch heißen „Hill vs. Chill“ oder „der Berg kann bis morgen warten“, jedenfalls siegt der Kindle am Ende mit wesentlich mehr Betriebsstunden haushoch über den Schrittzähler. Soviel sei schon mal vorweggenommen.
Momentan sitzen wir aber noch im Zug nach Åndalsnes. Nur fährt der Zug nicht, er steht. Im Bahnhof von Bjorli. Und steht. Auf unbestimmte Zeit. Dann die Durchsage, die Strecke ist gesperrt, wir müssen in Busse umsteigen. Von den Einheimischen erfahren wir, dass es eine Bergrutschwarnung gibt. Schon wieder! Und auch diesmal wird es wohl eher Vorsicht sein als echte Gefahr, man nimmt es gelassen. Die Fahrt durch das Romsdal ist natürlich auch im Bus spektakulär - wer allerdings denkt, dass die Kinder sich ihre Nasen an der Scheibe plattdrücken, der irrt. Isolde schläft, Lenja liest, ich staune. So viel Neuschnee so tief im Tal, und das Anfang Juli, habe ich auch noch nicht gesehen. Ich hatte schon gelesen, dass es in den vergangenen Wochen kalt war und viel geschneit hat, und auch, dass es ab jetzt jeden Tag wärmer und sonniger wird. Wenn man denn unbedingt der Vorhersage glauben möchte. Trotz einschlägiger (gegenteiliger) Erfahrungen, besonders im Fjordland, hege ich keinen Zweifel, wir werden super Wetter haben. Ich kann es gar nicht erwarten, ins Fjell zu kommen, bin fast ein bisschen hibbelig. Die abgebrühten Jugendlichen sehen amüsiert darüber hinweg, hier kennt sie ja niemand, soll er sich doch aufführen wie ein Tourist.
Und sogar die Verspätung hält sich in Grenzen. Bestens gelaunt nehmen wir gegen zehn nach acht die Rucksäcke in Empfang und machen uns auf den Weg zum Campingplatz. Zuerst müssen wir aber noch einen Umweg über die Shell-Tankstelle kurz vor der Raumabrücke machen, wir brauchen zwei Liter Spiritus. Jetzt bekomme ich schon mal einen Vorgeschmack darauf, was mich morgen beim ersten Aufstieg erwartet. Mein Rucksack ist bis zur Kapazitätsgrenze beladen, denn die Vorräte sind ungleich verteilt und werden es auch bleiben. Gegen neun checken wir am Campingplatz ein und suchen uns einen Platz für die Zelte. Ich werde meine erste Nacht im neu erstandenen Akto verbringen, die Mädchen schlafen im Rejka Antao. Nach dem späten Abendessen hätte ich eigentlich allgemeine Abschlappung erwartet, aber sie wollen unbedingt noch im Fluss baden. Sollen sie machen, sind schließlich fast erwachsen. Und es wird ja nicht dunkel.
Wenn das so ist, kann ich mich auch noch meiner Lieblingsbeschäftigung widmen: Kaffee kochen. Mit diesem schlendere ich später ebenfalls zum Fluss, aber von den Mädchen keine Spur. Erst als ich gegen elf mit allen Verrichtungen fertig und längst bettreif bin, tauchen sie lachend, halb blaugefroren bei den Zelten auf. OK, die brauchen jetzt dringend einen heißen Kakao.
Samstag, 06. Juli
Eigentlich mag ich keine Campingplätze. Wenn man gerade einschlafen will, schleppt garantiert irgendeine Männergruppe ihre aus Deutschland mitgebrachte Bierkiste zur nächsten Picknickbank und fängt an zu grillen. Zum Glück nicht neben unseren Zelten. Aber es kehrt keine Ruhe ein. Endlose Tage … können auch anstrengend sein. Wahrscheinlich bin ich einfach zu empfindlich, zu wachsam. Sei‘s drum, die nächste Nacht wird besser. Mein Wecker klingelt um sechs, damit wir ganz sicher den Bus kriegen. Zeit genug, um ein letztes Mal mit warmem Wasser die Haare zu waschen. Jetzt ist es ganz still auf dem Platz, nur in der Toilettenanlage dröhnt Radio Norge in voller Lautstärke. Werde ich auch nicht vermissen. Nebel liegt über dem Tal, und wo er sich lichtet, leuchten die Berggipfel in der Morgensonne.

