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[RU] Rückkehr aufs Putorana-Plateau. Ein Wildnisabenteuer.
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Zitat von Robtrek Beitrag anzeigenIhr müsst ein Joint Venture bilden... 😁
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Auf dem Kochechumo - Große Fische - Die verlassene Basis - Treffpunkt am Polarkreis
Am 22. August beginnt die sechste und längste Etappe unserer Tour: die Flussfahrt auf dem Kochechumo. Wir sind alle sehr gespannt, denn dieser Fluss ist wirklich sehr abgelegen und wenig bekannt. Die einzige Siedlung Tura liegt ca. 650 km von uns entfernt an der Mündung des Kochechumo in die Untere Tunguska. Tura ist eigentlich ein großes Dorf, doch es ist auch die Hauptstadt des riesigen Gebiets Ewenkien, dem Land der Ewenken. Hier leben auf einer Fläche, in die Deutschland locker zwei Mal hineinpassen würde, ganze 15.000 Menschen, davon 5.000 in Tura. Ewenkien ist u.a. dadurch bekannt, dass sich in der Nähe eines anderen großen Stroms, der Steinigen Tunguska, 1908 eine gewaltige Explosion ereignete. Die Wissenschaft ist noch dabei zu erforschen, was sich bei dem "Tunguska-Ereignis" damals genau abgespielt hat.
Zur Einordnung, um welche Dimensionen es bei den Flüssen Ewenkiens geht: auf der Steinigen Tunguska ist man von der Quelle bis zur Mündung 1.900 km durch die Taiga unterwegs. Auf der Unteren Tunguska sogar 3.000 km, das entspricht in etwa dem Yukon. Unser Kochechumo ist mit 700 km Länge da noch recht bescheiden. Generell gilt für uns Rafter ja, dass ein Fluss nicht zu groß sein sollte, sonst wird das Befahren schnell eintönig. Breite Ströme mit weit auseinander liegenden flachen Ufern machen i.a. wenig Spaß, auch wenn sie auf der Atlaskarte natürlich als erste ins Auge springen. Die beiden Tunguskas gehören zur seltenen Kategorie der sehr langen Flüsse, die trotzdem nicht sehr breit werden und bis zum Schluss nicht langweilig sind. Und für den Kochechumo gilt das umso mehr.
Sergei hat keine Zeit verloren und den Fluss schon auf seinen Fischreichtum hin überprüft. Das Ergebnis macht Hoffnung für die vor uns liegenden Wochen.
Alle sind froh, dass wir ab jetzt keine Rucksäcke mehr tragen müssen. Sergei und besonders Lena sind aber wegen der Überziehung des Zeitplans doch ein bisschen niedergeschlagen. Zwar haben wir bei ihren Angehörigen und Arbeitgebern schon Bescheid gesagt, dass es eine Verspätung geben wird. Um diese so gering wie möglich zu halten, macht Lena jetzt aber Pläne für gewaltige Etappen von 50-70 km pro Tag. Versuchen werden wir es auf jeden Fall, aber für realistisch halte ich das nicht. Am Oberlauf, wo der Fluss noch klein ist und viele Steine und Kiesbänke unser Fortkommen stören werden, wären 20 km am Tag schon ein akzeptabler Schnitt. Weiter stromabwärts sind dann auch mal 90 km möglich - solange der Wind mitspielt und es nicht zu kalt wird. Jetzt rückt ja mit Riesenschritten der Herbst näher.
Rund um unseren Lagerplatz ist alles voller Hagebutten. Einige sind schon reif. Ich mag Hagebutten. Am Ende der ersten Putorana-Tour waren sie das einzige, was es noch zu essen gab, sowas prägt die Erinnerung.
Unter unseren Forumskollegen gibt's ja, glaube ich, auch ein paar Flussfahrer. Die sollen jetzt endlich auf ihre Kosten kommen, sofern sie während der ganzen Rucksacketappen noch nicht abgesprungen sind.
