Zitat von ronaldo
Beitrag anzeigen
[RU] Rückkehr aufs Putorana-Plateau. Ein Wildnisabenteuer.
Einklappen
Ankündigung
Einklappen
Keine Ankündigung bisher.
X
-
-
-
Über den Hegochar-See zum Kochechumo
Ungefähr 20 km trennen uns noch vom Kochechumo-Fluss, wo wir endgültig in unsere Boote steigen und die letzten 650 km bis zur Siedlung Tura in Angriff nehmen werden. Vor uns liegt der Hegochar-See. Die Bootsfahrt über den See spart uns fast 10 km Trekking, in meinem Fall also 30 km Marsch mit den zwei Rucksäcken. Auf der Google-Karte unserer Tour befinden wir uns jetzt kurz vor der hellblauen Marke vom 19.08. Die gleiche Gegend auf der Militärkarte, die wir bei unserer Tour benutzen. Sie ist von 1986 und beruht auf Vermessungsdaten von 1973-75.
Was man hier sieht, ist nur ein kleiner Teil des des Sees. Die Militärkarte bringt bei diesem Maßstab (1:200.000) nicht zum Ausdruck, dass der Hegochar eigentlich aus zwei Seen besteht. Der bei weitem größere zweite See kommt erst später. Es gibt zwar Karten in besseren Maßstäben, beruht doch die Version 1:200.000 auf den Karten 1:100.000 und 1:50.000. Doch diese genaueren Karten aus den 1970er Jahren werden von Russland auch im Zeitalter hochauflösender Satellitenbilder nach wie vor als geheim eingestuft. Nur ganz wenige 1:100.000 Kartenblätter vom Putorana sind im Internet auffindbar. So sind wir auf den schlechteren Maßstab angewiesen. Zu den alten Militärkarten gibt es für diese abgelegenen Regionen bis heute einfach keine gute Alternative.
Hier scheint der See bereits zu enden.
Es geht einen kleinen Bach aufwärts. Wie sich herausstellt, ist es nur die Verbindung zwischen den beiden Seen.
An so einer klassischen Engstelle sind mit Sicherheit irgendwann Menschen vorbeigekommen. Ich suche die Hügel am Ufer ab und finde, umgestürzt auf dem Boden liegend, den "Gravimetrischen Punkt III. Klasse Nr. 6/12 von 1950".
Darunter steht: MAGP GUGK pri SM SSSR. Alles klar? Wer hier passen muss, dem fehlt es (herzlichen Glückwunsch dazu) offenbar an Erfahrung mit russischer Bürokratie bzw. deren sowjetischen Vorläufern. Also: Moskovskoe Aerogeodezicheskoe Predpriyatie Glavnovo Upravleniya Geodezii i Kartografii pri Sovete Ministrov SSSR. Wie unschwer zu erraten, heißt das ungefähr "Moskauer Aerogeodäsie-Betrieb der Hauptverwaltung Geodäsie und Kartografie unter dem Ministerrat der UdSSR".
Hier beginnt der Hauptteil des Sees, von dem aber wiederum nur ein kleines Stück zu sehen ist.
Gegen 9 Uhr abends, die Sonne ist vor einer Stunde untergegangen. Noch ist es hell genug, um die Ufer abzusuchen. Auch hier gibt es noch einige wenige alte Fuchsfallen.
Der Wind hat sich fast gelegt, auf dem See herrscht Stille. Ganz hinten rechts ist eine Landzunge auszumachen. Sie wird unser Lagerplatz.
Vor Mitternacht. Das immerwährende Licht des nächtlichen Horizonts im hohen Norden.
Wir sind uns einig, dass dies der schönste Zeltplatz unserer Tour ist. Hier stimmt einfach alles: klasse Panorama, idealer Untergrund, Feuerholz und Trinkwasser nebenan.
Die morgendliche Stille wird immer wieder durch einen Vogelruf unterbrochen. Hier im Forum gibt es bestimmt Leute, die sich damit auskennen. Was ist das für ein Vogel (20 Sek. Video)?
Von diesem wunderschönen Ort will man eigentlich nicht so schnell weg. Doch wir müssen weiter. Bis zum 30.8. bleiben nur noch 10 Tage. Inzwischen ist allen klar, dass wir das unmöglich schaffen können, sogar wenn wir Tag und Nacht fahren würden. Sergei und Lena werden ihren Flug also verpassen und nicht rechtzeitig zum Arbeits- bzw. Schulbeginn zuhause sein. Trotzdem soll es so schnell wie möglich Richtung Tura gehen.