Åndalsnes Camping
Die Mädchen sind erstaunlicherweise schon fertig, sie wollen so schnell wie möglich ins Fjell. Als die Zelte eingepackt sind, gibt es noch eine Runde Rosinenbrötchen, dann laufen wir die anderthalb Kilometer zur Bushaltestelle Setnes. Theoretisch hält der Bus auch nahe dem Campingplatz, auf der anderen Seite der Fußgängerbrücke Grøtta bru, aber darauf will ich es nicht ankommen lassen, und wir haben Zeit genug. Am Bahnhof Åndalsnes steigen noch einige asiatische Touristen zu, ja, es ist der Sightseeing-Express nach Geiranger, und schon nach kurzer Fahrt erreichen wir den ersten Fünf-Minuten-Fotostopp im Isterdal. Trollstigen – da geht es gleich hoch.

Trollstigen

Isterdalen
Wo sind denn die Kinder? „Isolde! Lenja! Es geht weiter!“ Klar, sie sitzen unten am Bach und hören nichts. Wasser zieht sie magisch an, wie ein Magnet die Nägel. Da vergessen sie alles. Man muss hinlaufen, den Bann brechen, damit sie sich wieder an ihre Mission erinnern. Und die heißt heute Morgen Bus fahren bis Øvstestølen. Bus? Was für ein Bus? Ach ja! Jetzt sind sie hellwach. Mit jeder Kehre wird die Aussicht ins Tal aufregender, die Autos und Menschen nur noch so klein wie Ameisen. Ganz oben haben wir zwanzig Minuten Aufenthalt. Leider hat das Café noch geschlossen, nur der Andenkenladen ist offen. „Braucht jemand einen Plastiktroll? Nein? Dann gehen wir lieber zur Aussichsplattform.“


Was für ein Morgen! Nebel kriecht die Berghänge hoch, es ist fast windstill, ein Tourstart wie aus dem Bilderbuch. Vorfreude kribbelt die Beine hinunter zu den Füßen. Am liebsten würde ich sofort loswandern, aber wir müssen noch mal zurück in den Bus. Der Fahrer wusste nicht, wo Øvstestølen ist, deshalb passe ich lieber mit auf. Langfjelldalen sieht auch richtig gut aus, jetzt noch am Bjorstadfjell vorbei, das nächste Quertal ist es. Endlich geht es los. Die Touristen winken zum Abschied, machen Fotos von uns, dann rollt der Bus wieder an, der nächsten Attraktion entgegen.
Wir steuern auf die nächstbeste Picknickbank zu und frühstücken die Reste vom Abendbrot. Mit leerem Magen kann man schlecht wandern. Leckeres norwegisches Grovbrød, Italiensk Salat, Schinken und Käse. Lenja füllt noch ihre leere Farris-Flasche. Den Wanderpfad müssen wir nicht lange suchen, der beginnt direkt auf der anderen Straßenseite.



Øvstestølen
Jetzt wird es spannend. Wie kommen die Mädchen mit den großen Rucksäcken klar? Sind sie beide trittsicher genug? Und natürlich: wie motiviert sind sie für den ersten Anstieg von 300 Höhenmetern? Der Anfang ist für alle mühsam, nur habe ich schon eine eingeübte Routine, langsam, mit möglichst gleichmäßigem Kraftaufwand, nicht zu oft stehenbleiben. Sehr bald zeigt sich, dass mein Trott überhaupt nicht zum jugendlichen Überschwang meiner Mitwanderer passt. Anfangs warten sie noch gelegentlich auf mich, später laufen sie einfach voraus. Meine Bitte, sie mögen doch wenigstens in Rufweite bleiben, verhallt ungehört in den Weiten des Litlelangdals.