Ich lese im Internet gerade einiges über die Flüsse im Yukon/Alaska/NWT/BC. Richtig tolle Routen gibt's da. Was mich aber überrascht hat, dort wird praktisch jeder Fluss planmäßig von kommerziellen Touranbietern angeflogen. Egal wie abgelegen: Mountain River, Bonnet Plume, Ravens Throat, Hart, Hess, Keele, Nahanni, Turnagain, Gataga, Stikine, Horton, Coppermine... you name it, für alles gibt's fertige Angebote und wahrscheinlich sieht jeder Fluss dort zumindest 1-2 Flüge pro Saison, manche auch eher 1-2 pro Woche. Unser Kochechumo schlummert im Vergleich dazu in einem tiefen Dornröschenschlaf. Wenn sich hier überhaupt mal Touristen mit dem Helikopter absetzen lassen, sind das Angler, vielleicht einmal in fünf Jahren. Und die wenigen Rafter, die der Fluss bisher gesehen hat, kommen alle wie wir aus dem Putorana und benutzen den Kochechumo zum Abschluss ihrer Tour als Weg zurück in die Zivilisation.
Zum letzten Mal wird das Boot aufgebaut.
Eine Stunde später erfolgt der Stapellauf.
Hier wiederum die Google-Karte unserer Tour mit den hellblauen Markern, und die Militärkarte von 1986.
So sieht der Kochechumo ca. 50 km von seinem Ursprung entfernt aus. Ein kleines Flüsschen, wegen der vielen Kiesbänke noch nicht duchgehend befahrbar. Alle zehn Minuten heißt es aussteigen und ziehen.
Mittagspause gegen 18 Uhr. Bei Sergei hat sich zuviel Fisch angesammelt, den muss man jetzt verarbeiten.
Harius (Äsche)
Lenok
Die Innereien schmecken übrigens in der Suppe auch sehr gut.
Eigentlich heißt dieses Gericht auf russisch "Ukha". Andererseits gilt die Regel: "Ukha ohne Wodka - ist nur Fischsuppe". Wir essen also Fischsuppe.
Wir fahren durch eine schöne Landschaft mit weiten Horizonten. Links und rechts begleiten uns die Tafelberge des Plateaus.
Nach Sonnenuntergang wird es jetzt immer unangenehm kalt. Umso schöner sind die Abende am Lagerfeuer. Es wird mittlerweile auch wieder dunkel genug, um erste Sterne zu sehen.
Sergei hat schon wieder zugeschlagen. Die drei Lenoks wiegen jede um die 5 kg. Zum Vergleich die 1 l Flasche mit Tee.
Hier brutzelt mal wieder eine Fischhaut.
Wir stehen morgens um 7 Uhr auf und suchen ab 20 Uhr nach einem Lagerplatz. Dazwischen ist die Mittagspause die einzige größere Unterbrechung. Ansonsten paddeln wir kräftig, um so nahe wie möglich an Lenas Kilometerplan heranzukommen. Wenn ich ihr abends dann das Tagesergebnis mitteile, gibt's regelmäßig eine herbe Enttäuschung. Sie schätzt, dass wir mindestens 40 km vorangekommen sind. In Wirklichkeit schaffen wir in den ersten Tagen immer nur 15-25 km.
Hier sieht man, wie die unterspülten Ufer irgendwann unter dem Eigengewicht abbrechen und in den Fluss fallen. Weiter im Norden kann man an solchen Stellen manchmal Mammut-Stoßzähne finden, die im Permafrost konserviert wurden.
Nicht weit von diesem Zeltplatz lag ein kleiner See, wo eine Schar Wildgänse übernachtete. Immer öfter sieht man jetzt am Himmel Enten und Gänse im Formationsflug.
Dem erfahrenen Touristenauge entgeht am Ufer nichts! Diese Baumstümpfe haben sich durch ihre Regelmäßigkeit verdächtig gemacht. Bei der Kontrolle findet sich hinter ihnen im Busch ein verfallener Vermessungspunkt.
Zwei Stunden später ist es eine alte Grabstätte, die meine Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Wir müssen heute zwei kleinere Seen durchfahren. Hier, am zweiten See, soll es einige Blockhütten geben. Sie sind auf unserer Karte durch die schwarzen Würfel gekennzeichnet.
Es handelt sich um eine seit langem aufgegebene Basis von Geologen und Landvermessern. Ein paar verrostete Gerätschaften liegen noch im Gras herum.
Capablanca, Botvinnik, Fischer... Mehrmonatige Expeditionen in die Taiga bringen natürlich Einschränkungen mit sich, man kann nur das Allernötigste mitnehmen. Auf der Packliste eines Geologen darf hierbei nicht fehlen: die Übersichtstafel aller Schach-Weltmeister seit 1886. Ganz unten rechts ein junger Garry Kasparov. So wissen wir, dass dieser Geologe frühestens Ende 1985 hier eintraf.