Die nunmehr unvermeidliche Verspätung ist eine bittere Pille, vor allem für Lena. Immerhin ein Glück im Unglück, dass ich den Satellite communicator dabei habe. So können sie über Lenas Tochter die Tickets stornieren, ohne Geld zu verlieren. Außerdem werden die Bekannten informiert, die sie in Krasnojarsk am Flughafen abholen sollten; und zum Schulbeginn wird eine Ersatzlehrerin für Lena organisiert. Man stelle sich vor, die beiden wären alleine unterwegs gewesen und 10 Tage überfällig, ohne jemandem Bescheid sagen zu können. Mit dem Satellite communicator haben wir einer Reihe von Verwandten und Bekannten viele Sorgen erspart.
Wieder eine Falle, diesmal auf einer Insel im See.
Während der ganzen Überfahrt haben wir geangelt, Sergei entlang des Ufers und ich in der Mitte des Sees. Ergebnis gleich Null. Der unbekannte Hegochar-See ist, besonders für Sergei, dadurch noch rätselhafter geworden. Warum gibt es in ihm keine Fische?
Wir nähern uns dem östlichen Ende des Sees.
"Antistapel" - so heißt das auf russisch, wenn man die Boote aus dem Wasser holt, um sie abzubauen.
Wir lassen aber noch nicht die Luft aus den Booten. Zuerst gehe ich für zwei Stunden auf Erkundung Richtung Kochechumo. Laut Karte gibt es hier eine Kette von Seen, die durch einen Bach verbunden sind, der schließlich in den Kochechumo fließt. Falls dieser Bach größtenteils befahrbar ist, könnte man kürzere Portagen in Kauf nehmen und das Gepäck auf den Booten mitführen.
Unterwegs finde ich noch ein geodäsisches Zeichen.
Dieses stammt anscheinend aus 1959.
Das Ergebnis der Erkundung ist negativ. Das Befahren des Bachs lohnt nicht, es gibt zu viele Stellen, wo wir wahrscheinlich nicht durchkommen würden.
Fünf Minuten Sammeln ergibt eine Flasche fürs Abendessen.
Letzter Blick auf den Hegochar-See. Wir haben auf unserer Tour viele eindrucksvolle Landschaften gesehen. Das Plateau mit seinen weiten Horizonten war großartig. Aber der von zwei Tafelbergen eingerahmte, in grüne Taiga gebettete Hegochar mit seinen stillen Buchten, Landzungen und Inselchen war für mich bisher der schönste Anblick.
Und es bleibt weiter schön. Aufnahmen von unserem Lagerplatz an einem kleinen, namenlosen See zwischen Hegochar und Kochechumo.
Auf der Landzunge kann man unser Camp erkennen.
Der Weg vom Hegochar-See zum Kochechumo durch das weite Tal des Hegochar-Bachs bietet eine Mischung aus kleinen Seen, Sumpflandschaft, kahlen Hügeln und Tafelbergen am Horizont.
Wir stoßen auf ein paar alte Hütten der Ewenen, genannt Chum.
Diese Losung gefällt uns gar nicht. Sogleich werden die Erinnerungen an unsere Bärenbegegnungen wach und wir bleiben beim Marschieren für eine Zeit lang dichter beisammen.
Für unsere heutige Mittagspause, die letzte vor dem Kochechumo, habe ich eine kleine Überraschung vorbereitet. Die ganze Zeit habe ich die letzte unserer kaltgeräucherten Würste nicht angerührt, als Notreserve für irgendeinen überharten Marschtag. Damit ist jetzt nicht mehr zu rechnen und ich hole das gute Teil von ganz unten aus dem Rucksack hervor. Sergei und Lena sind einfach begeistert. Wie die Russen sagen: der beste aller Fische ist die Wurst!
Es ist wirklich ein sehr trockenes Jahr. Der Wasserspiegel in diesem flachen See ist schon stark abgesunken.
Von weitem sehe ich etwas, das ganz klar von Menschen gemacht wurde. Als ich näher komme, finde ich wieder ein altes Grab, mit einem Türmchen wie bei einer kleinen Kapelle.
Es wäre interessant, mehr über die Geschichte des Hegochar zu erfahren. Wieso diese Gräber? Waren es vielleicht Fallensteller oder Pelzhändler aus dem alten Ort Yessey am gleichnamigen See? Der liegt völlig isoliert 230 km Luftlinie von hier entfernt und ist über Land auch heute noch nur in den Wintermonaten erreichbar, wenn die Sümpfe und Flüsse gefroren sind. In Yessey wohnen hauptsächlich Jakuten und Ewenen. Diese sollen 1852 als erste im riesigen Gebiet Ewenkien den christlich-orthodoxen Glauben angenommen haben.