Daran muss ich mich erst noch gewöhnen, schließlich bin ich dafür verantwortlich, dass den Kindern nichts passiert. Allerdings ist der Pfad gut ausgetreten und kaum zu verfehlen. Obwohl die Route nicht mehr erhalten wird, sind immer noch ältere Markierungen erkennbar. In dem Tempo werden sie nicht lange durchhalten, denke ich, und genau so ist es. Nach einer Stunde und 250 Höhenmetern haben sie einen Felshügel mit Zugang zum Bach zum Pausenplatz erkoren. Nur kurz verschnaufen und einen Müsliriegel einwerfen. Schön ist es hier, ich bin damit zufrieden. Wenn ich an die letzte Tour mit Isolde vor zwei Jahren im Dovrefjell denke, da musste ich ihr anfangs ständig gut zureden, die ersten Höhenmeter waren qualvoll. Das ist heute ganz anders, sie ist viel sportlicher geworden, und beide hüpfen unglaublich trittsicher über die Steine. Langsam entspanne ich mich, suche mir ein windgeschütztes Plätzchen in der Beerenheide.
Eine halbe Stunde später lassen sich erste Anzeichen erkennen, wie der Hase auf dieser Tour läuft. Lenja liest, Isolde schläft. Beide sind keinesfalls gewillt, sich zum Weitergehen motivieren zu lassen. Mein diesbezüglicher Antrag wird rundheraus abgelehnt. Noch eine halbe Stunde. Mindestens! Sie sind total entspannt und glücklich – was soll ich da machen? Jeder soll sich erholen können, das war von Anfang an die wichtigste Regel. Alles andere wird gemeinsam beschlossen.


Danach laufen wir noch ein Stück weiter bis zum See auf 834m. Inzwischen sind Wolken aufgezogen, aus denen der eine oder andere Nieseltropfen fällt. „Hier wollen wir noch eine Pause machen“ sagt Isolde. „Aber die letzte Pause ist doch nicht mal eine Stunde her“ - „Das wird jetzt die richtige Pause!“ - „Na gut, Hauptsache wir schaffen heute noch was. Ist sowieso Zeit fürs Mittagessen.“ Vielleicht hätte ich doch nicht gegen den aufkommenden Regen das Zelt aufbauen sollen, nach dem Essen schlafen die beiden nämlich tief und fest. Es sei ihnen gegönnt, sie haben ein anstrengendes Schuljahr hinter sich. Später wecke ich sie mit einem Heißgetränk, das wird sie aufmuntern.
So richtig viel Regen war das nicht. Das Zelt ist schon längst getrocknet, als nach drei (!) Stunden alle ihren Chai latte geschlürft haben und zumindest theoretisch zum Weitergehen bereit sind. „Nein, Isolde, wir können nicht hierbleiben, am nächsten See finden wir sicher einen coolen Zeltplatz. Vielleicht könntest du auch später weiterlesen, Lenja. Darf ich jetzt bitte das Zelt abbauen?!“ Nee, ich bin nicht ungeduldig. Höchstens ein bisschen. Für mich passt die Balance zwischen Wandern und Herumgammeln noch nicht so ganz. Oder ich bin noch nicht richtig im Urlaubsmodus angekommen. Sobald wir gestiefelt und gespornt sind, zischen die Grazien auch schon los. Mit der Balance haben sie offenbar keine Probleme.

Litlelangdalen (das einzige Foto des Nachmittags)
Der Pfad steigt weiter mehr oder weniger sanft an und quert dabei mehrere Bäche aus einem Hochtal, alle bequem über Steine zu bewältigen. An der kleinen Hütte Osten stoße ich wieder zur Gruppe. Sie ist verschlossen (also die Hütte, nicht die Gruppe), aber an der Wand hängt ein Metallkasten mit einem Tourbuch. Wir laufen noch weiter bis zum Litlelangdalsvatnet und haben Glück. Direkt am Seeufer sieht es ziemlich eben aus, könnte ein guter Zeltplatz sein. Für zwei Zelte dicht beieinander gibt es ja nicht überall was. Also verlassen wir den Pfad und sehen uns das aus der Nähe an. Passt! Über den Nachmittag ist das Wetter immer ungemütlicher geworden, ein kräftiger Westwind treibt dicke Wolken heran, die sich an den Bergen stauen und dabei ein wenig Ballast abwerfen.
Als die Zelte stehen, darf ich mich zuerst im See waschen, dann kann ich schon mal was zum Aufwärmen kochen, während die Mädchen ungestört baden. Sie brauchen erstaunlich lange, anscheinend haben sie sich gestern schon so abgehärtet, dass ihnen das eiskalte Wasser nichts ausmacht. Die Schneefelder reichen hier bis hinunter an den See, dazu ist die Bergwand gesprenkelt mit unzähligen kleinen Neuschneeflecken. Sieht gar nicht aus wie Juli. Während ich so mit meinem Kaffee in der Apsis sitze und auf weitere Bestellungen warte, beschleicht mich kurz ein unwirkliches Gefühl, danach breitet sich wohlige Zufriedenheit aus. Wir sind auf Tour, die Kinder sind fröhlich, bisher hat alles bestens geklappt.

Litlelangdalsvatnet am nächsten Morgen
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