Es wird jeden Tag früher dunkel. Die Suche nach einem Lagerplatz ab 20 Uhr führt dazu, dass wir in der Dämmerung kaum noch erkennen können, wo überhaupt geeignete Plätze sind. Ich schlage vor, unseren Tagesrhythmus etwas anzupassen und bereits ab 19 Uhr nach einem Zeltplatz zu suchen. Zum Ausgleich wird das Aufstehen von 7 auf 6 Uhr früh vorverlegt. Sergei und Lena sind jedoch für die Beibehaltung des bisherigen Systems "Zeltplatzsuche nicht vor 20 Uhr". Den zweiten Teil meines Plans finden sie aber gut, deshalb stehen wir ab jetzt eine Stunde früher auf. Autsch!
Man muss ehrlich sagen, dass die beiden auf ihrem Katamaran mit zwei Paddeln schneller sind als ich allein in meinem Boot. Über den Tag hinweg fahren sie ungefähr eine halbe Stunde Vorsprung heraus. Das führt dazu, dass ich abends praktisch bei Dunkelheit am Camp eintreffe, das sie eine halbe Stunde zuvor in der Dämmerung ausgewählt haben. Das Abendessen köchelt dann schon auf dem Feuer und wird gleich eingenommen, danach verziehen sie sich müde ins Zelt. Das gemütliche abendliche Lagerleben, das bisher ein absolutes Highlight unserer Tour war, findet kaum noch statt. Schade, schade. Man spürt die Anspannung, unter der die beiden wegen unserer Verspätung stehen. Sie machen nicht den Eindruck, dass sie die Tour auf dem Kochechumo noch so richtig genießen können. Dabei ist der Fluss wunderschön, das Wetter gut, ich bin von dieser Etappe bisher rundweg begeistert. Wenn bloß der Zeitdruck nicht so auf ihnen lasten würde.
Ein ewenkischer Rentierzaun. Wer schon mal in Lappland unterwegs war, bemerkt sicher ein paar Unterschiede zum schwedischen Design.
Bisher habe ich nur sporadisch geangelt. Sergei als echter Enthusiast hat unsere Versorgung mit Fisch voll übernommen. Zudem ist meine China-Angel vorgestern zerbrochen, als ich einen ganz großen Fisch am Haken hatte. Heute habe ich sie repariert - wie man sieht, mit Erfolg. Alles ist dabei: Harius, Lenok, ...
...und Taimen, der König der sibirischen Flüsse. Hier ein kleines Exemplar unter 10 kg.
Sergei und Lena sind bei der Zubereitung von Fisch einfach phantastisch.
Und sie haben alles nötige dabei - sogar eine Art Pfanne. Bemerkenswert bei einer so langen Tour, wo das Rucksackgewicht schon eine Rolle spielt. Die Krümel zum Panieren kommen von unseren Zwiebackresten.
Das größte Taimen-Steak haben sie für mich reserviert.
Es ist angerichtet!
Nachdem alle satt sind, wird der Rest als Wegzehrung für die kommenden Tage verpackt.
Heute hat uns kalter Regen in den Booten voll erwischt. Kleine Zwangspause. Ich mache für Lena ein Feuer, um die lähmende Kälte aus den Gliedern zu vertreiben.
Als der Regen schwächer wird, sind wir am Feuer schon fast getrocknet und fahren sofort weiter.
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Ein neuer Tag bricht an. Heute wollen wir mindestens den linken Zufluss Amnundakta erreichen, das wären ca. 30 km. Sergei und Lena werden wie üblich etwas schneller vorankommen. Wir verabreden, dass sie abends beim Zufluss auf mich warten. Die beiden haben zwar kein GPS, aber der Amnundakta ist der einzige nennenswerte Zufluss auf der heutigen Strecke, und die Militärkarte haben sie natürlich ausgedruckt bei sich.
Schon wieder bin ich 8 Stunden auf dem Wasser. Anhand einiger markanter Flussbiegungen verfolge ich mein Vorankommen auf der Karte. Der Amnundakta ist noch recht weit entfernt, aber bis zum Abend sollte er erreichbar sein.