Im Autoatlas von Russland (ausgerechnet Auto...) ist eine gestrichelte Pfadspur von Yessey bis ans Ufer der Kureika eingezeichnet, die durch das Tal des Hegochar führt. Sie endet an den "Haritonov-Blockhütten", ungefähr an der Mündung des Hegochar in die Kureika gelegen. Diese Hütten sind im Bericht von 1988, dem einzigen über diese Gegend, kurz erwähnt. Sie waren schon damals total verfallen, es fanden sich kaum noch Überreste. Möglicherweise gab es also vor sehr langer Zeit eine Schlittenroute von Yessey über den Hegochar zur Kureika. Über den Grund kann man nur spekulieren. Die Pelztierjagd war hier offensichtlich lohnend. Vielleicht war Yessey über die Kureika im Winter sogar mit dem Jenissei verbunden. Aber bei der brutalen Kälte wäre das eine mörderische Route gewesen, wenn es sie denn je gab. Vielleicht erklärt das die Gräber.
Und da ist er! Am 21. August, gegen 9 Uhr abends, erreichen wir den Kochechumo.
Damit ist der Trekking-Teil unserer langen Tour beendet. Natürlich wird das heute am Lagerfeuer gefeiert. Sergei hatte auch noch etwas für überharte Marschtage aufgehoben, auf russisch nennt man das "NZ" (neprikosnovenny zapas, bzw. "unantastbare Reserve"). Man kann sich denken, was hier gemeint ist. (Keine Wurst.)
Jetzt liegen 650 km mit dem Boot nach Tura vor uns. Nach ungefähr 400 km könnten wir auf eine erste Blockhütte mit Menschen stoßen, aber sicher ist das nicht. Die Fahrt verspricht in jedem Fall interessant zu werden: der Kochechumo weist zwar nur mittelschwere Stromschnellen auf, aber davon gibt es sehr viele. Und bald muss auch die intensive Herbstfärbung der Taiga einsetzen. Bei gutem Wetter schaffen die goldgelben Lärchen vor dem Blau des Flusses wunderschöne Landschaftsbilder.
(Fortsetzung folgt demnächst)
Zuletzt geändert von Robtrek; 21.02.2021, 17:47.
Kommentar
-
-
Zitat von Bambus Beitrag anzeigenWunderbare Bilder einer traumhaften Landschaft.
Danke!~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Kommentar
-
-
Schön, dass ihr so gutes Wetter hattet während ihr am Hegochar-See unterwegs gewesen seid. Das macht die Erfahrung nochmal besser. Sieht wirklich traumhaft aus und weniger "feindlich" als die Hochebene oder sumpfige Taiga..
Sag mal, man sieht auf einigen Bildern entlang der ganzen Reise immer mal wieder Gebiete wo die Nadelbäume abgestorben sind. Nach Feuer sieht es, soweit ich das auf den Fotos erkennen kann aber auch nicht aus..
Weisst du was die Ursache für die toten Bäume ist? Ein Schädling vielleicht?
Ich kenne solches Waldsterben aus Kanada aber dort stehen die Bäume viel dichter wodurch sich die Schädlinge so rasant ausbreiten können... Auf den Fotos mit den vielen toten Bäumen stehen sie aber teilweise sehr weit auseinander daher wundert mich das...
Kommentar
-
Zitat von janphilip Beitrag anzeigenSag mal, man sieht auf einigen Bildern entlang der ganzen Reise immer mal wieder Gebiete wo die Nadelbäume abgestorben sind. Nach Feuer sieht es, soweit ich das auf den Fotos erkennen kann aber auch nicht aus..
Das Tor zum Putorana ist für 90% der Trekker die Stadt Norilsk, mehr als 400 km Luftlinie vom Hegochar entfernt. Ausländern ist der Besuch dieser Stadt verboten. Das Norilsker Nickelkombinat war schon zu sowjetischen Zeiten eine unglaubliche Dreckschleuder, und ist es weiterhin. Um Norilsk herum sind die Wälder tot, das ist bekannt. Es gilt als einer der Top 10 Orte weltweit in Bezug auf Umweltverschmutzung. Ich habe aber nie gehört, dass Trekkern ähnliche Umweltschäden aufgefallen sind, sobald sie von Norilsk aus das Putorana erreichten. Der Anstieg zum Plateau ist immerhin auch ca. 100 km von Norilsk entfernt.