Dann stoße ich plötzlich auf Sergei und Lena. Sie warten seit 20 Minuten auf mich und nutzen die Zeit zum Angeln. Sie sind überrascht, mich so früh zu sehen, denn "wir sind ja schon weit über das Tagesziel hinausgefahren". Wie das? Der Amnundakta kommt doch laut Karte erst in 8 km.
Wir vergleichen unsere vermeintlichen Positionen auf der Karte. Wie sich herausstellt, haben Sergei und Lena ihre Geschwindigkeit stark überschätzt und die gefahrenen Flussbiegungen nicht richtig mit der Karte in Einklang gebracht. Sie denken, wir hätten schon mehr als 40 km geschafft. Erneute Enttäuschung, es sind weniger als 25. Für die verbleibende Stunde Tageslicht fahre ich voraus. Kurz vor der Dunkelheit finden wir einen Lagerplatz. Den Amnundakta haben wir zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht erreicht.
Es ist wieder ein kalter Morgen.
Auf den Resten des Frühstückfeuers wird schnell noch getrocknet, wofür sich gestern Abend keine Zeit mehr fand.
Um Zeit zu sparen, haben wir das Mittagessen an Land durch "Snack an Bord" ersetzt. Frische, leicht gesalzene Äsche oder Lenok - schmeckt wie im besten Sushi-Restaurant. Rechts und links sauberes Trinkwasser, das mein Boot bei Bombenwetter durch eine wunderschöne Landschaft trägt. Was will man mehr?
Heute früh haben wir verabredet, dass Lena und Sergei abends an dieser Biegung auf mich warten. Falls sie aber sehr zeitig hier sind und das Tageslicht noch zur Weiterfahrt nutzen können, werden sie am folgenden Tag auf mich warten. Sergei legt für diesen Fall einen genauen Treffpunkt fest: die Stelle, wo der Kochechumo den Polarkreis überschreitet. Das ist ca. 20 km flussabwärts von hier.
Eigentlich hatte ich den beiden angeboten, dass sie ab heute einfach ohne mich weiterfahren und auf diese Art etwas schneller nach Tura kommen. Aber Sergei bestand darauf, dass wir uns spätestens am Polarkreis wieder treffen. Danach wollen wir weitersehen.
An der Biegung sind Sergei und Lena nicht. Von hier aus kann ich den Fluss gut überblicken und sehe auch stromabwärts kein Feuer. Es macht wenig Sinn, bei der einbrechenden Dunkelheit noch weiterzufahren. Dann also bis morgen am Polarkreis. Ich schlage mein Lager auf.
Heute ist alles grau in grau. Das ergibt auch mal ganz interessante Stimmungen. Zum Glück ist es unter der Wolkendecke nicht so kalt.
Auf dem Weg zum Polarkreis treffe ich zum ersten mal auf eine Hütte. Ein Zeichen dafür, dass wir uns dem größten Zufluss des Kochechumo nähern, dem Yagtali. Aus einem alten Bericht weiß ich, dass dort eine Jägerhütte steht. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass sie heute noch benutzt wird. Die Stelle ist einfach zu abgelegen, um profitabel Pelztierjagd betreiben zu können. Der Motorschlitten des Jägers würde auf der hunderte km langen Strecke nach Tura viel zu hohe Benzinkosten verursachen.
Ein Jäger hat normalerweise feste Pfade, an denen er seine Fallen aufstellt. Diese Pfade können sich über dutzende km hinziehen. Im Abstand von einem Tagesmarsch baut er deshalb kleine Nothütten mit Ofen. Um so eine Hütte handelt es sich hier offensichtlich. Aber sie ist schon lange verfallen.
Ich bin nicht der einzige, der die kleine Hütte bemerkt hat. Im hohen Gras sieht man deutlich den Abdruck eines Zeltes. Sergei und Lena haben also hier übernachtet.
Vier Stunden später komme ich an einer weiteren Nothütte vorbei. Auch sie ist längst kaputt.
Alte Fangeisen. Moderne Entwicklungen erreichen die Taigajäger übrigens früher oder später auch im fernen Sibirien. EU-Bestimmungen, die andere, teurere Fangeisen vorschreiben, um das unnötige Leiden der Nerze in der Falle zu verhindern (sog. "humane Tellereisen"), sind den Jägern in Russland bekannt und werden mindestens proforma benutzt, um den Pelz-Export nicht zu gefährden (z.B. hat man 2 moderne Vorzeigefallen und 20 alte, naja). Überhaupt ist es eine Legende, dass EU-Einfuhrbestimmungen oder auch Wirtschaftssanktionen spurlos an den Weiten Russlands vorübergehen. Man wird zu 100% auch in den abgelegensten Taigadörfern darauf angesprochen, sobald man als Deutscher erkannt ist. Die Leute sind neugierig und durchaus offen für andere Standpunkte. Ein Einsiedler in den Kuznetsky Alatau Bergen, drei Tagesmärsche vom nächsten Dorf entfernt, sagte mir z.B. mal vor seiner Blockhütte: "Du gehst heute keinen Schritt weiter und übernachtest bei mir! Was unsere Regierung dem Volk erzählt, weiss ich. Jetzt will ich auch mal hören, was man bei euch darüber denkt. Ich bereite die Banya vor, da kannst du mir gleich was erzählen."
Um 8 Uhr abends erreiche ich den kleinen Zufluss, der die Stelle markiert, wo der Polarkreis den Kochechumo schneidet. Von Lena und Sergei keine Spur. Hier gibt es aber auch keinen vernünftigen Zeltplatz. Ich fahre weiter, um hinter die nächste Biegung zu schauen. Auch dort sind sie nicht, und nirgendwo ist Feuerschein zu sehen. Zum Weiterfahren ist es jetzt zu dunkel, also schlage ich mein Lager auf.
Vermutlich haben die beiden doch entschieden, ohne mich nach Tura vorauszufahren. Ist sicher besser so, ich hab's ihnen ja sowieso angeboten, und durch den Zeitdruck ging ihnen zusehends der Spaß verloren. Ich kann mir vorstellen, wie blöd es ist, wenn man dringend nach Hause will und gleichzeitig weiß, dass der nächste Flughafen noch mindestens eine Woche entfernt ist. Da zählt dann quasi jede verlorene Stunde doppelt.
Manchmal werde ich gefragt, welche Voraussetzungen für solche Touren nötig sind. In erster Linie ist das natürlich ausreichend Zeit. Als zweites braucht man eine gewisse Unerschütterlichkeit. Wenn etwas nicht läuft wie geplant, muss man das eben hinnehmen und darf sich davon nicht die Laune verderben lassen. Je länger eine Tour dauert, desto eher liegen manchmal die Nerven blank. Im Vergleich dazu, finde ich, sind die körperlichen Voraussetzungen nicht so hoch. Durch wegloses Gelände mit sehr schwerem Rucksack unterm Mückennetz gehen erscheint manchen vielleicht als große Hürde. Aber daran gewöhnt man sich schnell, denn anders kommt man ja nicht nach Hause. Bei alldem immer guten Mutes zu bleiben, auch noch nach den ersten 30 Tagen - das ist sozusagen die Kunst, auf die es ankommt.
Ich erreiche den Yagtali. Das ist wirklich ein großer Zufluss, nicht viel kleiner als der Kochechumo selber. Im Foto oben sieht man links den Yagtali und in der Mitte den Kochechumo, woher ich gekommen bin. Von der Jägerhütte keine Spur. Auf der Karte ist auch nichts eingezeichnet, aber sie muss irgendwo am Yagtali flussaufwärts stehen.
Nach einer Stunde finde ich die Hütte in einem Wäldchen. Vom Fluss aus ist sie unsichtbar. Wie erwartet, war hier schon sehr lange Zeit niemand mehr.
Im Ufergebüsch steht noch ein Reper.
Dieser ist anscheinend von 1969.
Nach anderthalb Stunden verlasse ich den Yagtali wieder. Kurz darauf eine Überraschung: ein größerer heller Fleck am Ufer rechts voraus.
Das Zoom zeigt, es sind Lena und Sergei. Sie sind vorausgefahren, aber haben dann doch gewartet? Warum gerade an dieser Stelle kurz nach dem Yagtali?
Als ich anlege, klärt sich das auf. Sie glauben, das wir uns hier am Polarkreis befinden und warten an der vereinbarten Stelle auf mich. Wie kann das sein? Auf der Karte ist der Polarkreis eindeutig 10 km vor dem Yagtali eingezeichnet und nicht danach? "Aber der Yagtali kommt doch erst irgendwann hinter der nächsten Biegung."