Wer sich die ungehemmte Zerstörung der Taiga durch sauren Regen und Schwermetalle mal ansehen will, kann dies übrigens viel näher hier in Europa tun. Auf der Fahrt von St. Peterburg nach Murmansk, im russischen Teil Kareliens, durchquert man beim Ort Monchegorsk ein riesiges Gebiet abgestorbener Wälder. In Monchegorsk hat der Nickelproduzent aus Norilsk nämlich eine große Filiale.
Kommentar
-
Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass die Bäume da an die Grenze ihres natürlichen Lebensraumes stoßen. Sie wachsen dort ja schon nicht mehr so dicht und hoch wie in anderen Gebieten. Die "Vegetationsperiode" - oder kurz gesagt, der Sommer - in der es warm genug ist, damit sie gute Wachstumsbedingungen finden, ist da ja schon recht kurz. Da können sie nicht viele Reserven aufbauen und wachsen sehr langsam. Wenn dann mal ein besonders trockener Sommer dazwischen kommt, oder auch andersrum, der Boden längerfristig überschwemmt oder sumpfig ist, kann das den Bäumen, auch ohne dass Schwermetalle etc. dazukommen, dann schon mal den Garaus machen.
Wenn sie obendrein noch durch menschlich bedingte Einflüsse geschwächt sind, geht es natürlich noch schneller.
Kommentar
-
Zitat von Robtrek Beitrag anzeigenDie morgendliche Stille wird immer wieder durch einen Vogelruf unterbrochen. Hier im Forum gibt es bestimmt Leute, die sich damit auskennen. Was ist das für ein Vogel (20 Sek. Video)?
Von den anderen vier Seetaucherarten gibt es im mittleren Nordasien noch die ähnlich klingenden Sterntaucher und Gelbschnabeltaucher (a.k.a. Gelbschnabel-Eistaucher, aber für den ist das wohl etwas zu weit weg von der Küste).
Russisch "gagara" übrigens - vielleicht fiel der Begriff mal? (гагара, diese Art genauer чернозобая гагара = tschernosobaja gagara = wörtlich "schwarzkröpfige Gagara")
Kommentar
-
Zitat von Ljungdalen Beitrag anzeigenIrgendein Seetaucher, tippe ganz stark auf Prachttaucher (Gavia arctica).
Kommentar
-
Zitat von Blahake Beitrag anzeigenIch könnte mir aber auch vorstellen, dass die Bäume da an die Grenze ihres natürlichen Lebensraumes stoßen.
Gestern gab's übrigens in der ARD einen Film "Rentiere auf dünnem Eis". Ab 21:15 kann man einen Eisbären in den Straßen von Norilsk sehen, der dort auf der Suche nach Nahrung während unserer Tour im Sommer 2019 auftauchte, hunderte km vom Meer entfernt. Danach geht's bis 27:00 weiter mit Aufnahmen vom Putorana und den schlimmen Auswirkungen der Erderwärmung auf die Migration der Rentiere durch dieses Gebirge.
Kommentar
-
Ja, ich hab' das gestern gesehen und als das Putorana erwähnt wurde, hörte mein Mann mich laut erstaunt rufen "Das ist da, wo Robtrek wandert!"
War in der Tat eine sehr beeindruckende aber auch beängstigende Reportage, mit am erschreckendsten fand ich die riesigen Löcher, die sich im Boden auftun, wo der Permafrost taut! Und die Methankrater. Und dass den Nentzen und Rentieren der Weg abgeschnitten wird, weil die Flüsse nicht mehr ausreichend zufrieren. Ich bin mit schuld daran, weil ich z.B. des Sommers zum Spaß nach Lappland fliege.
Kommentar
-
eine ausserordentlich geile Tour habt Ihr da gemacht. Habe in den letzten Tagen alle Posts der letzten Monate gelesen. Auch die Fotos sind wie immer der Hammer.
Bin schon sehr gespannt wie es weitergeht......
Kommentar
-
Kommentar
-
-
Juhuuu, es geht weiter..
Leider werden mir die Fotos nicht angezeigt!
In den bisherigen Beiträgen schon...?
Kommentar
-
Kommentar
-
-
Zitat von janphilip Beitrag anzeigenJuhuuu, es geht weiter..
Leider werden mir die Fotos nicht angezeigt!Zitat von Detlef Beitrag anzeigenIch sehe nur Bilder, aber keinen Text
Die Software hat beim Speichern des Beitrags ne unverständliche Fehlermeldung ausgespuckt. Krieg' ich schon irgendwie hin, bitte noch etwas gedulden.
Kommentar
Kommentar