Wieder haben sich die beiden in ihrer Geschwindigkeit verschätzt, aber diesmal andersrum. In Wirklichkeit stehen sie hier schon 12 km weiter flussabwärts als gedacht. So komisch das klingt, aber sie sind am Yagtali vorbeigefahren, ohne ihn zu bemerken. Anscheinend haben sie sich immer entlang des linken Kochechumo-Ufers bewegt, und so wurde die Mündung des rechten Zuflusses ein bisschen durch zwei Inselchen verdeckt. Tja, und dann wunderten sie sich natürlich, warum ich nicht auftauchte. Schließlich hatten wir uns ja für gestern Abend am "Polarkreis" verabredet.
Lena ist völlig von den Socken, weil das mit der Orientierung so schlecht klappt. Sie war sich ganz sicher, diesmal den Flusslauf genau verfolgt zu haben, und kann sich nicht so schnell beruhigen. Ich gebe ihnen meine letzten Fischsnacks und schlage vor, dass sie jetzt vorausfahren, ohne noch mehr Zeit mit Warten zu verlieren. Wenn ich sie irgendwo einhole ist das gut, und wenn nicht, dann ist es auch gut. Dann erreicht jeder Tura in seinem Tempo. Damit sind alle einverstanden, und bald geraten die beiden hinter der Biegung außer Sicht.
Heute liegt wieder ein schönes Abendlicht über dem Fluss.
Die letzten Sonnenstrahlen fallen auf die umliegenden Tafelberge. Zeit für die Suche nach einem Zeltplatz. Durch den niedrigen Wasserstand gibt es sehr breite Kiesbänke an beiden Ufern. Auf einer davon finde ich für heute ein Nachtlager.
Jetzt bin ich allein und "letzter Mann" auf diesem Fluss. Es ist natürlich immer beruhigend, wenn man weiß, dass nach dir noch andere Leute kommen. Wenn man selber der letzte für diese Saison ist, macht man das Boot doppelt und dreifach gut fest. Man will es ja nicht durch ein plötzliches Hochwasser verlieren. Bis Tura bleiben noch 480 km; bis zur Jägerhütte, wo möglicherweise Menschen wohnen, noch 230 km. Das sollte in max. 10 Tagen zu schaffen sein. Die Lebensmittel sind zwar knapp, aber für 10 Tage reichen sie noch.
Eine Unbekannte gibt es: bisher war der Kochechumo ein ausgesprochen friedlicher Fluss. Alle seine Stromschnellen liegen noch vor mir.
(Fortsetzung folgt demnächst)
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Die Landschaft ist einfach geil. Kotschetschumo...sagst du?
Wenn ich Zeit genug habe,so...in 10 Jahren, schätze ich...
Mojero-Kotuj und dies hier sind wahrscheinlich wirklich die schönste Plätze in Russland. Und dazu würde ich noch die Felssäulen Ulachan-Sis im unteren Indigirka zählen.
So langsam erlaube ich mir 4-5-wochige Touren,aber langsam ))) Ich hoffe,dass deinen Spuren nach,werde ich noch einiges davon,was du beschreibst,mir anschauen. Ich bin erst 41.
In diesem Jahr Ameditschi.
2022 hoffentlich und endlich Mal doch Putorana.
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Zitat von sibirier Beitrag anzeigenDie Landschaft ist einfach geil. Kotschetschumo...sagst du?
Deine Pläne sind super, da kann man dich nur beneiden. Wir müssen um die halbe Welt nach Alaska oder zu Euch fliegen - du setzt mal eben deinen Fuß vor die Tür und bist schon halb in der Taiga.
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Nun, auf der einen Seite kann ich die beiden natürlich gut verstehen - wenn man seinen Job nicht riskieren will, muss man halt rechtzeitig wieder da sein. Andererseits ist es natürlich auch Wahnsinn, so eine Tour zu machen und dann ständig verärgert zu sein, weil man hinter dem Zeitplan liegt oder sich überschätzt hat. Da kann man sich schonmal fragen was er denn nun ist, der Sinn des Lebens, wenn man sich SO einen Urlaub mit ständigem Stress kombiniert, anstatt einfach mal nur Sein zu dürfen. Irgendwann ist doch eh Sense. So ist das halt in unserer heutigen Gesellschaft - einmal im Job, kommt man womöglich bis zur Rente nicht mehr raus. Kommt freilich auf den Job an.
Hattest du eigentlich eine Ersatzbrille dabei? Bei so einer Tour wäre ein Verlust oder Bruch der Brille ja schon ein echtes Problem.
Du hast es vllt. schon vorher beantwortet, wie hast du das mit dem Strom gemacht? Hattest du ein Solarpanel dabei oder nur Akkus / Powerbank?
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Man sagt bei uns KochechuM,ohne O.
Na ja...was heißt "man sagt" So sagt man unter diesen rund 200 Menschen in Russland,die nicht in Ewenkien leben und doch wissen,dass so ein Fluss existiert )))
Neulich hatten wir ein Thread auf veslo.ru über Schuhwerk bei so einer Tour. Was hast du eigentlich an?
Auf dem Wasser sehe ich die Watt-Gummistiefel (wie auch immer sie auf deutsch genannt werden.Keine Ahnung). Aber auf längeren Fussmarschen ? Nimmst du richtige Trekking-Schuhe mit oder läufst du in denselben Stiefeln?
Übrigens wurdest du auch Mal irgendwo da inzwischen erwähnt...als deutsche Version von unserem Sergej JermakowZuletzt geändert von sibirier; 17.03.2021, 12:14.
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Zitat von Freedom33333 Beitrag anzeigenDu hast es vllt. schon vorher beantwortet, wie hast du das mit dem Strom gemacht? Hattest du ein Solarpanel dabei oder nur Akkus / Powerbank?
Ich sehe hier ein Solarpanel:
Was anderes hätte ich mir auch nicht vorstellen können.
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Aus irgendeinem Grund erinnert mich dein Bericht an den Film Soweit die Füße tragen. Ich habe mich ja immer gefragt wie realistisch die Geschichte denn sein könne und wenn ich so Robtreks Orientierungspunkte zu km/Tag in verschiedenem Gelände lese, dann würde ich vermuten dass Soweit die Füße tragen komplett der Fantasie entsprungen ist.
Naja, ich freue mich auf den Rest des Berichts!
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Zitat von Spartaner Beitrag anzeigenWas anderes hätte ich mir auch nicht vorstellen können.
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Zitat von Robtrek Beitrag anzeigenEvgeny, Kochechumo findet man oft auch ohne das "o" als Kochechum. Hab' leider schon wieder vergessen, welche Variante die Leute in Tura benutzten.
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Zitat von Freedom33333 Beitrag anzeigenHattest du eigentlich eine Ersatzbrille dabei? Bei so einer Tour wäre ein Verlust oder Bruch der Brille ja schon ein echtes Problem.
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Zitat von Freedom33333 Beitrag anzeigenwie hast du das mit dem Strom gemacht? Hattest du ein Solarpanel dabei oder nur Akkus / Powerbank?
2 Kameras erscheinen vielleicht paranoid, aber nein - im Sarek letztes Jahr ist eine kaputtgegangen, und im Winter davor, als ich mit meiner Frau unterwegs war, sogar beide. Wenn man auf so eine abgelegene Tour geht, wo man wohl kein zweites Mal hinkommt, will man ja nicht ohne Fotos zurückkommen. Dann gäb's ja auch keinen Reisebericht hier.
Als Faustregel läuft es auf allen Touren so, dass bis Mitte August die Sonne ausreicht, um mit 2 Akkus über die Runden zu kommen, die man regelmäßg auflädt. Danach wird's schon eng, das Wetter ist einfach nicht stabil genug, um auf Solar Power zu vertrauen. Für den letzten Monat nimmt man dann eben noch genug Akkus mit, um von der Sonne unabhängig zu sein. China-Akkus reichen aus, man braucht nach meiner Erfahrung keine teuren Originale, obwohl die natürlich deutlich besser sind.
Noch ein Punkt zur Energieversorgung: das Handy muss ja auch ab und zu aufgeladen werden, da kann man man bei meinem Modell den Akku nicht wechseln. Es wird auf den Touren immer wichtiger. Das Handy ist der Navigator mit der Karte, alle vorhandenen Reiseberichte über die Region und Logistikinfos (Flugpläne für die Rückreise usw.) sind darauf gespeichert. Die Militärkarten drucke ich natürlich immer noch zusätzlich aus, ein Kompass ist auch immer dabei, aber insgesamt ist das Handy bei der Durchführung so einer Reise ein unglaublich nützliches Teil.
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Zitat von bsort Beitrag anzeigenAus irgendeinem Grund erinnert mich dein Bericht an den Film Soweit die Füße tragen. Ich habe mich ja immer gefragt wie realistisch die Geschichte denn sein könne und wenn ich so Robtreks Orientierungspunkte zu km/Tag in verschiedenem Gelände lese, dann würde ich vermuten dass Soweit die Füße tragen komplett der Fantasie entsprungen ist.
Wenn auch nur 10% davon wahr ist, haben die Leute Unglaubliches geleistet. Ob das wirklich so passiert ist, kann ich nicht beurteilen. Aus meiner Erfahrung erscheint es völlig unmöglich.
Auch von erfolgreichen Fluchtversuchen russischer Gefangener aus den GULAG-Lagern gibt es kaum Berichte. Die meisten wurden nach einigen Tagen oder Wochen gefunden, oft mit Hilfe einheimischer Scouts, und dann erschossen. Nicht umsonst heißt es in der "Nationalhymne der Kolyma" (Kolyma ist die Region ab Magadan, also ganz im Nordosten Sibiriens, wo sich der Hauptteil der GULAG-Lager befand):
Kolyma, sei verdammt!
"Schwarzer Planet" wirst du genannt
Hier wird man wider Willen verrückt
Denn von hier gibt es kein Zurück!
Zurück zu "So weit die Füße tragen": es gab irgendwann nach dem Film von 2001 einen Deutschen, der den Weg des Clemens Forell nachgehen wollte. Er zog Sponsoren an Land, machte sich nach Magadan auf, und begann dann seinen langen Weg durch die Wildnis. Über Satellitenverbindung postete er von unterwegs sein Vorankommen und sammelte eine große Schar begeisterter Follower um sich.
Ich war damals öfter in der Magadan-Region unterwegs und hatte die Wildnis dort im Sommer wie im Winter erlebt. Der Typ erzählte völligen Blödsinn, das wurde bald klar. Später kam es auch heraus: der hatte nie seine Couch irgendwo in Deutschland verlassen.
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Zitat von sibirier Beitrag anzeigenIch habe auch immer ein Solarpanel dabei.Ein nicht sehr teures von Alibaba. Es reicht vollkommen aus,um Handy und Satelliten-Kommunikator immer parat zu haben.
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Zitat von sibirier Beitrag anzeigenNeulich hatten wir ein Thread auf veslo.ru über Schuhwerk bei so einer Tour. Was hast du eigentlich an? Auf dem Wasser sehe ich die Watt-Gummistiefel (wie auch immer sie auf deutsch genannt werden. Keine Ahnung). Aber auf längeren Fussmarschen ? Nimmst du richtige Trekking-Schuhe mit oder läufst du in denselben Stiefeln?
Etwas OT: Das von dir erwähnte veslo.ru ist hier wahrscheinlich wenig bekannt, aber aus aktuellem Anlass ganz interessant. Das ist ein russisches Forum speziell für Rafter und Flussfahrer ("veslo" = Paddel). Ein kolossaler Erfahrungsschatz von einfachen Paddeltouren bis zu Katamaran-Extremtouren der höchsten Schwierigkeitsgrade und Packrafting-Touren. Ich glaube, in Deutschland gibt es nichts Vergleichbares, bei uns sind ja eher Kanu oder Faltboot populär, die in Sibirien weniger benutzt werden. Bei ODS wird ja gerade darüber nachgedacht, wie man nach der Softwareumstellung die zukünftige Entwicklung gestaltet, um mehr Leute für das Forum zu interessieren. Veslo.ru ist ein Beispiel für ein sehr erfolgreiches und absolut nützliches Forum trotz sehr bescheidener Software.
Daneben gibt es in Russland auch noch weitere Foren allgemein für Outdoor inkl. Trekking, z.B. weter-peremen.org. Auch mit sehr bescheidener Software, aber easy und nützlich. Und es gibt auch ein Beispiel dafür, wie das Top-Forum innerhalb weniger Wochen irrelevant werden kann. Bis vor ein paar Jahren ging jeder, der in Russland etwas über Outdoortouren jeglicher Art, Ausrüstung usw. wissen wollte, zuerst auf skitalets.ru. Dann passierte da irgendwas mit dem Server (ich glaube auch Hacking), die Seite bekam eine neue Software mit modernem Design, der riesige Erfahrungsschatz alter Berichte war plötzlich nicht mehr abrufbar - und das Forum war tot. Vielleicht wird das irgendwann nochmal was, aber inzwischen sind die ganzen User natürlich längst zu den anderen Foren abgewandert.
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